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1 Hans-Wolfgang Henn, Gabriele Kaiser MATHEMATIK – EIN POLARISIERENDES SCHULFACH Zusammenfassung Mathematik ist ein polarisierendes Fach, ein Fach, das entweder geliebt oder abgelehnt wird. Der Beitrag fragt nach den Ursachen für eine derartige Polarisierung und beschreibt dabei die Stellung des Fachs Mathematik in der Schule. In ei- nem ersten Teil werden unter Bezug auf die historische Entwicklung des Faches Mathematik die Zielsetzungen des Ma- thematikunterrichts beschrieben. Dabei wird deutlich, dass im Mathematikunterricht über die historische Entwicklung hinweg für die gymnasiale Bildung stärker formale Ziele von Mathematik als Geistesbildung formuliert wurden, wäh- rend für die Volks- und Realschulbildung stärker materiale Bildung der Befähigung zur Umweltbewältigung gefordert wurden. In einem zweiten Teil werden Probleme und Defizite des Mathematikunterrichts beschrieben wie die Domi- nanz von Regeln und Kalkülen und die einseitige Orientierung an einer deduktiv aufgebauten Fachsystematik. In einem dritten Teil werden Konsequenzen und Maßnahmen zur Behebung der Defizite vorgeschlagen wie die Orientierung an fundamentalen Ideen. Auf der Ebene der Lehr-Lern-Formen wird die Bedeutung produktiver Lernumgebungen hervor- gehoben sowie die Stärkung von Eigenaktivitäten und offenen Fragestellungen gefordert. Summary Mathematics is a polarizing subject, a subject either beloved or condemned. This contribution asks for the reasons for such polarization and, at the same time describes the position of Mathematics as a school subject. In the first part, the aims of mathematics teaching are described in relation with the historical development of mathematics. It becomes ob- vious that beyond its historical development mathematics teaching at the Gymnasium (higher type secondary school) was laying stronger emphasis on formal goals of mathematics such as the cultivation of the mind, while at the Volks- schule (lower type secondary school) and Realschule (intermediate type secondary school) goals related to the ability of mastering daily life were more strongly demanded. In the second part problems and deficits of mathematics teaching are described, such as the prevailing dominance of rules and calculations and the unilateral orientation towards a deduc- tively constructed systematics of the subject. In the third part consequences and measures for remedying the deficits are suggested, for example an orientation on fundamental ideas. At the level of teaching-and-learning-modes productive learning surroundings are demanded and the support of individually initiated activities and open problems is stressed. "Mathematik habe ich immer gehasst!", "In Mathe war ich mangelhaft, in Deutsch aber sehr gut!". Feststellungen dieser Art sind in einschlägigen Situationen keine Seltenheit. Aber nur mit dem ma- thematischen Unvermögen konnte und kann man, ohne als ungebildet zu gelten, in dieser Weise kokettieren oder seine unverhohlene Abneigung äußern. Gleichzeitig ist Mathematik in der gymna- sialen Oberstufe nach Englisch das am zweithäufigsten gewählte Leistungskursfach mit hohen Wer- ten im Bereich Interesse und Wahrnehmung der eigenen Kompetenz (siehe BAUMERT & KÖLLER 2000, S. 181ff). Was sind die Ursachen für eine derartige Polarisierung? Der folgende Beitrag geht Fragen der Stel- lung des Fachs Mathematik in der Schule nach. Wir skizzieren die Ziele unseres Faches, beschrei- ben die Probleme und Defizite des derzeitigen Mathematikunterrichts und schlagen als Konsequenz Maßnahmen vor, die gewährleisten sollen, dass sich die Lernenden nach ihrer Schulzeit der Hilfe der Mathematik als Orientierung in unserer komplexen Welt bedienen können. 1 ZIELSETZUNGEN DES FACHS MATHEMATIK

Mathematik — ein polarisierendes Schulfach

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Hans-Wolfgang Henn, Gabriele Kaiser

MATHEMATIK – EIN POLARISIERENDES

SCHULFACH Zusammenfassung Mathematik ist ein polarisierendes Fach, ein Fach, das entweder geliebt oder abgelehnt wird. Der Beitrag fragt nach den Ursachen für eine derartige Polarisierung und beschreibt dabei die Stellung des Fachs Mathematik in der Schule. In ei-nem ersten Teil werden unter Bezug auf die historische Entwicklung des Faches Mathematik die Zielsetzungen des Ma-thematikunterrichts beschrieben. Dabei wird deutlich, dass im Mathematikunterricht über die historische Entwicklung hinweg für die gymnasiale Bildung stärker formale Ziele von Mathematik als Geistesbildung formuliert wurden, wäh-rend für die Volks- und Realschulbildung stärker materiale Bildung der Befähigung zur Umweltbewältigung gefordert wurden. In einem zweiten Teil werden Probleme und Defizite des Mathematikunterrichts beschrieben wie die Domi-nanz von Regeln und Kalkülen und die einseitige Orientierung an einer deduktiv aufgebauten Fachsystematik. In einem dritten Teil werden Konsequenzen und Maßnahmen zur Behebung der Defizite vorgeschlagen wie die Orientierung an fundamentalen Ideen. Auf der Ebene der Lehr-Lern-Formen wird die Bedeutung produktiver Lernumgebungen hervor-gehoben sowie die Stärkung von Eigenaktivitäten und offenen Fragestellungen gefordert. Summary Mathematics is a polarizing subject, a subject either beloved or condemned. This contribution asks for the reasons for such polarization and, at the same time describes the position of Mathematics as a school subject. In the first part, the aims of mathematics teaching are described in relation with the historical development of mathematics. It becomes ob-vious that beyond its historical development mathematics teaching at the Gymnasium (higher type secondary school) was laying stronger emphasis on formal goals of mathematics such as the cultivation of the mind, while at the Volks-schule (lower type secondary school) and Realschule (intermediate type secondary school) goals related to the ability of mastering daily life were more strongly demanded. In the second part problems and deficits of mathematics teaching are described, such as the prevailing dominance of rules and calculations and the unilateral orientation towards a deduc-tively constructed systematics of the subject. In the third part consequences and measures for remedying the deficits are suggested, for example an orientation on fundamental ideas. At the level of teaching-and-learning-modes productive learning surroundings are demanded and the support of individually initiated activities and open problems is stressed. "Mathematik habe ich immer gehasst!", "In Mathe war ich mangelhaft, in Deutsch aber sehr gut!". Feststellungen dieser Art sind in einschlägigen Situationen keine Seltenheit. Aber nur mit dem ma-thematischen Unvermögen konnte und kann man, ohne als ungebildet zu gelten, in dieser Weise kokettieren oder seine unverhohlene Abneigung äußern. Gleichzeitig ist Mathematik in der gymna-sialen Oberstufe nach Englisch das am zweithäufigsten gewählte Leistungskursfach mit hohen Wer-ten im Bereich Interesse und Wahrnehmung der eigenen Kompetenz (siehe BAUMERT & KÖLLER 2000, S. 181ff). Was sind die Ursachen für eine derartige Polarisierung? Der folgende Beitrag geht Fragen der Stel-lung des Fachs Mathematik in der Schule nach. Wir skizzieren die Ziele unseres Faches, beschrei-ben die Probleme und Defizite des derzeitigen Mathematikunterrichts und schlagen als Konsequenz Maßnahmen vor, die gewährleisten sollen, dass sich die Lernenden nach ihrer Schulzeit der Hilfe der Mathematik als Orientierung in unserer komplexen Welt bedienen können. 1 ZIELSETZUNGEN DES FACHS MATHEMATIK

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Mathematik ist nicht nur in Deutschland ein zentrales Fach in der Schule, ihm kommt eine hohe Bedeutung im Fächerkanon des allgemeinbildenden Schulwesen über alle Schulstufen und Schul-formen hinweg zu. Diese hohe Bedeutung speist sich nicht nur aus dem großen Stellenwert des zu vermittelnden Wissens, sondern auch aus der Allgemeinbildungsfunktion, die der Mathematik und dem Mathematikunterricht zugeschrieben wird. Die Auffassung, dass Mathematiktreiben zur Allgemeinbildung, genauer zu einer umfassenden Bil-dung des Menschen, nötig ist, ist tief im deutschen Bildungswesen verankert und unterscheidet sich damit deutlich von angelsächsischen und französischsprachigen Traditionen, auf die wir hier nicht eingehen wollen. Nur soweit sei angemerkt, dass im französischen Bildungssystem aufgrund des hohen Stellenwerts des Prinzips der Rationalität Mathematik und Philosophie als zentrale Bildungs-fächer angesehen werden, denen bis heute eine überragende Bedeutung zukommt. Im englischen Bildungssystem kommt Mathematik aufgrund der starken Rolle, die Charakterbildung und die For-mung der Persönlichkeit sowie eine Eliteorientierung spielen, traditionell nur eine geringe Bedeu-tung zu, was erst in den letzten Jahrzehnten in Frage gestellt wurde (für Details siehe KAISER 1999, und HOLMES & MCLEAN 1989). Die HUMBOLDTSCHE Reform Historisch wurzelt die Forderung nach Vermittlung von Allgemeinbildung in der Schule durch das Schulfach Mathematik in einer herausragenden Rolle in den von Wilhelm von HUMBOLDT Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelten Reformvorstellungen für das preußische Schulwesen. Jeder Mensch soll eine "vollständige Menschenbildung" erhalten, die nicht frühzeitig begrenzt oder ein-geschränkt werden darf. Für die zweite Bildungsstufe, das Gymnasium, konkretisiert HUMBOLDT diese Forderung wie folgt:

"... der junge Mensch soll in Stand gesetzt werden, den Stoff, an welchen sich alles eigne Schaffen immer anschliessen muss, theils schon jetzt wirklich zu sammeln, theils künftig nach Gefallen sammeln zu können, und die intellectuell-mechanischen Kräfte auszubilden. Er ist also auf doppelte Weise einmal mit dem Lernen selbst, dann mit dem Lernen des Ler-nens beschäftigt." (HUMBOLDT, 1920, S. 260f)

Dafür konzentrierte HUMBOLDT den Unterricht auf Philosophie und Mathematik, wobei der philo-sophische Unterricht Sprachunterricht (Lateinisch, Griechisch, Deutsch) und naturwissenschaftli-chen Unterricht umfasste. HUMBOLDT weist der Mathematik im Schulunterricht des Gymnasiums eine ausgewiesene Rolle zu, dabei ging es ihm um das Verständnis der Zusammenhänge, die mechanische Vermittlung unver-standener Formeln ohne tiefere Einsicht in Begründungen lehnte er ab. Humboldt hielt die meisten Menschen für fähig, mathematische Kenntnisse zu erwerben, auch bzw. gerade wenn sie "rein" ge-halten werden: "Mathematischer Strenge ist jeder an sich dazu geeignete Kopf, und die meisten sind es, auch ohne vielseitige Bildung fähig" (1920, S. 282). Diesem Unterricht der reinen Begriffe ord-nete er einen starken positiven Einfluss auf die moralische Entwicklung des Menschen zu, da damit die Notwendigkeit zu einem strengen, pflichtbezogenen Vorgehen deutlich wird, was sonst, wenn man die Begriffe nicht in ihrer Reinheit vermittelt, nur als Zwang erscheint. Damit werden dem Ma-thematikunterricht hauptsächlich formale Ziele wie die Einsicht in die Bedeutung von logischem Schlussfolgern bzw. in den logischen Aufbau der Mathematik zugeordnet. Materiale, auf die An-wendung im Leben gerichtete Ziele werden demgegenüber als untergeordnet angesehen.

In der von HUMBOLDT konzipierten Schulreform sollte das Elementarschulwesen der Vorbereitung auf den eigentlichen Schulunterricht dienen und allen Kindern eine Grundbildung vermitteln. Auch für den Elementarunterricht ordnete HUMBOLDT der Mathematik die Funktion zu, die allgemeinen Geisteskräfte zu schulen. Dies bedeutete, dass die Lernenden im Mathematikunterricht nicht einfach rechnen lernen, sondern Einsicht in allgemeine Zusammenhänge erlangen sollten. Es sollte nicht

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einfach auswendig gelernt werden, vielmehr sollte durch Begründungen verstanden werden, warum wie gerechnet wird (vgl. BLANKERTZ 1982, S. 109).

WAGENSCHEINs Konzeption des Exemplarischen Humboldts Darlegungen zur allgemeinbildenden Kraft des Mathematikunterrichts, von der die schulische Realität weit entfernt blieb, wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts mehrfach wieder auf-gegriffen. Wichtig wurden vor allem die von Martin WAGENSCHEIN und Alexander WITTENBERG im Rahmen der Bildungsreform in den siebziger Jahren formulierten Ansätze. Ausgangspunkt der WAGENSCHEINschen Vorstellungen war die Frage, warum der Mathematikunterricht in der traditio-nellen Schule gerade das verfehlt, was den spezifischen Wert von Mathematik ausmacht, nämlich den inneren Zwang zur Logik, ihre absolute Sachlichkeit und die Faszination ihrer geistigen Son-derstellung. WAGENSCHEIN stellte dieser von ihm als "Aufgabendidaktik" bezeichnete Stofforgani-sation ein neues Stofforganisationsprinzip entgegen, in dem die wesentlichen charakteristisch-mathematischen Probleme in Plattformen exemplarisch konzentriert werden. Ziel dieser Stofforga-nisation sind allgemeine Einsichten, d.h. es werden nicht nur Sätze oder andere Sachverhalte formu-liert, sondern jeweils auch die Funktion dieses Sachverhalts für den Themenkreis oder auch für die Lebensgesamtheit mitreflektiert. WAGENSCHEIN forderte dafür eine sokratische Unterrichtsmethode, in der die Stoff- und Problementwicklung genetischen Charakter haben sollte. Dies bedeutete für ihn eine Stofforganisation, die die strenge, logisch-deduktive Aufeinanderfolge der Gesamtüberle-gungen zu Gunsten zahlreicher assoziativer Vermittlungen vernachlässigt, die die logische Ordnung nachträglich deutlich machen. Unter Bezug auf Wolfgang Klafki fasste WAGENSCHEIN das Exem-plarische oder Elementare als Mittel zur Stoffbeschränkung. Durch geeignete Auswahl als prioritär angesehener Einzelstoffe, d.h. durch exemplarisches Vorgehen, und durch die Vereinfachung von gegebenen Einzelstoffen, also durch Elementarisierung, sollte eine wesentliche Vertiefung des Un-terrichts bei gleichzeitiger Einschränkung der Stoffmenge erreicht werden. Zentral für den WAGEN-SCHEINschen Ansatz ist seine Forderung nach dem "Vorrang des Verstehens" (1965, S. 419). Dabei betonte er, dass es ihm nicht um die Klärung der Frage geht, "wie etwas gemacht wird", also um das Beherrschen von Fertigkeiten und Algorithmen, sondern um Verstehen im Sinne von "Selber einse-hen, wie es kommt" (1975, S. 100). Helge LENNÉ (1969) weist auf einige Schwierigkeiten mit dem Ansatz WAGENSCHEINs hin: So bleibt unklar, wie WAGENSCHEIN das Exemplarische fasst, wenn er schreibt: "Das Einzelne, in das man sich hier versenkt, ist nicht Stufe, es ist Spiegel des Ganzen." (1965, S. 300). Damit stellt sich die Frage, was das Ganze der Mathematik ist: Angesichts einer Fülle möglicher Bestimmungen von Mathematik, u.a. als Mittel adäquater Naturbeschreibungen, als Wissenschaft formaler Systeme o-der als Grundlage der allgemeinen Logik, verschwimmt das Ganze bzw. das Wesentliche der Ma-thematik. LENNÉ sieht auch eine Fülle von Problemen mit den sokratischen Elementen in der Kon-zeption WAGENSCHEINs, mit der "Wiederentdeckung der Mathematik von Anfang an". Die Nach-entdeckung der Mathematik durch die Lernenden bedeute einen enormen Zeitaufwand und eine in-tellektuelle Eigenleistung, die viele Lernende überfordern dürfte (LENNÉ 1969, S. 64f). Ansätze zur Lösung des Problems des Exemplarischen durch die Forderung nach Vermittlung beziehungshalti-ger Mathematik werden von Hans FREUDENTHAL formuliert, auf den wir im folgenden eingehen werden. Die Forderung nach Beziehungshaltigkeit bei FREUDENTHAL Mit der Frage des Bildungswerts der Mathematik und ihrer Allgemeinbildungsfunktion sowie der Frage, was eine Mathematik für alle bedeuten soll, hat sich insbesondere auch Hans FREUDENTHAL auseinandergesetzt und stärker als WAGENSCHEIN und WITTENBERG (1963) Bezüge zur Realität be-tont. Er forderte "zusammenhängende Mathematik" oder "beziehungsvolle Mathematik" zu unter-richten; dabei sollten die Zusammenhänge aus der Lebenswelt der Lernenden und nicht aus der Ma-thematik stammen. FREUDENTHAL schloss innermathematische Beziehungen nicht aus, aber zentral

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waren für ihn die Beziehungen zur "erlebten Wirklichkeit des Lernenden" (FREUDENTHAL 1973, S. 77), "nicht zu einer eigens zu diesem Zwecke konstruierten Scheinwirklichkeit." (a.a.O., S. 79). Des Weiteren betonte FREUDENTHAL (1973) - ähnlich wie HUMBOLDT - formale Ziele des Mathe-matikunterrichts. Er beschrieb die Mathematik als einen “Wetzstein, den Verstand zu schärfen, eine Zuchtrute des Geistes, die disciplina mentis" (a.a.O., S. 80). Letztere sah er stärker in der mathema-tischen Methode als im Stoff vermittelt: Mathematik ist eine Verhaltensweise, eine Geistesverfas-sung ..., eine Art, Probleme anzugreifen. Die zu lernen, bedeutet Mathematik-Unterricht für alle." (FREUDENTHAL 1980, S. 634f). Wir können ein erstes Zwischenergebnis unserer historischen Rekonstruktion formulieren. Insge-samt weisen die Ansätze HUMBOLDTs, WAGENSCHEINs, WITTENBERGs und FREUDENTHALs der Ma-thematik hauptsächlich formale Ziele zu, die der Mensch zu seiner allseitigen Bildung, zur Menschwerdung benötigt. Dabei kommt es nicht auf die Vermittlung eines möglichst umfassenden, enzyklopädischen Wissens, sondern auf zentrale, auf allgemeine Einsichten zielende Inhalte an. Freudenthal nimmt daher eine gewisse Sonderrolle ein, indem er die Forderung erhebt, beim Ma-thematiklernen Beziehungen zur erlebten Wirklichkeit der Jugendlichen herzustellen. Mathematik für das praktische Leben Neben diesen hauptsächlich formale Ziele betonenden Diskussionsstrang zum Mathematikunterricht ist das Fach Mathematik, wie es sich im heutigen Fächerkanon der Schule darstellt, wesentlich von einer anderen Richtung der Mathematikdidaktik beeinflusst, die materiale Ziele - d.h. die Vermitt-lung von Sachwissen und anwendbarer Mathematik - in den Vordergrund der Diskussion stellt bzw. ein gleichberechtigtes Nebeneinander materialer und formaler Ziele fordert (für Details siehe KAI-SER 1999, S. 298ff). Konkrete Vorschläge zur Gestaltung des Mathematikunterrichts - insbesondere an den Elementar- bzw. Volksschulen für das breite Volk - wurden im Rahmen des Sachrechnens entwickelt. Dieses ist zwar nach LIETZMANN "so alt wie das Rechnen überhaupt" (1912/1985, S. 69), es gewann jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts an Einfluss, als es im Zuge der Industrialisierung nötig wurde, brei-ten Schichten der Bevölkerung Kulturtechniken zur Beherrschung der sich entwickelnden Geldwirt-schaft zu vermitteln. Die Real- oder Sachrechenmethode geht zwar von Nützlichkeitsbestrebungen aus, ist jedoch seit ihrer Entstehung von der Kontroverse geprägt, wem das Primat - den Sachen o-der dem Rechnen - zukommt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Rahmen einer Vielzahl von Bestrebungen zur grundlegenden Umgestaltung des Unterrichts diese Kontroverse wieder aufge-nommen. So kritisierten u.a. Vertreter der Arbeitsschulbewegung bzw. Sachrechenmethodiker wie GERLACH (1923, 1925) und KEMPINSKY (1928) das Zwangslernen und den Drill im Rechenunter-richt, der die Lernenden geradezu planmäßig gleichgültig gegenüber den Inhalten der Rechenaufga-ben mache und sie nicht zur Lösung von Rechenaufgaben im praktischen Leben befähige. GERLACH und KEMPINSKY legten deshalb das Schwergewicht auf materiale Ziele, auf die Vermittlung von rechnerischen Fähigkeiten zur Erfassung der Umwelt, während KÜHNEL (1916) sowie KRUCKEN-BERG (1935) und FETTWEIS (1929) von einem vermittelnden Standpunkt zwischen formalen und materialen Zielen des Rechenunterrichts ausgingen. Meraner Reform für das Gymnasium

Im Zuge des ökonomischen Aufschwungs Ende des 19. Jahrhunderts, der einen großen Bedarf an mathematisch qualifizierten Technikern, Naturwissenschaftlern und Ingenieuren erzeugte, wurde auch für das Gymnasium eine Umgestaltung des Mathematikunterrichts gefordert, wobei allerdings der formale Bildungswert der Mathematik anerkannt wurde. Ausgangspunkt der 1905 von Felix KLEIN auf der Naturforscherversammlung in Meran formulierten Kernthesen zur Reform des ma-thematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts war die Forderung nach Umgestaltung des Mathematikunterrichts gemäß – (später von LIETZMANN 1926, S. 229f so formulierten) –Prinzipien: Einem psychologischen Prinzip, das fordert, "den Lehrgang mehr als bisher dem natürlichen Gange

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der geistigen Entwicklung anzupassen“ und „überall an den vorhandenen Vorstellungskreis anzu-knüpfen" (MERANER LEHRPLÄNE, 1907, S. 208), einem utilitarischen Prinzip, das verlangt, “auf alle einseitigen und praktisch bedeutungslosen Spezialkenntnisse zu verzichten, dagegen die Fähigkeit zur mathematischen Betrachtung der uns umgebenden Erscheinungswelt zu möglichster Entwick-lung zu bringen" (a.a.O., S. 208) und einem didaktischen Prinzip, das fordert, den gesamten Lehr-stoff um einen Gedanken zu konzentrieren, um das Nebeneinander der einzelnen Gebiete aufzuhe-ben und eine Bezugnahme der verschiedenen Gebiete zu erreichen, was später als "Fusion" be-zeichnet wird. Sowohl die Ansätze der Meraner Reform, die zunächst in den 1925 erlassenen "Richtlinien für die Lehrpläne der höheren Schulen Preußens", den sog. RICHERTschen Richtlinien in der Schule umge-setzt wurden, als auch die Ansätze des Sachrechnens für die Volksschule wurden durch die rigorose utilitaristische Umgestaltung des Mathematikunterrichts durch die Nationalsozialisten diskreditiert. Dies führte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem massiven Bedeutungsverlust materialer Zielset-zungen im Mathematikunterricht sowohl des Gymnasiums als auch der Volks- und Realschule, der in Zusammenhang mit der Strukturorientierung des Mathematikunterrichts nochmals verstärkt wur-de. Neue Mathematik Weltweite Diskussionen um die Notwendigkeit der Modernisierung des Mathematikunterrichts (siehe DAMEROW 1977, S. 40ff und LENNÉ 1969, S. 77ff) führten Mitte der sechziger Jahre zu mas-siven Veränderungen des deutschen Mathematikunterrichts. So forderten die 1965 vorgelegten Nürnberger Rahmenpläne des Deutschen Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwis-senschaftlichen Unterrichts - mit Hermann ATHEN als federführendem Mitglied der Lehrplankom-mission Mathematik - eine umfassende wissenschaftsorientierte Reform des Schulwesens und in diesem Rahmen eine allgemeine wissenschaftliche Grundbildung im Bereich Mathematik und in den Naturwissenschaften. Die Rahmenpläne formulierten einen Minimalkatalog an Unterrichtsge-genständen, an Fakten, Gesetzen und Denkweisen, der für die Lernenden aus allen Schularten ver-bindlich sein sollte. Nach Peter DAMEROW (1977, S. 209ff) war dieser Lehrplan von vorne herein zumindest für den Mathematikunterricht zu eng auf die höheren Bildungsabschlüsse bezogen und präjudizierte damit die Anpassung und Orientierung der Curricula aller anderen Schularten an den gymnasialen Bildungskanon. 1968 verabschiedete die Konferenz der Kultusminister einen Beschluss zur Modernisierung des Mathematikunterrichts an den allgemeinbildenden Schulen, der sich an die Nürnberger Rahmenplä-nen anlehnte (KMK 1974). Die von der KMK genannten Gründe für eine Modernisierung des Ma-thematikunterrichts bezogen sich im wesentlichen auf die hohe Bedeutung mathematischer Metho-den für Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Staat sowie auf die Entwicklung von Denkwei-sen der Mathematik, "die für das Begreifen der Bedingungen unseres modernen Lebens als bekannt vorausgesetzt werden müssen" (a.a.O., S. 172). Die Modernisierung wurde im wesentlichen als stärkere Orientierung der Schulmathematik an der Mathematik der Hochschule begriffen: "Tragen-de Grundbegriffe wie Menge, Abbildung und Struktur (Gruppe, Ring, Körper, Vektorraum) müssen an geeigneter Stelle immer wieder verdeutlicht werden." (a.a.O., S. 173). Die von der KMK verab-schiedeten Rahmenpläne sahen eine frühzeitige Einführung mengentheoretischer Begriffe vor und lieferten eine Neuformulierung traditioneller Einzelstoffe mit modernen Begriffen, die Durchdrin-gung des Rechenunterrichts mit elementaren Techniken der Algebra und eine Betonung besonderer Aspekte traditioneller Einzelstoffe. Die strukturmathematische Orientierung und die begriffliche Neuformulierung führten zu einer Verschiebung von Schwerpunkten in der Behandlung von Themengebieten. In allen Schulformen wurden Realitätsbezüge fast vollständig gestrichen. Die traditionellen Gebiete des Sachrechnens, die insbesondere in den Haupt- und Realschulen eine zentrale Rolle gespielt hatten, wurden auf ihre formalen Aspekte beschränkt.

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Erst Mitte der siebziger Jahre, nach dem Scheitern der Mengenlehre in der Grundschule und den Schwierigkeiten mit der schulischen Umsetzung dieser Reform, wurden mit Bezug auf Forderun-gen aus der internationalen mathematikdidaktischen Diskussion - z.B. durch Hans FREUDENTHAL (1968), aber auch Henry O. POLLAK (1969) sowie Anna Zofia KRYGOVSKA (1968) - erneut Positio-nen entwickelt, die sowohl formale als auch materiale Ziele für den Mathematikunterricht forderten und die die Frage nach allgemeinen Lernzielen für den Mathematikunterricht stellten (für Details verweisen wir auf KAISER-MEßMER, 1986, S. 82ff, KAISER, 1995). Mathematikunterricht und Allgemeinbildung Die Diskussion um das Allgemeine und die Allgemeinbildung im Mathematikunterricht sowie um den Stellenwert des Fachs Mathematik in der Schule wurde in den letzten Jahren vor allem durch die Vorschläge von Hans Werner HEYMANN (1996) wieder intensiviert. HEYMANN griff die zu Be-ginn skizzierten historischen und aktuellen Ansätze zur Allgemeinbildung in der Schule wie die Po-sitionen von HUMBOLDT, WAGENSCHEIN und Klafki auf, betonte aber deutlich stärker als diese Po-sitionen materiale Zielsetzungen des Fachs Mathematik im Sinne einer Sachbelehrung. HEYMANN unterschied Bildung von Allgemeinbildung derart, dass Allgemeinbildung individuelle Bildung in großer Vielfalt möglich macht, dass sie Raum lässt für eine Fülle unterschiedlicher Bildungsideale, wobei schulische Allgemeinbildung für den Einzelnen Voraussetzung vernünftiger Selbstverwirkli-chung ist. HEYMANN formulierte sieben Aufgaben der allgemeinbildenden Schule, die die Basis für folgende Charakteristika eines allgemeinbildenden Mathematikunterrichts bildeten (HEYMANN, 1996, S. 278f): • Unter dem Stichwort Lebensvorbereitung sollten im Mathematikunterricht aller Schulstufen

"unmittelbar lebensnützliche Alltagsaktivitäten wie Schätzen, Überschlagen, Interpretieren und Darstellen sowie die verständige Handhabung technischer Hilfsmittel" intensiv thematisiert und mathematisch reflektiert werden. Der verbindliche Stoffkanon sollte stärker auf die Lernenden Rücksicht nehmen, die später keinen mathematiknahen Beruf ausüben.

• Unter dem Aspekt Stiftung kultureller Kohärenz wird die Orientierung des Mathematikunter-richts an zentralen Ideen gefordert, die die Verbindung von Mathematik und außermathemati-scher Kultur deutlich machen und die Einzelstoffe verbinden. Als zentrale Ideen werden "Zahl, Messen, räumliches Strukturieren, funktionaler Zusammenhang, Algorithmus, mathematisches Modellieren" genannt.

• Beim Stichwort Weltorientierung sollen den Lernenden "vielfältige Erfahrungen ermöglicht werden, wie Mathematik zur Deutung und Modellierung, zum besseren Verständnis und zur Beherrschung primär nicht-mathematischer Phänomene herangezogen werden kann".

• Zu den Stichworten Anleitung zum Verstehen, Denken und kritischen Vernunftgebrauch soll den Lernenden "Gelegenheit gegeben werden, den eigenen Verstand aktiv-konstruierend und analysierend einzusetzen, um Mathematik zu verstehen und sich ihrer zur Klärung fragwürdiger Phänomene bedienen zu können - gleichsam als 'Verstärker' ihres Alltagsdenkens."

• Unter den Aspekten Verantwortungsbereitschaft, Verständigung und Kooperation, Stärkung des Schüler-Ichs soll eine Unterrichtskultur entwickelt werden, "in der mehr Raum ist für die sub-jektiven Sichtweisen der Schüler, ... für die produktive Auseinandersetzung mit Fehlern, für Umwege und alternative Deutungen, ... für spielerischen und kreativen Umgang mit Mathema-tik".

Der Ansatz führte in der Mathematikdidaktik zu heftigen Kontroversen, wobei sich die Kritik weni-ger auf die Konzeption von Allgemeinbildung als auf die im Rahmen der Umsetzung für den Ma-thematikunterricht vorgeschlagene Reduktion der Inhalte richtete. Im Rahmen der Diskussion um Mathematikunterricht und Allgemeinbildung entwickelte auch Heinrich WINTER das Konzept eines Mathematikunterrichts, der allgemeinbildend sein und die Dualität von materialen und formalen Bildungszielen auflösen sollte (WINTER 1975, 1995). WINTER forderte die Verknüpfung von drei Grunderfahrungen:

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"(1) Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen, (2) mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in Sprache, Symbolen, Bil-dern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu begreifen, (3) in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten, die über die Mathema-tik hinaus gehen (heuristische Fähigkeiten), zu erwerben." (WINTER 1995, S. 37).

WINTER konkretisierte sein Konzept dahingehend, dass • bei der ersten Grunderfahrung Mathematik als nützliche, brauchbare Disziplin von fast univer-

seller Reichweite angesprochen wird. Dabei sind Anwendungen für die Allgemeinbildung un-entbehrlich und insofern nicht der Berufsausbildung zugehörig, wenn man mit ihrer Hilfe an Beispielen aus dem gelebten Leben erfahren kann, wie mathematische Modellbildung funktio-niert und welche Art von Aufklärung durch sie zustande kommen kann (WINTER 1995, S. 38).

• Mit der zweiten Grunderfahrung bezieht sich Winter auf "die innere Welt der Mathematik“. "Jeder Schüler sollte erfahren, dass Menschen imstande sind, Begriffe zu bilden und daraus ganze Architekturen zu schaffen. Oder anders formuliert: dass strenge Wissenschaft möglich ist." (a.a.O., S. 39).

• Mit der dritten Grunderfahrung ist angesprochen, was nach WINTER "früher der formale Bil-dungswert der Mathematik genannt worden ist: Mathematik als Schule des Denkens. Dabei be-stand und besteht der Anspruch, die Übung im strengen Denken innerhalb der Mathematik dis-zipliniere die allgemeine - also auch außermathematische - Praxis des Denkens." (S. 42) WIN-TER weist darauf hin, dass sich diese Denkschulung nicht einfach als Transfer von selbst ein-stellt, sondern durch geeignete didaktische Maßnahmen gefördert werden muss. Für unterricht-lich erschließbar hält er die Entwicklung von Problemlösefähigkeiten, insbesondere die Gewöh-nung an die explizite Nutzung heuristischer Strategien und mentaler Techniken.

WINTERs Position ist inzwischen weitgehend als Konsens innerhalb der Mathematikdidaktik anzu-sehen: So macht die Expertise zum Mathematikunterricht in der gymnasialen Oberstufe (BORNE-LEIT u.a. 2000) explizit diese Position zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Auch in der Exper-tise zur Vorbereitung des Programms zur "Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts (1997) werden die drei Sichtweisen benannt (S. 37f). Darüber hinaus wird dort auf das Spannungsverhältnis von Abbildfunktion und systemischem Cha-rakter der Mathematik hingewiesen, d.h. Mathematik greift die strukturellen Aspekte von Wirklich-keit auf und verarbeitet sie in Begriffen, Theorien und Algorithmen. Damit ist Mathematik von der Bildung erster Zahl- und Formbegriffe an, auch abstrakt, selbstbezüglich und autonom. Allerdings formen sich die mathematischen Begriffe und Strukturen in Kontakt mit der Wirklichkeit, die als kontrollierende Norm oder als treibende Kraft für kreative Weiterentwicklungen fungiert. Insgesamt haben diese Ansätze inzwischen auch Eingang in aktuelle Bildungspläne für das Fach Mathematik gefunden. Wir kommen nun nach der ideengeschichtlichen Rekonstruktion des Mathematikunterrichts und der Beschreibung seiner Stellung im Fächerkanon der Schule zur unterrichtlichen Realität des Mathe-matikunterrichts, seinen Defiziten und Problemen. 2 PROBLEME UND DEFIZITE DES MATHEMATIKUNTER-

RICHTS

Die Kritik am Mathematikunterricht, seinen Orientierungen, stofflichen Schwerpunktsetzungen und unterrichtlichen Realisierungen war - wie in Kapitel 1 dargestellt - eine immerwährende Antriebs-

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feder für seine Veränderung. Die Ergebnisse der Mitte der neunziger Jahre durchgeführten Third In-ternational Mathematics and Science Study (TIMSS) haben jedoch die Kritik und die Forderung nach Veränderung des Mathematikunterrichts stark intensiviert, insbesondere da die Studie aufzeigt, dass es beim Mathematikunterricht große kulturelle Unterschiede zwischen den verschiedenen Län-dern gibt und dass diese Unterschiede zu bemerkenswert anderen Leistungsergebnissen führen. Die Studie machte zum einen deutlich, dass die mathematischen Leistungen der deutschen Jugendlichen aus dem unteren und oberen Sekundarbereich im internationalen Mittelfeld liegen verglichen mit anderen Industriestaaten bzw. sogar knapp darunter. Zum anderen wurde durch die TIMSS-Videostudie deutlich, dass der Mathematikunterricht in Deutschland im wesentlichen "eher Wis-senserwerbsunterricht, der auf Beherrschung von Verfahren zielt", ist (BAUMERT / LEHMANN u.a. 1997, S. 215). Dieses unterrichtliche Skript bestätigt sich auch in der Wahrnehmung der Schülerin-nen und Schüler, die "Mathematikunterricht als fertigkeitsorientiert und rezeptiv" (BAUMERT / KÖL-LER 2000, S. 278) beschreiben mit wenig Bezügen zu Alltagsproblemen. Wir wollen im folgenden diese Defizite genauer beschreiben, um dann in Kapitel 3 zu möglichen Maßnahmen zur Veränderung des Unterrichts zu kommen. Einseitige Orientierung an einer deduktiv aufgebauten Fachsystematik Die traditionelle Unterrichtspraxis im deutschen Mathematikunterricht (vor allem des Gymnasiums) ist durch eine einseitige, meist implizite Orientierung an einer Fachsystematik charakterisiert. In ih-rer idealtypische Beschreibungen rekonstruierenden Vergleichsstudie zum deutschen und engli-schen Mathematikunterricht beschreibt KAISER (1999) dies als "fachdisziplinäres Theorieverständ-nis" und kontrastiert es mit dem als pragmatisch bezeichneten Theorieverständnis im englischen Mathematikunterricht, in dem mathematische Sätze und Regeln von geringer Bedeutung sind (S. 63ff). Für den deutschen Mathematikunterricht bedeutet diese Theorieauffassung, dass die Unter-richtsstruktur der Fachstruktur folgt; so werden die mathematischen Begriffe und Methoden in der in einem fachsystematischen Aufbau vorgesehenen Reihenfolge behandelt, und der Unterricht schreitet von allgemeinen Begriffen und Sätzen zu speziellen Folgerungen voran. Dem korrespon-diert ein hoher Stellenwert formaler Beweise, zumindest im deutschen Gymnasium, wobei inhalts-bezogene Beweise eher selten im Unterricht vorkommen. Die im Unterricht vorkommenden Bewei-se haben eine große Komplexität und werden daher in der Regel im lehrerzentrierten Unterrichtsge-spräch entwickelt mit nur geringen Eigenaktivitäten der Lernenden. KNIPPING (2001) weist in ihrer Vergleichsstudie zum Beweisen im deutschen und französischen Mathematikunterricht darauf hin, dass im französischen Mathematikunterricht Beweise in Form von komplexen Aufgaben stärker von den Lernenden alleine durchgeführt werden. Dominanz des Regellernens und Kalkülorientierung Der deutsche Mathematikunterricht ist - darauf weisen u.a. die vergleichenden Analysen von KAI-SER (1999, S. 108ff) hin - durch seine Regelorientierung charakterisiert, wobei sich Regeln in Kal-külen manifestieren. Nach einigen wenigen motivierenden Einführungsbeispielen, auf die später selten Bezug genommen wird, wird zügig die angestrebte Regel eingeführt, die möglichst formal, exakt, allgemeingültig und in symbolischer Schreibweise formuliert wird. Dann werden von den Lernenden Beispiele als Anwendung der Regel gerechnet. Zentral ist dabei die exakte und präzise Durchführung der Kalküle, wobei es insbesondere im Hauptschulbereich als wichtig angesehen wird, dass die Lernenden die Kalküle auswendig durchführen können, oft als Ersatz für ein tieferes Verständnis derselben. Komplexere Übungsaufgaben, die mehr als eine routinemäßige Anwendung der gerade hergeleiteten Regel bzw. des auf Regelstatus reduzierten mathematischen Satzes darstel-len, finden sich im deutschen - im Gegensatz zum japanischen - Mathematikunterricht kaum; dies macht Johanna NEUBRAND (2000, S. 317ff) in ihren Analysen der Aufgaben aus der TIMSS-Videostudie deutlich.

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Aber auch die Verwurzelung des Regellernens und die Kalkülorientierung sind kulturell bedingt und findet sich u.a. so im englischen Mathematikunterricht nicht, dort dominieren vielmehr bei-spielgebundene Lösungen und Überlegen, die es insbesondere bei Problemlösebeispielen den Ju-gendlichen ermöglichen, ihren eigenen Weg zu gehen (siehe KAISER 1999, S. 118ff). Dieser Unterricht hat Konsequenzen für die mathematischen Leistungen der deutschen Jugendli-chen: So zeigen detaillierte mathematikdidaktische Analysen der Ergebnisse von TIMSS, dass die deutschen Schülerinnen und Schüler zwar viele Einzelalgorithmen und -techniken beherrschen, aber insbesondere dann versagen, wenn sie verschiedene Grundvorstellungen und verschiedene Kalküle, womöglich noch über mehrere Stoffgebiete hinweg, zur Lösung eines Problems gleichzeitig aktivie-ren und wenn sie mehrere Schritte miteinander kombinieren müssen (BLUM / NEUBRAND 1998). Routinen und Interaktionsmuster im fragend-entwickelnden Unterricht Die Dominanz von Routinen und Interaktionsmuster im fragend-entwickelnden Unterricht hat Jörg VOIGT bereits 1984 aufgezeigt: So stellt die Lehrperson zweideutige Aufgaben, und die Lernenden offerieren verschiedene Antworten und Lösungsvorschläge. Durch kleinschrittige Lehrerfragen wird die Problemlösung nur in die intendierte Richtung hin entwickelt. Dabei wird häufig zunächst an außerschulischen Alltagsvorstellungen der Lernenden angeknüpft, die im späteren Verlauf - wenn sie für die intendierte Problemlösung hinderlich werden - abgewehrt werden (VOIGT 1984). VOIGT beschreibt in seiner Studie die vielen verdeckten Interaktionsmuster und Routinen, die für einen aus Sicht der Lehrperson reibungslosen Unterrichtsverlauf sorgen. In neueren noch stärker in-teraktionistisch geprägten Arbeiten wird die Aushandlung von Bedeutung in zweideutigen Situatio-nen, wie sie normalerweise im Unterrichtssituationen herrschen, analysiert. Spezifisch für den Ma-thematikunterricht sind thematische Muster, so wird z.B. bei Mathematisierungsproblemen nur die von der Lehrperson intendierte Mathematisierung thematisiert, alternative Interpretationen werden nicht weiter verfolgt (VOIGT 1995). Diese Dominanz des fragend-entwickelnden bzw. gemeinsam erarbeitenden Mathematikunterrichts (MAIER 1991) ist spezifisch für den deutschen Mathematikun-terricht und hat in vielen anderen Ländern keine Entsprechung. So dominieren in angelsächsischen Ländern Formen der Individualarbeit, in denen die Lernenden in ihrem eigenem Tempo und auf ih-rem eigenen Weg voranschreiten (siehe KAISER 1999, S. 233ff). Argumentationen und die Rolle von Sprache Das im deutschen Mathematikunterricht vorherrschende fachdisziplinäre Theorieverständnis mit seinen Interaktionsmustern und Routinen geht nach den Analysen von KAISER (1999, S. 131ff) ein-her mit der hohen Bedeutung der Verwendung einer mathematisch korrekten Fachsprache im "offi-ziellen", gemeinsamen Unterrichtsgespräch. Dies führt insbesondere im Gymnasium zu permanen-ten Unterbrechungen der Ausführungen der Lernenden durch die Lehrpersonen, die auf korrekten, formal-exakten Formulierungen bestehen. Welche negativen Auswirkungen dies auf die Entwick-lung des mathematischen Denkens der Lernenden hat, zeigt Heinrich BAUERSFELD (1995) in seinen neueren Arbeiten auf, in denen er die zentrale Rolle der Sprache bei der Entwicklung von mathema-tischen Denken, insbesondere den Zusammenhang von Sprachentwicklung, sozialer Interaktion und der Konstruktion der persönlichen Bedeutung mathematischer Begriffe analysiert. Er macht deut-lich, dass Lernenden umfangreich Gelegenheit gegeben werden muss, über ihr mathematisches Denken und ihre Vorstellungen zu reden. Argumentationen und ihre Rolle im Mathematikunterricht werden in neueren Arbeiten von Götz KRUMMHEUER (1995) und Ralph SCHWARZKOPF (2000) analysiert. Unter Bezug auf TOULMINs A-nalyse der funktionalen Struktur von Argumenten wird deutlich, wie die für die Mathematik als Wissenschaft und für den Mathematikunterricht konstitutive Rolle der Begründung mathematischer Aussagen sich in mathematischen Interaktionen im Klassenzimmer vollzieht. Internationale Ver-gleichsstudien machen die Kulturabhängigkeit der Auffassungen zu dem, was als mathematisches Argument akzeptiert wird, deutlich (für Details siehe KAISER 1999 und KNIPPING 2001).

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Zu wenig Realitätsbezüge und Vernetzungen. Im deutschen Mathematikunterricht nehmen Realitätsbezüge und außermathematische Anwendun-gen nur einen begrenzten Stellenwert ein, obwohl seit Anfang der achtziger Jahre in der didakti-schen Diskussion Konsens über die Notwendigkeit der Herstellung von Bezügen zur Realität im Mathematikunterricht besteht. Empirische Analysen (u.a. von KAISER 1999, S. 189ff und KAISER-MEßMER 1986, Bd. 2) weisen darauf hin, dass Realitätsbezüge hauptsächlich der Einführung neuer mathematischer Begriffe und Methoden sowie der Übung dienen. Umfangreiche Probleme, bei de-nen die von WINTER beschriebene Grunderfahrung von Mathematik als Mittel zur Umweltbewälti-gung (siehe Kapitel 1) zum Tragen kommt, werden - wenn überhaupt - höchstens im Rahmen von Projekttagen angeboten. Bei vielen der im Unterricht behandelten realitätsbezogenen Probleme handelt es sich um Einkleidungen mathematischer Inhalte und nicht um wirkliche Realprobleme. „Entkleiden“ der „eingekleideten“ Aufgaben reduziert sich für die Lernenden auf das Herausfinden des von der Lehrerin bzw. dem Lehrer versteckten Algorithmus, danach beginnt die „richtige“ Ma-thematik. Die wirkliche Modellierung, der Übergang von der Realität zur Mathematik, die mathe-matische Analyse und die Rückübersetzung der Ergebnisse in die reale Situation werden nur selten ernsthaft thematisiert, die Schülerinnen und Schüler werden für die Angemessenheit solcher Argu-mentationen nicht sensibilisiert. Die Untersuchungen zu den sog. Kapitänsaufgaben, "Auf einem Schiff befinden sich 26 Schafe und 10 Ziegen. Wie alt ist der Kapitän?" zeigen die Auswirkungen dieses Unterrichts bei den Schülerinnen und Schülern auf, die mehr oder weniger wahllos die gege-benen Zahlen mit bekannten Rechenoperationen verbinden, bis sie zu einem für sie befriedigenden Ergebnis kommen (vgl. BARUK 1989, SELTER / SPIEGEL 1997). Aber auch zwischen den einzelnen mathematischen Themengebieten werden keine Beziehungen hergestellt, vielmehr lernen die Ju-gendlichen die einzelnen mathematischen Methoden separiert in ihrer fachsystematischen Reihen-folge. Auf die Schwierigkeiten bei der unterrichtlichen Umsetzung der Förderung von Vernetzun-gen sowohl innerhalb der Mathematik als auch mit Anwendungsbeispeielen weist die Studie von EUBA (2001) hin. In angelsächsischen Ländern haben Realitätsbezüge und Modellierungsbeispiele einen deutlich größeren Stellenwert, werden neuere anwendungsreiche mathematische Themenge-biete wie Graphentheorie oder Diskrete Mathematik bereits im Schulunterricht behandelt (siehe KAISER 1999, S. 189ff). Abschließend können wir feststellen, dass die traditionelle Unterrichtspraxis der gymnasialen Ober-stufe sich einseitig an der auf die Mathematik ausgerichtete WINTERsche Grunderfahrungen orien-tiert. Hinzu kommt die inhaltliche Überfrachtung vieler Lehrpläne, in denen ohne sachliche Not-wendigkeit zu viele Details vorgeschrieben werden. Bedingt durch die Stofffülle bleibt im derzeiti-gen Mathematikunterricht nur wenig Zeit für Eigenaktivitäten der Lernenden. Eine aktive Sinnkon-struktion mathematischer Inhalte ist aber Grundvoraussetzung für kumulatives Lernen und für hori-zontale und vertikale Vernetzung der mathematischen Inhalte, worauf psychologische Studien im-mer wieder hinweisen (vgl. WEINERT 1999). 3 KONSEQUENZEN UND MASSNAHMEN Die Analyse der Defizite des deutschen Mathematikunterrichts hat deutlich gemacht, dass grundle-gende Umorientierungen nötig sind. Weltverständnis statt Wissensspeicherung, Lebensperspektive statt Abfragesicherheit sind das Gebot der Stunde, wie es Hartmut KÖHLER (1993) formuliert hat. Dazu sind neben inhaltlichen Aspekten auch die traditionellen Formen von Lehren und Lernen zu hinterfragen. Allerdings herrscht bezüglich der zu ergreifenden Maßnahmen deutlich weniger Kon-sens innerhalb der Mathematikdidaktik als über die Defizite. Die intendierten Veränderungsmaß-nahmen hängen stark von den eigenen normativen Vorstellungen von Unterricht im Allgemeinen und vom Fach als solchem ab, und natürlich auch von Einschätzungen der politischen Vorgaben und Rahmenbedingungen. Die im folgenden skizzierten Konsequenzen gehen stark von der stoffli-

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chen Seite aus, sie reflektieren damit Ansätze zur Veränderung des Mathematikunterrichts, wie sie derzeit im Bund-Länder-Modellversuchs-Programm zur "Steigerung der Effizienz des mathema-tisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts" (1997) realisiert werden. 3.1 Inhaltsbezogene Maßnahmen Orientierung an fundamentalen Ideen und Reduktion von Kalkülen Die Forderung nach Orientierung des Fachs an fundamentalen Ideen wurde bereits 1970 von Jero-me BRUNER erhoben und wurde von Erich Christian WITTMANN für das Lehren und Lernen von Mathematik umgesetzt (WITTMANN 1974). Peter BENDER und Alfred SCHREIBER (1985) haben das Konzept für die Geometrie konkretisiert. Fundamentale Ideen zeichnen sich durch vier Kriterien aus, die ihre Bedeutung für den Mathematikunterricht unterstreichen: • Horizontalkriterium: Die verschiedenen Bereiche der Mathematik sind vielfältig anwendbar und

erkennbar. • Vertikalkriterium: Die jeweilige Idee kann auf jedem intellektuellen Niveau aufgezeigt werden. • Zeitkriterium: Die Idee ist in der historischen Entwicklung der Mathematik deutlich wahrnehm-

bar und längerfristig relevant. • Sinnkriterium: Die Idee besitzt einen Bezug zu Sprache und Denken des Alltags und der Le-

benswelt der Lernenden (vgl. SCHWILL 1993, S. 23). Adäquate Grundvorstellungen zu Begriffen, Verfahren und Argumentationsmustern sind nach Ru-dolf VOM HOFE die notwendigen Mittler zwischen fundamentalen Ideen und konkreten unterrichtli-chen Themen (VOM HOFE 1995). Zum Aufbau solcher Grundvorstellungen ist es notwendig, dass die kalkül-orientierten Teile des Mathematikunterrichts in Zeitaufwand und Wertigkeit zu Gunsten der inhaltlich-orientierten Teile reduziert werden. Bei Begriffsbildungen und Begründungen sollte stärker inhaltlich und nicht ausschließlich formal argumentiert bzw. es sollte das formale Ergebnis stets auf Sinnhaltigkeit abgefragt werden. Erst auf der Grundlage eines inhaltsbezogenen und ver-ständnisorientierten Unterrichts kann dann weiter exaktifiziert und formalisiert werden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Idee und der Bedeutung eines mathematischen Begriffs oder entspre-chender Grundvorstellungen über mathematische Verfahren und dem kalkülhaften Umgang damit. Drei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Idee und Bedeutung Kalkülhaftes Arbeiten

Die Idee der Variablen im Übergang von a-rithmetischem zu algebraischem Denken Ableitung als Idee des Übergangs von der mittleren zur lokalen Änderungsrate

Ausführungen von Termumformungen nach syntaktischen Regeln. Bestimmen von Tangentensteigungen und Ableitungsfunktionen nach syntaktischen Regeln

Integral als Idee der Rekonstruktion einer Funktion aus ihren Änderungsraten

Bestimmen von Flächeninhalten und von Stammfunktionen nach syntaktischen Re-geln

Förderung von innerfachlichen Vernetzungen Um die Förderung der Fähigkeit zum Vernetzen zu erreichen, muss im Unterricht der Aufbau von adäquaten Grundvorstellungen zu Lasten von Kalkülen im Vordergrund stehen. Eine wichtige Mög-lichkeit, dieses Ziel zu erreichen, sind problemorientierte Zugänge zu mathematischen Begriffen und Inhalten. Das sind Zugänge, bei denen Problemstellungen verschiedener Art von den Schüle-

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rinnen und Schülern selbst angegangen werden können, Probleme, die alle denselben (den Lernen-den aber noch unbekannten) mathematischen Kern haben oder die die Verwendung vor längerer Zeit erworbener Grundvorstellungen erfordern. Dabei verstehen wir “Probleme” im Sinne des ame-rikanischen Problem solving, d.h. als Lösen einfacher, aber nicht mit Routineverfahren zu lösender Aufgaben. Eine Regel für das Erarbeitete wird, wenn überhaupt, erst relativ spät formuliert, nämlich dann, wenn ein Bedürfnis hierfür entstanden ist und schon viele Erfahrungen mit dem zugehörigen mathematischen Inhalt vorliegen. Die praktische Umsetzung eines solchen Unterrichts beruht ganz entscheidend darauf, dass für alle Gebiete des Lehrplans substanzielle Lernumgebungen geschaffen werden, die jeweils zu einer bestimmten Thematik ein breites und vernetztes Spektrum von Aufga-benstellungen mit unterschiedlichem Anspruchsniveau ermöglichen. Ein charakteristisches Merk-mal solcher Lernumgebungen ist, dass “übend entdeckt und entdeckend geübt” wird (WINTER 1987, S. 58ff). Die Lernumgebung startet mit einfachen Aufgaben, mit denen Grundfertigkeiten trainiert werden, sie wird mit Aufgaben fortgesetzt, die etwas mehr Denken erfordern, und endet bei Aufga-ben, die zum freien Erkunden und Forschen anregen und damit begabten Kindern in besonderem Maße entgegenkommen (siehe KÄPNICK 1998). Die Auswahl der Inhalte in den verschiedenen Lernbereichen muss sich an deren Bedeutungs- und Beziehungshaltigkeit orientieren. Dabei ist es wichtig, dass den Lernenden zum einen die vertikalen Vernetzungen innerhalb der einzelnen Gebie-te, die „roten Fäden“, deutlich werden, dass sie aber auch die horizontalen Vernetzungen zwischen den einzelnen Teilgebieten erkennen (vgl. etwa VOLLRATH 1984). Ein typisches Beispiel ist der fundamentale Begriff der Funktion, der sich in spiraliger Entwicklung von den enaktiven Zuord-nungen mit konkreten Materialien in der Grundschule bis hin zu den verschiedenen Ausprägungen des Funktionsbegriffs als reelle Funktionen in der Analysis, als geometrische Abbildungen in der analytischen Geometrie und als Zufallsvariable in der Stochastik durchzieht. Förderung von Realitätsbezügen und Modellierung Mathematik lebt und entwickelt sich gerade durch ihre Verbindungen mit der Wirklichkeit. Begriffe und Gegenstände der Mathematik sind stets aufgrund von inner- oder außermathematischen Frage-stellungen entstanden, oft ausgehend vom Wunsch, die Natur besser zu verstehen. Der Mathematik-unterricht muss deshalb den Schülerinnen und Schülern vielfältige Erfahrungen ermöglichen, wie Mathematik zur Deutung und Modellierung, zum besseren Verständnis und zur Beherrschung pri-mär nichtmathematischer Phänomene herangezogen werden kann. Nur so kann die Fähigkeit entwi-ckelt werden, im Leben nach der Schule wirklich die Mathematik als Orientierung in unserer kom-plexen Welt nutzen zu können und den Transfer zwischen realen Problemen und Mathematik zu leisten. Nur so können Lernende selbst zu eigenen Urteilen über relevante Fragen kommen und als spätere Entscheidungsträger dazu beitragen, dass Mathematisierungen umwelt- und sozialverträg-lich ablaufen. Es kann keinesfalls allein darum gehen, außermathematische Anwendungen der Mathematik um ih-rer selbst Willen zu studieren, die Reflexion darüber, was Mathematik und Welt verbindet, ist hin-gegen unverzichtbar. Ethische Fragen mathematischen Handelns müssen ebenfalls erhellt werden, Schülerinnen und Schüler müssen dafür sensibel gemacht werden (SKOVSMOSE 1989). Echte Mo-dellierungsaktivitäten in der Schule anzuregen, ist nicht allzu schwer. Altersangemessen und mit steigendem Niveau können geeignete Beispiele angeboten werden. Dazu gehört auch das Arbeiten mit „über“- und „unter“-bestimmten Aufgaben. Mit den Materialien der Mathematik-Unterrichts-Einheiten-Datei (MUED) und der ISTRON-Gruppe (ISTRON 1992-2001) stehen genügend geeignete und schulisch erprobte Modellierungsbeispiele zur Verfügung, aber auch im Rahmen des bereits erwähnten BLK-Modellversuchsprojekts wurden ebenfalls interessante Beispiele entwickelt. Aber nicht nur umfangreichere Modellierungsbeispiele sind für eine Umgestaltung des Unterrichts nötig, auch kleinere Beispiele müssen thematisiert werden, bei denen nicht immer der gesamte Mo-dellierungskreislauf zu durchlaufen ist. Die folgende Gegenüberstellung von zwei Formulierungen derselben Aufgabe verdeutlicht die Zielrichtung in der auch Veränderungen nötig sind:

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Pseudo-Anwendung Realitätsnahe Aufgabe

Gegeben ist die Parabel mit der Gleichung

y = 2-0,25 x2.

Ein Fass entsteht durch Rotation der Fläche zwi-schen –1 und 1. Berechne das Volumen des Fas-ses.

Ein Fass ist 2 m hoch, hat einen maximalen Um-fang von 3,8 m, eine Wandstärke von 4 cm und eine Boden- und Deckfläche von je 90 cm Durchmesser. Wie könntest du sein Volumen be-rechnen?

Die erste Formulierung hat viel mit Volumenintegralen und wenig mit Fässern zu tun, alles spielt sich ausschließlich auf der Seite der Mathematik ab, sämtliche Überlegungen, die mit dem prakti-schen Problem zu tun haben, sind vorgegeben. Bei der zweiten Formulierung müssen die Jugendli-chen zuerst eine Entscheidung darüber treffen, wie sie vorgehen wollen. Es gibt viele Möglichkei-ten, keinesfalls nur einen einzigen „richtigen“ Ansatz. Im Modellierungsschritt wird das reale Fass durch einen mathematischen Körper ersetzt. Das kann im einfachsten Fall ein „mittelnder“ Zylinder sein; oder ein Zylinder mit zwei aufgesetzten Kegelstümpfen; oder auch ein Rotationskörper, der von einer geeignet zu wählenden Kurve erzeugt wird (vgl. HENN 1995).

Die Schwierigkeiten liegen oft nicht auf der Seite des mathematischen Kalküls sondern beim Über-setzen aus der Realität in die Mathematik und beim Interpretieren der mathematischen Ergebnisse. Dies kann am Beispiel des klassischen Dreisatzes sehr schön demonstriert werden: Die üblichen Dreisatz-Aufgaben werden durch den Ansatz einer Proportionalität oder Antiproportionalität gelöst. Schon 1969 hat Arnold KIRSCH betont, dass der Modellierungsaspekt deutlich diskutiert werden muss, um nicht auf folgende Fragen „richtige“, aber sinnlose Antworten zu erhalten: 3 kg Äpfel kosten 7 DM. Wie viel kosten 5 kg? [Wie viel kosten 50 kg? Wie viel kosten 5 Tonnen?] 3 Eier sind in 7 Minuten hart. Wie lange brauchen 5 Eier?

Die erste Aufgaben soll für unbedachte Extrapolationen sensibilisieren, bei der zweiten Aufgabe ist darüber zu diskutieren, ob „auch in 7 Minuten“ wirklich die richtige Antwort ist. Vielfältige Erfah-rungen der Schülerinnen und Schülern im Umgang mit solchen Beispielen sind insbesondere not-wendig, um später dem durch Computereinsatz verstärkt auftretenden sinnlosen Umgehen mit Zah-len und dem fragwürdigen Extrapolieren gegen zu steuern. Berücksichtigung neuer Technologien Der Computer kann in besonderer Weise zur visuellen Unterstützung von Lernprozessen beitragen. Im Hinblick auf die Veränderung von Zielen, Inhalten und Methoden des Unterrichts wird daher der Computer als Werkzeug in der Hand der Schülerinnen und Schüler von entscheidender Bedeutung werden. Dabei gehen wir davon aus, dass zukünftig allen Lernenden ein Klein- oder Taschencom-puter jederzeit an ihrem Arbeitplatz zur Verfügung stehen wird. Die Rechner haben heute oft ein dynamisches Geometriesystem (DGS) und ein Computeralgebra-system (CAS) eingebaut. Ein DGS erlaubt es, die Geometrie der Ebene beweglich zu machen, ein CAS vermag alle kalkülhaften Berechnungen des Algebra- und Analysisunterrichts auf Knopfdruck durchzuführen (HENN 2001, HÖLZL 1999). Es gibt internationale bedeutsame Unterrichtserfahrun-gen zum Einsatz von Graphischen Taschenrechnern und Computeralgebrasystemen im Mathema-tikunterricht, auch in Deutschland gibt es verschiedene Pilotprojekte (vgl. WEIGAND 1999), aller-dings gibt es bisher nur wenig fundierte empirische Untersuchungen zu den Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler. Insbesondere Untersuchungen zum Einfluss des Computers auf epistemologische Aspekte des Lernens von Mathematik sind überfällig; zu den we-

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nigen Analysen hierzu gehören die Arbeiten von Reinhard HÖLZL (1999) und Rudolf VOM HOFE (1998). Die bisher vorliegenden Erfahrungen mit dem Computereinsatz im Unterricht weisen darauf hin, dass die gegenwärtig weitgehend akzeptierten Ziele des Mathematikunterrichts (wie etwa Probleme lösen lernen, heuristische Strategien kennen lernen, Begriffe bilden, Beweisen oder Mathematisie-ren lernen) durch den Computer-Einsatz nicht hinfällig werden, sondern uneingeschränkt gültig bleiben. Der Einsatz des Werkzeugs Computer kann aber dazu beitragen, dass diese Ziele besser als bisher erreicht werden (vgl. etwa NOCKER 1996, WEIGAND 1999). Allerdings wird auch deutlich, dass die Bedeutung des Computers im Hinblick auf die Veränderung des Unterrichts nicht über-schätzt werden sollte. 3.2 Maßnahmen bezogen auf Lehr-Lern-Formen Am deutschen Mathematikunterricht wird, wie in Kapitel 2 dargestellt, massiv die Dominanz des fragend-entwickelnden Unterrichtsgesprächs mit seinen Routinen und Interaktionsmustern kritisiert, das den Lernenden keine Möglichkeiten gibt, Lernerfahrungen auf ihren eigenen Lernwegen zu ma-chen. In den letzten Jahren wurden insbesondere im Grundschulbereich konstruktive Vorschläge zur Veränderung der Lehr-Lern-Formen entwickelt, die im folgenden kurz dargestellt werden sollen. Herstellen produktiver Lernumgebungen Produktive Lernumgebungen fordern einen zwar lehrergesteuerten aber schülerorientierten Unterricht, bei dem die Lehrerin bzw. der Lehrer als Organisator von Lernprozessen agiert. Zentral ist dabei, die sorgfältige Planung der Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrperson. Übungsphasen sollen nicht durch das "graue Päckchen-Üben" bestimmt sein, die aus einer Fülle beziehungslos aneinander gereihter Aufgaben eines bestimmten Typs bestehen, bei denen das gerade eingeführte Verfahren eingeübt wird. Vielmehr soll in Aufgabenfeldern geübt werden, die untereinander vernetzt sind, bei denen von den Lernenden eigene Entscheidungen über die anzuwendenden Methoden getroffen werden müssen, bei denen ein Gebiet exploriert wird und sich Spielräume für die Eigentätigkeit öffnen und bei denen verschiedene Lösungsmöglichkeiten bestehen. Die Beschränkung auf den „gerade aktuellen Stoff“ muss gelockert, Wissensteile sollten miteinander vernetzt werden und das Lernen kumulativ verlaufen. In den Erarbeitungs- und Übungsphasen sollten induktive Aspekte wie Probieren und Experimentieren, Verifizieren und Falsifizieren von Vermutungen, Betrachten von Sonderfällen, Grenzfällen und Fallunterschei-dungen usw. viel stärker betont werden. Es muss das Ziel sein, durch selbstorganisiertes Lernen sowohl automatisches Beherrschen grundlegender Techniken und Kalküle als auch die Ausbildung von Verständnis zu fördern (für eine unterrichtliche Realisierung siehe MÜLLER / STEINBRING / WITTMANN 1997). Stärkung von Eigenaktivitäten Flexible Unterrichtsmethoden können die Eigenaktivitäten von Schülerinnen und Schülern anregen. Bei individualisierten Arbeitsformen wie Freiarbeit, Lernstationen und Projektarbeit können sich die Lernenden Wissen allein oder in Gruppen erarbeiten. Weitere geeignete Arbeitsformen sind Schülerreferate und Facharbeiten, was in einigen Bundesländern schon eine erfolgreiche Tradition hat. Gerade die Erfahrungen mit den in England und Australien weitverbreiteten Kursarbeiten ma-chen deutlich, dass diese Lernform geeignet ist, die Selbständigkeit von Lernenden entscheidend zu stärken (siehe KAISER 2001). In jedem Fall steht beim selbstständigen, aktiven Problemlösen das inhaltliche, nicht standardisierte Argumentieren im Vordergrund. Allerdings sind Einzel-, Gruppen- oder Teamarbeit nicht a priori besser als der traditionelle fragend-entwickelnde Unterricht. Der di-rekten Unterweisung wird auch zukünftig eine besondere Bedeutung zukommen (vgl. etwa WEI-NERT 1999). Im Unterricht bedarf es daher der fruchtbaren Balance zwischen Instruktion (der Ler-

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nenden durch die Lehrenden) und Konstruktion (durch die Lernenden selbst, vgl. HEFENDEHL-HEBEKER 2000). In jedem Fall muss aber der Mathematikunterricht insgesamt stärker schülerorientiert werden, die eigenen Rekonstruktionsbemühungen der Mathematik durch die Schülerinnen und Schüler sind stärker ins Blickfeld der Lehrenden zu rücken, ebenso wie die subjektiven Auffassungen der Schü-lerinnen und Schüler zum jeweiligen Problem. Lernende sollen angeregt werden, selbst Fragen zu stellen; sie sollen die eher induktiven Aspekte der Mathematik wie Probieren und Experimentieren, Verallgemeinern und Spezialisieren selbst erfahren. Demgemäß ist nicht die Vielzahl, sondern die Qualität der Beispiele und ihrer Analyse entscheidend, wozu auch die Reflexion über das, was ge-macht worden ist, die nachträgliche Analyse des Lösungswegs und die Prüfung der Lösung auf Sinnhaftigkeit gehören. Solche Lernsituationen benötigen Offenheit, Akzeptanz “unsauberer” For-mulierungen, Gewährung von Brainstorming-Phasen - insgesamt ist ein konstruktiver Umgang mit Fehlern nötig, worauf deutlich in der bereits mehrfach erwähnten BLK-Expertise hingewiesen wur-de. Arbeiten mit offenen Fragestellungen Eine Methode, eine Aufgabe sinnvoller zu stellen, als es im alltäglichen Mathematikunterricht die Regel ist, ist das "Öffnen von Aufgaben". Dies bedeutet, die üblichen “konvergenten”, d.h. auf eine Lösung bzw. einen Lösungsalgorithmus hinauslaufenden Aufgaben durch leichtes Umformulieren, durch Weglassen einer einschränkenden Bedingung oder eine inverse Fragestellung zu “öffnen” und “divergent” zu erweitern. Wilfried HERGET (2000) gibt eine Fülle von Möglichkeiten an, wie Aufgaben geöffnet werden können, z.B. durch Variieren und Verändern, eigenes Erfinden von Auf-gaben, die Suche nach Gesetzmäßigkeiten, Erfinden eigener Aufgaben, Verwendung authentischer Daten bei Sachaufgaben. An einem Beispiel von Arnold KIRSCH (1991) wollen wir erläutern, wie durch kleine Veränderun-gen deutlich andere Akzente gesetzt werden können. Eine der üblichen Aufgaben für Gleichungen mit 2 Unbekannten lautet:

Der Sportverein Balltreter hat 200 Jugendliche und 150 Erwachsene als Mitglieder. Der Mo-natsbeitrag beträgt 5 DM für die Jugendlichen und 7 DM für die Erwachsenen. Im neuen Jahr braucht man für die Renovation der Sporthalle 1.600 DM extra. Für das nächste Jahr soll daher der Beitrag erhöht werden und zwar für die Erwachsenen um eine Mark mehr als für die Jugendlichen. Bestimme die neuen Beiträge.

KIRSCH schlägt vor, die enge, einen eindeutigen Rechenansatz ansteuernde Aufgabenstellung zu erweitern, indem die Angabe für die Änderung des Beitrags durch die Frage „Wie sollen die neuen Beiträge festgesetzt werden?“ ersetzt wird. Schon diese kleine „divergente“ Erweiterung der Frage-stellung gibt der Aufgabe mehr Sinngehalt. Die Kinder müssen jetzt zuerst darüber nachdenken und eine Entscheidung treffen, wie der neue Beitrag angesetzt werden soll. Hier gibt es viele mögliche Vorschläge, und ein solcher eigener Ansatz bedeutet eine normative Modellierung, die jeweils be-gründet werden muss. Die Jugendlichen könnten beispielsweise von einer Beitragserhöhung ausge-nommen werden, für alle könnte dieselbe Erhöhung angesetzt werden, die neuen Beträge könnten im selben Verhältnis wie die alten stehen oder viele andere Möglichkeiten mehr. In jedem Fall wird dann der irrige Eindruck vermieden, es gäbe genau einen “richtigen” Ansatz. Die Lernenden müs-sen „über Mathematik sprechen“ und ihre Ansätze den anderen vorstellen. Die verschiedenen Wege sind zu diskutieren und zu werten. Unelegante, formal mangelhafte Formulierungen sind zunächst zu akzeptieren, wenn sie inhaltlich sinnvolle Begründungskeime und Ansätze enthalten. Gerade Ansätze von schwächeren oder nicht so schnellen Schülerinnen und Schülern kämen so zur Spra-che. Auf Dauer würde so eine sehr viel größere Methodenkompetenz, Flexibilität und vor allem sehr viel mehr Selbstvertrauen bei den Schülerinnen und Schülern bewirkt werden. Die Öffnung von Aufgaben ist natürlich kein Allheilmittel, auch komplexe Aufgaben können trivialisiert und in

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eine vorgefertigten Schublade gepackt werden. Darauf weist NEUBRAND (2000) in ihren Analysen der Aufgaben aus der TIMSS-Videostudie hin. Schlusswort Der Mathematikunterricht, so wie er sich heute darstellt, ist Konsequenz einer historischen Ent-wicklung, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts begonnen hat. Viele Kritik, die am Mathematikun-terricht schon damals geübt wurde, ist heute immer noch aktuell. Weiter sind aber auch Änderungen bei der Lehrerausbildung nötig, zukünftige Lehrerinnen und Lehrer müssen bereits während des Studiums befähigt werden, einen offenen Unterricht durchzu-führen mit sinnhaften und vernetzten bzw. vernetzenden Problemen und Themenstellungen, mit Modellierungsbeispielen und Sachkontexten. Die derzeitige Lehrerausbildung mit ihrer starren Zweiphasenaufteilung, der Trennung von der Praxis, althergebrachten Veranstaltungsstilen in den Universitäten erscheint aber schwerlich geeignet, solche Lehrerinnen und Lehrer hervorzubringen (siehe TERHART 2000). Inwieweit die angekündigten Veränderungen in der Lehrerbildung diese De-fizite beheben können, wird die Zukunft zeigen müssen. Konsequenzen und Maßnahmen, wie sie nach der TIMS-Studie vorgeschlagen und ansatzweise im BLK-Modell-Versuchsprogramm „Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaft-lichen Unterrichts“ umgesetzt werden (siehe HENN 1999 und BLUM u.a. 2000) sowie Anregungen durch die internationale Diskussion (siehe exemplarisch KAISER, 1998), geben Anlass zur Hoff-nung, dass sich der deutsche Mathematikunterricht in den nächsten Jahren nachhaltig ändern wird. Die ersten Erfahrungen aus dem Modellversuchsprogramm sind sehr positiv: Die beteiligten Lehre-rinnen und Lehrer berichten übereinstimmend von einer deutlich gesteigerten Bereitschaft der Ler-nenden, sich auf mathematische Fragestellungen einzulassen, von einem wachsenden Interesse an der Mathematik und einer Verbesserung der Einstellung zum Mathematikunterricht bei der über-wiegenden Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler. Es gibt also begründete Hoffnungen, dass es langfristig kein Bonmot mehr ist, sich mit Unkenntnis in Mathematik zu brüsten und dass Schülerinnen und Schüler durch den Mathematikunterricht zu einer adäquaten Lebensbewältigung befähigt werden Bemerkung: Wir danken Werner Blum (Kassel) für wertvolle Hinweise bei der Erstellung des Ma-nuskripts. Literaturverzeichnis BARUK, S. (1989): Wie alt ist der Kapitän? Über den Irrtum in der Mathematik. – Berlin: Birkhäu-ser. BAUERSFELD, H. (1995): "Language Games" in the Mathematics Classrooms: Their Function and Their Effects. – In: COBB, P. / BAUERSFELD, H. (Hrsg.) (1995): The Emergence of Mathematical Meaning: Interaction in Classroom Cultures. Hillsdale: Erlbaum, S. 271-291. BAUMERT, J. / LEHMANN, R. u.a. (1997): TIMSS - Mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht im internationalen Vergleich. Deskriptive Befunde. – Opladen, Leske + Budrich. BAUMERT, J./ BOS, W./ LEHMANN, R. (Hrsg.) (2000). TIMSS/III. Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie- Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn. Band 1: Mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung am Ende der

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