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in: LE MONDE diplomatique, Deutsche Ausgabe, 08/21.Jahrgang, August 2015 Das System Fifa Die Korruption ist rund von Stefan KOhl E xperten der Sportbranche vergleichen die Fifa mit kri- minellen Organisationen. Aber nicht nur sie sprechen von der "Fifa-Mafia", die wie ein Krake die Geschäfte im internationalen Fuß- ball beherrsche. Der langjährige Prä- sident der Fifa, Sepp Blatter, wird als "Don Blatterone" bezeichnet: als Pate, der die Geldflüsse in der Organisation kontrolliert. Assoziationen mit der Mafia sind gewiss naheliegend, wenn Fifa-Funk- tionäre gleich reihenweise von der Poli- zei aus einem Zürcher Luxushotel abge- führt werden. Aber letztlich trifft diese Beschreibung den Charakter des Welt- fußballverbands nicht. Denn der ist, anders als die Mafia, nicht per se eine kriminelle Organisation. Die Fifa kann in der Regel ihre Kongresse abhalten, ohne damit rechnen zu müssen, dass die Polizei die Veranstaltung auflöst. Im Gegenteil: Sie kann sicher sein dass die Schweizer Polizei ihre veran- staltungen schützt, weil man (noch) da- von ausgeht, dass sich ihr Handeln im Rahmen der Gesetze bewegt. Aber wenn die Fifa mit der Meta- pher der Mafia unzureichend beschrie- ben ist - um was für eine Organisation handelt es sich denn dann? Und wie kann ihr Handeln erklärt werden? In der Organisationsforschung werden Verbände wie die Fifa, aber auch die OECD, die International Air Transport Association, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag oder die In- ternational Federation of Eugenic Or- ganizations als Metaorganisationen bezeichnet.' Die Besonderheit von Metaorgani- sationen liegt darin, dass ihre Mitglie- der nicht Einzelpersonen, sondern an- dere Organisationen sind. Zwar arbei- ten auch im Fifa-Hauptquartier von Zürich einige hundert Personen, die ein regelmäßiges und, wie man hört, stattliches Einkommen von der Fifa be- ziehen. Aber für die formalen Entschei- dungsprozesse der Fifa sind nicht die- se Mitarbeiter zuständig, sondern die 209 nationalen Fußballverbände, die als Mitglieder der Fifa deren Kurs be- stimmen. Die Organisationsforscher Göran Ahrne und Nils Brunsson haben her- ausgearbeitet, dass die meisten Meta- organisationen im Vergleich zu ih- ren Mitgliedsorganisationen schwach sind.' Man muss sich nur so unter- schiedliche Metaorganisationen wie die Vereinten Nationen, die Nato oder den Deutschen Industrie- und Handels- kammertag ansehen, um zu erkennen, wie gering ihr Einfluss im Vergleich zu ihren Mitgliedsorganisationen ist. Die relativ schwache Zentrale der Metaorganisation ist in den meisten Fällen kaum in der Lage, Veränderun- gen in ihren Mitgliedsorganisationen zu bewirken. Der Kurs einer Metaorga- nisation läuft zumeist auf einen mehr oder minder fragilen Kompromiss hin- aus, den die starken Mitgliedsorganisa- tionen vorab ausgehandelt haben. Anders sieht es aus, wenn es einer Metaorganisation gelingt, eigene Ein- nahmen zu generieren und sich so von ihren Mitgliedsorganisationen zu emanzipieren. Das ist bei Metaorgani- sationen eher die Ausnahme. Aber der Fifa ist genau dies gelungen. Die Fifa verfügt mit der Fußball- weltmeisterschaft über ein natürliches Monopol, weil sich für das Handelsgut ,,weltmeisterschaft" keine Konkurren- zanbieter etablieren können. Im Prin- zip könnten sich zwar in allen Län- dern Fußballvereine zusammentun, Nationalmannschaften aufstellen und die Austragung einer gemeinsamen Weltmeisterschaft verkünden. Das wä- re aber wohl ähnlich erfolglos wie der Versuch eines Wasserversorgungsun- ternehmens, in ein neues Rohrleitungs- netz zu investieren, um den Stadtwer- ken von Hamburg, Wien oder Zürich Konkurrenz zu machen. Bevor sich die Investitionen auszahlen, wäre die Unternehmung wegen der hohen Ein- stiegshürden schon pleite. Die Mono- polsteIlung der Fifa gestattet es ihr, bei einer Fußball-WM die Einnahmen für die Übertragungsrechte, die Sponso- rengelder, die Ticketpreise und ihre Ge- winnanteile am Verkauf der Merchan- disingartikel (Maskottchen, Trikots und so weiter) fast beliebig zu erhöhen. Denn es gibt ja keine Konkurrenz. Es sind diese monopolistischen Einnahmemöglichkeiten, die den Un- terschied zu anderen Metaorganisati- onen ausmachen. Die Fifa muss also nicht Geld von ihren Mitgliedsverbän- den einnehmen, um zu existieren, sie kann vielmehr Geld an ihre Mitglied- sorganisationen verteilen. Die Unesco, die OECD oder die Nato müssen bei ihren Mitgliedstaaten betteln gehen, wenn sie ihr Budget erhöhen wollen. Darauf ist die Fifa nicht angewiesen, im Gegenteil: Sie macht sich als Geld- verteilungsmaschine für ihre Mitglied- sorganisationen unentbehrlich. Dies erklärt, warum die Fußball- verbände von Kleinststaaten eine Mit- gliedschaft in der Fifa anstreben. Sie verschaffen sich damit Zugang zu dem Geldsegen, den die Fifa ihren Mit- gliedern zukommen lässt. Eine jähr- liche Ausschüttung von einer Million Schweizer Franken mag für einen Ver- band wie den Deutschen Fußball-Bund oder die Real Federaci6n Espaficla de Futbol zweitrangig sein, aber für Fuß- ballverbände von Kleinststaaten - wie die St. Kitts and Nevis Football Associ- ation oder die Football Federation of Belize - stellt sie die zentrale Einnah- mequelle da~,.._ Die Kleinverbände haben erheb- lichen Einfluss auf die Entscheidun- gen der Fifa gewonnen, weil jeder Mit- gliedsverband das gleiche Stimmrecht hat - im Gegensatz etwa zur Weltbank oder zum Internationalen Währungs- fonds (IWF). Das Prinzip "One state, one vote" stand von Beginn an in den Statuten der "Federation Internationa- le de Football Association", zu der sich 1904 vergleichsweise gleich große na- tionale Fußballverbände zusammen- schlossen, und wurde mit Verweis auf demokratische Grundsätze bis heute beibehalten. Bei der Wahl des Fifa-Prä- sidenten zählt die Stimme des Deut- schen Fußball-Bunds also genauso viel wie die des Fußballverbands der Zen- tralafrikanischen Republik oder von Kirgisien.

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in: LE MONDE diplomatique, Deutsche Ausgabe, 08/21.Jahrgang, August 2015

Das System FifaDie Korruption ist rundvon Stefan KOhl

Experten der Sportbranchevergleichen die Fifa mit kri-minellen Organisationen.Aber nicht nur sie sprechen

von der "Fifa-Mafia", die wie ein Krakedie Geschäfte im internationalen Fuß-ball beherrsche. Der langjährige Prä-sident der Fifa, Sepp Blatter, wird als"Don Blatterone" bezeichnet: als Pate,der die Geldflüsse in der Organisationkontrolliert.

Assoziationen mit der Mafia sindgewiss naheliegend, wenn Fifa-Funk-tionäre gleich reihenweise von der Poli-zei aus einem Zürcher Luxushotel abge-führt werden. Aber letztlich trifft dieseBeschreibung den Charakter des Welt-fußballverbands nicht. Denn der ist,anders als die Mafia, nicht per se einekriminelle Organisation. Die Fifa kannin der Regel ihre Kongresse abhalten,ohne damit rechnen zu müssen, dassdie Polizei die Veranstaltung auflöst.Im Gegenteil: Sie kann sicher seindass die Schweizer Polizei ihre veran-staltungen schützt, weil man (noch) da-von ausgeht, dass sich ihr Handeln imRahmen der Gesetze bewegt.

Aber wenn die Fifa mit der Meta-pher der Mafia unzureichend beschrie-ben ist - um was für eine Organisationhandelt es sich denn dann? Und wiekann ihr Handeln erklärt werden? Inder Organisationsforschung werdenVerbände wie die Fifa, aber auch dieOECD, die International Air TransportAssociation, der Deutsche Industrie-und Handelskammertag oder die In-ternational Federation of Eugenic Or-ganizations als Metaorganisationenbezeichnet.'

Die Besonderheit von Metaorgani-sationen liegt darin, dass ihre Mitglie-der nicht Einzelpersonen, sondern an-dere Organisationen sind. Zwar arbei-ten auch im Fifa-Hauptquartier vonZürich einige hundert Personen, dieein regelmäßiges und, wie man hört,stattliches Einkommen von der Fifa be-ziehen. Aber für die formalen Entschei-dungsprozesse der Fifa sind nicht die-se Mitarbeiter zuständig, sondern die209 nationalen Fußballverbände, dieals Mitglieder der Fifa deren Kurs be-stimmen.

Die Organisationsforscher GöranAhrne und Nils Brunsson haben her-ausgearbeitet, dass die meisten Meta-organisationen im Vergleich zu ih-ren Mitgliedsorganisationen schwachsind.' Man muss sich nur so unter-schiedliche Metaorganisationen wiedie Vereinten Nationen, die Nato oderden Deutschen Industrie- und Handels-kammertag ansehen, um zu erkennen,wie gering ihr Einfluss im Vergleich zuihren Mitgliedsorganisationen ist.

Die relativ schwache Zentrale derMetaorganisation ist in den meistenFällen kaum in der Lage, Veränderun-gen in ihren Mitgliedsorganisationenzu bewirken. Der Kurs einer Metaorga-nisation läuft zumeist auf einen mehroder minder fragilen Kompromiss hin-aus, den die starken Mitgliedsorganisa-tionen vorab ausgehandelt haben.

Anders sieht es aus, wenn es einerMetaorganisation gelingt, eigene Ein-nahmen zu generieren und sich sovon ihren Mitgliedsorganisationen zuemanzipieren. Das ist bei Metaorgani-sationen eher die Ausnahme. Aber derFifa ist genau dies gelungen.

Die Fifa verfügt mit der Fußball-weltmeisterschaft über ein natürlichesMonopol, weil sich für das Handelsgut

,,weltmeisterschaft" keine Konkurren-zanbieter etablieren können. Im Prin-zip könnten sich zwar in allen Län-dern Fußballvereine zusammentun,Nationalmannschaften aufstellen unddie Austragung einer gemeinsamenWeltmeisterschaft verkünden. Das wä-re aber wohl ähnlich erfolglos wie derVersuch eines Wasserversorgungsun-ternehmens, in ein neues Rohrleitungs-netz zu investieren, um den Stadtwer-ken von Hamburg, Wien oder ZürichKonkurrenz zu machen. Bevor sichdie Investitionen auszahlen, wäre dieUnternehmung wegen der hohen Ein-stiegshürden schon pleite. Die Mono-polsteIlung der Fifa gestattet es ihr, beieiner Fußball-WM die Einnahmen fürdie Übertragungsrechte, die Sponso-rengelder, die Ticketpreise und ihre Ge-winnanteile am Verkauf der Merchan-disingartikel (Maskottchen, Trikotsund so weiter) fast beliebig zu erhöhen.Denn es gibt ja keine Konkurrenz.

Es sind diese monopolistischenEinnahmemöglichkeiten, die den Un-terschied zu anderen Metaorganisati-onen ausmachen. Die Fifa muss alsonicht Geld von ihren Mitgliedsverbän-den einnehmen, um zu existieren, siekann vielmehr Geld an ihre Mitglied-sorganisationen verteilen. Die Unesco,die OECD oder die Nato müssen beiihren Mitgliedstaaten betteln gehen,wenn sie ihr Budget erhöhen wollen.Darauf ist die Fifa nicht angewiesen,im Gegenteil: Sie macht sich als Geld-verteilungsmaschine für ihre Mitglied-sorganisationen unentbehrlich.

Dies erklärt, warum die Fußball-verbände von Kleinststaaten eine Mit-gliedschaft in der Fifa anstreben. Sieverschaffen sich damit Zugang zu demGeldsegen, den die Fifa ihren Mit-gliedern zukommen lässt. Eine jähr-liche Ausschüttung von einer MillionSchweizer Franken mag für einen Ver-band wie den Deutschen Fußball-Bundoder die Real Federaci6n Espaficla deFutbol zweitrangig sein, aber für Fuß-ballverbände von Kleinststaaten - wiedie St. Kitts and Nevis Football Associ-ation oder die Football Federation of

Belize - stellt sie die zentrale Einnah-mequelle da~, .._

Die Kleinverbände haben erheb-lichen Einfluss auf die Entscheidun-gen der Fifa gewonnen, weil jeder Mit-gliedsverband das gleiche Stimmrechthat - im Gegensatz etwa zur Weltbankoder zum Internationalen Währungs-fonds (IWF). Das Prinzip "One state,one vote" stand von Beginn an in denStatuten der "Federation Internationa-le de Football Association", zu der sich1904 vergleichsweise gleich große na-tionale Fußballverbände zusammen-schlossen, und wurde mit Verweis aufdemokratische Grundsätze bis heutebeibehalten. Bei der Wahl des Fifa-Prä-sidenten zählt die Stimme des Deut-schen Fußball-Bunds also genauso vielwie die des Fußballverbands der Zen-tralafrikanischen Republik oder vonKirgisien.

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Das System Fifa

Faktisch hat dies dazu geführt,dass die europäischen Fußballverbän-de Einfluss verloren und die afrikani-schen, asiatischen und amerikanischenVerbände Einfluss gewonnen haben.Während auf dem Fifa-Kongress von1915 die europäischen Verbände nochüber 83 Prozent der Stimmen verfüg-ten, sind es heute nur noch gute 25 Pro-zent.' Und weil die meisten neuen Ver-bände in Afrika, Ozeanien und Asiengegründet werden, wird sich das Stim-menverhältnis künftig wohl noch wei-ter zuungunsten der europäischen Ver-bände verschieben.

Eine Stärkung des Einflusses dergroßen Fußballverbände, vorrangig ausEuropa und Lateinamerika, ist unwahr-scheinlich, weil dafür eine Mehrheit al-ler Fußballverbände, auch derjenigenaus Afrika, dem Nahen Osten, Asiensowie Süd- und Mittelamerika benötigtwürde. Die werden aber natürlich nichteinsehen, ..warum sie freiwillig ihrenEinfluss auf die Fifa reduzierensollten,Und die großen nationalen Fußballver-bände können ihren Einfluss nicht er-höhen, weil die Fifa auf ihre Mitglieds-beiträge gar nicht angewiesen ist.

Der starke Einfluss der Fußballver-bände aus Afrika, dem Nahen Osten,Asien und Süd- und Mittelamerika istein zentrales Faktum, ohne das die Fi-

fa nicht zu begreifen ist. Die Fußball-verbände der unterentwickelten Länder- 'fu'nktibilteren'iiäffiHtJ,{nTcht unbedingtnach "westlichen" Maßstäben (die be-kanntlich auch nicht überall eingehal-ten werden). In vielen Entwicklungs-und Schwellenländern verquicken sich,wenn jemand Mitglied einer Metaorga-nisation wird, die Verbandstätigkeitenmit den bestehenden Verwandtschafts-netzwerken und Clan beziehungen. ImNahen und Mittleren Osten wird dieseVerflechtung als "Wasta" bezeichnet,in Mittel- und Südamerika als "Con-fianza", in Russland als "Blat" und inChina als "Guanxi-Prinzip".

Das Kerngeschäftmuss sauber bleiben

Das heißt: Die Abläufe innerhalb dernationalen Fußballverbände werdendurch klassische Patronagebeziehun-gen überformt. In einer Reihe von af-rikanischen, amerikanischen und asi-atischen, aber auch in einigen europä-ischen Staaten dient die Unterstützungeiner bestimmten Person bei Wahlendazu, einen Patron auf einen politi-schen Posten zu hieven, um von ihmspäter Hilfestellung bei Behördenange-legenheiten, bei der Beantragung vonHilfsgeldern oder Krediten oder bei derJobsuche verlangen zu können.' In ei-nem solchen Patronagesystem ist derVorsitz in einem nationalen Sportver-band ein Hauptpreis, weil er den Zu-gang zu Geldern internationaler Orga-nisationen eröffnet.

Korruption ist natürlich auch in In-dustrieländern zu beobachten. Als "Er-findet dermodernen Sportkorruption"gelten nicht die inzwischen angeklag-ten früheren Fifa-Vizepräsidenten jackWarner aus Trinidad und Tobago oder'Jeffrey webb von den Cayman Islands.oder' "EugenioFiguered~;aus Uruguay,sondern' Horst Dassler=äus Deutsch-land, der Sohn des Adidas-GründersAdolf Dassler,'

Horst Dassler war nicht nur der Ent-decker und Lehrmeister von Sepp Blat-ter, sondern auch Gründer der FirmaInternational Sport and Leisure (ISL).Der offizielle Unternehmenszweck vonISL war der Handel mit Tv-Rechten.Inoffiziell flossen nach Feststellungvon Schweizer Gerichten insgesamt138 Millionen Schweizer Franken alsSchmiergelder an Funktionäre der Fi-fa, des Internationalen OlympischenKomitees und anderer internationalerSportverbände.

Trotz der stattlichen Liste von.Dassleristen'', die nicht aus Entwick-lungsländern stammen - darunterdie !OC-Präsidenten juan Antonio Sa-maranch (Spanien) und Thomas Bach(Deutschland) -, darf ein Unterschiedzwischen Industrie- und Entwicklungs-ländern nicht unterschätzt werden. Erbetrifft die Reaktion auf das Aufdeckenvon Korruption. In westlichen Organi-sationen muss der Regelverletzer denFehler eingestehen und Besserung ge-loben." In Entwicklungsländern wirddas häufig anders gesehen. Auch imKonfliktfall fühlen sich Mitarbeiter imRecht, wenn sie sich auf eingespielte,aber nicht offiziell legitimierte "Usan-cen" berufen.

Je stärker eine Metaorganisationdurch Verbände aus Entwicklungs-ländern geprägt ist, desto stärkerdominieren die länderspezifischenStrukturprinzipien auch diese Me-taorganisation. In der französischenEntwicklungshilfe gibt es den Spruch,dass Afrika in der rue Roland Barthesin Paris beginnt, weil die dort ansässigefranzösische Entwicklungshilfeorgani-sation letztlich gezwungen ist, sich denStrukturen ihrer Partnerorganisationenin Entwicklungsländern anzupassen,um erfolgreich mit ihnen zusamnie;;är-beiten zu können. In einem ähnlichenSinne kann man sagen, dass die Ent-scheidungsprozesse der Fifa stark vonder Funktionsweise der Verbände ausAfrika, Asien und Amerika bestimmtwerden. Die Fifa kann also wegen derbestehenden Mehrheitsverhältnissenicht unbedingt wie eine Vorzeigeor-ganisation von Transparency Interna-tional funktionieren.

Auffällig ist jedoch, wie lange Kor-ruption, Bestechung und Unterschla-gung im System der Fifa von Sponso-ren geduldet, teilweise sogar unter-stützt wurden. Fifa-Sponsoren wie

Coca-Cola, McDonald's, Budweiser,Gazprom, Hyundai und Visa habenoffenbar durch die Korruptionsfälle,die in immer kürzeren Abständen be-kannt wurden, keine größeren Image-schäden erlitten. Der Sportartikelher-steller Adidas, der seit Jahrzehnten engmit der Fifa verbunden ist, will selbstangesichts der neuen juristischen Er-mittlungen offenbar an seinem Spon-soringpartner festhalten. Und e~I1;,Wei-terer Hauptsponsor, das Kreditun-ternehmen Visa, äußert sich über dieaktuellen Probleme der Fifa lediglich"besorgt".

Wie lässt sich diese Zurückhaltungvon Unternehmen mit Hauptsitz in Eu-ropa und Nordamerika erklären? DieSoziologin Barbara Kuchler hat heraus-gearbeitet, dass der Widerstand gegenKorruption immer dann schwächer ist,wenn nicht die Kernfunktion des jewei-ligen gesellschaftlichen Bereichs - obMedizin, Bildung oder Sport - betrof-fen ist.' Zum Beispiel ist es unwahr-scheinlich, dass sich Ärzte für korrup-te Praktiken einspannen lassen, wenngravierende Auswirkungen auf die Ge-sundheit der Patienten zu befürchtenwären. Dagegen sind sie eher geneigt,auf "materielle Anreize" der Pharma-konzerne zu reagieren und das Medika-ment eines bestimmten Herstellers zuverschreiben, wenn es mehrere gleich-wertige Medikamente gibt und es }TIe-dizinisch relativ egal ist, welches einge-setztwird.

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Das System Fifa

Was den Sport betrifft, so ist dieKorruptionsanfälligkeit größer, wennes um die Wahl des Austragungsortsetwa für eine Fußball-WM geht, als beider Ermittlung des Weltmeisters aufdem Spielfeld, also dem sportlichenKernbereich der Veranstaltung. Einemnationalen Fußballkaiser, der nach sei-ner aktiven Laufbahn' eine zweite Kar-riere als Sportfunktionär macht, wirdes weitgehend egal sein, ob die Aus-tragung der Fußballweltmeisterschaftah"SÜclil.frikai'BfasH'ierr;'Russland-oderKatar vergeben wird. In solchen Fra-gendürfte er für kleinere oder größereZuwendungen durchaus empfänglichsein. Aber der Fußballkaiser würdees nicht lustig finden, wenn Südafri-ka, Brasilien, Russland oder Katar ver-suchen würden, sich gleich noch denWeltmeistertitel dazuzukaufen.

- Ge~iss hat es auch bei derKernfunktion des Sports bereits Kor-ruptionsfälle gegeben. B.ei.der Fuß-ball-WM 1978 in Argentimen muss-te die Mannschaft des Gastgebers dasSpiel gegen Peru mit mindestens vierToren Unterschied gewinnen, um stattdes Gruppenrivalen Brasilien ins Fina-le einzuziehen. Argentinien gewann 6:0gegen eine Mannschaft, die vorher ~,e-gen Schottland und den Iran souver~ngewonnen und den Niederlanden emUnentschieden abgetrotzt hatte.

Vieles spricht dafür, dass das Spielvon den Argentiniern gekauft wurde,meint nicht nur der Autor David Yaop",sondern ein Großteil der Fußballfans.Die Ergebnismanipulation von 1978war aber eine Ausnahme, die nur durchdie direkte Intervention des argentini-sehen Diktators jorge Rafael Videla beiseinem peruanischen Amtsko.llegenmöglich wurde. Wenn der sp~elau~-gang vor allem von der ProfesslOna,ll-tät bei der Bestechung von Gegenspie-lern oder Schiedsrichtern abhängenwürde statt von der Ballbeherrschungder Spieler und der Intelligenz der Trai-ner würde das Interesse am Fußball-betrieb massiv abnehmen - und damitauch die Einnahmemöglichkeiten derganzen Branche. Desh~lb sorgen ~ieSponsoren dafür, dass SIch Korruptionauf die Randbereiche des Fußballs be-schränkt.

In dem Maße, in dem die Fifa zumSymbol für weltweite Korr~ption ge-worden ist, hat sich allerdings auchder Druck auf die Organisation ver-stärkt. Das Hauptproblern der Fifa istnicht, dass permanent gegen die fo~-malen Standards der eigenen Orgam-sation verstoßen wird. Die geduldetenkleinen und großen Abweichungen vonden offiziellen Zielvorgaben der Or~a-nisation, die Missachtung der etablier-

ten inneren Regelwerke, dasUn;tgehenvon Vorgesetzten, u,m einen Vorgangzu beschleunigen, gehören bei der Fi-fa wie bei jeder anderen Organisationzum Alltag.

Als weitaus problematischer erwei-sen sich für die Fifa Verstöße, die nichtnur die eigenen Regularienverletzen,sondern auch staatliche Gesetze bre-chen. Diese Fälle sind prekär, wenn sievonMitg-liedern der eigenen Organisa-ti~~ offe~bart werden. Wird die Straf-verfolgungsbehörde aufgrund der Äu-ßerungen eines Mitarbeiters - einessogenannten ~histleblowers -:-einge-schaltet, lassen sich strafrechtliche Er-mittlungen-kaum noch verhindern."Viele westliche Unternehmen musstendie peinliche Erfahrung machen" dassdas systematische Schmieren von. Auf-traggebern - etwa wenn große Elektro-nikkonzerne Aufträge für den Bau vonKraftwerken, U-Bahnen oder Flughäfenergattern wollen - im Fall der Aufde-ckung keine interne Aufarbeitung, son-dern eine öffentliche Strafverfolgung inGang setzt.

Sepp Blatter war in seiner Amtszeitdaher darauf bedacht, die Korruptionwenigstens im Kern der Fifa zu lega-lisieren. Eine Hauptaufgabe der über.jahre für einen zweistelligen Millio-nenbetrag engagierten BeratungsfirmaMcKinseybestand darin, die Finanz-flüsse der Fifa,),~,9.,zur~orgaI1i~ieren,dass sie vor l<la~$;~von.außenbesser~geschützt wareni~~;"

Der hauptamtliche Fifa-Präsidentkann jährlich über mehrere MillionenSchweizer Franken verfügen. Wie viel erdavon als Gehalt und Boni kassiert und

wie viel er nutzt, um sich Mitgliederder "Fifa-Familie" gefügig zumachen,weiß auch innerhalb der Fifa kaum je-mand. Eine solche Heimlichtuerei istfür eine Metaorganisation ungewöhn-lich stellt aber keinen Straf tatbestanddar. 'Der Verband zahlt den ehrenamtli-chen Mitgliedern des Exekutivkomitees100000 Dollar Aufwandsentschädigungpro Jahr, zudem verfügt jedes Mitglied- ebenso wie der Präsident - über eineneigenen Etat.lo

PlatinisSohn hat einenlukrativen Job in KatarAnders als sein Vorgänger Havelan-ge hat Blatter begriffen, dass legaleFormen der Korruption den illegalenFormen vorzuziehen sind." Wenn et-wa Bewerber für die Austragung einerWeltmeisterschaft nationalen Fußball-verbänden Gelder für Entwicklungs"hilfe- oder Infrastrukturprojekte oderauch eine engere Kooperation beiVer-anstaltungen in Aussicht stellen, kannman das immer als eine Unterstüt-zungsmaßnahme ausgeben, die man'den ärmeren Sportpartnern sowie-so gewährt hätte. Wenn die englische .•..Nationalmannschaft im' Umfeldeiri~r+Bewerbung für die Weltmeisterschaft .....den '.nationalen Verbänden von' Fuß,ballzwergen ein Länderspiel anbietet,mag dies anrüchig sein, aber um Kor-.ruption im strafrechtlichen Sinne han-.delt es nicht.

Die Fifa ist deswegen so interes-sant, weil sie eine solche Legalisierungvon Korruption bei Geldflüssen zwi-schen Organisationen der westlichen

und südlichen und östlichen Ländergestattet. Uefa-Präsident Mic~el :lati-ni, der sich lange Zeit als Steigbügel-halter für Sepp Blatter betätigt hat underst seit Kurzem von seinem Ziehva-ter abgerückt ist, hat die erfolgreicheWM-Bewerbung Katars unterstützt, zu-gleich allerdings darauf ge.achtet, dasskeine direkte kausale Verbindung' zumEinstieg seines Sohns in die staatl~che.Qatar Sport Investments nachzuweisenwar. Auch Franz Beckenbauers Unter-stützung für die russische WM-Bewer-bung lässt einen engen Zusammen-hang mit einem lukrativen Werbever-tragdes russischen Gazprom-Konzern.svermuten, aber auch hier ließ sich kei-ne direkte Absprache nachweisen.

Die Maßnahmen der Fifa zur Le-galisierung der Korruption hatten o~-.fenbar den gewünschten Erfolg, we~lstrafrechtliche Verfehlungen damit.personalisiert werden konnten. DieZahlungen der Fifa flossen auf recht-Hch-unanfechtbaren Wegen an dieMitgltedsverbände. Damit ko~ntensi5hdie Funktionäre in ihren Heimat-:länd~rn persönlich bereichern, ohnestrafrechtliche Verfolgung oder einenöffentlichen Skandal befürchten müs-sen/nie Schmiergeldzahlungen, mit;denefl beispielsweise eine WM-Bewer-bunggefördert werden sollte, floss~n- ohne offizielle Einschaltung der FIfa-direkt an die Mitglieder im Exekutiv-komit.~e":";"l;

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Das System Fifa

:w.eJ;l~jemand aus diesem Kreis dasPech~ffätte, wie es bei Reynald Tema-rii oder Amos Adamu der Fall war, dassihm passive Bestechung nachgewiesenwurde, konnte die Fifa dies als persön-

lichen Verstoß des jeweiligen Verant-wortlichen hinstellen. Dann wurdeeben ein anderer Funktionär, von demman erwarteten durfte, dass er sichnicht erwischen lässt, ins Exekutivko-mitee berufen.

Metaorganisationen sind in der Re-gel nur begrenzt veränderungsfähig,weil sich ihre Mitgliedsorganisationenselten auf grundlegende Reformen ei-nigen können. Das zeigt sich etwa beiden Schwierigkeiten der Unesco oderdes DGB, auch nur kleine Reformengegen die Interessen ihrer Mitgliedsor-ganisationen durchzusetzen. Die Fifahätte hier ganz andere Möglichkeiten,weil sie mittels Geldzahlungen an klei-ne Mitgliedsverbände auch ernsthafteVeränderungen durchsetzen könnte.Aber genau an dieser Stelle blockiertedas "System Blatter", weil jede grund-legende Veränderung das Kartenhausaus gegenseitigen Gefälligkeiten zumEinsturz gebracht hätte.

Eine Veränderung der Fifa-Spitzewar lange Zeit ausgeschlossen, weilBlatters Netzwerk, gestützt auf die Prä-sidenten kleinerer afrikanischer, asia-tischer und amerikanischer Fußball-verbände, offensichtlich stabil war.Statutenänderungen wie beispielswei-se eine Amtszeitbegrenzung für Dele-gierte beim Fifa-Kongress (nach demMotto: nach zweimaliger Teilnahmeist Schluss) waren bis zum Rücktritt. Blatters faktisch ausgeschlossen, weilsie die existierenden Netzwerke aufge-löst hätten. Deshalb wurde die Repara-tur nur als Show inszeniert: Man beriefein Independent Governance Commit-tee, das Reformvorschläge erarbeitendurfte, die letzten Endes die wesentli-chen Strukturmerkmale nicht infragestellten.

Blatter ist letztlich daran geschei-tert, dass er das Konzept der legalisier-ten Korruption nicht konsequent ge-nug umgesetzt hat. Im Zuge der Straf-verfolgung von Mitgliedern nationalerFußballverbändesteIlte sich immer kla-rer heraus, dass ein Teil der Schmier-geldzahlungen - zum Beispiel bei derVergabe der Weltmeisterschaft an Süd-afrika - direkt über die Fifa geflossenist. Zudem ließ sich anhand von Un-terschriften nachweisen, dass die Fi-fa-Führung über diese Geldflüsse infor-miert war. Damit machte Blatter den-selben Fehler, der seinem Vorgängerjoäo Havelange zum Verhängnis wurde,bei dem illegale Zahlungen nachweis-bar über ein Fifa-Konto gelaufen wa-ren. Wäre dieser Fehler nicht passiert,wäre das Fifa-System 'der legalisiertenKorruption womöglich noch viele Jahrelang stabil geblieben. ..,

1 Siehe Andrew Jennings. "FOUL! The Secret World ofFifa: Bribes, Vote·Rigging and Ticket Scandals", London(HarperSport) 2006: Thomas Kistner, .Fita- Mafia. Dieschmutzigen Geschafte mit dem Weitfußball", MOn-chen (Droemer) 2012.2 Göran Ahrne und Nils Brunsson, "Organizations andMeta-organizations", in: $candinavian Journal of Ma-nagement 21,S. 429-449, hier S. 443.3 Sylvie Kaufmann. .Scandale de la Fifa, un psychodra-me geopolitloue", Le Monde, 5. Juni 2015. Siehe auchPaul Darby. "Africa. Football and Fifa. Politics. Coloni-alism and Resistance", London/Portland (Frank Cass)2002, S. 43 ff., Rene Lemarchand, .The State, the Parallel Economy,and the Changing Structure of Patronage Systems':in: DonaldRathchild und Naomi Chazan (Hg.), .ThePrecarious Balance. State and Society in Afrika", Boul-der (Westview Press) 1980.5 Oliver Fritsch, "Der Erfinder der modernen Sportkor-ruption", Die Zeit, 21.Mai 2014.6 Niklas Luhmann, "Organisation und Entscheidung",Opladen (WDV) 2000, S. 258.7 Barbara Kuchler, "Korruption und funktionale Differen-zierung" (unveröffentlichtes Manuskript), Bielefeld 2014.8 David A Yallop, "Wie das Spiel verlorenging. Die kor-rupten Gesch3fte zwischen Fifa und Medien", Mün-

chen (Econ) 1998.9 Siehe Altord C. Fred, "Whistleblowers. Broken Livesand Organizational Power': Ithaca (Carnell Universi-ty Press) 2001.10 Thomas Kistner, siehe Anmerkung 1, S. 28.11 Zur Fifa-Pr3sidentschafts3ra von Havelange sieheJohn Sugden und Alan TomIinson, "Fifa and the Cont-estforWorld Football. Who Rules the People's Game?",Cambridge (Polity Press) 1998.

Stefan KOhl ist Professor fOr Soziologie an der Univer-sität Bielefeld. Sein Buch "Sisyphos im Management.Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisa-tionsstruktur" ist gerade bei Campus in Neuauflage

erschienen.© Le Monde diplomatique, Berlin