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Aus dem Veterinar-Anatomischen Institut der Justus-Liebig-Universitat Giepen Direktor: Prof. Dr. A. Schummer Uber eine Vena cava cranialis sinistra persistens beim Esel Von ESREF DENIZ':) und KARL-HEINZ WROBEL Mit 2 Abbildungen (Eingegangen am 29. Oktober 1963) Eine doppelte kraniale Hohlvene ist eine bei den Haussaugetieren selten zu beobachtende Migbildung, wahrend sie beim Menschen schon haufiger be- schrieben wurde. SCHALLER (1 955), der drei Falle beim Fleischfresser untersucht, diskutiert die Genese dieser Anomalie bei der betrefienden Tierart und gibt zudem einen Oberblick uber die bisher veroffentlichten Falle auch bei den ubrigen Haussaugetieren. Demzufolge wurde eine doppelte Vena cava cran. bei den Equiden erst zweimal, und zwar von LEISERING (1 870) und BOETHER (1 898) beim Pferd beschrieben, wahrend eine entsprechende Mitteilung uber eine doppelte Vena cava cran. beim Esel in der Literatur bisher nicht zu finden ist. Somit erscheint es angezeigt, die bisherige Kasuistik uber diese, bei den Equiden offenbar seltene Migbildung, durch den erstmalig im Veterinar- Anatomischen Institut der Universitat Ankara bei einem Esel beobachteten Fall einer Vena cava cran. sinistra zu bereichern. Befunde Die Vena cava cran. sinistra (Abb. 1,l; 2,l) entsteht im vorliegenden Fall aus der Vereinigung der linksseitigen Vv. axillaris, jugularis, thoracica int., vertebralis, costocervicalis und cervicalis prof. Sie liegt im prakardialen Mittel- fellspalt und hat einen Durchmesser von etwa 1,4 cm. Das Gefai3 verlaufi in kranio-kaudaler Richtung durch die Brusthohle, ohne sich auf dem Wege zum Herzen mit der Vena cava cran. dextra zu verbinden. Innerhalb des Cavum pericardii liegt die Vena cava cran. sinistra links vom Truncus brachiocephali- cus communis (Abb. 1,2) und der A. pulmonalis (Abb. 1,3). Nach Kreuzung mit dem Anfangsabschnitt der A. pulmonalis legt das nunmehr 2 cm starke Gefai3 sich dem Atrium sinistrum auf und ist bindegewebig mit dessen dorsaler Flache verbunden. Dieser enge Kontakt bedingt, dai3 die Vorkammer und ihr Ohr zusammengedruckt und etwas nach kaudal ausgebuchtet werden. Die Vene, die nun einen Durchmesser von 2,5 cm erreicht hat, umzieht die Herzbasis, in- dem sie sich von links uber kaudal nach rechts wendet. Sie endet in der zwerch- *) Dr. E. DENIZ weilt als tiirkischer Gastassistent am Vet.-Anat. Institut in GieBen.

Über eine Vena cava cranialis sinistra persistens beim Esel

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Page 1: Über eine Vena cava cranialis sinistra persistens beim Esel

Aus dem Veterinar-Anatomischen Institut der Justus-Liebig-Universitat Giepen Direktor: Prof . Dr. A. Schummer

Uber eine Vena cava cranialis sinistra persistens beim Esel

Von

ESREF DENIZ':) und KARL-HEINZ WROBEL

Mit 2 Abbildungen

(Eingegangen am 29. Oktober 1963)

Eine doppelte kraniale Hohlvene ist eine bei den Haussaugetieren selten zu beobachtende Migbildung, wahrend sie beim Menschen schon haufiger be- schrieben wurde. SCHALLER (1 955), der drei Falle beim Fleischfresser untersucht, diskutiert die Genese dieser Anomalie bei der betrefienden Tierart und gibt zudem einen Oberblick uber die bisher veroffentlichten Falle auch bei den ubrigen Haussaugetieren. Demzufolge wurde eine doppelte Vena cava cran. bei den Equiden erst zweimal, und zwar von LEISERING (1 870) und BOETHER (1 898) beim Pferd beschrieben, wahrend eine entsprechende Mitteilung uber eine doppelte Vena cava cran. beim Esel in der Literatur bisher nicht zu finden ist. Somit erscheint es angezeigt, die bisherige Kasuistik uber diese, bei den Equiden offenbar seltene Migbildung, durch den erstmalig im Veterinar- Anatomischen Institut der Universitat Ankara bei einem Esel beobachteten Fall einer Vena cava cran. sinistra zu bereichern.

Befunde Die Vena cava cran. s i n i s t r a (Abb. 1 , l ; 2 , l ) entsteht im vorliegenden

Fall aus der Vereinigung der linksseitigen Vv. axillaris, jugularis, thoracica int., vertebralis, costocervicalis und cervicalis prof. Sie liegt im prakardialen Mittel- fellspalt und hat einen Durchmesser von etwa 1,4 cm. Das Gefai3 verlaufi in kranio-kaudaler Richtung durch die Brusthohle, ohne sich auf dem Wege zum Herzen mit der Vena cava cran. dextra zu verbinden. Innerhalb des Cavum pericardii liegt die Vena cava cran. sinistra links vom Truncus brachiocephali- cus communis (Abb. 1,2) und der A. pulmonalis (Abb. 1 , 3 ) . Nach Kreuzung mit dem Anfangsabschnitt der A. pulmonalis legt das nunmehr 2 cm starke Gefai3 sich dem Atrium sinistrum auf und ist bindegewebig mit dessen dorsaler Flache verbunden. Dieser enge Kontakt bedingt, dai3 die Vorkammer und ihr Ohr zusammengedruckt und etwas nach kaudal ausgebuchtet werden. Die Vene, die nun einen Durchmesser von 2,5 cm erreicht hat, umzieht die Herzbasis, in- dem sie sich von links uber kaudal nach rechts wendet. Sie endet in der zwerch-

*) Dr. E. DENIZ weilt als tiirkischer Gastassistent am Vet.-Anat. Institut in GieBen.

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Ober cine Vena cava cranialis sinistra persistens beim Esel 359

fellseitigen Wand der rechten Vorkammer (Abb. 2 , 2 ) unmittelbar medial neben der Miindungsstelle der Vena cava caud. (Abb. 1,4; 2,3). Nach Eroffnung des rechten Atriums wird die vollige Selbstandigkeit der beiden groi3en Venen auch durch das Vorliegen zweier isolierter Eintrittsoffnungen bestatigt.

Abb. 1 Abb. 2

Abb. 1. Linke Seitenansicht des Herzens von einem Esel mit V. cava cran. sinistra persistens und anderen Gefadanomalien. Schematische Darstellung. 1 : 2 : 3 : 4 : 5 : 6 : 7 : 8 : 9 :

I

V. cava cran. sinistra persistens Truncus brachiocephalicus communis A. pulmonalis V. cava caudalis Atrium sinistrum Aorta V. vertebralis V. cervicalis profunda V. costocervicalis

Abb. 2. Rechte Seitenansicht des Herzens von einem Esel mit V. cava cran. sinistra persistens und anderen Gefadanomalien. Schematische Darstellung. 1 : 2 : 3 : 4 :

5 : 6 : 7 : 8 : 9 : 10 :

11 : 12 :

V. cava cran. sinistra persistens Atrium dextrum, z. T. eroffnet V. cava caudalis Septum zwischen den Miindungen von Vv. cava caudalis und cava cran. sinistra persistens V. cordis magna V. cordis parva V. cava cran. dextra V. azygos dextra Gemeinsamer Stamm der Vv. costocervicalis und cervicalis prof. Grenzwall, der die kranio-dorsale Abteilung von der iibrigen rechten Vorkammer trennt Kranio-dorsale Abteilung der redxen Vorkammer V. vertebralis

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360 DENIZ und WROBEL

Etwa 1,5 cm vor der Einmundung der Vena cava cran. sinistra in den rechten Vorhof springt von ihrer herzseitigen Wand eine 4 mm hohe, halb- mondformige Leiste in das Lumen vor. Ebenso findet sich an der Grenze der Eintrittsoff nungen der beiden Hohlvenen ein 6 mm hoher, kammformiger Vor- sprung, welchem seiner Lage nach vermutlich die Funktion zukam, ein reibungs- loses Einstromen aus den beiden Gefai3en zu ermoglichen (Abb. 2,4).

Bemerkenswert ist, dai3 die bleistifistarke V. cordis magna in den End- abschnitt der V. cava cran. sinistra, und zwar unmittelbar herzwarts von der ersten der erwahnten Leisten miindet (Abb. 2,5), wahrend die V. cordis parva (Abb. 2,6) selbstandig in den rechten Vorhof eintritt.

Die V. cava cran. d e x t r a (Abb. 2,7) entsteht aus dem Zusammenflui3 der rechtsseitigen Vv. jugularis, axillaris, thoracica int. und vertebralis und zieht in gewohnter Weise zu der rechten Vorkammer. Sie ist nur etwa halb SO stark wie die linke V. cava cran.

In Abweichung von der normalen Situation miinden hier V. azygos dextra (Abb. 2,8) und der gemeinsame Stamm der rechten Vv. costocervicalis und cervicalis prof. (Abb. 2,9) selbstandig in das rechte Atrium, und zwar in eine durch einen ringformigen Grenzwall (Abb. 2,lO) vom iibrigen Atrium abge- schiedene kranio-dorsale Abteilung der rechten Vorkammer ein (Abb. 2,11).

Diskussion Um die formale Genese dieser Anomalie zu beleuchten, ist es notwendig,

kurz auf die Entwicklung der groi3en Korpervenen im Brustbereich einzugehen. Bekanntlich bilden die zwei vom Kopf kommenden Vv. cardinales crann.

dextra und sinistra und die zwei das Blut aus den kaudalen Korperpartien sam- melnden Vv. cardinales caudd. dextra und sinistra die erste Anlage des Korper- venensystems. Die beiden gleichseitigen hinteren und vorderen Kardinalvenen vereinigen sich jederseits zum Ductus Cuvieri, die ihrerseits in die Sinushorner einmiinden, welche zusammen mit dem unpaaren Sinusquerstiick den Sinus venosus der Herzanlage bilden. Dieser nimmt zudem die Vv. umbilicales und die Vv. omphalomeseiitericae auf.

Zwischen den beiden kranialen Kardinalvenen, die das Blut aus Kopf, Hals und kranialen Extremitaten sammeln, und somit zu Vv. cavae crann. werden, bildet sich in der Folgezeit eine Queranastomose aus, durch die das Blut der linken Seite in die rechte V. cava cran. umgeleitet wird. Damit wird die V. cava cran. sinistra bedeutungslos und verschwindet. D a bei den Equiden aui3erdem auch die Miindungsstucke der Vv. umbilicalis sinistra und cardinalis caud. sinistra schwinden, verliert die linke Halfie des Sinusquerstiickes weit- gehend seine Bedeutung fur den Korperkreislauf und wird zum Sinus coro- narius.

Die Miindungsabschnitte der Kardinalvenen der rechten Seite hingegen bleiben bei den Equiden erhalten. Das rechte Sinushorn und die rechte Halfie des unpaaren Sinusquerstiickes werden in die rechte Vorkammerwand ein- bezogen. D a der rechte Ductus Cuvieri mit dem herznahen Abschnitt der V. cardinalis cran. dextra gemeinsam die definitive kraniale Hohlvene bildet, mui3 der als V. azygos dextra iibrigbleibende Brustteil der V. cardinalis caud. dextra auf der Grenze dieser an der Bildung der V. cava cran. dextra be- teiligten Abschnitte in die vordere Hohlvene einmiinden.

Die unpaare kaudale Hohlvene stellt ihre endgiiltigen Beziehungen zur rechten Vorkammer des Herzens dadurch her, dai3 ihr Kranialabschnitt aus der V. omphalomesenterica gebildet wird.

Nach dem Gesagten ist die eingangs beschriebene Vene als eine V e n a c a v a c r a n . s i n i s t r a p e r s i s t e n s a u f z u f a s s e n . Wahrend es normaler-

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361 Uber eine Vena cava cranialis sinistra persistens beim Esel

weise nach Ausbildung einer Anastomose zwischen den zunachst paarig, also rechts und links vorhandenen kranialen Hohlvenen zu einer Obliteration des kaudal dieser Gefaflbriicke gelegenen Abschnittes der 1 i n k e n Kardinalvene kommt, unterblieb in den1 vorliegenden Falle dieser Entwicklungsschritt und folglich persistierte zur Ableitung des Blutes aus der linken kranialen Korper- partie auch der kaudale Abschnitt der V. cardinalis cran. sinistra. Diese bildet den Brustabschnitt der in unserem Falle vorliegenden linken kranialen Hohl- vene, wahrend deren Endabschnitt durch die linke Halfte des Sinusquerstuckes reprasentiert wird, die sich normalerweise zum Sinus coronarius umbildet. Die Richtigkeit dieser Feststellung wird auch dadurch belegt, daf3 die V. cordis magna hier in den Endabschnitt der linken kranialen Hohlvene einmundet (Abb. 2,5).

Zwischen dem Sinus coronarius und der Eintrittsoffnung der kaudalen Hohlvene befindet sich insbesondere bei jenen Tieren, die eine V..azygos sinistra besitzen, als kreislaufregulierende Einrichtung die Valvula sinus coronarii The- besii. Es ist naheliegend, den oben beschriebenen 6 mm hohen kammformigen Vorsprung an der Grenze zwischen V. cava caud. und V. cava cran. sinistra persistens mit der Thebesi’schen Klappe zu homologisieren. Zu erklaren bleibt noch das hier getrennte Einmunden der V. cava cran. dextra, V. azygos dextra und des gemeinsamen Stammes der Vv. costocervicalis dextra und cervicalis prof. dextra: Wahrend bei der normalen Herzentwicklung nur die rechte Halfte des Sinus venosus dem rechten Atrium zugeschlagen wird, ist die rechte Vor- kammer des hier beschriebenen Herzens auaerdem um den Anteil des rechten ehemaligen Ductus Cuvieri und um die Mundungszone der ehemaligen V. car- dinalis cran. dextra vergroflert. Dieser zusatzliche Abschnitt des rechten Atriums, der hier durch die oben beschriebene kranio-dorsale Abteilung des rechten Vorhofes vertreten wird, ware bei normaler Entwicklung zum Mun- dungsabschnitt der V. cava cran. dextra geworden. Diese Erklarung wird durch die Tatsache erhartet, dai3 die V. azygos und der gemeinsame Stamm der Vv. costocervicalis und cervicalis prof. in dem miflgebildeten Herzen direkten An- schlui3 an die rechte Vorkammer finden, wahrend sie im normalen Herzen in die V. cava cran. munden.

Die angefiihrten entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungen ermoglichen einen Vergleich der gefundenen Gefaflsituation mic den normalen Verhaltnissen, sagen aber naturlich nichts uber die kausale Genese der angetroffenen Ano- malien aus.

Zusammenf assung Eine Vena cava cranialis sinistra persistens bei einem Esel wird erstmalig

Die erhobenen Befunde werden diskutiert. beschrieben.

Summary Persistent left anterior vena cava in a donkey

A persistent left anterior vena cava in a donkey is described for the first time and the findings discussed.

RCsumC Au sujet d’une veine cave craniale gauche persistante chez l’Pne

On dkcrit pour la premiere fois une veine cave craniale gauche persistante

Les constats enregistrks sont discutis. chez 1’8ne.

Zbl. Vet. Med., Reihe A, Bd. 11, Heft 4 24

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362 DENIZ und WROBEL

Resumen Sobre una vena cava craneal itquierda persistente en el burro

Por vez primera se describe una vena cava craneal izquierda persistente

Se discuten 10s hallazgos encontrados. en un burro.

Literaturverzeichnis 1 . ELLENBERGER, W., und H . BAUM, 1943: Handbuch der vergl. Anatomie der Haus-

saugetiere. 18. Aufl. Springer-Verlag Berlin. 2. SCHALLER, O., 1955: Die Vena cava cranialis sinistra persistens bei unseren Haussaugetieren, insbesondere den Fleischfressern. 2. Anat. u. Entwicklungsgesh. 119,131-155. 3. STARCK, D., 1955: Embryologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart. 4. ZIETZSCHMANN, O., und 0. KROLLING, 1955: Lehrbuch der Entwicklungs- geschichte der Haustiere. 2. Aufl. Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg.

Anshrift der Verfasser: Dr. Esref Deniz und Dr. Karl-Heinz Wrobel, Vet.-Anatom. Institut der J. Liebig-Universitat, 63 Giegen, Frankfurter Str. 94.