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Page 1: x arzt10 Fort.Mathis - restless-legs.ch · Das «Restless Legs Syndrom» (RLS) ist eine häufi ge chronisch neurologische Erkrankung, charakterisiert durch schwer zu be-schreibende

Das «Restless Legs Syndrom» (RLS) ist eine häufi ge chronisch

neurologische Erkrankung, charakterisiert durch schwer zu be-

schreibende unangenehme Sensationen in den Beinen und

seltener in den Armen. Die Beschwerden machen sich vorwie-

gend gegen Abend, beim ruhigen Sitzen oder im Bett liegend

bemerkbar und zwingen den Patienten wieder aufzustehen

und herumzugehen, in schweren Fällen fast die ganze Nacht!

Die vier Kardinalkriterien müssen zur Diagnose des Restless Legs Syndroms (RLS) alle erfüllt sein: (1) ein Drang die Beine zu be-

wegen (2) stärker am Abend oder nachts (3) stärker in sitzender oder liegender Position (4) Besserung bei Bewegung. Die Diagnose wird sicherer, wenn zusätzlich ein Ansprechen auf dopaminerge Th erapie oder periodische Beinbewegungen im Schlaf vorliegen.

Nach der Syndrom-Diagnose muss zwingend die Ätiologie ge-sucht werden (sekundäre Form), obschon man in ca. 50% keine fi n-den wird (= idiopathische Form).

Eine Eisensubstitution erfolgt bereits bei Ferritinwerten <50ug/Lit. Bei der idiopathischen Form sind dopaminerge Substanzen ers-te Wahl. L-DOPA darf aber nur bei der leichten oder intermittieren-den Form eingesetzt werden. Bei Beschwerden welche tagsüber schon vor 18.00 Uhr beginnen, sollte man Dopaminagonisten einsetzen. Die wichtigste Nebenwirkungen ist die Augmentation, eine paradoxe Ver-schlechterung der RLS Beschwerden wegen der dopaminergen Th e-rapie.

Syndrom-Diagnose und Schweregrad

Die heute allgemein akzeptierten diagnostischen Kriterien enthal-ten vier obligatorische Elemente (Tab. 1). Weil diese Kriterien aber nicht spezifi sch sind für RLS, wird zunehmend gefordert, dass auch ein Th erapieeff ekt unter dopaminerger Th erapie oder periodische Beinbewegungen im Schlaf (PLMS) nachweisbar sind (2). Die letzte-ren können einfach mit einer ambulanten Fussaktigraphie über 3–7 Nächte objektiviert werden.

Zur Beurteilung des Krankheitswertes und des Verlaufes ist es nö-tig den Schweregrad festzulegen. Ein einfaches Mass für den Schwe-regrad ist die Anzahl der symptomatischen Tage pro Woche, wobei bereits eine Anzahl von 2 oder mehr Tagen als klinisch relevant an-gesehen wird. Ein gutes Mass zur Bestimmung des Schweregrades ist auch der Beginn der Beschwerden im Tagesverlauf. Nach dieser soge-nannten John Hopkins Scale gilt ein Beginn der Beschwerden erst am Abend im Bett als leichte Form, ein Beginn ab ca. 16.00 Uhr als mit-telschwer und Beschwerden bereits vor 16.00 Uhr als schwere Form der Erkrankung. Die genaueste Methode ist die Internationale RLS Schweregrad Skala (Tab. 2).

Aetiologie und Differentialdiagnose

Nach der Diagnose eines RLS ist die aetiologische Klärung nötig, um die sekundären Formen zu fi nden (3). In ca. 50% wird man aber kei-ne Ursache fi nden (Idiopathische Form). Ein Vorschlag zu den Labor-

Beschwerden treten praktisch nur in Ruhesituationen auf

Das Restless-Legs-Syndrom

untersuchungen ist in Tab. 3 wiedergegeben, wobei sicherlich dem Ei-senstatus die grösste Bedeutung beigemessen werden muss. Das Fer-ritin sollte bei RLS Patienten >50ug/Lit liegen. Eine ganze Reihe von Medikamenten ist kontraindiziert, weil diese den Dopaminmangel im Zentralnervensystem noch verstärken (Tab. 3). Die Liste der diff eren-tialdiagnostischen Erwägungen ist lang (Tab. 4). Eine klinisch vermu-tete Polyneuropathie oder Small Fibre Neuropathie (4) soll im Zwei-felsfall neurophysiologisch und mittels Hautbiopsie abgeklärt wer-den. Die Bestätigung hat dann zur Folge, dass die Laboruntersuchun-gen hinsichtlich der behandelbaren Polyneuropathien erweitert wer-den müssen.

Therapie und ihre Nebenwirkungen

Bei den sekundären Formen von Restless-Legs soll wenn möglich eine kausale Behandlung angestrebt werden. Jeder Patient soll einen Auslassversuch von RLS auslösenden Noxen (Tab. 3) durchführen. Medikamente welche ein RLS auslösen oder verstärken können, (Tab. 3) sollen nach Möglichkeit vermieden oder ersetzt werden. Ein Eisen-mangel soll substituiert werden, wenn der Feritinspiegel unter 50 g/l

Prof. Dr. med. Johannes Mathis

Bern

TAB. 1 Diagnostische Kriterien zum Restless-Legs Syndrom

Essentielle diagnostische Kriterien

1. Bewegungsdrang Beine, gewöhnlich begleitet von unangenehmen

Gefühlen in den Beinen.

2. Der Bewegungsdrang und die unangenehmen Gefühle beginnen

oder verschlechtern sich in Ruhe z. B. beim Sitzen oder Liegen.

3. Der Bewegungsdrang und die unangenehmen Gefühle werden

durch Bewegung teilweise oder vollständig gelindert.

4. Der Bewegungsdrang und die unangenehmen Gefühle sind

schlimmer am Abend oder in der Nacht.

Unterstützende Kriterien

5. Positive Familienanamnese.

6. Ansprechen auf die dopaminerge Therapie.

7. Periodische Beinbewegungen im Wachzustand oder im Schlaf (PLM).

Assoziierte Kriterien

8. Variabler Beginn der Beschwerden mit chronisch progredientem

Verlauf.

9. Schlafstörungen.

10. Normaler Neurostatus bei der idiopathischen Form.

nach

: [1

]

2 10 _ 2011 _ der informierte arzt

FORTBILDUNG

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liegt. Die Eiseneinnahme soll dabei nicht gleichzeitig mit der Nah-rung, aber zusammen mit Vitamin-C erfolgen. Falls sich der Ferri-tinwert innerhalb von 3 Monaten nicht über 50 anheben lässt, ist eine parenterale Zufuhr nötig (5).

Wenn keine kausale Behandlung möglich ist, bleibt die sympto-matische Th erapie, wobei dopaminerge Substanzen die Mittel erster Wahl darstellen. In der Schweiz sind die Dopaminagonisten Adantrel® (Ropinirol) und Sifrol® (Pramipexol) offi ziell zugelassen. Das Neupro®-Pfl aster (Rotigoine) wirkt über 24 Stunden, steht für schwere thera-pieresistente Fälle und bei Beschwerden in der Nacht zur Verfügung. Die Ergotamin wirksamen Dopaminagonisten Cabergolin® (Cabase-ril) und Permax® (Pergolin) werden wegen den Fibrose-Nebenwirkun-gen im Retroperitoneum und an den Herzklappen nur noch in Aus-nahmefällen eingesetzt. Es sind dann in Abständen von max. 6 Mona-ten ein Th orax-Röntgen und eine Echokardiographie nötig.

L-Dopa-Präparate (Madopar DR®) werden ausschliesslich bei leichten oder intermittierenden Formen von RLS eingesetzt. Wenn die Beschwerden bereits vor 18.00 Uhr beginnen, wird man grund-sätzlich den Dopaminagonisten den Vorzug geben, um das Risiko der Augmentation zu reduzieren. Es handelt sich dabei um eine pa-radoxe Zunahme der Beschwerden, trotz oder gerade wegen der do-paminergen Behandlung (Tab. 5). Bei Auft reten einer Augmentation unter L-Dopa empfi ehlt sich ein Wechsel auf einen Dopaminagonis-ten. Bei Auft reten der Augmentation unter einem Dopaminagonisten ist eine vorsichtige Dosissteigerung noch möglich, bei weiterer Zu-nahme muss aber auch hier auf einen Dopaminagonisten mit länge-rer Halbwertszeit (Neupro®) oder aber auf Antiepileptika oder Opia-te gewechselt werden.

Die Nebenwirkungen aller Dopaminpräparate wie Nausea und Erbrechen, Tagesschläfrigkeit bzw. Einschlafstörungen, prätibiale Ödeme oder verstopft e Nase, sollen mit dem Patienten im Voraus

TAB. 2 Restless-Legs Schweregrad

Beschwerden der letzten Woche angeben nach folgendem Schlüssel:

sehr stark: 4 Punkte; stark: 3 Punkte; mittel: 2 Punkte; schwach: 1 Punkt; kein: 0 Punkte Punkte

1 Wie stark würden Sie die RLS-Beschwerden in Ihren Beinen oder Armen einschätzen?

2 Wie stark würden Sie Ihren Drang einschätzen, sich wegen Ihrer RLS-Beschwerden bewegen zu müssen?

3 Wie sehr würden die RLS-Beschwerden in Ihren Beinen oder Armen durch Bewegung gelindert?

4 Wie sehr wurde Ihr Schlaf durch Ihre RLS-Beschwerden gestört?

5 Wie müde oder schläfrig waren Sie tagsüber wegen Ihrer RLS-Beschwerden?

6 Wie stark waren Ihre RLS-Beschwerden insgesamt?

7 Wie oft sind Ihre RLS-Beschwerden aufgetreten?

8 Wenn Sie RLS-Beschwerden hatten, wie stark waren diese durchschnittlich?

9 Wie sehr haben sich Ihre RLS-Beschwerden auf Ihre Fähigkeit ausgewirkt, Ihren Alltagstätigkeiten nachzugehen, z. B. ein

zufriedenstellendes Familien-,Privat-, Schul- oder Arbeitsleben zu führen?

10 Wie stark haben Ihre RLS-Beschwerden Ihre Stimmung beeinträchtigt, waren Sie z. B. wütend, niedergeschlagen, traurig,

ängstlich oder gereizt?

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Total Punkte .............../40

TAB. 3 Laboruntersuchungen und verbotene Medikamente

Laboruntersuchungen und verbotene Medikamente

Rotes & weisses Blutbild

Elektrolyte incl. Ca und Mg

Harnstoff, Kreatinin, Leberwerte

Glukose, HbA1c

Vitamin B12 und Folsäure

Schilddrüsenparameter

Eisen, Ferritin, Transferrin-Sättigung

Kontraindizierte Medikamente

Neuroleptika

alle Antiemetika ausser Domperidon (Motilium®)

Antihistaminika

Relative Kontraindikation:

Trizyklische Antidepressiva

Betablocker

Ungünstige Noxen

Kaffee

Alkohol

Nikotin

Schokolade

besprochen werden. Nausea und Erbrechen lassen sich in vielen Fällen vermeiden bei sehr langsamer Dosissteigerung über mehrere Wochen oder können durch hinzufügen von Motilium® (Domperi-don) gemildert werden. Heimtückisch ist eine ungewöhnliche Schläf-rigkeit, welche selten zu Sekundenschlaf am Steuer geführt hat. Des-

der informierte arzt _ 10 _ 2011 3

FORTBILDUNG

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Take-Home Message

◆ Die vier Kardinalkriterien zur Diagnose des Restless Legs Syndrom

sind

- Drang die Beine zu bewegen

- Stärker am Abend oder nachts

- Stärker in sitzender oder liegender Position

- Besserung bei Bewegung

◆ Da diese Kriterien nicht spezifi sch sind für RLS wird zunehmend ein

Therapieeffekt unter dopaminerger Therapie oder periodische

Beinbewegungen im Schlaf gefordert.

◆ Nach der Diagnose ist eine ätiologische Klärung notwendig um

sekundäre Formen auszuschliessen

◆ Medikamente, die ein RLS auslösen oder verstärken können, sollen

vermieden oder erstzt werden

◆ Ein Eisenmagel (Ferritin <50µg/l soll substituiert werden

TAB. 4 Differenzialdiagnose bei Restless-Legs

l Vaskuläre Claudicatio intermittens

l Enger Spinalkanal

l Crampi nocturni

l Neuroleptika induzierte Akathisie

l Agitierte Depression

l Schmerzhafte Faszikulationen (Immunneuropathie)

l Bei Kindern ADHD sowie Wachstumsschmerzen

TAB. 5 Diagnostische Kriterien für die Augmentation

1. Vorverlagerung des Beschwerde-Beginns im Tagesverlauf um zwei

Stunden oder mehr.

2. Abnahme der Latenz von RLS Beschwerden nach dem Absitzen oder

Abliegen.

3. Ausweitung der RLS Beschwerden auf vorher nicht betroffene Extre-

mitäten oder Körperteile.

4. Auftreten oder Verstärkung von periodischen Beinbewegungen im

Wachzustand.

5. Verkürzung der Medikamentenwirkung.

6. Verstärkung der Beschwerden bei Dosiserhöhung und Abnahme bei

Dosisreduktion.

wegen sollten die Patienten zu Beginn einer dopaminergen Th erapie auf das Lenken von Motorfahrzeugen verzichten. Lange unerkannt bleibt auch ein ungewöhnliches Suchtverhalten unter Dopamin-Prä-paraten, mit gesteigertem Appetit, Kaufl ust oder verstärktem sexu-ellem Verlangen. Diese Nebenwirkungen sollen deswegen bei jeder Kontrolle aktiv abgefragt werden. Eine Einschlafi nsomnie kann gele-gentlich trotz erfolgreicher Behandlung der Restless-Legs Beschwer-den persistieren und muss durch Verhaltensstherapie oder mittels Hypnotika angegangen werden.

Mit Neurontin® (Gabapentin) und mit Lyrica® wurden in diversen Studien gute Erfahrungen bei RLS gemacht. Bei Codein oder Opia-ten wie Codicontin®, Oxycontin oder Methadon, muss die Obstipati-on und das Abhängigkeitspotential gegenüber der guten Wirkung ab-gewogen werden.

Assoziierte Erkrankungen

Bis zu 60% der RLS Patienten leiden auch an einer Depression und oft wird neben dieser Diagnose das Restless-Legs Syndrom sogar überse-hen. Ältere trizyklische Antidepressiva, aber auch SSRI können in ca. der Hälft e der Patienten zu einer Verschlechterung der Restless-Legs Beschwerden führen. Dieser Nachteil dürft e seltener sein bei den neu-eren Antidepressiva. Beim Wellbutrin (Bupropion) wurde sogar eine positive Wirkung auf die PLMS gezeigt.

Häufi g ist die Assoziation von Polyneuropathie und RLS. Wenn bei dieser Kombination die Dopaminergika schlechter wirken, sollte man eher auf Antiepileptika wie z.B. Neurontin® oder Lyrica® wech-seln, allenfalls auch in Kombination mit dem Dopaminagonisten. Gute Erfahrungen habe ich auch mit Cymbalta® (Duloxetin) gemacht.

Es lohnt sich von Zeit zu Zeit den Eisen- und Ferritinspiegel nachzukontrollieren und mittels Eisensubstitution anzuheben, weil vermutet wird, dass ein tiefes Ferritin die Wirkung von Dopaminprä-paren reduziert und das Risiko der Augmentation erhöht.

Spezielle Situationen

Wenn RLS Patienten sich einer Operation unterziehen müssen, be-dingt dies einer speziellen Vorbereitung, damit sie wegen einer Im-mobilisation nicht unnötig an RLS Beschwerden leiden müssen. Die Schweizerische Restless Legs Selbsthilfegruppe stellt auf der WEB Sei-te www.restlesslegs.ch ein „Merkblatt für den Spitaleintritt“ zur Ver-fügung, welches bei Spitaleintritt dem behandelnden Arzt und dem Pfl egepersonal abgegeben werden kann.

Bis zu 30% der schwangeren Frauen leiden im letzten Drittel der Schwangerschaft an RLS Beschwerden, welche sich in den meisten Fällen nach der Entbindung zurückbilden. Bei der Th erapie wird man mit der Eisensubstitution beginnen, dann Magnesium einsetzen be-vor Medikamente verwendet werden. Hier wird man eher versuchen mit Benzodiazepinen über die Runden zu kommen, bevor notfalls aber auch dopaminerge Medikamente verwendet werden müssen.

Beratungsmöglichkeiten für Betroffene

und Angehörige

Viele Betroff ene und auch ihre Angehörigen profi tieren in der Pati-entenvereinigung von Gesprächen mit anderen Betroff enen und fi n-den auf der WEB Seite www.restless-legs.ch und über regelmässig versandte Informationsschrift en aktuelle, Informationen zum Krank-heitsbild. Auf diese WEB Seite fi nden auch Aetzte wertvolle, aktuel-le Informationen.

Prof. Dr. med. Johannes Mathis

Zentrum für Schlafmedizin am Inselspital Bern

3010 Bern

[email protected]

B Literatur

am Online-Beitrag unter: www.medinfo-verlag.ch

nach

: [6

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4 10 _ 2011 _ der informierte arzt

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