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Stellenwert und Relevanz 16 1. Eine Einführung in das Thema „Nachhaltigkeit ist der respektvolle und wert- schätzende Umgang mit allem was ist.“ 1.1 Stellenwert und Relevanz nachhaltiger Veranstaltungen Klimaschutz ist heute aus Politik und Gesellschaft nicht mehr wegzu- denken. Die Bundesregierung hat erst kürzlich ein Klimaaktions- programm verabschiedet, um zusätzlich zwischen 62 und 78 Millio- nen Tonnen CO 2 einzusparen. Das ist notwendig, damit Deutschland seine Klimaziele, bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, erreicht. Diese Tatsache fordert jede Branche auf, sich um dieses Thema zu kümmern, auch die Veranstaltungsbranche, die per se für intensiven Energie- und Ressourcenverbrauch steht. Auch die aktuellen Zahlen des Meeting- und Eventbarometers 2014 machen deutlich, dass es existentiell wichtig ist, die nachhaltige Entwicklung des Veranstaltungsmarkts in Deutschland voran- zutreiben: 2013 zählten die Veranstaltungsstätten über 3 Millionen Tagungen, Kongresse und Events mit 371 Millionen Teilnehmern, zudem stieg die Zahl der internationalen Gäste weiter an. Auf nationalen wie internationalen Konferenzen befassen sich Initiativen und Gremien mit diesem Thema. Die Fachpresse berichtet regelmäßig über „Green Meetings“, das GCB – German Convention Bureau initiiert 2015 bereits die 3. greenmeetings & events Fach- konferenz. Und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hat 2012 und 2013 für rund 340 Veranstaltungsplaner die „Weiterbildung zum Nachhaltigkeitsberater in der Veranstaltungsbranche“ gefördert. Die vom GCB organisierten Seminare finden im „Nachhaltigkeitsberater 2.0“ ihre Fortsetzung.

Leseprobe Handbuch "Nachhaltiges Veranstaltungsmanagement mt Strategie"

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Stellenwert und Relevanz

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1. Eine Einführung in das Thema

„Nachhaltigkeit ist der respektvolle und wert-schätzende Umgang mit allem was ist.“

1.1 Stellenwert und Relevanz nachhaltiger Veranstaltungen

Klimaschutz ist heute aus Politik und Gesellschaft nicht mehr wegzu-denken. Die Bundesregierung hat erst kürzlich ein Klimaaktions-programm verabschiedet, um zusätzlich zwischen 62 und 78 Millio-nen Tonnen CO2 einzusparen. Das ist notwendig, damit Deutschland seine Klimaziele, bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, erreicht. Diese Tatsache fordert jede Branche auf, sich um dieses Thema zu kümmern, auch die Veranstaltungsbranche, die per se für intensiven Energie- und Ressourcenverbrauch steht.

Auch die aktuellen Zahlen des Meeting- und Eventbarometers 2014 machen deutlich, dass es existentiell wichtig ist, die nachhaltige Entwicklung des Veranstaltungsmarkts in Deutschland voran-zutreiben: 2013 zählten die Veranstaltungsstätten über 3 Millionen Tagungen, Kongresse und Events mit 371 Millionen Teilnehmern, zudem stieg die Zahl der internationalen Gäste weiter an.

Auf nationalen wie internationalen Konferenzen befassen sich Initiativen und Gremien mit diesem Thema. Die Fachpresse berichtet regelmäßig über „Green Meetings“, das GCB – German Convention Bureau initiiert 2015 bereits die 3. greenmeetings & events Fach-konferenz. Und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hat 2012 und 2013 für rund 340 Veranstaltungsplaner die „Weiterbildung zum Nachhaltigkeitsberater in der Veranstaltungsbranche“ gefördert. Die vom GCB organisierten Seminare finden im „Nachhaltigkeitsberater 2.0“ ihre Fortsetzung.

Stellenwert und Relevanz

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Diese öffentliche Auseinandersetzung zeigt, die Branche bezieht Stellung und ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Denn jede Art von Veranstaltungen belasten Klima und Umwelt, es werden natür-liche Ressourcen verbraucht und vielerorts sogar verschwendet. Aus diesem Bewusstsein heraus entwickelt sich in Deutschland aktuell eine nachhaltige Eventkultur.

Mittlerweile ist es Standard, das Veranstaltungsticket der Deutschen Bahn in einer Konferenzgebühr zu integrieren sowie Informationen zu kommunizieren, wie der Veranstaltungsort vom Bahnhof mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen ist. Das Gleiche gilt für die webgestützte Teilnehmerregistrierung sowie mobile Event-Apps, die die Teilnehmer mit allen veranstaltungsbezogenen Informationen versorgen. So können auch kurzfristige Programmänderungen ohne die übliche Papierflut schnell und nachhaltig beim Teilnehmer ankommen.

Die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit in der MICE-Branche zeigt sich auch in den vielfältigen Aus- und Fortbildungs-initiativen sowie Studiengängen, die um dieses Thema erweitert bzw. neu entwickelt worden sind. Für zukünftige Berufseinsteiger wird es daher fast schon selbstverständlich sein, eine nachhaltige Veranstal-tung zu konzipieren und durchzuführen.

Eine der wichtigsten Branchenstudien für den deutschen Tagungs-markt, das Meeting- & Eventbarometer, beauftragt vom EVVC – Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren e.V., GCB – German Convention Bureau e.V. und der DZT – Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. kommt 2014 zu dem Ergebnis, dass 82% der Anbieter und 66 % der Veranstalter meinen, dass nachhaltige Komponenten in der Veranstaltungsorganisation zunehmend wichtiger werden. Auch die Kernergebnisse der vierten Otto Group Trendstudie 2013 zum ethischen Konsum „Lebensqualität – Kon-sumethik zwischen persönlichem Vorteil und sozialer Verantwor-tung“ liefern wertvolle Erkenntnisse für den Kongress- und Verans-taltungsmarkt: „Immer mehr Verbraucher kaufen Waren und Dienst-

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leistungen auch nach ethischen Kriterien ein“, sagt Prof. Peter Wip-permann, Gründer des Hamburger Trendbüros. „Erstmals geben mehr als die Hälfte der Verbraucher (56 Prozent) an, häufig Produkte zu kaufen, die ethisch korrekt hergestellt sind. Dabei hat sich der Wert in den vergangenen vier Jahren mehr als verdoppelt“. Bezieht man dieses Ergebnis auf die MICE-Branche, dann heißt das konkret, dass zukünftig Anbieter und Veranstalter bevorzugt ausgewählt werden, die ethisch und fair handeln und dies glaubhaft kommunizieren und dokumentieren können.

Doch es gibt überraschenderweise auch andere Ergebnisse: Die degefest-Trendstudie 2013 unter der Leitung von Prof. Dr. Jerzy Jaworski – Hochschule Heilbronn, kommt bei der Frage nach dem Stellenwert von Nachhaltigkeit in der Veranstaltungsplanung zu folgendem Ergebnis: im Jahr 2008 stuften noch 62,4% der Befragten das Thema als wichtig ein, 2013 waren es deutlich weniger, nur noch 42,2%. Diese rückläufige Tendenz widerspricht der scheinbar hohen Bedeutung des Themas in der Öffentlichkeit und spiegelt die Hete-rogenität der Branche in Meinung und Haltung wider.

Bei der Frage, wie hoch der Wissensstand in Sachen Nachhaltigkeit ist, bekennen in der gleichen Studie mehr als die Hälfte der Befrag-ten, nur eine allgemeine Vorstellung von diesem Thema zu haben. Außerdem fehlen konkrete Checklisten (20,8%) und eine Übersicht über nachhaltig agierende Partner und Lieferanten (17,5%). Auch im amiando – Green Events Report 2013 gaben 30% der Befragten an, dass sie hauptsächlich das fehlende Know-how daran hindert, eine Veranstaltung nachhaltig zu organisieren, gefolgt von „aus Budget-gründen“ (24%) und „zu großer zusätzlicher Zeitaufwand (19%). 20% geben sogar gar keine Gründe an.

Diese Ergebnisse zeigen, wie groß immer noch die Wissenslücken sind und daraus resultierend die Hemmschwelle ist, sich diesem Thema zu nähern.

Nachhaltigkeitsbegriff

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Auch wenn es sich auf den ersten Blick nicht immer zu lohnen scheint, Veranstaltungen umweltgerecht und klimafreundlich durch-zuführen, Nachhaltigkeit steht ganz oben auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda. Vor dieser Tatsache sollte sich die MICE-Branche nicht verschließen. Das Thema wird nicht einfach verschwin-den und es ist auch kein Trend, der mal aktuell ist und dann wieder nicht. Alle Akteure, die das verstehen und sich so aufstellen, dass nicht nur sie selbst, sondern die gesamte Lieferkette nachhaltig agiert, werden zukünftig die Nase vorne haben, die Entwicklung maßgeblich mitbestimmen und wirtschaftlich erfolgreicher sein als andere.

1.2 Die Entstehung des modernen Nachhaltig-keitsbegriffs – eine historische Betrachtung

Ein Begriff macht Karriere Alle Welt spricht von Nachhaltigkeit, viele können es schon nicht mehr hören, da plötzlich alles nachhaltig werden soll – ob der Erfolg eines Stromkonzerns oder die Aktien einer Bank. Je konturenloser der Begriff desto größer ist die Verwirrung. Doch woher stammt der Begriff überhaupt? Erfunden wurde er in Sachsen 1713 vom Oberberghauptmann am kursächsischen Hof in Freiberg Hans Carl von Carlowitz. „Nachhal-ten“ ist ein Kind der damaligen Holzkrise. Lang anhaltender Raubbau an den Wäldern hatte die Reserven des wichtigsten Energieträgers auf ein Minimum schrumpfen lassen. Der kursächsische Silberberg-bau mit seinen holzfressenden Schmelzöfen war besonders von diesem „einreissenden Holzmangel“ betroffen. In seinem Werk „Sylvicultura oeconomica oder Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht“ veröffentlichte Carlowitz die Bilanz seiner Studien und seiner Lebenserfahrung. Darin forderte er die „nachhaltende Nutzung“ der Wälder, weil sonst „das Land in seinem Esse“ – also in seinem Sein –

Nachhaltigkeitsbegriff

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bedroht sei. Als Erster beschreibt er die Notwendigkeit der Regene-rationsfähigkeit eines Systems: es darf nur so viel Holz entnommen werden, wie nachwachsen kann. Er argumentiert im Interesse des „gemeinen Wesens“, der Allgemeinheit, und der „lieben Posterität“, also der zukünftigen Generationen – und kritisiert das auf kurzfristi-gen finanziellen Gewinn, auf „Geld lösen“, ausgerichtete Denken seiner Zeit. Mit erstaunlicher Klarheit verdeutlicht Carlowitz die Beziehung zwischen Ökonomie und Ökologie. Nicht der Markt und die Nach-frage dürften den Verbrauch bestimmen, sondern „wieder wachsen“, das Nachwachsen des jungen Holzes. Die „Consumtion des Holtzes“ müsse sich im Rahmen dessen bewegen, „was der Wald-Raum zu zeugen und zu tragen vermag“. Und schließlich forderte er die „behutsame“ Einbettung der menschlichen Ökonomie in „mater natura“, Mutter Natur. Der Mensch dürfe niemals „wider die Natur handeln, sondern müsse stets „mit ihr agiren“. Die „continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung“ des Holzes „ist eine unent-behrliche Sache“ (vgl. CARL VON CARLOWITZ /HAMBERGER 2013) Auch wenn diese barocke Sprache für unsere heutigen Ohren etwas ungelenk klingt – seine Postulate, vor etwas mehr als 300 Jahren aufgeschrieben, sind aktueller denn je. Wieder ist Nachhaltigkeit ein Kind der Krise, der globalen Klimakrise. Wieder geht es häufig um den schnellen Euro zu Lasten unserer Öko- und Sozialsysteme. Doch wie kam die Nachhaltigkeit aus Sachsen in die Welt nach England, Frankreich und in die USA? Über die deutschen Forst-akademien! Ins Französische übersetzte man den Begriff mit rende-ment soutenu, ins Englische mit sustained yield forestry. In dieser Fassung kam er schon 1951 zu den Vereinten Nationen, nämlich in das Forstprogramm der FAO, der Welternährungsorganisation. Die „nachhaltende Nutzung“ aus der Forstwirtschaft liefert also die Vorlage für unseren heutigen modernen, erweiterten Begriff der Nachhaltigkeit. Er bezeichnet, dass etwas tragfähig und auf Dauer angelegt ist und spiegelt das menschliche Grundbedürfnis nach

Definitionen

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Alle Definitionen haben wichtige Bestandteile. Aber keine der bis-herigen Definitionen beinhalten alle aus unserer Sicht wichtigen Punkte. Deshalb haben wir eine eigene Definition formuliert. Sie lautet wie folgt:

Die Organisation und Umsetzung von nachhaltigen Ver-anstaltungen umfasst die ganzheitliche und ausgewogene Betrachtungsweise ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltiger Handlungen. Dabei darf nicht nur die sin-guläre Veranstaltung betrachtet werden. Vielmehr muss ein Umdenken bei allen relevanten Akteuren (Mitarbeiter, Zulieferer, Dienstleister und Teilnehmer) verankert werden. Alle Maßnahmen müssen derart gestaltet sein, dass sie validier- und dokumentierbar sind, um in einem ständigen Prozess verbessert werden zu können. Das Ziel muss es sein, eine ökonomisch erfolgreiche Veran-staltung bei ethischem und fairem Handeln mit möglichst geringem Impact auf die Umwelt zu gestalten.

2.2. Das Drei-Säulen-Modell Nachhaltiger Ent-wicklung im Veranstaltungsmanagement

Auf dem Brundtland-Bericht aufbauend wurde das Drei-Säulen-Modell entwickelt: „Demnach gibt es drei Dimensionen der Nachhal-tigkeit: Ökologische, wirtschaftliche und soziale Ziele müssen mitein-ander in Einklang gebracht werden. Diese Ziele stehen zunächst gleichberechtigt nebeneinander und sind im einzelnen Fall miteinan-der abzuwägen“ sagt Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln.

Definitionen

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Abbildung 2: Schnittmengen-Modell der drei Säulen einer Nach-

haltigen Entwicklung / Quelle: KLEINE 2009

Die übereinander liegenden Kreise verdeutlichen, dass die Nachhal-tigkeitsdimensionen nicht als starre Säulen isoliert voneinander bestehen müssen, sondern ineinander wirkende Bereiche darstellen können (vgl. KLEINE 2009). Aus diesem Schnittmengen-Modell heraus haben wir das nachfol-gende „Drei-Säulen-Modell für nachhaltiges Veranstaltungsmana-gement“ konzipiert. Gemäß unserer Definition umfasst es die ganz-heitliche und ausgewogene Betrachtungsweise ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltiger Handlungen.

Definitionen

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Abbildung 3: Nachhaltige Entwicklung im Veranstaltungs-

management (eigene Darstellung)

Ökonomische Nachhaltigkeit: Erfolgreiche Durchführung einer Veranstaltung, z.B. Gewinn erwirt-schaften; Image steigern. Ökologische Nachhaltigkeit: Erhalt und Schonung der natürlichen Ressourcen für zukünftige Generationen vor, während und nach der Veranstaltung, z.B. durch umweltfreundliche Beschaffung von Produkten und Dienstleistun-gen. Soziale und gesellschaftliche Nachhaltigkeit: Einen Mehrwert schaffen, der der Gemeinschaft dient; Einbeziehen der regionalen Bevölkerung in die Veranstaltungsorganisation; faires, ethisches Handeln; Compliance als sozialer Aspekt.

Handlungsfelder

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2.3 Kurzdarstellung der 10 Handlungsfelder des BMUB-Leitfadens Bei der Planung eines nachhaltigen Events, stellt sich erst einmal die Frage nach der Auswahl der nötigen Maßnahmen und der effizien-ten und sinnvollen Vorgehensweise. Welche Hilfestellungen stehen Einsteigern dafür zur Verfügung? Verschiedene Organisationen und Institutionen haben in den ver-gangenen Jahren einige zum Teil sehr substantielle Checklisten und Leitfäden veröffentlicht. Sie unterscheiden sich vorwiegend in Umfang und Systematik. Eine empfehlenswerte Sammlung wird von einem Bundesminis-terium bereitgestellt. Der Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen des Bundesministeriums für Umwelt, Natur-schutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) aus dem November 2010 hält in 10 Handlungsfeldern insgesamt 144 Kriterien oder Hand-lungsempfehlungen bereit. Und aus jeder Handlungsempfehlung entsteht wiederum eine Vielzahl von möglichen Maßnahmen, die es gilt strategisch und ganzheitlich auszuwählen. Die 10 Handlungsfelder des BMUB Welche Handlungsfelder für die individuell zu planende Veranstal-tung ausgewählt werden, ist abhängig von

• Veranstaltungsart • Gästestruktur – national und/oder international • Größe der Veranstaltung • Veranstaltungsort

Die Betrachtung nach diesen vier Kriterien wird deutlich, wenn wir eine internationale mit einer lokalen Tagung vergleichen.

Handlungsfelder

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International: Für eine große internationale Veranstaltung mit vielen Flugreisenden aus aller Welt, empfiehlt es sich, vorrangig das Handlungsfeld Mobilität zu bearbeiten. Denn: 70% - 90% der Treibhausgasemis-sionen werden auf Grund des damit verbundenen CO2-Ausstoßes fossil angetriebener Verkehrsmittel verursacht (siehe Abbildung 4: Emissionstreiber bei Veranstaltungen). Lokal: Das sieht jedoch bei einer Tagung in Deutschland mit überwiegend nationalen Teilnehmern schon wieder ganz anders aus. Hier ist die Mobilität eher zu vernachlässigen und es empfiehlt sich, einen Veranstaltungsort mit möglichst positiver CO2-Bilanz zu wählen. So ist jede Veranstaltung individuell zu betrachten. Auch das Catering und die Unterkunft sind hohe Emissionsverursacher. Daher ist es für die positive CO2-Bilanz einer Veranstaltung sinnvoll, sich vorrangig den drei Handlungsfeldern Mobilität, Veranstaltungsort/Hotel und Catering zuzuwenden.

Abbildung 4: Emissionstreiber bei Veranstaltungen nach atmosfair

Handlungsfelder

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Die einzelnen Handlungsfelder: 1.) Mobilität Zu Meetings und Events in der Veranstaltungswirtschaft reisen die Teilnehmer und alle anderen Akteure der Veranstaltung, wie z.B. das Organisations- und Cateringteam, die Referenten und Künstler sowie Presse- und Filmteams einzeln an und ab. Das Handlungsfeld Mobilität behandelt diese enormen Reisebewegungen per Flug, Bahn, Bus und PKW und die Umweltbelastungen durch die Fahrten vor Ort. Auch der Transport sämtlicher Waren zum Veranstaltungs-ort, z.B. der Konferenztechnik sowie der Rücktransport werden diesem Handlungsfeld zugeordnet. Oft können diese Emissionen nur schwer verringert werden. Vermeidungsstrategie heißt in diesem Handlungsfeld, sich die folgenden Fragen zu stellen:

• Können Warentransporte zusammengelegt werden? • Ist es möglich, die Flugbewegungen so zu koordinieren, so

dass weniger Transferfahrten notwendig sind? • Kann die Location für die Abendveranstaltung fußläufig zu den

Unterkünften ausgewählt werden? • Wenn die Veranstaltung am 1. Tag erst um 10:00 Uhr beginnt,

wie viele Teilnehmer könnten dann noch morgens anreisen? Da die Unterkunft für ca. 15% der Gesamtemissionen einer Veranstaltung verantwortlich ist, können mit dieser einfachen Maßnahme viele Emissionen vermieden werden. Und das Bud-get wird auch noch geschont.

Reduzierungsstrategie heißt in diesem Handlungsfeld:

• Anreize bieten, damit die Teilnehmer mit der Bahn anreisen (z.B. mit dem Veranstaltungsticket Umwelt-Plus)

• Fahrgemeinschaften bilden • E-Mobilität integrieren • Emissionsarme Fahrzeuge einsetzen • „Anti-Idling-Policy“ einführen (Shuttle- und Transferbusmoto-

ren nicht im Stand laufen lassen) • ÖPNV-Angebote kommunizieren • Distanzen benennen, die zu Fuß zurückgelegt werden können

Handlungsfelder

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Es empfiehlt sich auf Angebote zur Reduzierung von CO2 in den Einladungen, auf der Homepage etc. im Vorfeld der Veranstaltung hinzuweisen, damit diese bereits in der individuellen Reiseplanung berücksichtigt werden können.

Praxis-Tipp:

GreenMobility Plattform (greenmobility.de) Diese Plattform bündelt und vernetzt alle Informationen zur umweltfreundlichen Anreise mit Bus, Bahn und ÖPNV. Mitfahrgelegenheiten werden koordiniert, Car-Sharing-Angebote werden kommuniziert, über Fahrrad-Leihstationen wird informiert. So ist ein direkter Ver-gleich aller Verkehrsmittel in Bezug auf CO2-Emissionen, Kosten und Reisedauer möglich. Das Ziel ist, den Indivi-dualverkehr zu reduzieren und die öffentlichen Ver-kehrsmittel möglichst gut auszulasten. Veranstalter können sich auf dieser Homepage sogar eine indivi-duelle Mobilitätsplattform im eigenen Corporate Design erstellen lassen. Diese wird dann auf der eigenen Web-site integriert.

Damit die verbrauchten CO2-Emissionen der Teilnehmer durch die An- und Abreise auch gemessen werden können, ist es notwendig eine Teilnehmererhebung am Veranstaltungsort durchzuführen. Verschiedene Anbieter, wie z.B. atmosfair.de, climatepartner.com, co2ol.de, myclimate.org, etc. stellen sogenannte CO2-Mobilitäts-rechner zur Verfügung. Auch Befragungen sind üblich. Über diese Erhebungen können die nicht mehr zu reduzierenden CO2-Emissionen exakt ermittelt werden. Man erhält ein differenziertes Ergebnis in Bezug auf die Mobilität in Kilogramm CO2. Am Ende dieses Kapitels werden wir detailliert auf die Möglichkeit der Kom-pensation für diese Treibhausgasemissionen eingehen.

Systeme und Selbstverpflichtungen

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3.2. Unterscheidungskriterien der Zertifikate

Eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen Gütesiegel und Zertifikate ist der Zertifizierungsgegenstand. Ist die Betrachtung der Nachhaltigkeitsleistung auf ein Unternehmen oder Produkt beschränkt oder lassen sich auch Projekte, wie beispiels-weise Veranstaltungen, zertifizieren? Außerdem können die verschiedenen Bewertungssysteme, die den einzelnen Siegeln zu Grunde liegen nach ihrer Anpassbarkeit unter-schieden werden. Sogenannte geschlossene Systeme haben ein fest definiertes Set an Nachhaltigkeitskriterien, die betrachtet und erfüllt werden müssen. Diese Kriterien sind nur schwer an ein bestimmtes Projekt, wie eine Veranstaltung, oder die Prozesse im Verlauf der Organisation anpassbar. Beispiele für geschlossene Systeme sind Green Globe oder auch Certified Green Hotel. Sogenannte offene Systeme lassen sich größtmöglich an Prozesse und Projekte anpas-sen. Es handelt sich in der Regel um Managementsysteme, mit denen die Aufgaben, die die Normen EMAS oder ISO/DIN 20121 und 14001 beschreiben, gelöst werden. Daraus ergibt sich auch ein weiteres Unterscheidungskriterium: liefert das Gütesiegel einen Kriterienkatalog oder muss zwingend ein Managementsystem (siehe Kapitel 4.1.) entwickelt werden. Weiterhin können die im System berücksichtigten Bereiche der Nachhaltigkeit und deren Balance betrachtet werden. Bei geschlossenen Systemen wird eine Annäherung an eine Ausgewogenheit durch die Einord-nung in sogenannte Kann- und Muss-Kriterien erreicht. Die Muss-Kriterien sind zur erfolgreichen Zertifizierung unabdingbar, während die Kann-Kriterien zu einer höheren Punkt- oder Prozentzahl führen, die die Durchdringung der einzelnen Nachhaltigkeitsbereiche darstellt. In diesem Zusammenhang kann auch die Transparenz der verschiedenen Systeme in Hinblick auf die Veröffentlichung der Kriterien betrachtet werden.

Systeme und Selbstverpflichtungen

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Da den meisten Zertifizierungen auch Marketinggesichtspunkte zu Grunde liegen, ist die Frage nach der öffentlichen Wahrnehmung, der Akzeptanz und der Verbreitung zu stellen. Ist das Gütesiegel national, europäisch oder international bekannt und akzeptiert? Über die Güte eines Zertifikates oder Gütesiegels können der Rezer-tifizierungszeitraum und die Unabhängigkeit der prüfenden Audito-ren eine Auskunft geben. Nur wenn eine wiederkehrende Betrach-tung der Nachhaltigkeitskriterien zu festen Zeitpunkten geplant ist, kann der Prozess der ständigen Verbesserung in Gang gesetzt werden. Ebenfalls muss unter diesem Gebot die Integration der Mitarbeiter und der Lieferkette beachtet werden.

3.3. Systematisierung von Zertifikaten in Hinblick auf Veranstaltungen

Die folgenden Zertifikate unterscheiden sich von den freiwilligen Selbstverpflichtungen insbesondere durch eine systemische und strategische Bearbeitung der Nachhaltigkeitskriterien. Alle darge-stellten Siegel haben als Kern ein Managementsystem, das die Nachhaltigkeitsleistungen messbar macht und in einen strategischen Prozess integriert. Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal sind die Auditierung und die Validierung der Leistungen. Die Prozes-se werden auf die Einhaltung externer Richtlinien und Anforderun-gen und die Ergebnisse auf die korrekte Messung sowie die sinnvolle Messbarkeit überprüft. In der Regel geschieht dies durch externe Gutachter.

Systeme und Selbstverpflichtungen

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Programm / Indikator

EMAS

Eignung für die Zertifizierung von Unternehmen und Projekten unter Berücksichtigung der EMAS Verordnung. Aufgrund des umfangreichen und aufwendigen Prozesses eignet sich die EMAS Zertifizierung einer Veranstaltung hauptsächlich für wiederkehrende Großveranstaltungen, wie beispielsweise den Ev. Kirchentag.

System Offenes Kriterienset, bei dem die Zusammenstel-lung der Prüfkriterien von der Organisation im Rahmen des Zertifizierungsprozesses selbststän-dig festgelegt wird.

Management-system

Es ist erforderlich ein spezifisches Management-system zu installieren, das die besondere Situa-tion als Ausgangspunkt nimmt und daraus Kriterien und deren Validierung ableitet. Die Norm EMAS wurde auf europäischer Ebene entwickelt und beschreibt die Vorgehensweise.

Nachhaltig-keitsbereiche & Balance

Aufgrund der Komplexität und dem ausgespro-chenen Situationsbezug ist eine größtmögliche Ausbalancierung der Kriterien und der Nachhal-tigkeitsbereiche möglich.

Integration Mitarbeiter werden über Schulungsmaßnahmen und Partizipation integriert. Die Lieferkette wird beachtet und gegebenenfalls integriert.

Kontinuierlicher Verbesserungs-prozess

Der KVP ist ein zwingend notwendiger Bestand-teil des Managementsystems.

Systeme und Selbstverpflichtungen

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Transparenz Aufgrund der zwingend notwendigen Dokumen-tation und der Veröffentlichungspflicht aller Bestandteile der Zertifizierung sowie den öffent-lich dargelegten Normen der Zertifizierung selbst ist eine größtmögliche Transparenz gegeben. Die Validierung des Managementsystems sowie der Kriterien ist zwingender Bestandteil der Zertifizie-rung und erfolgt über unabhängige Gutachter.

Wahrnehmung, Akzeptanz & Verbreitung

Die Zertifizierung ist europäisch anerkannt. Die Kommunikation der Teilnahme kann mit dem EMAS-Logo als Gütesiegel gezeigt werden. Teilnehmende Firmen und Projekte werden in ein zentrales europäisches Register eingetragen. Der Zeitraum der Rezertifizierung ist vorgeschrieben. Da die EMAS Zertifizierung eine Zertifizierung nach DIN/ISO 14001 bereits beinhaltet, ist mit einer verstärkten europäischen Verbreitung zu rechnen. Das vereinfachte Programm EMAS easy ermöglicht auch kleineren Unternehmen eine Zertifizierung als Vorbereitung der EMAS Zertifi-zierung.

Kosten Je nach Unternehmens- und Projektgröße fallen Kosten für die Installation des Managementsys-tems und die Validierung durch einen externen, frei wählbaren Gutachter an. Die Eintragung in das zentrale Register kostet eine geringe Bear-beitungsgebühr. Kosten für Mitgliedschaft oder Kriteriensets fallen nicht an.

Systeme und Selbstverpflichtungen

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Programm / Indikator

ISO/DIN 14001

Eignung hauptsächlich für Unternehmen und Locations unter Berücksichtigung der Normen der ISO/DIN 14001. Für Veranstaltungen wurde speziell die ISO/DIN 20121 entwickelt.

System Offenes Kriterienset, bei dem die Zusammenstel-lung der Prüfkriterien von der Organisation im Rahmen des Zertifizierungsprozesses selbststän-dig festgelegt wird.

Management-system

Es ist erforderlich ein spezifisches Management-system zu installieren, das die besondere Situati-on als Ausgangspunkt nimmt und daraus Krite-rien und deren Validierung ableitet. Die Norm ISO/DIN wurde auf internationaler Ebene ent-wickelt und beschreibt die Vorgehensweise.

Nachhaltig-keitsbereiche & Balance

Aufgrund der Komplexität und dem ausgespro-chenen Situationsbezug ist eine größtmögliche Ausbalancierung der Kriterien und der Nachhal-tigkeitsbereiche möglich.

Integration Mitarbeiter werden über Schulungsmaßnahmen und Partizipation integriert. Die Lieferkette wird beachtet und gegebenenfalls eingegliedert.

Kontinuierlicher Verbesserungs-prozess

Der KVP ist ein zwingend notwendiger Bestand-teil des Managementsystems.

Transparenz Die Norm ist öffentlich dargelegt. Die Validierung des Managementsystems sowie der Kriterien sind zwingender Bestandteil der Zertifizierung und erfolgen über unabhängige Gutachter. Allerdings besteht im Rahmen einer Zertifizierung nach ISO/DIN 14001 keine Berichtspflicht gegenüber der Öffentlichkeit.

Systeme und Selbstverpflichtungen

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Wahrnehmung, Akzeptanz & Verbreitung

Die Zertifizierung ist international anerkannt. Die Kommunikation der Teilnahme kann mit dem ISO/DIN-Logo gezeigt werden. Teilnehmende Firmen und Projekte können sich in verschiedene Register eintragen. Ein offizielles Register besteht derzeit noch nicht. Der Zeitraum der Rezertifizie-rung ist vorgeschrieben.

Kosten Je nach Unternehmensgröße fallen Kosten für die Installation des Managementsystems und die Validierung durch einen externen, frei wählbaren Gutachter an. Für die Beschreibung der Normung fallen geringe Kosten an.

Systeme und Selbstverpflichtungen

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Programm / Indikator

ISO/DIN 20121

Die ISO/DIN 20121 wurde speziell für Veranstal-tungen jeder Größenordnung entwickelt. In die Ausgestaltung der Norm waren Stakeholder aus der internationalen Veranstaltungsindustrie maßgeblich beteiligt. Bisher wurden hauptsäch-lich Großveranstaltungen, wie die Olympischen Spiele oder der Eurovision Song Contest nach der neuen Norm zertifiziert.

System Offenes Kriterienset, bei dem die Zusammenstel-lung der Prüfkriterien von der Organisation im Rahmen des Zertifizierungsprozesses selbststän-dig festgelegt wird.

Management-system

Es ist erforderlich ein spezifisches Management-system zu installieren, das die besondere Situa-tion als Ausgangspunkt nimmt und daraus Kriterien und deren Validierung ableitet. Die Norm ISO/DIN wurde auf internationaler Ebene entwickelt und beschreibt die Vorgehensweise.

Nachhaltig-keitsbereiche & Balance

Aufgrund der Komplexität und dem ausgespro-chenen Situationsbezug ist eine größtmögliche Ausbalancierung der Kriterien und der Nachhal-tigkeitsbereiche möglich.

Integration Mitarbeiter werden über Schulungsmaßnahmen und Partizipation integriert. Die Lieferkette wird beachtet und gegebenenfalls eingegliedert.

Kontinuierlicher Verbesserungs-prozess

Der KVP ist ein zwingend notwendiger Bestand-teil des Managementsystems.

Systeme und Selbstverpflichtungen

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Transparenz Die Norm ist öffentlich dargelegt. Wie bei der ISO/DIN 14001 besteht im Rahmen einer Zertifi-zierung keine Berichtspflicht gegenüber der Öffentlichkeit. Im Gegensatz zu EMAS und ISO/DIN 14001 wurde bei der Ausgestaltung der Norm ISO/DIN 20121 auf die Pflicht, einen externen Gutachter einzusetzen, verzichtet. Die Prüfung kann durch eigene, interne Audits erfolgen.

Wahrnehmung, Akzeptanz & Verbreitung

Die Zertifizierung ist international anerkannt. Die Kommunikation der Teilnahme kann mit dem ISO/DIN-Logo gezeigt werden. Da weder eine Berichtspflicht gegenüber der Öffentlichkeit noch die Pflicht zur Validierung durch externe Gutach-ter besteht, ist die Wahrnehmung unter Umstän-den geschwächt.

Kosten Für die Planung und Erstellung des notwendigen Managementsystems fallen eventuell Kosten für externe Berater und Gutachter an. Allerdings kann der gesamte Prozess auch intern durchge-führt werden, sodass ausschließlich interne Kosten entstehen. Für die Beschreibung der Normung fallen geringe Kosten an.

Einführung Managementsystem

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Abbildung 6: „EFQM-Modell“/ Quelle: European Foundation for

Quality Management

Im Jahr 2010 wurde das bisherige EFQM-Modell überarbeitet und an die aktuellen Anforderungen und Gegebenheiten angepasst.

Abbildung 7: „aktuelles EFQM-Modell / “Quelle: European Foundation

for Quality Management

Einführung Managementsystem

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Im Gegensatz zum älteren bildet das aktuelle Modell die wechsel-seitigen Abhängigkeiten der Kriterien untereinander ab und erwei-tert diese um modernere Handlungs- und Führungskriterien. Die Überarbeitung des EFQM Modells macht deutlich, dass die Konzep-tion des nachhaltigen Handelns Einzug in die Prozesse eines moder-nen Unternehmens finden muss. In Zeiten knapper werdender Ressourcen, immer kürzer werdender Innovationszyklen, einer fort-schreitenden Kommunikationsbasis der Gesellschaft durch das Inter-net und die Gefahr, die von neuen Geschäftsmodellen ausgeht, ist es für bestehende Unternehmen und Organisationen wichtig, wenn nicht unabdingbar, ihre Ressourcen zu managen. Diese Kernprinzi-pien müssen sich daher auch in einem modernen Managementsys-tem zur Organisation nachhaltiger Veranstaltungen wiederfinden. Ein Managementsystem zur Organisation nachhaltiger Veranstaltun-gen muss zukunftsfähig sein und das Unternehmen von den ersten Schritten bis hin zu einer möglichen Exzellenz begleiten. Das Modell der European Foundation for Quality Management gibt dazu die nötigen Kriterien vor.

4.3. Wie finde ich das passende Management-system, um Veranstaltungen nachhaltig zu organisieren?

Bei der Auswahl eines passenden Managementsystems zur Organi-sation nachhaltiger Veranstaltungen muss auf die folgenden Fakto-ren geachtet werden:

1. Zukunftsfähigkeit – Ist es eventuell ein längerfristiges Ziel, eine Zertifizierung, zum Beispiel EMAS oder ISO 20121, zu erlan-gen? Kann mit dem System schnell und einfach auf sich än-dernde Umstände innerhalb der Organisation oder auch in der Gesellschaft reagiert werden? Ist das System offen für die Vi-

Einführung Managementsystem

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sionen im Unternehmen und begrenzt diese nicht? Lässt es sich in andere bestehende oder vielleicht geplante Manage-mentsysteme im Unternehmen integrieren?

2. Kommunikationsfähigkeit – Wird ein Gütesiegel oder Zertifikat

gebraucht und wie groß soll dessen Akzeptanz und Bekannt-heit sein? National, europäisch oder international? Soll ein Berichtswesen oder eine Möglichkeit zur fortführenden Bilan-zierung und einfachen Kommunikation der Umwelt- und Sozi-alleistung enthalten sein?

3. Aufwand und Kosten – Welche Kosten entstehen durch die

Implementierung? Welche personellen Ressourcen müssen intern oder extern bereitgestellt werden? Wie hoch sind die Kosten der Auditierung? Was kostet das System und werden zusätzliche Kosten, zum Beispiel als sogenannter Marketing-beitrag fällig?

4. Integrationsfähigkeit – Ist das Einbeziehen der Mitarbeiter und

eine explizite Mitarbeiterverantwortung möglich? Unterstützt das System den Grundsatz der lernenden Organisation? Wird die Kreativität und Kultur der Mitarbeiter gefördert? Sind die Bildung von intellektuellem Kapital und ein Wissensmanage-ment durchführbar? Werden Lieferanten und Dienstleister mit in den Prozess einbezogen?

5. Prozessorientierung – Ist das Erkennen und Implementieren

von Potentialen und Wünschen der Kunden, Teilnehmer und weiterer Stakeholder zur Steigerung der Wertschöpfung möglich? Werden Lieferanten und Partner in das System aktiv mit einbezogen? Ist eine Anpassung an die eigenen Prozesse möglich oder erfordert das System eigene Prozesse? Wird ein kontinuierlicher Innovations- und Verbesserungsprozess un-terstützt? Ist es möglich, die Beziehungen zu den Stakeholdern zu intensivieren?

Einführung Managementsystem

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6. Ausgewogenheit – Können Maßnahmen definiert und im Rah-men der bestehenden und zukünftig geplanten Prozesse ska-liert werden? Ist eine differenzierte kontinuierliche Verbesse-rung möglich oder ist die Vorgabe starr? Sind Mess- oder Bewertungsmethoden selbst und frei zu definieren oder sind diese vorgegeben? Sind Maßnahmen zeitlich definierbar (lang-fristige Ziele oder kurzfristige Ziele managen)?

Die derzeit am Markt angebotenen Systeme unterscheiden sich zum Teil stark in den oben genannten Kriterien. Das heißt nicht unbe-dingt, dass ein System schlechter als ein anderes ist. Alle offenen und geschlossenen Managementsysteme helfen die Umwelt- und Sozialleistung im Bereich der Organisation nachhaltiger Veranstal-tungen zu verbessern. Es gilt vielmehr bei der Auswahl des passen-den Systems, die oben genannten Indikatoren in Hinblick auf die Visionen, Wünsche und bestehenden Prozesse im eigenen Unter-nehmen zu berücksichtigen. Ein Managementsystem, das beispielsweise im Rahmen einer EMAS oder ISO Zertifizierung erdacht und eingesetzt wird, ist durch die größtmögliche individuelle Anpassung an die bestehenden Prozesse im Unternehmen oder im Rahmen der Veranstaltung sehr variabel und offen. Es lässt sich auch in bereits bestehende Management- und Controlling-Systeme integrieren oder auch – wie beispielsweise EMAS easy – von einer einfacheren Anfangsform zu einer umfang-reicheren Version im Sinne der zu erreichenden Exzellenz weiter-entwickeln. Ein richtungsweisendes Beispiel für eine erfolgreiche EMAS-Zertifizierung stellt der Evangelische Kirchentag dar. Seit im Jahr 2003 die Veranstalter den Beschluss zur Etablierung des Umwelt-managementsystems gefasst hatten, wurde jede der alle 2 Jahre stattfindenden Großveranstaltung seit 2007 validiert und das Zertifi-kat vergeben.

Einführung Managementsystem

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Alle 2 Jahre veröffentlichen die Veranstalter eine detaillierte Umwelt-erklärung, die alle Kennzahlen im Vergleich zu den Vorjahren auf-listet, und einen Umweltbericht, der diese Kennzahlen erklärt und zueinander in Beziehung setzt. Die Berichte sind öffentlich unter der Internetadresse www.kirchentag.de/ueber_uns/umweltengagement/umweltmanagement.html einsehbar. Andere Managementsysteme, wie beispielsweise Green Globe, geben einen im jeweiligen System immanenten Kriterien-, Hand-lungs- und Bewertungsrahmen vor. Dieser Rahmen ist zu befolgen und nur schwer auf die bestehenden Prozesse im Unternehmen anpassbar. Das System ist in sich geschlossen. Allerdings ist der Entwicklungsaufwand dadurch auch sehr viel geringer und auch die Bearbeitung einfacher, da bereits ein Bewertungsrahmen vorge-geben ist. Anfang des Jahres 2011 ist beispielsweise der Europäische Verband der Veranstaltungs-Centren e.V. (EVVC) mit dem Unternehmen Green Globe Certification (GGC) eine Kooperation eingegangen, um den angeschlossenen Veranstaltungshäusern eine Nachhaltigkeits-zertifizierung zu ermöglichen. Dazu wurden über 200 Kriterien entwickelt, die im Rahmen einer erfolgreichen Zertifizierung zu mindestens 51% erfüllt werden müssen. Inzwischen sind bereits über 30 Veranstaltungshäuser und -betriebe in Deutschland mit dem Green Globe Siegel zertifiziert. Ein herausragendes Beispiel für eine erfolgreiche Zertifizierung ist die Musik- und Kongresshalle Lübeck (MuK), die im Jahr 2014 die Rezertifizierung mit 96% abgeschlossen hat. Die Kriterien sind unter dem Link www.evvc.org/de/engagement/evvc-greenglobe/ auf der Website des EVVC einsehbar.

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Die meisten Systeme sind mit einem Prüfsiegel oder Zertifikat ausgestattet, dessen Kommunikationswirkung ist detailliert zu be-trachten. Zum Teil wird das Unternehmen (oder auch die Veran-staltung) in ein Register eingetragen. In einigen Fällen wird eine zusätzliche externe Marketing-Plattform angeboten. In jedem Fall sollte der Nutzen für das Unternehmen oder die Veranstaltung genau geprüft werden. So werden beispielsweise alle zertifizierten Betriebe rubriziert auf den Internetplattformen des EMAS Zertifikates (emas.de/) oder auch von Green Globe (greenglobe.com/germany/) aufgelistet. Eine ähnliche Plattform findet sich nahezu für jedes Label. Aber ob das Siegel oder Zertifikat in der Branche oder der Gesell-schaft bekannt ist, entscheidet das reine Vorhandensein einer Marketingplattform nicht. Im Jahr 2011 hat Nina Dilly unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Rück von der Fachhochschule Worms 403 Unternehmen und Verbände sowie 121 Agenturen befragt, welche Umweltzertifikate und -standards ihnen bekannt sind. An der Spitze der Bekanntheit liegt ISO/DIN 14001 mit 51% Bekanntheit. Gefolgt wird der internationale Standard von EMAS (36%), Green Globe (34%) und ISO/DIN 20121 (33%). Geradezu tragisch ist die Betrach-tung des Wissens um die Inhalte des jeweiligen Zertifikates: Keines schafft es eine inhaltliche Bekanntheit der zu Grunde liegenden Kriterien von über 22% zu erreichen. Es bleibt zu hoffen, dass die letzten Jahre der Öffentlichkeitsarbeit und der erfolgreichen Zertifi-zierungen diese eher geringen Werte verbessert haben.

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Abbildung 8: FH Worms „Bekanntheit“ / Quelle Nina Dilly 2011

Hinsichtlich der Kommunikationswirkung muss weiterhin die Frage gestellt werden, wie ein Nachhaltigkeitsbericht aufgebaut werden soll oder die erzielten Umwelt- und Sozialleistungen in einen beste-henden Bericht im Sinne einer Bilanzierung übernommen werden können. Während bei einer EMAS Zertifizierung der Umweltbericht verpflichtend ist, ist dies bei fast allen anderen Zertifikaten nicht der Fall. Oftmals genügt, wie bei Green Globe und anderen, die Errei-chung eines vorab definierten Prozentsatzes der zu erfüllenden Pflichtkriterien, um das Zertifikat zu erhalten und das Siegel führen zu dürfen. Bei der Zertifizierung nach ISO 14001 oder 20121 besteht keine Verpflichtung einen Umweltbericht zu veröffentlichen. Auch die Eintragung in ein nationales oder internationales Register entfällt.

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Praxistipp:

Als Entscheidungshilfe bei der Auswahl des passenden Managementsystems ist es empfehlenswert, die oben genannten 6 Entscheidungskriterien mit den exemplari-schen Fragen und zusätzlichen Punkten und Fragen, die für die eigene Organisation wichtig sind, mit einem Punktesystem zu bewerten. In gleicher Weise wird fol-gend für jedes zur Auswahl stehende Managementsys-tem vorgegangen. Eine tabellarische Übersicht erleich-tert den Vergleich.

Im folgenden Kapitel stellen wir einen Ansatz vor, der es Veranstal-tungsplanern ermöglichen soll, schnell und einfach damit zu begin-nen, nachhaltige Veranstaltungen zu organisieren. Das System ist offen und erlaubt eine spätere Zertifizierung nach EMAS oder ISO ohne, dass ein komplett neues Managementsystem erdacht und erprobt werden muss.

Managementsystem für nachhaltige Veranstaltungen

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Anhand dieser grafischen Darstellung erfolgt die Bewertung und Priorisierung der einzelnen Handlungsfelder für die Strategie der nachhaltigen Veranstaltung. Diese Form der SWOT-Analyse der Handlungsfelder zur Bildung einer Strategie liefert aussagekräftige Ergebnisse aufgrund einer detaillierten Betrachtungsweise. Allerdings erfordern sowohl die Entwicklung der Fragensets als auch die anschließende Deutung ein gewisses Maß an Erfahrung und Übung. Es geht auch einfacher – die Portfolio-Matrix Der Einsatz einer Portfolio-Analyse in einer Matrix erfordert weniger Erfahrung und die Deutung der Ergebnisse ist wesentlich einfacher. Sie ist für den praxisorientierten Veranstaltungsplaner leicht durch-führbar. Für jedes Handlungsfeld werden auch hier Fragen definiert, die die Stärken und Schwächen sowie die Chancen und Risiken ihrer Um-setzung beleuchten. Anhand eines für alle Fragen und Handlungsfelder gleichen Be-wertungssystems werden Durchschnittswerte gebildet und in einem Koordinatenkreuz abgebildet. Die horizontale x-Achse bildet die Wirksamkeit der Handlungsfelder in Bezug auf die Nachhaltigkeit und die vertikale y-Achse den Nutzen der Handlungsfelder für das Unternehmen ab. Aus der Position im Koordinatensystem ergibt sich im Prozess der Planung die strategische Relevanz der einzelnen Handlungsfelder. Zur weiteren Differenzierung werden die einzelnen Handlungsfelder gewichtet und die Gewichtung als Größe darge-stellt. Eine typische Gewichtung stellt beispielsweise der Einfluss der einzelnen Handlungsfelder auf die von ihnen ausgehende Umwelt-leistung dar. Das Handlungsfeld Mobilität wird daher mit der höch-sten Gewichtung dargestellt.

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Die Portfolio-Analyse erleichtert die strategische Einordnung der Handlungsfelder.

Abbildung 13: Portfolio-Matrix der Handlungsfelder (eigene Darstellung)

Um die strategische Einordnung und Analyse der Handlungsfelder zu ermöglichen, ist das Koordinatenkreuz von 9 Segmenten über-lagert. Die Segmente stellen die Wirkungsweise in einer Skala von gering bis hoch dar. So wird die Analyse des Portfolios der Hand-lungsfelder für die Veranstaltungsstrategie vereinfacht.

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Die Segmente sind mit konkreten Handlungsempfehlungen be-zeichnet.

Abbildung 14: Segmentierung des Koordinatensystems

(eigene Darstellung)

So entsteht eine Strategiematrix, auf der die 10 Handlungsfelder zueinander in Beziehung stehen. Je nach ihrer Position im Koordi-natensystem können so die für die besondere Veranstaltung nötigen und wichtigen Handlungsfelder identifiziert und in die spätere Maßnahmenplanung entsprechend einbezogen werden.

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Mit diesem, an eine Portfolio-Analyse angelehnten System wird vermieden, dass aus den Handlungsfeldern willkürlich und planlos Schwerpunkte gesetzt werden, die dem Nachhaltigkeitsziel und der Nachhaltigkeitsstrategie nicht entsprechen. Sollte die so erstellte Strategiematrix nicht zur gewünschten Eindeu-tigkeit führen, ist es möglich, eine weitere Dimension zu berück-sichtigen. Zum Beispiel können die einzelnen Handlungsfelder anstelle ihrer Grundgewichtung der Umweltwirksamkeit auf weitere Wirkungen hin betrachtet werden. In diesem Fall wird die Gewich-tung den eigenen Anforderungen angepasst. Besonders in Zeiten knapper Budgets käme so auch eine alternative Gewichtung hinsichtlich der zu erwartenden Kosten in Frage. So kann die Umsetzung eines jeden Handlungsfeldes auf zu erwartende Mehrkosten, Kostenneutralität und sogar Kostenreduktion geprüft und gewichtet werden. Aus der so entstandenen Strategiematrix wird im folgenden Schritt die Strategiegeschichte für die Umsetzung der nachhaltigen Veran-staltung formuliert. Wenn es sich nicht um eine singuläre Veranstaltung, sondern ein System aus verschiedenen Veranstaltungen handelt, kann eine weitere Strategiematrix eingeführt werden. Sie zeigt die verschie-denen Veranstaltungsformen mit ihren Schwerpunkten in den Handlungsfeldern und setzt diese zueinander in Beziehung. Dies kann beispielsweise bei einem Veranstaltungsprogramm sinnvoll sein, das sich von der Management-Tagung über die Regional-Tagung bis hin zu den dazugehörigen Workshops erstreckt und als Einheit betrachtet werden soll. Aber auch bei der singulären Betrach-tung der einzelnen Veranstaltungen gibt die Matrix einen guten Überblick über die jeweils wichtigsten Handlungsfelder.