12
Japanische Studenten in Heidelberg – ein Aspekt der deutsch-japanischen Wissenschaftsbeziehungen in den 1920er Jahren ハイデルベルク大学の日本人留学生 1920年代に見る日独学術交流史の一面

Japanische Studenten in Heidelberg – ein Aspekt …verlag-regionalkultur.de/media/pdf/1e/b0/27/bib_763-1.pdfJapanische Studenten in Heidelberg – ein Aspekt der deutsch-japanischen

  • Upload
    others

  • View
    6

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Japanische Studenten in Heidelberg – ein Aspekt der deutsch-japanischen Wissenschaftsbeziehungen

in den 1920er Jahren

ハイデルベルク大学の日本人留学生 ー 1920年代に見る日独学術交流史の一面

Archiv und Museum der Universität HeidelbergSchriften 19herausgegeben von Werner Moritz

herausgegeben von Wolfgang Seifertmit Beiträgen von Simon Acker, Takara Baumbach, Katrin Endres, Michael Jetzork, Michael Jürgens, Thomas Lapré, Fabienne Laun, Selina Raschack, Carina Rohde, Karina Schönfeld, Leonie Schwarz, Wolfgang Seifert, Martina Springweiler, Kumi Suzuki, Leonardi Widodo, Julika Wilbert

verlag regionalkultur

Japanische Studenten in Heidelberg – ein Aspekt der deutsch-japanischen Wissenschafts-beziehungen in den 1920er Jahren ハイデルベルク大学の日本人留学生 ー 1920年代に見る日独学術交流史の一面

ISBN: 978-3-89735-763-1Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.Diese Publikation ist auf alterungsbeständigem und säurefreiem Papier (TCF nach ISO 9706) gedruckt entsprechend den Frankfurter Forderungen.

verlag regionalkultur Ubstadt-Weiher • Heidelberg • Neustadt a.d.W. • Basel

Korrespondenzadresse:Bahnhofstraße 2 • 76698 Ubstadt-Weiher • Telefon 07251 36703-0 • Fax 07251 36703-29E-Mail [email protected] • Internet www.verlag-regionalkultur.de

Alle Rechte vorbehalten. © 2013 verlag regionalkultur

Titelbild: R. Kita auf dem Heidelberger Schloss, aus: Kita Reikichi: Tetsugaku an'gya, Tōkyō 1926.Im Hintergund: Amano und Kressler, ca. 1915. Trautz-Archiv, Universität Bonn, Japanologisches Seminar.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung zur Förderung japanisch-deutscher Wissenschafts- und Kulturbeziehungen (JaDe-Stiftung), der Stadt-Heidelberg-Stiftung, des Universitätsarchivs Heidelberg, des Förderer- und Alumni-Netzwerkes der Japanologie Heidelberg (FANJaH e.V.).

5

Inhaltsverzeichnis – 目次

Vorwort – まえがき .............................................................................................................................................................7

Einleitung – 初めに ..........................................................................................................................................................10

1. DerPhilosophundSchriftstellerAbeJirō(1883–1959)abWintersemester1922/23–阿部次郎 .....................14

2. DerPhilosophundspätereKultusministerAmanoTeiyū(1884–1980)abWintersemester1923/24–天野貞祐 ...22

3. DerPhilosophMikiKiyoshi(1897–1945)abSommersemester1923–三木清 .................................................29

4. DerPhilosophKukiShūzō(1888–1941)abWintersemester1922/23–九鬼周造 .............................................37

5. DerPhilosophundPolitikerKitaReikichi(1885–1961)abSommersemester1921–北昤吉 ...........................48

6. DerTheologeundKirchenhistorikerIshiharaKen(1882–1976)abWintersemester1921/22–石原謙 .............57

7. DerHistorikerHaniGorō(1901–1983)abSommersemester1922–羽仁五郎 ......................................... 64

8. DerGermanistNaruseMukyoku(1885–1958)abSommersemester1923–成瀬無極 .............................. 69

9. DerWegbereiterderWirtschaftswissenschaftenŌuchiHyōe(1888–1980) abWintersemester1921/22–大内兵衛 ....................................................................................................... 75

10.DerWirtschaftswissenschaftlerAkamatsuKaname(1896–1974)abSommersemester1925–赤松要 ...............87

6

Abb. 1: Tōkyō in den 1930er Jahren – Blick auf die Ginza, eine der Hauptverkehrsadern

7

Vorwort – まえがき

In den Wissenschaftsbeziehungen zwischen Deutsch-land und Japan spielt die Universität Heidelberg eine prominente Rolle. Der erste japanische Student überhaupt, der sich an einer deutschen Universität immatrikulierte,warKomatsu(ursprünglich:Majima)Seiji, der 1867 in Heidelberg eintraf. In den folgenden Jahren kamen in jedem Semester einige Japaner an die Ruperto-Carola. Unter ihnen sind viele auch heute noch in Japan bekannte Namen. Doch waren es erst die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, in denen der Ruf Heidelbergs sich besonders stark in Japan verbreitete, und zwar vor allem im Bereich der Philosophie, der Geisteswissenschaften insgesamt, und durch die gerade entstehenden Sozialwissenschaften. Den japanischen Studenten, die in dieser Zeitspanne in Heidelberg stu-dierten, widmet sich der vorliegende Band.

Was waren das für Menschen, und warum kamen sie gerade nach Heidelberg? Die meisten von ihnen, die fast alle bereits einen akademischen Grad an einer japanischen Universität erworben, eine Anstellung gefunden hatten und in ihren dreißiger oder vierziger Jahren standen, als sie in Deutschland studierten, wur-den nach ihrer Rückkehr bedeutende Persönlichkeiten. Der Aufenthalt in Heidelberg war dabei lediglich eine Station auf ihrem Lebensweg und ihrem geistigen und beruflichenWerdegang,dochdürftedieseZeitgleich-wohl einen nicht geringenEinfluss auf ihr späteresLeben ausgeübt haben.

Die Idee zu dieser Veröffentlichung entstand im Wintersemester2009/2010inmeinemSeminar„Wegedes Wissens – japanische Studenten in Heidelberg“.

LangevorderEtablierungdesExzellenz-Clusters„Asiaand Europe in a Global Context“ gingen wir im Institut für Japanologie davon aus, dass die Spurensuche nach japanischen Intellektuellen in Heidelberg und darüber hinaus in Deutschland und Europa, ebenso wie die geistigenEinflüsseinbeiderleiRichtung,einegenuineForschungsaufgabe bedeuten. Ein Beispiel dafür ist das von W. Schamoni herausgegebene und übersetzte Buch Mori Ōgai: Im Umbau. Gesammelte Erzählungen, 1989 imInselVerlagerschienen(siehedortdasNachwort).Auch darauf konnten wir uns stützen. Die nachfolgenden, sehrunterschiedlichgewichtetenSkizzenüberdie„Hei-delberger Japaner“ wurden von Seminarteilnehmern verfasst, von mir überarbeitet und, soweit nötig, ergänzt. Ausgewählt wurden zehn Persönlichkeiten, die Anfang der zwanziger Jahre in Heidelberg studierten. Die Aus-wahl erfolgte vor allem entsprechend den Möglichkeiten, die wir bezüglich der Quellen in Heidelberg selbst vor-fanden.1 Außerdem wurden Internetrecherchen betrieben. Es handelt sich selbstverständlich nicht um vollständige Porträts, und die Auswahl ist wegen der unterschied-lichen Quellenlage nicht frei von Willkür. So wird hier beispielsweisenichtsüberdenZen-PriesterŌhasamaShūjiberichtet.2 Für ausführliche Darstellungen müsste

1 In deutscher Sprache gibt es kaum Literatur zu diesem Thema. Hermann Glockner geht in Heidelberger Bilderbuch. Erinnerungen von Hermann Glockner, Bonn 1969, nur auf wenigen Seiten auf die japanischen Studenten der Philosophie ein. Vgl. ebd., S. 228 – 239. Pionier-Arbeit hat Niels Gülberg geleistet.

2 ŌhasamawarzusammenmitAugustFaust,AssistentdesPhilosophie-Professors Heinrich Rickert und späterer Nationalsozialist, Autor des

8

Abb. 2: Tōkyō um 1940: Ein Student mit seiner Schwester auf der Ginza. Die Bücher trägt er in einem „Furoshiki“, einem viereckigen Einschlagetuch, das geknotet wird.

Abb. 3: Tōkyō um 1940: Buchhaltungsraum einer Großfirma. Die beiden ersten Schreibmaschinen sind für die japanische Schrift eingerichtet, die auch chine-sische Zeichen verwendet. Die männlichen Angestell-ten diktieren den Typistinnen Geschäftskorrespondenz.

9

man die zum Teil noch unveröffentlichten Quellen in Japan heranziehen, was im vorgegebenen Rahmen nicht möglich war. Die Beiträge enthalten jeweils Abschnitte (1)zudenwichtigstenLebensstationenderjapanischenWissenschaftler,(2)zuihrerZeitinHeidelbergundinDeutschland, sowie (3) zu ihrenwichtigstenWerken.Soweit es die verfügbaren Quellen hergaben, haben wir Gewicht auf den Aufenthalt in Heidelberg gelegt und versucht, diese Phase möglichst mit Dokumenten und Photographien auch anschaulich zu machen.

Bei den Recherchen haben uns die Mitarbeiter des Universitätsarchivs, an der Spitze der frühere Leiter, Herr Professor Dr. Werner Moritz, stets engagiert unterstützt. Ohne diese Unterstützung wäre die vor-liegende Broschüre nicht zustande gekommen. Ihm und seinem Nachfolger Herrn Dr. Ingo Runde, der stellvertretenden Leiterin Frau Sabrina Zinke M.A., und besonders dem Leiter des Bildarchivs, Herrn Dr. Michael Schwarz, sowie Herrn René Aris möchte ich sehr herzlich danken. Auch bei der Planung dieser Publi-kation hat sich Herr Professor Moritz von Anfang an für ein Zustandekommen eingesetzt. Ihm und dem Leiter des verlages regionalkultur, Herrn Reiner Schmidt, sei auch an dieser Stelle herzlich gedankt, ebenso Herrn Harald Funke M.A., der für den Satz verantwortlich war.DankgebührtauchderJaDe-Stiftung(StiftungzurFörderung japanisch-deutscher Wissenschafts- und Kul-turbeziehungenKöln),derStadt-Heidelberg-Stiftung,dem Universitätsarchiv Heidelberg sowie dem Förde-rer- und Alumni-Netzwerk der Japanologie Heidelberg (FANJaHe.V.) fürdiegroßzügigeUnterstützungbeider Drucklegung.

ersten deutschsprachigen Buches über den Zen-Buddhismus mit dem Titel Zen: Der lebendige Buddhismus in Japan. Ausgewählte Stücke des Zen-Textes,ÜbersetztundeingeleitetvonOhasamaShūej.Miteinem Geleitwort von Rudolf Otto, Gotha 1925.

BeiderBereitstellungderFotografienunddurchihreErlaubnis, diese verwenden zu dürfen, haben mir fol-gendePersonenundInstitutionengeholfen:HerrAkiya-maundderVerlagHōritsubunkasha,HerrM.Hayashibeund der Verlag Kodansha, Herr Prof. H. Hirakawa und die Kitan-Alumni-Vereinigung der Universität Nagoya, HerrC.KondōundderVerlagShinchōsha,HerrProf.H.MeyerundHerrDr.S.Yukawa(UniversitätBonn),Herr Prof.K.Mishima (TōkyōKeizai-Universität),FrauProf.U.Nakamura (Waseda-Universität),HerrR. Oshida und der Iwanami-Verlag, die Herren H. Takenaka und S. Fukushima und der Verlag University ofTokyoPress,HerrProf.R.Sachsse(HochschulederBildendenKünsteSaar),FrauK.TakahashiunddasAbeJirōkinen-kanSendai,HerrProf.S.Tokunaga(ehemalsTōhoku-Universität, Sendai), FrauN.WatanabeunddasLiteraturhausSendai(Sendaibungaku-kan)sowieHerrProf.N.Yamawaki(UniversitätTōkyō).Besondersdanken möchte ich Herrn T. Tanuma, der mir erlaubt hat,diehierenthaltenenvierTōkyō-Fotosvonihmzuverwenden, und allen zuvor Genannten. EsbleibtnocheinewichtigeFestlegungzuerwähnen:

Auf den folgenden Seiten werden alle japanischen Na-men in der in Ostasien üblichen Reihenfolge gegeben, d.h. der Familienname wird stets dem persönlichen Namen oder dem Schriftstellernamen vorangestellt. Dies gilt auch für die japanischen Verfassernamen. Die Übersetzungen japanischer Titel von Büchern und Zeitschriftenaufsätzen können in den meisten Fällen nur Annäherungen sein.

Wolfgang Seifert

10

Einleitung – 初めに

Heidelbergs Wirkung auf japanische Studenten in den 1920er JahrenIn den Jahrzehnten zwischen 1867 – dem Jahr der Ein-schreibung des ersten japanischen Studenten in Deutsch-land an der Universität Heidelberg3 – und 1914 waren etwas über 1.700 Japaner und eine Japanerin an deutschen Universitäten immatrikuliert. Berlin mit seinen beiden Universitäten, der Friedrich-Wilhelms-Universität und der Technischen Hochschule, war der wichtigste Studien-ort für Japaner weltweit. Dort studierten über 900. Es folgten die Universitäten München, Leipzig, Göttingen und Würzburg. Demgegenüber studierten in Heidelberg zwischen 1868 und 1914 nur 82 japanische Studenten. StudiertwurdenüberallinDeutschlandamhäufigstendie Naturwissenschaften und die Medizin, weil die deutschen Wissenschaftler damals in diesen Fächern als führend galten. Doch auch im Bereich der sogenann-ten Staats- und Cameralwissenschaften – so wurden damals die noch nicht ausdifferenzierten Fächer der Sozialwissenschaften bezeichnet – und der Philosophie gab es japanische Studenten in Heidelberg. Der erste Heidelberger japanische„Doktor“warHirataTōsuke(1849–1925),derbeiJakobKasparBluntschliinStaats-und Völkerrecht promoviert wurde. Er brachte es 1908 bis zum japanischen Innenminister.4 Was die Staatswis-

3 Vgl. ArAki Yasuhiko und Wolfgang SchAmoni: Komatsu Seiji 1848 – 1893. Der erste japanische Student an der Universität Hei-delberg. Heidelberg 1999.

4 Vgl. SchAmoni,Wolfgang:„JapanischeStudenten1868bis1914“,in:P.meuSburGer und Th. Schuch(Hrsg.),Wissenschaftsatlas der Universität Heidelberg, 2011, S. 306f.

senschaften betrifft – und hierzu zählt auch die heutige Politikwissenschaft –, so hängt dieser Schwerpunkt mit dem Entschluss der führenden Politiker der Meiji-Zeit zusammen, im Vorfeld der eigenen Verfassungsgebung, die 1889 erfolgte, nach einer Untersuchung der verschie-denen europäischen „Modellstaaten“dasModell derVerfassung des Deutschen Reiches zu adaptieren.

Im Ersten Weltkrieg wurde Japan, nicht zuletzt wegen seiner 1902 mit Großbritannien geschlossenen Allianz, zum Kriegsgegner für das Deutsche Reich. Das Land hatte 1895 das Chinesische Kaiserreich im ersten Japanisch-Chinesischen Krieg besiegt und dadurch TaiwanalsKolonieerhalten.ImKrieg1904/05hatteesRussland besiegt. Das Resultat war unter anderem, dass dasRussischeZarenreichkeinenEinflussmehraufderkoreanischen Halbinsel ausüben konnte und sich aus Korea zurückziehen musste. Dieser Sieg Japans über ein westliches Imperium wurde in den von westlichen Mächten beherrschten Kolonien als ungeheurer Schritt voran auf dem Weg zu ihrer eigenen Befreiung angese-hen.AlsErgebnisdesErstenWeltkriegesfielendanndievon Deutschland besetzten Gebiete in der chinesischen Provinz Shandong an Japan.

Schon mit Kriegsbeginn 1914 waren zwei Drittel aller im Ausland studierenden Japaner gezwungen, nach Japan zurückzukehren – und diese zwei Drittel kamen alle aus Deutschland, dessen Bedeutung für die künftigen japanischen Wissenschaftler man hieran erkennenkann.VomWintersemester1914/15biszumWintersemester1920/21wardannkeineinzigerjapa-nischer Student mehr an der Heidelberger Universität

14

Lebensstationen

AbeJirōwurdeam27.August1883alszweiterSohnvonAbeTomitarō undAbeYukino in demkleinenDorfKamigōimBezirkAkumi(heuteTeilderStadtSakata)indernördlichvonTōkyōgelegenenPräfekturYamagata geboren. Über seine Kindheit ist abgesehen davon, dass er als zweiter Sohn geboren wurde, wenig

bekannt. Der Vater arbeitete als Grundschullehrer, sollte während seiner Laufbahn später aber noch bis zum Schuldirektor aufsteigen. Die Jugendzeit ist nur unzureichend dokumentiert. Erst mit Abes Einschulung anderShōnai-MittelschuleinTsuruoka im Jahre 1896 lässt sich seine Spur wieder verfolgen. Hier zeigt der junge Abe ein erstes Interesse für die Philosophie, muss jedoch zwei Jahre später an die Yamagata-Mittelschule wechseln, da sein Vater in die Schulaufsichtsbehörde der Präfektur versetzt wurde und die Familie deswegen zum Umzug gezwungen war. AbebeganndieRomaneShimazakiTōsons(1872–

1943) und die Schriften des bekannten japanischenChristenUchimuraKanzō9 sowie die ausländischer Schriftsteller, darunter auch Goethe, auf Japanisch zu lesen. Aufgrund seiner herausragenden schulischen Leistungen erhielt er ein Stipendium der Begabtenförde-rung, verlor dieses aber wieder, als ihm wegen seiner Beteiligung an einem Schülerboykott ein Schulverweis ausgesprochen wurde. Er wechselte abermals Wohnort und Schule und besuchte von da an die Nord-Mittel-schuleKyōto.Esistallerdingsnichtbekannt,obderbeieiner Distanz von etwa 750 Kilometern zur damaligen

9 UchimuraKanzō(1861–1930):ChristlicherPublizistundDenker,GründerderMukyōkai-Bewegung(BewegungfüreinChristentumohneKirche), Pazifist undKritiker desChinesisch-Japanischenund des Russisch-Japanischen Krieges. Uchimura vertrat die Auffassung,dieKircheseiüberflüssigundehereinHindernisbeider Ausübung des christlichen Glaubens. Die von ihm gegründete Mukyōkai-Bewegung lehnt die organisierteKirche als eine fürJapaner ungeeignete Institution ab.

Der Philosoph und Schriftsteller Abe Jirō 安部次郎 (1883 – 1959)

Abb. 4: Abe Jirō als junger Mann

15

Zeit nicht einfache Umzug aus dem Nordosten Japans, derTōhoku-Region, in dieRegionKansai, d.h. dasGebiet umKyōto,ŌsakaundKōbedurchAbe JirōsSchulverweis oder durch einen erneuten Arbeitsplatz-wechsel seines Vaters veranlasst wurde.

Schullaufbahn und Lernverhalten nahmen durch Abes widrige Lebensumstände allerdings keinen Scha-

den, denn schon kurz darauf, im Jahr 1901, absolvierte er erfolgreich die schwierige Eingangsprüfung der Kyōto-Oberschule10 und schrieb sich an dieser ein. Hier las Abe neben japanischen Autoren wie Ueda Bin11 und Chikamatsu Monzaemon12 auch ausländische Autoren wie Dante Alighieri, Ralph Waldo Emerson und Lew Nikolajewitsch Tolstoi. Ein Jahr vor seinem Abschluss begann er zudem auch Texte für die Schülerzeitung der Oberschule zu schreiben.

1904 schrieb er sich dann an der Reichsuniversität Tōkyō(dieheutigeUniversitätTōkyō)imFachPhiloso-phie ein, wo er stark von dem russisch-deutschen Philo-sophenundMusikerRaphaelvonKoeber(1848–1923)beeinflusstwurde,derdortvon1893bis1914lehrte.Das Lernpensum und die Anforderungen des Studiums müssen ihn ein wenig in Schwierigkeiten gebracht ha-ben, denn rückblickend, im Alter von 37 Jahren, äußerte ersichüberseineStudienzeitwiefolgt:

„Einfach alles Wissen am Ende vollständig zu ei-ner Wertetheorie zu konzentrieren war, als ob man einen unmöglichen Lehrplan aufstellen würde.“ 13

10 Staatliche Oberschulen nahmen zu jener Zeit in der Regel nur etwa 15 Prozent der Bewerber an. Siehe hAASch,G.:Bildung und Erziehung in Japan, Berlin 2000, S. 76f.

11 UedaBin (1874–1916): JapanischerPoet,Literaturkritiker undÜbersetzer. Veröffentlichte eigene Gedichte und übersetzte europä-ische Prosa ins Japanische. Sein bekanntestes Werk ist das Kaichōon, eine Sammlung von Gedichten, die aus dem Deutschen, Englischen, Französischen und Italienischen übersetzt wurden.

12 ChikamatsuMonzaemon (1653–1724):Verfasser vonbunraku- und kabuki-Stücke. Chikamatsu Monzaemon wird neben Matsuo BashōundIharaSaikakuzudenbrillantestenAutorendesspäten17. Jahrhunderts gezählt. Seine Stücke wurden später von zahlrei-chenAutorenaufgegriffen.Auchheutenochwirderhäufigalseinerder größten japanischen Bühnendichter betrachtet.

13 „Arayuruchishikiwomōrashiteowarinikachironnishūchūsurugagotokifukanōnobenkyōkakukeiwoki[tateru]“HōryūTanaka:„AbeJirō“,in:Nihon kindai bungaku daijiten,Kōdansha,Tōkyō1977, S. 40.

Abb. 5: Zu den Bewerbungsunterlagen gehörte dieser Lebenslauf. Abe war bereits Professor.