159
Parow Funktionelle Atmungstherapie

Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Richtige und falsche Atmung

Citation preview

Page 1: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Parow

Funktionelle Atmungstherapie

Page 2: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow
Page 3: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

FunktionelleAtmungstherapie

Normalatmung - Fehlatmung - AtmungsverfallAsthmatisches Syndrom - Atmungsrehabilitation

Von Dr. med. Julius Parow

Mit 28 Abbildungen ,

5. Auflage

HAUQ^__-^Karl F. Haug Verlag • Heidelberg

Page 4: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

CIP-Titelaufnahme der Deutschen BibliothekParo w, Julius:Funktionelle Atmungstherapie: Normalatmung - Fehlatmung - Atmungsverfall -asthmat. Syndrom - Atmungsrehabilitation / von Julius Parow. - 5. Aufl. - Heidel-berg: Haug, 1988

ISBN 3-7760-0546-7

1.-3. Auflage Georg Thieme Verlag, Stuttgart© 1980 Karl F. Haug Verlag GmbH & Co., HeidelbergAlle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. KeinTeil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeinerForm - durch Photokopie, Mikrofilm oder irgendein anderes Verfahren - reproduziertoder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, ver-wendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.All rights reserved (including those of translation into foreign languages). No pari ofthis book may be reproduced in any form - by photopnnt, microfilm, or any othermeans - nor transmitted or translated into a machine language without wntten permis-sion from the publishers.4. Auflage 19805. Auflage 1988Verlags-Nr. 8883 • Titel-Nr. 1546 • ISBN 3-7760-0546-7Gesamtherstellung: Heinrich Schreck KG, 6735 Maikammer/Pfalz

Page 5: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Der Gegensatz zwischen Normalatmung und FehlatmungAllgemeine Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . .Normale Atembewegungen . . . . . . . . . . . .Atembewegungen d e s Rumpfes . . . . . . . . . . .Bewegungen d e r Lungen . . . . . . . . . . . . .Mechanik d e s Rumpfaufbaues . . . . . . . . . . .Aktive u n d passive Brustkorbbewegungen . . . . . . .Atemleistung u n d Atemform . . . . . . . . . . . .Gasaustausch und Atemform . . . . . . . . . . . .Atemsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . .

Regulierung des Luftstromes in den oberen Atemwegen . .Klangbildung . . . . . . . . . . . . . . . . .

Atemführung . . . . . . . . . . . . . . . .Funktion des Rachens und Verhalten der Kehle, des Kiefersund der Zunge beim Ton . . . . . . . . . . . .Tonansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .Einfluß der Gesichts-, Kiefer- und Zungenmuskulatur aufAtemsteuerung und Klang . . . . . . . . . . . .

Natürliche Ausgleichsgymnastik d e r Atmung . . . . . .Stöhnen, Seufzen, Gähnen, Lachen . . . . . . . . .Blasen und Pfeifen . . . . . . . . . . . . . . .

II. FehlatmungFehlerhafte Atembewegungen d e s Rumpfes . . . . . . .Einschränkung der Zwerchfellwirkung . . . . . . . . .Fehlbewegung des Bauches . . . . . . . . . . . . .Fehlerhafte Lungenbewegung . . . . . . . . . . . .Fehlerhafte Atemsteuerung . . . . . . . . . . . . .Ursachen d e r Fehlatmung . . . . . . . . . . . . .Fortschreiten der Fehlatmung und besondere Formen . . .

Preßatmung . . . . . . . . . . . . . . . . .

III. Kranke AtmungFunktion und Fehlfunktion - Leistungsfähigkeit und Versagender Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

151819222429374246464951

5556

59616163

6570717173768181

83

Page 6: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Asthmatische Erkrankungen . . . . . . . . . . . .Lungenerweiterung . . . . . . . . . . . . . . .

Fortschreiten d e r Lungenerweiterung . . . . . . . .Dauernde Preßatmung . . . . . . . . . . . . .Paradoxe Brustkorbbewegung . . . . . . . . . . .Asthmaanfälle b e i Lungenerweiterung . . . . . . . .

Bronchialasthma . . . . . . . . . . . . . . . .Unterschiede d e r einzelnen Asthmaformen . . . . . .Spastisches Asthma . . . . . . . . . . . . . .Allergisches Asthma . . . . . . . . . . . . . .Seelische Grundlagen der nervösen Überspannung und Reiz-barkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Hintergründe der inneren Überspannung . . . . . . .Katarrhalisches Asthma . . . . . . . . . . . . .Fortschreiten des Bronchialasthmas . . . . . . . . .

IV. Funktionelle Behandlung der kranken AtemwegeAllgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . .1. Brustkorb . . . . . . . . . . . . . . . . . .2. Atemsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . .3. Einüben der Normalatmung . . . . . . . . . . .

Bauchmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . .Zwerchfell . . . . . . . . . . . . . . . . . .Allgemeine Entspannung . . . . . . . . . . . .Hilfsatemsteuerung . . . . . . . . . . . . . .

4. Ausschalten der Atemfehler . . . . . . . . . . .Unwillkürliches Luftanhalten . . . . . . . . . . .Husten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Stimmstörungen . . . . . . . . . . . . . . .

5 . Kräftigung d e r Atmung . . . . . . . . . . . . .6 . Korrektur d e r Wirbelsäule . . . . . . . . . . . .

Ziel und Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . .

V. Übungsbehandlung der Atmung bei den verschiedenenErkrankungena) Lungenerweiterung . . . . . . . . . . . . . .b) Preßatmung bei Lungenerweiterung . . . . . . . . .c ) Paradoxe Brustkorbbewegung . . . . . . . . . . .d) Verhütung der Lungenerweiterung. Chronische Bronchitis .

86879193949597

102102104

106108111112

119120123125126127128129129129130131131132135

137138139139

Page 7: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

e) Bronchiektasen . . . . . . . . . . . . . .f ) Lungentuberkulose . . . . . . . . . . . .g ) Silikose . . . . . . . . . . . . . . . .h) Nach Brustkorboperation . . . . . . . . . .i ) Pleuraschwarte . . . . . . . . . . . . . .j) Bronchialasthma . . . . . . . . . . . . .

Nachgeben der Bauchwand . . . . . . . . . .Zwerchfellanregung durch Einatmungswiderstand .Ausschaltung d e s Fressens . . . . . . . . .Schwinden d e r Anfälle . . . . . . . . . . .Symptomatische Behandlung . . . . . . . .

k ) Kinderasthma . . . . . . . . . . . . .Anfallsbehandlung b e i Kindern . . . . . . . .

1 ) Brustkorbdeformierungen . . . . . . . . . .m) Nasenerkrankungen . . . . . . . . . . . .n ) Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . .o) Bauchorgane. . . . . . . . . . . . . . .p ) Roemheld-Syndrom . . . . . . . . . . .q) Schwangerschaf und Entbindung . . . . . .Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . 139

. . . 140

. . . 140

. . . 141

. . . 143

. . . 144

. . . 144

. . . 145

. . . 145

. . . 147

. . . 147

. . . 149

. . . 150

. . . 151

. . . 152

. . . 152

. . . 153

. . . 154

. . . 155

. . . 159

Page 8: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow
Page 9: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 1. Normale Haltung, normale Körperform, normale Atmung

Page 10: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow
Page 11: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Vorwort

Bei einer Monographie, die grundsätzliches Neues bringt, dürfte ei-ne wiederholte Überarbeitung durchaus angebracht sein. Selbst wennihr Inhalt, wie hier, keine wesentlichen Änderungen erfordert, so erge-ben sich im Laufe der Zeit immerhin manche bessere und präzisereFormulierungen. Sie ermöglichen es, noch besser als bisher, all denen,die an der rehabilitierenden Übungsbehandlung der Atmung interes-siert sind, sich einen eingehenden Überblick über deren Grundlagenzu verschaffen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Es war außerdemerwünscht, die Stellung und Bedeutung dieser Therapie in der medizi-nischen Welt noch genauer zu definieren und vor allem abzugrenzen.

Da es galt, beide Gesichtspunkte zu berücksichtigen, muß der medi-zinisch geschulte Leser in Kauf nehmen, daß manches für ihn Über-flüssige erwähnt oder zu unwissenschaftlich ausgedrückt ist. Der nichtakademisch Versierte muß dafür hie und da fachspezifische Erläute-rungen akzeptieren, da die Fachwelt eine streng wissenschaftliche Be-gündung erwarten darf; dabei sind alteingebürgerte Fachbegriffe und -ausdrücke kaum zu vermeiden.Es handelt sich hier um den Nachweis, daß

1. es nur eine einzige Art der Atembewegungen gibt, die als normalzu bezeichnen ist,

2. diese, im konstruktiven Aufbau des Atemapparates vorgeseheneNormalatmung genau definiert werden kann,

3. sie scharf von der Fehlatmung abzugrenzen ist, derer Bewegun-gen durch den Einsatz der sogenannten Atemhilfsmuskeln ge-prägt sind,

4. sich der Wirkungsgrad und damit die Leistungsfähigkeit undBelastungsbreite der Atmung mit der Veränderung der Atembe-wegungen im Sinne der Fehlatmung erheblich verringert.

Diese Tatsachen, zunächst als anatomisch-funktionelle Deduktio-nen 1953 veröffentlicht, wurden 1958 durch experimentelle Untersu-chungen in der Lungenforschungsabteilung der Kölner Med. Univer-sitätsklinik bestätigt. Das 1959 im „Deutschen Medizinischen Jour-nal", Nr. 10/16, veröffentlichte Resultat wurde - unter Korrektur auf-getretener Rechenfehler - in die 2. Auflage, 1963, dieser Monographieaufgenommen. Bei dieser experimentellen Bestätigung zeigte sich,daß

11

Page 12: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

5. die am Atemäquivalent ablesbare Abnahme des Wirkungsgradesder Atmung genau mit dem Ausmaß der Abweichung von derNormalatmung parallel geht.

Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß die unökonomische Arbeits-weise der Fehlatmung auf den Ablauf ihrer Bewegungen, der Atem-form, zurückzuführen ist,

daß es auf diese Weise früher oder später zu einer Arbeitsinsuffi-zienz der Atmung kommen kann,

daß damit dem Versagen der Atmung im „asthmatischen Syndrom"Vorschub geleistet wird und

daß diesem durch die Beseitigung seiner konstitutionellen Voraus-setzung durch entsprechende, an der Normalatmung ausgerichtete,korrigierende Übungstherapie erfolgreich zu begegnen ist.

Nun ist natürlich von der traditionellen Medizin nicht zu erwarten,diese ihr fremden Gesichtspunkte zu übernehmen. Berühren sie dochdas eigentliche ärztliche Aufgabengebiet nur am Rande und würden -wenn realisiert - eine erhebliche Revision der etablierten Vorstellun-gen über asthmatische Erkrankungen und der diesbezüglichen For-schungssystematik nach sich ziehen. Vor allem aber steht dem - nachdem in unserem Wesen tief verankerten Gesetz von der Formungunserer Vorstellungen durch unsere Interessen - die Tatsache entge-gen, daß die Tätigkeit des Arztes auf das Behandeln der Krankheit aus-gerichtet ist; es ist seine zentrale Aufgabe, die Beschwerden seinesKlienten durch sein Eingreifen zu bekämpfen. Sie liegt in ganz ande-rer Richtung als die hier vertretene Methode, die - weit darüber hinaus- die konstitutionelle Grundlage der als Versagen des organischen Sy-stems aufzufassenden Erkrankung beseitigt. Man sollte jedoch erwar-ten können, daß eine kritische Würdigung die gebotenen wissen-schaftlichen Tatsachen nachprüft und berücksicht. Daß dies bishernicht in nennenswertem Umfang geschah, mag mit die Schuld desdem akademischen Betrieb fernstehenden Verfassers sein, dem seineerfolgreiche Berliner Behandlungstätigkeit und relativ schnelle Aner-kennung in Kollegenkreisen seinerzeit selbstverständlich schien, undder, aus vielleicht überholter Tradition, nicht an Erfolgsdokumenta-tionen und Werbung interessiert war und ist.

Es ist aber bezeichnend und gleichzeitig deprimierend, daß ca. 9Jahre nach der Veröffentlichung des Verfassers in der Nr. 6 der „Kran-kengymnastik" von 1966 speziell über die Entstehung der Brustkorb-deformierungen und deren logische, sichere und recht einfache Hei-

12

Page 13: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

lung durch konstruktionsgerechte Übungsbehandlung der Brust-wandmuskulatur in einer ernst zu nehmenden Fachzeitschrift eineMethode wohlwollend akzeptiert wurde, die - an Grundtatsachen derBiologie und ärztlicher Vorbildung vorbeigehend - statt dessen ein-greifenden, risikoreichen Operationen das Wort redet *).

Im übrigen ginge es aber weit über den Rahmen und die Absicht die-ser Monographie hinaus, die beiden, scheinbar gegensätzlichen Ein-stellungen abzuwägen. Die erforderlichen Untersuchungen würdendie ganze aufwendige Apparatur wissenschaftlicher Institute und da-zu eine Methodik verlangen, welche die bisherigen an Kompliziert-heit noch übertreffen. Zweifellos wären sie für die Forschung vonNutzen; die hier vertretenen Thesen bedürfen keiner anderen Bestäti-gung als der bereits oben erwähnten.

Vor allem aber ist darauf hinzuweisen, daß die beiden verschiede-nen Zielsetzungen einander keineswegs widersprechen oder aus-schließen. Im Gegenteil! Sie lassen sich dort, wo sie sich berühren oderüberschneiden, zwanglos miteinander in Einklang bringen und kom-binieren, wie es auch bereits verschiedentlich praktiziert wird. Wieund in welchem Umfang dies trotz der divergierenden Interessenmöglich ist, ist nachstehend in den einzelnen Abschnitten erwähnt.

Der Vorwurf der „Seelenlosigkeit", der von ganz anderer Seite erho-ben wird, ist im Rahmen wissenschaftlicher Betrachtung eher positivzu werten. Aber auch für diejenigen, denen das Atmen aufgrund dersich überschneidenden Begriffe von Atem und Seele u.a. als ein breit-gefächertes therapeutisches Mittel wertvoll ist, dürfte ein klares Bildder konstruktionsgerechten Atmungsmechanik nicht uninteressantsein.

Lenzkirch. Frühjahr 1980 Dr. med. J. PAROW

*) Anm: Wer die Geschichte der Medizin kennt, wird sich allerdings nicht darüberwundern. Auch in der Behandlung des Bewegungsapparates z.B. hat es 2 Jahrzehntegedauert, bis sich hie und da anatomisch-funktionelle Gesichtspunkte durchgesetzthaben.

13

Page 14: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow
Page 15: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

I. Der Gegensatz zwischen Normalatmungund Fehlatmung

Allgemeine Gesichtspunkte

Zum Atemapparat gehören1. die Lunge, die an der Luftröhre und ihrem oberen Abschluß-

stück, dem Kehlkopf, in die Brusthöhle hineinhängt und durch die-se mit der Außenluft in Verbindung stehen (der innere Atemapparat) *)

2. der Brustkorb mit den in seiner Wandung gelegenen, die Rippenuntereinander verbindenden Muskeln und das Zwerchfell als eigentli-che Atemmuskeln. Mittelbar gehört auch die Bauchmuskulatur zu die-sem äußeren, dem muskulären Atemapparat.

3. die oberen Luftwege mit ihren verschiedenen kleinen Muskelnin Kehlkopf und Rachen, die für die Luftstromregulierung - die Atem-steuerung - und die Tonbildung zuständig sind.Nicht am Atmen beteiligt, wohl aber von erheblichem Einfluß daraufsind überdies

1. Beine, Becken und Wirbelsäule. Ihre Muskeln bestimmen dieForm der letzteren und damit die Stellung der Rippen, so daß auch dieForm des Brustkorbes weitgehend durch sie bestimmt wird. Durchdiese, ihre rumpfformende Funktion hat die Haltungsmuskulatur derBeine, des Beckens und der Wirbelsäule einen direkten Einfluß auf dieLage, Stellung und Bewegung der Atemmuskeln und damit auf derenWirkung und Leistung.

2. Zahlreiche kleine Muskeln der Zunge, des Halses und des Ge-sichts, welche die Form und Weite der vorderen Nase, des Rachensund der Kehle mit beeinflussen.

Die zentrale Aufgabe der Atmung, der Gasaustausch, ist Sache derLungen, deren Gewebe den Sauerstoff aus der in ihnen befindlichenAtemluft in das sie durchströmende Blut und, in umgekehrter Rich-tung, die Kohlensäure aus dem Blut in die Lungenluft überführen.

Um diesen ununterbrochen notwendigen Gasaustausch zu ermög-lichen, müssen Blut und Luft in den Lungen dauernd erneuert wer-den: das Blut im Austausch mit dem gesamten Körperblut, die Luftmit der Außenluft.

*) Außerdem sind die Lungen mit der hinteren Brustwand durch Gefäße verbunden,die von dort her - ungefähr in halber Höhe des Brustraumes - in sie hineinführen unddie von Bindegewebszügen begleitet sind, zu deren Fixierung sie aber kaum beitragen.

15

Page 16: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Für ersteres sorgt der Kreislauf durch ein fortlaufendes Durchströ-men des Blutes durch die Lungen. Den Luftwechsel, durch den fortlau-fenden Sauerstoff herbei- und Kohlensäure fortgeschafft wird, bewir-ken die Atembewegungen des Rumpfes, die, unter abwechselndem Wei-ten und Verengen des Brustraumes, die Lungen, die dessen Form undBewegung zwangsläufig folgen müssen, entsprechend vergrößern undverkleinern. Die Atembewegungen der Lungen stehen daher stets inÜbereinstimmung mit den Atembewegungen des Rumpfes.

Da es sich bei der Atmung um ein Bewegen von Luft mit Hilfe vonMuskeln handelt, gehört zum Verständnis der Vorgänge die Kenntnisa) der einschlägigen physikalischen Gesetze,b) der für die Muskeltätigkeit geltenden besonderen Regeln.

Zu a) sei daran erinnert, daß- schon die geringste Raumverengung Druck und Spannung eines

gasförmigen Körpers, in unserem Falle also der Atemluft, erheblichändert,

- Menge, Druck und Geschwindigkeit eines strömenden Gasesdurch das Zusammenspiel zwischen der engsten Stelle, die es passiert,und der einwirkenden bewegenden Kraft bestimmt wird,

- Gase, die miteinander in Berührung kommen, sich blitzschnellund vollkommen miteinander vermischen, außer in Röhren von sehrgeringer Weite.

Zu b) Die Spannkraft eines Muskels wird zum Teil von seiner Größe,zum Teil von seinem sonstigen Zustand bestimmt. Dessen Leistungs-fähigkeit wächst mit seiner Beanspruchung (Übung) und sinkt beiungenügender Beanspruchung schnell ab.

Die Muskulatur hat 2 Aufgaben: 1. das Halten, 2. das Bewegen. Diesgilt grundsätzlich für alle Muskeln, wobei jeweils eine der beiden Auf-gaben überwiegen kann. Zum Halten spannt sich der Muskel an, ohnesich zu verkürzen; beim Bewegen verkürzt er sich unter Anspannungresp. verlängert sich unter Nachgeben.

Jedes Halten und Bewegen ist ein Zusammenspiel mehrerer Mus-keln. Die Haltungsfunktion der Muskeln bringt es mit sich, daß diesedauernd in einer gewissen Spannung sind, auch im Zustand völligerRuhe.

Bewegungen werden, durch häufiges Wiederholen eingeübt, zurGewohnheit und verlaufen dann automatisch - d.h. ohne bewußteAbsicht oder Willenskontrolle - immer wieder in derselben, ange-

16

Page 17: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

wohnten Weise. Diese Gewohnheiten können unbewußt entstehenoder willkürlich geformt, eingeübt, ab- und umgewöhnt werden.

Der Ablauf einer Bewegung kann verschieden sein. Er kann genaudem des betreffenden Bewegungssystems entsprechend, d. h. normalsein. Die Bewegung verläuft dann unter geringstem Kraftaufwand:günstigster Bewegungsablauf.

Sie kann auch, z.B. durch Fehlspannungen in den beteiligten Mus-keln oder das Eingreifen nicht dazugehöriger Muskeln, abgeändertwerden und verläuft dann unter erhöhtem Aufwand und in fehlerhaf-ter, ungünstiger Weise.

Die mit dem geringsten Kraftaufwand arbeitende Normalbewe-gung hat den größten Wirkungsgrad; infolgedessen ist ihre Leistungs-fähigkeit relativ am größten. Die Bewegungsform ist als die Normal-funktion des betreffenden Bewegungssystems zu bezeichnen *).

Die Höhe der Leistungsfähigkeit eines Bewegungsapparates, seineLeistungs- und Belastungsbreite, wird durch das Maß der regelmäßi-gen Beanspruchung (Übung) bestimmt, so lange die Belastung die Lei-stungsmöglichkeit nicht übersteigt und die Bewegungen normal ver-laufen.

Die Leistungsbreite sinkt bei längerer Verringerung der Beanspru-chung (Schwächung durch fehlendes Üben) und durch Fehler, die dennormalen Verlauf stören. Solche Fehler sind im lebenden Organismusmöglich, da sich der Zustand seiner Teile durch äußere und innereEinflüsse ändern kann. Äußere Einflüsse sind Schädigung durch Ver-letzung oder Erkrankung; weit bedeutsamer sind jedoch innere Ein-flüsse, die sich als Störung der nervösen »Spannungslage« geltendmachen können. Sie sind in letzter Linie seelischen Urspungs **).

Bei einer Belastung, der die herabgesetzte Leistungsfähigkeit nichtmehr gewachsen ist, sucht der Organismus das Fehlende durch Ein-satz anderer Kräfte auszugleichen. Die ersatzweise sich entwickelndeAusgleichfunktion des Bewegungssystems ist den Fehlern und Schwä-chen angepaßt, die ihre Veranlassung waren. Diese bleiben daher inder »Ersatzfunktion« erhalten. Außerdem üben die funktionsfremdenKräfte einen ändernden Einfluß im Sinne ihrer ursprünglichen, eige-

*) Daß man unter normal nur das völlig Intakte verstehen sollte, bedarf keiner Diskus-sion.**) Muskuläre Fehlspannung als Ausdruck der inneren - seelischen - Spannungslageprägt, indem sie zur festen Gewohnheit wird, z.B. Gesicht, Haltung, Gang und jede Be-wegung; genauso die Atmung.

17

Page 18: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

nen, speziellen Funktion aus. Daher ist die Ersatzfunktion gleichbe-deutend mit einer Fehlfunktion.

Ihre Leistungsbreite bleibt (s.o.) stets hinter der der Normalfunk-tion zurück, da Ersatzkräfte im Rahmen eines Apparates, dem sienicht angepaßt sind, nur beschränkt wirksam sein können; sie erzieltunter relativ großem Kraftaufwand nur eine geringe Wirkung undkann daher den Verlust an Leistungsbreite der geschwächten Normal-funktion nicht vollständig wettmachen.

Normale AtembewegungenDiese Regeln gelten selbstverständlich auch für die Atembewegun-

gen; sie werden normalerweise nur mit den oben erwähnten Muskel-gruppen ausgeführt, und zwar so, wie es dem normalen konstruktivenAufbau des Rumpfes entspricht, der unten näher erläutert ist. Sie kön-nen aber auch in einer davon abweichenden Weise und unter Beteili-gung anderer Muskelgruppen ablaufen.

Die Atembewegungen können infolgedessen, wie alle Tätigkeitquergestreifter Muskulatur, dem jeweiligen Muskelspiel entsprechendweitgehend variieren.

Normal kann aber nur diejenige Art sein, die mit der normalen Kör-perform in Einklang steht und daraus abzuleiten ist. Die Vorstellungenvom Atmen, die sich um die sogenannte Brustkorbatmung gruppieren, sinddaher abzulehnen.

Dies gilt insbesondere vom Heben und Senken der Rippen unterAntagonismus der äußeren und inneren Interkostalmuskeln und fürdie Annahme, daß unter bestimmten Umständen der Einsatz der so-genannten Atemhilfsmuskeln »normal« sei. Der Antagonismus zwi-schen den erwähnten Brustwandmuskeln findet sich nur dort, wo dieAtembewegungen durch die Beteiligung der »Atemhilfsmuskeln«beeinflußt und im ungünstigen Sinne verändert sind. Der zum Dog-ma gewordene Irrtum von der auf- und absteigenden Bewegung desBrustkorbes beim Atmen erklärt sich, ähnlich wie der aus der Vor-röntgenzeit stammende Irrtum von der Form des Magens, aus demUmstand, daß man seine Vorstellungen von der Leiche abzuleitenpflegte; der Beispiele gibt es viele.

Den normalen Atembewegungen sind jedoch die Verhältnisse amLebenden zugrunde zu legen.

Die normale Form des Rumpfes ist diejenige, die sich beim völligGesunden mit kräftiger Muskulatur aus dem orthopädisch korrekt

18

Page 19: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

aufgestellten Skelett, also bei korrekter Haltung der Wirbelsäule,ergibt. Diese ist - unbeschadet ihrer geringen normalen Krümmun-gen, über deren Ausmaße keine eindeutige Formulierung besteht - re-lativ gut aufgerichtet und gestreckt *).

Diese Haltung bedingt eine gehobene Stellung besonders der obe-ren Rippen mit Hochstellung des Brustbeines und einen relativ tiefenund breiten oberen Brustkorb (Abb. 2).

Abb. 2: Wirbelsäulenhaltung, Brustkorb und Bauchform

a) normalintakte Längsspannungund -haltung

b) mangelhaftdefekte Längsspannungund -haltung

Atembewegungen des RumpfesZum Verständnis der Atembewegungen des Rumpfes muß über

dessen Aufbau zunächst noch an folgendes erinnert werden:Der Rumpf ist zylindrischer Hohlkörper mit beweglicher Wandung

(»Mantel«), der durch einen Zwischenboden, das Zwerchfell, in einenoberen und unteren Raum unterteilt ist. Anders als in der Konstruk-tion starrer Wände und Decken erhalten Wandung und Zwischen-*) Die Regel vom optimalen Wirkungsgrad und geringsten Aufwand muß auf das korrekt auf-gestellte Skelett bezogen werden. Eine Wirbelsäulenhaltung mit der absolut kleinstmögli-chen Muskelleistung bedeutet bereits eine sichtliche Deformierung des Rumpfes, diemit seiner Verengung einhergeht und die Lage der inneren Organe und ihre Raumver-verhältnisse ungünstig verändert. Normal im Sinne der funktionellen Anatomie solltedaher - so wie es hier geschieht - nur die gut gestreckte Wirbelsäulenhaltung genanntwerden.

19

Page 20: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

boden des Rumpfes ihren Halt und ihre Form durch das Zusammen-spiel von durch Zug wirkenden Muskeln und als Stützen dienendenKnochen, die durch Spannung dieser Muskeln gehalten werden.

Das stützende Gerüst, das Rumpfskelett, besteht aus dem schalen-förmigen Becken, der Lenden- und Brustwirbelsäule und den an dieserbefestigten Rippen, die mit ihr zusammen den Brustkorb mit derForm einer länglichen Glocke bilden. Die oben erwähnten, in derBrustkorbwand gelegenen Muskeln fixieren die Rippen in ihrer Stel-lung zueinander und halten den Brustkorb in seiner Form im Rahmender von der Wirbelsäule vorgegebenen Einstellung.

Das Zwerchfell ist eine rundliche Muskelplatte, die innen am Ran-de der unteren Brustkorböffnung - dem »Mund« der Brustkorbglocke- befestigt ist. Ihre Fasern verlaufen von dort sternförmig zur Mittedes Zwerchfells, wo sie sich in einer etwa handflächengroßen Sehnen-platte vereinigen. Das Zwerchfell liegt den Baucheingeweiden auf, die,vom Bauchmuskelschlauch zusammengehalten, nach oben in denBrustkorb hineinragen. Seine Mitte wird daher von ihnen kuppelför-mig in den Brustkorb hineingestülpt, so daß es die Form einer Glockebekommt, die etwas flacher ist als die obige.

Der Bauch gibt also dem Zwerchfell über die Eingeweide seineForm und seine Grundstellung, ähnlich wie die Wirbelsäule demBrustkorb. Ohne diesen Halt durch die Bauchmuskulatur wäre dasZwerchfell keine nach oben gewölbte Kuppel, sonder eine flacheScheibe.

Beim Einatmen spannt sich die Muskulatur der Brustkorbwand unddes Zwerchfells gleichzeitig an. Das Zwerchfell zieht sich dabei in sichzusammen und damit seine Kuppeln nach unten; es bewegt sich alsoausgiebig. Der Brustkorb gibt gleichzeitig durch erhöhte Muskelspan-nung dem Zwerchfell an seinem unteren Rand den verstärkten Halt,den dessen Anspannung verlangt. Nur so kann die Zwerchfellbewe-gung voll zur Wirkung kommen. Dabei weitet sich der Brustkorbgeringfügig in horizontaler Richtung, hauptsächlich in seinemunteren Teil. Brustkorb und Zwerchfell verhalten sich so wie zweiineinandergeschobene Glocken, die mit ihren Rändern, demGlockenmund, fest miteinander verbunden sind. Beide Glocken kön-nen sich mit Hilfe der erwähnten Atemmuskulatur vergrößern undverkleinern. Bei deren Anspannung weiten sie den Brustkorb - dieäußere Glocke - geringfügig, während sie das Zwerchfell - die innereGlocke - verkleinern und flacher werden lassen. Brustkorb und

20

Page 21: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Zwerchfell wirken auf diese Weise dort, wo sie am unteren Brustkorb-rand miteinander verbunden sind, in entgegengesetzter Richtung.

Abb. 3: Die Einatmung. Vergrößerungdes Brustraumes durch Zwerchfellspan-nung und -Senkung unter Spreizungdes unteren Brustkorbes

Abb. 4: die Ausatmung. Zusammenzie-hen der Lunge bei gleichzeitiger He-bung des Zwerchfells und Verengungdes unteren Brustkorbes durch dieBauchmuskulatur

Die Tätigkeit der Atemmuskeln besteht also beim Brustkorb vor-nehmlich in einem verstärkten Halten bei nur geringem Bewegen,beim Zwerchfell dagegen, dem die Volumenveränderungen des Brust-raumes im wesentlichen zu verdanken sind, im ausgiebigen Bewegen.

Der Bauchmuskelschlauch gibt der Bewegung des unteren Brust-korbes und des Zwerchfells elastisch nach. Er wird beim Einatmenpassiv gedehnt: ober - vom Brustkorb - wenig, unten - von den demZwerchfell ausweichenden Baucheingeweiden - erheblich mehr, ammeisten in der Taille.

Das Ausatmen geschieht durch Nachgeben der bei der Einatmungsich anspannenden Atemmuskeln in Brustkorb und Zwerchfell, wo-bei die vorher passiv gedehnte Bauchmuskulatur sich elastisch zusam-menzieht und das Zwerchfell in seine Ausgangslage zurückschiebt.Ihr oberer, den unteren Brustkorb umgreifender Teil unterstütztgleichzeitig das Zusammensinken des unteren Brustkorbes.

Im Stehen ist bei der Einatmung auch die Schwerkraft wirksam; dasGewicht der Eingeweide zieht das ihnen aufliegende Zwerchfell her-

21

Page 22: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

unter. Diese Schwerkraft muß beim Ausatmen von den Bauchmus-keln überwunden werden; es geschieht normalerweise automatischdurch deren elastisches Zusammenziehen ohne erhöhte Spannung.

Das synergistische Anspannen der Zwischenrippenmuskeln beimhorizontalen Erweitern und ihr Nachlassen beim Engerwerden desBrustkorbes läßt sich leicht mit den Fingerspitzen kontrollieren.Unabhängig vom Atmen ausgeführt, wird Art, Umfang und Grenzendieser Bewegung besonders deutlich. Die Tatsache, daß - ganz im Ge-gensatz zu den üblichen Vorstellungen - das Verengen des Brustrau-mes bei der Ausatmung normalerweise keineswegs durch Anspannender Mm. intercost. interni erfolgt, wird damit überzeugend bestätigt.

Nur wenn der Brustkorb beim Ausatmen in seiner normalen aufge-stellten Ruhelage bleibt, sinkt die mit der Einatmung gedehnte Taille ineiner der normalen Konfiguration entsprechenden Weise in sich zusam-men; beim Ausatmen mit Senken des Brustkorbes bleibt sie breit.

Die hier skizzierte Brustkorbtätigkeit ist auch die des Vierfüßlers,dessen Wirbelsäule infolge ihrer Aufhängung an beiden Enden auto-matisch gestreckt gehalten wird. Sein Brustkorb zeigt nicht die gering-ste Bewegung in Richtung der Körperachse, so wie es beim Menschen- irrtümlicherweise - bisher für normal gehalten wurde. Es läßt sichzeigen, daß diese Bewegung beim Menschen nur dann entsteht, wenner der ihm auferlegten, allerdings nicht leichten Aufgabe der Gerade-haltung der Wirbelsäule, seiner aufrechten Haltung, nicht gewachsenist. Ganz überzeugend in dieser Beziehung ist die Beobachtung amgelegentlich aufrecht stehenden Menschenaffen.

Bewegung der LungenDie Lunge verhält sich bei der Atmung wie eine elastische Gum-

miblase, die in den Brustraum hineinhängt. Luftröhre und Kehlkopftsind das schlauchförmige Ansatzstück, durch das die Lunge mit derAußenluft in Verbindung steht und mit dem sie gleichzeitig oben amZungenbein und Kopf befestigt ist. Ihre Außenfläche liegt den Wän-den des Brustraumes einschließlich Zwerchfell überall an und sie mußsich deshalb mit dem Brustraum erweitern und verengen. Sie folgtdem Brustraum in Form und Bewegung.

Führt man in den Spalt zwischen Lunge und Brustwand eine mit ei-nem Manometer verbundene Hohlnadel ein, so zeigt sich bei der Ein-atmung ein Unterdruck von mehreren Millimetern Quecksilber.Dieser Unterdruck entsteht als Resultat aus der Kraft der Brustwände

22

Page 23: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

einschließlich Zwerchfell und der in umgekehrter Richtung wirken-den Elastizität der Lunge (dem »Lungenzug«, der sie zusammenziehenwill).

Durch die wesentlich nach unten gerichtete Erweiterung des Brust-raumes beim Einatmen wird die Lunge gedehnt, wobei die Luft in sieeinströmt. Dabei erweitert sie sich mit einer spiralförmigen Bewegung,ähnlich wie eine Spiralfeder, die durch Zug gespannt wird und sich da-bei etwas aufdreht. Sie dehnt sich deshalb überall gleichmäßig undnicht, wie immer noch allgemein angenommen wird, hauptsächlich indiejenige Richtung, in die sich der Brustraum weitet.

Mit ihrer Dehnung beim Einatmen wird die Lunge gespannt.Mit dem Aufhören des Einatmungszuges und dem Beginn der rück-

läufigen Zwerchfellbewegung kommt der Lungenzug zur Wirkung;er zieht die Lunge zusammen und schiebt die Luft aus der Lunge her-aus. Die beim Einatmen passiv gespannte Lunge entspannt sich also beimAusatmen, sie »federt« zurück. Die in ihrer Elastizität gespeicherte Kraftsetzt sich dabei in Bewegung um. Es ist also nicht die Rumpfmuskula-tur, sondern allein die Lunge, welche die Luft »aktiv« hinausbefördert.

Der Unterdruck zwischen Lunge und Brustwand ist bei der Ausat-mung geringer als bei der Einatmung, bleibt aber bestehen. Seine Erhal-tung ist für den Gasaustausch und damit für die Leistungsfähigkeit derAtmung entscheidend.

Der Vergleich der Lunge mit dem Blasebalg trifft nur für die Einat-mung zu, da es sich hier wie dort um ein Einsaugen handelt. Das Aus-atmen soll aber gerade nicht nach Art eines Blasebalges oder einerPumpe, wie die populäre medizinische Vorstellung meint, gesche-hen *). Es ist ein Herauslassen der Atemluft durch Nachgeben der beimEinatmen sich spannenden Atemmuskeln ohne den geringsten Nach-druck oder Anspannung; im Lungeninneren ist dabei natürlich einminimaler Überdruck.

Auch die Bauchmuskulatur muß demnach mit der geringstmögli-chen Kraft wirken, also bei ruhiger Ausatmung gerade so stark, daß siedas elastische Zusammenziehen der Lunge erlaubt. Nur dann ist derUnterdruck im Brustraum und das drucklose Durchströmen der Luftdurch die Ausatmungswege gewährleistet. (Das Senken der vorderen

*) Das Pusten des Blasebalg geschieht durch schnelles Verengen und unter erhebli-chem Druck; daher blähen sich seine weichen Seitenwände. Dasselbe auf die Atmungübertragen, würde Überdruck im Brustraum bedeuten, also gerade das, was für sieschädlich ist.

23

Page 24: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Brustwand beim Ausatmen bewirkt ein zu rasches Verkleinern desBrustraumes und ist für eine sichere Feinregulierung denkbar unge-eignet.)

Die Atembewegung des Rumpfes ist dabei so mit den oberen Luft-wegen abgestimmt, in denen die durchströmende Luft - der Atem -reguliert wird, daß normalerweise keine Stauung oder Druckerhö-hung eintritt und die günstigsten Druckverhältnisse gesichert sind *).

Ein- und Ausatmen ist also einerseits ein Wechselspiel zwischenden beim Einatmen tätigen Atemmuskeln und dem beim Ausatmenwirksamen Lungenzug.

Es ist möglich, daß bei letzteren auch insofern von einer Aktivitätdie Rede sein kann, als verschiedene Tatsachen auf das Vorhanden-sein glatter Muskelfasern in der Lunge hinweisen: so ihr deutlich akti-ves Spannen beim richtig erzeugten Ton und bei Berührung währendeiner Lungenoperation. Als Hauptträger der Elastizität gelten jedochallgemein zahlreiche elastische Bindegewebsfasern die beim Einat-men durch die Atemmuskeln in Spannung versetzt werden.

Das Atmen ist also andererseits auch ein Abwechseln zwischenSpannung und Entspannung: Beim Einatmen spannen sich die Atem-muskeln - aktiv -, während die elastische Lunge von ihnen - passiv -gespannt wird. Beim Ausatment entspannen sich beide.

Auf den Atemzug, unter Anspannen, folgt die Atempause unter Nach-geben **). In dieser wird die Luft durch den Lungenzug, in dem beimEinatmen die notwendige potentielle Energie gespeichert wurde, hin-ausgeschoben.

Mechanik des RumpfaufbauesZur Erläuterung der oben angeführten, augenfälligen Tatsachen sei

auf die funktionell-anatomischen Zusammenhänge hingewiesen, wel-che die Wissenschaft als Grundlage des hier eindeutig und scharf be-grenzten Begriffs der korrekten, normalen Atmung verlangen kann.

*) Diese physikalischen Verhältnisse sind von größter Bedeutung für das Verständnisder Atmungsfunktion. Sie lassen sich mit Hilfe der üblichen Vorstellungen vom »Em-saugen« und »Herauslassen« der Luft usw. am besten anschaulich machen. Würde manes streng physikalisch ausdrücken, was wissenschaftlich reizvoll und fruchtbringendsein mag, so würden die Verhältnisse nur dem allgemeinen Verständnis weniger zu-gänglich sein, ohne an Klarheit zu gewinnen. Aus diesem Grunde sind die erwähntenBegriffe, deren sich auch die Lehrbücher der Physiologie bedienen, hier beibehalten.**) Es ist der gleiche Vorgang, wie der Wechsel zwischen »Aktion« und »Pause« beimHerzen.

24

Page 25: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Der Rumpf hat einerseits die Aufgabe, als schützende Hülle für dieinneren Organe zu dienen und deren Lage zu sichern. Andererseitshat er 2 Arten von Bewegungen auszuführen. Äußere, die in Ver-bindung mit Betätigung der Glieder durch Beugen, Strecken undDrehen der Wirbelsäule ausgeführt werden, und innere, die aus-schließlich der Atmung dienen und nur die Muskeln der Brustkorb-wand und des Zwerchfells, die „Innenmuskulatur" des Rumpfes,eingesetzt wird.

Bei den ersteren stehen Bewegen und Formveränderung im Vorder-grund, sie sind zwangsläufig mit einer nicht unerheblichen Verengungverbunden. Bei letzteren sind die Bewegungen - ein abwechselndesWeiten des Oberkörpers durch Anspannen und „Wiederengerwerdendurch Nachgeben - nur gering und verlaufen völlig ohne Rumpf-verengung.

Dabei arbeiten die Muskeln, ihrer jeweiligen Aufgabe entspre-chend, verschieden. Höhe, Weite und Form halten sie durch Anspan-nen ohne Verkürzung, Bewegungen führen sie durch Anspannen undNachgeben unter Veränderung ihrer Länge bei Weiterbestehen desHaltens aus.

Die Rippen sind an der Wirbelsäule derart befestigt, daß das Rippen-köpfchen vorne am Wirbelkörper und der Rippenhöcker weiter hintenam Querfortsatz artikuliert. Dabei steht an den oberen Rippen, also denRippen, die wesentlich an der Formung des oberen Brustkorbes beteiligtsind, das vordere Gelenk etwas tiefer als das hintere. Die Streckung derWirbelsäule hebt das Rippenköpfchen und gleichzeitig den ganzen vor-deren Rippenbogen mit dem Brustbein. Die Muskeln der Wirbelsäuleunterstützen diese Einstellung der Rippen. Einige Bündel des großenRumpfaufrichters - der M. iliocostalis und ein Teil des M. longissimusdorsi - fixieren die Rippen in der durch die gestreckte Wirbelsäulenhal-tung gegebenen Stellung. Der M. iliocostalis z.B. setzt an den hinterenRippenbogen so an, daß er den vorderen Teil der Rippen durch seineWirkung unter gleichzeitiger leichter Drehung hebt. Im ganzen wirkendie Muskelbündel des Rückenstreckers durch ihren schräg nach unteninnen gerichteten Zug - gute Spannung vorausgesetzt - auf den inner-halb des Rippenwinkels gelegenen Teil der Rippen derart, daß die seitli-chen und vorderen Teile so waagerecht wie möglich eingestellt werden.Es ist also sowohl die Skelett- als auch die Muskelverbindung zwischenWirbelsäule und Rippen so eng, daß diese zu einer fest zusammenhän-genden Einheit verbunden sind.

25

Page 26: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Die seinen Aufgaben entsprechende zylindrische Form desRumpfes - seine Höhe und Weite - wird, anders als bei Räumen mitstarren Wänden und Decken, ähnlich wie ein Zelt durch eine spezielleStützkonstruktion gehalten, die durch das Zusammenspiel von durchZug wirkenden Muskeln und als Stützen dienenden Knochen zustan-de kommt. Diese sorgt durch eine in Richtung der Körperachse wir-kende Längsspannungfür die Höbe, durch eine senkrecht dazu wirken-de Querspannungfür die Weite des Rumpfes.

Sowohl die in der Längsrichtung als auch die senkrecht dazu wir-kenden Muskeln sind in ihrer Eigenschaft als Haltungsmuskulaturdauernd angespannt. Von den ersteren, die der aufrechten Haltungdes Rumpfes dienen, ist dies allgemein bekannt, von den letzterenkaum. Es gilt aber für beide genau das gleiche *).

Die Längsspannung wird ausschließlich durch die als Rumpfauf-richter bezeichnete Muskulatur der Wirbelsäule bewirkt, die, als breiteMuskelmasse beiderseits der Dornfortsätze zwischen Kreuz und Hin-terkopfverlaufend, die Wirbelsäule streckt und den Brustkorb auf-stellt; die Beinmuskulatur, die das Becken, den Unterbau der Wirbel-säule halten, sind daran unterstützend beteiligt. Im Gegensatz zu demhierbei relativ einfachen Konstruktionsprinzip, die zu einem Stab zu-sammengefügten, einzelnen Glieder durch Verspannungen in ihrerStellung zu halten, ist die Konstruktion der Querspannung weit kom-plizierter. Bei ihr spielen Brustkorb, Zwerchfell und Bauchmuskel-schlauch in der Weise zusammen, daß sich mit dem Anspannen derersteren beiden der Rumpf weitet, mit der Vergrößerung des Brustrau-mes im Mittelpunkt.

Das Halten der Weite ist im wesentlichen Sache des Brustkorbes.Die Wirbelsäule ist jedoch insofern auch daran beteiligt, als sie die da-bei als Stützen dienenden Rippen in ihrer Hauptrichtung einstellt undForm und Weite des Brustkorbes und des Rumpfes damit in denGrundzügen weitgehend festlegt (Abb. 2).

Den überwiegenden Teil seines Haltes bekommt der Brustkorb je-doch erst durch seine „eigenen", in seiner Wandung gelegenen eigent-lichen Brustkorbmuskeln, die seiner Wandung Festigkeit, dem Brust-korb und dem Rumpf ihre volle Weite und die für die Lage der Einge-

*) Die Erhaltung der Körperform bei aufrechter Stellung in dauerndem Widerstand ge-gen die Schwerkraft ist die Hauptaufgabe dieses »Rumpfaufrichters« und eine be-zeichnende menschliche Eigenart; der Vierbeiner erreicht das gleiche mit Unterstüt-zung der Schwerkraft.

26

Page 27: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

weide günstigste Form geben. Diese Muskulatur dient ausschließlichder Querspannung und ist für sie maßgeblich.

Diese, die „eigentlichen", inneren Brustkorbmuskeln, welche dienach vorne ragenden Rippenstangen in ihrer Stellung halten, habenauch beim Atmen ihre wesentliche Aufgabe im Halten. Auch dieAnordnung der Mm. externi und interni lassen sich zwanglos mit die-ser Auffassung in Einklang bringen, die ebenso auch die Aufgaben derMm. subcostales n transversi thoracis und transversococtales - bei derbisherigen Anschauung auffallend vernachlässigt - wieder ins rechteLicht rückt.

Die Querspannung beruht demnach auf der haltenden Tätigkeitder gleichen Muskeln, welche auch die vorher beschriebenen Atem-bewegungen ausführen unter Zusammenwirken von Brustkorb undZwerchfell, angeordnet wie 2 ineinander gestülpte Glocken. Beidekönnen ihre Form in gewissen Grenzen durch Anspannen und Nach-geben verändern, wobei der Brustkorb dem nach innen gerichtetenZwerchfellzug im Sinne des Weithaltens begegnet.

Die Wirkung ihrer Spannung wird durch die oben erwähnte Wir-kung des Bauchmuskelschlauches modifiziert und gefördert. Dieserist das Brustkorb und Becken verbindende, siegelringförmige Mittel-stück der Rumpfwandung und besteht aus breiten, ineinander ver-flochtenen Muskelbändern. Sein oberer Teil umgreift den unteren, inihn hineinragenden Teil des Brustkorbes (die Brustkorbflügel). Durchseine Spannung hält er die Baucheingeweide zusammen und mitihnen die Zwerchfellmitte kuppeiförmig nach oben, während er aufden unteren Brustkorb verengend wirkt.

Der Zwerchfellzug am unteren Brustkorb wird durch diese Kon-struktion in seiner Richtung verändert und in seiner Wirkung herab-gesetzt.

Solange sich diese 3 Muskelgruppen die Waage halten, ist - korrek-tes Halten der Wirbelsäule vorausgesetzt - die normale Form desRumpfes und seiner Räume gesichert.

Es ist eine Gewölbekonstruktion von besonderer Eigenart, die ihreWölbung und Weite durch eine ausgewogene Wechselwirkungdauernd gespannter Muskeln unter Abstützung durch die knöcher-nen Rippen herstellt und hält. Bei ausreichender - normaler - Span-nung in diesen drei Muskelgruppen in Brustkorb, Zwerchfell undBauch ist die günstigste Weite des Rumpfes - sein größter sagittalerDurchmesser - ebenso gewährleistet wie dessen günstigste, normale

27

Page 28: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Länge - seine Höhe - unter gleichen Voraussetzungen durch die vonder Muskulatur der Wirbelsäule bewirkten Längsspannung.

Bauch - /

schlauch " - -

Abb. 5: Das Zusammenwirken derMuskelspannung in Brustkorb (a),Zwerchfell (b) und Bauchmuskel-schlauch (c)

Abb. 6: Wie Abb. 5. (Seitenansicht)Brustkorb (a), Zwerchfell (b) undBauchmuskelschlauch (c)

Die haltende Funktion der Brustkorbmuskeln im Rahmen desRumpfaufbaues macht es möglich, daß der Brustkorb seine 3 verschie-denen Aufgaben erfüllen kann, nämlich die für die Eingeweide gün-stigste Form und Weite des Rumpfes zu halten und dabei sowohl denSchultermuskeln als auch dem Zwerchfell Halt zu geben, ohne daßdas eine das andere stört.

Nur so bietet er die feste Unterlage für den Schultergürtel, dessenMuskeln an ihm entspringen, und für das Schultergelenk, das denArmen als Drehpunkt dient. Gleichzeitig umschließt er die Lunge wieeine schützende Glocke. Er bewegt sich mit der Atmung kaum, wie eseiner Stützfunktion für die Arme entspricht.

Der untere, »bewegliche« Teil des Brustkorbes beginnt unterhalb ei-ner waagrechten Linie, die etwa in Höhe der Basis des Schwertfortsat-zes anzunehmen ist. Er gehört bezeichnenderweise bereits zur Regiondes Bauches, dessen schlauchförmige Muskulatur ihn bis hinauf zu

28

Page 29: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

der gedachten Linie umschließt. Er bewegt sich beim Atmen in be-grenztem, durch die Möglichkeit der Brustwandmuskeln bestimmtenUmfang.

Man muß sich diesen eigenartigen Mechanismus und seine Statikmöglichst deutlich und plastisch vorstellen, durch den unter Anwen-dung von Stütze und Muskelspannung das Offenhalten eines Hohl-körpers ermöglicht wird. Nur dann gelangt man zum richtigen Ver-ständnis der Form-, Raum- und Bewegungsverhältnisse des Rumpfeseinschließlich der Atmung. Guter Tonus bedeutet gute Konfigurationdes Rumpfes mit gewölbter Brust und die für die Lage der innerenOrgane günstigste Form der beiden Körperhöhlen. Schlechter Tonusresultiert dagegen in einem flachen, verengten Brustkorb und einemheruntergefallenen Zwerchfell mit entsprechender Senkung derinneren Organe und vorgewölbter Bauchdecke.

Aktive und passive BrustkorbbewegungenAusgehend von dieser Haltungsspannung als Ruhezustand sind die

Atembewegungen ein Erweitern des Rumpfes durch Erhöhung seiner Quer-spannung und Verengung durch Nachlassen derselben bis zurück zu »Ruhe-spannung«. Die Längsspannung spielt nur so viel mit, wie es ihre Bean-spruchung als Halt zur Abstützung der senkrecht auf sie wirkendenQuerspannung verlangt. Die Atembewegungen geschehen also mitgenau den gleichen Muskeln in Brustkorb, Zwerchfell und Bauch, diefür die Erhaltung der Rumpfweite als »Querspanner« verantwortlichsind, wobei nur die ersteren beiden als eigentliche Atemmuskeln ander Bewegung aktiv beteiligt sind.

Da die früher erwähnten - aktiven - Eigenbewegungen nur in sehrengen Grenzen möglich sind, solange die Form des Rumpfes durch ei-ne orthopädisch korrekt aufgestellte Wirbelsäule gesichert ist, kannder Brustkorb unter diesen Umständen »aktiv« auch keine anderenBewegungen ausführen als diejenigen, die als normale Atembewegun-gen dieser normalen Körperform entsprechen.

Ausgiebiger bewegt werden kann er nur »passiv«, nämlich von denaußen an ihm ansetzenden Muskeln, unter erheblichem Kraftauf-wand und in sichtlich abwegiger Weise.

Am weitgehendsten geschieht dies durch die mit ihm eing verbun-dene Wirbelsäule. Bei deren Bewegungen ändert sich sowohl dessenStellung als auch - mit Stellungsänderung der Brustwirbel - seineForm. Der Brustkorb wird von der sich streckenden Wirbelsäule geho-

29

Page 30: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ben, wobei er etwas weiter wird, und bei deren Beugen unter erhebli-cher Verengung gesenkt.

Diese Brustkorbbewegungen geschehen insofern - »vom Brustkorbaus gesehen« - »passiv«, als sich dieser dabei nicht mit Hilfe seiner eige-nen Muskulatur selber bewegt, sondern vom Rückenstrecker bewegtwird.

Ebenso sind die Brustkorbbewegungen, die mit Hilfe der Schulter-,Hals- und Nackenmuskulatur ausgeführt werden, und bei denen derBrustkorb bei der Einatmung hochgezogen wird, als »passive« zu be-zeichnen mitsamt dem entsprechenden Sinkenlassen, Herunterdrük-ken oder -ziehen beim Ausatmen.

Im Gegensatz dazu stehen die »Eigenbewegungen« des Brustkorbes,die er mit den in seiner Wandung gelegenen Muskeln ausführt und dieals »aktive« zu bezeichnen sind.

Normalerweise soll keine der 3 erwähnten Muskelgruppen an denAtembewegungen teilnehmen. Allerdings ist eine Verengung desRumpfes bei den oben erwähnten, äußeren Rumpfbewegungen un-vermeidlich und ist auch vorübergehend tragbar, einschließlich derdabei unvermeidlichen Beeinträchtigung der Brust- und Bauchorga-ne. Als Dauerzustand jedoch ist weder diese Haltung noch die ver-engende Bewegung vorgesehen; sie führen zur Deformierung desRumpfes und seiner Bewegungen mit den im anschließenden Ab-schnitt näher beschriebenen Schäden, nicht zuletzt an der Atmung.

Die als passiv bezeichneten Brustkorbbewegungen sind die gleichen, die fürden Verfall der Atmung charakteristisch sind; sie resultieren aus dem Nach-lassen der Querspannung *), wofür in erster Linie der Brustkorb verantwort-lich ist.

Es ist eine für die Schädlichkeit der passiven Brustkorbbewegungbezeichnende Tatsache, daß dabei die eigentliche Atemmuskulatur,insbesondere die des Brustkorbes, in gleichem Maße inaktivitätsatro-phiert, wie die sogenannte Hilfsmuskulaturzum Atmen benutzt wird,die sich dabei auffallend kräftigt. Der für den Atemkranken charakte-ristische Schwund der Rippenmuskeln tritt also ein »trotz« ausgiebiger»Brustatmung«! Dieser scheinbare Widerspruch kann nur denjenigen

*) Daß sich damit auch ein Verlust an Längsspannung, d.h. ein Haltungsverfall, verbin-det, leuchtet ohne weiteres ein. Beide gehen zwangsläufig Hand in Hand, so wie esauch die Erfahrung immer wieder bestätigt. Auch kann der Verfall sowohl hier wie dortseinen Anfang nehmen.

30

Page 31: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

wundernehmen, der jene Art von Brustkorbbewegung beim Atmenfür »normal« hält, die hier als irrig nachgewiesen wurde. In Wirklich-keit ist es gar nicht anders zu erwarten, als daß die für die Eigenbewe-gung des Brustkorbes bestimmten Muskeln, da sie nicht genügend be-nutzt werden, durch Inaktivität mehr und mehr verfallen müssen, unddaß der Brustkorb schließlich sogar seine Elastizität verliert und starrwird - trotz ausgiebigem Bewegen!

Es liegt hierin ein direkter, aber deutlicher Fingerzeig dafür, daß diepassiven Brustkorbbewegungen offenbar nicht im Sinne der Kon-struktion liegen, also nicht normal sind, sondern abwegig und ungün-stig.

Das gleiche gilt für den Antagonismus zwischen den Mm. externiund interni. Er entsteht nur dann, wenn die Brustkorbbewegungen imobigen ungünstigen Sinne verändert sind. Dann können die relatrvkleinen und schwachen Rippenmuskeln u. U. dazu kommen, sichihren mächtigen »größeren Brüdern« anzupassen. Isoliert findet sichdieser Antagonismus nie; er ist, auch bei flacher Atmung mindestensvon der Mitarbeit des M. pectoralis minor begleitet, der den Brustkorbnach oben hochzieht. Daß die Mm. intercostales externi die Rippenheben, die Mm. interni sie senken können - als Antagonisten - magunbestritten bleiben. (Für die vorderen, abwärts vom Schwertfortsatzgelegenen Rippenabschnitte trifft es übrigens auch theoretisch keines-wegs zu.) Es kann aber nur bei einer durch fehlerhafte Haltung ver-ursachten und durch herabgesunkene Rippen gekennzeichnetenDeformierung des Brustkorbes entstehen. Dann wirkt nämlich dieDrehung in den Rippengelenken hebend auf die tiefgestellten vorder-sten Teile der Rippen unter gleichzeitiger Erweiterung des Brustkorbesnach vorn, während sie bei gestreckter Wirbelsäule den Brustkorbwesentlich seitlich und nur geringfügig nach vorn erweitert. ZumAusgleich der Fehlstellung von Rücken und Brustkorb ist diese Atem-bewegung durchaus nötig; sie vergrößert sich in demselben Maße, wie dieWirbelsäule ihre normale Haltung verliert. Es entspricht ganz derschwächlichen Muskulatur eines solchen Rumpfes, daß das Hebender Rippen schließlich immer unter Zuhilfenahme der Rückenbewe-gung, der tiefen Halsmuskeln und der Schultermuskeln ausgeführtwird, obwohl es bei dieser Rückgrat- und Rippenstellung theoretischdurchaus mit den eigentlichen Rippenmuskeln möglich wäre.

Die fehlerhaften passiven Bewegungen treten mit anderen Worten dort auf,wo die Spannkraft der die Form des Brustkorbes haltenden Muskeln versagt

31

Page 32: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

und die richtige Bewegung verloren geht. Damit steht als Ursache derFehlatmung der Verlust an Querspannung im Vordergrund. Die Vermin-derung der Längsspannung ist entweder die sekundär eingetreteneFolge der ersteren, entstand gleichzeitig mit ihr, oder ging ihr als mit-bestimmende Ursache voraus.

Es ist bezeichnend, daß gerade der schwächliche, flache Brustkorbausgiebig mit der »passiven« ausgeführten auf- und abgehenden Brust-korbbewegung arbeitet. Der fehlerhaften Form entspricht die fehler-hafte Muskeltätigkeit.

Daß verschiedene Möglichkeiten der Behelfs- und Ausweichat-mung bestehen, um das Atmen unter allen Umständen, also auch beiverschiedenen Körperstellungen, bei Krankheit und Schmerz usw. zugewährleisten, ist durchaus sinnvoll. Die »Leistungsbreite« ist dabei je-doch herabgesetzt*). Nur unter den idealen Bedingungen der gestreck-ten Wirbelsäule, mit der die Atmung unter »aktivem« Arbeiten derBrustkorbmuskulatur unlösbar verknüpft ist, kann der Atemapparatseine volle Leistungsfähigkeit entwickeln, entfalten und erhalten.Warum eine reduzierte Atmung vorübergehend in Kauf genommenwerden kann, auf die Dauer aber nicht, wurde bereits S. 30 erläutert.

Daß das Atmen mit Bewegung des Brustkorbes in senkrechter Rich-tung so allgemein verbreitet ist, wird durch die Häufigkeit der schlechtenRückenhaltung hinreichend erklärt. Diese ist bei etwa 90% der Mitteleu-ropäer nachweisbar, ebenso die damit verbundene Schwäche der Brust-korbmuskulatur und die Formfehler des Rumpfes. Der Verlust an Längs-spannung beeinträchtigt zwangsläufig die Querspannung und umge-kehrt.

Besonders beweiskräftig für unsere Thesen ist die Tätigkeit desBrustkorbes bei der Tonerzeugung mit ihrer erhöhten Beanspruchungder Querspannung; diese ist hier erheblich größer als beim Einatmenund läßt den Brustkorb oben sogar geringfügig weiter werden. Er mußdiese Stellung und Spannung, solange der Ton klingt, trotz des langsa-men Herauslassens der Luft, halten. Es ist genau die gleiche Art desaktiven Brustkorbhaltens bzw. -bewegens wie bei der normalenAtmung, jedoch in erheblich verstärktem Maße.

Hochziehen des Brustkorbes sieht man bei leidenschaftlichen Erre-gungen verschiedener Art; die »Fehlbewegungen des Gemüts« drük-

*) Man kann zwar auch kniend und mit gebeugtem Rücken werfen; nur kommt mannicht sehr weit damit. Und man stelle sich vor, daß man es immer in dieser Stellung tunwürde.

32

Page 33: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ken sich in »Fehlbewegungen des Körpers« aus. Sie sind gleich schäd-lich für Leib und Seele (Wut, Kreischen, Angst usw.) *).

Ein absolut unwiderleglicher anatomisch-funktioneller Beweis fürunsere Behauptungen läßt sich aus den Deformierungen des rachitisch-weichen Brustkorbskelettes ableiten; vorausgesetzt, man scheut nicht dieMühe, sich die dabei maßgeblichen Muskelwirkungen wieder zu ver-gegenwärtigen. Als zwingender Schluß dieses empfehlenswerten Stu-diums ergibt sich, daß

- alle Verformungen des Brustkorbes aus der Wirkung der beimEinatmen eingesetzten »Hilfsmukseln« zu erklären sind, die denBrustkorb dabei hochziehen.

Bei gleichzeitig vorliegendem hohen Rundrücken und durch Beu-gen der Wirbelsäule beim Ausatmen (Heben und Senken des Ober-körpers) kommt es zur »Hühnerbrust«;

- durch Einatmen mit dem hinteren Schultergürtel, besonders beiausgesprochener Mitarbeit des unteren Serratusteiles, zur »Trichter-brust«.

Beim »Violinbrustkorb« kann die relative Weitung des unterenBrustkorbes zum Teil durch die Wirkung des erwähnten Serratus zu-stande kommen, zum großen Teil aber auch sicherlich dadurch, daßder Brustkorb bei seinem der Fehlatmung eigentümlichen Senkenbeim Ausatmen über der Bauchinhalt gestülpt und von diesem aus-einandergedrängt wird.

Der Sog, den die Einatmung auf den weichen, muskelschwachenBrustkorb ausübt, wirkt an den Deformierungen modifizierend mit.Dagegen deformiert die konstruktionsgerechte Muskelwirkung der Normal-atmung auch das weichste Brustkorbskelett nicht im geringsten.

Sehr deutlich sieht man die hier anatomisch-funktionell erläuter-ten Tatsachen an griechischen Plastiken (Abb. 8-13) besätigt.

Jenem Zeitalter war offenbar die geradegestreckte Haltung auch fürden Zustand entspannter Ruhe selbstverständlich. Seine Plastiken tra-gen den Kopf hoch mit einer deutlich sichtbaren Muskelspannung inBeinen, Becken und Rücken und einschließlich Nacken; sie halten dieWirbelsäule so gestreckt, daß die normale Form des Körpers, die unsgleichzeitig als die beste erscheint, stets gewährleistet ist. Aus dieserAusgangsstellung wäre ein Heben des Brustkorbes, um damit einzuat-

*) »Leidenschaften (!)« sind bekanntlich auch bei anderen Organen krankheitsför-dernd - im wahrsten Sinne des Wortes.

33

Page 34: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 7: »Kuros von Athen«. StilisiertePlastik mit deutlicher Trennung vonoberem und unterem Brustkorb

Abb. 8-13: Die Aufstellung desBrustkorbes bei normal gestreck-tem Rückgrat

34

Page 35: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 9 Abb. 10

35

Page 36: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 11 Abb. 12

Abb. 13

36

Page 37: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

men, widersinnig und unschön und ließen sich nur unter angestreng-ter Zuhilfenahme der außen am Brustkorb sitzenden Muskeln aus-führen. Daß die griechischen Plastiken nicht etwa im Stadium der Ein-atmung dargestellt sind, braucht nicht erwähnt zu werden. Es istunter anderem an ihren schmalen Taillen zu erkennen (Abb. 8-13).

Auf das vergleichende Studium der Tiere, soweit diese ähnlich wieder Mensch gebaut sind, wurde schon hingewiesen. Wer einen auf-recht stehenden Menschenaffen daraufhin beobachtet hat, dürftevon der Richtigkeit der hier gegebenen Darstellung vom normalenAtmen überzeugt sein. Dieser kennt kein Heben und Senken desBrustkorbes beim Atmen. Auch bei größerer körperlicher Anstren-gung gibt es weder bei ihm noch anderen das geringste Abweichen vonder Normalatmung; der anfallende maximale Sauerstoffbedarf wird -eben darum - mit auffallend geringem Aufwand an Luftwechsel - anAtemmenge - befriedigt.

Abb. 14: Die Atmung der Läufer ist mit dargestellt. Bei a ausgeatmet - Magengrubeeingesunken, bei b und c eingeatmet - Magengrube gewölbt. Brustkorbhaltung und-Stellung - der Normalatmung entsprechend - bei allen gleich

Atemleistung und AtemformDarüber hinaus ist unsere Auffassung aber noch durch einen jederzeit

reproduzierbaren - Versuch bestätigt, der deutlich vor Augen führt,1. daß die Leistungsfähigkeit der Atmung von der Atemform weit-

gehend abhängt,2. daß sie bei der Normalatmung - wie nach den obigen Ausführun-

gen zu erwarten - am größten ist.

37

Page 38: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

3. daß sie mit dem Einsatz der Atemhilfsmuskeln erheblich absinkt.Es sei hier nochmals daran erinnert, daß die Leistungsfähigkeit der

Atmung nicht, wie oft noch fälschlich angenommen, an der Kapazitätdes Luftwechsels, sondern an der des Gasaustausches, der Sauerstoff-versorgung des Blutes durch die Lungen, zu bemessen ist. Maßgeblichdafür ist die Spanne der Belastungsgrenzen, in denen eine den jeweili-gen Anforderungen des Stoffwechsels genügende Sauerstoffversor-gung des Blutes durch die Lungen noch gesichert ist, wobei nur dieSauerstoffabgabe der Lungen an das Blut zu berücksichtigen ist, da sieeinen erheblich engeren Spielraum hat als die in umgekehrter Rich-tung verlaufende Kohlensäureabgabe.

Atemvolumen und Ventilationsgröße sind deshalb kein unmittel-bares Maß für die Leistungsfähigkeit der Atmung '*). Diese ist dort am größ-ten, wo die Lungen mit dem relativ kleinsten Aufwand an Luftwechsel - an»Atemarbeit« - die relativ größte Menge Sauerstoff per Zeiteinheit an dasBlut abgeben bei relativ geringstem Eigenverbrauch, d.h., bei derAtmung mit dem größten Wirkungsgrad. Dieser ist um so größer, je»leichter« der Gasaustausch vor sich geht und sinkt mit dessen »Er-schwerung«. Diese Atmung kann bei gleicher Ventilationsmöglich-keit einen größeren Sauerstoffbedarf befriedigen als eine Atmung mitschlechterer Ausnutzung der Atemluft.

Die durchgeführten - und reproduzierbaren - grundlegenden Ver-suche bestätigen die hier gebotene Definition der Normalatmung undihre scharfe Abgrenzung gegenüber der Fehlatmung, deren meßbareUnterlegenheit an Leistungsfähigkeit dabei nachgewiesen wurde. Derfür eine bestimmte körperliche Belastung erforderliche Aufwand anAtmung steigt schon um ca. 50%, wenn man die Normalatmung durch rela-tiv mäßigen Hilfsmuskeleinsatz im Sinne der Fehlatmung verändert. Dasheißt, der Wirkungsgrad der von der Normalatmung abweichendenAtemform, die hier als Fehlatmung gekennzeichnet wurde, liegt weitunter dem der Normalatmung. Die - mit anderen Worten - optimaleLeistungsfähigkeit der Normalatmung ist in folgendem grundlegendenVersuch abzulesen:

*) Aus diesem Gesichtspunkt sind auch die Exkursionen des Brustkorbes zu betrachten. DerenGröße ist ein Maßstabfür dessen Elastizität, nicht für die seiner Kraft. Für die Qualität derAtmung spielt aber nur letztere eine wichtige Rolle. Brustkorbexkursionen und Gasaustauschgeben keineswegs parallel. Nicht einmal der Luftwechsel kann durch sie, im Vergleich zur Nor-malatmung mit ausgiebiger Zwerchfellbewegung, wesentlich vergrößert werden.

38

Page 39: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Es wurden 2 Untersuchungen beim jeweils gleichen Probandendurchgeführt. Die Untersuchung erfolgte unter Sauerstoffatmung.Die Sauerstoffaufnahme im steady state der Belastung betrug bei öko-nomischer Atmung (»Normalatmung«), »A«, 2140 ccm, bei der un-ökonomischen Fehlatmung (unter Einschaltung der Hilfsmuskula-tur), »B«, 2450 cm3. Das Atemvolumen war bei der ersten Atmungs-form »A« auf 2,15 Liter angestiegen, die Atemfrequenz auf 22/min,woraus sich ein Atemminutenvolumen von 47,3 Litern und einAtemäquivalent von 22,1 ergibt. Demgegenüber beträgt das Atemvo-lumen bei Atmung »B« 3,25 Liter, die Atemfrequenz ebenfalls 22/minund Atemminutenvolumen 71,5 Liter. Es ergibt sich ein Atemäquiva-lent von 29,2.

Die Daten sind in folgender Tabelle zusammengestellt.

NormalatmungUnökonomische Atmung

0,2-Aufn.2140,02450,0

AV2,153,25

AF2222

AMV47,371,5

AAqu.22,129,2

Abb. 15 und 16 geben die Originale von Atmungskurven wieder,die unter den beiden unterschiedlichen Bedingungen gewonnen wur-den.

Die Versuche unterscheiden sich nur in der Atemform. Die Unterschiededer Resultate müssen also darin ihre Erklärung finden.

Bei der im ersten Falle angewandten Atemform - »A« - wurde unteroptimaler Aufrichtung der Wirbelsäule ausschließlich mit den inne-ren Brustkorbmuskeln und dem Zwerchfell geatmet, ohne jede Zuhil-fenahme des Schultergürtels oder der Wirbelsäule. Bei der anderenAtemform - »B« - wurden die »Hilfsmuskeln« mit eingesetzt, unge-fähr in dem Maße, wie es bei absichtlichem Atmen üblich ist.

Bei A wird die gleiche Leistung mit geringem Aufwand an AMVund Sauerstoffverbrauch erzielt als bei B. Dabei ist der um 14% höhereSauerstoffverbrauch von B auf die zusätzliche Muskelarbeit desAtemapparates zurückzuführen.

Das AMV ist jedoch nicht nur um 14, sondern um 51% vergrößert.Von diesen 51% wären also nur 14% der erhöhten Muskelarbeit zur Lastzu legen. Die übrigen 37% müssen demnach auf eine schlechtere Aus-nützung der Ventilation zurückgeführt werden, so wie es in dem größe-ren Atemäquivalent von B zum Ausdruck kommt. Zu dem unökono-misch umfangreicheren Muskeleinsatz, der bei B stattfindet, kommt

39

Page 40: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 15: Normalatmung (A)

40

Page 41: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 16: Unökonomische Atmung (B) (Fehlatmung;

41

Page 42: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

also noch eine Vermehrung des Arbeitsaufwandes, bedingt durch dengeringeren Wirkungsgrad der Atmung bei der in ungünstigem Sinneveränderten Atemform.

Als Erklärung für die bessere Ausnutzung der Ventilation bei derNormalatmung (»A«) sind ganz allgemein die besseren Gasaustausch-bedingungen heranzuziehen, wie sie deren Bewegungsmechanik ge-währleistet.

Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, daß dieser Unterschied inder Atemökonomie beider Atmungsformen gleichbedeutend mitdem entsprechenden Unterschied in der Belastungsbreite der Atmungihrer auf den Gasaustausch bezogenen Kapazität ist.

Damit ist der geforderte experimentelle Nachweis für die oben de-duzierten Thesen erbracht. Die aus anatomisch funktionellen Erwä-gungen als normal bezeichnete Atmung hat die erwartete maximaleLeistungsfähigkeit.

Damit ist auch die grundlegende Frage aller atemtherapeutischenBemühungen geklärt. Ebenso schwinden bisherige Unklarheiten undWidersprüche, und die Mehrzahl der diskutierten Probleme ist gegen-standslos geworden oder unschwer zu lösen.

Die hier skizzierte Normalatmung ist daher nunmehr als Maßstab allerVorstellungen über richtiges oder falsches Atmen anzuwenden.

Gasaustausch und AtemformDie Leichtigkeit des Gasaustausches, auf dem letztlich dessen opti-

male Kapazität bei der Normalatmung beruht, erklärt sich aus derenbesseren Gasaustauschbedingungen; diese sind bei ihr durch relativeKonstanz günstigsten Druckverhältnisse im Brustraum und die Kon-stanz der für sie günstigsten Weite der Kapillaren, Alveolen und Bron-chiolen gewährleistet.

Beides ergibt sich aus der oben beschriebenen Art der Atembewe-gungen. Sie ermöglicht den besten Gasaustausch in den Alveolen beigrößter Lungenoberfläche und bester Durchblutung der Lunge. Die»Atemfläche des Blutes«, das ist die Blutmenge, die pro Zeiteinheitmit der Lungenluft in Berührung kommt, ist relativ groß, ebenso dieKontaktzeit. Auch für die Durchlässigkeit der Alveolarwände ist dieseAtmung am günstigsten infolge geringster Schwankungen ihrer Aus-dehnung und durch den Fortfall jeglicher Zerrung. Beim Atmen mitHeben und Senken der vorderen Brustwand im Sinne der Fehlatmungist sowohl der Druck im Brustraum als auch das Volumen - die Weite

42

Page 43: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

- der Kapillaren, Alveolen und Bronchiolen stärkeren Schwankungenunterworfen und in der Ausatmungsphase erheblich im ungünstigenSinne verändert.

Da der normale Druck in den Lungenkapillaren gleich null ist, mußjede Drucksteigerung im Brustraum den Blutkreislauf in den Lungenund damit die Sauerstoffversorgung des Organismus beeinträchtigen;schon der geringste Überdruck genügt, um die Kapillaren zu verengenund damit die Durchblutung zu drosseln *); es bedeutet Verringerungder Blutmenge, die mit der Luft in Berührung kommt und damit Ein-schränkung des Gasaustausches.

Die Druckverhältnisse der normalen Atmung sind auch für dengroßen Kreislauf am günstigsten; sie unterstützen ihn durch Saugwir-kungen auf die Venen u.a.

Darum ist das Bemühen, die Lungen »leerzuatmen«, schädlich. Jemehr man mit dem Rumpf nachdrückt, desto deutlicher wird derschnelle Druckanstieg im Brustraum als anstrengend empfunden.

Auch die gängige Meinung vom Wert einer intensiven »Durchlüf-tung« der Lungen ist irreführend, die Qualität der Atmung nach derGröße des Luftwechsels zu beurteilen nicht mehr zu vertreten **).

Der Luftwechsel in der Lunge - die Ventilation - ist ebenso wie diePerfusion - der dort stattfindende »Blutwechsel« - nur ein Glied in derKette der dem Gasaustausch dienenden Einrichtungen.

Dieser wiederum ist ein Glied des Sauerstoffversorgungssystemsdes Organismus, in dessen Mittelpunkt der Kreislauf steht. Dessen Fä-higkeit, den Sauerstoff schnell und ausgiebig genug an den Ort des Be-darfs zu transportieren - seine Kapazität -, bestimmt die Grenzen derkörperlichen Leistungsfähigkeit.

Diese kann jedoch nur bei optimalem Gasaustausch eingesetzt undausgenutzt werden.

Die Leistungsbreite dieser Teilfunktionen ist sicherheitshalbererheblich größer angelegt, als daß die Kreislaufkapazität sie voll aus-

*) Der Druck in der Lungenschlagader, die der Lunge das für den Gas Wechsel bestimm-te Blut zuführt, beträgt normalerweise nur 7-15 mm Quecksilber; er kann bei Über-druck im Brustraum bis zu 30 mm ansteigen. Mit der Aufzweigung der Lungengefäßenimmt er bis zum Nullpunkt ab.**) Es kommt ja auch nicht darauf an, die Verdauungsorgane so prall wie möglich mitNahrung anzufüllen, sondern die Nahrung so mühelos und ausgiebig wie möglich zuverdauen. Genauso verhält sich das »Vollpumpen« der Lunge zur Ausnutzung derAtemluft.

43

Page 44: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

nutzen könnte. Dadurch ist jeder Einengung der letzteren von dieserSeite vorgebeugt.

Erst im extremen Fall hochgradiger Einschränkung des Gasaustau-sches, der dem Kreislauf den Sauerstoff zuführt, des Luftwechsels, derihm diesen anbietet, oder des Blutfarbstoffes, der ihm als Transportve-hikel dient, treten diese Mängel an diesen Stellen als leistungsbe-schränkend in Erscheinung; es kommt nur unter pathologischen Ver-hältnissen vor. Der Kreislauf gleicht sie durch seine erhöhte Anstren-gung aus - solange er kann. Umgekehrt kann die Atmung nur sehr we-nig zum Ausgleich einer nachlassenden Kreislaufkapazität beitragen.Erfahrungsgemäß ist auch eine Steigerung der körperlichen Bela-stungsfähigkeit nur durch Kräftigung des Kreislaufes zu erreichen;die Atmung hält - normalerweise - mühelos Schritt.

Erhöhter Luftwechsel kann daher, wie auch die klinische Erfahrungzeigt, die Sauerstoffversorgung des Organismus - seines Gewebes -kaum verbessern; auch reine Sauerstoffatmung ist nur von sehr be-grenztem Wert. Daß Luftwechsel und Sauerstoffversorgung nicht indirekter Beziehung zueinander stehen ist aus der Lungenfunktions-forschung bekannt.

Die Atmung des Atemkranken ist sogar gekennzeichnet durchungenügenden Gasaustausch bei ausgiebigstem Luftwechsel. Atem-not wird nach körperlicher Anstrengung auch durch erhöhte Atemtie-fe und Frequenz wenig gelindert, sondern besser und schneller z.B.durch Anstauen des Atems (ähnlich wie beim Ton), wobei der Unter-druck im Brustraum zunimmt.

Parallel mit der Größe des Luftwechsels geht nur die Kohlensäu-reabgabe, ohne daß dies der Sauerstoffanlieferung zugute käme. ImGegenteil: erhöhte Kohlensäureabgabe beeinträchtigt den Kreislauf,erschwert also eher die Sauerstoffversorgung des Gewebes, auf dieallein es letztlich ankommt. Gleichzeitig wird das Großhirn dabei ineinen zwar leichteren, aber ähnlichen Zustand versetzt wie durchAlkoholwirkung. Die Vorstellung gesteigerten Wohlbefindens beiintensiven Atemübungen zieht daraus ihre Nahrung.

Daß es keineswegs auf intensiven Luftwechsel ankommt, ist auchbeim richtigen Singen festzustellen. Dabei wird weit weniger als sonstgeatmet - bei bester Sauerstoffversorgung. Die auch in Ärztekreisennoch vielfach empfohlenen Tiefatmungsübungen sind daher unzweck-mäßig und eher schädlich. Direkt anschließend an das übersteigerteEinatmen will sich sofort eine rückläufige Bewegung im Sinne der

44

Page 45: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Ausatmung einstellen, die aber im ersten Moment in dem Bemühen,die Lungen »gut zu füllen«, mit der Kehle abgefangen wird - mit einerdurch Überdruck im Brustraum bedingten Drosselung des Gasaustau-sches als Folge; noch weit mehr ist dies beim dazugehörigen nach-drücklichen, intensiven Ausatmen der Fall *).

Die häufige Befürchtung, Atemgymnastik strenge an, findet in die-sen Verhältnissen ihre berechtigte Erklärung.

Unter ähnlichen Gesichtpunkten ist auch »Durchlüftung«, »Anfäl-ligkeit« usw. der Lungenspitzen zu betrachten. Der Zustand des Lun-gengewebes ist selbstverständlich nicht unmittelbar von ihrer gutenDurchlüftung, sondern von der guten Durchblutung abhängig; diesewird durch die normale Brustkorbform, welche die Gefäße der Lun-genspitzen offenhält und deren Stoffwechsel fördert, begünstigt.

Die Zufuhr von Sauerstoff in die Alveolen und die Beseitigung derKohlensäure ist weit komplizierter als man - ausgehend von der Vor-stellung des Blasebalgs - üblicherweise meint. Ob sie dem Atemvolu-men parallel geht, dürfte fraglich sein. Ein direktes Auswechseln vonLungenluft gegen Außenluft dürfte nur im oberen Teil der unterenLuftwege stattfinden. Von einer bestimmten Tiefe ab wird die Lun-genluft beim Atmen hin- und hergeschoben. Da aber die Luftwegehier noch relativ weit sind, gleicht sich die Gasspannung innerhalbdieser, die »Pufferzone« der Atemluft darstellenden Abschnitte nacheinem bekannten Gasgesetz blitzartig aus, ohne daß es der mechani-schen Durchmischung bedarf. Ob sich diese »Pufferluft« infolge derAtembewegungen mit der Alveolarluft vermischt, oder ob die Gas-spannung in den Letzteren durch Diffusion so gehalten wird, daß fort-laufend Sauerstoff an das Blut abgegeben und von dort Kohlensäureaufgenommen wird, ist experimentell wohl kaum zu erklären undkann bisher nur Gegenstand von Theorien sein. Angesichts deräußerst engen untersten Luftwege muß man dabei mit Hypothesenarbeiten - solange, bis der strömende Atem durch gasförmige Kon-trastmittel in der Durchleuchtung sichtbar gemacht werden kann.

*) Anm.: Da sich die leidlich intakte Atmung diese Strapazierung in begrenztemUmfang leisten kann, Atemübungen aber außerdem, wie alles isolierte gymnastischeÜben, bald als langweilig vernachlässigt zu werden pflegen, treten schädliche Folgennur relativ selten zutage; bei konsequenten Gläubigen allerdings bis zur Lungenerwei-terung!

45

Page 46: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Atemsteuerung

Regulierung des Luftstromes in den oberen Atemwegen

Die eingeatmete Luft wird in den oberen Luftwegen1. in einer ganz bestimmten Weise geformt,

2. wird ihre Strömungsgeschwindigkeit und ihr Druckgefälle dort re-guliert.

Beides ist normalerweise Aufgabe der Nase, zu der dabei auch derhinter ihr gelegene Teil des oberen Rachens zu rechnen ist. Die ent-scheidende Rolle spielt dabei die vorne im Nasenrücken gelegene Na-senenge. Sie befindet sich dort, direkt unterhalb des Nasenbeins, bei-derseits zwischen Nasenflügel und -Scheidewand, und tritt außen alsdeutliche Grube in Erscheinung. Bei intakter Atmung werden die Na-senflügel, am stärksten an dieser Stelle, angesaugt und gehen beimAusatmen wieder auseinander. Dabei entsteht an dieser Engstelle einleises, lispelnd-rauschendes Geräusch: es ist beim Einatmen gleich-mäßig stark, beim Ausatmen dagegen zwar vom gleichen Klang, abervon abnehmender Stärke. Es verstärkt sich, der kräftigeren Einat-mung entsprechend, beim „Schnuppern" und „Schnüffeln".

Dieses Spiel der Nasenspitze wirkt nach Art eines verstellbaren Dü-senwiderstandes regulierend auf die Spannung der Atemmuskeln(beim Einatmen) und auf den Lungenzug (beim Ausatmen). Beim ge-sunden Kleinkind mit normaler Muskulatur ist es deutlich zu beob-achten. Verspanntheit der Gesichtsmuskulatur, die sich in späterenJahren häufig einstellt, verhindert dann das regulierende Spiel der Na-senflügel.

Dieses steht außerdem in engem Zusammenhang mit dem Riechen,der anderen Aufgabe der Nase. Daß das Riechen durch eine gewisseEnge gefördert wird, ist begreiflich; die Luft und ihr Inhalt an Duft-stoffen wird dadurch stärker an die Schleimhaut herangepreßt.

Die Atmungsmuskulatur des Rumpfes arbeitet also - normalerwei-se - stets gegen einen gewissen Widerstand in der Nase, so daß ihreSpannkraft dauernd geübt wird und auf einer gewissen Höhe bleibt;Muskeln entwickeln sich nach Maßgabe ihrer Beanspruchung und nieüber die Höhe der höchsten, ihnen gestellten Aufgabe hinaus. BeiMundatmern und bei Menschen, die mit einer durch die Gesichts-

46

Page 47: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

muskulatur auseinandergezogenen Nase atmen, mit anderen Wortendort, wo ohne Widerstand geatmet wird, bleibt die Atmungsmuskula-tur schwach entwickelt resp. verliert an Spannkraft. Sie genügt dannzwar noch für die geringere Beanspruchung des täglichen Lebens undbei unbehinderten Atemwegen, kann aber evtl. bei großen Belastun-gen, z.B. einen die Bronchien verengenden Katarrh, bei dem gegenerhöhten Widerstand eingeatmet werden soll, versagen. Das soge-nannte Nasenflügelatmen, das Lungenentzündung und Nieren-beckenentzündung gemeinsam haben, zeigt die Bedeutung des Wider-standes für die Zwerchfellbewegung; bei diesen Krankheiten muß sichdie Nase bei der Einatmung weit öffnen - die Nasenflügel gehen dabeiauseinander -, um das Zwerchfell vor kräftigem Zusammenziehen zu be-wahren. Die schmerzende Lunge verlangt möglichst weitgehende Ein-schränkung der Zwerchfellbewegung, desgleichen das direkt daruntergelegene entzündete Nierenbecken. Die Wirkung der Nasendüse aufdie Leistung der Einatmungsmuskulatur wird sehr anschaulich, wennman die Nase durch Anfassen etwas verengt und kräftig Luft einzieht

Abb. 17: Die Nase als »Gegenspanner« der Einatmungsmuskulatur (Zwerchfell -Brustkorb) und der Ausatmungskraft der Lunge

47

Page 48: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

(»-hochzieht«), auch bei einseitigem Zuhalten; es ruft stets eine ver-stärkte Einatmungsspannung hervor. Waldluft gilt mit Recht als kräf-tigend für die Atmung; man »schnuppert«, um den Duft zu genießen,mit verengter Nase, also mit erhöhtem Widerstand, und bringt da-durch automatisch Zwerchfell und Brustkorb in erhöhte Spannungund Tätigkeit. Das Wohlgefühl in der Brust ist ein Muskelgefühl, wiees sich ähnlich auch in den Gliedern nach langem Stilliegen bei wohl-tuendem Recken und Strecken, dem Räkeln, einstellt.

Die Ausatmung wird ebenfalls mit der Nasenenge reguliert. Derengünstige Wirkung auf die Atemsteuerung, selbst wenn sie nur behelfs-mäßig durch leichten Zug an der Nasenspitze o. ä. hergestellt wird,mag z. T. reflektorisch sein, beruht aber sicherlich auch auf den Wider-stand, mit dem dieser den Lungenzug anregt und steuert.

Die Nase ist also normalerweise dauernd wirksam, um die Spann-kraft der Einatmungsmuskulatur in Zwerchfell und Brustkorb und dieKräftigung des Lungenzuges zu erhalten. Sie spielt hierbei gewisser-maßen die Rolle des Antagonisten, dessen Ausfall die Erschlaffungdes anderen zur Folge hat *) (Abb. 17).

Die Formung des Atems, notwendig für sein (als Laminarströmung)reibungsloses Durchströmen durch Kehle und Bronchien, erfolgtebenfalls in der Nase, und zwar in deren ganzen Verlauf, angefangenvon der Nasenspitze bis zur Rachenkuppel, wo, am Ende der »innerenNase«, der Atem nach unten umgelenkt wird. Auch an dieser Stelle be-steht eine gewisse Enge, die sich, beim gesunden, schlafenden Kindz.B., durch ein relativ leises, aber deutliches Geräusch manifestiert; esist allerdings weit schwächer als das in der vorderen Nase. Einiger-maßen normale Verhältnisse vorausgesetzt, läßt sich diese Stelle auf-spüren, indem man dort »oben hinter der Nase«, an der »Schnarchstel-le«, »mit einem Geräusch« zu atmen versucht.

Weiterhin dürfte das von den Nasenmuscheln geprägte Profil derNasenhöhle weitgehend an der Formung des Atems beteiligt sein. Fürdiese Annahme sprechen zahlreiche Hinweise. Über die Schwierigkei-ten, sie zu beweisen oder Entsprechendes zu demonstrieren, hat sich

*) Antagonismus bewirkt bei einem Bewegungsapparat ein gegenseitiges, federndesInspannunghalten seiner verschiedenen Teile und die Voraussetzung für die Erhal-tung seiner Leistungsfähigkeit. Daß er in erhöhtem Maße für das Offenhalten und Be-wegen des von Brustkorb und Zwerchfell gebildeten Hohlkörpers und seiner oben ge-schilderten eigenartigen Mechanik nötig ist, liegt auf der Hand.

48

Page 49: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

EBBINGHAUS in seiner »Funktionellen Anatomie« treffendgeäußert.

Der Rachen spielt in der Steuerung des Atems eine ähnliche Rollewie die Nase; seine Mitarbeit ist bezeichnenderweise beim Atem-schwachen in der Regel ebenfalls gestört. Sein oberer Teil, die »Ra-chenkuppel«, spielt dabei, als »hintere Nase«, mit deren vorderen Teil,der eigentlichen Nase, aufs engste zusammen. Der dort vorgeformteAtem wird von jener so weitergelenkt, daß er in laminar verlaufendenStromlinien reibungslos die Stimmritze passiert. Die erforderlicheEinstellung und Haltung des Rachens setzt ein störungsfreies Arbei-ten seiner Muskulatur voraus.

Bei bewußtem, korrektem Atmen wird also der Atem zwischen je-nen beiden Engstellen »hin und her geführt« und mit der Nase, inihrer ganzen Länge, wahrgenommen. Bei diesem richtigen »Schnau-fen« mit der ganzen Nase funktioniert auch das Riechen, das sicherlichebenfalls nicht verloren gehen sollte, aber mit diesem Schnaufen ge-meinsam nachzulassen pflegt. Richtiges Schnaufen und Riechen dürf-te für die Atmung ebenso wichtig und wertvoll sein wie richtigesKauen und Schmecken für die Verdauung.

Bei mangelhafter Atemsteuerung in den oberen Luftwegen verla-gert sich der atemsteuerende Widerstand früher oder später in dieStimmritze mit einer verhängnisvollen Reizung der Stimmbänderdurch den nunmehr turbulent strömenden Atem im Gefolge.

Klangbildung

Sie ist die andere Hauptaufgabe des Atemapparates.Zur Erzeugung des Klanges werden, außer den hierfür spezielle vor-

gesehenen Stimmbändern, dieselben Muskeln betätigt wie für dieAtembewegungen und die Atemsteuerung, und sie können dabei, ge-nau wie dort, sowohl korrekt als auch mehr oder weniger fehlerhafteingesetzt werden. Daß dies nicht nur für die Stimme, sondern auchfür die Atmung von Bedeutung ist, liegt auf der Hand.

Überdies ist, wie anschließend erläutert wird, die volle Leistungsfä-higkeit der Atmung ausschließlich durch Singen zu erreichen, da die dafürmaßgeblichen Kräfte nur hierbei maximal beansprucht und trainiertwerden. Daher ist die Kenntnis von der Tätigkeit des Atemapparatesbeim Ton ein notwendiger Bestandteil jeder Atmungstherapie.

49

Page 50: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Der Ton entsteht in den oberen, oberhalb der Stimmritze gelegenenLuftwegen; diese spielen dabei die Rolle des Klangkörpers, indem diedort stehende Luft durch das Vibrieren der Stimmlippen, den Rän-dern der sich anspannenden Stimmbänder, in Schwingungen versetztwird. Die Vibration dieser, wie gespannte Saiten sich verhaltendenStimmlippen kommt durch das Anblasen seitens der Lungen zustan-de. Gleichzeitig spannt sich - normalerweise - die gesamte Atemmus-kulatur, einschließlich des Bauchmuskelschlauches und der Mus-keln des Rachens, aufs kräftigste an. Diese erhöhte Anspannung desgesamten Atemapparates bleibt, unter geringen Variationen bei derGestaltung des Klanges, bestehen, solange der Ton klingt.

Dabei hat die Muskulatur des Rachens, dessen Wandung von ihrenkreuz und quer verlaufenden Bündeln gebildet wird (s. S. 56), 2 Aufga-ben:

1. den weichen Rachenschlauch durch Anspannen zum festen klang-fähigen Rohr, als »Kernstück« des erwähnten Klangkörpers werden zulassen,

2. die Kehle in ihrer, für das freie Spiel der Stimmbänder notwendi-gen, günstigen Stellung zu halten.

Die Regulierung des von den Lungen zum Anblasen verwendetenAtems, der »Minimalluft«, ist einzig und allein Sache der Lungen; jedesNachdrücken seitens der Rumpfmuskulatur ist dabei ebenso unange-bracht und schädlich wie beim Ausatmen. Der erforderliche Druck inden Lungen kommt dabei ganz offenbar durch ein echtes aktivesAnspannen zustande. Während sich nämlich die Lungen beim Ausat-men - »zurückfedernd« - entspannen und relativ schnell zusammen-ziehen, wobei die Luft unter geringstem Druck hinausgeschoben wird,müssen sie zur Erzeugung des Tones- erstens mehr Druck anwenden,- zweitens gespannt bleiben, um diesen Druck dauernd zu halten, wäh-rend sie sich- nach Maßgabe des dazu verbrachten Atems - langsam verkleinern.

Diese zur Tonerzeugung unerläßliche, erhöhte und andauerndeSpannung setzt das obenerwähnte aktive Anspannen der Lungen vor-aus. Es erfolgt mit Hilfe glatter Muskelfasern, die, spiralig im Zuge derBronchien verlaufend, ihren Teil zum Lungenzug beitragen und die

50

Page 51: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Wirkung der elastischen Bindegewebsfasern unterstützen resp. ver-stärken können *).

Nur so ist es möglich, mit dem in den Lungen angestauten Atem dieStimmlippen relativ lange und gleichmäßig anzublasen und - über-dies - den Druck und die Spannung in den Lungen zu variieren, jenachdem, wie es die Stärke des Tones und die Spannung der Stimmlip-pen (die Tonhöhe) erfordern.

AtemfiihrungDieses sich automatisch äußerst fein regulierende und empfindli-

che Zusammenspiel zwischen Lungen und Stimmritze ist nun da-durch ermöglicht und gesichert, daß sich die Atemmuskulatur mit demTonansatz kräftig anspannt und die gleiche Spannung, die weit größerist als die Anspannung beim Einatmen, während des ganzen Tones un-vermindert beibehält. Weite und Form des Brustraumes bleiben so eben-so gewahrt wie der Unterdruck (Abb. 18).

Abb. 18: Der Ton. Dynamik der Druck- und Luftregulierung. Spannung der gesamtenAtemmuskulatur (Atemstütze). Unbehindertes Zusammenspiel von Lungen undStimmritze

Die minimale »Luftabgabe« beim Klang geschieht also im Gegen-satz zum gewöhnlichen Ausatmen nicht unter Nachlassen der Span-

*) Auch das sowohl röntgenologisch als auch außen registrierbare, geringfügigeAndrängen der Lungen gegen die obere Brustkorböffnung bei korrekter Tonbildungweist deutlich auf die Wirkung dieser glatten Lungenmuskulatur hin; ebenso gewisseBeobachtungen an den Lungen bei Operationen im Brustraum.

51

Page 52: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

nung, sondern, im Gegenteil, unter Haltung einer verstärkten Querspan-nung. An diesem kräftigen Spannen sind sämtliche Elemente der letz-teren gleichmäßig beteiligt, einschließlich des Bauchmuskelschlau-ches, der das Zwerchfell abstützt, und, in geringem Maße - als »Rück-halt« für den Brustkorb - auch die Wirbelsäule. Ob die erhöhte Längs-spannung als Streckbewegung der Wirbelsäule in Erscheinung tretenmuß, mag dahingestellt bleiben. In geringem Ausmaß wäre es nichtabwegig.

Die Anspannung des Brustkorbes ist in seinem oberen Teil augen-fällig, der sich beim Ton geringfügig wölbt. Der untere Teil behält sei-ne Stellung als Halt für das sich kräftig spannende Zwerchfell. Letzte-res flacht sich dabei ab, gleichgültig, wieweit vorher eingeatmet war,und drückt gegen die sich ebenfalls, am meisten in der Taille, spannen-de Bauchmuskulatur, die ihm soviel Widerstand leistet, daß sich bei-de die Waage halten. Dabei wird die Taille etwas konzentrisch heraus-gedrückt, was in der Magengrube und den Lenden besonders deutlichzum Vorschein kommt. Es macht den Eindruck, als ob die Taille »her-ausgespannt wird«.

Im Gegensatz zum Atmen, bei dem ein Bewegen stattfindet, han-delt es sich also beim Klang um ein erhöhtes Halten. Es verbindet sich beimTon mit einem minimalen Erweitern des Brustraumes (obwohl natürlichkeine Luft einströmt). Es hängt dies offenbar mit der gleichzeitigenFormung der Lunge unter ihrem aktiven Spannen zusammen *).

Diese Haltungsspannung in Brustkorb, Zwerchfell und Bauchmus-kulatur bleibt - wie gesagt - während des ganzen Tones die gleiche, wäh-rend sich der Brustraum nach Maßgabe der aus den Lungen entweichen-den Minimalluft verkleinert. Der obere Brustkorb behält seine Formund Weite unverändert bei. Der untere Brustkorb dagegen folgt demKleinerwerden der Lungen und bewegt sich zusammen mit demZwerchfell im Sinne einer langsamen Ausatmung. Er wird also schma-ler resp. enger, während die Zwerchfell kupp el steigt. So bleiben diegünstigsten Druck- und Resonanzverhältnisse bis zuletzt gewahrt, je-de Störung durch Druck mit der Rumpfwand wird verhütet und dasfreie Spiel des ganzen inneren Klang- und Atemapparates bis hinaufzum Rachen gesichert.

*) Diese interessanten Einzelheiten sind noch Gegenstand der Forschung. Ob darüberschon sichere Resultate vorliegen, ist dem Verfasser nicht bekannt. Für die Praxis derTonbildung und die Anwendung der hier gegebenen Regeln sind weitere Einzelheitenentbehrlich.

52

Page 53: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Auf die bei der Tonvariation dort zusammen mit den in den Stimm-bändern und Lungen auftretenden Spannungsänderungen reagiertdie äußere Apparatur Brustkorb, Zwerchfell und Bauch automatisch,so daß die Form des klingenden Körpers und die gleichen günstigstenDruckverhältnisse erhalten bleiben, unabhängig von der Tonstärkeoder -höhe. Nur so ist das mühelose Spiel der Stimme möglich.

In dieser Muskeltätigkeit des Rumpfes besteht die viel diskutierteAtem- oder Tonstütze *). Sie ist als Halten der Querspannung unter erhöhterAnspannung der betreffenden Muskeln exakt definiert. Damit dürftediese Frage endgültig geklärt sein und der Streit um die verschiedenenBezeichnungen und Begriffe ist gegenstandslos geworden.

Der eingebürgerte Ausdruck »Stütze« ist im übrigen ebenso unzu-treffend und undeutlich, wie die ihm zugrunde liegenden Vorstellun-gen unklar sind. Es ist richtiger, von einem »Halt« des Atems beimTon zu sprechen.

Das Loslassen und Abströmen des Atems wie sonst beim Ausatmengehört keineswegs zum normalen Ton.

Mit dem Absetzen des Tones wird der bis dahin gehaltene Atem »los-gelassen«. Atemmuskeln und Lungen entspannen sich genau wiesonst beim Ausatmen bis zur Ruhespannung. Auch der vorher starkgespannte Bauchmuskelschlauch gibt wieder bis zu seiner Ruhespan-nung nach, wie er sie sonst beim Atmen hat.

Bei kontinuierlichem Singen und Sprechen erfolgt die Einatmungunmittelbar anschließend an das Absetzen des Tones und so blitz-schnell, daß sie damit zusammenzufallen scheint. Dabei wird durchden offenen Mund »mit dem Rachen« Luft geschöpft, in der gleichenWeise wie sonst beim Einatmen auch, jedoch mit größter Schnellig-keit. Diese »Schnelleinatmung« - ohne Widerstand - ist für ein sinn-volles Reden und Singen unerläßlich und nur durch den Mund mög-lich. Daß sie über den oberen Rachen gelenkt wird, ist bei allen gesun-den Stimmen eindeutlich herauszuhören. Liegt die Atemsteuerungnicht dort, so wird »mit der Kehle« eingeatmet, zum Schaden derStimmbänder.

Bei diesem Luftschöpfen bleibt daher der Mund nach dem Tonentweder so geöffnet, wie es der letzte Vokal vorschrieb, oder er wird -

*) Zwerchfell- und Bauchstütze meinen dasselbe; sie sind jeweils nach dem Teil desAtem-Tonapparates benannt, auf die der betreffende Autor sein besonderes Augen-merk gerichtet hat.

53

Page 54: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

nach einem Konsonanten - wie mit einem angedeuteten kurzen, offe-nen »e« (das stumme »e« des Französischen) geöffnet.

Bei schwerer körperlicher Anstrengung, relativer Erschöpfung oderbei Kreislaufversagen, dient die gleiche Mundatmung zur Entlastungder Atemmuskeln, damit für deren Arbeit möglichst wenig von demknapp werdenden Sauerstoff herangezogen werden muß. Diese»Schonatmung« muß ebenso mit dem Rachen gesteuert und ge-handhabt werden wie die »Schnellatmung« beim Sprechen undSingen.

Es sei noch erwähnt, daß bei dem geschilderten Luftschöpfen dieSpannung des Brustkorbes nachläßt; es klingt paradox, ist aber völligkorrekt, da das Einatmen ja geringeres Anspannen verlangt als derKlang. Der obere Brustkorb sinkt also bei diesem Luftschöpfen um soviel zusammen, wie er sich vorher geweitet hatte.

Die Brustkorbflügel verhalten sich verschieden, je nach der Längedes vorangegangenen Tones. War dieser kurz, so sind sie noch relativgespreizt, so daß sich das Nachlassen ihrer Spannung mit einem gerin-gen Zusammensinken verbindet. War der Ton jedoch lang, so daß vielLuft verbraucht wurde und sie sich schon einander genähert hatten,müssen sie sich mit dem Atemholen wieder etwas öffnen.

Der Luftwechsel beim Sprechen und Singen geschieht also andersals beim gewöhnlichen Atmen: statt des Ausatmens das Atemhalten,wobei die Luft ganz langsam entweicht; statt des langsamen Einat-mens mit der Nase ein sehr schnelles Luftschöpfen mit dem Mundresp. Rachen. Bei dieser Atemführung ist die Sauerstoffabgabe derLunge an das Blut offensichtlich ausreichend, obwohl der Luftwech-sel dabei weit geringer ist als beim gewöhnlichen Atmen; es ist sicher-lich eine Folge der besonders günstigen Gasaustauschbedingungenbei korrekter Tonerzeugung.

Eine Ausnahme von diesem unmittelbaren Wechsel zwischen Ge-spannthalten und Einatmen gibt es nur beim sogenannten »Schluch-zen«, einer Artistik des Singens, wo vor dem Ansetzen der neuen Phra-se, in direktem Anschluß an den vorhergehenden Ton schnell undkurz, ebenfalls durch den Mund, ausgeatment wird (der Atem wirdlosgelassen).

Die Funktion des Atemapparates beim Ton schließt sich also lo-gisch an die der normalen Atmung an, und die normale Atmung ist ei-ne unabdingbare Voraussetzung für den »gesunden« Ton; ein Argu-ment mehr für die Richtigkeit der hier vertretenen Atemmechanik.

54

Page 55: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Die engen Beziehungen zwischen Ton und Atmung sind derGrund, daß Atemschulung ohne Einbeziehen der Tonlehre Stück-werk bleiben muß, und ebenso dafür, daß das beste Atemtraining -das »natürliche Turnen der Atmung« - im korrekten Gebrauch derStimme zu sehen ist. Daß der gesunde Säugling schreien muß, ist einealte Weisheit.

Besonders der obere Brustkorb wird nur durch die richtige Ton-funktion beim Sprechen und Singen ausreichend geübt, weit mehr alsdurch die Nasenenge. Auch der Lungenzug, die»Spannkraft« der Lun-ge, zum mindesten jene, die auf muskulären Elementen beruht, wirdweit mehr durch den Ton als durch die Nase trainiert. Nasenatmungund Ton ergänzen sich, können einander aber nicht ersetzen. Das Sin-gen ist für die Brust so nötig wie Arbeit, Tanz und Spiel für die Gliederund den Rücken. Arbeit, Spiel und Gesang sind deshalb die 3 Grund-pfeiler gesunder körperlicher Entwicklung und sinnvoller Leibeser-ziehung. Sie ergänzen und fördern sich gegenseitig. Die Vollendung derBrustkorbform erreicht jedoch nur der richtige Ton, und nur durch ihn wirdeine Reserve an Leistungsfähigkeit des Atemapparates geschaffen, die auchaußergewöhnlichen Belastungen gewachsen ist. Mit dem Wegfall destäglichen Singens geht ein Teil der gesunden Lebensweise verlorenund die Atmung verfällt. Darum mußten, seit uns das Singen undLachen verging, Bronchialasthma und Lungenblähung, die Krank-heiten des versagenden Atemapparates, zunehmen.

Funktion des Rachens und Verhalten der Kehle, des Kiefers undder Zunge beim Ton

Das für unsere Zwecke notwendige Verständnis für das Muskelspielin den oberen Luftwegen beim Klang ergibt sich aus folgenden Zu-sammenhängen: Die Kehle bildet das obere Ende der Luftröhre (den»Kopf«); ihre obere Öffnung sieht nach hinten in den Rachen hinein.Sie hängt oben dicht an dem waagerecht darüberliegenden, hufeisen-förmigen Zungenbein, das einerseits mit mehreren Muskelpaaren ander Unterfläche des Schädels und am Unterkiefer aufgehängt undnach unten zum Brustbein und zur Schulter durch einige Muskelpaareabgesteift ist. Dadurch ist der Kehlkopf mitbefestigt; außerdem hat erdirekte Muskelverbindungen mit Brustbein und Unterkiefer. Aufdem Zungenbein sitzt die kurze, säulenförmige Muskelmasse der hin-teren Zunge, die »Zungenwurzel«. Sie wird einerseits vom Zungen-

55

Page 56: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

bein getragen, andererseits hängt sie selber mit 3 Muskelpaaren anSchädel und Unterkiefer.

Kehlkopf, Zungenbein und Zunge sind also ein durch Muskelnvielfach miteinander verbundenes Gefüge, das an Schädel und Unter-kiefer aufgehängt und zum Brustbein und zur Schulter hin abgesteiftist; an ihm hängen die Lungen an der Luftröhre wie an einem kurzenSchlauch in den Brustraum hinein.

In der Kehle liegen die Stimmbänder: schmale, sehr zarte undempfindliche Gebilde aus Muskelfasern und Bindegewebe, überzo-gen von einer dünnen Schleimhaut. Sie verlaufen waagerecht von vor-ne nach hinten. Ihre Stellung und Spannung wird von mehreren klei-neren, größtenteils im Kehlkopfinneren gelegenen Muskeln reguliert,die auch die Stimmritze, den Spalt zwischen den Stimmbändern, ver-größern und verkleinern oder ganz schließen können.

Hinten hängt die Kehle an der Muskelwandung des Rachens. Dieserist ein länglicher Hohlraum, der senkrecht hinter Nase, Mund und Kehlegelegen ist. Vorne ist er zum größten Teil offen und steht so mit diesenRäumen in Verbindung. Sein Dach liegt etwas höher als die äußereÖffnung des Gehörganges. Unterhalb des Kehleinganges geht er alsSchlund, der sich nur beim Schlucken öffnet, in die Speiseröhre über.

Die röhrenförmige Wandung des Rachens wird von Muskeln gebil-det, die im wesentlichen ringförmig und etwas schräg verlaufen undden Rachen verengen, verkürzen und auch verschieben können. Sieentspringen an der Unterfläche des Schädels, der Hinterfläche desOberkiefers und hinten am Unterkiefer. Auch von der hinteren Zun-ge, vom Zungenbein und von der Kehle her strahlen Muskelbündelnach hinten aufwärts in die Rachenwand ein. Alle drei, Zunge, Zun-genbein und Kehle, hängen also auch an der Rachenmuskulatur unddaher auch dort miteinander zusammen.

TonansatzMit dieser Rachenmuskulatur wird der Klang »gehalten« und »ge-

steuert« genauso, wie oben beschrieben, der Atem mit der Rumpfmus-kulatur. Es geschieht normalerweise automatisch, kann aber auch, hierwie dort, kontrolliert und bewußt mit der Vorstellung geschehen,- den Klang an seinem »Sitz« oben innen, in der Mitte des Kopfes, zuhalten *).

*) oder - exakt physikalisch - dem »Halten des Klangraumes«.

56

Page 57: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Der Geübte kann dabei die Anspannung der oberen Rachenmusku-latur wahrnehmen; es ist die gleiche Stelle, die als »hintere« innere Na-se auch bei der Formung des Atems mitspielt.

Die Anspannung dieser, auch ohne Klang willkürlich zu handha-benden Muskulatur ist am Gaumensegel, dem sichtbaren Teil der vor-deren Rachenwand, zu beobachten. Beim Atmen hängt diesesentspannt und völlig ruhig, auch beim Einatmen durch den Mund wiebeim Sprechen, Singen und bei körperlichen Anstrengungen. Esspannt sich beim Ton als ein Teil der Rachenmuskulatur, wobei sichdas Zäpfchen geringfügig verkürzt. Ob sich das Gaumensegel dabeiheben darf oder nicht, mag dahingestellt bleiben.Unsicherheit in diesem »Klanghalt« ist für die Stimme ebenso, ja viel-leicht noch verhängnisvoller als unzulängliche Atemführung imRumpf.

Die Zunge ist an der Klangbildung nicht aktiv beteiligt. Sie wird aberbei den Spannungsänderungen der Rachenmuskulatur über die hin-ten in sie hineinziehenden Rachenmuskeln geringfügig passiv betei-ligt.

Während nun ein starrwandiges Blasinstrument immer nur einegleichbleibende Klangfarbe hat und seinen Ton nur in Stärke und Hö-he variieren kann, sind die Möglichkeiten bei der menschlichen Stim-me weit größer.

Der Rachen kann, ohne dabei seine Grundeinstellung zu ändern,die Resonanz durch kleinste Änderungen seiner Wandspannung ein-schließlich seiner Form variieren.

Die Tonhöhe wird von den Stimmbändern reguliert, deren Breite,Länge und Spannung durch ihre Muskeln entsprechend eingestellt wer-den. Alle übrigen Klangvariationen sind Sache des Mundes, der denKlang zum Laut formt, während dieser hinten mit der Klangstelle fort-laufend »gehalten wird«. Die verschiedenen Formen der Mundhöhle fürdie einzelnen Laute kommen durch die entsprechenden Stellungen vonZunge, Lippen und Kiefer zustande. Die vor dem Rachenrohr gelege-ne Mundhöhle wirkt dabei als ein Vorsatzgerät, das, mit dem Haupt-klangrohr verbunden, durch seine weitgehende Verstellbarkeit ent-sprechend zahlreiche Klangvariationen möglich macht.

Dabei dürfen die hier stattfindenden Bewegungen das Muskelspieldes Rachens bei der Klangbildung ebensowenig stören, wie dieses dasSpiel der Stimmbänder; die betreffenden Muskelgruppen müssen völ-lig unabhängig voneinander arbeiten.

57

Page 58: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Das Geheimnis der korrekten Handhabung der Stimme besteht inder Fähigkeit, den Ton mit der Klanghaltemuskulatur des oberen Ra-chens im sicheren Griff zu haben - den gesicherten Stimmsitz -, wäh-rend unabhängig davon mit Zunge, Lippen und Kiefer der Klang zumLaut geformt wird.

Das Artikulieren beim Sprechen und Singen ist ein Aneinanderrei-hen mehrer Laute. Träger des Klanges sind die Vokale - die Klinger -und die Summer (einschließlich »L« und »R«).

Die Konsonanten sind nichtklingende, mit den gleichen, obenerwähnten Sprechwerkzeugen produzierte Geräusche verschiedenerArt, die, den Klang unterteilend, an der Artikulation teilnehmen.Auch sie müssen so erzeugt werden, daß nicht die geringste Verände-rung »der Klanghaltung« im Rachen eintritt, ebensowenig eine Span-nungsveränderung der Muskulatur, des »Atemhaltes« im Rumpf.

Das gilt auch für die »Strömungslaute« wie »F«, »S« und »H« und de-ren Abkömmlinge, die mit Hilfe der drei ihnen zugeordneten Artiku-lationsstellen gestaltet werden, durch die Luft abströmt, ohne daß dieStimmbänder in Schwingungen geraten.

Flüstern kommt ebenso zustande; nur tritt hier die Artikulation mitdem Mund hinzu. Das Gesetz von der Minimalluft gilt auch für dieStrömungslaute und das Flüstern. So erklärt sich der auffallendeUnterschied im Klang eines »H«, das auf korrekte Weise, d.h. oben imRachen geformt, zustande kommt, und demjenigen, das im Gegensatzdazu in der Stimmritze entsteht. Ersteres hat eine gewisse Kopfreso-nanz und ist weithin hörbar, letzteres nicht. Durch Bandaufnahmenläßt sich dieser Unterschied deutlich objektivieren.

Nähere Einzelheiten darüber zu kennen, ist zur Gesunderhaltungdes Atems und der Stimme nicht unbedingt nötig, gehört jedoch zurPflege und Kultur der Sprache. Andererseits würde die Kenntnis die-ser »funktionellen Anatomie des Klanges« jeder Stimmbildung einesichere Basis geben; zur Wiederherstellung einer geschädigten Stim-me ist sie unerläßlich. Diese ist dann - aber eben nur dann - relativeinfach *).

Der gesamte Vorgang der Klangeinstellung, von den Stimmbändernbis zum Mund, verläuft normalerweise automatisch ab - unter Kon-trolle des Gehörs und von Vorstellungen gelenkt. Er ist, wie alle Tätig-keit quergestreifter Muskulatur, sehr störanfällig, und die dafür maß-

*) Vgl. PAROW, J.: Funktionelle Stimmschulung. Hippokrates, Stuttgart 1977.

58

Page 59: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

geblichen Muskeln können sehr leicht durch Fehlspannungen in be-nachbarten Muskelgruppen beeinträchtigt werden.

Die Kenntnis dieser Zusammenhänge ist daher in der Atmungsleh-re unentbehrlich.

Einfluß der Gesichts-, Kiefer- und Zungenmuskulatur auf Atem-steuerung und Klang

Die Muskeln, zwischen denen die Kehle so aufgehängt sein soll,daß das freie Spiel der Stimmbänder voll und ganz gesichert ist, stehennach oben mit denen des Gesichts, der Kiefer und der Zunge (über dieuntere Rachenmuskulatur und den oberen Teil der vorderen Hals-muskeln), nach unten mit denen des Rumpfes (über den unteren Teilder letzteren) in Verbindung. Zum Teil stehen sie überdies zu denStimmbandmuskeln in direkter Beziehung. Deren Tätigkeit kann da-her auf vielerlei Art und Weise beeinflußt werden, so daß Störungennicht nur unmittelbar in ihnen selbst, sondern auch - indirekt - ausFehlform und Fehlbewegung des Rumpfes oder fehlerhaftem Verhal-ten der Gesichts-, Kiefer- und Zungenmuskulatur entstehen können.

Sowohl für die richtige Atemsteuerung als auch den korrekten Ton-ansatz ist die normale Spannung und Arbeitsweise aller dieser benach-barten Muskelgruppen unerläßlich. Nur dann ist die Atemsteuerungdurch die Nase und die offene Stimmritze bei der Atmung gewährlei-stet, die korrekte Stimmband- und Lungenarbeit bei der Tonerzeu-gung möglich und eine fehlerhafte Funktion der Stimmbänder bei derAtmung und beim Ton zu vermeiden.

Das normale Spiel der Nasenflügelist nur bei normalem Zustand (Län-ge und Spannung) der Wangenmuskeln möglich, so wie es einem ge-lassenen Gesichtsausdruck entspricht.

Auch die Rachenmuskulatur kann nur dann die für die Atem- undTonsteuerung nötige korrekte Form des Rachens herstellen, wenn dieihr benachbarte Zungen- und Kiefermuskulatur ebenfalls korrektfunktioniert, da sie sonst von ihr verzerrt wird und sich verspannt.

Damit sind auch die Gesichtsmuskeln für den Rachen von ähnlicherBedeutung wie für die Nase; jeder ihrer Spannungsfehler zieht dieZunge und meistens auch den Kiefer in Mitleidenschaft und überträgtsich auf diesem Wege auf den Rachen usw.

Die normale Ruhestellung der Zunge ist daran zu erkennen, daß ihrvorderer Teil breit und weich entspannt den Bogen der unteren Zähneausfüllt, während sie hinten ebenso locker und völlig entspannt ver-

59

Page 60: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

hältnismäßig tief unterhalb des Gaumens »schwebend« gehalten wird.Sie ist dabei flach, glatt und breit; die Gaumenbögen und das ganzeZäpfchen sind zu sehen.

Über die Stellung des Kiefers bedarf es keines besonderen Hinwei-ses. Sein richtiges Öffnen beim Sprechen und Singen und der zugehö-rigen Mundatmung ist jedoch merkwürdig wenig bekannt.

Bei korrektem Öffnen bleibt der Kiefer hinten. Es geschieht we-sentlich durch Nachgeben der Kaumuskeln, das den Unterkiefer sin-ken läßt. Dabei bewegt sich der Kieferwinkel nach hinten, das vor demOhr tastbare obere Ende des senkrechten Kieferastes bleibt auf sei-nem Platz und bewegt sich kaum. Jedes Anspannen irgendwelcherMuskeln dabei ist falsch, z.B. das so häufig zu beobachtende Spannender vorderen Halsmuskeln und des Mundbodens.

Das Schließen des Kiefers ist ein Heben durch die Kaumuskeln. DieGesichtsmuskulatur (Lippen) nimmt an den Kieferbewegungen nichtaktiv teil (weicher Lippenschluß). Bei richtigem Gebrauch von Kieferund Zunge ist der Mundboden nie herabgedrückt; es ist am Profil desHals-Kinnwinkels abzulesen.

Auch die Halsmuskulatur soll an den Bewegungen des Kiefers beimSprechen und Singen nicht teilnehmen. Sie hält die Kehle unter ge-ringstem zusätzlichen, ausgewogenen Anspannen und ohne jede Ver-schiebung in ihrer Stellung. Ihr korrektes Verhalten wird durch diekorrekte Haltung der Wirbelsäule gefördert. Die normale Körperformist also nicht nur Grundlage und Voraussetzung der normalen Atem-bewegungen des Rumpfes, sondern auch der Atemsteuerung und derTonbildung.

Neben diesen funktionell-anatomischen, in mechanischen Span-nungs- und Druckverhältnissen sichtbar werdenden Beziehungenspielen sicherlich auch reflektorische Verbindungen zwischen denverschiedenen Teilen eine Rolle und erklären die nicht seltene Beo-bachtung, daß eine korrigierte Atemsteuerung häufig auch bessereAtembewegungen nach sich zieht.

Das sich die subtile Muskeltätigkeit in den oberen Atemwegen nursehr schwer demonstrieren läßt und der Beweis für die Richtigkeit die-ser Behauptungen zwar wissenschaftlich abzuleiten, aber nicht ohneweiteres experimentell vorzuführen ist, kann erst der eigene Versuchüberzeugen; er verlangt ein eingehendes Probieren und Studieren. Istman aber von der Wahrheit des Satzes von der Beziehung zwischenSchönheit und Gesundheit überzeugt, so ist dieser auch hier ein siche-

60

Page 61: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

rer Wegweiser. Der Gesichtsausdruck der griechischen Plastik ist derdes körperlichen und seelischen Gleichgewichts, das den gelöstenAusdruck des weisen, glücklichen Lächelns auf ihren Zügen hervor-zaubert. (Denselben Ausdruck hat auch »Die Unbekannte aus der Sei-ne«, Mona Lisa u.a.; ja sogar die von tiefer Sorge erfüllte »Kassandra«KLINGERS.) Dieser Ausdruck ist nur in Verbindung mit der entspre-chenden entspannten Zungen- und Kiefer-Rachenstellung möglich.Auch manche Buddhafiguren zeigen neben der idealen Haltung desKörpers das leise Lächeln der Gelöstheit, und die entspannte innereHaltung ist in ihrem Gesicht zu lesen.

Natürliche Ausgleichsgymnastik der Atmung

Stöhnen, Seufzen, Gähnen, Lachen

Diese speziellen Arten, die Atmung zu gebrauchen, können ebensowie das Atmen selbst und das Singen, korrekt oder falsch gemacht wer-den.

Beim korrekten Stöhnen spannen sich sämtliche Teile des Atemap-parates in der gleichen Weise wie beim Ton, während, genau wie dort,eine minimale Luftmenge durch die fast geschlossene Stimmritzeentweicht, jedoch ohne daß die Stimmlippen vibrieren. Die Steue-rung des Atems im Rumpfund die des »geflüsterten Klanges« mit demoberen Rachen sind die gleichen. Stöhnen dient dazu, einen von Ver-spannung bedrohten Atemapparat zu dehnen und seine Spannung zunormalisieren.

Das Anstauen des Atems ist im Stöhnen ebenso enthalten wie in derKlangbildung. Es erfolgt korrekterweise ohne jeglichen Druck (s. S.52). Es setzt daher eine gut funktionierende Atemmuskulatur voraus,die imstande ist, den Rumpf dabei weit zu halten. Die Kehle bleibt inihrer Ruhelage, die Stimmbänder können - unter nur minimalerAnspannung - ganz oder fast geschlossen oder auch offen sein.

Seufzen ist ein besonders schnelles und ausgiebiges Ausatmen unddient zur Entspannung von Atemmuskeln und Lungen; es stellt sichdaher gerne ein, wenn diese aus irgendwelchen Gründen unwillkür-lich zu gespannt gehalten werden und verhütet sowohl eine über-mäßige Strapazierung der Lungen als auch eine Überlastung des Kreis-laufs durch Druckanstieg im Brustraum: »der Stein fällt vom Herzen«.Dabei ist es gleichgültig, ob man den Atem mit der Nase oder nur mitdem oberen Rachen steuert. Man darf also mit beiden, sowohl »mit der

61

Page 62: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Nase«, als auch »mit dem Rachen« - durch den offenen Mund - seuf-zen, nicht aber »mit der Kehle« oder »mit der Brust«. Das heißt, derRumpf muß auch beim Seufzen seine Form halten, Brustkorb undBauch sinken nicht mehr ein wie sonst beim Ausatmen. Die Wirbel-säule soll gestreckt bleiben. Das bei den gängigen Entspannungsübun-gen im Sitzen und Stehen meistens praktizierte In-sich-zusammensin-ken des Rumpfes unter Beugen der Wirbelsäule und Senken des Brust-korbes gehört nicht dazu; es verengt den Rumpf unter übertriebenerHerabsetzung der Muskelspannung (Erschlaffung) und hat die auf S.68 erwähnten Nachteile des unkorrekten und intensiven Ausatmens.

Beim Gähnen sind Stöhnen, Stauen und Seufzen miteinander kom-biniert:Nach einem relativ tiefen Einatmen durch den offenen Mund mit ei-nem hinten im Rachen erzeugten Widerstand - »Ch« - spannen sichdie Atemmuskeln unter drucklosem Stauen resp. anschließendemStöhnen maximalen.. Danach wird mit einem Seufzen schnell ausgeat-met. Die Lungen spannen sich beim Anstauen des Atems ebenfallskräftig an, ähnlich wie beim Ton. Der Brustkorb entspannt sich zuallerletzt, entweder zusammen mit dem Zwerchfell oder sogar nochetwas später.

Gähnen bedeutet also für die Atemmuskeln - und für die Lunge -dasselbe wie das Räkeln, Recken und Strecken für die Muskeln derWirbelsäule und der Glieder; bezeichnenderweise stellt es sich auchgerne zusammen mit diesem ein, wenn die Tätigkeit aller dieser Mus-keln längere Zeit stark herabgesetzt war: so nach langem Schlaf, länge-rem Stillsitzen u.a. Ein erhöhtes Sauerstoffbedürfnis, das in der Popu-lärmedizin immer noch gern als »Erklärung« dafür herangezogenwird, dürfte nach einem ausgiebigen Schlaf kaum vorliegen. Auch beiMüdigkeit könnte das Gähnen zur Aktivierung der nachlassendenMuskulatur dienen. Daß es dabei durch den erhöhten Unterdruck imBrustraum auch dem Kreislauf dient, dem die Anregung durch Mus-kelarbeit längere Zeit fehlte, ist anzunehmen. In diesem Sinne dürfteauch das Gähnen bei Erschöpfung und drohendem Kollaps zu verste-hen sein.

Lachen ist ein schneller Wechsel zwischen Ton und Ausatmung,zwischen Anspannen und Loslassen. Was das Singen als »Turnen derAtmung« diese kräftigt, erhält das Lachen, deren »Tanzen«, sie ela-stisch.

62

Page 63: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Der Ton soll dabei an der oben beim Klang erläuterten Stelle imoberen Rachen »sitzen«, während der Rumpf, genau wie beim Singen,weit gehalten wird.

Blasen und PfeifenAuch dabei muß der Brustkorb in der gleichen Weise wie beim Ton

in seiner Stellung gehalten werden, mit der Vorstellung, dazu nur dieim Kopf befindliche Luft benutzen zu wollen. Die Steuerung desAtems, die Dosierung von Druck und Geschwindigkeit ist Sache desMundes (der Lippen-, Wangen- und Zungenmuskulatur), währendder Rachen das reibungslose Nachströmen des Atems gewährleistet.

Der Rumpf muß sich dabei ähnlich verhalten wie beim Ton; derBrustkorb ist gespannt und darf, solange geblasen wird, nicht etwa ein-sinken *).

Ob sich auch das Zwerchfell dabei in ähnlicher Weise anspannensoll wie beim Ton, mag dahingestellt bleiben. Beobachtungen an ei-nem mit dem Rüssel blasenden Elefanten sprechen eher dafür **).

*) Das Blasen »mit der Lunge« oder »mit der Brust«, beides am Einsinken des Brustkor-bes zu erkennen, ist grundfalsch.**) Diese Atemsteuerung ermöglicht es geübten Bläsern, mit der Mundluft ununter-brochen weiterzublasen, während sie, durch die Nase einatmend, die Lungen wiederauffüllen.

63

Page 64: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow
Page 65: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

II. Fehlatmung

Fehlerhafte Atembewegungen des RumpfesDie Fehlatmung ist durch die auf S. 30 geschilderten, in Richtung

der Körperachse verlaufenden, passiven Brustkorbbewegungen ein-deutig gekennzeichnet.

Diese ungünstige Art zu atmen ist die unvermeidliche Folge einerunzureichenden Querspannung (s. S. 29-31), wobei die verminderteSpannkraft des Brustkorbes im Mittelpunkt steht. Dieser spielt inerster Linie deshalb die maßgebliche Rolle, weil der Wirkungsgrad desZwerchfells von ihm abhängt; es kann seine Spannkraft nur nachMaßgabe des Haltes einsetzen, den ihm der Brustkorb bietet *).

Infolge der daraus resultierenden verminderten Leistungsfähigkeitdes muskulären Atmungsapparates wird dessen Arbeit, das Einatmen,von anderen, an sich nicht dafür vorgesehenen Muskelgruppen über-nommen. Diese können zwar auch den Brustraum erweitern, verän-dern aber die Atembewegungen im ungünstigen Sinne (s. S. 17). Stattdes normalen Weitens in horizontaler Richtung - quer zur Körper-achse - durch Anspannen seiner eigenen Muskeln im Sinne der Nor-malatmung wird die Arbeit mehr oder weniger und mehr schlecht alsrecht von den sogenannten Atemhilfsmuskeln übernommen und die

Abb. 19: Richtige Atembewegung desBrustkorbes----- Einatmung————— Ausatmung

Abb. 20: Falsche Atembewegung desBrustkorbes- - - - - Einatmung————— Ausatmung

*) Anm.: Die Stärke von Zug oder Druck ist durch die Festigkeit ihres Ausgangspunk-tes (beim Hebel dessen Drehpunkt) begrenzt.

65

Page 66: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

seitliche und vordere Wandung des Brustkorbes gehoben und gesenkt- zum Schaden der Atmung und auf Kosten ihres Nutzeffektes(s. S. 37-42).

An dieser im Mittelpunkt der Fehlatmung stehenden Bewegung desBrustkorbes sind folgende 3 Muskelgruppen beteiligt:

1. die Muskeln des Schultergürtels,2. die tiefsitzenden Halsmuskeln und3. die Rückenmuskeln

Abgesehen von besonderen Umständen, wie hochgradiger Wirbel-säulendeformierung, beginnt die Entwicklung der Fehlatmung stetsunter Anwendung der vorderen äußeren Brustmuskulatur (Mm. pec-torales, zuerst des M, pectoralis minor). Nach und nach nehmenimmer größere Partien der Schultermuskulatur daran teil, einschließ-lich der Nackenmuskeln und des hinteren Sägemuskels, früher oderspäter auch die der Wirbelsäule.

Das Ausmaß und die unterschiedliche Beteiligung dieser Muskelnist abhängig von individuellen Eigenheiten, Sitz und Art störenderMuskelüberspannungen und den durch die jeweilige Haltung derWirbelsäule gegebenen statischen Verhältnissen.

Das gleiche gilt für die Rückenmuskulatur. Strecken der Brustwir-belsäule wirkt ähnlich wie die oben erwähnten Muskeln auf die vorde-re und seitlichen Brustkorbwände, ist aber genau gesehen ein Hebenvon hinten durch die Wirbelsäule, während jene sie vorne hochziehen.

Auf dieses fehlerhafte Einatmen mit den drei genannten Muskel-gruppen folgt zwangsläufig ein Ausatmen durch Fallenlassen oder -später - Herunterziehen des hochgezogenen Brustkorbes rsp. Senken deshochgehobenen Brustkorbes durch Beugen der Wirbelsäule.

Die eigentlichen Brustkorbmuskeln passen sich früher oder späterden durch die stärkeren Hilfsmuskeln geformten Bewegungen an, sodaß es zu einem Antagonismus zwischen den Mm. externi undinternikommen kann, der bei schweren Fehlatmungsformen auch stets ein-tritt.

Die Fehlatmung ist an den vertikalen Bewegungen des Brustbeines,der Rippenbögen und des Schlüsselbeins zu erkennen. Schon bei dergeringsten Teilnahme der Schultermuskulatur, die mit Anspannen deskleineren Brustmuskels beginnt, wird das Schlüsselbein etwas geho-ben, während es bei der Normalatmung ruhig stehen bleibt; normaler-weise soll es sich mit der Atmung überhaupt nicht bewegen. Daher wird

66

Page 67: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 21: ausgeprägte Fehlatmung (irrtümlich) als »Tiefenatmung« bezeichnet)

der Beginn der Fehlatmung hier zuerst und am deutlichsten sichtbar,und die Grenze zwischen Normalatmung und Fehlatmung ist damiteindeutig abgesteckt. Die gleiche Bewegung ist, allerdings wenigerdeutlich, an den Schultern zu registrieren. Auch die Verschiebung derBrustbeinspitze in senkrechter Richtung ist charakteristisch, in ihrenAnfängen aber weniger leicht zu erkennen als die Bewegung desSchlüsselbeins, die als sicherstes Merkmal gelten kann.

Daß ein gewisser Grad von Fehlatmung so allgemein anzutreffen istohne merkbare Nachteile oder gar Beschwerden zu verursachen, hat die-se mit den fast ebenso verbreiteten Fuß- und Wirbelsäulenfehlern ge-meinsam. Es gibt auch sicherlich ebenso viele Atemschwächlinge ohneAtembeschwerden wie Rücken- und Fußschwächlinge ohne Beschwer-den. Kleine Defekte fallen nur nicht so deutlich ins Auge wie große, dadie entsprechende Verringerung der Belastungsbreite relativ gering'ist

67

Page 68: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 22: Normalatmung Einatmung(Rippenbögen durchgehend, Zwerchfellkuppel gestrichelt)Horizontale Bewegung des Brustkorbes - ausgiebige Bewegung der Zwerchfellkuppeln

Abb. 24: Fehlatmung Einatmung(Rippenbögen und Zwerchfellkuppel wie oben)Vertikale Bewegung des Brustkorbes - geringe Verschiebung der Zwerchfellkuppeln

68

Page 69: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 23: Normalatmungs. gegenüberliegende Abb. 22

Ausatmung

Abb. 25: Fehlatmungs. gegenüberliegende Abb. 24

Ausatmung

69

Page 70: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Vorhanden ist sie zweifellos; ob sie jedoch zutage tritt, hängt von demVerhältnis der jeweiligen Beanspruchung zum Grad der Abweichungvon der Norm ab, durch die jene verursacht und bestimmt ist.

Einschränkung der ZwerchfellbewegungZu der Verringerung der Zwerchfellwirkung im Rahmen der nach-

lassenden Querspannung gesellt sich seine durch die Fehlatmung be-dingte Bewegungseinschränkung (Abb. 19/20).

Da das Zwerchfell am Rande der unteren Brustkorböffnung - denRippenbögen - befestigt ist, wird es mit diesen mitbewegt. Das Hoch-ziehen der Rippenbögen bei der Einatmung nimmt also den vorderenund seitlichen Zwerchfellrand mit nach oben und arbeitet dadurchder absteigenden Zwerchfellbewegung entgegen; während sich seineKuppeln senken, werden seine vorderen seitlichen Randteile nachoben gezogen. Dem entspricht bei der Ausatmung eine Einschrän-kung des Zwerchfellsteigens durch das Hinunterschieben des Zwerch-fellrandes (Abb. 20). Auf diese Weise wird die Bewegung des Zwerch-fells je nach dem Grad der Fehlbewegung des Brustkorbes verändertund ihr Effekt verringert. Das kann bei einer Röntgendurchleuchtungbeobachtet und gemessen werden, von einer geringen Einschränkungder Zwerchfellkuppelbewegung bis zu ihrer völligen Umkehrung.

Im übrigen bedürfen die gängigen Vorstellungen vom Verhaltendes Zwerchfells der Ergänzung:

1. Tief- und Hochstand kann sich auf seine Lage im Rumpf bezie-hen. Diese wird von der Stellung des Brustkorbs, in dem es befestigtist, bestimmt und ist in Bezug auf die Wirbelsäule zu sehen.

2. Tief- und Hochstand kann sich auf die Zwerchfellkuppel bezie-hen, also eine relativ Ein- resp. Ausatmungs^fc//«^ bedeuten. BeideZwerchfellhaltungen können sich mit den beiden verschiedenenZwerchfeülagen kombinieren.

3. Außerdem ist zwischen dem Zustand relativ normaler Spannungund dem der Erschlaffung zu unterscheiden.

Letzterer kann sich sowohl bei herabgesunkenem als auch bei hoch-gezogenem Brustkorb finden, also sowohl bei hoher als auch bei tieferZwerchfellage.

Die Kuppeln des erschlafften Zwerchfells können herabgesunkenund abgeflacht sein. Dieser Zustand ist von einer entsprechendenallgemeinen Ptose begleitet. Sie können aber auch durch gasgefüllte,

70

Page 71: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

überdehnte Verdauungsorgane nach oben gedrängt und gewölbt wer-den, da die schwachen Zwerchfellmuskeln diesen nicht genügend Wi-derstand leisten können. Es ist einscheinbarer Zwerchfellhochstand, derweder mit der Ausatmungsstellung noch mit der Hochlage desZwerchfells verwechselt werden darf. Diese funktionellen Unterschei-dungen wären ebenso ein Gewinn für die einschlägige Diagnostik, wiesie es für eine funktionelle Behandlung sind.

Fehlbewegung des Bauches

Die Bewegungen des Bauches sind bei mäßiger Fehlatmung nur ver-ringert. Dies wird besonders an der Ausatmung sichtbar, bei der dasvom Brustkorb nach unten verschobene Zwerchfell die normale Ver-engung des Bauchmuskelschlauches einschränkt; das »weiche« Ein-sinken der Bauchwand hört noch vor Beendigung der Ausatmungs-phase auf oder unterbleibt ganz. Bei stärkerer Fehlatmung wird derBauch beim Einatmen sogar eingezogen und beim Ausatmen heraus-gedrückt; die vordere Bauchwand bewegt sich dann umgekehrt als beider Normalatmung, die Lende bewegt sich kaum. Sobald sich die Wir-belsäule etwas mehr an der Atmung beteiligt, muß es regelmäßig zudieser umgekehrten Bewegung kommen, da die Verengung des Rump-fes unter Beugen der Wirbelsäule schneller eintritt, als durch Abströ-men der Luft ausgeglichen werden kann.

Die Bauchwand kann sich dabei in dem Bestreben, dem Druck Wi-derstand zu leisten, recht stark anspannen. Trotzdem aber wird sie he-rausgedrückt, es sei denn, die Brustwand ist bereits derartig schwach,daß die Eingeweide sich dort Platz schaffen können und den unterenBrustkorb auseinanderdrängen, wie es bei hochgradigem Atemverfallnicht selten vorkommt.

Fehlerhafte Lungenbewegung

Die Lungen werden bei der Fehlatmung anders bewegt als bei derNormalatmung, wie es den Formveränderungen des Brustraumes ent-spricht, denen sie zwangsläufig folgen. Statt sich beim Ausatmen insenkrechter Richtung zu verkürzen, werden sie von vorne nach hintenzusammengedrückt und gleichzeitig etwas nach unten geschoben.

71

Page 72: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Diese Verschiebung ist bei der Durchleuchtung an einer bogenförmi-gen Bewegung der Bifurkation nach unten-hinten zu erkennen; sie be-trägt ca. 1-1,5 cm.

Dabei werden Kehle, Luftröhre und Bronchien in die Länge gezerrt.Daß die Bronchien dadurch verengt werden, liegt auf der Hand: einSchlauch wird beim Strecken enger. Ob die Zerrung an ihnen sieaußerdem zur Abwehrspannung ihrer Muskeln reizt, was sich im glei-chen Sinne auswirken würde, mag dahingestellt bleiben; es ist durch-aus denkbar.

Größer als die Verengung der Bronchien durch Zerrung dürfte die-jenige sein, die sich aus der Verengung der Lunge in sagittaler Rich-tung ergibt. Während sich die Lunge bei der normalen Ausatmung we-sentlich kaudal-kranialwärts verkleinert und wenig in sagittaler Rich-tung, wird die Lunge bei der Fehlatmung im umgekehrten Sinne in

--«'A

b)

Abb. 26: Nachteile der Fehlatmung für die Lungena) Einatmung bei gestrecktem Rückgrat und haltendem Brustkorbb) Ausatmung bei gestrecktem Rückgratc) Ausatmung bei nachlassendem Rückgrat und sinkendem Brustkorbd) Ausatmung bei Beugung des Rückens(die punktierte Linie gibt die Konturen bei normaler Ausatmung an)

72

Page 73: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Richtung von vorn nach hinten um ca. 1/3 ihres sagittalen Durchmes-sers zusammengedrückt (Abb. 28, S. 75).

Beides führt zu einer entsprechenden Verengung der unteren Luft-wege in ihrem gesamten Umfang. Während diese bei dernomalen, dieLunge verkürzenden Ausatmung eher weiter werden - durch Stau-chung -, werden sie bei der fehlerhaften Ausatmung durch ZerrungQuetschung enger. Die Verengung beeinträchtigt nicht nur den Luft-wechsel, sondern muß sich auch über die Erhöhung des Ausatmungs-widerstandes ungünstig auf den intrathorakalen Druck auswirken,dessen Schwankungen infolge der Art der Atembewegungen bei derFehlatmung an sich schon größer sind als bei der normalen Atmungund mit einer relativ großen Verringerung des Unterdruckes einherge-hen.

Eine erhebliche Bedeutung dürfte auch der Verengung der Kapilla-ren und Alveolen zukommen, so daß die Gasaustauschfläche bei derFehlatmung zweifellos weitgehend verkleinert ist, im Gegensatz zurNormalatmung, bei der sie auch in der Ausatmungsphase relativ weitbleiben. Diese auf S. 42 bereits näher erläuterten Faktoren beeinträch-tigen die Leistung der Lungen, den Gasaustausch, infolge der vonihnen verursachten schlechteren Durchblutung und Durchlüftungund der verkleinerten Atemfläche.

Die über die Bronchien an die Kehle weitergeleitete Zerrung bringtüberdies die Gefahr eines zusätzlichen Atemwiderstandes in derStimmritze durch reflektorische Abwehrspannung in den Stimmbän-dern mit sich.

Die im Zuge der Fehlatmung auftretende Verringerung der Lei-stungsfähigkeit findet darin zwanglos ihre Erklärung, ebenso derUmstand, daß sie parallel mit dem Ausmaß der Fehlatmung variiert.

Fehlerhafte AtemsteuerungIn Verbindung mit den oben geschilderten fehlerhaften Atembe-

wegungen ist auch die Atemsteuerung so gut wie regelmäßig im glei-chen Sinne verändert, was sich zwanglos aus den engen Beziehungenzwischen den verschiedenen Teilen des Atemapparates erklärt (s. S.47/48).

Schwäche der Atemmuskeln führt z.B. regelmäßig zum Weitstellender vorderen Nase - und umgekehrt. Bei hochgradigem Atemverfallkommt es sogar oft zu einer Umkehrung der normalen Nasenbewe-gung: die Nasenflügel gehen beim Einatmen, von bestimmten Wan-

73

Page 74: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 27: Richtige Ausatmung bei aufgestelltem Brustkorb (wie Abb. 23)

genmuskeln gezogen, auseinander, um der schwachen Atemmuskula-tur die Arbeit zu erleichtern, und gehen dann beim Ausatmen - losge-lassen - wieder zusammen. Es wird früher oder später an den dauerndangespannten Wangenmuskeln augenfällig.

Selbstverständlich zieht die fehlerhafte Steuerung in der vorderenNase auch die des Rachens in Mitleidenschaft und gefährdet damitauch die Kehle, die nun als engste Stelle der oberen Atemwege, dieAtemsteuerung übernehmen muß. Anfangs macht sich dies nur da-durch bemerkbar, daß die entstehende Turbulenz des Atemstromesdie unteren Luftwege reizbar und »erkältungsanfällig« macht. Mit derZeit aber kann sich daraus eine Preßatmung entwickeln, da sich die

74

Page 75: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Abb. 28: Falsche Ausatmung mit Herabdrücken der vorderen Brustwand. Zusammen-drücken der Bronchien (wie Abb. 25)

Stimmbänder, die an sich beim Atmen entspannt und weitgestellt seinsollen, gegen die sinnwidrige Belastung und Reizung durch Anspan-nen wehren und die Stimmritze alsbald mehr und mehr verengen. Da-mit wird die anfangs noch unauffällige »Entgleisung der Atemsteue-rung« an einem deutlichen Atemgeräuscb in der Kehle erkennbar.Schließlich kann es sogar soweit kommen, daß die Kehle beim Atmenvom Luftstrom an den Stimmbändern hin und her geschoben wird.

Ebenfalls durch die Fehlatmung in Mitleidenschaft gezogen ist dieKlangbildung. Auch hier sind die auftretenden Störungen auf ungün-stigen Muskeleinsatz zurückzuführen. Ihr Ausgangspunkt kann anverschiedenen Stellen liegen: im Rumpf, Rachen oder Mund. Falsche

75

Page 76: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

»Atemstütze« - Verengung statt Weithalten des Rumpfes - ruiniertdie Klangbildung; mangelhafte Klangführung im oberen Rachen-raum und dessen unsicheres Halten der Kehle stört die korrekteAtemstütze. Schließlich läßt jede Lautformung mit dem Mund, dienicht das Gesetz des Minimalaufwandes berücksichtigt, den Klang anFülle usw. verlieren.

Beim Stöhnen, Gähnen und Lachen verhält es sich ähnlich. Diese na-türlichen Ausgleichsübungen der Atmung verlieren durch falschesHandhaben der Atemmuskeln oder Steuerung an falscher Stelle ihrenWert. Sie kommen dann unter Verengung des Rumpfes und Drucker-höhung im Brustraum zustande und werden so zur Strapaze fürAtmung und Kreislauf (s. Emphysem). Das gleiche kann beim Blasenund Pfeifen eintreten.

Ursachen der FehlatmungDie Grundlage der normalen Atmung, eine ausreichende Quer-

spannung, kann auf verschiedenen Wegen verloren gehen:1. Deformierung der Wirbelsäule. Sie ist meistens auf schlechte Hal-tungsgewohnheiten zurückzuführen und zwangsläufig von entspre-chenden Formveränderungen des Brustkorbes und Schädigung seinerMuskulatur begleitet.2. Bauchmuskelschwäche nach Schwangerschaft und Operationenoder als Folge obiger Deformierung.3. Taillenverengende Kleidung, mit der die Atmung beim Europäer sogut wie regelmäßig vom ersten Tage seines Lebens an in falsche Bah-nen gedrängt und geschädigt wird.4. Atemmuskelschwäche nach Operationen am Brustkorb.5. Fehlendes automatisches Dauertraining bei Nasenerkrankungen.6. Gemütsbedingte Muskelverspannungen und schlechte Atemge-wohnheiten.7. Strapazierung der Atmung besonders durch ungünstige Art des Hu-stens und schlechte Atemgewohnheiten.8. Stimmstörungen.

Zu l. Wie eingangs (s. S. 19 und Abb. 2) erwähnt, bringt jede Abwei-chung der Brustwirbelsäule von der Norm zwangsläufig eine Senkungder Rippenkörper - ihre Schrägstellung - mit sich; es kommt alsAbflachung und Verengung des Brustkorbes zum Ausdruck und ist alsZeichen und Begleiterscheinung der Atemschwäche besonders beiKindern sehr überzeugend. Die ungünstige Rippenstellung führt zur

76

Page 77: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Verkümmerung der Brustwandmuskulatur und bedingt eine ungün-stige Lage des Zwerchfells, das außerdem auch noch in gleichem Maßean Spannkraft und Wirkung verliert, wie ihm der geschwächte Brust-korb weniger Halt gibt. So entsteht die Neigung, anstelle der ge-schwächten Atemmuskeln die sogenannten Hilfsmuskeln einzuset-zen. Überdies muß die Schrägstellung der Rippen bei jeder Einatmungdurch deren Aufstellen mit Hilfe des Rückenstreckers oder durchHochziehen mit Hilfe des Schultergürtels, einschließlich einer ent-sprechend abgeänderten Rippenmuskelarbeit ausgeglichen und derBrustkorb bei jedem Atemzug neu aufgestellt werden.

Der Haltungsverfall beginnt in den zivilisierten Ländern fastimmer in den ersten Schuljahren. Er ist so allgemein verbreitet, daßder Rundrücken bei uns sogar im Sport als »normal« hingenommenwird. Dieser Rückenschaden ist die Folge des stundenlagen Sitzens, ei-ne, im Gegensatz zum Hocken vieler Naturvölker, »naturwidrige« Be-lastungsart für die Wirbelsäule, die dabei ihren Halt am Becken ver-liert, da dieses seinerseits nicht mehr von den Beinmuskeln gehaltenwird. So kommt es durch den Verlust an Längsspannung zwangsläufigzu einer entsprechenden Minderung der Querspannung und einerRumpfdeformierung, deren Grad das Ausmaß der darauf beruhendenFehlatmung bestimmt; es sei denn, die Atemmuskeln werden durchbesonders günstige Faktoren in leidlichem Kräftezustand erhalten(korrekte Nasenatmung, Singen u.a.).

In ähnlicher Weise geben selbstverständlich auch Erkrankungenusw. im Bereich des Brustkorbes zum Verfall der Atemmuskulatur ausÜbungsmangel Anlaß.

Zu 2. Ebenso kann der Atmungsverfall die Folge einer Bauchmus-kelschwäche sein, die sich nach Operationen, Schwangerschaft undschweren Krankheiten einzustellen pflegt, wobei allein schon die Län-ge der Bettruhe nicht wenig mitspielt. Die Schwäche der Bauchmusku-latur zieht zwangsläufig die beiden anderen an der Querspannung be-teiligten Muskelpartner in Mitleidenschaft. Die Ausatmungsbewe-gung des Zwerchfells verringert sich, seine Kuppeln treten infolge derfehlerhaften Stützung von unten tiefer.

Der Brustkorb muß sich dabei der Erweiterung nach unten anpas-sen und einsinken; seine Spannkraft wird dadurch erheblich verrin-gert. Die Folgen für die Atmung zeigen sich, wenn nach der Zeit derMinimalbeanspruchung des Krankenlagers wieder höhere Ansprüchean sie gestellt werden.

77

Page 78: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Die geschwächte Bauchwand wird durch das Gewicht der Eingewei-de noch zusätzlich überdehnt, das jetzt auf ihrem unteren, vorgewölb-ten Teil lastet. Dieser senkrechte Druck, den normalerweise die knö-cherne Schale des Beckens auffängt, übersteigt den normalen Seiten-druck, auf den sie eingerichtet ist, um ein Vielfaches. Ihm kann dieBachwand auf die Dauer nicht standhalten.

Zu 3. Diese Zivilisationsschädigung ist höchstwahrscheinlich diehauptsächliche, direkte Ursache der Fehlatmung und der Grund fürihre allgemeine Verbreitung; sie ist ebenso eine der beiden Ursachenfür die „Erkältungsanfälligkeit" der Säuglinge und Kleinkinder (dieandere ist das übliche zu warme Bekleiden zum »Schutz vor Erkältun-gen«). Auch an die geschnürten Taillen früherer Zeiten sei erinnert,die zu dem zähen Irrtum, auch vieler Lehrbücher, geführt haben, fürFrauen sei die Brustkorbatmung »natürlich« und vorgesehen.

Zu 4. In ähnlicher Weise gegen selbstverständlich auch Erkrankun-gen usw. im Bereich des Brustkorbes zum Verfall der AtemmuskulaturAnlaß.

Zu 5. Die Kraft der Atemmuskeln muß nachlassen, wenn ihr auto-matisches Training durch die Düsenwirkung in der vorderen Nase län-gere Zeit hindurch ausfällt.

Es ist in typischer Weise bei gewohnheitsmäßigem Mundatmenmancher Kinder zu beobachten.

Dem kann eine allgemeine, ebenfalls als Zivilisationsschadenentstandene, konstitutionelle Muskelschwäche zugrunde liegen, dieein unwillkürliches Ausschalten des Nasenwiderstandes veranlaßt,oder eine spezielle Schwäche der Atemmuskulatur, die auf die obenunter 3. geschilderte Weise entstanden ist.

Ob aber die bei Mundatmern häufige Schleimhauterkrankungender Nase und Vergrößerungen der Rachendrüsen als Ursachen desMundatmens und damit indirekt auch als die der Fehlatmung anzuse-hen sind oder nur als deren Begleiterscheinungen infolge mangelhaf-ter Atemführung (-Steuerung) und fehlender Luftmassage, brauchthier nicht entschieden zu werden. Im letzeren Falle könnten sie durch-aus als eine sinnvolle Reaktion des Organismus gedeutet werden,der den fehlenden Einatmungswiderstand zu ersetzen bemüht ist. DerNasenkranke wird veranlaßt, der Belästigung durch kräftiges »Schnie-

Anm.: Selbst schwere, immer wieder rezidivierende Polypen sind durch hartnäckiges,nur anfangs etwas schwieriges Üben des Nasenatmens zum Schwinden zu bringen;weit besser als die frühere innere Nasenmassage und -dusche.

78

Page 79: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

fen« zu begegnen; es kommt sowohl seiner Atemmuskulatur als auchseiner Nase zugute.

Sehr naheliegend ist der Fortfall der Düsenwirkung heutzutage beiden Einwohnern zivilisierter Gegenden. Ein Großstädter z.B. mußseine Nase unwillkürlich breitstellen; nur durch Ausschalten des Rie-chens kann er es in seiner Luft überhaupt zur Not aushaken.

Zu 6. Muskelverspannungen aus psychischen - zu deutsch gemüts-bedingten - Ursachen können die Atmungauf verschiedenen Wegenbeeinträchtigen.

Verspannte Bauchmuskulatur hindert die Zwerchfellbewegung, sodaß der Brustraum, statt durch Senken der Zwerchfellkuppeln nachunten, durch Hochziehen des Brustkorbes nach oben erweitert wer-den muß.

Gemütsbedingte Verspannung kann auch dadurch zur Fehlatmungführen, daß die Gesichtsmuskulatur, als Ausdruck einer »verspann-ten« Stimmungslage, verzerrt ist und die Nasenspitze dadurch, in dieBreite gezogen, zu weit wird. Ähnlich kann die gleiche Stimmungslagedurch entsprechende Fehlspannungen an der Zunge, der Kiefermus-kulatur und der vorderen Halsmuskeln die Lage und die Funktion vonRachen und Kehle stören.

Zu 7. Weitgehend gemütsbedingt sind auch bestimmte schlechteAtemgewohnheiten, die im übrigen auch mit Muskelschwächen im Zu-sammenhang stehen.

Das gewohnheitsmäßige Mundatmen siehe oben.Unwillkürliches Luftanhalten ist ein weit verbreiteter Fehler. Oft

durch ein schnelles vorhergehendes Luftschöpfen eingeleitet, wird esgerne beim Arbeiten mit den Armen angewandt, in der unbewußtenTendenz, den Drehpunkt der als Hebel wirkenden Arme mit Hilfe derprall gefüllten Lunge zu fixieren, da die dafür vorgesehene Muskelket-te dieser Aufgabe nicht recht gewachsen ist. Die Schultergelenke, dieden Armen einen festen Halt bieten sollen, werden normalerweisevon den Füßen her über Becken, Wirbelsäule und Schultergürtel ge-halten. Dieser Halt wird ersatzweise durch »pralles Aufblasen« desRumpfes mit Hilfe der Lungen erreicht (Stabilisierung durch Luft-druck) - eine verhängnisvolle »Hilfe«!

Außer bei dieser äußeren Slmpannungbesteht häufig die Neigung, sichauch bei inneren Belastungen, statt ihnen mit »Haltung und Gelassenheit«zu begegnen, durch »Sichaufblasen« Festigkeit vorzutäuschen oder zuverschaffen - bekanntlich ein vergebliches Unterfangen.

79

Page 80: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Die Lungen werden durch die Gewohnheit, den Atem anzuhalten,erheblich strapaziert, ebenso die Atemmuskeln, da ihnen die Erho-lung der normalen Entspannung zwischen den Anspannungsphasender Einatmung weitgehend abgeht.

Nach allen vorangegangenen Erläuterungen liegt es auf derHand, daß die Atmung bei Armarbeit, der eigentlichen Hauptbe-schäftigung des Menschen - im wahrsten Sinne des Wortes, »in Ruhegelassen« werden soll, um sich, ebenso wie der Kreislauf, ungestörtund automatisch auf den erhöhten Sauerstoffbedarf einstellen zukönnen.

Auch Gemütsbelastungen werden gelassen (!), d.i., ohne ängstlicheAnspannung, leichter ertragen.

Dieser Strapazierung der Atmung wird dort, wo sie in Verbindungmit seelischer Anspannung auftritt, durch Seufzen und Stöhnen, beikörperlicher Anstrengung durch das bekannte »Hau-ruck« des geüb-ten Schwerarbeiters vorgebeugt.

Die größte Gefahr für die Atmung bedeutet jedoch ein mit starkemPressen verbundener Husten. Hier zeigt sich besonders schnell, daß dieRumpfmuskulatur dem starken Innendruck auf die Dauer nichtstandhalten kann und nachgibt; mit der daraus resultierenden Rumpf-deformierung geht die entsprechende »Atemdeformierung« Hand inHand.

Die gleiche schädliche Art, den Atem zu handhaben, gibt es beimBlasen von Musikinstrumenten (früher auch bei Glasbläsern, S. 63).Es geschieht hier jedoch in der Regel unter geringerem Kraftaufwandund geringerem Überdruck als beim Husten und es ist daher verständ-lich, daß sich bei dem gleichen ungünstigen Handhaben der Atmungerstens auch die gleichen Schädigungen einschließlich der Lungener-weiterung einstellen, ebenso aber auch, daß diese zu ihrer Entwick-lung längere Zeit benötigen, und daß auch hier der Muskelschwachebesonders gefährdet ist.

Von den Fehlern im Stimmgebrauch wirkt sich gepreßtes Sprechen imgleichen Sinne aus; der geringeren Druckstrapazierung entsprechendjedoch ebenfalls langsamer als das Husten.

Beim klangschwachen Sprechen fehlt das normale, kräftigeAnspannen der Atemmuskeln und der Lungen.

Bei allen Stimmschäden sind »funktionelle Fehler« als maßgeblicheUrsachen allgemein anerkannt. Das heißt weiter nichts als ein nichtkonstruktionsgerechtes Handhaben der zuständigen Muskulatur, der

80

Page 81: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

gleichen, die sowohl für das Atmen als auch zur Klangerzeugung be-nutzt wird. Damit sind die Beziehungen zwischen Atmung und Stim-me resp. deren Fehlern vollauf erklärt. Auch wird damit die Bedeu-tung der Längs- und Querhaltungsspannung für die Stimme verständ-lich, die sich sowohl über die äußere muskuläre Aufhängevorrichtung- den vorderen Halsmuskeln - als auch über die innere - die Rachen-muskulatur - auswirken. Es bedarf keiner Erläuterung, daß mit denStellungs- und Haltungsfehlern der Kehle auch die Stimmbandtätig-keit aufs schwerste beeinträchtigt ist.

Fortschreiten der Fehlatmung und besondere FormenIn der Ruhe oder unter geringer Beanspruchung brauchte sich die

Fehlatmung kaum bemerkbar zu machen, obwohl sie - als eingeübteBewegungsgewohnheit - natürlich nachweislich vorhanden ist.Unkorrigiert verschlimmert sie sich mit der Zeit automatisch, wobeiihr Schweregrad der Schwäche der Atemmuskulatur parallel geht.Diese Entwicklung geht um so schneller, je größere Ansprüche an dieAtmung gestellt werden, da sich Fehler, wie auf S. 83 erläutert, bei Be-lastungen gegenseitig verstärken.

Je nach Häufigkeit und Schwere der Belastung kommt es daher unterdauerndem Absinken der Leistungsfähigkeit auch zur aktiven Mitarbeitder inte, interni beim Ausatmen. Schließlich lernt sogar die Bauchmus-kulatur, die Fehlfunktionen zu unterstützen und zieht den Brustkorbbeim Ausatmen herunter. Sie arbeitet also dann ganz anders als bei dernormalen Atmung und paßt sich ebenso wie die Rippenmuskeln denvon den überlegenen Kräften geprägten Bewegungen an.

Eine besondere Form der Fehlatmung entsteht durch Bevorzugungder hinteren Schultermuskulatur beim Einatmen; sie wird durch einen ho-hen Rundrücken begünstigt und ist dadurch gekennzeichnet, daß die-se Muskelpartien den Brustkorb vorzugsweise hinten hochziehen. Re-lativ bald führt außerdem der mangelnde Halt der Wirbelsäule dazu,daß sich diese, im Gegensatz zu der bei der einfachen Fehlatmungüblichen Streckung, beim Einatmen beugt, resp. zusammensinkt undkürzer wird; dem entspricht eine rückläufige Streckbewegung beimAusatmen.

PreßatmungDas Pressen mit dem Atem dürfte jedem geläufig sein; man bringt es

willkürlich zustande, indem man die eingeatmete Luft unter Veren-

81

Page 82: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

gungdes Brustraumes mit der Rumpfmuskulatur gegen die geschlosse-ne Stimmritze drückt. Unwillkürlich geschieht es manchmal beimschweren Heben u.a. (s. S. 78). Dabei wird die Belastung durch dieDruckerhöhung im Brustraum besonders am Kreislauf sehr deutlich(Blutrückstau usw.) *).

Ob normalerweise jemals gepreßt werden darf oder gar muß, istmindestens fraglich. Im letzteren - keineswegs seltenen - Fall dürfte esaus einer schwachen, fehlerhaften Atmung zu erklären sein.

Man kann aber nicht nur bei stehendem, angehaltenem Atem pres-sen, so wie im obigen Versuch, sondern auch beim Ausatmen.

Ersteres ist die dem normalerweise (s. S. 52) drucklosen Anstauenentsprechende Fehlfunktion, letzeres das katastrophale Endstadiumder Fehlatmung, bei dem der Atem nicht mehr von den Lungen - fastdrucklos - herausgeschoben, sondern von den Rumpfmuskeln unterÜberdruck im Brustraum herausgedrückt wird. Daß dies durch das Sen-ken des Brustkorbes begünstigt wird, wurde oben schon erläutert(schnellerer Schub unter Verengung des Ausatmungsweges). Ohnedieses Brustwandsenken hielte sich die Druckerhöhung in mäßigenGrenzen.

Von selbst kommt es als eine im Zuge der Fehlatmung auftretendeVerschlimmerung demnach nur dort zum Pressen, wo der Rumpf sei-ne Querhaltung bereits weitgehend eingebüßt hat.

Daß es beim Husten, der maximalen Anstrengung der Atmung,sehr leicht zum Pressen kommt, liegt auf der Hand.

Nicht selten kommt es auch, durch relativ geringe Herabsetzungder Querspannung begünstigt, bei der Tonerzeugung, beim Stöhnen,Lachen oder Blasen zum Pressen, die ja einen größeren Krafteinsatzerfordern als das Atmen.

Zum dauernden, gewohnheitsmäßigen Preßatmen kommt es mei-stens erst bei fortgeschrittenem Verfall der Atmung, wie im späterenStadium einer Lungenerweiterung. Daß dabei das Pressen beim Hu-sten, Sprechen u.a. dem Preßatmen die Wege ebnet, liegt auf derHand.

Der Atem widerstand verlagert sich, wie auf S. 74 erläutert, sehr baldwesentlich in der Stimmritze; es ist an einem typischen, reibendenKehlgeräusch zu erkennen.

*) Anm.: im VALS ALVAschen Versuch willkürlichen starken Fressens besonders gutzu beobachten.

82

Page 83: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

III. Kranke Atmung

Funktion und Fehlfunktion -Leistungsfähigkeit und Versagen der Atmung

Für die Entwicklung der Fehlfunktion und ihre Bedeutung für Lei-stungsfähigkeit und Versagen des Atemapparates gelten folgende Re-geln:

Die Leistungsbreite nimmt mit der Größe der Funktionsfehler undmit dem Nachlassen des automatischen Übens ab.

Die Fehlfunktion schwächt die Kräfte der normalen Funktion fort-laufend und in zunehmendem Maße, da sie durch Gewöhnung baldauch bei geringerer Beanspruchung an deren Stelle tritt und die eigent-lichen Atemmuskeln, kaum benutzt, mehr und mehr verkümmern.

Ein anderer folgenschwerer Nachteil der Fehlfunktion liegt in derTatsache, daß sich Fehler gegenseitig fördern und verstärken unddurch automatisches Einüben fixieren. Aus diesen Gründen schreitetdie Einschränkung der Leistungsbreite zwangsläufig weiter fort.

Erhöhten Ansprüchen versucht die Fehlfunktion durch erhöhtenKraftaufwand gerecht zu werden. Solange das gelingt, ist die Lei-stungsschwäche - die Arbeitsinsuffizienz des betreffenden Apparates- mit Hilfe der Fehlfunktion kompensiert *).

Da aber der Kraftaufwand im Verhältnis zur erreichbaren Leistungsehr groß sein muß, wird relativ bald die Grenze der Leistungsfähig-keit erreicht und Anstrengung - äußerste Anspannung aller Kräfte -tritt ein. Sie vergrößert die Fehlfunktion besonders stark, da die Fehlereiner Bewegung mit ihrem Ausmaß und der Kraft wachsen, mit der sieausgeführt werden.

Die Anstrengung bei Beanspruchung bis zur äußersten Grenze derLeistungsbreite beschleunigt daher deren Absinken.

Darum tritt je nach der Dauer ihres Bestehens und der Schwere derFehlfunktion, respektive der vorliegenden Leistungsschwäche undder Höhe der gestellten Ansprüche früher oder später der Zeitpunktein, an dem der betreffende Apparat einer größeren Belastung nichtmehr gewachsen ist und versagt. Die geforderte Leistung wird trotz größ-ter Anspannung aller Kräfte nicht mehr bewältigt (Überanstrengung).Die Atmung ist dekompensiert. Diese Dekompensation ist zunächst*) Diese Kompensierung kann sogar durch Training vorübergehend verbessert resp.vergrößert werden. So entsteht der Eindruck, die übliche, mit passiven Brustkorbbe-wegungen ausgeführte Atemgymnastik sei zweckmäßig.

83

Page 84: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

vorübergehend; sie schwindet, wenn die Beanspruchung wegfällt. Bleibtsie jedoch bestehen, so vermehrt sich die Überlastung um die Mengeder nicht bewältigten Arbeit (das »Leistungsmanko«). Die Dekom-pensation nimmt zu. Arbeitsinsuffizienz und häufige, vorübergehende De-kompensation beschleunigen die Abnahme der Leistungsbreite. Versagen,Überanstrengung und Funktionsfehler verstärken sich gegenseitig imCirculus vitiosus. Ist die Arbeitsinsuffizienz so weit vorgeschritten,daß sie das Arbeitsleben behindert, so ist die Schwäche zur Krankheitgeworden, gekennzeichnet durch Beschwerden und Leistungsausfall.

Sinkt die Leistungsfähigkeit so weit, daß sie auch den Ansprüchennicht genügt, die völliger körperlicher Ruhe - biologischen Minimal-belastung - an sie gestellt werden, so ist die Insuffizienz absolut, die De-kompensation zum Dauerzustand - zum Siechtum - geworden.

Mit Wiederherstellung und Kräftigung der Normalfunktionschwinden die Fehlfunktion und ihre Folgen.

Diese Verhältnisse sind beim Blutkreislauf bekannter als bei derAtmung. Trotz Herzmuskelschwäche und mechanischen Herzklap-penfehlers kann die funktioneile Leistung genügend groß sein, umden Ansprüchen bei mäßiger körperlicher Arbeit zu genügen. DerHerzfehler ist dann kompensiert. Erst bei weiterer Belastung über dieGrenze der Leistungsfähigkeit hinaus kommt es zum Versagen. DieKreislaufschwäche tritt nun in das Stadium der Kreislaufkrankheitmit Arbeitsinsuffizienz ein. Langdauerndes Bestehen von Fehlernpflegt die Leistungsbreite entsprechend einzuengen. KörperlicheAnstrengung und hinzutretende Krankheit bedeuten erhöhte Bela-stung (erhöhte Leistungsansprüche); sie disponieren bekanntlich zum»Versagen des Kreislaufs«. Die eintretenden Funktionsstörungen er-schweren die Kreislaufarbeit weiter, was wiederum zu erhöhterAnstrengung für das fehlerhaft funktionierende Herz führt. DieInsuffizienz verschlimmert die Fehlfunktion. Andererseits wird dieLeistungsfähigkeit des Herzmuskels durch Schonung - also Wegfalljeder Beanspruchung - nicht gehoben. Dies wird dagegen durch syste-matisches Training erzielt. Training bedeutet aber nichts anderes alsRegulierung und Erweiterung der richtigen Funktion unter Entwick-lung der muskulären, respektive anderer organischer Kräfte. Diefunktionelle Behandlung, selbst die organischer Herzfehler, von nam-haften Ärzten im Gegensatz zu der alten Schonungsbehandlung ein-geführt, wendet die Erkenntnisse von der Beziehung zwischen Krank-heit und Funktionsschwäche in genialer Weise an.

84

Page 85: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Auch am Bewegungsapparat kommen die hier skizzierten Regelnbesonders deutlich zur Geltung. Ihre Fehler entstehen ebenso wie dieKreislaufstörungen aus Schwäche, durch Verletzung und Krankheitoder aus - psychologisch bedingten - schlechten Gewohnheiten; sieverschlimmern sich automatisch und können zum krankhaften Ver-sagen führen, das zwangsläufig entweder durch den Mißbrauch ansich (Rücken, Beine), durch das Hinzutreten besonders hoher Bela-stungen oder durch Krankheiten herbeigeführt wird. Bis dahin aberverursachen solche Fehler nur gelegentliche Beschwerden, obwohl dieLeistungsschwäche deutlich ist und die Fehlfunktion schon zu einerentsprechenden Fehlform - Rundrücken, Senkfüßen usw. - geführthaben kann.

Für die Atmung gilt ähnliches. Das als Krankheit registrierte Versa-gen des Atemapparates, die Dekompensation der Atmung, tritt auchhierin dem Augenblick ein, in dem bei herabgesetzter Leistungsfähig-keit ein sie übersteigender Leistungsanspruch gestellt wird *).

Da die mangelnde Belastungsbreite durch die Fehlatmung bedingtet,ist diese als die maßgebliche Voraussetzung für die Arbeitsinfuffizienz derAtmung anzusehen.

Eine mäßige Fehlatmung braucht dabei noch keineswegs zu Be-schwerden zu führen. Ihre Belastungsbreite reicht aus, um den an siegestellten Ansprüchen durch erhöhten Luftwechsel zu genügen; dieAtmung ist noch kompensiert.

Hochgradige Fehlatmung dagegen kann die Leistungsfähigkeit so-weit verringern, daß die Arbeitsinsuffizienz als krankhafter Zustandin Erscheinung tritt.

Erhöhte Belastung liegt bei körperlicher Anstrengung, Verengungder Atemwege durch entzündliche oder allergische Schleimhaut-schwellungen oder nervöse Verkrampfung, schließlich auch bei fal-scher Kehlfunktion bei der Klangbildung und beim Husten vor.

Auch eine akute Erkrankung, besonders der Atemwege, bedeutet ei-ne Belastungserhöhung, während sie gleichzeitig die funktionelle Lei-stungsfähigkeit erheblich herabsetzt. Daher treten Asthmabeschwer-den, das Versagen der Atmung, gern erstmalig auf, wenn der »Atem-schwächling« an einer Bronchitis - sogar einer katarrhalischen -erkrankt.

*) Die Verhältnisse hegen bei der Atmung nur insofern günstiger als beim Kreislauf, alsdie für ihre Qualität maßgebliche Muskulatur - zum Unterschiede von jenem und ge-nau wie die des Bewegungsapparates - willkürlich gehandhabt und trainiert werden kann.

85

Page 86: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Asthmatische Erkrankungen

Das zum Schluß des vorigen Kapitels geschilderte Verhalten ist ty-pisch für eine Gruppe von Krankheiten, bei denen das sogenannteasthmatische Syndrom im Mittelpunkt steht. Dieses ist im Sinne deroben gegebenen funktionellen Definition als Zustand der Atmungsde-kompensation zu verstehen, die eintritt, wenn die durch Fehlfunktion ge-schwächte Atmungunter der jeweiligen Belastungversagt. Dabei veranlaßtdie auf ungenügende Sauerstoffabgabe an das Blut zurückzuführendeAtemnot eine erhöhte Atemarbeit, bei der sich die zugrunde liegen-den Atemfehler zwangsläufig steigern, ohne aber deren Auswirkun-gen kompensieren zu können.

Im Gegenteil: man kann das asthmatische Atmen sehr wohl als ver-mehrtes, aber wenig wirkungsvolles Atmen bezeichnen, das sich so-gar, analog den »frustranen« Kontraktionen des versagenden Herzens,bis zum »frustranen Atmen« steigern kann. Sowohl der Anfall des»echten« Asthmas als auch die asthmatischen Beschwerden der Lun-generweiterung manifestieren m.a.W. beide das Versagen - die Dekom-pensation - einer relativ zu schwachen - arbeitsinsuffizienten - Atmung.

Die Belastungen bestehen- in allgemeiner, den Sauerstoffbedarf steigernder körperlicher Be-lastung oder- in einer durch Verengung der Bronchien bedingten Erschwerungder Atmung.

Daß die Erscheinungen des Versagens daher mit der Belastungkommen und gehen, liegt auf der Hand; es pflegt unsere Vorstellungvon diesen Krankheiten und ihrer Behandlung zu prägen. Ebensosehrsollte es aber auch einleuchten, daß die Arbeitsinsuffizienz derAtmung, ihre Schwäche, dafür mindestens ebenso entscheidend istoder sogar ausschlaggebend sein kann: Eine normale, leistungsfähigeAtmung versagt nicht.

Die Funktionelle Atmungstherapie beseitigt durch Normalisierungder Atembewegungen und Kräftigung der Atemmuskulatur diekonstitutionelle Voraussetzung des asthmatischen Syndroms.

Als »funktionell - organische Rehabilitierung« ist sie deshalb alsechte Kausalbehandlung asthmatischer Erkrankungen zu werten.

86

Page 87: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Lungenerweiterung

Bei der Lungenerweiterung bleiben die Lungen dauernd, auch imRuhezustand am Ende der Ausatmung, mehr oder weniger gefüllt undgedehnt, statt sich auf ihren normalen Umfang zu verkleinern. Zu die-ser Lungenblähung kommt es durch das Zusammenspiel zweier Fak-toren:- dem Pressen mit dem Atem, wodurch im Inneren des Rumpfes einÜberdruck erzeugt wird (s. S. 82),- einer unzureichenden Spannkraft der die Form und Weite desRumpfes sichernden Muskulatur, die dieser Belastung nicht standzu-halten vermag.

Beides sind Eigentümlichkeiten der Fehlatmung. Die Lungenerwei-terung kann demnach als eine Fehlform der Lunge bezeichnet wer-den, die sich aus einer weitgehenden, mit Pressen verbundenen »Fehl-form der Atmungsbewegungen« ergeben muß.

Dabei spielt der Verlust einer ausreichenden, die Weite haltendenQuerspannung die ausschlaggebende Rolle. Das Pressen kann erstdann - und nur dann - zur Überdehnung der Lunge führen, wenn dieRumpfwand dem starken resp. häufigen Druck von innen nicht mehrstandhalten kann und nachgibt. Es pflegt meistens erst nach längererEinwirkung eines Hustens oder ähnlichem einzutreten, wenn diesermit starkem Überdruck im Brustraum, d.h. mit Pressen einhergeht.Dann wird mit dem Rumpf die Lunge auf getrieben und deformiert, da siedem Brustraum in Form, AusdehnungundBewegungfolgt. Sie verhält sichwie die Blase eines Fußballs, dessen Hülle nachgiebig geworden ist.

Ob die Muskeln des Rumpfes nachgeben, ist abhängig von demVerhältnis ihrer Spannkraft (ihrer Leistungsfähigkeit) zur Höhe desDruckes und der Dauer seiner Einwirkung (der Belastung). Der Zeit-punkt dieses Nachgebens wird, mit anderen Worten, durch die Höhe desVerlustes an Querspannung bestimmt.

Die allgemein geltende Annahme, der Überdruck beim Husten seidie allein maßgebliche Ursache der Lungenerweiterung, wäre durchein einfaches Experiment zu widerlegen: Es würde zeigen, daß dieWandungen einer Gummiblase, die in einer festen Hülle eingeschlos-sen ist, erst dann überdehnt werden, wenn die sie umgebende Hüllenachgibt. Das gleiche gilt auch für die Wände zwischen den eventuelldarin enthaltenen, miteinander in Verbindung stehenden Kammern.

87

Page 88: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Solange daher Form und Volumen des Brustraumes durch Standhaltender Muskulatur gewahrt bleiben, ist keine allgemeine Lungenerweiterungmöglich.

Unberührt davon bleibt die Möglichkeit einer begrenzten Erweite-rung, wenn eine Kammer resp. Alveolargruppe in der Lunge von ihrerVerbindung mit den übrigen abgeschlossen ist.

Entscheidend für die Entstehungund Entwicklung der Lungenerweiterungdurch Preßhusten ist daher das Nachgeben der Rumpfwand.

Es zeigt sich in der Regel zuerst an der unteren Bauchwand. Solangederen Muskulatur noch dem Hustendruck standhalten kann, sorgt siedafür, Zwerchfell und Lungen in ihrer Lage zu halten. Dieses Stand-halten der »Hustenstütze« ist natürlich gesichert, solange die Querspan-nung intakt ist. Aber selbst bei nachlassender Spannkraft des Brust-korbes kann eine kräftige, gut entwickelte Bauchwand noch recht lan-ge halten *), während eine schwächere dem Druck des Preßhustensschon bald nachgibt und sich beim Husten sichtbar wölbt. Es wird »inden Bauch hinein« gehustet, und jeder Hustenstoß, der die versagendeBauchwand trifft, wirkt deformierend auf Brustraum und Lungen.Das Herausdrücken der vorderen Bauchwand beginnt mit demHustenansatz und setzt sich in den Hustenstoß hinein fort; es wirddurch ein Herunterdrücken des Brustkorbes begünstigt.

Der Auftreibung des Bauches durch den Preßhusten entspricht einVerschieben des Zwerchfells als Ganzes nach unten, wobei es belang-los ist, ob sich das Zwerchfell anfangs beim Hustenansatz spannt odernicht. Die nachgebende Bauchwand läßt es tiefer treten, sowohl beimHustenansatz als auch beim Hustenstoß.

Die Schwäche der Bauchmuskulatur kann, im Rahmen einer allge-meinen Muskelschwäche, angeboren sein. Später auftreten kann sieals Teil einer nachlassenden Querhaltung, die entweder vom Verfalldes Brustkorbes verursacht wurde, oder diese, wie nach Entbindun-gen, Operationen u.a., selber einleitete. Es erklärt das Auftreten man-cher Lungenerweiterung in diesem Zusammenhang. Das Nachgebender Bauchwand dürfte allerdings auch hier eine schlechte Rückenmus-kulatur voraussetzen, die im übrigen auch die anderen Haltungsele-mente in Mitleidenschaft gezogen hat.

*) Auch die hochschwangere Gebärmutter kann das Zwerchfell stützen. Athmati-schen Beschwerden nehmen daher nicht selten in der Schwangerschaft ab.

Page 89: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Daß der Husten mit seiner Dauer und Intensität unter den Ur-sachen an Gewicht zunimmt, ist nicht zu bestreiten; er kann in extre-men Fällen durchaus als wesentlicher Faktor gewertet werden. Le-bendes Gewebe ist einem mechanischen Druck auf die Dauer nichtgewachsen. Charakteristisch dafür ist die Krankengeschichte eines bisdahin nie zu Bronchialleiden neigenden Mannes, der nach einemschweren Keuchhusten eine Lungenblähung zurückbehielt, die späterzu einem sekundären Asthma führte. Entscheidend ist aber nie dasHusten an sich, sondern das Halten oder Versagen der Rumpfwand,d.h. der Zusammenbruch der Querspannung. Aus diesen Zusammen-hängen ist die Rolle der einzelnen Faktoren in der Entstehung undEntwicklung der Lungenerweiterung vollauf verständlich. Ebensoverständlich ist es, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle dasHusten in der oben beschriebenen falschen Art dazu Veranlassunggibt, während dies bei anderen Tätigkeiten des Atemapparates weitseltener der Fall ist.

Auch die Rolle des Hustens in der Ätiologie der Eingeweidesen-kung im Bauchraum ist verständlich. Er kann auch hier, zusammenmit der Rumpfwand, ein bedeutender auslösender Faktor sein. Maß-geblich aber ist und bleibt die Schwäche der Muskulatur. Erst wennsich mit dem Verlust an Querspannung die Erschlaffung der Bauch-wand einschließlich des Beckenbodens verbindet, kann sich derHustendruck in dieser verhängnisvollen Weise auswirken. Darumentstehen Leistenbrüche und Eingeweidesenkungen auch besondersleicht nach Bauchoperationen und Entbindungen; genau wie die Lun-genblähung. Mit der Zeit sinken die gesamten Eingeweide einschließ-lich der Lunge mehr und mehr in den überdehnten Bauch hinunter, inden sie mit jedem neuen Husten immer weiter hinabgepreßt werden.

In seltenen Fällen gibt zuerst die hintere obere Brustwand nach. Esberuht auf dem Versagen des langen Rückenstreckers im oberen Ab-schnitt bei relativ guter Bauchmuskulatur. Er versagt in seiner Aufga-be als Haltemuskel der hinteren Rippenbögen und als Gegenspannerder Bauchmuskeln gegen ihre herabziehende Wirkung auf den Ober-körper bei der Ausatmung. Er erlaubt dann dem Rumpf, nach vorn zu-sammenzusinken oder zusammengezogen zu werden, während ergleichzeitig die hinteren Rippenteile nicht mehr in ihrer Stellung zuhalten vermag.

Das Resultat ist der verbreiterte »runde« Rücken, eine Auftreibungder hinteren oberen Brustwand statt der Auftreibung des Unterbau-

89

Page 90: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ches. Der Entstehungsmechanismus ist in beiden Fällen grundsätzlichder gleiche.

Die häufige intensive Betätigung des Atemapparates im Sinne derFehlfunktion beim Husten u.a. prägt mit der Zeit nicht nur die Formdes Rumpfes, der in der skizzierten Weise deformiert wird, sondernauch die der Atmung, die sich damit rasch verschlechtert.

Zunächst kann sich diese Lungenblähung, in diesem Stadium in derMedizin früher als »volumen pulmonum auctum« bezeichnet, wiederzurückbilden, wenn ihre auslösenden Faktoren fortfallen (nachAsthmaanfällen, Keuchhusten usw.). Mit der Zeit verliert das Lungen-gewebe jedoch an Elastizität und es kommt zu Gewebsveränderungen(anatomisches Emphysem), die überwiegend als irreparabel angese-hen werden. Geringe Grade dieser »Lungendeformierung« sind beiälteren Leuten nicht selten; sie machen sich jedoch bei der mäßigenBeanspruchung des täglichen Lebens kaum störend bemerkbar odertreten höchstens anläßlich einer besonderen Belastung als Zeichen ei-ner »schwachen« Atmung zutage.

Als Krankheit zu werten ist die Lungenerweiterung jedoch (s. S. 84),sobald sie eine Arbeitsinsuffizienz der Atmung bedingt, die schon beisonst noch tragbaren Belastungen zum Versagen der Atmung mit sei-nen »asthmastischen« Erscheinungen führt.

Am deutlichsten ist diese Entwicklung dort zu beobachten, wo esim Laufe einer chronischen Bronchitis unter heftigem, mit starkemPressen verbundenem Husten zur Lungenblähung kommt. DiesesHusten steht daher als maximale Beanspruchung unter der »Ursache«der Lungenerweiterung bei weitem - in schätzungsweise 90% der Fälle- an erster Stelle, so daß es allgemein als die typische Ursache derLungenerweiterung angesehen wird. Das gleiche Resultat kann aberauch, der geringeren Belastung entsprechend jedoch langsamer, durchdas gar nicht so seltene Pressen beim Sprechen und Singen, beim Bla-sen und Pfeifen, beim Stöhnen u.a. zustande kommen, deren Mecha-nik ja, wie oben erläutert, der des Hustens ähnelt (vgl. S. 80).

Hierher gehört auch das in diesem Zusammenhang schon frühererwähnte gewohnheitsmäßige Luftanhalten (s. S. 79), das als »habi-tuelle Lungenüberspannung« langsam aber sicher eine Lungen-blähung zustande bringen kann.

90

Page 91: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Fortschreiten der LungenerweiterungUnter dem Einfluß der angeführten Faktoren verschlimmert sich

die Lungenblähung fortlaufend. Ob langsam oder schnell, hängtselbstverständlich einerseits von der Stärke des Fressens und derDauer resp. Häufigkeit seines Einwirkens ab, andererseits von derSpannkraft der an der Querspannung beteiligten Muskulatur.

Daß dabei nicht die Belastung die ausschlaggebende Rolle spielt,beweist der fehlende Dauererfolg aller gegen Bronchitis und Hustengetroffenen Maßnahmen.

Ausnahmsweise kann die kurze Dauer einer Hustenbelastung diespontane Wiederherstellung einer noch relativ leistungsfähigen Mus-kulatur und die Rückgewinnung ihrer richtigen Funktion gestatten.Dann kann unter diesen besonders günstigen Umständen das »akute«Emphysem schwinden. Sonst bleiben erschlaffte, überdehnte undverkrampfte Muskeln in diesem Zustand, es sei denn, sie werden durchÜben umgewöhnt und gekräftigt. Erst die Wiederherstellung der normalenMuskelleistung und Funktion, d.h. die wiederhergestellte Querspannung,erlaubt der Lunge, sich auf ihre normale Ausdehnung zurückzuziehen, vor-ausgesetzt, daß ihre Elastizität noch erhalten geblieben ist (dies istübrigens relativ lange, länger als man früher vermutete, der Fall). Dasheißt aber auch, daß nach Eintritt der Körperdeformierung, die dieAnfangsgrade überschritten hat, der Wegfall des Hustens nicht ge-nügt, um die Lungenblähung schwinden zu lassen (oder die Lungemüßte das Unmögliche vollbringen, die Rumpfwandung in ihre nor-male Lage zurückzuziehen).

Ob eine Lungenerweiterung zum Dauerzustand wird oder nicht,hängt mit anderen Worten von der Deformierung des Rumpfes unddem Zustand seiner Muskulatur ab, ebenso wie deren Leistungsfähig-keit darüber entscheidet, ob eine Hustenerkrankung, ohne Folgen zuhinterlassen, ausheilt oder zum Emphysem führt und ob dieseEntwicklung sich schnell oder langsam vollzieht.

Die Vernachlässigung dieses machanischen Faktors ist für die Rückfällig-keit trotz aller Medikamente und Kuren, die den Hustenreiz besei-tigen, und für die angebliche Unheilbarkeit derLungenblähungverantwort-lich zu machen.

Die Gewebsveränderungen der Lunge sind die Folgen der mechani-schen Faktoren. Die ursprünglichen akuten katarrhalischen Erschei-nungen der Bronchialschleimhaut sind selbstverständlich primäreEntzündungsreaktionen. Die meisten späteren anatomischen Verän-

91

Page 92: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

derungen gehen jedoch zu Lasten der Lungenüberspannung resp. -überdehnung. Dazu gehört auch der chronische Bronchialkatarrh! Sei-ne Hartnäckigkeit beruht auf der mechanischen Schädigung derSchleimhaut durch Dehnung usw. und der dauernden Mißhandlungder Atmungsorgane. Selbstverständlich überschneiden sich die ver-schiedenen Faktoren auch hier.

Wann die Fähigkeit der Lungen, sich wieder ausreichend zusam-menzuziehen, endgültig verloren geht, ist noch Gegenstand vonUntersuchungen. Die Lunge hat neben elastischen Bindegewebsfa-sern, die nicht reparabel sind, auch glatte Muskelfasern, die - im Zugeder Bronchien verlaufend - sicherlich an der Lungenelastizität, demLungenzug, mit beteiligt sind *). Muskelfasern können aber ihre Span-nung und Funktion wiedergewinnen. Es setzt jedoch voraus, daß eineleidlich wiederhergestellte Form des Brustraumes, vor allem aber dievöllig normalisierten Atembewegungen es auch ermöglichen.

Ohne Korrektur der Atembewegungen und Kräftigung der Atem-muskeln, d.h. ohne Wiederherstellung einer ausreichenden Quer-spannung, verschlimmert sich die Lungenblähung im Laufe der Jahreebenso wie die Fehlfunktion beim Husten und Atmen, die sich in derfrüher skizzierten Weise weiterentwickelt. Es führt nach den dorterwähnten Regeln zu einer fortschreitenden Abnahme der Leistungs-fähigkeit. Eines Tages bemerkt dann der Patient Atembeschwerdenbei körperlicher Anstrengung (Treppensteigen) oder bei einemKatarrh der Luftwege; die arbeitsinsuffiziente Atmung ist diesenerhöhten Ansprüchen nicht mehr gewachsen. Damit ist das Emphy-sem als Krankheit zutage getreten. Man pflegt dann von »asthmati-schen« Beschwerden oder von einem asthmatischen Emphysem zusprechen (s. S. 94).

Bei Zunahme der Fehlfunktion und Verringerung der Leistungs-breite bedeuten dann schließlich schon jeder Witterungswechsel, Ba-rometerfall, ja endlich sogar kleinere Reize, wie Dämpfe und Gerüche,ein kaltes Bett u.a., eine die Leistungsfähigkeit übersteigende Bela-stung. Die Atembeschwerden schwinden jedoch in diesem Stadium

*) Die Druckverhältnisse im Brustraum unter Lungenkontraktion bei gleichzeitigerAnspannung der Einatmungsmuskulatur beim Ton usw. spricht durchaus dafür. Derexperimentelle Nachweis ist leider durch die Abneigung der geeigneten Versuchsper-son erschwert, sich eine Hohlnadel in den Brustraum stechen zu lassen.

Ein offenbar muskuläres Zusammenziehen der Lunge wird auch gelegentlich beiLungenoperationen beobachtet.

92

Page 93: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

noch mit dem Wegfall der Belastung; die Dekompensation tritt nur vor-übergehend auf.

Dauernde PreßatmungSinkt jedoch die Leistungsfähigkeit bis unter das für den Ruhezu-

stand notwendige Maß, kommt es in diesem Zustand der chronischenDekompensation alsbald zu der fruchtlosen Überanstrengung einermehr oder weniger dauernden Preßatmung; damit verschlimmert sichdie Lungenblähung und die Dekompensation fortlaufend.

Letztere tritt bei der Lungenerweiterung anfangs nur vorüberge-hend auf, sobald die Atmung einer größeren Beanspruchung resp. Be-lastung nicht mehr gewachsen ist und dem Versagen durch vermehr-tes Atmen zu begegnen sucht, wobei sich die dem Pressen Vorschubleistenden Faktoren natürlich erheblich steigern (s. S. 81/82). ZumDauerzustand wird sie besonders in denjenigen Fällen, die sich bereitsam Rande der beginnenden Dekompensation befinden.

In selteneren Fällen kommt es auch infolge besonders schwacherRückenmuskulatur, die ihrer Aufgabe, den Oberkörper zu halten,nicht mehr gewachsen ist, zur dauernden Preßatmung, da nun dieprall gefüllten Lungen dazu herhalten müssen, den Oberkörper abzu-stützen - in ähnlicher Weise, wie es bei der schädlichen Art des He-bens mit angehaltenem Atem geschieht (s. S. 79). In diesen Fällenschwerster Fehlfunktion wird in typischer Weise schnell mit ausgiebi-gem Heben des Brustkorbes eingeatmet und - im Sinne des stützen-den Überdruckes - mit enger Stimmritze und deutlichem Kehlge-räusch relativ langsam ausgeatmet.

Bei der dauernden Preßatmung verschlimmert sich natürlich dieGlottisenge unter dem Einfluß der in Kapitel II erläuterten Faktorenmehr und mehr. Zuletzt ist sie auch beim Einatmen vorhanden undan einem deutlichen Geräusch zu erkennen. Daß damit Hand inHand jede Atemsteuerung in den oberen Luftwegen ganz und gar ver-loren geht, bedarf keiner Erläuterung; ebensowenig die resultierende,fortschreitende Verschlechterung der Atmung und der Lungenblä-hung. Falsche Atembewegungen des Rumpfes und falsche Atem-steuerung fördern sich gegenseitig.

Die Bewegungen verlaufen bei der Preßatmung anfangs in der fürdie Fehlatmung als charakteristisch beschriebenen Weise, jedochunter stärkerer Anspannung der beim Ausatmen hilfsweise tätigen

93

Page 94: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Bauchmuskulatur, der Mm. intercostales intern! und der Wirbelsäule,so wie es von einer hochgradigen Fehlatmung zu erwarten ist.

Das Ausatmen kann dabei, jedenfalls bei der leichteren Form, sogarnoch unter relativ normalem Verengen des Bauches geschehen, je-doch unter kräftigem Zusammenziehen seiner Muskeln. Früher oderspäter kommt es aber mit Sicherheit zum Herausdrücken der vorderenBauchwand resp. der hinteren oberen Brustkorbwand.

Das Einatmen geschieht unter schnellem Hochziehen des Brust-korbes, bei vorwiegender, schließlich ausschließlicher Benutzung derHilfsmuskulatur, wobei das früher erwähnte Beugen der Wirbelsäulebeim Einatmen eine besondere Variante bedingt. Die Atmung befin-det sich natürlich dauernd im Zustand der Dekompensation. Diesenimmt dann bei der geringsten zusätzlichen Belastung so schnell undrapide zu, daß die auftretenden Beschwerden als »Asthmaanfall«imponieren und sich die Bezeichnung »asthmatisches Emphysem«dafür eingebürgert hat. Die rasche Verschlimmerung ähnelt auch demAnfall des echten Asthma insofern, als sie recht plötzlich eintritt. Sieist aber keineswegs mit ihm identisch und auch nicht von Bronchial-spasmen ausgelöst, sondern der Ausatmungwiderstand ist überwie-gend durch die mechanischen Faktoren der hochgradigen Fehlat-mung bedingt. Die Beschwerden erreichen auch nie denselben Gradwie dort, treten nicht ganz so plötzlich auf und schwinden spontan inder Ruhe.

Paradoxe BrustkorbbewegungZu dieser besonders schweren Fehlatmungsform kommt es mit der

Zeit bei der obigen, mit dauernder Preßatmung komplizierten Lun-generweiterung gar nicht so selten. Dabei bewegt sich der Brustkorbumgekehrt als normal: er wird beim Einatmen unten enger, beim Ausat-men weiter. Diese Fehlbewegung setzt stets einen vollständigen Zusam-menbruch des Querspannungsmechanismus voraus. Sie kommt inder Regel dadurch zustande, daß der äußerst schwache Brustkorb demnoch relativ kräftigen Zwerchfell, das ja weit weniger dem Inaktivi-tätsverfall ausgesetzt ist als die Brustwandmuskulatur, nicht mehrstandhalten kann, sondern von diesem zusammengezogen wird. DieWirkung des Zwerchfells ist dabei um so stärker, je mehr es seine nor-male Lage und Stellung verloren hat und - bei hochgezogenem Brust-korb — »tief« steht. (Sein Gegenspanner ist hier nicht mehr der Brust-korb, sondern die Hilfsmuskulatur.)

94

Page 95: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Es ist auch möglich, daß diese Atmung mit invertierter, der norma-len Brustkorbbewegung entgegengesetzten, als katastrophaleEndform einer dauernden Preßatmung beim Ausatmen ihren Anfangnimmt, wobei auch hier der Zusammenbruch der Querhaltung undeine verkümmerte Brustwandmuskulatur vorausgesetzt ist.

Der untere Brustkorb wird dabei entweder durch schnelles Beugen derWirbelsäule über die Baucheingeweide heruntergedrückt (»gestülpt«)und damit auseinandergedrängt; die in diesem Falle relativ schwachenBauchmuskeln sind nicht imstande, den unteren Brustkorb zu verengen,ebensowenig die inneren Brustwandmuskeln (intercostales interni), diebei der Fehlatmung sonst in diesem Sinne wirken.

Oder die vordere Bauchwand drückt durch ihr schnelles Einzie-hen die Baucheingeweide nach oben in den Brustkorb hinein unddrängt ihn auseinander.

Die jeweilige Gegenbewegung ist entweder ein Zurückfedern desBrustkorbes aus der ihm aufgezwungenen Stellung, oder sie kommtdurch das Wechselspiel der Fehlmechanismen beim Ein- und Ausat-men zustande. Diese Kombination ist auf die Dauer unvermeidlich,und das Endbild ist schließlich immer das gleiche, einschließlich derBewegung der Wirbelsäule.

Als Zeichen beschleunigter Einatmung und schwacher Atemmus-kulatur weitet sich die Nase beim Einatmen (Nasenflügelatmen). Inschweren Fällen wird sogar der Mund geöffnet: der Kranke»schnappt« nach Luft. Beim Ausatmen wird der Mund häufig - unterÜberspannung der Gesichts- und vorderen Halsmuskeln - fest ge-schlossen. Das Zusammenpressen der Lippen bei der Preßausatmunggeschieht offenbar im Zusammenhang mit der gleichen Überspan-nung an den übrigen Gliedern dieser Muskelkette in Rachen und Zun-ge, wie sie infolge ihrer oben erläuterten engen Beziehung zum Kehl-kopf bei Überspannung der Stimmbänder eintreten muß. DieseAtemsteuerung ist in ähnlich folgenschwerer Weise entgleist wie dieAtembewegungen des Rumpfes.

Bei allem mit Pressen verbundenem Atem wird die Einatmung mitder Zeit immer kürzer und schneller, während die Ausatmung längerund länger, das Geräusch in der Kehle immer schärfer wird.

Asthmaanfälle bei LungenerweiterungSobald die Leistungsfähigkeit der Atmung soweit abgesunken ist,

daß sie nur noch für den Zustand der körperlichen Ruhe und bei

95

Page 96: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

unbehinderten Luftwegen ausreicht, muß sie schon bei der geringstenBelastung versagen. Dieses Versagen tritt infolgedessen sehr plötzlichein und imponiert als »asthmatischer Anfall«. Diese Anfälle beimEmphysem sind aber nur vorübergehende Dekompensationszustän-de einer arbeitsinsuffizienten Atmung, die mit der Belastung kom-men und gehen. Sie schwinden daher auch bei körperlicher Ruhe,resp. Abklingen des die Atmung erschwerenden Bronchialkatarrhs.Dadurch unterscheiden sie sich deutlich von den spontan einsetzen-den Anfällen des echten, genuinen Bronchialasthmas, dessen funktio-nelle Zusammenhänge im nächsten Kapitel erläutert sind.

Andererseits ist es auch keineswegs selten, daß sich dem chroni-schen Emphysem auch eine echte Asthmaform hinzugesellt.

Es kann einerseits als Folge einer erhöhten Reizbarkeit eintreten,die in diesem Falle aus dem dauernd krankhaften Zustand der Bron-chialschleimhaut und der dauernden Überspannung im gesamtenAtemapparat einschließlich der Lungen und dessen reizbarer Schwä-che entstanden ist und sich eines Tages in den typischen, anfallsweiseauftretenden Bronchialspasmen äußert. Der Zeitpunkt des Eintretensdieser »nervösen« Asthmaanfälle ist abhängig von der unterschiedli-chen »nervösen Anfälligkeit« des Patienten und anderen inneren Vor-aussetzungen. Andererseits kann aber diese »echte« Asthma, mit demsich die Lungenblähung kompliziert, auch auf einer Allergie beruhen,die aufgrund einer chronischen Entzündung der Bronchialschleim-haut entstanden und nun dort zusätzlich allergische Erscheinungenhervorruft; bei älteren Jahrgängen pflegt es hauptsächlich auf diesemWege - sekundär - zustande zu kommen. Ebenso kann wiederholteAnwendung von Penizillinpräparaten dazu führen.

In beiden Fällen hat aber die Lungenblähung dem echten Bron-chialasthma in entscheidendem Maße den Weg bereitet. Dieses schwin-det daher auch, sobald sich jene nach erfolgter Atemkorrektur bessertund seine schädlichen Faktoren fortfallen.

Der nervöse und der allergische Faktor lassen sich, ebenso wie diebronchitische Sekretion, vorübergehend mit Medikamenten - in denüblichen Grenzen - beeinflussen oder ausschalten. Die dazu dienen-den Maßnahmen und Kuren haben aber erfahrungsgemäß auf das ei-gentliche Emphysem keinen Einfluß; mechanische Faktoren könnennur mechanisch behoben werden.

Bei den sonstigen »asthmatischen« Beschwerden der Lungenerwei-terung sind krampflösende Asthmamittel nicht angezeigt. Die von

96

Page 97: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ihnen durch Erweiterung der Bronchien erreichte Erleichterung istgering und wird von ihrer nachteiligen Wirkung auf den Kreislaufweit übertroffen und mehr als aufgehoben.

Eher ist eine Bekämpfung des Hustens und des Bronchialkatarrhs,neben sonstiger Entlastung durch körperliche Ruhe, angebracht. Alssinnvoll dürfte nur die gegen die ausschlaggebenden Faktoren derFehlatmung gerichtete Behandlung zu werten sein.

Bronchialasthma

Von »echtem« oder »genuinem« Bronchialasthma spricht man, wenn dieDekompensation, das Versagen der Atmung, in plötzlichen Anfällen auftritt.

Diese zeigen dieselben Erscheinungen wie die langsamer eintreten-de Dekompensation bei fortgeschrittener Lungenerweiterung mitihrer von ungenügendem Gasaustausch geprägten Atemnot undPreßatmung. Der Unterschied zwischen der »akuten« Dekompensa-tion des Anfalls und der »chronischen« des fortgeschrittenen Emphy-sems liegt nur in der Schnelligkeit, mit der sich die Atmungsbeschwer-den entwickeln. Beide entstehen nach den gleichen Regeln (s. S. 83),und das Versagen ist hier wie dort das Resultat aus dem Mißverhältnisvon Belastung und Leistungsfähigkeit (Belastungsbreite).

Die den Anfall veranlassende Belastung besteht in der Verengungder Bronchien, die den Atemwiderstand erhöht und die Einatmungerschwert.Die unzureichende Belastungsbreite ist die Folge der Fehlatmung.Beide Voraussetzungen müssen vorliegen.Die Belastung kann mehr oder weniger stark,- die Belastungsbreite verschieden groß sein.

Bei leidlich normaler Atmung mit entsprechender Leistungsfähig-keit führt die Verengung nicht zum Versagen, ebensowenig wie dieFehlatmung allein dazu führt, solange sie keiner besonders starken Be-lastung ausgesetzt ist.Die Verengung der Bronchien kann auf drei verschiedene Arten zu-stande kommen:1. durch eine nervöse Verkrampfung ihrer ringförmig verlaufendenMuskulatur,2. durch allergische Schwellung ihrer Schleimhaut,3. durch deren entzündliche Schwellung und Absonderung infolge ei-nes Bronchialkatarrhs.

97

Page 98: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Die stärkste Verengung entsteht bei l, die geringste bei 3. Die 3 ver-schiedenen Bronchialerscheinungen sind oft und in verschiedensterWeise miteinander kombiniert; entweder, weil sich mit der Zeit die ei-ne mit der anderen kompliziert, oder weil sich die verschiedenenErscheinungen auf ein und derselben Grundlage entwickeln. Letzte-res könnte z.B. für die Kombination von allergischer Schwellung undBronchialspasmen zutreffen.

In der reichlich diffusen Nomenklatur der asthmatischen Erkran-kungen werden daher gerne alle Bronchialaffektionen, die zu anfalls-artigen Beschwerden Anlaß geben, als allergisch aufgefaßt, nicht nurdie plötzlich urtikariaähnlich auftretende Schwellung. GenauereUnterscheidungen dürften sich jedoch empfehlen. Das Asthma undseine Genese gewinnen dadurch an der sehr erwünschten Klarheit,zum Vorteil seiner Therapie jeglicher Richtung.

Es gibt sicher rein spastisch bedingte Bronchialverengungen, dienicht von urtikariellen oder entzündlichen Schleimhauterscheinun-gen begleitet sind. Ebenso dürfte das isolierte Auftreten der allergi-schen Schleimhautschwellung sicher sein.

Über die Existenz dieser beiden unterschiedlichen Arten von Bron-chialaffektionen besteht Einstimmigkeit. Umstritten ist, ob beide,nicht nur die letztere, als allergische Reaktion zu bezeichnen sind. Sieim einzelnen Fall voneinander zu unterscheiden, mag schwierig sein.Bei beiden kommt es zu recht erheblichen Verengungen, und die re-sultierenden Bilder des Anfalls sind sich, bei sonst gleichen Verhält-nissen, äußerst ähnlich.

Das isolierte Auftreten der als 3. Veranlassung aufgeführtenentzündlichen Bronchitis steht jedoch außer Zweifel. Das katarrhali-sche Asthma kann jahrelang bestehen, ohne mit einer Neigung derSchleimhaut zu allergischer, resp. spastischer Reaktion verbunden zusein, ähnlich wie es beim unkomplizierten Emphysem der Fall ist.Man findet es gern bei katarrhalisch anfälligen, muskelschwachenKindern, deren Atmung durch wiederholte Hustenerkrankungenimmer wieder strapaziert und geschwächt wurde. Ein schwerer Keuch-husten kann, sogar in relativ kurzer Zeit, zum selben Resultat führen.

Jedenfalls aber kommt es weder bei der recht mäßigen, katarrhali-schen, noch bei der hochgradigen Belastung der spastischen Bron-chialverengung zum Versagen, solange nur der Atemapparat kräftiggenug ist, d.h., bei ausreichender Querspannung und einigermaßennormalem Atmen. Ist dagegen die Spannkraft der Atemmuskulatur im

98

Page 99: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Rahmen der Fehlatmung herabgesetzt, so kann das Zwerchfell bei einem be-stimmten Grad der Verengung den Widerstand bei der Einatmung nichtmehr überwinden (s. S. 82). Dieser Zustand tritt unter Umständen erstein, wenn die Atemmuskulatur in Brustkorb und Zwerchfell überan-strengt und ermüdet ist. Die Einatmungsarbeit wird dann noch mehrals bisher von denjenigen Muskeln in Schultergürtel, Hals und Rük-ken übernommen, deren ungünstige Wirkungsweise bei der Fehlat-mung eingehend erläutert wurde, so daß es zum verstärkten Hochziehendes Brustkorbes kommt.

Die unausbleibliche Folge ist ein verstärktes Herunterdrücken beim Aus-atmen. Dabei tritt an die Stelle des gelinden Lungenzuges nicht nur dieBauchmuskulatur, die von unten nachdrückt, sondern überwiegenddie mit dem Gewicht des Oberkörpers wirkende Schwerkraft und,unter Umständen, auch die Wirkung des Mm. intercostales interni,die sich der veränderten Bewegung angepaßt haben.

Zu dieser Katastrophe kommt es aber nur bei unzureichender Atemmus-kulatur. Der dadurch verursachte, gewohnheitsmäßige Einsatz der „Hilfs-muskulatur" wird dann, anläßlich derAtemerschwerung, in erhöhtem Maßenotwendig und steigert sich automatisch weiter. Wenn schon ein Nach-drücken nötig sein sollte, um die Lunge bei ihrer Entleerung gegen ei-nen Widerstand zu unterstützen, so wäre es sinnvoller, dies mit derBauchmuskulatur zu tun. Das würde allerdings eine ausreichendeQuerspannung voraussetzen, wie sie bei bestehender Fehlatmung ge-rade nicht zu erwarten ist. Darum wird im Bedarfsfalle in deren Sinnemit dem Brustkorb nachgedrückt. Es ist bedeutend bequemer; es hatnur den großen Nachteil, die Ausatmungswege in den Bronchien zuverengen und den bestehenden Widerstand beträchtlich zu erhöhen -mit allen den daraus entstehenden Schäden für den Gasaustausch, die beider Preßatmung in potenziertem Ausmaß wirksam werden (s. S. 82).

Durch diese Kombination der anfänglichen, durch die Bronchialaf-fektion bedingten organischen Verengung mit der zusätzlichen mecha-nischen Verengung durch verstärktes Brustkorbsenken kommt es inkürzester Zeit zu hochgradigem Pressen mit weitgehender Drosselungdes Gasaustausches in der Ausatmungsphase. Die Schwierigkeit, dieüberwunden werden soll, wird durch die Nachteile der „entgleistenAtmung" noch vergrößert, um so mehr, als sich diese dabei verstärktauswirken.

Daher steigern sich mit dem Hinzutreten der mechanischen Veren-gung die ursprünglichen, durch die organische Verengung allein ver-

99

Page 100: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ursachten und noch erträglichen Beschwerden um ein Vielfaches. Ca.80% der Anfallbeschwerden sind auf'die Steigerung der Fehlfunktion zurück-zuführen. Sie verschlimmern sich mit ihr unter Abnahme der Lei-stungsfähigkeit und Zunahme des Belastungswiderstandes in der fürdie Dekompensation der Atmung charakteristischen Weise.

Obwohl die Schäden durch die Art des Ausatmens zustande kom-men, ist die eigentliche Ursache dafür in der fehlerhaften Einatmungzu suchen, die ja den Ablauf der gesamten Atembewegung bestimmt.Sie sind somit die zwangsläufige Folge der durch Fehlatmung beding-ten unzureichenden Leistung der Atemmuskeln. Das heißt aber nichtmehr und nicht weniger, als daß auch die Anfälle des echten Bronchial-asthmas in letzter Linie auf den Verlust der Querspannung zurückzuführensind.

Der Zusammenbruch der Querspannung führt m.a.W. zwangsläu-fig zu denjenigen schwerwiegenden Veränderungen der Atemmecha-nik, wie sie, unter gleicher Voraussetzung, auch bei der Lungenerwei-terung eintreten und zur Preßatmung führen, wobei wie immer derBrustkorb die ausschlaggebende Rolle spielt, so wie auf S. 65 dargelegt.Das Zwerchfell kann nur so stark ziehen, wie der Brustkorb ihm Haltgibt.

Es ist mit anderen Worten die fehlende Spannkraft des Brustkorbes, diefür das Entgleisen der Atmung und deren Versagen verantwortlich ist.

Bei leidlich intakter Atmung kann das Zwerchfell den erhöhtenWiderstand noch überwinden. Infolgedessen wird der Brustkorbnicht hochgezogen und ebensowenig heruntergedrückt. Die zusätzli-che und erhebliche mechanische Verengung mit ihren Folgen bleibtaus, es bleibt bei den relativ tragbaren Beschwerden, die durch dieorganische Bronchialverengung allein bedingt sind.

Ein einfacher Bronchialkatarrh gibt daher relativ selten zum Auf-treten asthmatischer Anfälle Veranlassung: Die durch ihn bedingteVerengung ist gering; auch ein mäßig leistungsfähiger Atemapparat wirddamit noch fertig. Aber auch die hochgradige Verengung einer „enze-matösen" oder gar spastischen Bronchialaffektion führt oftmals langeZeit nicht zu asthmatischen Beschwerden: Es gibt sowohl die spasti-sche als auch die allergisch-enzematöse Bronchitis, die »ohneAsthma« verlaufen. Die Atemfehler sind relativ gering oder bestehenerst kurze Zeit, Querspannung und Atemmuskulatur sind noch rela-tiv intakt. Oft nach Jahren erst »stellt sichplötzlich das Bronchialasth-ma ein«, nachdem sich die Atemfehler inzwischen automatisch ver-

100

Page 101: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

schlimmert haben, die Atemmuskeln schwächer geworden, die Quer-spannung mehr und mehr verloren gegangen ist und die Leistungsfä-higkeit entsprechend nachgelassen hat. Häufige Überlastung durchschädliches Husten u.a. tragen dazu bei, diese Entwicklung zu be-schleunigen. Eines Tages ist dann die Grenze erreicht, bei der die Bela-stungsbreite der Atmung nicht mehr ausreicht, mit der vorher nochtragbaren, relativ starken Belastung fertig zu werden.

Diese Zusammenhänge verdeutlichen die Rolle der Fehlatmungund der versagenden Querspannung für das Auftreten der Asthmaan-fälle und deren Verlauf, der dann vor der weiteren Entgleisung derAtmung geprägt wird.

Die Verschlimmerung im Anfall ist sicherlich zum Teil auch derAngst zuzuschreiben, die sich des Kranken aus dem Gefühl der Atem-not heraus bemächtigt und die Arbeitsökonomie der Muskulatur ver-schlechtert. Die Behinderung des Zwerchfells durch die verspannteBauchmuskulatur ist dabei ein besonders großer Nachteil. Dies wirdbeim Inhalieren jener Medikamente deutlich, die durch Lähmung derBronchialnerven die Verengung verringern; wird anschließend imSinne der Fehlatmung weitergeatmet, so läßt die Atemnot nur relativwenig und kurzfristig nach. Sie schwindet hingegen, wenn es gelingt,den Kranken zu günstigeren Atembewegungen zu veranlassen; es istangesichts der erleichternden Wirkung des inhalierten Mittels nichtschwierig. Bezeichnenderweise gelingt es gar nicht selten, allein durchdie verbesserte Atemmechanik denselben Erfolg zu erreichen, auchohne daß im Inhalat irgendein wirksamer Stoff enthalten ist. Zielbe-wußtes Handhaben der Atemmuskulatur kann den völligen Zusam-menbruch der Querspannung, die katastrophale Verschlimmerungder Fehlfunktion weitgehend verhüten und damit in der Preßatmungvorbeugen.

Die Rolle der Angst wird bei Einspritzungen recht deutlich, bei de-nen der Patient die Überzeugung gewonnen hat, wirksam behandeltzu sein *). Mit dem Nachlassen der Angst schwindet auch die darausresultierende Verschlimmerung; die durch die eingefahrene Fehlat-mung und die Bronchialerscheinungen bedingten Beschwerden, diedann zurückbleiben, erreichen bei weitem nicht deren katastrophaleAusmaße.

*) Anm.: so die Einspritzung von Salzwasser anstelle von krampflösender Medika-mente.

101

Page 102: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Sehr deutlich wird auch die Rolle, die Fehlfunktion, Angst undMuskelüberspannung beim Zustandekommen der asthmatischen Zu-stände spielen, an Patienten, die anläßlich einer relativ geringenErkrankung der Luftwege aus nervöser Ängstlichkeit in eine angstvollgehemmte Atmung verfallen, aus der sich eine Preßatmung undasthmatische Beschwerden entwickeln können, ohne daß eine eigent-liche Bronchialaffektion vorliegt. Es gibt sogar Patienten, die eineharmlose Bronchitis durch hysterisch gestartete Preßatmung zumAsthma steigern; auch im Selbstversuch wurde schon auf diese Weise»Asthma« absichtlich herbeigeführt.

Unterschiede der einzelnen AsthmaformenDie durch 3 verschiedene Ursachen ausgelösten Asthmaformen

gleichen sich weitgehend, zeigen aber in Entstehung und Entwick-lung im Grad der Verengung und Beschwerden deutliche Unter-schiede.

Spastisches AsthmaEs ist als »echtes«, »nervöses« Bronchialasthma dasjenige, das die ty-

pischen Erscheinungen am deutlichsten zeigt.Die Verkrampfung der Bronchialmuskulatur ist so erheblich, daß

nur die einigermaßen leistungsfähige Atemmuskulatur den Wider-stand beim Einatmen überwinden kann. Es genügt daher schon einerelativ mäßig ausgeprägte Fehlatmung, um die asthmatischen Be-schwerden - den Anfall - zustande kommen zu lassen.

Die Schwere dieser Belastung führt unter diesen Voraussetzungensehr schnell zur Dekompensation unter dem bekannten Bild desasthmatischen Anfalls. Ob dabei eine Zunahme der Verkrampfung inden mißhandelten Bronchien mitspielt, mag dahingestellt bleiben.Sie wäre denkbar und gegebenenfalls aus deren erhöhter Strapazie-rung durch die forcierte Fehlatmung zu erklären, ähnlich wie das kom-plizierende Autreten eines »echten Asthmas« im Verlauf einer Lun-generweiterung.

Schließlich mag dabei auch eine Überspannung und fehlerhafteFunktion in den Muskeln des Rachens und der Zunge und deren Ein-fluß auf das leicht störbare Durchströmen der Luft durch die oberenLuftwege, resp. die Stimmritze, ins Gewicht fallen. Eine reflektorischeVerengung der letzteren ist wohl sowieso unvermeidlich. Sie dürftewesentlich auf die im Anfall verstärkten Faktoren der Fehlatmung zu-

102

Page 103: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

rückzuführen sein (s. »Pressen«, S. 93). Daß dort auch sonst, gleichzei-tig mit denen in den Bronchien, Spasmen auftreten, ist möglich, aberschwer zu entscheiden. Fälle, in denen die Verengung zunächst imKehlkopf auftritt, während in den Bronchien noch wenig davon be-merkbar ist, scheint es zu geben.

Diese innere nervöse Überspannung und Krampfbereitschaft derglatten Bronchialmuskulatur ist der Ausdruck eines ähnlichen Ver-haltens im selbständigen Nervensystem und ist auf einen Zustand»ängstlicher Abwehrspannung« im Gemüt zurückzuführen; wodurchsie zustande kommt und wie er sich auswirkt, ist im Anschluß an dennächsten Abschnitt erläutert.

Er kann auch im unwillkürlichen Luftanhalten zum Ausdruckkommen, bei dem die Atmung dauernd angespannt ist: die Atemmus-keln aktiv, die Lungen passiv. Wahrscheinlich ist dies beim »nervö-sen« Asthma die Regel und trägt wesentlich dazu bei, die »nervöseReizbarkeit« der durch die Fehlatmung ohnehin schon mißhandel-ten Lungen und Bronchien zu steigern oder gar zu erzeugen, nichtanders, als auch eine dauernde „nervöse Überspannung" zur „nervö-sen Reizbarkeit" und gelegentlichen „nervösen Anfällen - sogenann-ten nervösen Zusammenbrüchen - Anlaß gibt.

Man kann sich vorstellen, daß sich die »nervöse Überspannung derAtmung« in ähnlicher Weise auswirkt und sich anfallsweise zu Ver-krampfungen (Spasmen) der ringförmigen Bronchialmuskulatur stei-gert.

Diese Reaktion stellt sich meistens auf bestimmte äußere oder inne-re Reize ein, (die als - an sich geringe - zusätzliche Belastung das Faßzum Überlaufen bringen), manchmal - bei höchster Reizbarkeit - auchohne jeden nachweisbaren Anlaß. Sie wird stets über einen unbewußtablaufenden, eingefahrenen Reflex abgewickelt. Die jeweilige Span-nungslage des Gemüts spielt dabei maßgeblich mit.

Dieser relativ komplizierte Mechanismus liegt durchaus im Rah-men bekannter seelisch-körperlicher Zusammenhänge und Vorgänge.Es ist aber keineswegs von der Hand zu weisen, daß die von der inne-ren Überspannung verursachte, dauernde Überspannung der Lungenals Erklärung für deren Krampfanfall ausreicht. Das Schwinden derAnfallsneigung, sobald der Kranke gelernt hat, die unwillkürlicheLungenüberspannung zu vermeiden, ist jedenfalls augenfällig.

Die Wirkung der psychisch-nervösen Überspannung auf die Kör-permuskulatur, im übrigen stets an Haltung und Bewegung sicht-

103

Page 104: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

bar, soll auf der Existenz zweier verschiedener Elemente im Muskelberuhen: »klonischen«, welche die eigentlichen Bewegungen ausfüh-ren, und »tonischen«, welche die Spannung regulieren.

Allergisches AsthmaAls solches ist dasjenige Asthma zu bezeichnen, dessen Anfälle

durch typische, sicher allergische Schleimhautschwellungen ausgelöstwerden. Der Verlauf seiner Anfälle ist im allgemeinen milder als beimspastischen Asthma. Es stellt sich aus ähnlichen Anlässen ein wie die-ses und verhält sich im übrigen recht ähnlich. Aus diesem Grunde wer-den gern beide Asthmaformen als allergisches Asthma angesehen. Alsallergisch sollte aber nur dasjenige bezeichnet werden, bei dem sichdie Reaktion in einer sehr plötzlich auftretenden Schwellung von glei-cher Art wie der quaddelförmige Ausschlag in der Haut beim Nessel-fieber manifestiert. Es mag daher berechtigt sein, es als »enzematösesAsthma« zu bezeichnen, während das oben genannte spastischeAsthma besser als rein »nervöses Asthma« angesprochen bleiben soll-te. Letzteres steht auch nicht in der engen Beziehung zu der allergi-schen Hautreaktion wie das enzematöse Asthma, bei dem ein offen-bar allergisches, anfallsartig auftretendes Ekzem der Haut mit der glei-chen Erscheinung an der Schleimhaut, dem allergischen »Enzem«,abwechselt; es ist als Alternieren zwischen Bronchialasthma undEkzemen bekannt.

Die Verengung der Bronchien durch die »Urtikaria der Schleim-haut« ist auch geringer als bei den Bronchialspasmen, und die Bron-chialerscheinungen reagieren auch, im Gegensatz zum rein psychisch-nervösen Asthma, auf dieselben allergiehemmenden Stoffe wie dieHaut.

Auch die Beschwerden sind anfangs, solange sie nur durch denGrad der bronchitischen Verengung bestimmt sind, geringer als beimspastischen Asthma, und der Anfall pflegt im ganzen etwas leichter zuverlaufen. Andererseits reagiert das »enzematöse Asthma« auch weitweniger auf psychische Einwirkungen als der nervöse Asthmaanfallund ist auch durch tiefenpsychologische Manipulationen und Sugge-stionstherapie genauso schwer traktabel wie das Ekzem der Haut. Da-gegen kann es bei ihm gelegentlich gelingen, durch gezielte antiallergi-sche Behandlung die allergische Schleimhautschwellung zumSchwinden zu bringen, was im Gegensatz dazu beim rein psychisch-nervösen Asthma nicht möglich ist.

104

Page 105: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Eine Unterscheidung zwischen echtem nervösen und echtem aller-gischen Asthma dürfte daher berechtigt sein.

Im übrigen sind die Verhältnisse beim allergisch-enzematösenAsthma die gleichen wie beim spastisch-nervösen, sowohl bezüglichder Rolle, die die Fehlfunktion dabei spielt, als auch der entscheiden-den Bedeutung der verringerten Zwerchfellwirkung, der fehlendenBrustkorbspannkraft und der Steigerung der Beschwerden bis zurUnerträglichkeit durch die Preßatmung, die sich infolge des Hochzie-hens des Brustkorbes einstellt.

Andererseits sind beide Typen, wie gesagt, so eng miteinander ver-wandt, daß sie sicherlich nicht selten gekoppelt auftreten können.

Sie könnten auch einer gern einsamen Wurzel entstammen und bei-de psychisch-nervöse Reaktionen sein. Die gleiche Ursache kann so-wohl die Verkrampfung der Bronchialmuskulatur als auch die allergi-sche Schleimhautschwellung veranlassen. Es mag allerdings im einzel-nen Falle schwierig sein, die direkte seelische Wirkung von einerindirekten, die sich in eine allergische Reaktionsweise des Gewebesumgesetzt hat, zu trennen.

Mit Allergie (auch in der Forschung noch ein diskutiertes Phäno-men) bezeichnet man eine übernormale, Beschwerden verursachendeReaktion des Organismus auf einen Reiz, der sonst unauffällig undmühelos verarbeitet wird. An ihr ist das selbstständige (autonome)Nervensystem maßgeblich beteiligt. Ein häufig wiederkehrender Reizan irgend einer Stelle kann zu dieser Reaktionsweise, der „erhöhtenReizbarkeit", führen, so wie es z.B. von der „Fernwirkung" der soge-nannten Herdreaktion bei Entzündungen an den Zahnwurzeln u.a.angenommen wird. Viel eher noch könnte auch eine dauerndeEntzündung der Bronchialschleimhaut Veranlassung der übersteiger-ten Reaktion sein. Ob eine solche eintritt, hängt aber, weder hier nochdort, keineswegs vom Reiz allein ab; entscheidend ist der Leistungszu-stand - die Widerstandsfähigkeit - des Nervensystems. Ein leistungs-fähiges vegetatives System behält auch bei der erhöhten Belastungdurch dauernde Reize seine gesunde Funktion und seine normaleReaktionsweise bei. Das schwache Nervensystem hingegen »versagt«und reagiert »krankhaft überempfindlich« (die »reizbare Schwäche«!).

105

Page 106: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Seelische Grundlagen der nervösen Überspannung und Reizbar-keit

Das vegetative Nervensystem steht in unmittelbarer Beziehungzum Gefühlsleben. Durch seine Vermittlung kommt jede Gemütsbe-wegung an irgend einer oder mehreren Stellen des Körpers zum Aus-druck, nicht selten sogar als Krankheit der inneren Organe. Auch dieAllergie kann zwanglos so erklärt und der auslösende Reiz als sekun-där aufgefaßt werden; er ist meistens auch austauschbar.

Die Reaktion dieses Nervensystems ist das Spiegelbild des seeli-schen Zustandes, der somit letzten Endes für den Eintritt der krank-haften, einschließlich der »allergischen« Reaktion maßgeblich ist. Dieseelischen Faktoren können daher auch ganz allein, ohne dessen Hin-zutreten sowohl die spastische als auch die allergische Reaktion zuwe-ge bringen. Bei nervösen, spastischen Asthmaanfällen ist es zweifelloshäufig der Fall. Darum schwindet diese Reaktion auch unter den ver-schiedenen Umständen, die einen Einfluß auf den Gemütszustandhaben. Dies geschieht begreiflicherweise ganz besonders bei der spa-stischen Form, deren Bronchialverengung nur seelische Ursachen hat.Für die allergisch ekzematösen Erscheinungen sind ähnliche Zusam-menhänge anzunehmen, nur ist hier die Reaktion tiefer fundiert unddeshalb hartnäckiger.

Selbst wenn man die Allergie ausschließlich als eine Eigenschaft derKörperzellen ansieht, wäre dies kein Grund, die ursprüngliche undmaßgebliche Bedeutung seelischer Zustände abzulehnen.

Aus jeder, ursprünglich nur funktionellen Reaktion kann durchhäufige Wiederholung ein organischer Zustand werden, indem dieseden betreffenden Zellen und Systemen mit der Zeit ihren Stempelaufdrückt. Genauso wie die Falten des Gesichts ein organischer Zu-stand sind, der aus seelisch bedingten Muskelbewegungen resultiert,die - häufig wiederkehrend - immer wieder in ihren alten Spuren ver-laufen. Die eingeprägten Züge bleiben bestehen, genährt durch mini-male Reize derselben oder ähnlicher Art wie jene, die zu ihrer Ent-stehung führten.

Daher können aber auch die »organisierten« Folgen wieder schwin-den, soweit sie noch nicht allzu fest eingeprägt waren. Die allergischeReaktion kann sich daher verlieren, besonders im wachsenden Orga-nismus, genau so wie das Gesicht einen anderen Ausdruck annehmenkann. Sie kann andererseits auch so fest eingefahren sein, daß sie auchnach Fortfall ihrer Veranlassung zurückbleibt, ähnlich wie die Falten

106

Page 107: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

im Gesicht, die ein jahrelanges, gewohnheitsmäßiges Gesichtsmuskel-verhalten - eine Gebärde - dort eingegraben hat - selbst dann, wenndie ursprünglichen seelischen Bedingungen inzwischen geschwundensind.

Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das mögliche Zusammenspielder nervösen Verkrampfung und des allergischen Ausschlags derBronchialschleimhaut zu betrachten, die bei der Auslösung desAsthmaanfalls wirksam sind. Es ist beides der gleiche Vorgang, nurdaß er sich auf verschiedenen Ebenen manifestiert.

Zum Auslösen der eingefahrenen Reaktion genügt beim psychisch-nervösen Asthma alsbald j ede Situation, die der ursprünglichen, span-nungserzeugenden Situation ähnelt; sie schlägt in die alte Kerbe.

In ähnlicher Weise kann es geschehen, daß die allergische Schleim-hautreaktion später nicht nur von dem ursprünglich angeschuldigtenStoff, oder was immer es sei, ausgelöst wird, sondern auch von ande-ren, die diesem mehr oder weniger ähnlich sind. Zu guter Letzt genügtsogar der bloße Gedanke; um die eingeübte Reaktion in Gang zu set-zen, selbst wenn der auslösende Reizstoff inzwischen mit Sicherheitausgeschaltet ist. Schließlich kann die Reaktion so fest eingefahrensein, daß sie auch ganz ohne jeden nachweisbaren äußeren oder inne-ren Anlaß eintritt.

Aus diesen Zusammenhängen ist es zu erklären, daß eine psycho-therapeutische Beeinflussung jeder Art - für die Dauer ihrer Wirkung- die Anfälle des spastischen und allergischen Asthmas als »entlasten-de« Therapie zum Schwinden bringen kann.

Das ist jedoch nur so lange möglich, wie die Leistungsfähigkeit desAtemapparates, der maßgebliche Faktor, noch nicht zu weit abgesun-ken ist.

Bei hochgradiger Fehlfunktion, ausgeprägter Fehlform undLungenerweiterung genügen jedoch die zurückbleibenden mechani-schen Momente, um es immer wieder zur Dekompensation kommenzu lassen. Geringe Formveränderungen werden sich zunächst nichtmehr dahingehend auswirken; jedoch kommt es trotz der erreichtenEntlastung infolge des automatischen Absinkens der Leistungsfähig-keit, gefördert durch falsches Husten, Überanstrengung u.a., späterwieder zur Insuffizienz und damit zum mechanisch bedingten »Asth-ma« der Lungenerweiterung. Darüber hinaus kann es bei gewohn-heitsmäßigem Gespannthalten der Lungen infolge des automatischenAbsinkens der Leistungsfähigkeit später wieder zur Insuffizienz und

107

Page 108: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

damit zum mechanisch bedingten »Asthma« der Lungenblähungkommen. Außerdem hinaus kann es aus der dauernden Reizungdurch falsches Husten, Fehlatmung und Überanstrengung, zur Wie-derkehr der nervösen Reaktion kommen. Daher die »Spätrückfälle«,oft erst nach vielen Jahren! Sie können in einer der beiden verschiede-nen Formen oder auch kombiniert auftreten, so wie es im vorigenKapitel näher erläutert ist. An dieser »Rückfälligkeit« ändert auch diebeste seelische Behandlung nichts. Das gleiche gilt natürlich auch fürdie echten Spontanheilungen, die durch Änderung der Lebenseinstel-lung schicksalhaft eintreten können.

Hintergründe der inneren ÜberspannungObwohl hier nur die funktionell-anatomische, die »mechanische«

Seite des Atmens zur Rede steht und diese als ausschlaggebend für dasasthmatische Syndrom angesehen wird, sind doch einige Erläuterun-gen über die mit hineinspielenden seelischen Faktoren angebracht.Sie haben nicht nur für die belastenden Bronchialverengungen spasti-scher oder allergischer Art Bedeutung, sondern müssen auch in derÜbungsbehandlung der Atmung mit in Rechnung gestellt werden.

Innere Angstspannung hemmt die Umstellung auf die Eigenverant-wortung, der Voraussetzung für jedes erfolgreiche Arbeiten. Die Über-spannung in der Körpermuskulatur und den Lungen erschwert dasEinüben korrekter, »spielender« Bewegungen.

Die seelisch-nervöse Überspannung ist die unbewußte Angstreak-tion des schwachen Gemüts auf eine Macht, der es sich nicht gewach-sen fühlt und von der überwältigt zu werden es fürchtet. Wie der Kör-per, so sucht auch das Gemüt den Druck durch Einsatz größter Span-nung zu tragen *).

In beiden Fällen ist Schwäche der Anlaß zur Überspannung. Aufdas typische Bild der angstvollen Anspannung mit angehaltenemAtem sei hingewiesen.

Wie man beim Heben von Lasten, die einem zu schwer erscheinen,die Schultern mit den prall gefüllten, gespannten (aufgeblasenen!)Lungen abstützt (s. S. 79), so sucht sich auch das schwache Gemütunter einem Druck Halt zu geben, den zu ertragen es sich nichtimstande fühlt.

*) Anm.: Spannung und Druck stehen in engster Beziehung zueinander - in dermenschlichen Seele wie in der Physik.

108

Page 109: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Diese schädliche »Hilfsmaßnahme« fixiert und verschlimmert sichzusammen mit den Fehlern, die sie veranlaßten und auf die sie einge-stellt ist.

Die Entwicklung zu dieser »Gemütshaltung« dürfte immer in derfrühesten Kindheit beginnen, wenn ein sensibles Kind einer Eltern-macht ausgesetzt ist, die es, statt es sich nach seinen eigenen Anlagenentwickeln zu lassen, in ihrem Bilde formen will. Diese Konstellationist in jedem einzelnen Fallle des jugendlichen Asthmas mit spastischerKomponente nachzuweisen; sie entsteht ausnahmslos zwischen Vaterund Tochter oder Mutter und Sohn. Von dieser Regel gibt es keineAusnahme. Es ist das im Unterbewußten wirksame Vater- oder Mut-terimago der Psychologen, das zum bösen Dämon entartet; es bleibtdeshalb meistens auch nach dem Tode des jeweiligen Repräsentantenwirksam, auch wenn kein anderer zu seinem Träger gemacht wird.

Manchmal wird auch die unheilvolle Rolle - des Menschenfressersoder der Hexe unserer Märchen - früher oder später auf einen der älte-ren Geschwister, Verwandten, Lehrer o.a. übertragen und von diesemübernommen. Hält sich die kindhafte Einstellung, wie häufig, in dasErwachsenenalter hinein, tritt gegebenenfalls der Ehepartner an dieStelle des Vaters oder Mutter, in »deren Bild« er unbewußt gewähltwurde.Ob diese innere Fehlhaltung zum Bronchialasthma führt, hängt da-von ab

a) wie groß die seelische Widerstandsfähigkeit des Betroffenen ist -die Belastungsbreite seines Gemüts -, dessen Versagen sich als Angst-spannung manifestiert,

b) wie weit die hier erläuterten Voraussetzungen für das Versagender Atmung vorliegen.

Die Zunahme des Bronchialasthmas um ein Vielfaches im Zusam-menhang mit dem zivilen Bombenkrieg und in der Zeit der Besat-zung zeigt sehr eindrucksvoll die bedrohliche Rolle der Macht, dieden Unterlegenen wehrlos zu Boden drückt. So hat bezeichnender-weise auch der Aufenthalt in Gefangenenlagern zu BronchialasthmaAnlaß gegeben. Der »Vater« (!) Staat bzw. sein Nachfolger und Stell-vertreter ist für den machtempfindlichen Menschen zum Urheber ele-mentarer Angst, »zum Menschenfresser« geworden. Die seelischeKonstellation ist stets dieselbe wie zwischen Eltern und Kind, und je-de Situation, die an den »Urkonflikt« erinnert, löst den Ablauf dernervösen Reaktion aus. Die fehlerhafte Einstellung liegt natürlich

109

Page 110: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

auch im Kind, bzw. in dem noch in den Kinderschuhen steckendenErwachsenen. Die Regeln von den Beziehungen zwischen Leistungs-fähigkeit und Belastung gelten auch für seelische Funktionen. Darumist der Druck der Großen um so wirksamer, je kleiner das Kind ist,während es von der Kraft und der Einstellung des betreffenden Kin-des abhängt, ob es dem Druck von oben standhält oder nicht. Je klei-ner es ist, desto wehrloser ist es *).

Die innere Not der angstvollen Überspannung symbolisiert undentlädt sich im Anfall als äußerer, körperlicher Vorgang; dazu dürfteauch die allergische Schwellung der Bronchien als organisch geworde-ne Weiterentwicklung der psychisch-nervösen Reaktion zu sprechensein **).

Der Anfall kann spontan eintreten oder wird durch einen geringfü-gigen »Reiz« ausgelöst. Die Rolle dieses Reizes ist die eines auslösen-den Moments durch zusätzliche geringe Belastung des Nervensy-stems, wobei den »unverträglichen« Stoffen durch ihren Symbolge-halt, den sie für das Gemüt des nervös Anfälligen haben, Gewicht ver-liehen ist.

Die Kombination von nervösen und allergischem Asthma ist daherverständlich.

Diese seelischen Faktoren erklären den meistens mangelhaftenErfolg einer Kurverschickung zur Genüge. Sie nützt insofern, als siedas Kind aus der belastenden Umgebung entfernt. Vom Druck befreit,atmet es erleichtert auf, es sei denn, daß die »Großen« am neuen Ortin ähnlicher Weise in ihm wirksam werden wie jene, die es hinter sichließ. Da sich in einer größeren Gemeinschaft der Druck einer Autori-tät auf viele verteilt, ist die Gefahr relativ gering. Darüber hinausunterliegt die Möglichkeit echter Genesung auch dann noch densel-ben Einschränkungen, bestimmt durch Fehlform und Fehlfunktion,wie bei anderen Wegen seelischer Behandlung (s. S. 107). Nur imgünstigen Falle der bereits erwähnten Ausnahmen entfalten sich dieKräfte des kindlichen Gemüts so weit, daß sie nunmehr der häusli-chen Übermacht gewachsen sind, während sich in seinem wachsen-

*) Die seelische Schwäche solcher Kinder hat häufig in der »Bindegewebsschwäche«dieser Typen ihre körperliche Parallele. Ihre Muskelschwäche beeinträchtigt Wirbel-säule und Brustkorb und die Leistungsfähigkeit der Atmung und schafft damit dieVoraussetzung für deren Versagen.**) Dieser Ausbruch der »inneren« Krankheit »nach außen« ist ein auf die Integrität -das Heil - der Persönlichkeit abzielender gesetzmäßiger Vorgang.

110

Page 111: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

den Körper gleichzeitig die gesunde Form durchgesetzt hat und derAtemapparat mit der wiedergewonnen Spannkraft wieder leistungsfä-higer geworden ist.

Katarrhalisches AsthmaEs unterscheidet sich deutlich von den beiden anderen Asthmafor-

men, weit deutlicher als diese untereinander.Seine Anfälle verlaufen weit milder und mehrprotrahiert als bei je-

nen, unter reichlicher katarrhalischer Absonderung in den Bronchien.Die von diesem Sekret zusammen mit der Schleimhautschwellungverursachte Verengung - die zum Versagen des arbeitsinsufflzientenAtemapparates führende Belastung - ist relativ gering. Sie führt be-kanntlich im allgemeinen nicht zu Atembeschwerden; jeder nochleidlich funktionierende Atemapparat ist ihr gewachsen. Zum Versa-gen der Atemwege kommt es nur bei der besonders weitgehend herab-gesetzten Leistungsfähigkeit, wie sie für diese Fälle typisch ist.

Daß es sich dabei tatsächlich nur um eine katarrhalische Entzün-dung der Bronchien handelt, beweist unter anderem die Art des Bron-chialsekrets, das, im deutlichen Gegensatz zum »echten« Asthma, indiesen nicht seltenen Fällen jugendlichen Asthmas einen typischenentzündlich-katarrhalischen Charakter hat.

Es gleicht darin weitgehend dem fortgeschrittenen Emphysem derälteren Jahrgänge, bei dem die Belastungsbreite so weit abgesunken ist,daß jede schwere Bronchitis, resp. deren akute Verschlimmerung mitvermehrter Sekretion und Schwellung, zu den anfallartig auftreten-den Beschwerden der dekompensierten Atmung führt, die im vorigenKapitel als »mechanisch bedingte Asthmaanfälle der Lungenerweite-rung« erwähnt und beschrieben wurden. Wie dort kommen und ge-hen auch beim katarrhalischen Asthma die Anfälle mit der Belastungdurch die katarrhalische Verengung. Wie dort setzen sie eine durchhochgradige Fehlfunktion bedingte, weitgehend herabgesetzte Bela-stungsbreite voraus, so wie es in dem oben erwähnten Beispiel derdurch schweren Keuchhusten geschädigten Atmung der Fall zu seinpflegt. Auch eine hochgradige Brustkorbdeformierung kann daranschuld sein. Fehlende Nasenfunktion, allgemeine Muskelschwächeund häufige Hustenerkrankungen bei asthenischen, katarrhalischanfälligen Kindern tragen einerseits durch das Fehlen des automati-schen Trainings, andererseits durch Strapazierung einer schwächli-chen Atmung zu deren Verfall bei. Dieser ist dann eines Tages so weit

111

Page 112: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

fortgeschritten, daß der Atemappparat bei der nächsten Belastungdurch eine schwere Bronchitis versagt, der er bis dahin noch gewach-sen war. Damit ist aus der rezidivierenden Bronchitis ein »Bronchial-asthma« geworden.

Die Ähnlichkeit dieser Asthmaform, die besonders bei bestimmtenkindlichen Konstitutionstypen vorkommt, mit dem »bronchiti-schen Emphysem« der Älteren ist daher größer als mit dem spastischoder allergisch bedingten, »echten« Asthma, sie läßt sich bezeichnen-derweise auch nur schwer in die von der Allergie beherrschten No-menklatur des Bronchialasthmas hineinquälen. Sie wäre besser als»broncbitisches Emphysem der Jungendlicben« gekennzeichnet. Solangediesem Asthmatyp die komplizierende spastische oder allergischeKomponente fehlt, reagieren diese Fälle wenig auf die üblichenAsthmamittel; auch darin gleichen sie dem Emphysem der Älteren.

Daß sich das katarrhalische Asthma mit der spastischen und derallergischen Reaktion komplizieren kann, wurde im Anfang diesesKapitels ausdrücklich erwähnt. Auch eine Kehlenge kann unter demEinfluß der gesteigerten Fehlfunktion des Anfalls hinzutreten unddas Anfallsbild dem der anderen beiden Formen angleichen.

In seiner reinen, unkomplizierten Form ist das katarrhalischeAsthma ausgesprochen leichter zu beeinflussen als die beiden ande-ren Formen. Besonders beim Jugendlichen ist die Leistungsschwächeeinschließlich der dabei mitspielenden Brustkorbdeformierung nochvöllig zu beseitigen; ihre Besserung macht sich angesichts ihrer hierbesonders maßgeblichen Bedeutung schnell und entscheidend gel-tend.

Fortschreiten des BronchialasthmasMit obigen Erläuterungen dürften bereits viele Fragen beantwortet

sein, sowohl über das Auftreten und die Entwicklung des Bronchial-asthmas als auch über sein Schwinden und seine Heilung.

Die entscheidende Rolle der Atmungsqualität - ihre Leistungs-fähigkeit und Belastungsbreite - beleuchtet die gar nicht seltene Beob-achtung, daß eine behinderte Nasenatmung, resp. ein Nasenleiden ofteinem Bronchialasthma jahrelang vorausgehen kann. Solange dieAtemmuskulatur noch leidlich funktionstüchtig ist, genügt sie dererhöhten Belastung eines Bronchialkatarrhes; es bleibt bei den harm-losen Beschwerden einer Bronchitis ohne Atemnot. Auf die Dauer je-doch führt das Fehlen des automatischen Trainings durch korrekte

112

Page 113: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Nasenfunktion zur Abnahme der Querspannung und läßt dieLeistungsfähigkeit des Atemapparates weiter absinken. Eines Tages istdann, anläßlich einer größeren Belastung mit relativer Verengung, dasVersagen unter Zusammenbruch der Querspannung - der ersteAsthmaanfall - da. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Verengung ka-tarrhalisch, enzematös oder spastisch ist.

Sehr deutlich ist diese Entwicklung bei dem »zum Heuasthma aus-artenden« Heuschnupfen, der oft jahrelang die einzige Manifestationder allergischen Reaktionslage sein kann, bis eines Tages die Ver-schlimmerung zum Asthma eintritt. Die allergischen Erscheinungenwaren schon immer gleichzeitig mit denen in den oberen als auch inden unteren Luftwegen, den Bronchien, vorhanden und machten sichauch durch Husten bemerkbar. Zum Versagen der Atmung, demAsthmaanfall, kam es aber erst, nachdem die Atmung, wie bei demNasenleiden nicht anders zu erwarten, genügend an Leistungsfähig-keit verloren hatte.

Die »Heilung«, die durch Besserung des Bronchialkatarrhs vorüber-gehend erzielt wird, ist durch die Verringerung der gestellten Ansprü-che zu erklären. Daraum ist der prompte »Rückfall« unter der alten Be-lastung unvermeidlich.

Wesentlich in verringerter Belastung besteht auch der Nutzen derUnterdrückung nervöser Krampfreaktionen in Bronchien und Kehledurch lähmende Medikamente und Eingriffe, ebenso der einer antial-lergischen oder Suggestionsbehandlung, falls sie zufällig glückensollte. Fehlfunktion und Schwäche der Muskulatur und der Atmungbleiben bestehen. Die »Heilungen« sind daher in der Regel nur vor-übergehend. Doch kommt zuweilen - in »sehr erfolgreichen Fällen« -der Rückfall erst nach Jahren, und zwar dann, wenn eine Erkrankungder Atemwege wiederum große Ansprüche an den Atemapparat stelltoder dessen Leistungsfähigkeit inzwischen sehr abgenommen hat. Eskann u.U. auch durch Allgemeinerkrankungen verursacht sein, diemit der übrigen Muskulatur auch die der Atmung schwächen; die Hal-tung der Querspannung ist dabei ebenso in Mitleidenschaft gezogen,wie die der Längsspannung, der Brustkorb ebenso wie die Wirbelsäule.

Im gleichen Sinne wirkt die im Laufe der Zeit automatisch eintre-tende Verschlimmerung der Fehlfunktion. Daher ist auch die Gefahrdes Asthma»rückfalls« mit fortschreitendem Alter und seinem Verfallan Muskelspannung und Körperform besonders groß; sie ist ebensowie im Anschluß an langwierige Krankheiten der Atmungsorgane

113

Page 114: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Ausdruck der fortgeschrittenen Schwäche der Atemmuskulatur. Die-ses »spät wiederkehrende Asthma« kann dann »rein mechanisch«, wiebeim unkomplizierten Emphysem mit der Belastung kommen undgehen (s. S. 92) oder auch mit der früheren spastisch-nervösen Kompo-nente kombiniert sein.

Die verstärkte Fehlatmung der Anfälle pflegt sehr bald in der ver-stärkten Fehlform des Rumpfes zum Ausdruck zu kommen und ihrebleibende Spur zu hinterlassen. Diese Rumpfdeformierung, die beider Lungenerweiterung als Ursache mitspielen kann, ist hier die Folgeder durch falsche Atemtechnik mehr und mehr geschädigten Quer-spannung und deren Rückwirkung auf die Längsspannung des Rump-fes. Ihre Einzelheiten hängen von Art und Grad der Fehlfunktion ab,die sich der Betreffende angewöhnt hat. Die Lunge wird entsprechendder Deformierung in Mitleidenschaft gezogen, und ihre bei derPreßatmung während des Anfalls entstandene Überdehnung wird da-mit zum Dauerzustand.

Damit hat sich dem echten Brochialasthma das »sekundäre«Emphysem hinzugesellt. Es zeigt sich in »asthmatischen« Beschwer-den, die nun auch außerhalb der eigentlichen Anfälle auftreten und -der Lungenerweiterung entsprechend - mit der Belastung kommenund gehen.

Der Endzustand der beiden anfangs so deutlich unterschiedenenKrankheitsbilder, des echten Bronchialasthmas und des Emphysems,ist also für beide ein und derselbe: die dauernde Ateminsuffizienz derfortgeschrittenen Lungenerweiterung mit den asthmatischen Be-schwerden des Dekompensationszustandes, die entweder - als Symp-tom des Emphysems - bei körperlicher Belastung oder katarrhalischerSchleimhautentzündung auftreten und in der Ruhe, resp. nachAbklingen des Katarrhs wieder schwinden und mehr protrahiert ver-laufen, oder - ausgelöst durch eine spastische oder allergische Reak-tion - plötzlich in echten Anfällen auftreten *).

Die gleichen Zusammenhänge sind auch die Erklärung dafür, daßnach Eintreten der Brustkorbdeformierung die Wiederherstellung ei-ner leistungsfähigen Atmung auch die entsprechende Korrektur desBrustraumes wie bei der Lungenerweiterung nötig macht. Erst dann ist

*) Aus diesen Zusammenhängen ist die erstaunlich unklare Nomenklatur der asthma-tischen Erkrankungen zu erklären. Die Unterscheidung zwischen den mechanischenund den nervösen Faktoren ist für das Verständnis des jeweiligen Krankheitsbildesunerläßlich, für die Therapie jeder Art ein großer Vorteil.

114

Page 115: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

die ausreichende Kräftigung in dem Maße möglich, wie es die schwereBelastung einer spastischen Bronchialverengung verlangt.

So erklären sich auch die üblichen Rückfälle nach an sich günstigverlaufenen Verschickungskuren zwanglos. Das »andere, reizlose«Klima, der Umgebungswechsel (Wegfall der Milieubelastung) bedeu-ten eine Entlastung des Atemapparates durch den Fortfall der beson-deren Beanspruchung, einschließlich einer »nervösen« Belastung.Weil aber Fehlform, Fehlfunktion und Leistungsschwäche weiter be-stehen, führt die nächste »Erkältung« und der geringste äußere undinnere Reiz zu Hause - je nach dem Grade der Fehlform, der Fehlfunk-tion und der Leistungsschwäche - den alten krankhaften Zustand wie-der herbei.

Es gibt auch Fälle, bei denen die Krampfneigung aus später zuerwähnenden Gründen schwindet und damit auch die Anfallsnei-gung abnimmt. Da aber die inzwischen eingetretene Deformierungund die Lungenblähung weiter bestehen, so halten sich die typischenEmphysembeschwerden, die mit körperlicher Beanspruchung oder ei-ner Erkältung kommen und gehen. Sie führen dann im Laufe der Zeit,eben durch den bestehenden Fehlmechanismus, zur Verschlimme-rung der Lungenblähung, die sich schließlich wieder mit - nunmehrals sekundär zu bezeichnenden - Asthmaanfällen komplizieren kann.

Andererseits kann man das Asthma der Kinder schwinden sehen,wenn sich der Körper im Laufe seines Wachstums gut entwickelt,unter Umständen begünstigt durch einen längeren Milieu- oder Kli-mawechsel. Das setzt voraus, daß die Muskulatur noch leidlich intaktoder in kräftiger Entwicklung begriffen und die Körperform noch ei-nigermaßen erhalten ist. Daß das Asthma trotz des Weiterbestehensder Milieubelastung schwindet, wenn man durch entsprechende Be-handlung die Form und Leistungsfähigkeit des Atemapparates wie-derherstellt, ist im anschließenden Kapitel beschrieben; unter beson-deren - seltenen - Umständen tritt der gleiche Erfolg von selbst ein.Der Fall eines jungen Mädchens, das sein Asthma in den ersten Mona-ten einer Gymnastikausbildung verlor, bei der besonderer Wert aufgute Haltung gelegt wurde, ist bezeichnend. Ebenso typisch ist der Falleines 30jährigen Mannes mit »angeborenem« Asthma und Ekzem. Erverlor das Asthma in der Gefangenschaft am Mittelmeer, als er sichmit Ausdauer dem Harpunieren von Tintenfischen widmete. DieTechnik des Tauchens, wie er sie dort von den Einheimischen lernte,wirkte nicht nur über die Streckung des Rumpfes unter Ausatmen kor-

115

Page 116: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

rigierend auf die Atmung, sondern kräftigte diese durch die dabeiangewandte Handhabung des Atems - langsames Entweichen derdrucklos gestauten Luft wie beim Ton (s. S. 51) - wie man es bessernicht hätte wünschen können. Der längere Afrikaaufenthalt vorher,der Klimawechsel, hatte - wohlgemerkt - das Asthma nicht beein-flußt. Etwa l Jahr nach der Heimkehr, das der Mann ziemlich untätigzu Hause verbracht hatte, stellte sich der alte Zustand langsam wiederein: Die Spannkraft seiner Muskulatur war wieder geschwunden.

Diese Beispiele erläutern die ausschlaggebende Bedeutung, die die me-chanischen Wirkungen der Fehlfunktionfür das Auftreten der asthmati-schen Beschwerden haben. Dabei repräsentiert die Fehlatmung die zumAsthma disponierende Konstitution. Auch die Einzelheiten der verschie-denen Krankheitsbilder sind aus dem Ineinandergreifen der nervösausgelösten und der ausschließlich mechanischen Faktoren und ausdem jeweiligen Maße ihrer Beteiligung zu verstehen. Dabei nehmendie mechanischen Faktoren mit zunehmendem Alter einen größerenRaum ein, während die nervöse Komponente an Bedeutung verliert.

Beim Jugendasthma ist es umgekehrt, doch sind auch bei seinerEntstehung die rein mechanischen Bedingungen von erheblichgrößerer Bedeutung als allgemein angenommen wird.

Vom katarrhalischen Asthma wurde dies bereits erläutert: bei relati-ver Muskelschwäche, die ja bei Kindern häufig eine »konstitutionelle«Katarrhneigung zu begleiten pflegt, kann z.B. eine gewisse Lungenblä-hung durch das Versagen der schwachen Bauchmuskulatur eingeleitetwerden. Das Husten »in den Bauch hinein« führt dann, genau wiebeim Emphysem der Älteren, nur eben schneller, zu asthmatischenBeschwerden, die nach dem Keuchhusten »zurückbleiben«. Man hathier auch den Eindruck, daß die Kehl- und Bronchialverengung, ge-nau wie dort, wesentlich durch die »äußeren« Faktoren der fehlerhaf-ten Atemmechanik zustande kommen; die Atemnot pflegt in typi-schen Fällen immer erst nach längerem Husten zu beginnen. Auf der-selben Linie liegen neuere Anschauungen, nach denen die katarrhali-sche Disposition dieser Kinder als Ausdruck einer durch Rücken undBrustkorbdeformierung begünstigten geringfügigen Lungenerweite-rung anzusehen wäre. Demnach wäre das katarrhalische Asthma nurFolge eines fortgeschrittenen Atemverfalls, bei dem es dann schließ-lich auch wie aus den beim Emphysem erläuterten Gründen, zu »ner-vösem«, allergischen Asthma kommen kann, da der Atemapparat

116

Page 117: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

infolge der dauernden Mißhandlung und Reizung eine gewisse »ner-vöse« Anfälligkeit und Reizbarkeit entwickelt.

In ganz ähnlicher Weise könnte sich auch hier das unwillkürlicheAtemanhalten auswirken, so wie beim spastischen Asthma (s. S. 103)erläutert. Die günstige Wirkung einer Ruhigstellung der Lunge durcheine relativ einfache Atmungskorrektur spricht durchaus für dieseAnnahme.

117

Page 118: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow
Page 119: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

IV. Funktionelle Behandlung der kranken Atmung

Allgemeines

Die Behandlung der kranken Atmung ist, wie aus unseren bisheri-gen Ausführungen hervorgeht, bei allen asthmatischen, durch dasVersagen der Atmung gekennzeichneten Erkrankungen grundsätz-lich die gleiche und besteht darin, durch entsprechendes Üben1. die Atmung im Sinne der Normalatmung zu korrigieren,2. sie ausreichend zu kräftigen, damit sich auch schwersten Belastun-gen, einschließlich der Atemerschwerung durch spastische Bronchial-verengung, gewachsen ist.

Die Übungsbehandlung setzt sie aus den unten angeführten Tei-len zusammen, die man jeweils bei den verschiedenen Krankheitsfor-men entsprechend kombiniert; dies ist im anschließenden V. Kapitelnäher erläutert. Soweit eine Atemkorrektur bei anderen Krankhei-ten angebracht sein kann, sind auch für diese die entsprechenden Be-handlungspläne umrissen: sie sind natürlich, einfacher und wenigerumfangreich.

Die großen Möglichkeiten dieser Übungstherapie der Atmungdürften in den bisherigen Erläuterungen ausreichend begründet wor-den sein. Sie sind die gleichen wie die jeder anderen Bewegungsthera-pie. Sie haben auch den gleichen Nachteil, nur so weit zum Zielezufüh-ren, wie die Aktivität des betreffenden Patienten reicht. Der Erfolg setztdaher Interesse und Ausdauer voraus; fehlen diese, ist jede Übungsbe-handlung, hier wie überall, sinnlos. Ansonsten ist dem notwendigenMuskeltraining nur durch eine größere Kreislaufschwäche Grenzengesetzt, die den Atmungskranken immer wieder dazu verführen will,zu den starken Muskelgruppen des Schultergürtels usw. seineZuflucht zu nehmen, denen die Atemarbeit ja erheblich leichter fällt.

Zu dieser Therapie gehören grundsätzlich folgende Abschnitte:1. Da die angestrebte Normalisierung der Atembewegungen eine

leistungsfähige Brustwandmuskulatur voraussetzt, muß diese in ihrerArbeitsweise korrigiert und systematisch gekräftigt werden.

2. Da beim Asthmatiker das reibungslose Durchströmen des Atemsin den Luftwegen regelmäßig gestört ist und der Düsenwiderstand inder äußeren Nase, der auf die Atemmuskeln und den Lungenzugspannungsregulierend wirkt, ebenso regelmäßig fehlt, ist die Korrektur

119

Page 120: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

der Atemsteuerung unbedingt erforderlich; sie ist sicherlich ebensowichtig, wie die Korrektur und Kräftigung der Atemmuskeln.

3. Erst dann ist die Hauptforderung zu erfüllen, - die korrekte Nor-malatmung systematisch so einzuüben, daß sie schließlich zur Ge-wohnheit wird.

4. Gleichzeitig müssen etwa vorhandene Atemfehler abgewöhntwerden, welche die Atmung strapazieren und ihre Normalisierung er-schweren. In erster Linie das äußerst schädliche unwillkürliche Atem-anhalten, ebenso aber auch größere Stimmfehler u.a.

5. Um auch größeren Belastungen gewachsen zu sein, speziellAtemerschwerung durch die verschiedenen Arten der Bronchialver-engung, die sonst zum Versagen der Atmung, d.h. zu asthmatischenBeschwerden führten, ist die Wiederherstellung erst dann endgültiggesichert, wenn die Atemmuskulatur und damit die Atmung wiedergenügend gekräftigt ist.

6. Die Wirbelsäule muß so gut wie möglich korrigiert und jedenfallsso weit gekräftigt werden, daß sie dem Brustkorb wieder mühelos undsicher Halt gibt. Ohne diesen kann auch er dem Zwerchfell nicht ge-nügend Halt bieten.

1. Brustkorb

Die Wiederherstellung einer funktionstüchtigen Brustwandmus-kulatur erreicht man, der Funktion dieser Muskeln entsprechend,hauptsächlich durch isometrische Spannungsübungen:

a) Weit- und Gewölbthalten des oberen Brustkorbes ohne Anspan-nen des Schultergürtels oder der Halsmuskeln; dabei wird gemächlich,flach und weich (ohne Widerstand) weiter geatmet.

b) Ziehharmonikaartiges Bewegen des Brustkorbes, ein geringesWeiten und Zusammensinken in genau horizontaler Richtung, wobeiin derselben Weise wie oben mitgeatmet wird. Es darf ausschließlichmit Hilfe der eigentlichen - der inneren Brustwandmuskeln zustandekommen, ohne jede Beteiligung der »Hilfsmuskeln«. Besonders dieschädliche Mitarbeit des M. serratus inferior wird häufig übersehen;sie ist an einem charakteristischen, leichten Einsinken des oberenBrustkorbes beim Einatmen deutlich zu erkennen.

c) Breithalten des ganzen Brustkorbes unter Weiteratmen (die»Ziehharmonika wird auseinandergezogen gehalten«). Der Schulter-gürtel usw. soll dabei, wie bei a) und b), völlig entspannt sein.

120

Page 121: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

d) Kurzes »Anzupfen« der Rippen, »als ob man sie mit den innen inder Brustwand gelegenen Muskeln ganz kurz, wie nur angedeutet, zuspreizen versucht«. Es soll ein blitzschnelles, den Brustkorb geringfü-giges weitendes Anspannnen sein, gefolgt von sofortigem Wiederlos-lassen, ohne das geringste Mitarbeiten der äußeren Muskeln.

Durch dieses aktive Bewegen bzw. Spannen des Brustkorbes mitden »eigenen« Muskeln wird dieser gekräftigt, durch passives Bewegt-werden mit von außen an ihn herantretenden Muskelgruppen dage-gen nicht im geringsten.

Dieses kräftige Brustkorbspannen findet sonst nur - als Teil derAtemstütze - bei der korrekten Tonbildung statt. Als isometrischesSpannen nähert sich diese Übung daher dem an sich unersetzbaren»natürlichen Turnen« des Singens. Diese - aktive - Brustkorbgymna-stik soll selbstverständlich am besten bei gut gestreckter Wirbelsäulegemacht werden, um Rippen und Muskeln in die beste Ausgangsstel-lung bringen; sie sicher zu halten ist dabei entscheidend und wichtigerals die Wiederherstellung der Brustkorbform.

Bei passiven Brustkorbbewegungen werden die Befestigungspunk-te der Rippenmuskeln dauernd bewegt, so daß diesen der Halt fehlt;ihre Arbeit wird gestört und ihre Leistung beeinträchtigt.

Überdies verhindert jedes Rewegtwerden grundsätzlich die Erstar-kung durch eigenes Bewegen. Erst auf der Grundlage der Wirbelsäulen-haltung gelingt es daher, die eigentliche Brustkorbmuskulatur zu trai-nieren, bis auch sie ihre volle Funktionstüchtigkeit wiedergewonnenhat. Das ist bei jedem Brustkorb möglich, der nicht - in höherem Le-bensalter - allzu hochgradig deformierte Rippen aufweist. Immerhinsind die Deformierungen der Brust leichter zu beeinflussen als die derWirbelsäule. Die Form des Brustkorbes kann daher weitgehend, wennauch nur langsam, seine Funktion aber völlig und relativ schnell - ineinigen Wochen oder Monaten - wiederhergestellt werden. Daß manden Brustkorb nur dann trainieren kann, wenn er nicht vom Bauch-muskelschlauch festgehalten wird, versteht sich von selbst, ebensodaß ein - überwiegend passiv - überspannter Brustkorb erst entspanntwerden muß, ehe die Muskeln der Brustwand wieder korrekt arbeitenkönnen. Erst dann lassen sich die oben aufgeführten Spreizbewegun-gen in den verschiedensten Partien, auch ohne daß dabei miteingeat-met wird, schließlich auch unter leichtem Ausatmen und endlich inVerbindung mit dem Ton ausführen. Nur auf diesem Wege ist es möglich,die innere Brustkorbmuskulatur wieder voll funktionstüchtig zu machen, so

121

Page 122: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

daß dann nach und nach durch Bevorzugung einzelner Partien dieForm in gewünschtem Sinne geändert werden kann. Insbesondere derobere Brustkorb kann nur so wieder tiefer und breiter werden.

Ist nach der passiven Aufstellung des Brustkorbes durch denRückenstrecker die aktive Tätigkeit seiner Muskulatur wieder ausrei-chend hergestellt, beginnt dieser alsbald - nach einigen Monaten -automatisch mit der normalen Anspannung beim Einatmen untergeringer Erweiterung seiner unteren Öffnung zu arbeiten. Es genügtdann, darauf zu achten, daß der Bauch einschließlich der Lendenre-gion gut entspannt ist und nachgibt. Absichtliches Rippenspreizenbeim Einatmen würde auf die Dauer wieder zur Überspannung füh-ren. Es muß nur als Einleitung manchmal angewandt werden, beson-ders bei invertierten Brustkorbbewegungen.

Für eine intensive Brustkorbarbeit sollte die Tonfunktion zu Hilfegenommen werden. Bei einer für die Haltung der Wirbelsäule ausreichen-den Kraft der Rückenmuskulatur ist - außer in höherem Lebensalter -mit ihr und den speziellen Rippenübungen jede Brustkorbdeformierungzu be-seitigen, ohne sie nie! Auch ist nur mit dem Ton die höchste Vollendungder Brustkorbform zu erreichen, Andernfalls muß diese durch stetigeSonderübungen mit den Rippen immer wieder angestrebt und wenig-stens einigermaßen erhalten werden. Wo infolge unserer heutigenWohnverhältnisse keine Gelegenheit zum Singen ist, kann der gleicheErfolg für den Brustkorb durch Summen und - notfalls - auch durchrichtig ausgeführtes Stöhnen erreicht werden; vorausgesetzt aller-dings, daß sich Brustkorb und Zwerchfell dabei genauso verhalten,wie es beim Ton geschehen soll (s. S. 52).

Ist die Brustkorbfunktion wieder hergestellt, so genügt es, bei richti-ger Rückenhaltung auf das richtige Halten des oberen Brustkorbesbeim Sprechen zu achten, während man den unteren Brustkorb sichselber überläßt. Damit festigt sich die korrekte Form des Oberkörpersund die korrekten Atembewegungen des Rumpfes mehr und mehr.

Brustkorbbewegungen in Verbindung mit Einatmen haben nursehr begrenzte korrigierende Wirkung und sind nur dazu zu verwen-den, um den Brustkorb zur Vorbereitung seiner eigenen Aktivität be-weglich zu machen.

Noch weniger haben Übungen mit den Schultermuskeln einengünstigen Einfluß auf den Brustkorb, da sie ihn nur passiv bewegen,die Atemmuskeln aber dabei gerade nicht beansprucht werden. Es gibtgenug Sportler mit kräftigen Schultern, aber deformierten Rücken

122

Page 123: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

und Brustkorb - und späterer Lungenblähung! Durch Schulterbewe-gungen wird oft eine Rückenstreckung und ein Breiterwerden desBrustkorbes vorgetäuscht; entsprechend sind die Resultate. Muskeltä-tigkeit fördert aber die Form und Funktion nur dann, wenn sie in nor-malen Bewegungsabläufen erfolgt. Die Muskulatur der oberen Extre-mitäten ist für die Arbeit der Hände vorgesehen. Wird sie gebraucht,kräftigt sie in erster Linie sich. Die Brustwandmuskulatur beeinflußtsie nur mittelbar, geringfügig und insofern, als diese ihr bei Gebrauchder Hände durch erhöhte Haltungsspannung den entsprechendenRückhalt geben muß; diese Wirkung bleibt natürlich erheblich hinterderjenigen zurück, die durch aktives Anspannen erzielt wird.

2. AtemsteuerungDiese ist, wie in Kapitel I ausführlich erläutert, Sache der Nase in

ihrer gesamten Länge, einschließlich des dahinter liegenden oberenRachens. Die Störungen hängen hier mit Fehlern in bestimmten Mus-kelgruppen zusammen, die entweder, wie die Rachenmuskulatur, ander Atemformung direkt beteiligt sind, oder, wie die des Gesichts undder Zunge, durch ihre Verspanntheit die Düsenwirkung in der vorde-ren Nase vereiteln, resp. die Rachenmuskulatur in Mitleidenschaftziehen. Infolgedessen ist auch hier die Korrektur nur durch eineÜbungsbehandlung zu erreichen. Die entsprechende Technik istdurchaus einfacher, als man anzunehmen geneigt sein mag, wenn manzum ersten Mal mit diesen Zusammenhängen konfrontiert wird. Mankann manchmal schon dadurch zum Ziele kommen, daß man- die Form der Nase immer wieder korrigiert, indem man die Haut ne-ben oder über der Nase - mit leichter Hand - senkrecht nach untenzieht. Auf diese Weise wird die Nase etwas schmaler und enger, so daßdann beim Atmen das korrekte, leise-rauschende Geräusch »innen imNasenrücken« zustande kommt.

Störungen durch benachbarte Muskelgruppen sucht man dabei da-durch auszuschalten, daß man- die Lippen l mm offen läßt, um die Verspannung des Gesichts zuverhüten,- die Zunge flach entspannt, wie losgelassen, im Mund »zu Boden ge-sunken« und ihre Spitze l mm von den Zähnen zurück nach hinteneingezogen liegen läßt.

123

Page 124: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Die Mitarbeit der Rachenkuppel wird, falls nicht anders möglich, mitHilfe von Geräuschen eingeübt, bei denen deren Muskeln automa-tisch wieder zur korrekten Tätigkeit angeregt werden. Ein leisesSchnarchen »hinter der Nase« gelingt - nach einigen vergeblichenVersuchen - anfangs am leichtesten. Schnalzen ganz hinten am Gau-men, die unten angeführten Zungenbewegungen und Atemsteuernmit einem Gaumengeräusch (»k« und »ch«) tragen ebenfalls dazu bei.

Bald kann dann das normale, sonst kaum wahrnehmbare Atemge-räusch des Rachens mit dem Bestreben eingeübt werden, nur dort hör-bar und mit einer gewissen, »hohl« klingenden Kopfresonanz zuatmen.

Es muß dahin kommen, daß der Atem, wie in Kapitel I beschrieben,»im Kopf« - mit der vorderen Nase und der Rachenkuppel - sicher ge-handhabt und gesteuert wird. Die größte Sicherheit gewinnt man,indem man den Atem dort spielend laufen läßt und unabhängig da-von entweder den Kiefer oder die Zungenwurzel bewegt.

Unter Umständen muß dieses korrekte Atmen in und mit der Nasedurch eine - leider wenig eindrucksvolle - Kleinarbeit gefördert wer-den, deren Notwendigkeit, ja einschneidende Bedeutung dem Patien-ten nur langsam aufzugehen pflegt.

a) Die Gesichtsmuskulatur und das Bindegewebe in der Umgebungder Nase werden durch Massage gedehnt.Durch Bewegungs- und Entspannungsübungen der Gesichtsmuskelnwird deren unwillkürliches Verspannen beseitigt.

b) Die Zunge wird durch ausgiebiges, dehnendes Bewegen »mas-siert« und gelockert. Intensives Entspannen und gezielte Bewegungenihrer Spitze bringen sie unter Kontrolle. Besonders das vollständigeEntspannen der Zunge zu üben ist wirkungsvoll, einfach und überauswichtig.Die Wirkung der Zungendehnung und -entspannung erstreckt sichauch auf die muskulären Verbindungen zwischen Zunge und Rachen.

Die Kiefermuskulatur wird durch ausgiebige Bewegungen des Unter-kiefers nach allen Richtungen gedehnt, ihre Überspannung außerdemdurch besonders langsames Bewegen und durch längeres Hängenlas-sen des Unterkiefers beseitigt. Das richtige Öffnen der Kiefer (s. S. 60)ist unerläßlich.

c) Die Korrektur der Gesichtsmuskeln kann dadurch unterstütztwerden, daß die Nasenflügel du*ch knetendes Massieren wieder ela-stisch gemacht werden und das Atmen »vorne innen im Nasenrük-

124

Page 125: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ken« unter leichtestem Kneten solange immer wieder geübt wird, bises automatisch geworden ist.

d) Rachenmuskelübungen, mit denen der obere Rachen wieder zurkorrekten Mitarbeit an der Atemsteuerung gebracht wird, sind häufigebenfalls nötig.

Die Rachenmuskulatur zu entspannen ist recht einfach und ge-lingt in Verbindung mit der Entspannung des Kiefers und der Zunge;sie ist am ruhigen Hängen des Gaumensegels zu kontrollieren.

Die einzige, ihre Spannkraft fördernde Übung besteht im Hebender Zungenwurzel. Dabei ziehen die oberen, für Atem- und Tonsteue-rung wichtigen Rachenmuskeln die Zungenwurzel nach oben unddrücken mit ihr das Gaumensegel in die Rachenkuppel hinein. DieZunge selbst soll dabei völlig passiv bleiben. Jede Aktivität ihrerseitsoder in den Muskeln des Kiefers und der Lippen stört die Arbeit deräußerst zart gebauten Rachenmuskulatur.

Mit den beiden Grundpfeilern, der Brustkorbspannkraft und derAtemsteuerung in der Nase, steht und fällt die gesamte Atemkorrek-tur und -kräftigung. Die erforderliche Behandlungs- resp. Unterrichts-technik kann man sich unschwer anhand der erwähnten theoreti-schen Erläuterungen und praktischen Übungsanweisungen im Selbst-studium aneignen *).

3. Einüben der NormalatmungMit Hilfe des gekräftigen Brustkorbes und der wiedergewonnenen

normalen oder wenigstens behelfsmäßigen Atemsteuerung wird dasEinüben der Normalatmung leichter und leichter. Es erfordertanfangs erhebliche Aufmerksamkeit, da die Muskulatur erst langsamwieder lernt, automatisch korrekt zu arbeiten; erst dann kann sie wie-der kräftiger werden. Daß auch der Patient dazu ein klares Bild von derAtmung haben muß, liegt auf der Hand **).

Worauf beim Einüben der Normalatmung geachtet werden muß, istaus Kapitel I zu entnehmen, was unbedingt zu vermeiden ist, ausKapitel II.

Der Gefahr - sonst durchaus nicht zu Unrecht gefürchtet -, durch zuvieles Atmen - Hyperventilation - Schaden anzurichten, ist leicht durchBeachtung der Grundregeln zu begegnen, zum bewußten Atmen nie

*) Vgl. PAROW, J.: Heilung der Atmung, 3. Aufl., Paracelsus Verlag, Stuttgart, 1979.**) Anm.: PAROW, J.: Atemfibel, 4. Aufl., Paracelsus Verlag, Stuttgart 1980, ist kurz-gefaßt und allgemeinverständlich, in der Regel dafür ausreichend.

125

Page 126: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

mehr Luft zu verwenden, als unbedingt vom Körper verlangt wird.Tiefes Atmen ist keineswegs identisch mit wirkungsvollem Atmen.Das normale Atmen muß- genau gelernt werden. Der kleinste Fehler ist verhängnisvoll, da ermit eingeübt wird. Guter Unterricht ist daher so nötig und muß so ge-nau sein wie für das Spielen auf einem Musikinstrument,- intensiv eingeübt werden. Nur durch häufiges korrektes Bewegenkönnen ungünstige Bewegungen von korrekten verdrängt werden.

Die korrekte Atmung muß so lange bewußt angewandt werden, bissie zur automatischen Gewohnheit geworden ist. Sie fällt im übrigenmit zunehmender Kräftigung des Brustkorbes und verbesserter Atem-steuerung leichter und leichter. Sie muß evtl. durch eine einfach zuerreichende Korrektur der Bauchmuskulatur zum Vorteil der Zwerchfell-bewegung erleichtert werden, wozu auch eine gute allgemeine Entspan-nung weitgehend beitragen kann.

BauchmuskulaturDie normale schlanke Form des Bauches ergibt sich zwangsläufig

aus der korrekten Brustkorbstellung und -form, durch die die Körper-höhle oben wieder geräumiger wird; diese muß sich dann unten veren-gen und die Eingeweide kommen wieder in ihre normale Lage. Daßdie Kräftigung der Wirbelsäule dabei vorausgesetzt ist, bedarf keinerErläuterung. Bis dahin ist es unsinnig, einen überdehnten Bauch durchMuskelkräftigung enger machen zu wollen. Man erreicht nur ein vorüber-gehendes Verschieben der Eingeweide, die nach oben gedrückt wer-den, aber nie in dieser Lage bleiben, weil der dabei passiv erweiterteOberkörper alsbald wieder zusammensinkt und die Eingeweideherabdrückt. Die richtige Brustkorbstellung bringt auch dieUrsprungs- und Ansatzstellen der Bauchmuskeln wieder in ihre nor-male Stellung zueinander, so daß dise ihre normale Spannung und Be-wegung leichter wiedergewinnen und ihre Aufgabe als Stütze der Ein-geweide und der Zwerchfellstellung besser erfüllen können. Sie benö-tigen daher im allgemeinen keine besondere Übungsbehandlung,außer in einigen Fällen hochgradiger Erschlaffung oder wenn ihnen,z.B. durch »Atemgymnastik«, besondere Fehler beigebracht waren.

Zur Normalisierung der Bauchmuskulatur gehört im übrigen inerster Linie deren Entspannung *). Ohne diese ist sowohl die Zwerch--) Auch der große, überdehnte Bauch, dessen Muskulatur verkümmert ist, pflegt über-spannt zu sein.

126

Page 127: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

fellbewegung als auch das Spreizen des unteren Brustkorbes, der vomBauchmuskelschlauch umschlossen wird - also die gesamte Einat-mungsbewegung - behindert. Es ist hierbei besonders auf die Lenden-gegend, die hintere Partie der Bauchmuskulatur, zu achten. Dort ist,begünstigt durch sitzende Lebensweise, eine Überspannung und Ver-kürzung die Regel. Auch bei der Ausatmung ist auf völlige Entspan-nung der größte Wert zu legen; die richtige Bewegung, das elastischeZusammenziehen ohne erhöhte Spannung, stellt sich dann von selberein. Nur in Ausnahmefällen müssen die Bauchmuskeln anfangs durchabsichtliches Einziehen zu den richtigen Bewegungen angeregt wer-den. Hochgradige Fehlatmung und eingeübtes, falsch verstandenesBauchatmen können es vorübergehend erforderlich machen.

Bei sehr überdehnter vorderer Bauchwand ist es nötig, diese unab-hängig vom Atmen zu kräftigen und zu straffen. Eine solche Bauch-wand gibt bei der Einatmung zu sehr nach und läßt Eingeweide,Zwerchfell und Lunge herunterfallen«, wobei letztere zu sehr ge-dehnt wird. Die Kräftigungsübungen sollen »nur mit der unterhalbdes Beckenkammes liegenden Bauchwand« gemacht werden. DieserTeil ist zusammen mit dem Beckenboden als Stütze der Baucheinge-weide und damit für die Stellung des Zwerchfells wichtig. Er ist funk-tioneil als dessen »vordere Wand« ein Teil des Beckens. Er strafft sichauch automatisch, zusammen mit dem Beckenboden, bei der Feststel-lung des Beckens durch Anspannen der Gesäßmuskeln.

Sonst ist kein spezielles Training der Bauchmuskulatur nötig. Siekann - entspannt - sich selbst überlassen bleiben.

ZwerchfellMit der Normalisierung des Brustkorbes und des Bauchmuskel-

schlauches stellt sich auch die normale Bewegung des Zwerchfellszwangsläufig wieder ein; damit steigt auch seine Wirkung.

Eine isolierte, spezielle Kräftigung des Zwerchfells ist nicht erfor-derlich. Dessen Spannkraft erhöht sich zusammen mit der des Brust-korbes durch das Einatmen unter Widerstand in der Nase und durchden Ton; auch die auf S. 61 erwähnte „natürliche Atemgymnastik"wirkt in diesem Sinne. Andere, als besonders kräftigend bezeichnete»Zwerchfellübungen«, wie »Bauchschnellen«, »Bauchatmung« unterBelastung der vorderen Bauchwand usw., wenden das an sich gesundeWiderstandsprinzip an der falschen Stelle an: sie werden auch leichtunter schädlicher Heranziehung von Hilfskräften ausgeführt (Her-

127

Page 128: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ausdrücken des Bauches durch Brustkorbsenkung oder gar -Verengungund Wirbelsäulenbewegungen usw.). Der eigentliche funktioneile»Antagonist« des Zwerchfells - das ideale Mittel für Widerstans-übungen - ist die Nasenenge! Allenfalls könnte man noch dieSchwerkraft ohne Gefahr der Fehlbewegung dazu heranziehen - näm-lich im Kopfstand.

Allgemeine EntspannungDas Herabsetzen der Muskelspannung auf das normale Maß, die

Beseitigung einer unbewußten Überspannung, wird mit Recht allge-mein hoch bewertet. Die Nachteile der letzteren für die Atmung sindin Kapitel II ausreichend erläutert. Sobald diese fortfällt, bessern sichdie Atembewegungen automatisch - soweit es der sonstige Zustandder beteiligten Muskeln gestattet. Die Entspannung der Bauchmusku-latur kommt der Zwerchfellbewegung zugute, ebenso, wenn auch we-niger augenfällig, dem Brustkorb, dessen unterer Teil von überspann-ten Bauchmuskeln gehemmt wird. Noch mehr profitiert der Brust-korb von der Entspannung des Schultergürtels, dessen Muskeln ihnbreitgestellt und hochgezogen (faßförmig) halten. Gleichzeitigentspannen sich auch die im gleichen Sinne in Mitleidenschaft gezo-genen eigentlichen Brustwandmuskeln.

Ähnliches gilt von den Hals-, Rachen- und Gesichtsmuskeln mitihrem Einfluß auf die Funktion von Kehle und Nase.

Das Entspannen ist im Liegen sehr einfach. Man lernt es amschnellsten und mit Sicherheit, indem man sich, in bequemer Ruhela-ge, dazu zwingt- 20 Minuten absolut stillzuliegen, ohne auch nur die kleinste Bewegungan irgendeiner Stelle zu machen mit der Vorstellung, »immer schwe-rer« aufliegen zu wollen.

Einleitend muß auch die Atmung entspannt werden, was auf dieunten beschriebene Weise (s. S. 130) durch mehrmaliges Ausatmen -ohne jeden Nachdruck (»Herauslassen des Atems«) - mit einem »Seh«oder »Pfff« unschwer gelingt.

Mit der Zeit lernt man so, dieses willkürliche Nachgeben in den unwill-kürlich überspannten Muskeln in kürzester Zeit herbeizuführen, auchohne dabei liegen zu müssen. Die vielfach in Verbindung mitEntspannen betriebene Suggestionstherapie hat mit diesem keinezwangsläufige, unmittelbare Beziehung. Zur Sicherheit sei auch hiernochmals daran erinnert, daß jedes absichtliche Entspannen die Hö-

128

Page 129: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

he der normalen, zur Erhaltung der Körperform notwendigen Ruhe-spannung nicht unterschreiten darf. Jedes mehr wäre ein Erschlaffen,deformierend für Wirbelsäule und Brustkorb, rumpfverengend undin jeder Hinsicht schädlich (s. 6. Abschnitt).

HilfsatemsteuerungSolange die normale Atemsteuerung fehlt und auch behelfsmäßig

nicht mit der auf den S. 123/124 geschilderten vorläufigen Korrekturunter Anfassen der Nase mühelos gelingt, muß die falsche Atem-steuerung, ganz besonders das Atmen »mit der Kehle«, ausgeschaltet wer-den, indem man sie durch eine Steuerung an anderer Stelle ersetzt: entwe-der mit den Lippen, in denen ein weiches »f«, oder mit der Zungenspit-ze, mit der ein ebensolches »sz« erzeugt wird; auch ein »chi« zwischenZungenrücken und Gaumen oder ein »kch« mit der hinteren Zungeam weichen Gaumen kann unter Umständen dazu benutzt werden.

Dieser regulierende Widerstand muß solange angewandt werden,bis die Nase wieder ihre Arbeit übernommen hat. Auch die behelfs-mäßige Atemsteuerung erfolgt beim Ein- und Ausatmen stets an dergleichen Stelle und mit dem gleichen Atemgeräusch und der Atemwird im übrigen so geführt, wie für die korrekte Nasenatmung auf S.46 geschildert.

Das Ausatmen mit einem Ton regulieren oder verbinden zu wollen,ist widersinnig, da dieser unter Zurückhalten des Atems durchAnspannen der Atemmuskeln, jenes durch dessen Loslassen unterderen Nachgeben zustande kommen soll.

Ob und wie lange die Hilfsatemsteuerung notwendig ist, richtetsich nach den Besonderheiten der einzelnen Fälle (s. Kapitel V).

4. Ausschalten der AtemfehlerUnwillkürliches Luftanhalten

Dabei bleibt die Atmung dauernd im Zustand der Spannung undkommt - im wahren Sinne des Wortes - niemals »zur Ruhe«. Daß mandamit der »Reizbarkeit« von Lungen und Bronchien Vorschub leistetund deren »nervösen Anfällen« die Wege bereitet, liegt auf der Hand;ebenso - als Folge der ständigen Lungenüberfüllung - der Emphysem-entwicklung.

Falls es dem Patienten nicht gleich gelingen sollte, die Atmung stetsund ständig in Ruhe zu lassen, so daß diese ungestört automatisch wei-terlaufen kann, muß er lernen, jede, auch die kleinste Muskelanspan-

129

Page 130: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

nung mit einem kurzen, weichen Ausatmen zu verbinden, ohne jedenNachdruck, ohne den Brustkorb zu senken und ohne vorher Luft zuholen.

Manchmal erreicht man dies leichter durch ein sehr kurzes, leises,druckloses Stöhnen (s. S. 61).

Auch jede Gemütsbewegung - jede Gemüts-»anspannung« - sollteer damit verbinden, da hier erfahrungsgemäß der gleiche Fehler drohtwie bei der Muskelspannung.

Dieses »Loslassen des Atems«, die naturgegebene Atmungsentspan-nung, funktioniert erst dann völlig korrekt, wenn der Brustkorb eini-germaßen seine Spannkraft wiedergewonnen hat.

Später gelingt schließlich auch das normale »Inruhelassen derAtmung« (siehe Tier!), und zwar am besten mit der Vorstellung,- die Lungen bei eingesunkener Magengrube und schmalem unteremBrustkorb dauernd »leer« zu halten.

Die erforderliche Ventilation stellt sich bekanntlich automatischein; in Ruhe gelassen »spielt« sich die Atmung am leichtesten wiederein und arbeitet in der für alle Teile günstigen Art und Weise.

HustenMit dem Nachlassen des Kehlreizes bei richtiger Atemsteuerung

verringert sich auch der Zwang zum Husten, der sonst sämtliche Feh-ler und Schäden immer wieder verschlimmert.

Seine Ausschaltung gelingt unter Umständen leichter, wenn dieLuft durch den Mund bei weichen, spaltförmig geöffneten Lippeneingesaugt wird, und zwar in Verbindung mit einer Spreizbewegungdes Brustkorbes (»wie die einer Ziehharmonika«). Anschließend sollnicht »ausgeatmet« werden, sondern die Rippen werden breit gehalten,während die Luft nur »losgelassen« wird; sie entweicht dann drucklosund unhörbar (»abdampfend«). Es ist dabei besonders wichtig, daßnur eingeatmet und nicht absichtlich ausgeatmet wird, so paradox diesdem Patienten auch vorkommt. Die Rippenbögen geben beim Ausat-men unmerklich doch etwas nach, so daß sie beim Einatmen wiedergespannt werden müssen. Auf diese Weise ist das drucklose Ausatmenam besten gewährleistet und die Reizung der Kehle durch die sonstunter Druck und Reibung ausströmende Luft verhütet.

Es gelingt manchmal recht schnell, dem Patienten das Husten abzu-gewöhnen.

130

Page 131: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Wenn aber gehustet wird, muß der Unterbauch dabei eingezogenwerden. Noch besser wäre es, das Brustbein zu heben; es fällt demAnfänger freilich schwerer.

StimmstörungenDeren schädlichen Einfluß begegnet man natürlich am besten

durch eine Stimmkorrektur im Sinne der in Kapitel I geschildertenDarstellung. Wo dies nicht möglich ist, soll man die Mißhandlung derAtmung - wenigstens so weit wie möglich - durch relativ leises Spre-chen auf wenig gefüllter Lunge herabsetzen.Zu diesem Zweck soll man- vor dem Sprechen etwas ausatmen, so wie oben (Luftanhalten) be-schrieben, und diese Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung jedesNachdrucks u.a. auch während des Sprechens immer wieder einschie-ben,- unter größter allgemeiner Entspannung sprechen mit dem Vorsatz,»gar keine Luft dabei verbrauchen zu wollen«.

5. Kräftigung der AtmungDie dafür maßgebliche Muskulatur- kräftigt sich nach erfolgter

Bewegungskorrektur bis zu einem gewissen Grade von selber. Dabeiwirkt die wieder hergestellte Nasenenge dauernd spannkraftanregendim Sinne eines automatischen Widerstandstrainings, die korrekteKlangbildung beim Sprechen als besondere Kraftübung.

Außerdem kann die Spannkraft der Atemmuskulatur noch durchzwei besondere Übungen gefördert werden:

a) durch »Schniefen«, ein kurzes, schnelles und flaches Einatmen,bei dem sich die Nasenspitze besonders weitgehend verengt.Bei diesem »Klimmzug« des Zwerchfells muß die Gesichtsmuskulaturentspannt sein; aktives Zusammenziehen der Nasenflügel, ihr Zu-sammenkneifen, wäre störend.

b) durch »Herausspannen der Taille«.Dabei drückt, genau wie beim Ton, das sich anspannende Zwerch-

fell die Bauchwand in der Taille ringsherum etwas heraus. Dieses Her-ausspannen der Taille ist mit der sogenannten Atemstütze beim Ton-ansatz identisch. Es ist nur wirksam, wenn man den Brustkorb dabeiunbeweglich still halten kann; er darf sich nicht im geringsten nachunten verschieben.

Ebenso achte man auch auf das Stillhalten der Wirbelsäule.

131

Page 132: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Um jedes Pressen (Drucksteigerung im Brustraum) zu vermeiden,stelle man sich die Kehle dabei »offen« vor, bei entspanntem, etwasgeöffnetem Mund und entspannter, flacher Zunge.

Mit dieser Sonderübung kommt man dem »natürlichen Turnen«des Atemapparates beim korrekten Sprechen und Singen am näch-sten.Ihre größte Spannkraft gewinnt die Atemmuskulatur natürlich nurdurch ausgiebiges Singen!

Daß ein Leistungstraining der Atmung nur über den Klang, alsodurch ausgiebiges »konstruktionsgerechtes« Singen möglich ist, läßtsich eindeutig deduzieren. Diese medizinisches Denken äußerst be-fremdende Tatsache wird durch die Erfahrung illustriert, daßAsthmakranke ihr Leiden häufig beim guten Gesangsunterricht loswerden, während ihnen die üblichen, auf Vergrößerung des Luftwech-sels abzielenden Atemübungen selten mehr als eine vorübergehendeLinderung zu verschaffen pflegen. Nur beim Ton spannen sich dieAtemmuskeln - und ebenso der Lungenzug- maximal an und haltendiese Spannung, solange der Ton klingt. Da aber solche »Atem- oderTonstütze« nur bei leidlich kräftiger Brustwandmuskulatur korrektgelingt, muß diese Voraussetzung oft erst durch die oben beschriebe-ne Brustkorbgymnastik wieder geschaffen werden.

Die beim Halten und Führen des Klanges tätige Muskulatur im obe-ren Rachen wird im Rahmen der Atemsteuerungskorrektur (s. unter2., S. 123) recht gut vortrainiert. Noch besser erfolgt dies beim- Summen mit dem nasalen »n(g)«.

Die unter 1-5 aufgeführten Maßnahmen und Übungen - nach denin Kap. I gegebenen Anweisungen korrekt ausgeführt - reichen voll-kommen aus, um die Atmung, wie hier gewünscht, zu kräftigen. Mankann es dann nach und nach sogar wieder mühelos zum mühelosklingenden Summen oder Singen von Volksliedern bringen, selbstdort, wo die korrekte Klangbildung schon verloren gegangen war.

Bei kleineren Kindern erweist sich das Nachahmen von Tierstim-men u.a. als unterhaltsamer und daher erfolgreicher.

6. Korrektur der WirbelsäuleDie schon mehrfach erwähnten engen Beziehungen zwischen Wir-

belsäule, Brustkorb und Atmungsmuskeln, deren Zustand weitge-hend vom Zustand des Rückens mitbestimmt wird, machen es not-wendig, die korrigierende Behandlung der Wirbelsäule in den

132

Page 133: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Übungsplan mit einzubeziehen. Mit der verbesserten Lage und Stel-lung jener Muskeln kann auch deren Leistung wieder steigen und dasautomatische Trainingsmoment wieder wirksam werden.

Sämtliche Übungen zielen darauf ab, die Wirbelsäule in ihrer gan-zen Länge zum festen Halten zu bringen. Selbstverständlich soll derganze Rücken, einschließlich des Nackens, möglichst gestreckt sein;eine ideale Streckung ist aber nicht immer zu erreichen, selbst nachausgiebigen Lockerungsübungen, die stets mit heranzuziehen sind.Für den Brustkorb ist aber auch nicht so sehr die Streckung, sondern inerster Linie die »Festigkeit» - das »Halten« - der Wirbelsäule entschei-dend, die als Rückhalt für den Brustkorb, für die Wirkung seiner Mus-kulatur von erheblichem Einfluß ist.

Form und Haltung der Wirbelsäule wird von der großen Muskel-masse des in Kapitel I, S. 25 erwähnten Rumpfaufrichters bestimmt,dessen Muskelbündel die Wirbelsäule von unten nach oben »in dieLänge schieben«. Da er sich auf dem Becken aufbaut, ist das korrekteund sichere Halten des Beckens ebenso unerläßlich für die Form undHaltung der Wirbelsäule, wie das korrekte Halten der Wirbelsäule fürdie Form des Brustkorbes. Die Haltung des Beckens wiederum ist Sa-che der Beinmuskeln, deren Zustand heutzutage sehr oft zu wünschenübrig läßt. Versagt dieser Halt, wird stets die ganze Wirbelsäule in Mit-leidenschaft gezogen. Damit ist auch die Haltung des Brustkorbes,dessen Rippen an der Wirbelsäule befestigt sind, im wahresten Sinnedes Wortes »hinfällig«. Halt und Form des Brustkorbes kann daher so-wohl - indirekt - durch ungenügendes Halten des Beckens verlorengehen, als auch - direkt - aus Schwäche des oberen Rückenstreckers,dessen einzelne Muskelbündel an der Brustwirbelsäule entspringenund so angeordnet sind, daß sie, den Kopf tragend, die obere Wirbel-säule strecken. Die besten Rücken und damit die schönsten Körper-formen sieht man daher in nennenswertem Umfang nur noch bei Völ-kern, bei denen es üblich ist, die Lasten mit dem Schädel zu tragen, wo-zu dieser auch sichtlich geeignet ist. (Andere Arten des Tragens sindbekanntlich ungünstig.)

Die Bein- resp. Beckenmuskulatur ist durch Spannungsübungen,die aus jeder brauchbaren Körperschulung zu entnehmen sind, relativleicht zu kräftigen.Die Wirbelsäule selber muß- gedehnt und beweglich gemacht und- ihre Muskulatur gekräftigt werden;

133

Page 134: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

- die ihrer Erhaltung dienenden konstruktionsgerechten Haltungs-und Bewegungsgewohnheiten müssen eingeübt werden, da nur so ihreKraft und Elastizität automatisch in voller Höhe erhalten bleiben; siesind später am allerwichtigsten.

Gymnastik kann einen fortschreitenden Verfall gerade noch auf-halten. Wiederaufbau dagegen ist schwerer und verlangt korrekte, »gu-te« Gewohnheiten. Diese wirken ebenso reformierend, wie die schlech-ten vorher deformierend gewirkt haben.

Zur Kräftigung des Rückenstreckers dient vornehmlich die Bela-stung in der Senkrechten.

Die Neumann-Neurodesche Nackenschaukel ist für kleinere Kin-der, die »kleine Brücke« - zwischen Kreuz und Hinterkopf - vorzüg-lich zur Korrektur der oberen Wirbelsäule bei Größeren geeignet.

Sonstige Übungen, auf die jeweils vorliegenden Fehler abgestellt,können aus den gängigen Systemen der Körperschulung entnommenwerden. Einige davon, besonders solche, die im Stehen und Sitzenmöglich sind, sollten in den Tagesplan mit eingebaut werden. Schulterund Armbewegungen gehören nicht zur Rückenbehandlung; ihre Zu-hilfenahme kann das Training der eigentlichen Rückenmuskulatursogar stören. Oft wird auch ein Anspannen des oberen Rücken-streckers durch Spannen der Schultermuskulatur vorgetäuscht; dieWirbelsäule braucht sich dabei keineswegs mitzustrecken, sondernkann ebensogut krumm bleiben. Das Rückenstrecken darfauch nicht,wie immer noch üblich, mit Einatmen verbunden werden, da diesesder Normalisierung der Atmung entgegenwirkt.

Das übliche Einatmen beim Strecken resp. Heben des Oberkörpersist besonders widersinnig; es hat sich nur deshalb eingebürgert, weildas Atmen »mit dem Brustkorb« irrigerweise im Mittelpunkt der gäng-igen Vorstellungen vom Atmen zu stehen pflegt. Beim Steckenspannt sich der viereckige Lendenmuskel; er verengt dabei die Taillewirkt also im Sinne der Ausatmung. Gleichzeitiges Einatmen verhin-dert die beim Aufrichten des Rumpfes normale Verengung der Taille,und leistet dem Pressen Vorschub. Wird dagegen ausgeatmet,entspannt sich die Lunge, und jede unnötige zusätzliche Belastungwird verhütet. Gleichzeitig findet die rumpfformende Wirkung derWirbelsäulenstreckung darin ihre Ergänzung und kommt damit vollzur Geltung. Am wirksamsten aber dürfte auch bei der Wirbelsäuledas Einüben der normalen, d.h. ihrem konstruktivem Aufbau ent-sprechenden Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten sein, die ja

134

Page 135: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

schließlich für die Gestaltung des Rumpfes maßgeblich sind. Sie las-sen sich genau, für die Praxis ausreichend und relativ kurz gefaßt,lehren, erklären, definieren und sogar als korrekt beweisen. Man kannsie auch heute noch bei einigen Völkern am lebenden Beispiel studie-ren. Diese Gewohnheiten sind auf die Dauer die beste Behandlung. ImRahmen dieser für Fachleute gedachten theoretischen Grundlagendürfte es nicht notwendig sein, die entsprechenden Regeln dafür auf-zuführen. Man kann sie auch notfalls der Veröffentlichung über dieBehandlungs- und Übungstechnik der funktionellen Atmungsthera-pie entnehmen *).

Ziel und ErfolgAuf diese Weise ist es in jedem Falle möglich,

a) die normale Atemmechanik automatisch werden zu lassen, diekaum noch der bewußten Kontrolle bedarf;

b) die Atemmuskulatur so zu kräftigen, daß sie auch der erhöhtenBeanspruchung der Bronchialverengung bei Katarrhen, Spasmen usw.und ebenso beim Husten gewachsen ist und ihr Entgleisen in allen Fäl-len verhütet ist;

c) die Form des Atmungsapparates, d.h. also des Körpers, wieder-herzustellen, was dessen normales, automatisches Spiel fördert;

d) die Elastizität und Kraft der Lunge weitgehend wiederzugewin-nen und das Lungenvolumen zu reduzieren. Die Möglichkeiten sindgrößer als allgemein angenommen wird. Schlimmstenfalls kann dieAusatmung mit einem minimalen Nachdrücken der Bauchmuskula-tur, aber ohne daß die Form des Bewegungsablaufs verändert wird, be-werkstelligt werden. Es ist immerhin weit besser als das sonst in sol-chen Fällen übliche starke Pressen mit Herunterdrücken des Brustkor-bes.

e) Atemfehler zu beseitigen, die bisher zum Verfall der Atmung bei-trugen.

Meistens ist es auch noch notwendig, sinnwidrige Atemübungenauszumerzen, von denen schon mehrfach die Rede war. BesonderesAugenmerk ist auf das Unterlassen der forcierten Ausatmung, jegli-cher Mitarbeit des Rückens und des Herabdrückens des Brustkorbesbeim Ausatmen zu richten. Auch absichtliches »tiefes Luftholen« und

*) s. Anm. auf S. 125

135

Page 136: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

»gründliches Ausatmen« ist für den Atmungskranken so gut wieimmer ungünstig.

Bewußtes Atmen heißt, die Luft mit der Nase zufassen und wahrzuneh-men. Es kann überhaupt nur insofern und soweit bewußt gemacht wer-den, wie es mit den Sinnen zu kontrollieren ist; in diesem Falle mitdem Tast- und dem Geruchssinn. Genauso, wie das Essen darin be-steht, die Speise mit dem Mund zu kauen und zu schmecken, bestehtdas Atmen im Schnaufen und Riechen und es ist genauso abträglichfür die Atmung, sich die Lungen und die Brust möglichst ausgiebigfüllen zu wollen, wie es der Verdauung schadet, sich Magen und Bauchmöglichst vollzuschlagen; beides ist »sinn-los«, in des Wortes vollsterBedeutung!

Im Gegenteil! Der schwachen und kranken Verdauung ist mit einerNahrungszufuhr in kleinen Portionen am besten gedient, der gefähr-deten Lunge durch Atmen mit wenig Luft!

Mehr zu atmen - ähnlich wie essen - als der Organismus ver-langt, ist zudem anstrengend, ganz besonders für den Kreislauf. Esmuß beim korrigierenden Üben daher so langsam und mit so wenigLuft wie möglich geatmet werden. Viel Luft ist am allerwenigsten da-bei nötig!

136

Page 137: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

V. Übungsbehandlung der Atmung bei den verschie-denen Erkrankungen

Die Übungsbehandlung variiert je nach den Besonderheiten dereinzelnen Zustände und je nachdem, wie deren Atmungsfehlerentstanden und miteinander verflochten sind. Meistens wird man alleAbschnitte dieser Behandlung berücksichtigen müssen, auf die im fol-genden der Kürze halber mit den betreffenden Ziffern 1.-6. hingewie-sen ist. Bei den asthmatischen Zuständen wird man diese in der Regelim vollen Umfange heranzuziehen haben.

a) LungenerweiterungBei ihr kommt es in erster Linie darauf an,- die Normalatmung einzuüben (3., S. 120).Man benutzt dabei tunlichst die zunächst behelfsmäßig korrigierteNasenatmung oder eine der Hilfsatemsteuerungen mit dem Mund(2., S. 123) und ist dabei darauf aus,- die Lungen möglichst »leer« zu halten resp. werden zu lassen(4., S. 129).Dabei bringt man zunächst durch eine entsprechende Stellung oderLagerung den Brustkorb in die günstigste Lage und Form, geht aber so-bald wie möglich zum Üben in Sitzen und Stehen über.Gleichzeitig beginnt man damit,- den Brustkorb und die Wirbelsäule zu korrigieren und zu kräftigen(L, S. 106 u. 6., S. 132).Ebenso muß von Anfang an eingeübt werden,- den ungünstigen Husten zu korrigieren (S. 130),- das unwillkürliche Überfüllen der Lungen bei jeder Tätigkeit zu ver-hüten (4., S. 130).

Letzteres ist bei der unkomplizierten Lungenerweiterung relativleicht dadurch auszuschalten, daß man mit jeder Muskelanspannung,auch der geringsten, ausatmet und dies zur festen Gewohnheit macht.Das sichtlich leichtere Treppensteigen ist ein verblüffender Erfolg die-ser Technik. (Man darf dies nur nicht mit wirklicher Besserung ver-wechseln: die Beseitigung eines belastenden Fehlers ist nicht einemGewinn an Leistungsfähigkeit gleichzusetzen.)Als nächstes wird- die Wiederherstellung der automatischen korrekten Nasenatmungin Angriff genommen (2., S. 46).

137

Page 138: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

So gut wie immer ist dazu- die Behandlung der Gesichtsmuskulatur notwendig, oft auch, imInteresse der Rachensteuerung,- Kiefer-, Zungen- und Rachenübungen (s. S. 130).

Unbedingt zu lernen und einzuüben ist auch das korrekte Mundat-men, da es hier, bei dem meistens geschwächten Kreislauf schon beigeringen körperlichen Anstrengungen, also recht oft, notwendig wird.

Nach Sicherung der automatischen Atemsteuerung mit der Nase istweiter nichts mehr nötig, als, unter Beachtung der in Kapitel I gegebe-nen Regeln, dauernd bestrebt zu sein- normal und auf keinen Fall zuviel zu atmen und die Lungen dabei»so leer wie möglich« zu halten (3., S. 130).Schließlich muß die Atmung noch gekräftigt werden (5., S. 131).

Gelingt dies mit Hilfe des Klanges, kann es auch im Gehen gesche-hen, im übrigen ist bei schwacher Atmung von allen Atemübungenim Gehen abzuraten; die gesunde verträgt alles mögliche. Gelingt dasSingen nicht unter korrekten Weithalten des Rumpfes, muß man zuden entsprechenden Sonderübungen seine Zuflucht nehmen(L, S. 120-122) und diese mehrmals am Tage anwenden.

Beim unkomplizierten Emphysem schwindet die bei körperlicherAnstrengung auftretende Atemlosigkeit in der Ruhe wieder vonselbst. Es geht aber schneller, wenn man nach einem recht tiefen Ein-atmen durch den Mund den Atem - abwartend - so lange wie mühelosmöglich, »stehen läßt«, während er so wie auf S. 130 für die Bekämpfungdes Hustens geschildert, ohne jedes eigene Zutun »abdampft«.

b) Preßatmung bei LungenerweiterungAls erstes wird- die Kehlenge durch die Ersatzsteuerung mit »seh« oder »kuff« ausge-schaltet. Meistens glückt dies anfangs am besten, wenn mit Ausatmenauf »seh« beginnt und gleichzeitig den Brustkorb »in sich zusammen-sinken läßt«. Dabei kann die Überspannung sowohl in seinen eigenen,als auch in den Hilfsmuskeln zum Nachlassen gebracht werden. Istdies erreicht, kann man mit jeder beliebigen Hilfsatemsteuerung fort-setzen.

Sobald man diese Technik im Stehen einigermaßen beherrscht,kann man auf das restliche Programm wie in a) übergehen. Man mußaber lange j edes Üben immer wieder mit der oben beschriebenen regu-lierenden Atemsteuerung einleiten, bis es gelingt, Überfüllung, Über-

138

Page 139: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Spannung und Pressen durch dauerndes korrektes Steuern derAtmung, wie in a) beschrieben, zu verhüten.

c) Paradoxe BrustkorbbewegungSie wird- durch willkürliches, genau kontrolliertes und gelenktes Bewegen desunteren Brustkorbes im Sinne der Normalatmung, also umgekehrt alses unwillkürlich geschehen will, beseitigt.

Die Bewegungen werden dabei zunächst ausgiebiger als normal ge-macht, mit der Tendenz, den Brustkorb dabei immer mehr zuentspannen und in seine normale Form zu bringen (s. S. 37). Der Atemwird durch ein behelfsmäßiges Geräusch gesteuert wie bei b), so daßgleichzeitig das Pressen ausgeschaltet wird.Man lernt es zunächst im Sitzen und übt es später im Stehen weiter.

Ob man mit dem Aus- oder dem Einatmen beginnt, ist auszupro-bieren. Im übrigen richtet man sich nach dem in a) und b) gegebenenProgramm, dessen Richtlinien und Ziele natürlich auch hier gültigsind.

d) Verhütung der Lungenerweiterung. Chronische BronchitisDa es die gleichen Atemfehler sind, die den Bronchialkatarrh chro-

nisch werden lassen und zur Lungenerweiterung führen, ist die funk-tionelle Behandlung für beide Entwicklungsstufen die gleiche. Sie istim Frühstadium natürlich unkomplizierter.

Außer der selbstverständlichen Hustenkorrektur kommt es nur aufeine meistens einfach zu erreichende Normalisierung der Atmung an,die gewöhnlich schon bei korrekter Atemsteuerung in der Nase undnach einiger Kräftigung des Brustkorbes zu erreichen ist (1.-3.).Wichtig ist außerdem die »Ruhigstellung der Lungen« (4.).

Zu berücksichtigen sind dabei sämtliche Abschnitte der Übungsbe-handlung. Ihre Ziele sind aber meistens mit wenig Aufwand zu errei-chen; oft genügen schon die in Kapitel I gegebenen Richtlinien.

e) BronchiektasenSie können durch eine Atemkorrektur nicht zum Abheilen ge-

bracht werden, ihre Ausdehnung kann aber reduziert, die Sekretmen-ge erheblich (etwa um 2/3) verringert und die Beschwerden nichtunerheblich gebessert werden.

139

Page 140: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Die Behandlung ist die gleiche wie bei der gewöhnlichen Lungener-weiterung. Dabei ist auf folgendes größter Wert zu legen:- das Leersein der Lungen (4., S. 128),- die Formung des Brustkorbes.

Zu diesem Formen bedarf es guter Brustwandmuskeln (L, S. 120).Damit kann man dann mit der Zeit - und je nach Lebensalter schnelloder langsam - unter drucklosem Stauen den Brustkorb so formen,daß die Verkleinerung der Bronchiektasen begünstigt wird. Ebenfallsgünstig wirkt sich eine Korrektur der Wirbelsäule aus (6., S. 132).

j) LungentuberkuloseSoweit bei einer tuberkulösen Erkrankung der Lunge asthmatische

Beschwerden als Komplikation auftreten, kommen sie durch die glei-chen Umstände wie bei der Lungenblähung zustande und könnenebenso wie diese, behandelt werden.

Bei vorliegender Kehlenge ist in der bei der Preßatmung beschriebe-nen Weise vorzugehen.

Im übrigen muß die Behandlung hier besonders vorsichtig, mehrmit Spannung- als mit Bewegungsübungen, durchgeführt werden.

Sonst ist bei der Lungentuberkulose die Atemkorrektur nur beierheblicher Fehlatmung angezeigt, um die Ausnutzung des Atems indem noch intakten Lungengewebe zu verbessern.

Es dürfte auch nachteilig sein, eine kranke Lunge noch falsch zu be-wegen. Diese Art der Atemkorrektur entspricht ganz der von denLungenärzten aufgestellten Forderung, das entzündete Lungengewebemöglichst in Ruhe zu lassen. Jedes ausgiebige Atmen, ganz zu schwei-gen von den heftigen Brustkorbbewegungen der üblichen Atmungs-gymnastik, gilt mit Recht als gefährlich. Es wird bei der hier angegebe-nen Übungsbehandlung mit absoluter Sicherheit vermieden.

g) SilikoseDie Tatsache, daß der Zeitpunkt des Atemversagens bei gleichem

röntgenologisch nachweisbaren Befall des Lungengewebes ganz ver-schieden sein kann, ist durch die großen individuellen Unterschiedein der Qualität der Atmung und dem entsprechenden Unterschiedihres Wirkungsgrades hinreichend erklärt. Der Eintritt der Invaliditätkann deshalb durch eine erfolgreiche Atemkorrektur hinausgescho-ben werden.

140

Page 141: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Die auf eine emphysematöse Komplikation zurückgehende Lei-stungsminderung ist nach ähnlichen Prinzipien wie bei der normalenLungenerweiterung zu beseitigen; die Behandlungstechnik ist die glei-che.

h) Nach BrustkorboperationenDie Zustände von Ateminsuffizienz, die nach Operationen im Be-

reiche des Brustkorbes auftreten können, stellen sich manchmal baldnach der Operation ein - obwohl die vorherige Lungenfunktionsprü-fung und der Zustand der Lunge einen ausreichenden Gasaustauscherwarten ließ - sobald mit der Wiederaufnahme des normalen Lebenswieder größere Anforderungen an die Atmung gestellt werden.

Meistens entwickeln sie sich jedoch erst allmählich und später alsZeichen einer offenbar langsamen, aber fortschreitenden Schädigungder Atmung durch Verfall der Wirbelsäulen- und Brustwandmuskula-tur.

Ob es dazu kommt oder nicht, hängt vom Zustand des äußerenAtemapparates ab. Die Arbeitsinsuffizienz der Atmung nach einerThorakoplastik beruht auf zwei Faktoren: dem Verlust an Ventila-tionsraum in Brustkorb und Lungen und der schwerwiegenden Verän-derung der Atemmechanik, die sich aus dem operationsbedingtenZusammenbruch der Querspannung ergibt.

Der eintretende Fehlmechanismus kann den Insuffizienzbeschwer-den bald einen asthmatischen Charakter verleihen, da die Atmungdes Betreffenden oft angestrengt und forciert wird, so daß sich seineFehler in der in Kapitel II geschilderten Weise rasch verschlechtern.Die durch die Verkleinerung des Brustraumes und durch Zerrunginfolge der Lungenschrumpfung verursachte Bronchialverengungwird durch die forcierte Fehlatmung genauso maßgeblich verschlim-mert wie es beim Bronchialasthma geschieht. Die Katarrhneigung deranfälligen Bronchien wirkt in gleicher Richtung. Dieses »Asthma« hatmit den für das echte Bronchialasthma maßgeblichen Voraussetzun-gen nichts zu tun.

Die schwere Veränderung der Atemmechanik nach Thorakoplastikist aus dem Verlust der Brustkorbspannung leicht zu begreifen. DieMuskulatur des verstümmelten Brustkorbes ist völlig funktionsun-tüchtig geworden, das Zwerchfell verliert weitgehend an Wirkung; imgleichen Sinne dürften sich auch die Veränderungen seiner Lage unddie geänderte Zugrichtung seiner Muskelbündel geltend machen. Als

141

Page 142: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ein Antagonist ist ausschließlich die Hilfsmuskulatur tätig; die Gefahrdes Fressens liegt überaus nahe. Die Verbiegung der oberen Wirbel-säule, zum Teil zwangsläufig, zum Teil vermeidbar, neigt zur Ver-schlimmerung und begünstigt das Fortschreiten des Verfalls.

Die Gefährdung der Atmung ist bei Lungenoperationen ohne Rip-penresektion selbstverständlich weit geringer; vorhanden ist sie auch,und zwar deshalb, weil die Atemmuskulatur, bei der Erkrankung desAtemsystems fast immer in Mitleidenschaft gezogen, durch das Ope-rationstrauma schnell und weitgehend zusätzlich geschwächt wird.Die Gefahr einer hochgradigen Fehlatmung liegt also auch hier nahe,ebenso natürlich deren rasches Fortschreiten.

Diese Entwicklung ist erwartungsgemäß nach einer Thorakoplastik re-lativ häufig, nach Operationen ohne Resektion weit seltener. Sie geht imersteren Falle ebenso oft, außerdem aber auch schnell, bis zur hochgradi-gen Arbeitsinsuffizienz der Atmung, die sich dauernd am Rande der De-kompensation befindet. Im letzeren Fall ist der eventuell auftretendeAtmungsverfall meistens geringer und weniger rapide.

Ob es zu dieser Entwicklung kommt und wie weit sie fortschreitet,hängt zum großen Teil vom Zustand der an der Atmung direkt undindirekt beteiligten Muskulatur vor der Operation ab. Der intakteMuskelapparat ist widerstandsfähiger und erholt sich schneller als dermangelhafte und schwache, bei dem sich das Operationstrauma weitverhängisvoller auswirkt. Unter einigermaßen günstigen Umständen,in erster Linie bei Operationen ohne Rippenresektion, bleibt dieQuerspannung leidlich erhalten oder sie kräftigt sich spontan, wennbaldige Wiederaufnahme körperlicher Betätigung mit der übrigenSkelettmuskulatur auch die Atemmuskeln erstarken läßt. Ein anderergünstiger Umstand ist eine leidlich korrekt funktionierende Stimme.Die unmittelbare Nachbehandlung nach der Operation ist natürlichSache des Operateurs; an ihrer Technik aufgrund hier erläutertenneuen Tatsachen evtl. etwas zu ändern ebenfalls.

Die sonstige Übungsbehandlung der arbeitsinsuffizienten Atmunggeschieht grundsätzlich nach den gleichen Richtlinien wie bei derunkomplizierten Lungenerweiterung. Sie unterscheidet sich von ihrdurch besonders schonsames Üben. Die Forderung der Lungenärzte,jede Zerrung und übermäßige Bewegung der kranken Lunge zu ver-meiden, ist bei der hier empfohlenen Atemmechanik und Behand-lungstechnik bestens erfüllt.

142

Page 143: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Im Mittelpunkt der Behandlung steht die Wiederherstellung derschwer geschädigten Brustwandmuskulatur (L). Die Kräftigung desRückens ist selbstverständlich. Dabei erfordert die Behandlung der alsmittelbare Operationsfolge eintretenden Skoliose der oberen Wirbel-säule besonderen Aufwand. Es gilt die Form der Wirbelsäule so weitwie möglich, ihre Festigkeit aber ganz und gar wiederherzustellen. DieNIEDERHÖFERsche Gymnastik ist hier angezeigt.

Beim Brustkorb sind die Möglichkeiten nach einer Thorakoplastikbegrenzt, ihre volle Ausnutzung dafür um so wichtiger. Schon der ge-ringste Raumgewinn kann eine Rolle spielen. Die Festigkeit der Brust-wand ist aber immer wiederzugewinnen; sie ist für den Erfolg ent-scheidend!

Die Besserung der Zwerchfellwirkung geht mit der Kräftigung desBrustkorbes Hand in Hand. Die dabei anzuwendenden Einatmungs-übungen unter Widerstand erfordern Vorsicht und Geduld, und esmuß mit einem so minimalen Widerstand begonnen werden, wie er sonstnirgends nötig ist. Den kleinsten Widerstand gibt das Einschlürfender Luft wie beim Wassertrinken »aus der hohlen Hand« oder miteinem quer vor den Mund gelegten Finger. Die Belastung der Atem-muskeln darf nur sehr langsam gesteigert werden. Es dauert oft Wo-chen, bis mit dem Nasenwiderstand geübt werden kann.

Die Sicherung des Erreichten geschieht dann weiter in der gleichenWeise wie bei Atemschwächen aus anderen Ursachen.

Zum mindesten muß das automatische Funktionieren des Nasenwider-standes erreicht werden; die Korrektur der Gesichtsmuskeln ist des-halb meistens nicht zu umgehen (2., S. 123).

i) PleuraschwarteDie von ihr verursachten Atembeschwerden sind schnell zu beseiti-

gen, während die Dichte der Verschwartung langsamer abnimmt.Dazu ist weiter nichts nötig, als

- die Normalatmung einzuüben und anzugewöhnen (3., S. 124),- gelegentlich ein paar große Atemzüge zu machen, deren Tiefe manlangsam steigern kann; selbstverständlich ohne die Atemmenge proMinute zu erhöhen,- Beweglichmachen des Brustkorbes, besonders auf der befallenenSeite, ebenso wie dessen Kräftigung und evtl. notwendige Formung,- Einüben der korrekten Atemsteuerung (2., S. 123).

143

Page 144: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Behelfsatemsteuerung erleichtert den Anfang, ist aber für einenvollen Erfolg nicht ausreichend.

In der Regel ist auch eine Korrektur und Kräftigung des Rückenserforderlich (6., S. 132).

j) BronchialasthmaDas Auftreten der Anfälle wird, wie den Ausführungen in Kapitel III

zu entnehmen, grundsätzlich mit der Wiederherstellung einer leistungs-fähigen Normalatmung bei möglichst entspannten Lungen verhütet. Da-bei kommen sämtliche Abschnitte (1.-6., S. 119-136) zur Anwendung.

Entscheidend ist hierbei bei Spannkraft des Brustkorbes (l.,S. 120),die aber ohne besondere Kräftigung (5., S. 132) nicht - für das spasti-sche Asthma jedenfalls - im ausreichenden Maße erreicht wird. Ist diesjedoch erst der Fall, gelingt es auch bald, mit den Bronchialverengungender Anfälle fertig zu werden, während gleichzeitig die sonstige Verbesse-rung der Atemmechanik die Reizbarkeit von Lungen und Bronchienherabsetzt. Das Überwinden der Anfälle, das ja für den Asthmapatientenan zentraler Stelle steht, wird leichter und leichter.Im Anfall selbst gilt es- zunächst durch eine bestimmte Stellung oder Lagerung mit ge-streckter Wirbelsäule die normale Körperform soweit wie möglichherzustellen und die korrekte Muskeltätigkeit damit zu begünstigenund anzuregen,- die versagende Zwerchfellwirkung schnellstens so weit wie möglichzu verbessern.

Als jeweils günstige Stellung kommen in Frage: flache Bauchlage(mit Händen unter dem Kinn oder dem Gesicht), Knie-Ellbogenlage,Sitzen mit angelehntem Rücken, Reitsitz auf einem Stuhl mit Kopfund Händen auf der Lehne, Sitzen am Tisch bei weit zurückgeschobe-nem Stuhl mit aufgestützten Ellbogen, das Kinn in die Hände gelegt.

In allen diesen Stellungen ist die Entspannung der Bauchmuskula-tur und damit die Zwerchfellbewegung erleichtert. Das übliche Auf-stützen der Hände, um besser mit den Schulter- und Halsmuskeln zuarbeiten, muß unterbleiben, um diesem Kardinalfehler nicht Vor-schub zu leisten.

Nachgeben der BauchwandDer erste und recht wesentliche Schritt zu günstigen, korrekten

Atembewegungen beim »Anfall« ist mit dem Nachgeben der Bauch-

144

Page 145: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

muskulatur getan, da die Überspannung des Bauches die richtige Ein-atmung ausschließt. Daß auch die Lendenmuskeln zur Bauchmus-kulatur gehören, sei nochmals betont. Ohne ihr Nachgeben bleibt dieZwerchfellbewegung unvollkommen.

Beim Sitzen verführt allerdings die Rückenspannung leicht zurMitspannung anderer Muskelgruppen, besonders des Schultergürtels.Dafür ist die Zwerchfellsenkung etwas erleichtert, weil das nach untenziehende Gewicht der Eingeweide bei der Einatmung mithilft. DieserFaktor kommt auch bei einer anderen Stellung besonders wirksam zurGeltung, nämlich bei der Knie-Ellenbogenlage mit spitzwinkeligerKniestellung. Sie ist eine etwas unbequeme, sehr häufig aber nützlicheHilfsstellung. In dieser Lage wirkt die Schwerkraft besonders ungehin-dert im angestrebten Sinne. Es gelingt relativ leicht, den Bauch hängenzu lassen, d.h. ihn zu entspannen und so dem Zwerchfell seine Einat-mungsbewegung zu erleichtern. Gleichzeitig ist der Rücken ohnegroße Anstrengung gestreckt. Auch ist das Hochziehen mit den Schul-tern dabei leidlich ausgeschaltet.

Zwerchfellanregung durch EinatmungswiderstandGleichzeitig wird durch Einschalten eines regulierenden Wider-

standes beim Einatmen das Zwerchfell zum kräftigen Anspannen ver-anlaßt. Kann man diesen mit Hilfe des auf S. 123 erwähnten Hand-griffes mit der Nase herstellen, so regt dies die korrekte Tätigkeit dergesamten Atemmuskulatur besonders gut an. Das gelingt im Anfalljedoch nur dann, wenn Zunge, Rachen und Kehle nicht zu sehr ver-spannt sind. Einfacher ist es, die Regulierung mit den Lippen (mit ei-nem weichen »f«) oder mit der Zungenspitze (mit einem »ß«) oderauch mit dem Gaumen (mit einen »kch«) herzustellen. Das Geräuschmuß bei der Einatmung ziemlich scharf sein (schlürfend), um als Wi-derstand zu wirken.

Das Ausatmen soll an der gleichen Stelle und mit dem gleichen Ge-räusch gesteuert werden. Es soll ohne den geringsten Nachdruck, wie»von ganz allein«, zustande kommen, so daß es kaum zu hören ist.

Ausschaltung des FressensZunächst gilt es, durch eine behelfsmäßige Atemsteuerung das

Abströmen des Atems zu erleichtern. Es wird mit dem im obigen Ab-schnitt erwähnten Atemgeräusch weitgehend ermöglicht (2., S. 123);dabei ist hier ganz besonders darauf zu achten, daß die Mundstellung

145

Page 146: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

(Lippen, Zunge, Kiefer) unverändert bleibt, ebenso der Klang desAtemgeräusches beim Ausatmen, das sich außerdem ganz besonders„weich" anhören soll (säuselnd), da es nur mit Hilfe der geringerenKraft des Lungenzuges erzeugt werden soll und jedes Nachdrückenvermieden werden muß. Durch diese »Düsensteuerung« werdengleichzeitig die Stimmbänder entlastet, da dann nicht mehr dieStimmritze die engste Stelle des Atemweges bildet: der dauerndeAnreiz zur Stimmbandverspannung ist damit beseitigt.

Wenn diese, stets begleitet von starker Verkrampfung der Rachen-muskulatur, in seltenen Fällen das erste Glied der Fehlerkette zu seinscheint, kann möglichst weites Öffnen des Rachens und weitesHerausstrecken der Zunge ein gewaltsames Durchbrechen der Ver-spannung des Krampfes bedeuten und Erfolg haben.

Das Herausdrücken der Luft bei der Ausatmung ist vermeidbar. Esmuß nur immer wieder betont werden, die Luft »entweichen« zu »las-sen«. Jedes nachdrückliche Ausatmen ist ein grundsätzlicher, schwererFehler. Das Ausatmen darf nur ein »Loslassen des Atems« sein, dieLuft muß »von selber« »hinausschleichen« oder »abdampfen«.

Es ist auch im Anfall verhältnismäßig einfach, eine der behelfs-mäßigen Arten zur Regulierung des Luftstromes herzustellen, voraus-gesetzt, daß es vorher eingeübt wurde.

Daß der Brustkorb nicht herabgedrückt werden darf, ist selbstver-ständlich. Bei korrekter Zwerchfellbewegung unterbleibt es automa-tisch.

Auch der Bauch darf nicht nachdrücken, sondern soll langsam einsin-ken. Das unwillkürliche Einziehen wird am besten mit der Vorstellungverhütet, der Bauch „bliebe gedehnt" und würde beim Ausatmen „nochmehr losgelssen" als beim Einatmen.

Gelingt es auf diese Weise, das unheilvolle Pressen zu vermeiden, istein wesentlicher Schritt zur Überwindung des Asthmaanfalls getan.

Es darfauch beim Anfall weder »viel Luft geholt« noch nachdrück-lich und ausgiebig ausgeatmet werden, sondern der Atem soll nur imKopf gesteuert und gehandhabt werden, wobei eines der beschriebe-nen Geräusche als Kontrolle dient.

Man soll die Luft nur dort oben, wo sie gesteuert wird, spüren und siedort, »im Oberkiefer« »horizontal hin- und herbewegen«, während derRumpf möglichst entspannt und völlig ruhig gehalten wird. Dies giltauch dann, wenn ersatzweise mit den Lippen, der Zunge oder demGaumen geatmet wird.

146

Page 147: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Den Husten suche man nach den in Kapitel III gegebenen Anwei-sungen zu vermeiden.

Schwinden der AnfalleDiese Anfallsbehandlung ist anfangs nur mit großer Konzentra-

tion, genauer Anleitung und in ungestörter Umgebung möglich. Mitder Zeit gelingt sie immer leichter und schneller und schließlich, nachgenügender Kräftigung des Brustkorbes, auch in jeder Stellung undohne Unterbrechung anderer Tätigkeit. DerZustand der Bronchien be-hindert dann den ehemaligen Patienten überhaupt nicht mehr undstört ihn ebensowenig wie ein Bronchialkatarrh den »Gesunden«.Mit der Erfahrung, des Anfalls Herr werden zu können, schwindet auch diepanische Angst vor dem Anfall, und die schwerwiegende zusätzliche Ver-krampfung bleibt aus. Darum ist es wichtig, so schnell wie möglichohne Medikamente auszukommen; ganz zu schweigen von dem Scha-den, den sie dem nervösen System und dem Kreislauf zufügen, hin-dern diese die Aktivierung der eigenen Kräfte.

Medikamente sollten jedoch nicht etwa verboten werden, sondernder Patient muß den Entschluß, sich davon zu trennen, selber fassen.Zwang ist immer vom Übel, beim sensiblen, für Suggestion anfälligenAsthmatiker aber besonders unheilvoll. Er widerspricht der hier ver-tretenen Behandlung und steht ihrem Ziel, der Genesung aus eigenerLeistung, im Wege.

Symptomatische BehandlungSolange der Patient nicht selbständig mit seinem Übel fertig werden

kann, was jedenfalls anfangs seinem eigenen Urteil überlassen bleibensollte, ist ihm durch vorsichtiges Inhalieren relativ leicht zu helfen,vorausgesetzt es erfolgt in einer sinnvollen Weise. Bei richtiger Inhala-tionstechnik genügt relativ wenig Inhalat, um die spastische Vereng-ung der Bronchien schwinden zu lassen.

Diese besteht darin, bei breit geöffnetem Mund mit nach hinten ge-stelltem Kiefer und weitem Rachen ein- bis zweimal »direkt in dieLuftröhre hinein« einzuatmen. Es klingt wie ein leises »Ha«. Die Zun-ge hält man dabei entweder weit herausgestreckt oder tief nach hintenin den Schlund heruntergezogen.

Das Ausatmen »unterläßt man ganz«. Man wartet, bis der Atem»von allein« wieder »abgedampft« ist, ähnlich wie bei der Hustenbe-kämpfung in Kapitel IV, S. 130, beschrieben.

147

Page 148: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Die eintretende Erleichterung des Atmens durch das inhalierte Me-dikament genügt wie gesagt vollkommen, auch beim Ungeübten, umdie Atmung anschließend unter Kontrolle zu halten, sofern die gröb-sten Fehler vermieden werden; es ist durch Atmen mit einer Ersatz-steuerung unter gutem Nachgeben des Bauches möglich.

Auf diese Weise werden andere Mittel nie notwendig, deren Schädennicht diskutiert zu werden brauchen. Psychotherapie im Anfall istSuggestivbehandlung; sie kann auch hier, wie überall, sehr wirkungs-voll sein. Bezüglich ihrer Bewertung sei auf S. 107 verwiesen. DasUnterdrücken einer aus dem Gemüt stammenden Reaktion dürfteüberdies dem an Unterdrückung erkrankten Gemüt schaden.

Schleimlösende Mittel, auch inhalierte, wirken im Sinne einer vor-übergehenden Entlastung, jedoch relativ wenig, da die funktionellenFaktoren weit mehr ins Gewicht fallen.

Massage ist manchmal als krampflösendes Linderungsmittel vonvorübergehendem Nutzen, besonders die Bindegewebsmassage. DieWirkung jeder Massage kann auf die Entspannung der zugänglichenMuskelgruppen, auf Reflexzonenwirkung oder auch auf Suggestionzurückgeführt werden. Direkter Massage zugänglich sind von den ei-gentlichen Atemmuskeln nur die äußeren Rippenmuskeln und auchdiese nur in beschränktem Maße.

Sauerstoffinhalationen haben bei der permanenten Dekompensa-tion einen gewissen Sinn, da sie vielleicht die Insuffizienz des Gasaus-tausches etwas verringern können. Sehr groß dürfte ihr Wert nichtsein; es ist aus den komplizierten Zusammenhängen des ganzen, kom-plexen Sauerstoffversorgungssystems zu verstehen, die auf S. 45 erläutertwurden. Es ist aber immerhin möglich, daß sie in manchen Fällen vonbegrenztem symptomatischen Nutzen sein können. Lagern in einerbestimmten Stellung (besonderer Stuhl u.a.), möglicherweise verbun-den mit passiven Bewegungen, entspricht dem richtigen Prinzip, dierichtige Körperform herzustellen, um richtige Bewegungen zu ermög-lichen. Der Erfolg ist auch durch das Fehlen der aktiven Muskellei-stung zur Wiedergewinnung der Leistungsfähigkeit nur vorüberge-hend. Fehler in der Kehlfunktion stellen ihn vollends in Frage.

Die Elektrolunge bewirkt eine Kontraktion der Bauchmuskulaturbei der Ausatmung. Sie ist deshalb bei überdehntem Bauch nützlichals ein »passives«, den normalen Verhältnissen leidlich angepaßtesHilfsmittel. Eine günstige Wirkung beim akuten Asthmaanfall könn-te sich aus einer Art indirekter Zwerchfellmassage und -bewegung

148

Page 149: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

erklären - oder aus der üblichen Suggestivwirkung; Fehler und Gefah-ren liegen im Hochdrücken des Zwerchfells, das bei bestehender Engedes Ausatmungsweges das Pressen verschlimmert. Die Elektrolungeist deshalb nur bei der unkomplizierten Lungenblähung anwendbarund ziemlich aus der Mode gekommen.

Im bedrohlichen Zustand des exzessiven Asthmaanfalls ist dieAnwendung der sonst bei der Narkose angewandten apparativen, pas-siven Beatmung durchaus sinnvoll. Ob sie bei richtiger Inhalations-technik, wie hier skizziert, nötig werden muß, kann nur eine Klinikentscheiden, wo beides gleich gut beherrscht wird *).

Die übliche Atemgymnastik ist im Anfall als wenig wirksam be-kannt; die Gründe dafür brauchen nicht wiederholt zu werden. Inten-sives Entspannen wäre sicherlich angebracht und auch wirkungsvoll;es ist aber, ohne zur Suggestion zu greifen, sehr schwer zu erreichen.Anstrengend und sinnlos ist es, im Anfall durch intensives Ausatmeneine Besserung erzielen zu wollen. Die vermehrte Drosselung des Gas-austausches macht den minimalen Nutzen des vermehrten Luft-wechsels mehr als illusorisch; kein Wunder, daß Schwerkranke undauch Ärzte solche Atemgymnastik im Anfall ablehnen: die Kreislauf-belastung nimmt bedrohlich zu.

k) KinderasthmaBei Kindern und Jugendlichen ist die Beseitigung des Bronchial-

asthmas einfacher als bei Erwachsenen. Mit der Fähigkeit zum selb-ständigen Üben ist aber erst ab etwa 12. Lebensjahr zu rechnen. Ein-sicht und Interesse pflegt vorhanden zu sein. Angepaßtem Üben hin-gegen sind Kinder schon viele Jahre früher zugänglich. Manchmal ge-lingt es, den Eltern die nötigen Spezialkenntnisse zu vermitteln, zu de-nen auch die korrekte Klangbildung gehört. Sie können auf jeden Falllernen, ihren kranken Kindern etwas zu helfen und den Anfällenihren Schrecken zu nehmen. Zur Behandlung des Asthmas bei Kin-dern sind folgende Maßnahmen notwendig:

*) Auch eine vergleichende Bewertung der verschiedenen Behandlungsmethoden istnur durch sehr umfangreiche klinische Kontrollen usw. möglich. Sie ist äußerstschwierig, da das Bronchialasthma einer Suggestivwirkung ganz besonders leicht zu-gänglich ist. Daher ist hier auch jedes statistische Argument hinfällig, auch für die vonuns vertretene Übungsbehandlung. Verbesserungen bei Lungenerweiterungen sinddagegen objektivierbar.

149

Page 150: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

- Einüben der normalen Atmung nach Kapitel IV, 3., S. 124,- Kräftigung des Brustkorbes durch die Haltungsübung (la., S. 120),- Anregung der korrekten Zwerchfellbewegung (s. S. 139 unter »j«),- Kräftigung der Atemmuskeln durch den Ton, u.a. auch in Form vonTierstimmen, Gähnen, Lachen, Seufzen.Andere Maßnahmen, die den Rücken kräftigen, sind fast ebensowichtig und leicht durchzuführen:- flaches Liegen auf harter Matratze,- häufiges Liegen auf dem Bauch, besonders bei kleinen Kindern,- Gymnastik, Turnen, Tanz, Spiel und Sport; besonders Speerwerfen,Bogenschießen, Schlittschuh- und Rollschuhlaufen.Der Unterricht soll bei Mädchen nicht vom Vater, bei Knaben nichtvon der Mutter erteilt werden.

Anfallsbehandlung bei Kindern1. Durch entsprechende Lagerung ist eine möglichst gute Streckung

der Wirbelsäule herzustellen.2. Das Kind soll veranlaßt werden, so, wie in der Anfallsbehand-

lung des Erwachsenen beschrieben, zu atmen (s. S. 144 ff).Oft wird schon damit wenigstens soviel erreicht, daß - auch beim

Ungeübten - relativ wenig Medikamente benötigt werden, weit weni-ger als bei Erwachsenen. Inhalieren - in der hier beschriebenenWeise - pflegt vollauf zu genügen.

Das Kind soll sowenig wie möglich »betreut« werden; so wird seineSelbständigkeit gefördert.

Physikalische Maßnahmen wie heiße Getränke, heiße Rückenpak-kungen u.a. können auf die Bronchien entspannend und günstig wir-ken, ebenso die Bindegewebsmassage. Bei sehr kleinen Kindern dürftedas Ausarten einer allergischen oder spastischen Bronchitis zumAsthmaanfall nur unter ganz besonders ungünstigen Umständen vor-kommen; die Ängstlichkeit ihrer Umgebung trägt maßgeblich dazubei. Bei ihnen werden die Beschwerden oft durch Bauchlage geringerund reagieren besonders gut auf warme Getränke und sehr warmeRückenpackungen.

Wirkungsweise und Wert von Verschickungen wurden bereits imvorigen Kapitel erläutert. Wirksam ist dabei der Milieuwechsel; das»Heil«klima wirkt im Sinne einer Erleichterung der Atmung, die dannmit der geringeren Belastung weniger Mühe hat. Ob jeweils Gebirgeoder See besser ist, muß ausprobiert werden. Für sehr sensible Kinder

150

Page 151: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ist meistens das erstere, für die katarrhanfälligen eher die See passend;voraussagen läßt es sich nie. Auch kann sich die Empfindlichkeit unddie Reaktion ändern.

Ein mehrjähriger Milieuwechsel wäre schon eher ein sicheres Mittelzur echten Genesung. Das neue Milieu darf nur dem alten nichtähneln und das Kind wird dort um so eher gesund, je mehr es sich be-wegen muß resp. darf! Ortslage und Klimaart spielen dabei keine maß-gebliche Rolle.

l) BrustkorbdeformierungenSie entstehen durch den ungünstigen Muskelzug der Fehlatmung

an den noch weichen Knochen des Brustkorbes, dessen rachitischeErkrankung die hochgradigen Verformungen ermöglicht und mitver-ursacht - ein absolut sicherer Beweis für die hier eingangs dargelegtenLehre vom Wesen der Fehlatmung (s. S. 65).

Die Verschiedenheit der Formen sind durch die verschiedenenArten der Fehlatmung mit ihrer unterschiedlichen mechanischenWirkung zu erklären.

Da der Knochen sein Gewebe dauernd erneuert und dabei seineStruktur allen Änderungen der Belastung anpaßt, verändert sich auchseine Form dementsprechend. Am Brustkorb ist daher nicht nur diefür seine Form so wichtige Stellung der Rippen, sondern auch derenForm durch entsprechenden Muskelzug zu beeinflussen und dieBrustkorbdeformierung auf diese Weise sicher zu beseitigen. Alleinschon der korrekte Muskelzug der Normalatmung korrigiert logischer-weise die durch den unkorrekten Muskelzug der Fehlatmung entstellteForm; es kann durch sinnvolle Sonderübungen beschleunigt werden.

Diese Behandlung ist nicht nur sehr naheliegend, sondern auchsehr einfach und überaus dankbar: Genügend und richtig angewandtführt sie in allen Fällen zu einem vollen Erfolg; bei Kindern relativschnell, bei Jugendlichen langsamer.

Als speziell formende Übung ist das Stöhnen anzuwenden, das mitentsprechend gezieltem formkorrigierenden Anspannen an den ver-schiedenen, im Vordergrund der Deformierung stehenden Stellen zuverbinden ist. Klangübungen können zur Unterstützung herangezo-gen werden; ebenso alle Spiele, die den Rücken kräftigen: Roll- undSchlittschuhlaufen, Bogenschießen, Fechten und Schwimmen,Ballettunterricht und manches spezielle Kinderturnen tun ähnlicheDienste.

151

Page 152: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

m) NasenerkrankungenEs ist durchaus naheliegend, daß eine korrigierte, gut funktionie-

rende Nasenatmung sich auch auf diese günstig auswirkt: für dieSchleimhaut und den oberen Rachen im Sinne einer dauernden»Luftmassage«, welche die Durchblutung anregt, für die Nebenhöh-len durch die stärkere Saugwirkung.

Bei konsequenter Anwendung ist daher mit dem Schwinden vonchronischen Schleimhautkatarrhen und -Schwellungen, einschließ-lich der viel operierten Polypen, ebenso zu rechnen wie mit dem derNebenhöhlenerkrankungen. Für eine operative, rezidivträchtige Be-handlung dieser Leiden bleibt damit kaum noch Raum.

Im wesentlichen muß dazu nur die korrekte, automatische Atem-steuerung in und mit der ganzen Nase wiederhergestellt werden, ein-schließlich der Mitarbeit des oberen Rachens (2., S. 124).

Die Atemmuskeln müssen kräftig genug sein oder gegebenenfallsdurch entsprechendes Üben genügend gekräftigt werden, daß die Wir-kung des Atems in der Nase gelegentlich durch »Schnuppern« und»Schniefen« gesteigert werden kann, ohne daß die Atmung dabeientgleist (2., S. 46).

n) KreislaufDer Wert einer korrigierenden Atmungsbehandlung ist hier recht

begrenzt, aber genau zu definieren.Der Kreislauf wird durch fehlerhaftes Atmen belastet, durch korrektes

unterstützt.Deshalb ist eine korrigierende Atmungsbehandlung bei denjenigen

Kreislaufkranken angezeigt und wertvoll, bei denen die Atmungerheblich von der Norm abgewichen ist. Die Bedeutung einer Atem-korrektur tritt jedoch in der Regel hinter derjenigen zurück, die denkreislaufeigenen Faktoren zukommt.

Bei der Übungsbehandlung der Atmung ist hier jedes forcierteAtmen zu vermeiden: da auch das Atmen eine Muskelarbeit ist, mußman besonders schonend vorgehen und die Übungen nur langsamsteigern.

Bei Erkrankungen der Herzgefäße und bei manchen Zuständen vonBluthochdruck ist ein wesentlicher Erfolg plausibel und keineswegs sel-ten. Für die auffallend häufige Besserung, ja Beseitigung der pektangi-nösen Beschwerden wäre die Vergrößerung des Brustraumes, die imRahmen dieser Therapie erreicht wird, eine einleuchtende Erklärung.

152

Page 153: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Es ist denkbar, daß eine relative Brustraumenge zur Lumenverkleine-rung der Herzgefäße beiträgt, und daß bei diesen erst die Kombina-tion der spastischen mit der mechanischen Komponente zu der kata-strophalen Höhe der Durchblutungsstörungen führt. Die Beseitigungdes mechanischen Faktors würde dann das Ausbleiben der letzterenerklären *).

Günstig dürften sich auch die besseren Druckverhältnisse der ver-besserten Atemmechanik im Brustraum auswirken, sowohl direkt aufdas Herz als auch indirekt über den großen und kleinen Kreislauf**).

Auch bei Hochdruck wäre eine günstige Wirkung aus der Besserungder Raum- und Druckverhältnisse zu verstehen. Der immer wieder be-hauptete Nutzen von Tonübungen beruht gegebenenfalls auf diesemUmstand. In den allerdings nicht allzu häufigen Fällen eines objekti-ven Erfolges wäre die Wirkung des Singens dadurch zu erklären, daßdie Querspannung noch intakt und die Atemführung infolgedessenrelativ korrekt war, so daß der Ton unter Vergrößerung des Unter-druckes entstand. Fehlerhafte Handhabung des Atems beim, Tonschließt eine positive Wirkung aus.

Auch die Untersützung des Rückflusses zum Herzen könnte mit-spielen, die überdies durch die Massage der Leber durch ein gut arbei-tendes Zwerchfell gefördert würde.

Außer diesen sicher wirksamen Faktoren, deren Bedeutung mög-lich, wenn auch nicht ohne weiteres beweisbar ist, werden von diver-sen Atemheilsystemen noch andere kreislaufgünstige Wirkungenangegeben; sie entziehen sich aber der Nachprüfung, so daß sich ihreErörterung erübrigt.

o) BauchorganeEin Einfluß auf die Bauchorgane seitens der Rumpfbewegungen

des Atmens ist sicherlich vorhanden. Er ist im Zusammenhang mitdenjenigen Faktoren zu sehen, die durch die Rumpfform bedingtsind. Weicht diese von der Norm ab, verschlechtern sich Lage und Sitz

*) Die Schäden einer starken Brustkorbverengung sind augenfällig; sie betreffen auchdas Herz und seine Leistung. Kleinere Verengungen sind unauffälliger und werdennicht manifest, da die Belastungsbreite von ihnen nur geringfügig beeinträchtigt ist.Ihre Wirkung dürfte aber in der gleichen Richtung wie die großer Verengungen liegen;sie kommen jedoch erst zur Geltung, wenn ein zweiter gleichgerichteter Faktor hinzu-tritt.**) Vgl. die wirksame Behandlung mit der HOCHREINschen Wasserpfeife.

153

Page 154: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

der Bauchorgane und die Raum- und Druckverhältnisse der Bauch-höhle. Die dadurch verursachte geringere Durchblutung beeinträch-tigt ihre Leistung.

Die ungünstigen Faktoren der fehlerhaften Atembewegungen ma-chen sich in gleichem Sinne geltend.

Die »autogene Massage« der Eingeweide zwischen Bauchwand undZwerchfell ist bei der Normalatmung ausgiebig wirksam und fördertsicherlich den Stoffwechsel der betreffenden Organe. Bei der Fehlat-mung fällt sie mehr oder weniger fort.

Diese direkte Wirkung der Atmung ist für den Zustand der Bauch-organe aber alles andere als maßgeblich. Sichtbar wird sie nur beimanchen Obstipationsformen; diese pflegen im Laufe einer Atem-korrektur ohne jede andere Maßnahme zu schwinden. Weitere günsti-ge Wirkungen einer Atemkorrektur kann man für plausibel halten,aber wohl nie sicher nachweisen.

Atemtherapie ist daher bei den Erkrankungen der Bauchorganekaum indiziert, ihre Wirkung von geringer Bedeutung.

p) Roemheld-SyndromDie buchstäbliche »Herzbeklemmung« beim Roemheldschen-

Symptomenkomplex ist in geradezu klassischer Weise auf die nachtei-ligen Raum- und Druckverhältnisse zurückzuführen, wie sie für denVerfall der Querspannung als typisch geschildert und mehrfach erläu-tert wurden, wobei hier eine sehr unzureichende Zwerchfellwirkungdas Krankheitsbild prägt und die Beschwerden unmittelbar verur-sacht. Die entsprechende Übungsbehandlung zielt deshalb besondersdarauf ab, letztere wiederherzustellen.Man muß daher- die Normalatmung einüben (3., S. 125),- ebenso eine möglichst gute Spannkraft des Brustkorbes herstellen(1., S. 120),- die Spannkraft der Atemmuskeln ausgiebig gemeinsam trainieren,wobei die speziellen Zwerchfellübungen (Schniefen und Herausspan-nen der Taille) (5., S. 131) in den Vordergrund zu treten haben. Sie las-sen sich mühelos immer wieder im Tagesprogramm des Patientenunterbringen.

Richtiges Singen oder - noch einfacher - Summen würde denDauererfolg weiter sichern.

154

Page 155: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

q) Schwangerschaft und EntbindungDie hier vertretene Atemmechanik harmoniert aufs beste mit den

heutigen Vorstellungen von der mühelosen Entbindung.Die Normalatmung begünstigt, erleichtert und unterstützt die

Arbeit der Gebärmutter durch die ihr eigenen günstigen Raum- undLageverhältnisse, durch die Art der Zwerchfell- und Bauchwandbewe-gung und nicht zuletzt durch ihre kräftige Zwerchfellwirkung.

Bei den im Rahmen einer Schwangerschaftsgymnastik anzuwen-denden Atemübungen geht es prinzipiell um eine Kräftigung derMuskulatur, das heißt mit anderen Worten, um die Herstellung eineroptimalen Querspannung. Dabei darf der Brustkorb als Synergist derim Vordergrund stehenden Zwerchfell- und Bauchmuskulatur keines-wegs vernachlässigt werden. Gegebenenfalls muß er nach den hiergegebenen Richtlinien gekräftigt werden (s. S. 132), so daß eine maxi-male Zwerchfellwirkung gesichert ist.

Das speziell erwünschte, besondere Training des Zwerchfells ge-schieht, außer durch gewohnheitsmäßig korrektes Atmen, durch kräf-tige Widerstandsübungen mit der Nase. Besonders empfiehlt sich daskurze, ruckartige Einatmen unter starker Nasenverengung (Schnie-fen) - es geschieht unter starkem Anspannen des Zwerchfells - unddas Herausspannen der Taille ohne Atmen.

Speziell für die Entbindung muß die Atemsteuerung mit dem Ra-chen durch den offenen Mund gesichert sein, resp. beigebracht undeingeübt werden, ebenso das korrekte drucklose Stöhnen. Beides sindwertvolle Hilfen für die Entbindung.

Alle Sonderübungen werden aber an Wirkung und Nutzen vomkorrekten Singen weit übertroffen. Es kann daher zur Vorbereitungder Geburt nicht genug empfohlen werden; daß es durch Summenersetzt werden kann, das die gleiche Muskelspannung verlangt, istangesichts moderner Wohnverhältnisse ein Vorteil.

Die Kräftigung der Bauchmuskulatur ist keine spezifische Aufgabeder Atemübungen; sie geschieht sicherlich ausreichend im Rahmensonstiger guter Schwangerschaftsgymnastik.

Bei der Entbindung spannen sich Bauchmuskelschlauch undZwerchfell - Wandung und Dach der zylindrischen Bauchhöhle - au-tomatisch. Sie halten so die Form der Bauchhöhle, in der sich die Ge-bärmutter frei spannen und bewegen soll; das Herausschieben desKindes ist ausschließlich Sache der letzteren. Die »Entbindungsstütze«hat dabei für sie die gleiche Aufgabe und Bedeutung wie die Atemstüt-

155

Page 156: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

ze beim Ton für die Lunge. Sie beruht auf demselben Prinzip des Formhal-tens durch Spannung, um das ungestörte Arbeiten des inneren Organs zu si-chern. An diesem »Rückhalt« für die Gebärmutter ist der Brustkorbindirekt als Mitspieler beteiligt, in ähnlicher Weise, wie die Bauch-muskulatur beim Ton.

Es dürfte ungünstig sein - so wie es auch heute noch vielfach prakti-ziert wird - durch Verengung des Rumpfes bei prall gefüllten Lungen(angehaltenem Atem) und unter Senken des Oberkörpers die Gebär-mutter nach unten zu drücken; es ist sicherlich weit günstiger - undnormal - durch Anspannung von Zwerchfell und Bauchwand unterErhaltung der vollen Rumpfweite die Gebärmutter in ihrer Lage und Stel-lung abzustützen (s. o.).

Druck auf die Gebärmutter dürfte diese nach unten schieben undden Damm überlasten und daher bei der Entbindung ebensowenigvorgesehen sein wie ein Druck auf die Lunge beim Ton *) - und dieUrsache der vielen Dammrisse!

Genausowenig oder noch weniger ist natürlich ein Überdruck imBrustraum vorgesehen oder angebracht, der beim Pressen auf die Ge-bärmutter mit angehaltenem Atem entstehen muß. An der Span-nungs- und Druckregulierung im Bauchraum dürfen Lunge undStimmritze auf keinen Fall beteiligt sein, resp. dabei belastet werden.Der Unterdruck im Brustraum muß, auch im Interesse des Kreislaufs,erhalten bleiben. Korrektes Stöhnen zur Absicherung der Entbin-dungsstütze könnte bei nicht ganz kräftiger Muskulatur angebrachtsein, muß aber natürlich völlig ohne Nachdruck seitens des Rumpfesund ohne Pressen zustande kommen. Korrekt ausgeführt, sichert esdie Stellung, Spannung und Wirkung des Zwerchfells. Auch dasvielerorts noch übliche Schreien kann in diesem Sinne geweitet werden.

Bei anderen, relativ seltenen Zuständen mit schwerer und irrever-sibler Schädigung des Lungengewebes ist durch eine bestmöglicheNormalisierung der Atmung eine bessere Ausnutzung des noch erhal-tenen Teils durchaus möglich, so wie es bei der Silikose und Lungentu-berkulose besprochen wurde. Sie fällt hier jedoch weniger ins Gewicht

*) Oder auf den Mastdarm beim Stuhlgang! Wohl geht es - bei allen dreien - auch mitDruck; aber die unausbleiblichen, unangenehmen Begleiterscheinungen sprechendurchaus dagegen, diese Technik als normal, d.h. der Konstruktion entsprechend kor-rekt, anzusehen.

156

Page 157: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

als ärztliches Eingreifen; ganz abgesehen von den Grenzen, die ihrdurch Muskelverfall und Kreislaufbeteiligung gesetzt sind.

Damit sind alle Gebiete erwähnt, auf denen eine günstige Wirkungder funktionellen Atmungstherapie wissenschaftlich nachweisbar istoder wenigstens plausibel wäre, und deren Grenzen genau umrissen.

Was darüber hinaus der »Heilatmung« und dem »Wunder desAtmens« an therapeutischer Wirkung auf allen möglichen Gebieten,einschließlich denen der Seele, zugeschrieben wird, entzieht sich demnaturwissenschaftlichen Nachweis und ist zwanglos durch Suggestiv-wirkung zu erklären. Es handelt sich dabei aber - bestenfalls - um eineForm von Psychotherapie, die hier nicht zur Debatte steht. DasAtmen dient dabei als magisches Symbol und Vehikel für Vorstellun-gen, die der Gefolgschaft vermittelt werden sollen. Die überall ange-wandten Tiefatmungsübungen sind dabei ein alterprobtes Mittel, umHeilungserlebnissen - und Heilslehren - die Wege zu ebnen. Mit ei-nem durch erhöhte Kohlensäureabgabe wie durch Alkohol benebel-ten Gehirn kann man sich alles Mögliche - und Unmögliche - einbil-den und einreden lassen.

*) Anm.: Kohlensäureunterschuß im Blut, resp. dessen rauschähnliche Wirkung, istder einzig sichere »Erfolg« der Überatmung, dessen man sich in den verschiedenstengeistigen Organisationen und Sekten seit eh und je bedient.

157

Page 158: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow
Page 159: Funktionelle Atemtherapie von Julius Parow

Nachwort

Es ist anzunehmen, daß hiermit die Stellung der »FunktionellenAtmungstherapie« in der medizinischen Welt deutlich umrissen wor-den ist und sowohl die Gegensätze als auch die Berührungspunktezwischen ihr und der überlieferten medizinischen Behandlung derasthmatischen Erkrankungen klar herausgestellt werden konnten.

Ob die Fachwelt Zeit und Interesse für mehr als sporadische Nach-prüfungen finden wird, steht aus den eingangs angeführten Gründendahin *); die Geschichte der Medizin mahnt zur Geduld.

Es sollte aber nichts dagegen sprechen, mit den hier veröffentlich-ten Richtlinien, auch ohne das gesamte Arsenal der Übungsbehand-lung heranzuziehen, der Zunahme der asthmatischen Erkrankungen,des Verbrauchs eingreifender, von Nebenwirkungen nicht freier Me-dikamente und der Sterblichkeit Einhalt zu gebieten **).

Eine Abgrenzung gegen die verschiedenen Atemheilsysteme er-übrigt sich. Hier wurde auch nur gelegentlich dort, wo es unbedingtnotwendig war, kurz daraufhingewiesen. Soweit jene ihre Lehren mitMagie angereichert haben, findet die wissenschaftliche Nüchternheitund Beschränkung der funktionellen Atmungstherapie bei ihnenschwerlich Anklang. Alles Nähere ist darüber in einem in Nr. 19/46vom 13.5.1961 in den »Ärztlichen Mitteilungen« veröffentlichtemAufsatz gesagt. Für ernsthaftere Bestrebungen bietet ihnen diese Mo-nographie die gesuchte Gundlage exakter Kenntnisse und sinnvollerArbeit.

Der übliche Quellennachweis ist als gegenstandslos fortgelassen.Die hier erstmalig veröffentlichten Erkenntnise beruhen auf allge-mein bekannten, naturwissenschaftlichen Tatsachen, die in der Lite-ratur bisher nicht diskutiert worden sind.

*) Anm: Es könnte sich z.B. lohnen, beim Atemstoßtest den Ausatmungswiderstanddurch Reibung in der Stimmritze (der sehr stark sein kann) oder (in geringerem Grade)durch Turbulenz in den oberen Atemwegen, die beide unwillkürlich auftreten, aberwillkürlich erheblich zu variieren sind, erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, die Dros-selung des Gasaustausches bei den verschiedenen Arten der Fehlatmung zu untersu-chen und - solange es noch kein gasförmiges Kontrastmittel zur röntgenkinematogra-phischen Darstellung des Atemstromes gibt - wenigstens theoretisch und experimen-tell die Besonderheiten des Luftwechsels zu erforschen.**) Mit Hilfe der auf S. 125 in der Anmerkung erwähnten Atemfibel - kann der Patientmit relativ wenig Mühe wesentlich - dazu beitragen.

159