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1.80 EuroDezember 2011 | 90 Cent für den Verkäufer
08 | Stern sucht Himmel | Single-Disco bei der Lebenshilfe
04 | Provokation und Engagement | Kabarettistin Uta Rotermund
40 | »Armut ist falsch verteilter Reichtum« | 20 Jahre Armutskonferenz
21 | 22 Verlosungen | z.B. Circus FlicFlac – »Schrille Nacht, eilige Nacht«
bodo
ZWÖLF SEITEN LITERATUR EXTRA*MOSER | WILLEMSEN | HACKE | BERG | KAMINER
BÜCHERGUTSCHEIN*ZWANZIG PROZENT AUF ALLES
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EDITORIAL
BODO E.V. – SO ERREICHEN SIE UNS
Herausgeber und Verleger:
bodo e.V.
Mallinckrodtstraße 270 | 44147 Dortmund
Postanschrift:
Postfach 100543 | 44005 Dortmund
Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.:
Bastian Pütter | [email protected]
0231 – 98 22 98 18 | Fax 88 22 527
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Mallinckrodtstraße 270 | 44147 Dortmund
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Benedikt von Randow (bvr) | [email protected]
engel und agenten | [email protected]
Layout und Produktion:
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Bastian Pütter | [email protected]
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Autoren:
Bianka Boyke (bb), Volker Dornemann (vd),
Peter Erik Hillenbach (perik), Wolfgang
Kienast (wk), Volker Macke, Maike, Nina
Mühlmann (nm), Marcus Preis (mp), Basti-
an Pütter (bp), Benedikt von Randow (bvr),
Rosi, Dr. Birgit Rumpel (biru), Annalena und
Katharina Schneider, Sebastian Sellhorst (sese)
Fotos: Claudia Siekarski (S.2,3,4,5,6,7,8,9,10,
12,14,15,16,43,46,47), Andre Noll (S. 19 bis
31), Bastian Pütter (S.6) Oliver Philipp (S.7),
Volker Macke (S.41), AWO (S.41)
Titelbild: Claudia Siekarski
Zeichnungen und Cartoon: Volker Dornemann
Druck: Gebr. Lensing GmbH & Co. KG.
Auflage | Erscheinungsweise:
15.000 Exemplare
Bochum, Dortmund und Umgebung
Redaktions- und Anzeigenschluss:
für die Januar-Ausgabe 01.12.2011
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Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 7
gültig ab 01.03.2009
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tenfrei, aber ohne Gewähr. Für unaufgefordert ein-
gesandte Fotos oder Manuskripte wird keine Haftung
übernommen. Das Recht auf Kürzung bleibt vorbehal-
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IMPRESSUM
02
Liebe Leserinnen und Leser,
vielen Dank, dass Sie sich für das Straßenmagazin
entschieden haben, denn – wie es in unserer aktuel-
len Plakatkampagne heißt: Lesen ist helfen.
Mit dem Kauf des Straßenmagazins haben Sie eine
Verkäuferin oder einen Verkäufer unseres Magazins
mit mehr unterstützt als mit Ihrem Geld. Sie haben
einen Menschen darin bestärkt, anzugehen gegen
die Resignation und die Verzweiflung. Sie haben
jemanden dabei begleitet, das Leben selbst in die
Hand zu nehmen und etwas zu tun, um seine oder
ihre Situation selbst zu verbessern.
In unserer täglichen Arbeit sehen wir, wie sehr Betteln
eine Sackgasse ist, noch einsamer macht und das
Selbstwertgefühl weiter schädigt. Bei unseren Verkäu-
ferinnen und Verkäufern sehen wir bei allen Rückschlä-
gen, wie hilfreich unser Angebot ist, einen neuen An-
fang zu machen oder sich in der Krise zu stabilisieren.
In diesem Heft erzählen wir Ihnen einige dieser guten
Geschichten, die ja auch ein Grund sind, warum wir das
hier so gerne und so überzeugt machen.
Apropos Überzeugen: Sprechen Sie doch einmal mit
einem der Menschen, die in der Kälte auf dem Boden
sitzen und betteln. Wir haben eine Alternative für
ihn oder sie und eine Reihe an Angeboten für Men-
schen auf der Straße. Und vielleicht empfehlen Sie
uns in Ihrem Bekanntenkreis weiter oder verschen-
ken einmal ein Exemplar. Je mehr Käuferinnen und
Käufer das Straßenmagazin findet, desto erfolgrei-
cher ist unsere Hilfe für Menschen am Rande.
Am Ende der „guten Geschichten“ in diesem Heft
(ab S. 14) verraten wir Ihnen unsere Pläne für das
kommende Jahr. Wir zeigen, wie vielen Menschen wir
eine Perspektive bieten konnten und stellen Ihnen
vor, wie unsere nächsten Pläne aussehen werden.
Um es bildlich auszudrücken, platzt der bodo-Vereins-
sitz am Dortmunder Hafen aus allen Nähten. Längst
sind die Bedingungen nicht mehr gut, weder für un-
sere VerkäuferInnen noch für die MitarbeiterInnen in
unseren Beschäftigungsprojekten. Wir wünschen uns
einen Umzug in zentralere und vor allem ausreichend
große Räume und bitten Sie dafür um Unterstützung.
Wir glauben, mit einem Umzug, der uns einerseits
unseren Kundinnen und Kunden und andererseits den
Menschen auf der Straße näher bringt, einen nachhal-
tigen Schritt nach vorne zu tun.
Sie haben es auf unserem Titel gesehen. Dieses
Heft steht ganz im Zeichen des Lesens. Wir finden,
dass es an den dunklen Adventsabenden und in der
stillen Zeit „zwischen den Jahren“ nichts Besseres
gibt als ein gutes Buch. Um Sie auf den Geschmack
zu bringen, schenken wir Ihnen zwölf Seiten große
Literatur in unserem Literatursonderteil (mit den
passenden Einkaufstipps vor Ort).
Und wir laden Sie herzlich in unseren Buchladen ein:
Auf Seite 18 finden Sie einen Gutschein, mit dem Sie
20 Prozent Rabatt auf Ihren Einkauf an der Mallinck-
rodtstraße bekommen! Dort treffen Sie auch unsere
beiden Auszubildenden Steffi und Sandra, die das
Titelbild zieren.
Und vor Weihnachten gehen unsere Bücher auch in
Bochum auf Tour: Am 13. und 14. Dezember sind wir
von 11 bis 18 Uhr im Uni-Center Bochum. Gemein-
sam mit dem gemeinnützigen Verein University
meets Querenburg (UMQ) eröffnen wir für zwei Tage
einen „temporären Buchladen“. Den Preis bestimmen
Sie! Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Das ganze bodo-Team und alle unsere Verkäuferin-
nen und Verkäufer wünschen Ihnen eine besinnli-
che Adventszeit, frohe Weihnachten und ein gutes
neues Jahr.
Viele Grüße von bodo,
Bastian Pütter – [email protected]
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INHALT 03
02 Editorial | Impressum
04 Menschen Uta Rotermund von Bianka Boyke
Uta Rotermund ist eine Kontrastperson. Die 56jährige Dortmunder Kaba-
rettistin ist schnippisch und freundlich. Respektlos und warmherzig. Sie
selbst beschreibt sich als „direkt, offen und hilfsbereit.“ Sie liebt Loriot
und Mr. Bean, sieht beide aber nicht als Kollegen. „Ich bin ja nicht grö-
ßenwahnsinnig. Ich bin eine kleine, unterhaltsame Nummer.“
06 Neues von bodo
07 Maikes Verkäufertagebuch
08 Reportage Stern sucht Himmel von Dr. Birgit Rumpel
Kontaktbörsen gibt es viele: online, offline, per Chat, beim Tanztee oder
im Szenemagazin. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bleiben da
meist außen vor. Ganz anders ist das bei der Single-Disco der Lebenshilfe,
die dieses Jahr mit mehr als 500 Besuchern im Keuning-Haus stattfand.
10 Neues von Rosi | von bodo-Verkäuferin Rosi
12 Zum Haare raufen Oekonomia nervosa von Nina Mühlmann
Staatsverschuldung und die beruhigende Wirkung von vielen Nullen.
12 Kultur Total Paranormal von Markus Preis
bodo trifft sich mit dem Zauberquartett „Total Paranormal“ und bekommt
nicht nur eine ganze Reihe skurriler Künstlernamen zu hören, sondern auch
eine spannende Privatvorstellung.
13 Wilde Kräuter Schlehe von Wolfgang Kienast
Wer gerne zu klassischen Volksliedern durch den Westerwald oder wahlwei-
se auch durch Sauerländer Randlagen wandert, der freut sich über Selbst-
gebranntes aus Schlehen, wenn er Fuchs und Hase Gute Nacht sagt.
14 Neues von bodo Viele gute Geschichten von Bastian Pütter Weil Sie unser Straßenmagazin kaufen, uns Bücher und Hausrat bringen,
in unseren Läden einkaufen und unser Transport-Team beauftragen,
können wir so vielen Mitarbeitern eine Perspektive geben. Wie genau das
funktioniert? Lesen Sie von den vielen guten Geschichten bei bodo und
einem großen Wunsch.
17 Neues von bodo Der Blick von außen von Annalena & Katharina Schneider
Die Schülerreporterinnen Annalena und Katharina Schneider über uns und
ihren Besuch bei bodo im Dortmunder Norden.
18 Literatur Ruß | Wir sind Deutschland! gelesen von Bastian Pütter
Feridun Zaimoglu erschreibt sich das Ruhrgebiet als Geschichte eines
Gescheiterten, als Krimi, als Roadmovie. Bernd Hoëcker und Volker Dorne-
mann unterrichten Geschichte als Comic.
19 Literatur Moser | Willemsen | Hacke | Berg | KaminerWeltbekannte Autoren stellen einmal im Jahr den deutschen Straßen-
magazinen Kurzgeschichten zur Verfügung. Wir haben für Sie die besten
auf zwölf Extraseiten zusammengestellt:
Einsam in Tokio von Roger Willemsen
Selbstabbruch von Axel Hacke
Stadtgeschichten von Milena Moser
Die Reichen von Sibylle Berg
Berühmte Persönlichkeiten von Wladimir Kaminer
32 Das Ruhrgebiet Iksavauer von Peter Erik Hillenbach
32 Kinotipp Im Weltraum gibt es keine Gefühle im endstation.kino
33 Veranstaltungskalender | Verlosungen | CD-Tipps von Benedikt von Randow
40 Das Interview 20 Jahre Nationale Armutskonferenz von Volker Macke
Zum Jubiläum der Nationalen Armutkonferenz spricht Volker Macke mit
deren Sprecher Dr. Thomas Beyer über Perspektiven und gute Lobby-Arbeit.
42 Der Kommentar Aber was ist neu? von Bastian Pütter
Vor einem Jahr stand an dieser Stelle ein Kommentar zur laufenden Verharm-
losung neonazistischer Gewalt und zur verantwortungslosen Gleichsetzung
von „Linksextremisten“ und Neonazis durch Behörden und (Lokal-)Presse.
Der Text endete mit einer Unterscheidungshilfe: „Nazis töten Menschen.“
42 News | Skotts Seitenhieb
43 Soziale Initiativen Musikalische Integration von Dr. Birgit Rumpel
44 Kreuzworträtsel | Sudoku
45 Eselsohr Weihnachtsrätsel von Volker Dornemann
46 bodo geht aus Die Küche – Neue (Ess)Klasse von Bastian Pütter
Sie sind erst 30, haben aber 14 Jahre lang in der gehobenen Gastronomie
in Dortmund und Düsseldorf Ideen gesammelt für das erste eigene Restau-
rant, sagen sie. Und in der Tat hat sie wirkliche Überraschungen zu bieten,
diese neue Ess-Klasse.
47 Leserbriefe | Cartoon
Unser Titelbild der Dezember-Ausgabe:
Sandra und Steffi sind unsere beiden
Auszubildenden im bodo-Buchladen (siehe S.14).
Foto: Claudia Siekarski
12041440 43
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Uta Rotermund ist eine Kontrastperson. Die 56jährige Dortmunder Kabarettistin ist schnip-pisch und freundlich. Respektlos und warmher-zig. Sie selbst beschreibt sich als „direkt, offen und hilfsbereit.“ Sie liebt Loriot und Mr. Bean, sieht beide aber nicht als Kollegen. „Ich bin ja nicht größenwahnsinnig. Ich bin eine kleine, unterhaltsame Nummer.“
„Ein Porträt ist doch keine Homestory“, sagte Uta
Rotermund energisch, als wir sie fragten, ob wir
uns bei ihr zu Hause zum Interview treffen könn-
ten. Ihr gehe es um ihren Beruf als Kabarettistin
und um ihr Engagement für medica mondiale. Dazu
später mehr.
Uta Rotermund redet viel und ausschweifend. Aber
sie diskutiert nicht gern, eine Meinung hat sie hin-
gegen immer. Da kommt es schnell vor, dass sie ei-
nem ein „Das ist doch Bullshit!“ an den Kopf wirft.
Böse meint sie das nicht, aber ob es bei ihrem Ge-
genüber auch so ankommt, scheint ihr nicht wich-
tig zu sein. „Ich bin eben direkt“, sagt sie selbst
immer wieder von sich.
Menschen, die sich ihrer Meinung nach auf Aus-
reden ausruhen, mag sie gar nicht. „Die müssen
nur den Arsch hoch kriegen.“ Uta Rotermund ist
direkt und mag sich in dieser Rolle – privat und
auf der Bühne. Als drei Frauen ihr aktuelles Pro-
gramm „Golden Girl! Best of all!“ verlassen, wäh-
rend sie auf der Bühne demonstriert, wie man sich
mit einem alten, ausrangierten Bettlaken eine
Burka basteln kann, baut sie dies nach der Pause
nur allzu gerne ein: „Haben Sie das gesehen? Da
sind drei Frauen gegangen. Es gibt Menschen, die
mögen es einfach nicht, wenn ich zu direkt bin.
Macht nichts.“
Uta Rotermund möchte gar nicht nett sein – „Nett
ist der kleine Bruder von scheiße!“ – polarisiert
gerne. Doch auf die Frage, ob es ihr wirklich nichts
ausmache, weicht Uta Rotermund aus: „Es gibt in
der Kommunikationspsychologie das berühmte Mo-
dell von Sender und Empfänger. Was ich sage und
was bei Ihnen ankommt, muss überhaupt nichts
miteinander zu tun haben.“
Natürlich stößt sie die Menschen mit ihrer Art
manchmal vor den Kopf. „Es gibt doch tatsächlich
Menschen, die haben Angst vor mir“, sagt sie zu
Beginn unseres Interviews, ist darüber aber nicht
Uta Rotermund:»Ich bin eine kleine, unterhaltsame Nummer«
MENSCHEN | von Bianka Boyke | Fotos: Claudia Siekarski04
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wirklich überrascht. Uta Rotermund provoziert viel
zu gerne. Fragt man sie nach ihren Hobbys, klingt
die Antwort wie eine auswendig gelernte Floskel:
„Hobbys sind was für Menschen, die zu viel Zeit ha-
ben. Gelangweilte Hausfrauen mit dem Motto ,Von
meinem Boden kann man essen‘.“
Vielleicht stört Uta Rotermund aber auch nur der
Begriff. Denn auch sie hat mindestens ein Hobby:
Lesen. Und das bereits seit ihrem vierten Lebens-
jahr. Irmgard Keuns Jugendroman „Das Mädchen,
mit dem die anderen Kinder nicht verkehren durf-
ten“ erschien 1936, kurz bevor sich die Autorin
ins Exil flüchtete, und handelt von einem kleinen
Mädchen, das in der Schule und zu Hause immer
wieder unangenehm auffällt, weil sie sich nicht an-
passen will. Uta Rotermund las das über 200 Seiten
starke Buch bereits mit neun Jahren. Ihre Mutter
sagte später, dass sie nach der Lektüre verdorben
gewesen sei. „Ich nehme an für Erziehungsmaß-
nahmen.“
Zu unserem Interview in der Moses erlebBar kommt
Uta Rotermund in schwarz-weißem Zottelpulli und
hautenger roter Lackhose. Den farblich passenden
Lippenstift zieht sie vor dem Fotoshooting noch-
mal nach. Und obwohl Uta Rotermund seit Tagen
eine starke Bronchitis mit sich herumschleppt, po-
siert sie für uns lange in der Kälte. Wenn andere
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an ihre Arbeit Ansprüche stellen, mag sie das. Sie
tut es auch.
Für unsere Kinder hat sie uns gleich einen ganzen
Schwung ihrer „Rosaroten Brillen“ mitgebracht.
Die verkauft sie bereits seit 15 Jahren nach ihren
Veranstaltungen für den guten Zweck – die Or-
ganisation medica mondiale, die sich für Frauen
in Kriegs- und Krisengebieten einsetzt. Was für
manch' einen Besucher ihres Programms wie eine
lästige Werbeveranstaltung klingen mag, zeigt
auch, wie warmherzig die Kabarettistin ist. Denn
als der Gründerin von medica mondiale 1995, zur
Zeit des Krieges in Jugoslawien, der Preis „Frauen
Europas“ verliehen wurde, beeindruckte sie Dr. Mo-
nika Hauser mit ihrer ehrlichen Rede so sehr, dass
Uta Rotermund sofort beschloss, die Organisation
zu unterstützen.
Damals sagte Hauser, dass es nicht nur die Schläch-
ter auf den Kampffeldern des Krieges sind, die
schuldig werden, sondern auch „Sie, meine Herren
an den Schalthebeln der Industrie, der Wirtschaft,
der Politik, der Macht – durch Ihre Entscheidun-
gen, durch Ihr Handeln oder Nichthandeln.“ Uta
Rotermund fand das einfach großartig.
Dank ihrer „Rosaroten Brillen“, die den Blick aufs
Leben ab und zu etwas freundlicher gestalten,
konnte Uta Rotermund bisher bereits 37.000 Euro
an medica mondiale überweisen.
Ob sie Wünsche für die Zukunft hat? „Einen schnel-
len, schmerzlosen Tod, und das werde ich auch so
organisieren.“ Denn eins will sie nicht: als „mar-
kiertes und zweimal täglich gewendetes Gammel-
fleisch enden.“ (bb)
INFO
Uta Rotermund | Golden Girl! – Best of all!
9.12., 20.30 Uhr| 10.12., 20.30 Uhr | 11.12., 19 Uhr
Theater Fletch Bizzel, Humboldtsraße 45, Dortmund
www.utarotermund.de
www.medicamondiale.org
6
pro verkaufter bodo 1 Euro verdienen*
*90 Cent Verkäuferanteil, bei 10 bodos ein Heft Bonus =
1,08 Euro plus Trinkgeld!
bodo ist für Sie da
Geschäftsleitung
Tanja Walter
Verwaltung
Brigitte Cordes
Redaktion und
Öffentlichkeitsarbeit
Bastian Pütter
Vertrieb
Oliver Philipp
Projekt Buch
Suzanne Präkelt
Buch Online
Gordon Smith
Projekt Transport
Michael Tipp
Second Hand
Brunhilde Dörscheln
06 NEUES VON BODO | www.bodoev.de | www.facebook.com/bodoev
Eine ungewöhnliche Veranstaltung, ein besonde-rer Ort, eine ungewohnte Rolle. bodo-Verkäuferin Birgitt machte sich Anfang November mit uns auf in die Bochumer Rotunde zum Multimedia-Pro-jekt „Doors of Perception“.
Die Künstlerin Lisa Lyskava (Bild), die das dreiwö-
chige Spektakel aus Ausstellungen, Performances
und Dokumentarfilmen zum Thema Wahrnehmung
organisierte, hatte uns eingeladen zur Urauffüh-
rung des Films „Standort Sehnsucht / Lebenswelten.
Innen-Ansicht“. Mit gutem Grund, denn Birgitt war
eine von 32 Ruhrstadtbewohnerinnen und -bewoh-
nern, die Lisa Lyskava in einfühlsamen Interviews
über ihr Leben und ihre Träume sprechen ließ. Viele
der Porträtierten warteten gebannt auf ihren Auf-
tritt, auch Birgitt.
Jedes Interview beginnt mit einem Gedicht, das die
Interviewten selbst vollenden, indem sie benennen,
was für sie Sehnsucht ist. Heraus kommt ein ein-
drucksvoller Dokumentarfilm, der ein Panorama der
Lebenswelten im Ruhrgebiet bietet und ein nach-
denklich machendes Spektrum an persönlichen Ein-
sichten, Einstellungen und Haltungen.
Gleichberechtigt sprechen die Streetartkünstler und
die junge türkischstämmige Krankenschwester, der
Flüchtling und der Manager, die Chefin der Bochumer
Eve-Bar und der Schichtführer einer Härterei – und
Birgitt, die beeindruckend offen über Wendepunkte
in ihrem Leben spricht, über die Vorurteile, die ihr
begegnen, und über ihre Träume. Ein tolles Projekt,
ein schöner Abend.
DokumentarfilmMitgliederversammlung
Die jährliche Mitgliederversammlung im Dort-munder Keuning-Haus ist für uns immer Zeit und Ort, zurück und nach vorn zu schauen. Während im letzten Jahr ein geradezu arktisches Schnee-treiben die Anreise behinderte, trafen wir uns am 16. November bei mildem Herbstwetter.
Auch wenn die Mittel knapp sind, war es ein erfolg-
reiches Jahr für bodo. Alle Projekte sind in Bewe-
gung, wir haben weiterhin den Eindruck, dass es
vorangeht – ein gutes Gefühl übrigens.
Viel von dem, was die Leiter der Arbeitsbereiche
bei der Versammlung vortrugen, finden Sie in un-
serem langen Text ab Seite 14. Seit wir vor knapp
drei Jahren begonnen haben, unsere Arbeitsberei-
che – allem voran Straßenmagazin und Buchprojekt
– einem tiefgreifenden Umbau (in voller Fahrt) zu
unterziehen, hat sich das Reformtempo kaum ver-
langsamt. Manchmal knirscht es im Gebälk, und ein
öffentlicher Fördertopf würde uns bestimmt hin und
wieder besser schlafen lassen. Trotzdem glauben wir
auf einem guten Weg zu sein – und gerüstet für die
Veränderungen, die das neue Jahr bereithält.
Wir bedanken uns bei unserem neuen Vorsitzenden
Andre Noll und bei den Vorstandsmitgliedern Nicole
Hölter und Brunhilde Dörscheln, die diesen Weg wei-
ter mit uns gehen wollen. Alle drei wurden einstim-
mig gewählt. Herzlichen Glückwunsch!
Wenn auch Sie Mitglied bei bodo werden wollen, ru-
fen Sie uns an.
montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr
unter dieser zentralen Rufnummer:
0231 – 98 22 97 96
Mail: [email protected] | Fax: 0231 – 88 22 527
Oder Sie besuchen uns:
Mallinckrodtstraße 270 | 44147 Dortmund
Mo. bis Fr. 11 – 18 Uhr
Stühmeyerstraße 33 | 44787 Bochum
Mo., Mi. u. Fr. 14 – 17 Uhr
Di. u. Do. 10 – 13 Uhr
EIN SELBSTBESTIMMTER ZUVERDIENST FÜR MENSCHEN IN SOZIALEN NOTLAGEN!
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Liebe bodo-Leser,
helfen Sie uns, Menschen auf den Weg zu bringen.
Ermutigen Sie Menschen in Not, zu uns zu kommen.
Bei bodo ist jeder willkommen.
7
07
Hallo bodo-Leser, männlich und weiblich.
Wie immer gibt es viele interessante The-
men in der bodo zu lesen, die nur von Euch
gerne gelesen werden. Dann legt mal los!
4. Oktober
Ja, so ist es, wenn man wegen Anpassung
der neuen Zähne in den Mittagsstunden
zum Zahnarzt muss. Denn die Dritten sol-
len doch gut aussehen.
8. Oktober
Wie schnell doch vier Wochen vorbei sind.
Nun muss mein gefiederter Freund „Strol-
chi“ nach Hause. War auch eine schöne Zeit
mit dem Piepmatz.
10. Oktober
Heute ist der vorletzte Zahnarzt-Termin,
dann sehen wir weiter. Darum konnte ich
heute nicht so lange Zeitungen an Mann
oder Frau bringen.
12. Oktober
Nun ist es mit den Zähnen so weit. Ab zum
Zahnarzt hin, Anprobe, anpassen und mit-
nehmen. Bin dann beim Einkaufen prompt
damit aufgefallen. Ab morgen heißt es
dann Zeitungen verkaufen.
21. Oktober
Heute war bei meinem Hausarzt kurzer vier-
teljährlicher Gesundheitscheck dran und
dann ab die Post, Zeitungen verkaufen,
wenn denn welche eine haben möchten.
26. Oktober
Wie herrlich dieser Faulenzertag. Keine
Lust und Nerv, die restlichen Zeitungen zu
verkaufen, dafür ist morgen auch ein Tag.
Habe dafür gelesen, gestrickt und mit Min-
ka geschmust.
28. Oktober
Nun ist heute unser monatlicher Verkäu-
ferversammlungstag angebrochen. Denn
da werden wieder erfreuliche und negative
Themen behandelt. Nun, wir werden wei-
tersehen, was uns der heutige Tag bringt.
Und mal sehen, ob ich mit meinen neuen
Zähnen bei allen heute auffallen werde.
Hoffentlich erfreuliche Ergebnisse.
Mit freundlichen Grüßen an Euch alle.
Eure Bodoline Maike
MAIKES VERKÄUFERTAGEBUCH
Seit zehn Jahren liegen unser Vereinssitz und unsere Dortmunder Läden am Dortmunder Hafen. Der Blücherpark nebenan, viele Stammkunden und ein großes Netzwerk im nahen Umfeld sind immer noch ein Grund, gern hier zu sein. Leider wachsen unsere Räume an der Mallinckrodtstraße nicht mit.
In diesem Heft (S. 11ff.) berichten wir detaillierter,
was sich vor allem in diesem Jahr alles getan hat
bei bodo – um es kurz zu machen: Inzwischen sind
wir zu viele Menschen auf zu wenig Quadratmetern.
Seit einiger Zeit tragen wir uns mit dem Gedanken,
dem abzuhelfen und einige Nachteile unserer jetzi-
gen Adresse gleich mit zu verbessern. Ohne ein Sozi-
alticket laufen unsere Verkäuferinnen und Verkäufer
weiterhin zu Fuß. Das heißt: manchmal eine halbe
Stunde pro Weg in die Innenstadt. Dazu braucht
unser Buchprojekt mit inzwischen einem Dutzend
MitarbeiterInnen zwei Dinge: Parkplätze, damit Ihre
Buchspenden zu uns kommen, und eine Lage, die es
möglich macht, „mal eben“ in unserem Buchladen
vorbeizuschauen. Beides fehlt hier.
Aus diesem Grund werden wir im nächsten Jahr un-
sere Zelte am Hafen abbrechen und in einen Laden
mit Büroetage in größerer Innenstadtnähe umzie-
hen, unseren MitarbeiterInnen und unseren KundIn-
nen zuliebe. Sobald die neue Adresse feststeht, wer-
den wir Sie natürlich umgehend informieren – wir
freuen uns jetzt schon darauf. Bis dahin brauchen
wir Ihre Unterstützung: Spenden Sie für „Ein Dach,
unter dem Platz für alle ist“.
Vereinssitz: Umzug geplantSoziale Stadtführung
Soziale Einrichtungen für Obdachlose standen im Mittelpunkt der „Sozialen Stadtführung“, bei der bodo-Verkäufer Markus Neiß sieben Mitarbeiter-Innen des Jugendhilfezentrums Nord die Orte Bo-chums zeigte, die sonst nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung stehen.
Zusammen mit bodo-Vertriebsleiter Oliver Philipp
stellte Markus zuerst die Arbeit von bodo vor und
erzählte, wie er 1997, damals noch obdachlos, zu
bodo fand. Mittlerweile hat der 49jährige wieder
eine feste Wohnung und zählt zu den bekanntesten
bodo-Verkäufern der Stadt.
Vorbei an der Beratungsstelle für wohnungslo-
se Männer und der Suppenküche führte Markus
die Gruppe zur Bochumer Bahnhofsmission, wo
eine Mitarbeiterin sich viel Zeit nahm, die un-
terschiedlichen Aufgaben der Einrichtung vorzu-
stellen. Nächste Station des Rundgangs war Bo-
chums Übernachtungsstelle für obdachlose und
wohnungslose Menschen. Mit seiner Lage weit au-
ßerhalb der Stadt und einer stark renovierungsbe-
dürftigen Fassade steht das Gebäude der Einrich-
tung sinnbildlich für die Position am Rande der
Gesellschaft, die Obdachlose und ihre Versorgung
leider immer noch einnehmen. Weitaus freundli-
cher ging es dann wiederum beim Tagesaufenthalt
der Inneren Mission zu, wo der informative Rund-
gang sein Ende fand.
Auch wenn es sich nur um einen „Probelauf“ handel-
te, hat es allen sichtlich Spaß gemacht, und bodo
freut sich schon auf weitere Führungen in 2012.
schafft Chancenbodo
BODO-VERKÄUFER WERDEN! WWW.BODOEV.DEEIN SELBSTBESTIMMTER ZUVERDIENST FÜR MENSCHEN IN SOZIALEN NOTLAGEN!
8
DIE REPORTAGE | von Dr. Birgit Rumpel | Fotos: Claudia Siekarski08
Viele Sterne suchen ihren Himmel
9
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Kontaktbörsen gibt es viele: online, offline, per Chat, beim Tanztee oder im Szenemagazin. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bleiben da meist außen vor. Ganz anders ist das bei der Single-Disco der Lebenshilfe, die dieses Jahr mit mehr als 500 Besuchern im Keuninghaus stattfand.
Freitagabend, kurz vor sieben am Keuninghaus in der Nordstadt. Ein Kleinbus nach dem anderen fährt
vor und lädt erwartungsvolle junge und weniger junge Leute aus. Sie freuen sich auf ein besonde-
res Highlight: Die Single-Disco für Menschen mit Behinderung mit dem schönen Titel „Stern sucht
Himmel“.
Seit drei Jahren veranstaltet die Lebenshilfe e.V. Dortmund mit zahlreichen ehrenamtlichen Helfern
einmal jährlich diese Disco, auf die sich viele schon seit Monaten freuen. „Wir bekommen das ganze
Jahr über Anrufe, werden gefragt, wann die nächste Single-Disco stattfindet,“ erzählt Daniela Rolle,
die seit Wochen mit der Organisation beschäftigt ist. Die 29jährige Sozialpädagogin berät bei den
ambulanten Diensten der Lebenshilfe Familien mit behinderten Angehörigen und organisiert deren
Betreuung.
Das Forum des Keuninghauses ist schon gut gefüllt, aufgeregtes Treiben überall. DJ Lars sorgt für
die typischen Discoklänge, Spotbeleuchtung, Discokugeln und herzförmige Luftballons zeigen, wo-
rum es hier geht. Die kleinen runden Tische sind belegt, auf der Tanzfläche tummeln sich die ersten
Tanzbegeisterten. Für fünf Euro Eintritt wird allerdings noch viel mehr geboten als Musik und ein
Freigetränk: organisiertes Flirten. Wer das möchte, bekommt am Eingang einen roten Herzaufkleber
mit der persönlichen Flirtnummer. Weitere Angebote sollen die Partnersuche erfolgreich machen: An
einer Stelle können sich die Besucherinnen schminken lassen, bevor professionelle Fotoporträts für
den persönlichen Steckbrief gemacht werden. Bei Bedarf wird auch beim Ausfüllen des Steckbriefs
geholfen. Neben den üblichen Angaben wie Name, Alter, Hobbys und Interessen werden dabei auch
Fähigkeiten bzw. Einschränkungen abgefragt. Es soll ja alles passen.
Etwas abgelegen vom großen Trubel ist die Flirt- und Kuschelecke eingerichtet. Hier können Flirtwil-
lige ihren Steckbrief an Pinnwänden hinterlassen und/oder auf die Suche gehen. Wer einen interes-
santen Flirtpartner an der Pinnwand entdeckt hat, schreibt ihm oder ihr eine Nachricht. Die Flirtpost
wird von ehrenamtlichen Helfern entgegengenommen, und umgehend erscheint die Flirtnummer des
Adressaten an der großen Projektionswand direkt neben der Tanzfläche. Flirtwillige sind also gut be-
raten, beides nicht aus den Augen zu lassen, jeder hofft natürlich, endlich auch die eigene Nummer
angezeigt zu sehen.
So auch der 43jährige Martin aus Wetter. Er ist schon zum zweiten Mal dabei und hofft, heute eine
Partnerin zu finden. „Letztes Jahr hatte ich schon eine Frau gefunden, die hat mir dann aber ein
anderer Macker ausgespannt,“ bedauert er. Martin lebte einige Jahre in diversen Großstädten auf der
Straße, hat einen Aufenthalt in der Psychiatrie hinter sich und lebt jetzt in einem Wohnheim. „Die
haben mich so gut wieder hingekriegt, jetzt wohne ich in einer Außen-WG mit fünf anderen Män-
nern.“ Wonach er hier Ausschau hält? „Schlank und blond soll sie sein, vielleicht auch mit schwarzen
Haaren, eher ruhig und nicht so hibbelig. Erstmal will ich sie treffen, vielleicht kann sie auch Besuch
bekommen, später dann auch mit Übernachten, aber das muss man erstmal abwarten,“ beschreibt
Martin seine Vorstellungen.
Als nächstes wird er also die Pinnwände sichten, an denen die weiblichen Suchenden ihre Steck-
briefe angehängt haben. Das sind allerdings deutlich weniger als bei den männlichen Steckbriefen.
Wer denkt, dass sich nur Teens und Twens bei der Single-Disco tummeln, irrt gewaltig. Die jüngste
Flirtkandidatin ist 19 der älteste ein 75jähriger HSV-Fan.
10
NEUES VON ROSI | von bodo-Verkäuferin Rosi
Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,
Weihnachten steht vor der Tür. Die
ersten Einkäufe werden schon ge-
macht. Lange genug steht das Weih-
nachtszeug in den Geschäften. Ich
finde es nicht so schön, dass es so
früh in den Geschäften steht.
Was sagen Sie denn dazu, oder was hät-
ten Sie gesagt, wenn der Fußball als
Weihnachtsspitze auf den Baum gekom-
men wäre? Es wäre doch eine Katastro-
phe gewesen. Der Ball hat doch nichts
mit Weihnachten zu tun. Nach der Um-
frage, die gemacht wurde, kommt ja
nun doch der Engel drauf. Auch wenn
wir eine Fußballstadt sind.
Gestern hatte ich auch viel zu tun.
Ich musste unsere Blumenkästen von
draußen reinholen. Etwas hatte der
Frost schon genagt an den Pflanzen,
aber sie sind noch heil geblieben.
Jetzt überwintern sie im Keller. Am
Tag ist es sehr warm, aber nachts auch
schon sehr kalt bis minus 6 Grad.
Haben Sie denn schon für das Weih-
nachtsfest alles gekauft? Wir haben
schon mal die Weihnachtsgans gesi-
chert, denn nachher wird alles teuer.
Ich möchte mich noch für die vielen
Gaben, die Sie mir zukommen ließen,
bedanken. Ich wünsche Ihnen allen
ein frohes Fest, viel Gesundheit, ein
schönes, ruhiges neues Jahr und sage
wie immer: Tschüss, Ihre Rosi
10
Auch in der Flirtecke stehen aufmerksame Helfer bereit, um beim Lesen der Post und beim Zusam-
menkommen der Flirtwilligen zu helfen. „Manchmal stehen sie schon nebeneinander, man muss sie
nur noch zueinander drehen,“ erzählt Alexander Rupprecht, der als Helfer über die Wirtschaftsjuni-
oren hier aktiv ist. In ihrem Ressort „Soziales“ ist die Single-Disco ein fester Termin. „Wir haben das
Projekt damals mit angestoßen, wollten unsere Kompetenz beim Organisieren von Veranstaltungen
einbringen,“ erinnert sich Rupprecht, der hauptamtlich die Geschäfte des Business-Centers eport
Dortmund führt. Nicht nur er hat heute Abend Schlips und Kragen im Schrank gelassen. Etwa 15
Ehrenamtliche aus dem Kreis der Wirtschaftsjunioren engagieren sich vor Ort mit sichtbarem Spaß.
Dazu gehört auch Sonja Dunkel. Die Geschäftsführungsassistentin einer großen Parfümeriekette
bringt nicht nur die Utensilien mit, sondern hat sichtbar Spaß daran, die Besucherinnen zu schmin-
ken. „Man bekommt soviel mehr zurück, wenn man diese glücklichen Gesichter sieht. Die Mädchen
genießen es, während dieser Minuten vor dem Spiegel etwas Besonderes zu sein“. Sonja Dunkel ist
schon zum dritten Mal dabei. „Anfangs musste ich erst lernen, mit den Behinderten umzugehen, sie
sind so offen und viel distanzloser, als man es gewohnt ist, aber sie bringen einen immer wieder
auf den Boden zurück,“ beschreibt die 28jährige ihre Erfahrungen.
Auf der Bühne hat inzwischen die Dortmunder Band „Mid!Live“ den DJ abgelöst, die Tanzfläche ist
jetzt restlos gefüllt. In der Flirtecke haben Corinna (20) und Martin (26) es sich auf dem Kuschelso-
fa bequem gemacht. Grinsend genießt sie es, von ihm neckisch in die Seite gestupst zu werden,
auch er strahlt über beide Ohren. Sie haben sich über die Flirtpost gefunden und sogar schon ge-
küsst. Da wollen wir lieber nicht stören.
„Was nach der Veranstaltung aus den Pärchen wird, wissen wir ja nicht,“ erzählt Daniela Rolle. „Für
manche ist es schwierig, sich regelmäßig zu treffen oder auch nur zu telefonieren, das geht oft nur
mit Betreuern.“ Allein die Gelegenheit zu haben, auf Partnersuche zu gehen, ist für viele Besucher
schon ein besonderes Ereignis, das sie sonst kaum finden. Kein Wunder also, dass die Single-Disco
ein echtes Zugpferd unter den Veranstaltungen der Lebenshilfe ist. Und die beste Nachricht zum
Schluss: Der Termin für nächstes Jahr steht auch schon fest, es ist der 14. September 2012, auf den
man sich schon wieder freuen kann. (biru)
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KULTUR | von Marcus Preis | Foto: Claudia Siekarski
Wer spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag die Nase voll hat von Kokosmakronen und La-metta und den kleinen Lord schon auswendig kann, der bekommt im Sissikingkong in Dort-mund eine echte Alternative geboten: Die „To-tal Paranormal“-Weihnachts-Zauber-Show. Hier sollen Tannenbäume schweben und die Zukunft wird aus Bratäpfeln gelesen. Haben wir gehört. bodo bekam vorab eine Privatvorführung.
Wir stehen vor verschlossener Tür, die Kneipe, in
der wir uns mit der Zaubertruppe zum Frühstück
treffen wollen, hat dicht: Ruhetag. Es ist Novem-
ber, draußen ist es um diese Uhrzeit zu kalt. Kur-
zerhand bekommen wir Asyl in einem Seminarraum
im Kommunikativen Bildungswerk KOBI direkt über
der Kneipe. Naja, ein eher nüchternes Ambiente für
ein Künstlerinterview, denke ich zunächst. Dem Ort
entsprechend bilden wir einen Stuhlkreis, zwei der
vier Zauberkollegen sind noch nicht da.
Seit 2006 gibt es die Combo, damals war das
jüngste Mitglied „Magic Kid“ gerade mal 14 Jah-
re alt. Heute tritt er unter seinem bürgerlichen
Namen auf: Marc Weide. Im Gegensatz zu seinem
Kollegen Grobi, Grobilyn Marlowe: Polnischer Vor-
name – irischer Nachname klärt er uns auf. „Aber
bei der Show bin ich ,Kotelett Schabowski‘ aus
,Ost-Ostekiskan‘. Das liegt hinter dem ,Oralgebir-
ge‘.“ Seine Kunst nennt er „TrashMagie“ verbun-
den mit Mentalmagieeffekten: „Ich finde z.B. ein
Wort, welches ein Zuschauer sich gemerkt hat, und
auf dem Weg dahin passieren komische Sachen, da
explodiert dann mal was.“ Marc macht „allgemei-
ne Magie mit Vortrag“, fachmännisch ausgedrückt:
„Ich rede sehr viel und beziehe das Publikum mit
ein; ich bin nicht so der ernste Künstler, das würde
mir auch keiner abkaufen.“
Nun sind auch die beiden anderen Kollegen im
Stuhlkreis angekommen. Der eine stellt sich vor
als „Pille“. Schon wieder so ein komischer Name,
denke ich. Olli Pilsner ist der Kartenhai. Künstler-
name „Der große Pilloso“. Mario Schulte kommt
ohne Künstlernamen aus, er hält als Moderator das
Programm zusammen, aber natürlich nicht ohne
Zaubertricks, versteht sich. Alle vier sind auch
solistisch unterwegs: „Wir treten überall auf, von
Gala bis zur Entzugsklinik – das Publikum funkti-
oniert immer.“
Das Programm verändert sich ständig, laufend
werden neue Tricks ausprobiert. Und als wenn
das Quartett nicht schon genug wäre, laden
Total Paranormal Plötzlich explodiert da mal was
12 ZUM HAARE RAUFEN | von Nina Mühlmann
Ich interessiere mich für Wirtschaft, das ist neu.
Nicht die Wirtschaft, sondern mein Interesse.
Als Tochter eines Bankers musste ich mich bisher
nicht darum kümmern. Sie schien etwas zu sein,
das ständig und stetig weiter wächst, Punkt.
Neuerdings lese ich engagiert die Wirtschaftstei-
le der Zeitungen. Schlagzeilen sind mit Fragezei-
chen versehen. Die sonst so vor lauter Potenz und
Ausrufezeichen strotzende Ökonomie scheint am
Ende mit ihrem Latein. Wechselt dennoch nicht
in liturgische Hoffnungsgesänge, um den Abge-
sang auf den Kapitalismus zu übertönen. Schreibt
weiter Zahlen, mit Minuszeichen vor lauter Un-
summen von kaum zählbaren Nullen. Meine Lei-
denschaft für Zahlen und das Rechnen wächst
synchron zu meinem Wirtschaftsinteresse. Als
Künstlerin arbeitete ich immer schon gerne auf
der Schwelle von Realität und Fiktion. Präziser
formuliert steht die ganze Angelegenheit also
hoch bei mir im Kurs. Wenn mein Wirtschafts-
und Zahleninteresse eine Aktie wäre, würde dies
zur Marktstabilisierung beitragen. Wenn ich in
den Nachrichten höre, dass Italien Eintausend
Milliarden Euro Neuverschuldung aufnehmen
muss, werden die sich dahinter versteckenden
einzelnen Zahlen für mich erst sichtbar, wenn ich
sie notiere: 1.000.000.000.000.
Das Malen der Zahlen, vor allem der Nullen, hat
für mich aufgrund der Rundungen eine beruhi-
gendere Wirkung als ein großflächiges Manda-
la. Diese meditative mathematische Beschäf-
tigung scheint mir eine geeignete Prävention
gegen das Burnout-Syndrom zu sein. Wenn ich
auf diese Art, als Teil dieses Wirtschaftssys-
tems, zwischenzeitlich innehalte, droht mir
sicherlich nicht so schnell, wie dem System
selbst, das komplette Erliegen.
Dennoch bedeutet dies nicht das Ende des Ka-
pitalismus, der Marktwirtschaft oder der Parole
„Geld regiert die Welt.“
Denn so zeigt uns „alle Jahre wieder“ das bevor-
stehende Wiegenfest vom Christuskind wie auch
fortlaufend die roten Zahlen, die die Staaten
schreiben: Religionen haben eine unbändige
Kraft und Wirkungszeit. Etwas, das gar nicht mehr
unter uns weilt, zu existieren aufhört, ist trotz-
dem immer irgendwie da und unter uns. So ist es
mit Christus und so ist es mit Geld. Von daher:
frohe Festtage allen Gläubigen, Nicht-, Un- oder
Andersgläubigen und all unseren Gläubigern! (nm)
Oekonomia nervosa in spiritus sanctus
13
die Jungs immer noch andere Gastkünstler in ihre
Show ein, oder der ein oder andere bringt seine
persönliche Assistentin mit. Klar, was ist schon ein
Zauberer ohne seine Assistentin. „Petranowa Pet-
ranowcic“ z.B. macht dann die singende Säge, oder
„Miss Schweden 1974“ kommt extra aus Skandina-
vien angereist. Übereifrige Zuschauer sollen schon
mal behauptet haben, einen Kerl im Fummel gese-
hen zu haben. Eine Massenhypnose ist am Abend
ebenso wenig ausgeschlossen wie die Taufe eines
Schweins.
Kaum zückt die Fotografin in unserem Seminarraum
ihr Arbeitsgerät, hält die Zauberer nichts mehr im
Stuhlkreis. Aus der Tasche erwacht ein Waschbär,
kleine rote Bälle erscheinen und verschwinden
wieder, Flaschen beginnen zu rauchen und Spiel-
karten werden ausgekotzt (entschuldigen Sie die
Ausdrucksweise, aber das nennt man so). Naja, so
lange es nur Karten sind und nicht der Weihnachts-
braten... (mp)
INFO
Total Paranormal – die Weihnachtsshow
am 26. Dezember 2011, 20 Uhr
Sissikingkong, Landwehrstraße 17, 44247 Dortmund
bodo velost 1 x 2 Karten (s.S. 21)
13WILDE KRÄUTER | von Wolfgang Kienast
In Geschichten tauchen sie noch auf. Ich
finde Hühner prima, habe ein Faible für
schwarzen Humor, und bei den Erzäh-
lungen, die sich ums Federvieh ranken,
kommt beides oft zusammen. Wie der
Marder sie geholt und der Milchmann
überfahren hat, wie sie schneeblind den
Weg zurück in den Stall nicht mehr fan-
den, und niemals darf der Klassiker feh-
len, der, wie sie orientierungslos über
den Hof gekugelt sind, sternhagelvoll
von versehentlich ins Futter geratenen
aufgesetzten Früchten.
Der Aufgesetzte. Eine hochprozentige
Methode, Aromen des Sommers in den
Winter zu retten. Ein Ressort, auf das
sich vor allem die Alten im Dorf verstan-
den. Vererbte Rezepturen wurden in ge-
selligen Runden auf Wirkung und Würze,
auf Leber und Milz hin geprüft. Schwar-
zer Johannisbeer. Sauerkirsch. Von ge-
heimen Zutaten wurde gemunkelt.
Als Königsdisziplin galt der von den
Schlehen. Schon deshalb eine Ausnah-
me, weil hier Winteraromen eingelegt
werden: 250 g Schlehen (nach dem ers-
ten Frost gesammelt), 1 aufgeschnittene
Vanilleschote, 2 Zimtstangen, 4 unge-
schälte Mandeln und 1 Handvoll Rosinen
mit 0,7 l Wodka übergießen und sechs
Monate in einem verschlossenen Glas
ruhen lassen. Abfiltern. Dann aus 150 g
braunem Zucker und 250 ml Wasser einen
Sirup bereiten, zur Flüssigkeit geben und
weitere sechs Monate warten.
Zur Halbzeit gibt es eine Belohnung,
wenn Sie die rausgefischten Wodka-
schlehen mit 100 g Rohrzucker in 500 ml
trockenen Sherry legen, das Ganze über
zwei Wochen ab und an schütteln und
schließlich filtrieren. Ein ganz vorzügli-
ches Kollateral-
getränk. (wk)
wildkraeuter.bodo/12_schlehe/„Oh du schöner Wehehesterwald...” Unver-
meidliche Wanderfolklore, sie bei sonn-
täglichen Ausflügen anzustimmen, ließ
mein Vater sich nicht nehmen. Alle sangen
mit. In der Kindercrew hatte niemand ei-
nen Schimmer, was genau ein Westerwald
ist. Ich reimte mir Wester auf Winnetou
und Old Shatterhand und war zufrieden.
Das Unbekannte nährt Illusionen. So lässt
sich auch die ungebrochene Nachfrage in
Sachen Liebe-, Lust- und Landluftjourna-
lismus erklären, als deren Folge der Zeit-
schriftenhandel sein Regalsystem umbau-
en musste. Ähnliches gelang zuvor mal
den Computermagazinen.
Ich kenne mich mit Land besser aus.
Meine Biografie. Zwar wird man mich im
Pott so schnell nicht mehr los, und hö-
ren Sie mir bloß auf mit Berlin, geboren
und aufgewachsen aber bin ich in einem
Sechshundertseelendorf in sauerländer
Randlage, Sehnsuchtsort schon damals
in gewissen Kreisen. Herr O. zum Beispiel
beschritt den entgegengesetzten Weg.
Ihn zog es, der Ruhe wegen, raus aus der
Stadt und mitten rein in die Region, in
welcher angeblich Fuchs und Hase sich
eine Gute Nacht zu sagen pflegen. Es dau-
erte nicht lang, da prozessierte er gegen
einen Landwirt in unmittelbarer Nähe
seines neuen Domizils. Der Hahn krakeele
täglich früh und ausgesprochen laut. Herr
O. gewann. Bei der Dorfgemeinschaft war
er fortan und für alle Zeiten durch.
Inzwischen hat sich vieles geändert. Häh-
ne, vermuten meine Eltern, würde es mitt-
lerweile auch aus anderen Gründen nicht
mehr geben; weil es auch keine richtigen
Bauern mehr gäbe, die machten jetzt alle
in Pony und Pferd. Selbst Hühner, solche
mit ausreichend Platz zum Scharren, Pi-
cken, Staubbadneh-
men und mal etwas
Fliegen, seien sel-
ten geworden.
14
„Wir werden immer größer, jeden Tag ein Stück.“ – Ganz so wie im Kinderlied ist es nicht, tatsächlich ist 2011 jedoch ein beson-deres Jahr für bodo: Noch nie waren so viele Menschen in unseren Räumen am Dortmunder Hafen beschäftigt. Von hier aus bringen wir Menschen in Wohnungen, beraten und helfen. Hier bilden wir selbst aus und qualifizieren oder vermitteln in Ausbildung und Arbeit. Weil Sie unser Straßenmagazin kaufen, uns Bücher und Hausrat bringen, in unseren Läden ein-kaufen und unser Transport-Team beauftragen, können wir so vielen Menschen eine Perspek-tive geben.
bodos Bücher: Menschen auf den Weg bringen
„Allein auf weiter Flur“ ist lange her. Heute drän-
gen sich an manchen Tagen zehn MitarbeiterInnen
in den Büros, in denen wir noch vor zwei Jahren
zu zwei oder zu dritt waren. Wachstum bei bodo
bedeutet natürlich etwas anderes als in den Bör-
sennachrichten. Mit steigenden Einnahmen – zum
Beispiel in unserem Projekt Buch – steigt nicht
unser Gewinn, sondern es verbessern sich die Mög-
lichkeiten, noch mehr Menschen eine Perspektive
zu geben. Inzwischen koordiniert mit Suzanne Prä-
kelt eine gelernte Buchhändlerin mit Ausbildungs-
befugnis ein Dutzend MitarbeiterInnen.
Zum Beispiel Gordon Smith. Vor zwei Jahren baten
wir unsere Leserinnen und Leser um Unterstüt-
zung. Mit Gordon hatten wir über das Netzwerk
Nachsorge („nado“) einen Mitarbeiter gefunden,
der viel von dem mitbrachte, was Unternehmen
heute suchen: Perfekte Zweisprachigkeit, hervor-
ragende Computerkenntnisse, eine leise, freundli-
che Art, Engagement. Was ihm fehlte: Zwölf Jahre
in seinem Lebenslauf. Mit einer Anschubfinanzie-
rung der bodo-Leserschaft stellten wir Gordon als
Vollzeitkraft ein, gefördert durch das Programm
Jobperspektive. Die Förderung ist ausgelaufen –
Gordon bleibt bei uns. Er betreut den Bereich der
antiquarischen Bücher, in dem er sich ein beein-
druckendes Fachwissen erarbeitet hat, und betreut
– dankenswerter Weise – unser EDV-Netzwerk.
Dass Mitarbeiter dauerhaft bei uns bleiben, ist
jedoch nicht die Regel. Ziel in allen Projekten ist
es, Menschen Möglichkeiten zu eröffnen und sie
bei den nächsten Schritten zu begleiten, ob das
die eigene Wohnung ist oder der erste Arbeits-
markt. Dabei fallen Abschiede oft schwer. Auch
Lothar Schöps kam über die „nado“ zu uns und
hat uns im September verlassen. Er schreibt uns:
„Hallo liebe bodo-Freunde, ich habe vor über ei-
nem Jahr mal ein Praktikum bei bodo gemacht,
und von da an hatte ich so etwas wie eine zwei-
te Familie in einer mir damals fremden Stadt.
(…) Mir wurde die Chance gegeben, wieder eine
Struktur in mein Leben zu bringen. Mit viel Ein-
fühlungsvermögen haben die bodos mir zurück
geholfen: Ich habe einen Weg eingeschlagen, den
ich für unerreichbar gehalten habe, ich mache
eine Umschulung zum Bürokaufmann. Danke, dass
ich Euch ein Stück vom Weg begleiten durfte.“
Stolz sind wir auch auf unsere beiden Auszubil-
denden. So stolz übrigens, dass sie in diesem
Monat unseren Titel zieren. Stefanie Sievers
und Sandra Gehring machen ihre Ausbildung zur
Verkäuferin, Steffi im zweiten, Sandra im ers-
ten Lehrjahr. bodo ist Kooperationsbetrieb und
übernimmt die Praxis der Ausbildung, die wie bei
allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bereichs-
übergreifend funktioniert. Steffi war maßgeblich
an der Neugestaltung des Verkäufercafés betei-
ligt, gemeinsam mit Sandra zeichnet sie Ware im
Second-Hand-Laden aus, betreut Verkäuferinnen
und Verkäufer des Straßenmagazins, bearbeitet
Buchbestellungen und berät Kunden.
Bei aller Vielseitigkeit ist es vor allem der Buch-
laden in Dortmund, den Steffi und Sandra „im
Griff“ haben. Gegenüber neuen MitarbeiterIn-
nen, ob in Praktikum, Einstiegsqualifizierung
oder Zuverdienst, sind sie genauso hilfsbereit
wie bei Buchkunden oder neuen Verkäuferinnen
und Verkäufern des Straßenmagazins. Besuchen
Sie die beiden und ihre KollegInnen einmal in
unserem Buchladen (und nehmen Sie den Ein-
kaufsgutschein von Seite 18 mit).
bodo Transport: Ich will und ich kann
Es gibt wirklich viel zu tun: 250 Aufträge in die-
sem Jahr – Transporte, Umzugshilfen, Wohnungs-
auflösungen. Dazu eine Kooperation mit dem CJD:
Der Umbau von Süd- und Nordtribüne für jedes
Champions-League-Spiel des BVB – eine harte
Arbeit, die aber mindestens so stolz macht wie
ein reibungslos abgeschlossener Umzug. Und zu
guter Letzt: Die vielen Aufträge von bodo selbst,
ob Renovierungsarbeiten, Transporte oder die Be-
lieferung der zusätzlichen bodo-Ausgabestellen.
Auch hier geht es darum, Menschen zu begleiten,
ihnen Hindernisse aus dem Weg zu räumen und
ihnen neues Zutrauen in sich selbst zu geben. Wer
bei uns morgens pünktlich um Viertel vor acht sei-
nen Kaffee in der engen Küche trinkt, um danach
NEUES VON BODO | von Bastian Pütter und Sebastian Sellhorst| Fotos: Claudia Siekarski14
Viele gute Geschichten unter einem Dachbodo blickt auf ein erfolgreiches Jahr und plant den nächsten Schritt
15
Das Straßenmagazin – Lesen ist helfen
Das Lied vom Immer-größer-Werden passt beim
Straßenmagazin bodo vor allem geografisch.
Während wir z.B. in Witten noch nach Partnern
suchen, haben wir bereits jetzt mit neuen Ausga-
bestellen in Herne und Unna, fünf Öffnungstagen
in Bochum und einer 7-Tage-Versorgung in Dort-
mund eine bessere Abdeckung denn je.
Mit Oliver Philipp haben wir einen neuen Mitar-
beiter, der den Vertrieb der Zeitung koordiniert.
Dabei geht es jedoch um weit mehr als um die
Frage, wie Zeitungsstapel von A nach B kommen.
Es sind vor allem die Probleme unserer Verkäufe-
rinnen und Verkäufer, deren Olli sich annimmt.
Ämterfragen, Beratungstermine, die Koordinati-
on der Verkaufsplätze und die Kontakte in die
Hilfenetzwerke in immerhin vier Städten. Nicht
zuletzt wirbt Olli auch bei Menschen auf der
Straße, den kalten Platz auf dem Boden gegen
die rote bodo-Jacke einzutauschen: „Wir freuen
uns über jede neue Verkäuferin und jeden neu-
en Verkäufer. Wer arm oder wohnungslos ist und
bereit, sich an unsere Regeln zu halten, ist uns
herzlich willkommen.“
loszufahren und schwere Schränke oder ganze
Stadionsitzreihen zu heben, der zeigt zweierlei:
Ich will und ich kann. Manchmal reicht allein das,
um zukünftige Arbeitgeber zu überzeugen: Wie
bei Kai aus Bochum, der über die Aushilfe in unse-
rem Second-Hand-Laden zum Transport-Team kam
und darüber zuletzt in eine unbefristete Stelle im
ersten Arbeitsmarkt. (Herzlichen Glückwunsch!)
Nicht immer geht es so reibungslos. In jedem Fall
hilft aber der Einsatz unserer Zuverdienstler, sich
selbst und auch dem Jobcenter zu zeigen, dass
sich jemand mit der „Diagnose“ Langzeitarbeits-
losigkeit nicht abgefunden hat.
Oder die Alternativen zum Leben auf der Straße
prüft: Olli, Tobi und „Blümchen“ sind drei neue
Mitarbeiter im Team von Michael Tipp. Tobi ist 27,
stammt aus Flensburg und hat dort eine Lehre als
Bäcker abgeschlossen. Nach diversen Jobs bei un-
terschiedlichen Zeitarbeitsfirmen war er auf dem
Weg nach Spanien, bis er in Dortmund hängen
geblieben ist. Die letzten zwei Jahre hat er auf
der Straße verbracht. Inzwischen hat er wieder
eine eigene Wohnung. Wie lange noch, da sei er
sich noch nicht sicher. „Aber es ist schon super,
wenn du eine Tür hast, die du hinter dir zumachen
kannst“, erzählt er.
Auch „Blümchen“, dem Dritten im Bunde, ist es
ähnlich ergangen. Als sein Ausbildungsbetrieb
in Konkurs ging, konnte er seine Lehre als Gas-
und Wasser-Installateur nicht abschließen und
bekam seine bereits abgeleistete Ausbildungs-
zeit nicht angerechnet. Entmutigt von diesem
Rückschlag fehlte die Kraft für einen zweiten
Anlauf und er landete auf der Straße. Nach fast
fünf Jahren Obdachlosigkeit wohnt er jetzt bei
seiner Freundin.
Natürlich habe die Arbeit bei bodo auch negative
Seiten. „Wenn du ‘nen Keller entrümpelst, der so
richtig vermodert ist, dann ist das schon wider-
lich“, klagt er. Aber solche Aufträge seien nicht
die Regel und das Arbeitsklima würde vieles auf-
wiegen. „Die Leute hier sind schon alle ganz cool,
und finanziell lohnt es sich auch.“
Die Frage, was sie sich für ihre Zukunft wünschen,
beantworten die drei ironisch: „Ein Haus, fünf
Kinder und mich reich arbeiten bei bodo“, heißt
es da mit einem Augenzwinkern. Doch wenn die
drei auch an ihrem freien Tag auf einen Kaffee
bei bodo vorbeischauen, macht es den Anschein,
als wäre die Arbeit vielleicht ein bisschen mehr
als der Nebenjob, bei dem man sich ein paar Euro
dazu verdient.
15
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16
Die Geschichten unserer zur Zeit knapp 90 Ver-
käuferinnen und Verkäufer könnten Bände füllen.
Für manche ist jeder Tag ein Kampf. Sie wissen
morgens nicht, wo sie abends schlafen oder wie
sie über den Tag kommen. Im letzten Jahr noch
schlief René im bitterkalten Dezember unter dem
Stahlgerüst des monströsen Dortmunder Weih-
nachtsbaums, während die Glühweinstände sich
leerten, wenn die Gäste dort kalte Füße bekamen.
Für andere ist das Straßenmagazin eine Stütze und
Bedingung ihrer Stabilisierung. Wieder eine Woh-
nung zu haben kann auch heißen, dass einem die
Decke auf den Kopf fällt. Viele unserer ehemals
obdachlosen Verkäuferinnen und Verkäufer bleiben
bei uns, um einen Halt zu haben, den Kontakt zu
ihren Kundinnen und Kunden und zu uns.
Frank war obdachlos und verlor auf der Straße
durch einen schweren Unfall beide Unterschen-
kel. Er kämpfte sich zurück ins Leben, und wer
ihn heute sieht, würde ein solches Schicksal nie
vermuten. Frank bewegt sich mit seinen Prothe-
sen beinahe uneingeschränkt, hat eine Wohnung
und einen Hausmeisterjob, und samstags trifft er
seine Stammkunden in der Wattenscheider Fuß-
gängerzone, „denn die warten doch auf mich“.
Und die paar Euro kann er auch ganz gut gebrau-
chen, denn für die Zuzahlung zum Zahnersatz
reichte es nicht. Als er im Interview erzählte, dass
er seine lose Zahnprothese – ganz Heimwerker – re-
gelmäßig mit Sekundenkleber befestige, meldeten
sich mehrere Leserinnen und Leser, mit dem Ergeb-
nis, dass Frank inzwischen wieder lächeln kann.
Wir sollen uns ganz herzlich bei allen auch hier im
Heft bedanken, hat er uns eingeschärft.
Bei anderen, wie unserem wohl bekanntesten Dort-
munder Verkäufer Günter, kommt plötzlich Bewe-
gung in die Arbeitsbiografie. Auch er kann heute
noch seinen Schlafplatz unter einer Kanalbrücke
zeigen, hat aber längst eine Wohnung und ist ver-
heiratet. Nur wirklichen Erfolg bei der Jobsuche
hatte er nicht – die Lücke im Lebenslauf war zu
groß. Seit zwei Monaten arbeitet Günter bei dem
großen Buchversender, der in Werne ein neues La-
ger errichtet hat. Die in der Tagespresse kritisier-
ten Ausbeutungsvorwürfe kann er zwar bestätigen,
doch was für ihn zählt, ist die Chance, wieder an-
zukommen im Berufsleben. Sein Vertrag ist befris-
tet, und noch lässt er sich seine bodo-Runde nicht
nehmen. Wir jedenfalls drücken die Daumen...
Einer der Jüngsten bei uns ist Matthias, 21, der im
letzten Jahr aus einer Drückerkolonne floh und auf
der Straße landete. Er rutschte in die Drogensze-
ne ab und kam irgendwann zu uns. Er bekam erst
einen Platz in einem Wohntraining, später in einer
Maßnahme, in der er Autos restauriert. Jeden Tag
nach Feierabend kommt er nun zu uns auf einen
Kaffee und hilft bei der Post oder im Buchladen.
Abends geht er manchmal noch für eine Stunde das
Straßenmagazin verkaufen. Denn aus seiner Drück-
erzeit ist noch ein Bußgeld offen. Und das möchte
er so schnell wie möglich abbezahlen.
Mit Ihrer Hilfe gemeinsam weiter –bodo zieht um
Längst ist der Verein mit seinen Arbeitsbereichen
und all seinen Geschichten aus den alten Räumen
am Hafen herausgewachsen. Wir teilen uns Schreib-
tische im „Schichtdienst“, telefonieren auf dem Flur
und halten Dienstbesprechungen im Stehen ab.
Es ist jeden Tag schön zu sehen, wie wir die un-
terschiedlichsten Menschen unter einem Dach
versammeln und Übergänge schaffen statt zu tren-
nen. Doch dieses Dach ist inzwischen zu klein.Dazu
kommt, dass wir inzwischen den Eindruck haben,
es uns und anderen unnötig schwer zu machen mit
unserer Randlage ohne Parkplätze vor der Tür.
Wir möchten umziehen in Räume, die unsere Ver-
käufer zu Fuß erreichen können. In Räume, die für
unsere Kunden, Spender und für alle Interessier-
ten offen stehen, in denen man und frau einfach
mal vorbeischaut, Bücher bringt oder kauft, Fra-
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NEUES VON BODO | von Annalena und Katharina Schneider | Foto: Claudia Siekarski
Jedem tut es gut, gelobt zu werden, aber hier haben wir stellenweise schon rote Ohren be-kommen. Die Schülerreporterinnen Annalena und Katharina Schneider über uns und ihren Besuch bei uns im Dortmunder Norden. Vielen Dank!
Es ist mal wieder Zeitungszeit an Dortmunder
Schulen, und ganz in diesem Sinne haben wir,
die Klasse 9c des Stadtgymnasiums Dortmund,
gemeinsam mit Herrn Pfennig und Frau Kohn die
Redaktion der Straßenzeitung „bodo“ besucht.
Redakteur Sebastian Sellhorst hat den bodo-
Buchladen für uns umgekrempelt, dreißig Stühle
aufgestellt und zwei Stunden lang Rede und Ant-
wort gestanden. Unser erster Eindruck: So enga-
giert bodo im Stadtbild auftaucht, so engagiert
sind auch die Mitarbeiter in der Redaktion.
bodo ist das Straßenmagazin im Raum Bochum
und Dortmund, das Besondere an dieser Zeitung
ist ihr soziales Engagement, denn bodo steht für
Hilfe. Das Straßenmagazin unterstützt hilfsbe-
dürftige Menschen in vielerlei Art. Insbesondere
in finanzieller Hinsicht, aber auch wenn jemand
nur mal ein offenes Ohr braucht, ist bodo da und
hört zu. Außer dem Straßenmagazin gibt es je-
Die 9c des Stadtgymnasiums Dortmund zu Besuch bei bodo
doch noch andere Projekte, welche vom bodo e.V.
seit Mitte der 1990er Jahre ins Leben gerufen wur-
den. Durch eine Buchhandlung, ein Umzugsunter-
nehmen sowie einen Second-Hand-Laden wurden
bereits eine Reihe Arbeitsstellen geschaffen.
bodo gibt Menschen, die sich in schwierigen Le-
benssituationen befinden, eine Chance, wieder in
die Gesellschaft zurückzufinden und sich ein neu-
es und geregeltes Leben aufzubauen. Sebastian
Sellhorst berichtete uns über das Konzept: Jeder
neue Verkäufer bekommt ein Startpaket von zehn
bodos geschenkt. Danach kann er neue bodos zu
einem Preis von 90 Cent pro Stück erwerben, um
diese weiterzuverkaufen. Mit dieser Anschub-
finanzierung haben sich schon viele Verkäufer
langfristig eine Perspektive erarbeitet.
Durch den Kontakt zu anderen Menschen lernen
Obdachlose sich wieder einzufügen, ihre Prob-
leme selbst in den Griff zu bekommen, sich an
Regeln zu halten und erhalten die Bestätigung,
nützlich zu sein. Dieses System war schon für
viele ein Start in ein neues Leben. Neben dem
Verkauf des Straßenmagazins schafft bodo e.V.
in weiteren Beschäftigungsprojekten Stellen für
Langzeitarbeitslose und Menschen in sozialen
Schwierigkeiten, die so zurück in ein normales,
geregeltes Leben mit Wohnung und materieller
Eigenständigkeit finden.
bodo unterscheidet sich nicht nur durch ihr so-
ziales Engagement von anderen Zeitungen. bodo
ist gemeinnützig und setzt nicht auf Gewinnma-
ximierung und Auflageninflation, sondern auf
journalistische Präzision. Die Artikel sind um-
fassend und informieren mit „ansprechenden,
ausführlichen Artikeln, begleitet von journalis-
tisch überzeugenden Fotos”, so ein Schüler der
Klasse. Die Hauptthemen sind Kultur, Soziales
und Lokales.
Auch berichten die Journalisten über ,,unbeque-
me” Themen in den Städten, über die man sonst
nur zurückhaltend informiert wird: „bodo ist also
ein Teil einer Gegenöffentlichkeit, es ist die Stim-
me derer, die nicht gehört werden“, erzählte uns
Sebastian, „und gerade diese Unterschiede zeigen
die hohe Bedeutung von bodo für Dortmund und
Bochum.” So hat dieser Ausflug uns in eine andere
Welt des Journalismus geführt, einen engagierten
Journalismus – Das Gespräch zeigte, dass unser
erster Eindruck sich bestätigt hat.
(Annalena und Katharina Schneider)
Der Blick von außen
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Wollen wir es nicht verschweigen:
Wäre dieses Buch nicht von unse-
rem Illustrator Volker Dornemann
gestaltet worden, wäre es mir
kaum in die Hände gefallen. Ein
illustriertes Geschichtsbuch von
einem Fernseh-Comedian? Und
dann noch mit einem so national
trötenden Titel? „Wir sind wieder
wer“ mit eingespielten Lachern?
Mal langsam. Dieses Buch taugt we-
der zur schwarzrotgeilen Deutsch-
länder-Erbauung noch ist es ein Abklatsch öder TV-Sketch-Formate. Die-
ses Buch ist total bekloppt. Und das mag ich.
Herr Hoëcker (nur echt mit dem Trema über dem e, der Diärese wegen –
entschuldigen Sie bitte) und Herr Dornemann erzählen die Geschichte
Mitteleuropas bzw. „der Deutschen“, wie es seit Guido Knopp wieder
heißt, als einigermaßen irre Improshow.
Heinrich IV. findet mit google maps nach Canossa, Martin Luthers Wirken
fließt ein in verblüffend authentische Wilhelm-Busch-Verse und -Illus-
trationen, die komplexen Feld- und Winkelzüge des 30jährigen Krieges
werden als atemlose Fußballreportage berichtet und die 1848er Revolu-
tion als Comic-Castingshow. Der Studienrat windet sich – oder er findet
Spaß an dem durchgeknallten Geschichtskurs, der immer so wirkt, als
würden die beiden Autoren die Regieanweisungen aus dem Publikum
zugeworfen bekommen: Das Leben Friedrichs der Großen in Briefen an
Mama („Küsschen, Dein Kartoffel-Fritzi“) und das Wirken des Otto von
Bismarck anhand der Statusmeldungen auf dessen Facebookseite. Natio-
nalsozialismus, Wiedervereinigung – alles dabei.
Ja, das ist total bescheuert. Aber es macht einen Riesenspaß. Und dank
der zwischengeschalteten Zeittafeln und der zwischen all den Irrsinn
reichlich gestreuten Fakten kann wer will sogar etwas lernen. Muss aber
nicht. In jedem Fall bleiben hundert skurrile, auch mal doofe oder schrei-
end komische Ideen, ein kurzweiliger Ritt durch die Jahrhunderte und
die Erfahrung auch für jüngere Leser, dass Geschichte alles ist – nur
nicht langweilig. (bp)
Geschichte beklopptEs gibt Klappentexte, die tatsächlich
verblüffen: „Feridun Zaimoglu wen-
det sich in seinem neuen Roman einer
Region zu, die deutscher kaum sein
könnte: dem Ruhrpott, Industriebra-
che im Wandel zur Dienstleistungs-
region.“ Wer sich davon erholt hat,
sieht den Autor dahinter lächeln. Als
ein Kenner der deutschen Romantik
mag der Kieler Zaimoglu das Kippbild
und den Schwebezustand genauso
wie die große (Herzens-)Geste. Das
Klappentext-Geklingel seines Verla-
ges wird ihm daher gefallen: „Liebe, Trauer und Vergeltung im Ruhrpott
– eine deutsche Saga“, so wird sein neues Buch beworben.
Natürlich stimmt das und es stimmt nicht. „Ruß“ ist nicht der große
Ruhrgebietsroman, wie auch. Und deutsch im Komparativ ist schief, doch
es klingt die Zuwanderungsgesellschaft BRD mit und ist noch in anderer
Hinsicht wahr: In Zaimoglus Duisburger Geschichte taucht kein Ruhrorter
Türke und kein Hochfeld Rom auf.
Zaimoglu hat es nicht nötig, sich an einem Panorama zu verheben. Er
zeigt einen Ausschnitt, einen Splitter dieses Ruhrgebiets. Es geht um
Renz, den ehemaligen Arzt, der sich nach der Ermordung seiner Frau im
Duisburger Kiosk seines Schwiegervaters verschanzt, ein Gescheiterter
unter Gescheiterten. Als ihm die Idee der Rache zufällt, beginnt eine
Art Krimi und das Roadmovie eines Traumatisierten, in dem nichts so
eindeutig ist und in dem die Versionen der Geschichte konkurrieren.
Selbst das Milieu „anne Bude“ ist so scharf gezeichnet wie künstlerisch
überformt. „Authentisches“ Sprechen – was ist das eigentlich – und wort-
gewaltige dichterische Ausbrüche wechseln sich ab. Schon in Zaimoglus
frühen Romanen Kanak Sprak, Abschaum und Koppstoff war die mitnotierte
Ghettosprache eher wahr als echt. Und seit er in seinen letzten Romanen die
Märchen- und Schauerromantik heimholte, ist ihm gar nicht mehr zu trauen.
Umso spannender ist die Lektüre. Wer heimeliges Ruhrpotteinverständ-
nis sucht oder Antworten auf die Frage nach der Zukunft der Region,
ist hier falsch. Ruß ist eine vielschichtige, so präzise wie schillernde
Geschichte, die bei uns spielt. (bp) bodo verlost 2 Exemplare (s.S. 33)
Liebe, Trauer und Vergeltung?
LITERATUR | gelesen von Bastian Pütter18
BÜCHERGUTSCHEIN | ZWANZIG PROZENT | AUF ALLE BÜCHER IN BODOS ANTIQUARIAT | IM DEZEMBER |
GUTSCHEIN MITBRINGEN | RUMSTÖBERN | KAUFEN | MALLINCKRODTSTR.270 | DORTMUND | MO – FR | 11 – 18 UHR
schafft Chancenbodo
Bernhard Hoëcker, Volker Dornemann Feridun Zaimoglu
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Literatur
Milena MoserRoger WillemsenAxel HackeSibylle BergWladimir Kaminer
Fotografien von Andre Noll
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nun mal nie gut. „Ach was, Humbug“, hat ihre Mutter gesagt, „Kate Moss war doch auch schon in der Klinik! Naomi Campbell!“ Corinne nimmt einen Nussgipfel aus einer anderen Tüte und beißt ab. Nie mehr hungern, denkt sie. Egal, was sonst kommt. „Kommt ja jede Stunde einer“, sagt der Schaffner, und erst versteht sie nicht, was er meint. Hat sie laut gedacht? Jede Stunde was? Ein Nuss-gipfel? Ein Zug natürlich. „17.48 der nächste“, sagt der Schaffner etwas lauter. Das löst die Starre. Co-rinnes Füße setzen sich in Bewegung. Tragen sie aus dem Bahnhofsgebäude hinaus und auf die Stra-ße. Da ist ein Fluss. Eine Brücke. Corinne kennt Zürich nicht. Nur Paris und das Dorf, in dem sie aufgewachsen ist.
Vielleicht ist das das Problem, denkt sie. Dass ich Zürich nicht kenne. Und sie heftet ihren Blick auf den schmutzigen Gehsteig, als bildeten die Flecken der ausgespuckten, f lachgetretenen Kaugummis eine Karte. Eine Karte für ihre Zukunft.
Er geht quer über den Platz auf den Hauptbahn-hof zu, sie schaut ihm nach. Sie möchte sich
aus dem Fenster lehnen, ihm nachwinken, rufen, alle sollen es sehen. Es ist kurz nach fünf, er reiht sich in die Masse der Pendler ein, die Aktentasche in der einen, die ungelesene Zeitung in der anderen Hand. Als käme er von der Arbeit. Ganz normal. Wenn da nicht im dritten Fenster von links in der obersten Etage des Hotels Steigerhof eine nackte
Literatur20
Von Milena Moser
„Bitte einsteigen und Türen schließen, der Zug fährt ab.“ Corinne steht vor dem letzten
Wagen zweiter Klasse, ganz am Ende des Zuges, schon nicht mehr im Bahnhofsgebäude, sondern sozusagen auf freier Wildbahn. Mitten in der Stadt. Der Schaffner pfeift einmal, den Blick fragend auf Corinne gerichtet, Corinne gibt den Blick an ihre Füße weiter. Die Füße rühren sich nicht. Der Schaffner pfeift ein letztes Mal. Die Zugtür seufzt theatralisch und schließt sich dann automatisch.
„Nimm den 16 Uhr 48 ab HB“, hat ihre Mutter gesagt, „dann hol ich dich ab.“ „Ja, jetzt“, sagt der Schaffner, der nicht mitgefahren ist, der auf den nächsten Zug wartet. „Ja, jetzt aber!“ Corinne trägt fünf oder sechs Papiertüten mit Proviant in den Ar-men. Seit sie Paris verlassen hat, hat sie nicht aufge-hört zu essen. Eine der Tüten fällt ihr jetzt herunter und ein halb gegessenes Schinkensandwich rollt auf den Boden. Ihre Füße reagieren immer noch nicht. Der Schaffner hebt das Brot auf, dreht es in der Hand, schaut es von allen Seiten an und wirft es dann weg. Corinne drückt die restlichen Tüten an sich. Sie hat damals nichts nach Paris mitge-nommen und jetzt nichts dort zurückgelassen. Die Agentur hat sie ohne Umstände entlassen, von einer Geldstrafe würde man absehen. Corinnes Karrie-re ist zu Ende, da besteht kein Zweifel. Bevor sie überhaupt angefangen hat. Siebzehn und am Ende, denkt Corinne, der Film zum Buch. Ein Nerven-zusammenbruch, auf diesen Begriff hatte man sich geeinigt, ein Nervenzusammenbruch macht sich
Stadtgeschichten
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Frau wäre, eine nackte Frau, die da nicht hingehört. Das Fenster des Hotelzimmers lässt sich nicht öff-nen.
Er bleibt am Kiosk stehen, kauft eine Flasche Was-ser, eine Schachtel Zigaretten, einen Plüschelefanten. Elefanten liebe ich am meisten, hat sie gesagt. Ande-re Männer bringen ihren Frauen Blumen, wenn sie sie betrogen haben, oder Pralinen, er bringt seiner Tochter Elefanten. Meist schläft sie schon, wenn er nachhause kommt, er beugt sich über sie, atmet ihr Haar, legt das Tier neben sie, das Zimmer füllt sich, auf dem Bett ist längst kein Platz mehr, die Rega-le, der Fußboden, das ganze Kinderzimmer ist voll grauem Plüsch und rosa Ohren.
Als ob er sich freikaufen könnte. Als ob der Elefant sie auslöschen würde. Sie schaut ihm
nach aus dem Hotelzimmer, er geht quer über den Platz, nicht über den Fußgängerstreifen, auf dem Hauptbahnhof zu und sie schaut ihm nach, verzerrt durch die Fensterscheibe die sich nicht öffnen lässt. Sie wünschte, sie hätte ein Gewehr und könnte ihn von hinten erschießen. Ein roter Fleck breitet sich auf seinem Rücken aus, die Mappe fällt aus seiner Hand, der Plüschelefant rollt auf die Straße, viel-leicht fährt ein Taxi drüber. Über den Elefanten. Statt dessen tritt sie zurück ins Zimmer, der Fern-seher ist an und zeigt immer noch die automatische Anzeige, Willkommen im Hotel Steigerhof, Herr und Frau Dr. Fankhauser. Sie setzt sich auf den
Bettrand, greift nach der Fernbedienung, schal-tet um, sie hat ja Zeit, sie wird nirgends erwartet.
„Nutz’ doch das Zimmer“, hat er gesagt, „teuer ge-nug war es ja.“ Auf dem Nachttisch noch ein halb-volles Glas, im zweiten beginnt der Krimi.Das muss aufhören, denkt er. Das mit den Ele-fanten. Das war das letzte Mal, morgen mach ich Schluss, gleich als erstes morgen früh. Keine Ele-fanten mehr, ich schwör’s.Vielleicht noch einen. Ganz kleinen.
Der Lift hält in der 28. Etage, die Türe öffnet sich mit einem leisen Zischen, noch im Gehen
wirft sie einen letzten Blick zurück, in den Spiegel, einen Kontrollblick, glänzt die Nase, sitzen die Haa-re, hat sie Spinat auf den Zähnen. Da sieht sie es erst: Das Rot ihrer neuen Jacke beißt sich mit dem Rot ihrer Tasche.
Warum sie das nicht vorher gemerkt hat? Es muss am Licht liegen. Die Lifttür schließt
sich zögernd wieder, als wolle sie ihr noch eine Chance geben. Sonja reagiert nicht. Sie wird zu spät zur Sitzung kommen, was ihr in zehn Jahren nicht einmal passiert ist, nicht, seit sie die Firma übernommen hat. Am Tag nach der Beerdigung. So hat sie um ihren Vater getrauert: Jeder, der auch nur eine Minute zu spät kam, wurde entlassen. „Es herrscht ein neuer Wind“, hat sie damals gesagt und ihre Manager haben genickt. Haben sich ge-duckt. Ducken sich heute noch. Seit zehn Jahren.
Milena Moser, 1963 in Zürich geboren, veröffentlichte 1990
ihre erste Kurzgeschichtensammlung „Gebrochene Herzen oder
Mein erster bis elfter Mord“. Mit „Die Putzfraueninsel“ landete
sie 1991 ihren ersten Bestseller. Es folgten weitere erfolgreiche
Romane und Erzählungen sowie Sachbücher. Milena Moser lebt
nun mit ihrer Familie, nachdem sie acht Jahre in San Francisco
gewohnt hat, wieder in der Schweiz. Ihr aktueller Roman heißt
„Möchtegern“, erschienen im Februar 2010 beim Verlag Nagel
& Kimche. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin schreibt Milena
Moser regelmäßig Kolumnen und hat zusammen mit der Autorin
Sibylle Berg und der Agentin Anne Wieser eine Schreibschule
gegründet: www.die-schreibschule.com
Die rote Tasche ist seit diesem ersten Tag ihr Mar-kenzeichen. Damals hat sie sich keine Aktentasche kaufen können, keine Zeit gehabt, kein Geld, da-mals hat sie eine Strandtasche genommen, heute ist es ein teures Modell aus Leder. Fröhlich, arglos, baumelt sie an ihrer Schulter, als wolle sie nur eben mal ins Strandbad oder zum Stadtbummel. Dabei birgt sie sämtliche Akten, die Sonja gerade bear-beitet, das Schicksal jeder kleineren Firma in der Umgebung, das Leben ihrer Angestellten. Die Ta-sche jagt Angst ein. Ebenso wie ihr Name, Sonja Huber, ein an sich harmloser, hübscher, weiblicher Name. Synonym für Entlassungen, Nervenzusam-menbrüche, skrupellose Firmenübernahmen. Son-ja Huber drückt auf den Knopf, die Lifttür öffnet sich wieder. Doch Sonja rührt sich nicht. Die Jacke ist neu. Sie kann sie nicht ausziehen. Japanisches Kunstleder, direkt auf der Haut zu tragen. „Ja kei-ne Bluse drunter“, hatte ihr der Designer einge-schärft, „das gibt nur wieder Rümpfe!“ Als mache sie absichtlich Rümpfe. Als ruiniere sie das Modell nur dadurch, dass sie es trug. Modeschöpfer und Verkäuferinnen in teuren Boutiquen sind die einzi-gen Menschen, von denen Sonja sich Befehle ertei-len lässt. Männer, die zu viel Macht haben, lassen sich von Prostituierten demütigen. Sonja besucht teure Boutiquen, probiert Kleider an, die ihr nicht passen und lässt sich von gehobenen Brauen, von Kopfschütteln und bedauerndem Zungenschnal-zen klein und kleiner machen. „Naja, man könn-
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Roger Willemsen studierte Germanistik, Kunstgeschichte
und Philosophie und lebt in Hamburg. 1991 kam der Bonner
zum Fernsehen, wo er vor allem Interview- und Kultursen-
dungen moderierte und Dokumentarfilme produzierte. Die
Bücher des 55jährigen, zuletzt „Die Enden der Welt“ (2010
bei Fischer erschienen), wurden fast ausnahmslos zu Bestsel-
lern. „Einsam in Tokio“ schrieb er nach den Ereignissen in Fu-
kushima. Veröffentlicht wird die Geschichte erstmals in den
Literaturausgaben der deutschsprachigen Straßenmagazine.
Literatur22
Das Hotel, in dessen 20. Stock ich hinter der Gardine sitze, um die Stadt Tokio zu be-
lauern, heißt „Jahrhundert“. Alles ist epochal hier, das Frühstück heißt „Jahrhundert Frühstück“, der Pool „Jahrhundert Pool“, und einen „Jahrhundert“-Andenkenshop gibt es auch, falls ich all dies je-mals vergessen sollte. Die Hochbauten gegenüber stecken im Boden wie von innen beleuchtete Chi-tinpanzer ausgestorbener Insekten mit auf- und nieder rasenden Fahrstühlen darin. Ja, und es gibt Schnittblumen im Aufzug.Nach Mitternacht steht auf dem großen leeren Platz vor dem Neuen Rathaus ganz allein ein Mädchen und fotografiert mit ihrem Mobiltelefon den Voll-mond. Gibt es jemanden unter den dreißig Millio-nen im Großraum von Tokio, der heute nicht zum Nachthimmel hinauf blicken kann? Einen Kranken? Gefangenen? Unterirdisch Arbeitenden? Oder wird der Mond gleich vom Display über die Landesgren-zen geschickt oder über den Ozean, vielleicht nach Europa, wo er noch nicht aufgegangen ist, aber jetzt acht Stunden zu früh eintreffen wird?
Ich kenne keine Stadt, über der das Licht so grau auf-geht wie über Tokio, der einzigen Stadt, die aus dem
Anthrazit kommt und auf den Betonflächen langsam, langsam aufklart, heller wird, mausgrau, staubgrau, flanellgrau, fahl, dann licht. Graue Mauern werfen das graue Licht grau zurück, mehr Schattierungen seift der Frühnebel hinein. Auch der Rauch aus den Klimaanlagen mischt mit. Jetzt treten die Laufschrif-ten heraus, jetzt die in die Fassaden gesäbelten Schrift-zeichen, jetzt Billboards und Transparente.
Einsam in Tokio
te die Hose eventuell noch etwas auslassen, aber Ihre Schuhe verderben natürlich alles. – Rot? Sie wollen rot? Wirklich? – Unsere Entwürfe richten sich nun mal an die zierliche Kundin, verstehen Sie.“ Sie genießt diese perfiden, exakt gesetzten Stiche wie ein Mann den Peitschenhieb seiner Domina genießt. Sie spürte, wie der Druck aus ihr entweicht, mit einem leisen Zischen, wie das der Lifttür, die sich wieder schließt. Und sie drückt den Knopf: Erdgeschoss.
Die Tür zum Atelier ist verschlossen und über dem Schloss klebt das Siegel des Betrei-
bungsamtes. Darauf ist er vorbereitet. Trotzdem. Was nun? Der Hund zerrt an seinem Knöchel. Genauer, am Hosenbein, die scharfen Zähne in dem sauteuren japanischen Kunststoff verbissen, der wie Leder aussieht, aber maschinenwasch-bar sein soll. Nichts für scharfe Hundezähne. Er bückt sich und dabei rutscht die Hose und er denkt an sein Rheuma, er denkt nicht an den Anblick, den er allenfalls bietet, den oberen Teil seines weißen Hinterns der Stadtluft ausgesetzt, nein er denkt an sein Rheuma und er seufzt. Der Hund heißt Yves. Nach Yves Saint-Laurent. Der genau so einen Hund gehabt hat, eine französi-sche Bulldogge oder auch zwei, das Bild aus der französischen Vogue hat ihn inspiriert, ein Bild aus den siebziger Jahren, der Meister am Boden kauernd über überlebensgroßen Skizzen, die Hunde respektlos darüber hinweg tapsend, Fuß-spuren hinterlassend. Er hat den Hund. Er hat die Zigarettenspitze. Die getönte Brille. Was er nicht hat, sind überlebensgroße Skizzen. Oder einen Atelierboden, auf dem er die Skizzen hätte aus-breiten können. „Komm schon, Yve-i“, sagt er und klickt die Leine an das Nietenhalsband des klei-nen Hundes, der diese Geschmacklosigkeit mit Fassung trägt. „Gehen wir halt.“ Unterwegs kauft er eine gekühlte Flasche Champagner und eine Rose in Zellophan. Er öffnet die Flasche auf der Strasse und nimmt gleich einen Schluck und dann noch einen. Yves zerrt an der Leine und zieht ihn weiter. Als sie ankommen, ist die Flasche beina-he leer. Das stört sie nicht. „Liebling! Du hast es nicht vergessen!“ „Vergessen?“ Da hat Yves ihn schon in die Küche gezerrt, wo ihre Freundin-nen sitzen, um den Tisch herum, auf dem leeren Flaschen stehen und ein angeschnittener Kuchen. „Happy Birthday, Mama!“ Die Damen rutschen, und er lässt sich auf den Hocker sinken, Frau Zu-berbühler von oben hat ihm schon den Hinterkopf zugewandt, er beginnt ihr Haar zu kämmen, wie er es früher immer getan hat, als es noch lang und dunkelbraun war. Frau Messaui von gegenüber fährt in ihrer Erzählung fort – „ich hätte es ja wissen müssen, ein Mann in seinem Alter“ – seine Mutter füllt die Gläser auf und schaut ihn über den Tisch hinweg an. „Bleibst ein bisschen?“Er nickt. Er ist zuhause.
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tücher mit Werbeaufdrucken auf der Straße. Dritte wieseln mit indischem Curry zwischen gekachel-ten Wänden herum, in Schwarzwald-Kostümen, mit gestärkten Schürzen und weißen Schleifen im Kreuz. Und so weiter.Nach vier Tagen habe ich kaum vier Sätze gespro-chen. Einem Fremden in die Augen zu sehen, gilt als unhöflich. Man könnte unsichtbar sein und würde es kaum merken.
Ein Sonntagnachmittag in Roppongi: Erkalte-te Reste der Nacht, übernächtigte Frauen an
der Seite desinteressierter Männer, amerikanischer Swing der jüngsten Jahre in der Luft, Lounge Mu-sic, das Schwirren von Saiten rund um chinesische Dim Sum Lokale, Brasserien, Seven-Up-Läden, American Diners. An einer Straßenkreuzung zwi-schen Nüsse-Verkäufern und Zeitschriftenhänd-lern eine etwa 22-Jährige mit kastanienrot gefärb-ten Haaren, ein Schild vor sich mit japanischen Schriftzeichen, darunter auf Englisch: „Slave“. Eine Künstlerin? Eine Prostituierte? Unter ihrem Arm ein Bildband über Audrey Hepburn. Die Ordnung auf der Straße hat etwas Kultisches. Selbst die Elenden mit der Sozialfunktion „Bettler“ liegen in Kartons brav nebeneinander. Mal steht „Made in the Phillippines“ darauf, mal einfach „Enjoy“ oder „Bananas“. Im Innern sieht man die Bettler auf dem Rücken liegen und gegen den Pla-fond stieren. Der ist unbeschriftet. Auch die Ord-nung macht traurig. Und einsam.Nie habe ich eine Stadt auf so vielen krummen Frauenbeinen laufen sehen, alle anders krumm. Die
Individualität liegt irgendwo zwischen Söckchen-bund und Rocksaum. Nur einmal hat mich eine Frau angesprochen, eine mit Sommersprossen und einem lustigen vierzigjährigen Gesicht samt Pony. Sie sprach Englisch und sagte wörtlich übersetzt: „Würden Sie mich bitte in die Kirche begleiten und sich einen netten Segen abholen?“
Ich hatte eine Schwäche für das Wort „nett“. Aber in der Kirche musste ich nur einmal im
Seitenschiff neben ihr knien, ungesegnet, denn der Pfarrer war auf und davon. Also versuchte ich einen frömmelnden Gesichtsausdruck, ließ sie im übrigen ein bisschen murmeln und erwarb dann für eine Faustvoll Yen eine Loreto-Madonna auf Papier, und weil die so ernsthaft und menschlich aussah wie eine Muttergottes aus dem Passbildau-tomaten, steckte ich sie ein und ging. Madonnen und Models sind in Japan meist Europäerinnen.Die zweite Klasse der Menschen, die sich außer den christlichen Schwestern in Tokio traut, einen Fremden anzusprechen, das sind die Männer vor den Nachtbars, den wenigen, die sich nicht durch ein „No Foreigners Allowed“ Sommerfrischler wie mich vom Leib halten. Diese Männer aber können auf Deutsch so schwierige Worte wie „Verwöhnen“ sagen, ein Ausdruck aus der Weltsprache der Lustversprechen, der gebrochenen. Man versteht ihn kaum, von so weit weg kommt der Klang: „Verwöhnen“ bellt der Straßenkuppler, der eine Rolle roter Coupons in der Hand hält wie Rabattmar-ken. Ich gehe mit ihm, d.h. hinter ihm her, denn er bleibt immer drei Schritte vor mir. Ich bin ihm pein-lich. Wir sind einander beide peinlich.
Drei Tage später darf ich sagen: Der Himmel war immer schön. Keine Wolke blieb, und Sorgen gab es nur im Traum. In den Fenstern der Büros stan-den um vier Uhr nachmittags die Angestellten zu Fitnessübungen. In den Fenstern der großen Hotels f lammten um drei Uhr früh nur noch die Lichter der Jet-Lag-Patienten, bis vier Uhr früh sind sie al-lein es, die wachen. Um sechs ging ich zum Früh-stücken und aß Spaghetti, danach „Armer Ritter“ zu „Jahrhundert“-Instant Kaffee.
Randvoll sind Gassen, Brücken, Bahnen, Lä-den, Bürgersteige, Toreingänge, Verkehrs-
wege aller Art mit sechzehnjährigen Mädchen, alle gleich alt, ja, auf das Haar gleich alt. Faszi-nierend. Es muss also eines Tages eine kosmische Befruchtung über der Stadt niedergegangen sein, eine, die im nämlichen Augenblick Millionen Frauen schwängerte, die alle im selben Augen-blick kleine Mädchen hervorbrachten, die so he-ransprossen, in dieselben Röckchen, Schühchen, Blüschen hineinwachsend. Ihre plärrenden Stimmen. Immer kommen sie vom Hof der gleichaltrigen Freundinnen, von Millio-nen Freundinnen. Eine trägt eine Baskenmütze, eine andere eine Baseballkappe aus Sandpapier. Dämchen in Matrosenanzügen sind dabei, Unifor-mierte im Dienste großer Kaufhäuser. Gemeinsam verschwinden sie in einem westlichen Dekor, „Das Brot-Restaurant“ überschrieben, wo man sich an der Theke aus fünfzehn Brotkörben bedient, Se-sambrot, Kürbisbrot, Zwiebelbrot, Tangbrot, Al-genbrot, Brotbrot. Andere verteilen Papiertaschen-
Von Roger Willemsen
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Literatur24
Axel Hacke lebt als Schriftsteller und Journalist in München.
Seine journalistischen Arbeiten wurden vielfach mit Preisen
ausgezeichnet. „Selbstabbruch“ ist seinem Buch „Wortstoffhof “
entnommen, Verlag Antje Kunstmann, München 2008.
Die Hostess-Bar, in der er mich abliefert, be-steht aus einer langen Theke mit Pit-Stop-
Mobiliar und ein paar Resopaltischen, beschie-nen vom Streulicht einer Neon-Installation. Vom anderen Ende der Theke lächelt mich der einzige Gast an, gequält. Eine Frau im Minirock sitzt vor ihm auf dem Counter. Ihr Beine quellen unter dem Röckchen hervor wie nasser Puffreis. Ich bekomme einen Barhocker am anderen Ende. Der Geschäftsführer mit seiner eingeübten kosmo-politischen Attitüde erklärt mir die Regeln. Sein Englisch wird nie wieder so f lüssig sein wie jetzt. Hier sind die Erdnüsse. Hier Glas und Bier. Die Erdnüsse – „Essen Sie, soviel Sie wollen“, das Bier – „wir schenken Ihnen nach, Sie müssen nur trinken.“ Jetzt noch ein gewisses Sümmchen, fünfzig Euro ungefähr, eigentlich fürs Gedeck, und dann kann’s losgehen. Was?„Sie haben eine Stunde Zeit. Alle zwölf Minuten stelle ich Ihnen ein neues Mädchen vor. Vier Mäd-chen: Das macht achtundvierzig Minuten. In den zwölf Minuten, die dann noch bleiben, dürfen Sie sich eines der vier Mädchen aussuchen zum An-fassen. Das kostet dann noch einmal sechs Euro. Wenn Sie aber mit ihr den Raum verlassen möch-ten, no problem, no problem“, er wehrt meine ima-ginären Einwände ab, „aber dann müssen wir neu verhandeln.“ Ich schüttele mehrmals den Kopf.„No problem.“Er stellt das Bierglas samt Flasche vor mir auf.
Die Erste trägt ein süßes blaues Chiffon-Kleidchen mit Feder besetzten Ärmeln, hat
aber eine Kiefern-Gaumen-Spaltung, vulgo Ha-senscharte. Sie spricht kein Englisch, wäre aber auch im Japanischen kaum zu verstehen. Am Ende teilen wir ein paar Erdnüsse und die Erleichterung der Trennung. Die Zweite ist eine Vorbeißerin in Grün und stammt aus Taiwan. Ich denke an Hartgummi-Spielzeug und Scherzartikel. Wie treuherzig ihr Gesicht wirkt, und wie früh gealtert! Jetzt schwingt sie sich sogar auf die Theke, blickt von oben auf mich herab und gießt dabei unaufhörlich Bier nach. Aus meiner Perspektive, von unten betrachtet, schwillt ihr Kopf zum Ballon. Die Nächste, ver-spricht sie, könne f ließend Englisch.
Die Dritte tritt durch die Flügeltür der Küche und nähert sich phlegmatisch, gleitet die The-
ke hinauf, die angezogenen Beine unter den Körper faltend. Tatsächlich: eine Erscheinung! Ich lege die Hand auf das Bierglas, sie gießt einen Tropfen da-rauf. Als ich wegziehe, lacht sie und entblößt eine Reihe von innen ergrauter Schneidezähne. Ab Mi-nute Neun wird sie meine Augen nicht mehr loslas-
sen, und ich werde mich fragen, wie ich hier raus-komme, während die Letzte, eine schmale Braune mit nervöser Heiterkeit, ihre Verlegenheit ausbadet, indem sie das Bier in dem vollen Glas mehrmals über den Rand treten lässt. In diesem Augenblick ist die Einsamkeit Aller im Raum vollkommen.
Nein, ich verzichte auf das Betasten von wem auch immer und mache mich auf die Socken.
Sofort bricht der Kuppler aus der Kulisse: „No! You cannot go!“ Er stellt sich zwischen meinen Hocker und die Au-ßentür und macht seine Rechnung auf: „Noch zwölf Euro bis zur Betastung!“ Ich schüttele meinen betrunkenen Kopf. „Nicht zufrieden?“ „Dochdoch.“ „Verwöhnt?“ „Jaja.“ „Bumsibumsi!“
Er sagt das auf Deutsch. „Nein, bitte!“ Der Kuppler zieht eine Grimasse wie im Kabuki-Theater. Jetzt lehnt das blaue Chiffon-Kleid auch noch wartend an der hinteren Schwingtür. „Ich habe eine Freundin!“ schwindele ich, als hinge alles davon ab, „Girlfriend!“
Ich fahnde nach einem Beweis. Das Erste, das mir beim Durchsuchen meines Portemonnaie in die Hände fällt, ist das Madonnenbild. Ich hebe es ganz kurz bis auf die Höhe seiner Augen. Keine Ahnung, was er gesehen hat, aber als er so routi-niert nickte, beiseite trat und eigenhändig den Vor-hang aus dem Weg raffte, und als ich dann auf der Straße stand, trunken vor Bier und Glück über die-se wunderwunderschöne Hostess-Bar im Herzen von Shinjuku, da hatte mich die Madonna errettet und eingehüllt, die Madonna in ihrem roten Man-tel der Liebe.
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Selbstabbruch starben. Seit wir von seinem Tod hör-ten, haben wir seine Folgend-vonstämme erwartet, vorbeizukommen und Ansprüche für sein Geld als der Erbe zu setzen, weil wir nicht die Kapital von seinem Konto freigeben können … Leider hat we-der ihr Familie Mitglied noch entfernter Verwandter everappeared.“ Freez’ Vorschlag: 65 Prozent für ihn, 5 für Gebühren, 30 für Leser D.
Ich war neidisch. So schöne Wörter hatte mir Akaru nicht geschrieben: Am liebsten, Selbst-
abbruch, Folgend-vonstämme … Ich sortierte sie alle in den Wortstoffhof ein. Dann schrieb ich Sa-muel Akaru: „Am liebsten Akaru! Thank you for deinen wonderfullen Mailpost. Ist es nicht ein un-believable Zufall, dass ich Dir gestern auch schrei-ben wollte? Denn am 21.12.2003 ist Mr. Andrew Akaru, Prokurist der Andrew Altwörter-Entsor-gungs GmbH, hier auf meinem Wortstoffhof zu einem Abbruch gekommen, als er einen Lkw ent-laden wollte. Er wurde together mit seiner Schwie-germutter und zwölf Folgend-vonstämmen von einem Berg alter Phrasen und Metaphern erschla-gen. Herr Andrew hinterlässt ein Vermögen von 15,5 Millionen seltener, sehr beautifuller Wörter. Du wollen haben? Ich vorschlagen: 60 Prozent für mich, 60 Prozent für dich, den Rest für die Du-den-Redaktion. Bitte antworte soon, aber nurnur-nur auf Deutsch (lass Peter Freez übersetzen!) und mit Foto und Geld, das ich Dir dann backschicke, für Deine Auslagen. Mit dem besten Respekt aus meinem Leben! Dein Axel.“
Eines Tages bekam ich eine Mail von Samuel Akaru aus der Republik Benin. Akaru stellte
sich als Anwalt von Andrew Hacke vor, Direktor der Andrew Construction Company in Benin. Andrew Hacke sei zusammen mit seiner Familie am 25. De-zember 2003 beim Absturz einer Boeing 727 in Be-nin ums Leben gekommen. Sie seien auf dem Weg nach Beirut gewesen, um dort Ferien zu verbringen.
Andrew Hacke, so teilte mir sein Anwalt mit, habe ein Vermögen in Höhe von 15,5 Milli-
onen Dollar hinterlassen, das nun herrenlos sei. Es gebe keine Verwandten von Andrew Hacke mehr in Benin, und er, Samuel Akaru, habe sich darauf-hin im Internet auf die Suche nach Leuten mit dem gleichen Nachnamen gemacht. Er biete an, mich in den Besitz des Vermögens zu bringen, bevor die Continental Bank Benin das Geld konfisziere. Da-für wolle er einen Teil des Vermögens haben. Sein Angebot: 60 Prozent für ihn, 40 für mich. Ich solle Telefon- und Faxnummer, Adresse, Beruf sowie vollen Namen mitteilen.Ich war erstaunt über die Gebührensätze der An-wälte in Benin; da dürfte mancher deutsche Kollege neidisch werden. Dann machte ich mich meiner-seits im Internet auf die Suche nach Samuel Aka-ru und Andrew Hacke. Ich entdeckte (was ich mir schon gedacht hatte): dass ich nicht der einzige Ad-ressat solcher Post bin.
Viele Menschen bekommen sie, mit gleichem Inhalt: Ein Vermögen wartet in Afrika. Da-
Selbstabbruch Von Axel Hacke
hinter stecken, so lernte ich, Verbrecherbanden. Sobald man auf den ersten Brief eingegangen sei, las ich, antworteten sie: Herzlichen Dank, wir treiben die Sache weiter voran, leider kommen wir ans Geld noch nicht ran, schicken Sie tausend Dollar; wir müssen Beamte bestechen und Ge-bühren zahlen. Es soll Leute geben, die das tun. Sie hören nie wieder von Samuel Akaru und sei-nen Freunden.Ich entdeckte außerdem, dass viele andere Brief-adressaten ebenfalls Namensvettern bei jenem Flugzeugabsturz vor vier Jahren verloren hatten. Die Toten trugen den jeweiligen Nachnamen des Adressaten, hießen aber alle Andrew mit Vor-namen. Und alle waren Direktoren der Andrew Construction Company, einer Firma, die durch das Unglück enthauptet wurde: Die Maschine war voller Chefs namens Andrew. Ein Betriebsausf lug anscheinend.
Etwas später kam Post von Leser D. aus Aachen. Er hatte eine ähnliche Nachricht von einem
Mann namens Peter Freez in Ghana bekommen. Aber während Samuel Akaru mir auf Englisch ge-schrieben hatte, erhielt D. seine Post auf Deutsch. Freez teilte dem D. nach der Anrede „Am liebsten“ mit, er sei Entdecker „einer verlassenen Summe of $ 12,500,000.00 (nur zwölf Million fünfhundert tausend Vereinigte Staaten Dollar) in einem Kon-to, das bis einen unserer Auslandskunden gehört, die zusammen mit seiner gesamten Familie eine Frau und zwei Kinder im November 1999 in einem
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Literatur26
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Dunkel wird es wieder und Reif an gedörrten Bäumen, lange Schatten auf den Straßen
und Zeit für Mitgefühl. Randgruppen umarmen zur Weihnachtszeit. Zeit an die Reichen zu den-ken. Die keiner mag, und das wissen sie. Sitzen in ihren Villen, sehen sich an, das wird fad mit der Zeit, doch zum Rausschauen fehlt der Mut. Draußen sind die, von denen sie verachtet werden.
Reiche sind nicht beliebt. Zu unrecht. Denn es sind Menschen. Sie haben Gefühle. Irgend-
wie. Aber wer ist reich? Gunilla von Bismarck? Daniel Vasella? Christoph Blocher? Oder Sie? Haben Sie schon einmal Leute gesehen, die gar nichts hatten? Die liegen nackt an der Straße, in verschiedensten heißen Ländern, wie Müll liegen sie da, und war-ten auf den Tod, denn dann bekommen sie we-nigstens einmal etwas geschenkt: Ihren Abtrans-port in eine öffentliche Grube. Fast jeder Tourist der sich freiwillig nach Kambodscha, Haiti oder Polen begibt, ist wohlhabender als 80 Prozent der Einheimischen. Selbst ein deutscher Sozial-hilfeempfänger, aus welchem Grund er auch im-mer eine Reise in die Slums von Dhaka machen sollte, wird sich reich fühlen müssen. Wird es richtig begreifen, wenn er das Land wieder ver-lassen darf, verfolgt von tausend Augen die ihn beobachten, am Flughafen. Die Augen in Leuten, die ihn beneiden, um den Weg in die Freiheit, in ein Land unermesslichen Reichtums, das ihnen
verwehrt bleiben wird, weil ein Ticket mehr kos-tet, als sie haben werden in ihrem ganzen Leben, selbst wenn das nicht so lang ist. Doch wenn er dann zurückgekehrt ist, in sein Land, der Sozi-alhilfeempfänger, wird er wieder nichts sein, arm sein und nach oben schauen zu den anderen. Für ihn bin vermutlich sogar ich reich, denn ich kann es mir leisten, in einem der teuersten Länder der Welt, der Schweiz, zu leben, wo wiederum ich ei-ner der Ärmeren bin, denn es langt mir nicht für ein Chalet in St. Moritz, eine Villa am Zürichsee. Selbst der Unterhalt eines Rolls Royce liegt für mich nicht drin. Reichtum ist relativ. Man fühlt sich reich oder mag sicher sein, dass es immer einen geben wird, der reicher ist als man selber, und kann verzweifeln daran. Kann sich denken, dass das Leben vertan ist, ob all der Sachen die man nie besitzen wird, kann aus der Verzweif-lung Neid werden lassen, auf all jene, die über einem selbst zu stehen scheinen, in der Sonne. Neid ist relativ. Es gibt den kleinen, gepf legten, goldfarbenen Neid eines Herrn Rothschild auf ei-nen Herrn Gates, ein Neidchen, kann man sagen, und es hat den zerfressenden Neid dessen, der im Straßengraben vor einer Villa schlafen möchte, nicht schlafen darf, weil er das Auge beleidigt. Wird er die Villa sehen und neidisch sein in ei-ner Form, die dem Hass sehr nahe kommt, weil er keine Rechte hat, keine Chancen. Und dann gibt es noch den General-Neid, den viele Menschen in sich tragen, die sich vom Leben betrogen fühlen,
Die Reichen Von Sibylle Berg
Sibylle Berg ist in Weimar geboren und lebt heute in Zürich. Sie hat
bislang zwölf Bücher veröffentlicht. Ihr letzter Roman „Der Mann
schläft“ ist im Herbst 2009 im Hanser Verlag erschienen. Die The-
aterstücke von Sibylle Berg („Helges Leben“, „Hund, Mann, Frau“,
„Hauptsache Arbeit!“, „Nur Nachts“ u.a.) werden an zahlreichen
Bühnen im In- und Ausland gespielt. Übrigens gibt Sibylle Berg
auch Schreibkurse (www.die-schreibschule.com).
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die die irrige Idee haben, etwas Großes stünde ihnen zu, einfach, weil sie sie sind. Der General-Neider hasst Reiche. Aus Prinzip. Die Reichen, die über Leichen gehen, Geizkrägen, die Men-schen ausbeuten, Mistkerle, die mit ihren Ferrari-Abgasen die Luft verpesten, blöde Schlunzen, die Pelztierchen tot machen. Geld macht nicht glück-lich, zischelt der Neidische und hat unrecht. Der Versuch, eine Definition von Glück zu finden, ließ Wissenschaftler auf eine Formel kommen, die Glück sehr fördert: Wohlstand, Bildung, so-ziale Kontakte und Naturverbundenheit. Machen wir uns also nichts vor, Reiche sind glücklich. So wie einer eben glücklich sein kann, der um sein Ende weiß. Hat der Reiche sich sein Geld erarbeitet, dann hat er viel gearbeitet, und viel arbeiten macht glücklich. Ein prima Beispiel für den Mann, der aus dem Nichts kam, ist Deutsch-lands Geld-Guru Bodo Schäfer. Er ist reich, und er ist es geworden, weil das immer sein Ziel war. Was wollen sie werden, mein Junge? Reich. Alles klar. Das hat er gemacht. Er hat einen Bestsel-ler darüber geschrieben und ist noch reicher ge-worden, er hat 20 Stunden täglich gearbeitet und gespart, und heute hat er einen Rolls Royce, ein Anwesen in der Sonne und vermutlich müsste er nichts mehr machen. Wenn das so leicht ginge. Denn der sich seinen Reichtum erarbeitet weiß, wie mühsam das ist, und immer wird er in Sor-ge leben, dass der Reichtum einfach wieder ver-schwinden könnte, wie ein geliehener Pelzmantel. Bodo ist zufrieden mit sich, er ist geworden, was er immer wollte, und er tut keinem weh damit. Warum sollten wir ihn hassen? Es gibt nichts zu hassen an denen, deren Ziel es ist, mit ihrer Ar-beit reich zu werden, denn sie denken, sie erbau-en, sie kreieren, und sie tun es für sich, tun es, weil es sie befriedigt. Meist glauben sie an etwas,
haben eine Leidenschaft, und dass sie damit viel Geld verdienen, ist nur richtig. Denn neben den Arbeitsplätzen, die sie schaffen, heißt das, was sie 22 Stunden täglich tun, den Kapitalismus zu fördern, ihn zu beschleunigen, damit er schneller explodiert, und das ist nur zu bejubeln.
Die reich sind, ohne zu arbeiten, haben ge-erbt. Das ist auch nichts Schlechtes. Gu-
nilla von Bis- marck war immer reich, sie kennt es nicht anders. Als sie jung war, feierten alle jungen Reichen Partys, das hat sie auch getan und ist wie unbemerkt in die Jahre gekommen. Als ich sie in Mar- bella traf, war sie eine Figur, die Gunilla von Bismarck darstellt. Dauerlachen unter einem platin- blonden Haardeckel, gehüllt in eine teure Tischdecke. Tags darauf trug sie einen Trainingsanzug und war eine kultivierte freundliche Dame, die mit mehreren Tieren auf einem Anwesen saß und bedauerte, dass sie in ihrer Jugend nichts gelernt hatte, nichts getan außer Partys zu feiern. Jetzt ist es zu spät, sich etwas Neues einfallen zu lassen, sagte sie ein we-nig traurig beim Abschied. Nicht zum Hassen, die Gunilla. Nicht zum Hassen ihre Freunde, die des Nachts in Marbella auf den Tischen tanzen. Tut keinem weh, denn sie ziehen die Schuhe aus dabei. Und wollen doch nur einen Sinn finden, in ihrem Leben, wie wir alle.
Nichts Böses, der reiche Erbe. Die Erbinnen tragen die stoffgewordenen Naturkatastro-
phen von Escada und Versace und das ist gut, denn irgendjemand muss das tun. Sie langweilen sich und deshalb werden sie wohltätig, das ist mehr an andere gedacht, als es sich einer je leisten kann, der um seine Miete besorgt sein muss. Der Män-nererbe spielt Polo, das stört keinen, weil es ein
leiser Sport ist, er lässt gutaussehende Häuser er-richten, die dem Auge schmeicheln, er hat selten anste- ckende Krankheiten, weil er sich sehr gute Ärzte leisten kann.
Wer ist noch reich, wen könnten wir verach-ten und weswegen? Gerhard Schröder?
Für einen normal verdienenden Deutschen mag er reich erscheinen, doch er ist es nicht. Ständig mahlen seine Wangenknochen, so gerne wäre er reich und wird es doch nicht werden. Ihn müssen wir nicht beneiden. Aber auch keinen wirklichen Reichen müssen wir beneiden oder verachten. Oder sind Sie noch nicht überzeugt ?
Dann stellen wir uns ein kleines Land vor. Es wäre von Bergen umgeben, von hellem
Himmel bedeckt, Seen lägen und kleine Bäche mit Goldfischen darin. Es hätte keinen Namen, das Land, aber seine Währung wäre der schöne, bunte Schweizer Franken. Stellen wir uns wei-ter vor, in diesem Land lebten nur reiche Men-schen. Es wäre sauber, das Land. Straßenreiniger verdienten 6000 Franken, eine bisschen mehr als Gepäcksortierer am Flugplatz, ein bisschen weni-ger als ein Schaffner im Zug wäre das, aber doch soviel, das jeder seiner Arbeit gerne nachginge. Nachdem einige der Einwohner des Landes ein kleines bisschen gearbeitet hätten, andere durch Läden ge- schlendert wären, um die Wirtschaft anzukurbeln, träfen sie sich in schönen Cafés und Restau- rants oder beim Schwimmen im f leisch-warmen Wasser. Sie würden miteinander reden, die Men- schen, weil sie kaum Arg hätten. Reich-tum entspannt, er verringert die Angst, und wer sich keine Gedanken darüber machen muss, wie er den nächsten Tag überlebt, hat viel Kraft für vernünftige Dinge.
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Sie füttern Tiere, bilden sich, die Menschen des kleinen Landes, und legen hübsche Gär-
ten an. Fremden begegnen sie höf lich und leise, denn sie sind gut erzogen und haben keine Furcht vor allem, was fremd ist, denn sie sind ruhig und wissen, dass kaum etwas sie bedrohen kann. Da-rum schlagen sie keine Ausländer zusammen, denn sie sind gut ausgebildet und wissen, dass je-der Mensch gleich ist. Solange er Geld hat. Die Menschen des kleinen Landes riechen nicht un- angenehm, weil sie sich sauber halten. Sie bauen ab und an, wenn es ihnen langweilig ist, ein paar Museen, und verschenken Kunstsammlungen. Sie lieben Kunst und Künstler, weil sie wis- sen, dass Kunst das einzige ist, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Wenn sie verreisen, so fahren sie an feine gepf legte Orte, denn sie verachten Touris-mus als den 4. Weltkrieg unserer Zeit. Von dem, was sie zuviel haben, geben sie ab, weil sie wissen, dass Wohlstand nur Spaß macht, wenn man teilen kann. Abends f liegen sie eine Runde über ihren hübschen Häusern, winken und lachen. So wäre das in dem kleinen Land, wo der Reichtum lebt.
Doch auch bei Ihnen zu Hause, gibt es keinen Grund, die Reichen zu verachten. Wenn Sie
in Europa wohnen, eine Arbeit haben und nicht gar zu viele, die sie versorgen müssen, können Sie sich selber alles leisten, was Reiche glücklich macht: freundlich zu anderen sein, nicht nur an sich selber denken, an hübsche Plätze verreisen und fein essen gehen. Die Welt wäre eine bessere, wenn alle Menschen reich wären. Keinen Grund gäbe es mehr für Hass und Missgunst, für Über- fälle und Kriege. Ich möchte, dass jeder auf der Welt soviel Geld hat, dass er sich leisten kann, was er will und er wird feststellen, mit der Zeit, dass es gar nicht soviel ist.
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Berühmte Persönlichkeitenauf der Schönhauser Allee:Albert Einstein und Niels Bohr
Vor dem Eingang in die „Schönhauser Arca-den“ sitzt ein Bettler auf einer Pappkiste. Je-
des Mal, wenn ich an ihm vorbeikam, kuckte ich weg. Es war mir peinlich, ihm in die Augen zu schauen. Der Kerl erinnerte mich an jemanden, den ich oft im Fernsehen sah. Aber an wen? Eines Ta-ges fiel es mir ein: Dieser lustige, etwas verwirrte Blick, die hoch stehenden Haarbüschel, der graue Schnurrbart – das habe ich in der Werbung für Herschi-Limonade gesehen. Der Kerl sieht Albert Einstein, dem verrückten Erfinder der Relativitäts-theorie, absolut ähnlich. In diesem Moment konn-te ich auch seine Sprüche, die er auf den Karton schreibt, viel besser nachvollziehen: „Zwei Mark ist kein Geld“ stand da beispielsweise drauf.
„Hey Alter, alles ist relativ, nicht wahr?“ Ich zwinkerte ihm zu und legte zwei Mark in
seinen Becher. Einstein tat so, als ob er mich nicht verstanden hätte, er wollte wahrscheinlich nicht, dass seine Tarnung auff log. „Alles ist relativ – oder was?“, fragte ich ihn noch einmal. Daraufhin pack-te er seine Sachen und ging auf die andere Seite der Schönhauser Allee. Dort begrüßte ihn ein anderer Kerl, der auch ein bekanntes Gesicht trug. Irgend-wo hatte ich diesen Dicken schon mal gesehen: Glatze, kalte Augen, fette Wangen, breites Kinn: ohne Zweifel Niels Bohr, der dänische Erfinder der Quantentheorie. Doch was machte dieser Mann hier auf Schönhauser Allee? Ganz klar: Er traf sich
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insgeheim mit Albert Einstein, um in aller Ruhe mit ihm die aktuellen Probleme der modernen Phy-sik zu diskutieren. Hier findet ein geheimer wissen-schaftlicher Kongress statt.
Beide Wissenschaftler gehen die Schönhauser Allee entlang und setzen sich auf die Bank
vor dem Sportwarengeschäft. Einen besseren Platz für einen Kongress kann man in der Gegend gar nicht finden. Dort warten auch schon andere Wis-senschaftler auf sie. Alle begrüßen sich kollegial. Niels Bohr packt seine „Plus“-Markt-Tüte aus und holt vier Flaschen Korn sowie mehrere Dosen Bier hervor.
Der Kongress kann beginnen. Von den anderen Wissenschaftlern kenne ich niemanden, nur
Friedrich Engels mit seiner verlebten Braut, weil die beiden jeden Tag auf dieser Bank sitzen, egal wie das Wetter ist. Engels hat sich anscheinend vor kurzem den Bart abgeschnitten, aber nur die eine Seite, jetzt sieht er total schräg aus. Er hält seinen Bart in der Faust und erzählt Einstein irgendwas Lustiges. Leider kann ich ihn nicht verstehen.
Vielleicht erzählt ihm Engels etwas über die Unvermeidlichkeit der neuen sozialen Revo-
lution und der Notwendigkeit, die politische Macht zu ergreifen? Einstein schüttelt nur den Kopf – alles ist relativ: Ich kann seine Antwort von den Lippen
Wladimir Kaminer studierte Dramaturgie in seiner
Heimatstadt Moskau. Seit 1990 lebt der 44-jährige
in Berlin, publiziert in verschiedenen Zeitungen und
Zeitschriften und organisiert Veranstaltungen wie seine
berühmte „Russendisko“. Mit der gleichnamigen Erzähl-
sammlung sowie zahlreichen weiteren Büchern macht er
sich einen Namen als Autor in Deutschland. Sein neues
Buch, „Liebesgrüße aus Deutschland“, erscheint im Au-
gust 2011 bei Manhattan. Die abgedruckte Erzählung
erschien 2001 in dem Band „Schönhauser Allee“ bei
Goldmann in der Verlagsgruppe Random House.
Von Wladimir Kaminer
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ablesen. Niels Bohr nimmt einen großen Schluck aus der Flasche, dann gibt er sie der Braut von En-gels, dann Einstein. Die Flasche ist schnell leer und landet unter der Bank. Engels mit dem schrägen Bart sieht heute irgendwie traurig aus. Ihm fehlt bestimmt sein Freund Marx. Den habe ich schon eine Ewigkeit hier nicht mehr gesehen. Früher sa-ßen die beiden gerne zusammen auf dieser Bank und tranken einen auf die „Deutsche Ideologie“. Mit einem Schluck schaffte Marx die Hälfte, die andere war dann für Engels bestimmt.
Das nichts ahnende Publikum läuft an der Bank vorbei, das gemeine Volk interessiert
sich so gut wie gar nicht für Relativitätstheorien, eher für Konsumtheorien. Junge Mütter mit Kin-derwagen machen einen großen Bogen um die Bank. Sie wollen dadurch verhindern, dass ihre Kinder die Wissenschaftler kennen lernen. Werden sie aber trotzdem! Denn solange die Sonne scheint, wird der Kongress weiterlaufen – die Wissenschaft auf der Schönhauser Allee ist nämlich unsterblich, und darauf trinken wir einen.
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„Ich bin Simon. Ich habe Asperger. Ich mag
den Weltraum, Kreise und meinen Bruder
Sam. Gefühle, andere Menschen, Verände-
rungen und romantische Komödien mit Hugh
Grant kann ich nicht ausstehen.“ Soweit ge-
regelt – bis Sam von seiner Freundin verlas-
sen wird und alles aus den Fugen gerät. Si-
mon beschließt, für seinen Bruder eine neue
Liebe zu finden – obwohl er selbst nichts
davon versteht. Aber er hat einen wissen-
schaftlich todsicheren Plan...
Unverkrampft ist das farbenfrohe Filmde-
büt des jungen schwedischen Regisseurs
Andreas Öhman, das sich souverän in die
Tradition skandinavischer Wohlfühlkomödi-
en einreiht, die einen sympathischen Blick
auf das Leben und seine schrägen Protago-
nisten werfen und mit trockenem Humor,
Slapstick und Situationskomik ins Schwarze
treffen. Dabei folgt die Geschichte vor allem
der Wahrnehmung des 18jährigen Simon,
dessen Gedankenwelt durch eingeblendete
technische Skizzen und Zeichnungen, etwa
von Winkelberechnungen für den Wurf eines
Basketballs oder Weltraumanimationen, vi-
sualisiert wird.
Die pfiffige Komödie war 2010 der Überra-
schungserfolg in Schweden.
Do 22.12. bis Fr 23.12. um 19.15 Uhr
So 25.12. bis Mi 28.12. um 21.00 Uhr
Endstation Kino im Bahnhof Langendreer
Wallbaumweg 108, 44894 Bochum
Telefon 0234 – 68 71 620
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endstation.kino & bodo präsentieren:Im Weltraum gibt es keine Gefühle
32 KINOTIPP | von endstation.kino
Serra, Richard | Es stehen noch viel zu wenig rostige Stahlskulpturen in unseren Innen-
städten herum. Serras wunderbares „Terminal“ am Bochumer Hauptbahnhof rostet stillver-
gnügt seit den Achtzigern vor sich hin und zeigt dem Ruhrgebietler wie eine Jahrzehnteuhr
an, wie die Zeit verrinnt und ferne Reiche untergehen, aber der SPD-Ortsverein bleibt, wenn
auch schwankend.
Tee trinken | Das macht aber doch nur der Magath, oder?
Ultras | Fanatismus können wir überhaupt nicht brauchen. Weder im Sport noch in der
Politik. Und Kunst-Ultras? Will man die haben? Meese, klar. Aber dem Lüpertz sein „Herku-
les“, den hat doch ein Kunst-Ultra gemacht, oder? Nee, eben nicht. Das war richtig Arbeit.
Das „ultra“ in der Kunst ist nämlich eher nicht beim Pol „Recht auf Rausch“ angesiedelt,
sondern beim Pol „Selbstdisziplin“.
Vanitas | Ein bisschen barockes Vergänglichkeitsbewusstsein kann uns heutigen Zeitgenos-
sen nicht schaden. Passend zum Jahresende hier die Schlusszeilen aus Andreas Gryphius’
„Cardenio und Celinde“, tätowiert sie Euch über Euer Arschgeweih:
„Wer hier recht leben will vnd jene Kron ererben /
Die vns das Leben gibt; denck jede Stund ans Sterben.“
Veilchenpastillen | Gehören ins Sortiment jeder Bude. Wer lange nicht mehr an sie gedacht
hat, sollte sie wiederentdecken; sie schmecken nach früher.
Wasser | Niemals werde ich Leute verstehen, die in tropischer Sommerhitze die Geträn-
kemärkte stürmen und kistenweise Mineralwasser in den vierten Stock schleppen. Bei mir
kommt das Wasser aus dem Hahn. Ruhrgebietswasser versiegt nie, ist laborgeprüft und
schmeckt gut. Was die medizinische Wirkung des Wassers angeht, hänge ich der Theorie an,
dass oft nicht die Tabletten heilen, sondern das Glas Wasser, mit dem man seine Pillekes
runterspült. Vor dem Frühstück ein halber Liter lauwarmer Möhnesee, aah!
Wunderkind | Ich war, als ich im Alter von vier Jahren in Bochum-Langendreer vor der Tür
unseres Mietshauses saß und den wesentlich älteren Kindern aus der Nachbarschaft flüssig
aus Grimms Märchen vorlas, vermutlich das letzte Wunderkind, das das Ruhrgebiet hervor-
gebracht hat. Wir hatten hier nie einen Mozart, und mein Konto ist auch knietief im Dispo.
Was machen wir bloß falsch mit der Elitenförderung? Rudi Carrell wusste es, als er zu Arlo
Guthries Melodie sang: „… und Schuld daran ist nur die SPD!“
Xaver | Herrschaftszeiten, so heißt ja niemand in unseren Breiten. Vielleicht auch deshalb
hat mein Sohn, als er Lesen lernte, ganz korrekt gelesen: „Iksavauer.“ Das ist ein so geni-
aler Name©, dass Kevin, Mirko und Pamela ganz neidisch werden.
Zaretten | „Hömma, ich muss nomma anne Bude, Zaretten kaufn.“ Hömma, samma, kumma.
Vonne, anne, mitte. Durch unsere konzentrierte, per Konsonantenverdoppelung verknapp-
te, gepimpte und alles Überflüssige eliminierende Sprache bekommen selbst banale Sätze
oft etwas Dringliches. Kein Wunder, dass der oben genannte Satz manchmal der letzte ist,
den die Mudda vom Vadda hört.
DAS RUHRGEBIET VON A BIS Z | von Peter Erik Hillenbach
Mein nächstes Kind heißt IksavauerEine kleine Geschichte des Ruhrgebiets aus kultureller und philosophischer Sicht.
Zum Abschluss der Reihe: S bis Z.
S
TU
V
W
X
Z
INFO
Die hier abgedruckten Einträge wurden zuerst im vergangenen Dezember auf der Kultur-
plattform www.2010LAB.tv veröffentlicht. Peter Erik Hillenbach ist außerdem Chefre-
dakteur der Restaurantführer „Dortmund geht aus“ und „Bochum geht aus“ sowie Autor
der „Gebrauchsanweisung für das Ruhrgebiet“. Er lebt im Dortmunder Klinikviertel.
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Circus FlicFlac – »Schrille Nacht, eilige Nacht«
20.12. 2011 bis 08.01. 2012 um 20 Uhr (Sa, So & Feiertage auch 16 Uhr)
An den Westfalenhallen, Parkplatz E, Dortmund
bodo verlost 5 x 2 Karten für den 22.12. 2011 um 20 Uhr
VERANSTALTUNGEN DEZEMBER 2011 | VERLOSUNGEN | CD-TIPPS | zusammengestellt von Benedikt von Randow 33
Auch diesmal gibt es wieder Bücher und Karten für tolle Veranstaltungen zu gewinnen.Senden Sie uns eine Email mit dem Betreff „bodo-Verlosung“ und der Angabe Ihres Wunschgewinns an:
[email protected] schicken Sie uns eine frankierte Postkarte mit Ihrem Wunsch, Absender und Telefonnummer an:
bodo e.V., Postfach 100 543, 44005 Dortmund
Unter allen Emails und eingesandten Postkarten entscheidet das Losverfahren.
Alle Gewinner werden rechtzeitig telefonisch oder per Email benachrichtigt.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
16.12. | Michael Ehnert | Bahnhof Langendreer, Bochum | 3 x 2 Karten
22.12. | Circus FlicFlac | An den Westfalenhallen, Dortmund | 5 x 2 Karten
25.12. | Chris Hopkins‘ Swinging Christmas | Christuskirche, Bochum | 3 x 2 Karten
26.12. | Total Paranormal Weihnachtsshow | Sissikingkong, Dortmund | 1x 2 Karten
28.12. | A Christmas Carol | Theater im Depot, Dortmund | 3 x 2 Karten
22. – 28.12. | Im Weltraum gibt es keine Gefühle | endstation.kino, Bochum | 1 x 2 Karten
FairBleiben – ethisch und ökologisch korrekte Bekleidung | 3 Einkaufsgutscheine zu je 20 Euro
Liebe, Trauer und Vergeltung? | Feridun Zaimoglu | 2 Exemplare
Die Küche – neue (Ess-)Klasse | 1 Vier-Gänge-Menü „all inclusive“ für 2 Personen |
Harkortstraße 16, 44552 Dortmund
Viel Glück, wünscht Ihr bodo-Team!
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flöte, Ukulele, Panflöte und anderem Blas- und Zupfwerk
sehr gut umgehen können. Ihr Programm „Musikcomedy
für Fortgeschrittene“ verspricht „geschredderte Pop-
songs, gehexelten Rock und eine Prise Wahnsinn.“
Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr
SA 03 | 12 | 11
Theater | Liegen lernen
Eine Jugend im Ruhrgebiet in den 80er-Jahren: Das be-
deutet Pershing II, ELO, Öko-AG, „Hart, aber herzlich“,
Arbeitskreis Nicaragua, Cordhosen, Mix-Kassetten, Wald-
sterben, Barclay James Harvest, 25 DM Mindestumtausch
für den Tagestrip nach Ost-Berlin – mittendrin Helmut.
Und Britta, die Neue in der Klasse, die derartig schön
ist, dass es für Helmut im Rest seines Lebens nur noch
eine Sehnsucht gibt. Er lässt alles stehen und liegen und
macht sich auf den Weg nach Berlin... Mit seinem Sprach-
witz ist dem Bochumer Kultautor und VfL-Aufsichtsrat
mit „Liegen lernen“ 2000 ein Zeitgeistroman der 80er
und 90er Jahre gelungen, der auf raffinierte Weise sowohl
die Atmosphäre zweier Jahrzehnte einfängt, wie auch das
literarische Portrait einer Jugend in Deutschland zeigt.
Die Bühnenadaption bringt nun das WLT als Uraufführung
auf die Bühne. „Ich bin völlig locker, was den Umgang mit
dem Stoff angeht. Beim Theater herrschen andere Geset-
ze, also: Spielt damit ‘rum!“
Stadthalle, Castrop-Rauxel, 20 Uhr
Theater | Die schöne Wassilissa
Die schöne Wassilissa lebt mit ihrem Vater, ihrer Stief-
mutter und Stiefschwester zusammen. Die Stiefmutter
kann ihre schöne Stieftochter nicht ausstehen. Während
sie die eigene Tochter den ganzen Tag verwöhnt, lässt sie
Wassilissa von früh bis spät arbeiten und nie ist sie mit
ihr zufrieden. Eines Tages schickt die Stiefmutter Wassi-
lissa in den Wald zum Holzholen. Dort trifft sie auf Ilja,
einen jungen Burschen, der sich in sie verliebt. Als er ihr
folgt, sieht er, wie Wassilissa von der Hexe Baba Jaga
gefangen genommen wird. Ilja will sie befreien. Doch
bevor ihm das gelingt, sind noch Abenteuer mit einem
Bären und einer Räuberbande zu bestehen. „Die schöne
Wassilissa“ nach Motiven von Alexander N. Afanassjew
wurde für Kinder ab sechs Jahren umgeschrieben. Das
Ensemble entführt die kleinen und großen Zuschauer in
die Welt des russischen Märchens.
Schauspielhaus, DO, 18 Uhr (auch 06., 11., 14., 22., 26.12.)
SO 04 | 12 | 11
Mischmasch | Internationale Weihnachtsfeier
Auch in diesem Jahr lädt die Auslandsgesellschaft ein,
die vorweihnachtliche Stimmung mit kulturellen Bei-
trägen und internationalem Imbiss zu genießen. Albina
Gonopolschi singt russische Lieder und Romanzen, Sa-
chiko Bömer-Oshiumi tritt mit japanischen Liedern auf,
sie wird am Klavier begleitet von Kazuyuki Ogimoto.
Miroslaw Tybora und Dagmara Daniel bieten mit Akkor-
deon und Violine stimmungsvolle Weihnachtsmusik.
Nach der Pause tritt die schottische Tanzgruppe Loch
Ness Monsters auf. Auf dem Programm: Scottish Count-
ry Dances, Jigs, Reels und Strathspeys (von schnell und
lebhaft bis höfisch, ein Querschnitt schottischer Tanz
und Musik). Unter der Leitung von David Cheong singt
der Agape-Chor weihnachtliche Lieder. Lateinamerika-
nische Lieder, Huapango und Son aus Mexiko, Zamba
aus Argentinien, Bolero aus Kuba und Bossa Nova aus
Brasilien gibt es von Berlinerin Anne Jannick und dem
gebürtigen Mexikaner Josue Partida. Einen schwung-
vollen Abschluss versprechen Vanglis und Jannis mit
02 | 12 | 11 Butterfahrt 5
34 VERANSTALTUNGEN DEZEMBER 2011
04 | 12 | 11 Märchen aus 1001 Nacht
DO 01 | 12 | 11
Theater | Volkers Lied
Spielmann Volker musiziert, Brunhild leidet und
Hagen von Tronje sollte man nicht vertrauen – mit
diesen drei Figuren des Nibelungenliedes treibt
der Bochumer Autor Werner Streletz ein vertrackt-
tragisches Spiel. Es geht um Psycho-Ticks, das
große Geld und die Altlast der dunkel-dräuenden Mär
aus dem Mittelalter. Zu erleben ist, wie das Unheil,
das schon die Nibelungen ins Verderben zog, auch
heute noch wirksam sein kann. Zum Schluss singt nur
noch Volker sein Lied. Werner Streletz schrieb das
Theaterstück auf Einladung des Rottstr5-Theaters für
dessen ganzjährigen Nibelungen-Zyklus.
Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr (auch 08.12.)
FR 02 | 12 | 11
Poetry Slam | Dead Or Alive Slam
Ein halbes Jahr nach dem ersten Duell treffen sich
lebende und tote Dichter zur Revanche auf der gro-
ßen Bühne. Die Poetry Slammer Franziska Holzheimer,
Pierre Jarawan, Renato Kaiser und Torsten Sträter
wollen den knapp errungenen Titel verteidigen. Das
Team des Todes schickt mit Raiko Küster, Marco Mas-
safra, Nicola Mastroberardino und Werner Strenger
erneut vier Schauspieler ins Rennen, die verstorbenen
Helden der Weltliteratur Körper und Stimme leihen.
Sebastian 23 moderiert den Kampf frischer, heutiger
Texte gegen Klassiker und Überraschungen aus den
Nachlässen, musikalisch unterstützt wird er dabei von
DJ Nachtfalke. Und das Publikum entscheidet, ob der
Wanderpokal in die WG oder die Gruft wandert.
Schauspielhaus, Bochum, 20.30 Uhr
Musik-Comedy | Butterfahrt 5
Der Humor ist das Schmier- und Gleitmittel, das die Grup-
pe so gut funktionieren lässt. Er ist mal leise, fast subtil,
viel öfter jedoch skurril, manchmal gar anarchisch. Wenn
sich der gesamte Blödsinn, den das Quintett so ausheckt
dann noch mit rotzfrecher Clownerie paart, ist die Mi-
schung perfekt. Den Rest besorgt die Musik. Bei Butter-
fahrt 5 stehen fünf Profis auf der Brücke, die mit Gitarre,
Schlagzeug, Keyboards, Saxofon, Tuba, Klarinette, Quer-
THE SOUL SESSION | One (Agogo Records / Indigo)
„Get down to the essence of your soul“, haucht Sängerin Bajka, deren Timbre stark an die grandiose Erykah Badu
erinnert, uns im Opener „Struggles and Blessings“ entgegen. Und schon hat man quasi das Motto dieser Platte.
Multiinstrumentalist Ralph Kiefer, der auch schon mit den Poets Of Rhythm positiv auffiel, hat hier ein wirklich coo-
les, modernes Soul-Album eingespielt. Freunde des Acid Jazz der 90er werden ihre uneingeschränkte Freude daran
haben. Die Kombination aus lässig groovenden HipHop-Beats mit 70er Soul und Rare Funk funktioniert noch immer
einwandfrei. Und ist ja, guckt man mal in die Charts (z.B. Aloe Blacc oder Cee Lo Green) wieder oder immer noch
sehr populär. Kiefer belässt es aber nicht allein bei den HipHop-Beats, seine Rhythmen sind bisweilen auch gerne
mal etwas latinesk und nujazzig. Seine Sänger und Gastmusiker sind allesamt Könner auf dem Gebiet zeitgemäßer
Soulmusik und geben dem Ganzen die letzte Würze. Gelegentlich hat man gar das Gefühl Guru von Jazzmatazz, Erykah
Badu oder Lenny Kravitz sind mal eben im Studio vorbei gekommen. Auch vor dem Covern von Klassikern wie „Light
My Fire“ oder „A Horse With No Name“ fürchtet sich Kiefer nicht und braucht sich mit seinen Versionen auch nicht zu
verstecken. Auf jeden Fall hört sich die gesamte Platte sehr organisch an und ist natürlich jederzeit voller Soul. (BvR)
CD-TIPP
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ihren griechischen Liedern (Gesang, Gitarre und Bou-
zouki). Eine Ikebana-Ausstellung und ein internationa-
les Buffet runden das Programm ab.
Auslandsgesellschaft, Dortmund, 14 Uhr
Kindertheater | Märchen aus 1001 Nacht
Das Theater Wundertüte hat die bekanntesten Geschich-
ten aus dem berühmten Märchenzyklus für Kinder ab vier
Jahren bearbeitet und mit viel Musik, Tanz und Gesang
inszeniert. Aufwendige Kostüme und ein stimmungsvol-
les Bühnenbild verzaubern Groß und Klein und stillen die
kindliche Lust auf Phantasie und Abenteuer. „Welch er-
frischende Inszenierung mit tollen Darstellern, fantasie-
vollen Kostümen, witzigen Dialogen und Erzählungen.
Eine gelungene Hommage an das Geschichtenerzählen
an sich. Sehr empfehlenswert. Weitererzählen!“ (Bodo
Bauer, Welttheater der Straße)
Bahnhof Langendreer, BO, 15 Uhr (auch 05.12. 10 Uhr)
DI 06 | 12 | 11
Kleinkunst | Thomas Gsella
Lesereisen führten Thomas Gsella in nahezu jeden Win-
kel der Republik. Wenn er nicht gerade unterwegs ist
und liest und schreibt, rührende Liebeserklärung an
den Zauber der Städte und ihrer Bewohner zum Beispiel,
dann findet man ihn in Aschaffenburg. Dort wohnt er
und verfasst Gedichte und Prosa unter anderem für WDR,
SWR, FAZ, Titanic, Spiegel Online, taz, WAZ, WOZ und SZ-
Magazin. Viele Jahre lang war Gsella Titanic Redakteur
und von 2005 bis 2008 sogar Chefredakteur des Frank-
furter Satiremagazins. Er ist Co-Autor des lehrreichen
Fußballbuchs „So werde ich Heribert Faßbender“, aus
seiner Feder stammen elf Bände meist komischer Lyrik.
Im Jahr 2004 erhielt Gsella den „Cuxhavener Joachim-
Ringelnatz-Nachwuchspreis für Lyrik“ für seine ersten
Gedichtbände und kürzlich erst den „Robert-Gernhardt-
Preis“. „Längst ist er kein Gsella mehr, schon seit langem
darf er sich Meista nennen“, wusste Gernhardt.
Sissikingkong, Dortmund, 20 Uhr
MI 07 | 12 | 11
Kindertheater | Filipa unterwegs
Filipa ist eine Prinzessin und soll bald Filipanien re-
gieren. So wollen das ihre Eltern, die Königin und der
König, die genug regiert haben und nun endlich am
Strand liegen wollen. Aber Filipa will noch nicht regie-
ren. Die Krone ist ihr viel zu groß, und einen König hat
sie auch noch nicht. Und es fehlen noch so viele Dinge
in Filipanien. Zum Beispiel eine schönere Landschaft,
mehr Tiere, was zum Spielen, frischer Wind, neue Ge-
räusche, leckeres Essen und vieles mehr. Außerdem ist
Filipa viel lieber unterwegs und erlebt Abenteuer. „Mit
ihrer quirligen Art zieht Filipa kleine und erwachsene
Zuschauer gleichermaßen in den Bann und lässt sie ihre
Abenteuer miterleben.“ (WAZ)
Flottmann-Hallen, Herne, 10 & 12 Uhr (auch 06.12.)
Kleinkunst | Moses W.
Männer sind von Null auf Hundert in drei Sekunden und
brauchen für den Einkauf sämtlicher Weihnachtsge-
schenke maximal 24 Stunden. Das bedeutet aber nicht,
dass ihnen Weihnachten egal ist. Immerhin sind nahezu
alle Rollen der Weihnachtsgeschichte männlich besetzt:
1 Zimmermann, 1 Jesuskind, 3 Könige, 1 Komet, 1 Palm-
busch, 1 Ochse und 1 Esel – alles Männer. Lediglich die
Rolle der Maria bleibt Frauensache. Moses W. spricht in
seinem Weihnachtskabarett „Mach Platz, ich mach Plätz-
chen“ darüber, was sich abspielt, wenn Männer sich aufs
Christkind freuen. Er backt im Stundentakt, lernt mit
der Weihnachts-CD Lieder auswendig, nutzt den Amazon
Last-Minute-Service und vertraut auf die Zuverlässigkeit
von DHL. Wenn das kein Gottvertrauen ist.
Zauberkasten, Bochum, 20.30 Uhr
Musik | Bochumer Blues Session
Das Dezember-Special der Blues Session präsentiert
mit Get The Cat und Das mobile Blueskommando dies-
mal Blues zum Tanzen. Get The Cat setzen sich spie-
lend über Genregrenzen hinweg. So interpretiert das
Quartett mit Frontfrau Astrid Barth ihre bluesigen Bal-
laden mit einem deutlich jazzigeren Einschlag sowie
ihren souligen Nummern. Den musikalischen Gegenpol
dazu bildet Philipp Roemer mit seiner Gitarre. Locker
und leicht lässt er seine Finger über den Gitarrenhals
wandern. Schlagzeug und Bass sorgen derweil für den
stimmigen Groove. Das mobile Blueskommando ist mal
swingig, mal ruhig. Der Spaß an den Live-Auftritten
wird offenkundig, wenn Gräsel, Lüke und Feierfeil die
Lust am Blues transportieren. Tanzbarkeit und gute
Stimmung ist ebenso ihr Anliegen, wie ihr zusätzliches
Thema, den Rock‘n‘Roll. Der Eintritt ist frei.
KulturCafé der Uni, Bochum, 20 Uhr
SA 10 | 12 | 11
Theater | Ute, die Gute
Die Uraufführung „Ute, die Gute“ im Nibelungen-Zyklus
verschafft dieser Mutter aller Könige endlich den großen
Auftritt. Starr und stark und scharfzüngig hat Ute (fast)
alle überlebt. Im Versteck, in ihrem Bunker in Burgund.
Man weiß nicht, wie lange sie dort schon ausharrt. Sie
trinkt viel, Burgunderwein, natürlich. Und so könnte es
07 | 12 | 11 Filipa unterwegs 10 | 12 | 11 Ute, die Gute09 | 12 | 11 Bochumer Blues Session
ewig weiter gehen. Wenn nicht der Einmarsch der Hun-
nen drohte. „Ute, die Gute“ erzählt die nie zuvor gehörte
Vorgeschichte allen Übels und das ungeahnte Ende aller
Wormser Tage. In einer Nacht im Bunker spielt sich ein
skurriles Psychodrama ab, rund um eine Frau, die von
den Nibelungen mehr als ein Lied singen kann. „Mit der
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36
guten Ute wird die Königin von Burgund ins 21.
Jahrhundert katapultiert – inklusive Quarkmasken,
Tetrapack-Wein und Global Players.“ (RN)
Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr
SO 11 | 12 | 11
Kleinkunst | Ox und Esel
André Wülfing bringt seinen Gelsenkirchener Schauspiel-
Kollegen Markus Kiefer für „Ox und Esel“ mit nach Dort-
mund. Auf eigenwillige Art präsentieren sie das etwas
andere Krippenspiel von Norbert Ebel: Die zwei schrägen
Burschen im Stall entdecken plötzlich etwas Kleines, Le-
bendiges in ihrem Futtertrog. Das Baby will gefüttert
werden, schreit ohne Ende und – da seine Eltern auf
unbestimmte Zeit auf Weihnachtseinkauf oder Volks-
zählung sind – muss es auch noch vor den Soldaten des
bösen Herrn Rodes beschützt werden. Einig sind sich Ox
und Esel da nicht unbedingt.
Theater im Depot, Dortmund, 19 Uhr
DI 13 | 12 | 11
Musik | Götz Widmann
„Godfather of Liedermaching“ nennen ihn seine Freun-
de, das mag vielleicht ein bisschen viel der Ehre sein,
aber tatsächlich hat Götz Widmann einem praktisch
toten Genre ganz neues Leben eingehaucht und ihm
damit eine völlig andere Richtung gegeben. Sein Stil,
eher vom erhobenen Mittel- als Zeigefinger geprägt,
hat eine ganze Generation von jungen Liedermachern
inspiriert, es einmal anders zu probieren als die Barden
der Altachtundsechziger. Jetzt ist er wieder auf Tour
mit seinem neuen Album „Ahoi“ und jeder Menge Klas-
sikern. Lieder die einen ergreifen, authentisch, lustig,
traurig, zärtlich, böse, herrlich einfach, raffiniert, vor-
getragen mit einer abgrundtiefen Stimme, die Ehrlich-
keit und Menschenliebe ausstrahlt.
Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr
MI 14 | 12 | 11
Comedy | Der Telök & Helmut Sanftenschneider
Für alle, die einen gemütlich besinnlichen Vorweih-
nachtsabend mit Geschichten, die zum Schmunzeln aber
auch zum Nachdenken anregen, erwarten, heißt es: Wir
müssen leider draußen bleiben. Ab nach Hause und dort
weiter vor sich hin stauben. Denn hier öffnet die „Weih-
nachtsmetzgerei“ (so der Programmtitel) ihre Pforten,
ein X-Mas-Comedy-Shop der ganz speziellen Art. An der
Theke werden Sie bedient von Fachpersonal, das in die-
ser Konstellation seinesgleichen gar nicht erst sucht.
Auf der einen Seite Der Telök: Deutschlands einziges
dreiarmiges Comedy-Duo, die beinharten Blutgrätscher
auf dem Feld der satt absurden Komik. Und auf der ande-
ren Seite Helmut – the womanizer – Sanftenschneider:
Genialer Musiker und begnadeter Moderator der bekann-
ten Nachtschnittchen-Comedy-Show aus Herne.
Zauberkasten, Bochum, 20.30 Uhr
Mischmasch | Finn-Ole Heinrich & Spaceman Spiff
Die Reihe „Lauscher“ präsentiert diesmal einen musika-
lischen Leseabend mit Finn-Ole Heinrich und Spaceman
Spiff. Gemeinsam treten sie mit ihrem Programm „Du
drehst den Kopf, ich dreh den Kopf“ als Geschichtener-
zähler auf. Finn-Ole Heinrich ist Autor, Spaceman Spiff
ist Musiker. Der eine liest verstörend schöne Texte und
der andere spielt betörend schwermütige Gitarren-Songs,
die ungewöhnlich nahe gehen und im richtigen Moment
laut knallen. Die zwei Wortkünstler sind seit einiger Zeit
als Duo unterwegs. So können sich die melancholisch-
schönen Lieder von Spaceman Spiff und die filmischen Ge-
schichten von Finn-Ole Heinrich miteinander verbinden.
FZW, Dortmund, 20 Uhr
DO 15 | 12 | 11
Musik | Bluegrass & Americana Music Festival
Im 100. Geburtsjahr von Bill Monroe, dem Vater der
Bluegrass Music, gastiert das Bluegrass-Festival auch
36 VERANSTALTUNGEN DEZEMBER 2011
13 | 12 | 11 Götz Widmann 15 | 12 | 11 Della Mae
im domicil. Diesmal mit drei jungen Bands aus dem Nor-
den der USA: Die Musikerinnen von Della Mae drücken
ordentlich auf die Tube mit viel Drive und Gesang und
einer Mischung aus Altem und Neuem. „Deadly Gentle-
men“ gelten als „Banjo Rapper“. Hier trifft Bluegrass
auf HipHop, Rap und New Acoustic Music. Schließlich
das Duo Cahalen Morrison & Eli West aus Seattle mit
archaischen Klängen auf Banjo und anderen Saitenin-
strumenten, betörenden Männerstimmen, gehaltvollen
Texten und neuen Kompositionen.
domicil, Dortmund, 20 Uhr
FR 16 | 12 | 11
Musik | Broilers
Mit ihrer energiegeladenen Mischung aus Punk, Ska und
Rockabilly eroberten sich die fünf Düsseldorfer mit ihrem
aktuellen Album „Santa Muerte“ bereits im Juni einen er-
staunlichen Platz 3 der Charts. Zudem sind sie als „Bester
Live-Act“ dieses Jahr für die 1LIVE Krone nominiert. Nun
stören die Broilers im Dezember noch einmal ordentlich
die vorweihnachtliche Ruhe. „Was macht man, wenn man
seine Instrumente noch schlechter beherrscht als Vorbil-
der wie die Sex Pistols, die Toten Hosen oder The Clash
zu ihren Anfangszeiten? Ganz klar, man lässt sich davon
nicht beirren, sondern gründet einfach eine eigene Oi-
Punk-Band“, veräppelte laut.de die Band noch anfänglich.
Zu dem Oi-Punk des Quartetts mischten sich aber nach
und nach auch Einflüsse aus dem Psychobilly-, Ska- und
Reggae-Bereich hinzu. Entsprechend erweiterte sich das
Publikum, das sie mit ihrer Musik erreichen – die ewig
Gestrigen aus der Skinhead-Szene werfen ihnen bald den
Ausverkauf vor. Die Band gibt (zum Glück) einen Scheiß
drauf und macht einfach mit dem weiter, was Spaß macht.
Westfalenhalle 3a, Dortmund, 20 Uhr
JEWRHYTHMICS | Jewrhythmics (Essay Recordings)
„Aus den Tiefen des Tel-Aviv-Moscow-Widerstands mit fanatischem Augenmerk aufs Detail und Verwendung analoger
Maschinen von vorvorgestern entstehen Songs aus der Symbiose von Yiddish und Italo Disco. Tote Musik mit einer toten
Sprache, welche sich in einem Untergrund-Club genauso passend anhört wie auf einer Bar Mitzwa. Koschere Ernährung
für die nicht notwendigerweise koscheren Seelen. Jiddisch ist tot! Es lebe Jiddisch!“ Soweit das „Manifest“ des Projek-
tes Jewrhythmics zu ihrem Debüt auf dem umtriebigen Label von Shantel. Jiddische Klassiker und andere All-Time-Hits
(u.a. „Misirlou“ von Dick Dale) eingebettet in Synthie-Sounds der 80er-Dico-Ära – das hört sich ja erst einmal ganz
spannend an. Aber ich persönlich bekomme leider schon spätestens mit dem zweiten Song ein wenig die Krise. Das
hört sich wie gruseligste Italo-Disco an. Einige Songs allerdings finde ich ganz originell. Am ehesten dann, wenn ich
an Kraftwerk, Depeche Mode oder Human League denken muss. Leider fühle ich mich bei vielen Songs an Alphaville,
Bronski Beat und Modern Talking erinnert. Und das läst mich kurzzeitig erschaudern. So sehr ich derlei musikalische Ko-
operationen über alle Ländergrenzen hinweg und auch stilistische Vermischungen immer positiv einschätze, in diesem
Falle ist das Ergebnis so gar nicht meine Welt. Aber vielleicht gefällt es ja anderen Menschen; durchaus denkbar. (BvR)
CD-TIPP
37
16 | 12 | 11 Der kleine Prinz 17 | 12 | 11 Klazz Brothers & Cuba Percussion17 | 12 | 11 Feindrehstar
BODO VERLOSUNG | Michael Ehnert
Knurrend, geifernd und gnadenlos schlägt Micha-
el Ehnert in seinem neuen Programm „Das Tier in
mir – Deutschland primat“ seine
Zähne in die schwammig-wurstige
Elite unseres Landes. Rücksichtslos
und böse und dabei enorm lustig.
Eine Körperverletzung, die gut tut.
Eine Katharsis, auf die wir lange
gewartet haben. Denn Ehnert ist
ein ausrastender Einflüsterer, ein
sanfter Choleriker, ein tief trauriger Komiker, der
nicht bereit ist, sich mit dem Status Quo abzufinden.
„Eine großartige Analyse deutscher Alltäglichkeiten.
Soviel pessimistische Ekstase löst Freude aus. Das
ist grandioses Kabarett!“ (Hamburger Morgenpost)
Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr
bodo verlost 3 x 2 Karten.
Teilnahmebedingungen auf Seite 33.
Theater | Der kleine Prinz
„Der kleine Prinz“ in Tetiana Sarazhynskas Interpre-
tation ist ein Stück für zwei Schauspieler (Markus
Kiefer und Giampiero Piria) und eine Kinderstimme.
Der Flieger Saint-Exupéry stützt mit seinem Flug-
zeug in der Wüste Sahara ab. Er überlebt diesen
Unfall und versucht seinen Flieger zu reparieren.
Er muss es schaffen, denn er hat nur wenig Wasser
dabei. Da taucht plötzlich eine seltsame Figur auf.
„Bitte mal mir ein Schaf“, sagt der kleine Prinz. Zwi-
schen beiden entsteht eine Freundschaft. Kann der
kleine Prinz dem Flieger aus seiner aussichtslosen
Situation helfen? Ein modernes Märchen über Liebe
und Freundschaft und über das Erwachsenwerden.
Für Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren.
Flottmann-Hallen, Herne, 20 Uhr
Musik | Georg Zimmermann Trio
Georg Zimmermann tischt Musikkunst der etwas an-
deren Art auf. Er stolpert durch die Absurditäten des
Lebens, des Chaos' und der virtuellen Welt. Wie eine
Mischung aus klimperndem Tucholsky und deutschem
Beatnik singt er von Exzessen, skurrilen Gestalten
und der Existenz zwischen web 3.0 und Kneipentre-
sen. Unterstützt von Tobias und Jochen Zimmermann
stöpselt er die Akustikgitarre in einen etwas aus den
Fugen geratenen E-Verstärker und das Ergebnis ist
durchaus tanzbar. Mit geradezu dynamischer Inkom-
petenz führt das Trio sein Publikum durch Trash-Folk,
Blues und Rock. Die Songs atmen dabei stets den
Geist von Satire und Poesie. Der Eintritt ist frei.
Subrosa, Dortmund, 20 Uhr
SA 17 | 12 | 11
Musik | Klazz Brothers & Cuba Percussion
Mit „Classic meets Cuba“ sind sie berühmt gewor-
den und haben dafür denn auch einen Echo Klas-
sik und einen Jazz Award bekommen. Jetzt sind
sie mit neuem Programm unterwegs: „Christmas
meets Cuba". Der Titel liest sich zwar wie aus dem
Reiseprospekt geklaut: Deutscher Tannenbaum
trifft auf Latin Groove, Marzipan auf Merengue und
Kubas Sinnlichkeit auf Stille Nacht. Die Fünf sind
allerdings so dermaßen gut an ihren Instrumen-
ten und dabei so lässig, so sanft ironisch, dass sie
selbst gröberen Kitsch ganz locker und verspielt
in meisterhafte Weihnachten wandeln. Im letzten
Jahr jedenfalls haben sie ihr Meeting in den Phil-
harmonien Berlin und München vorgestellt. Wird
Zeit fürs Ruhrgebiet, Weihnachtszeit.
Christuskirche, Bochum, 20 Uhr
Theaterlesung | Beyond the Dark
Studierende haben in Projekten forschenden
Lernens Menschen nach ihrer Lebensgeschichte
gefragt und sich auf intensive analytische Ver-
stehensprozesse eingelassen. Nach Abschluss der
Arbeiten haben sie in der Präsentationswerkstatt,
einem Seminar der Fakultät für Sozialwissen-
schaft, ihre Begegnungen mit den Biographen,
die Forschungserfahrungen und die Ergebnisse
reflektiert, diskutiert, theoretisch weitergedacht
und für eine Vorstellung vorbereitet. Mit einigen
Ausschnitten aus den „Nach-Forschungs-Arbeiten“
werden die Studierenden in dieser Theaterlesung
mit dem Titel „Beyond the Dark – Biographische
Begegnungen in Ruhrnächten“ die Menschen vor-
stellen, die sie mit ihren Lebensgeschichten ken-
nen gelernt haben. Der Eintritt ist frei.
MZ der Ruhr-Uni, Bochum, 17 Uhr
Musik | Feindrehstar
Human Jazzhop Palim oder auch Organic Live Pogo
with Modern Technical Hip-Hop und House Roots.
Das achtköpfige Musikerkollektiv Feindrehstar aus
Jena steht für live gespielte Clubmusik, Trance und
Körperlichkeit, musikalisch gestrickt aus HipHop, Nu-
Jazz, Broken Beats, House, Funk und World Music. Zu-
sammengefasst: Krautclub. Und tanzbar. Die Band ist
Gewinner des Creole Wettbewerbs für Mitteldeutsch-
land in 2008 und hat zudem ihre erste EP mit dem
Titel „Dancetrack“ bei Jazzanova veröffentlicht. Im
Anschluss: Global Player Party von Funkhaus Europa.
domicil, Dortmund, 21 Uhr
SO 18 | 12 | 11
Theater | Eisenstein
„Dieses Stück ist ein Wagnis, ein Experiment, ein
unmögliches Genre. Über 63 Jahre erstreckt sich
die gespielte Zeit, und sie bewegt sich nicht im-
mer in großen Sprüngen vorwärts. Auf der Bühne
entwirrt sich alles und wird einfach, klar, traurig,
sentimental, witzig, spannend, unterhaltend; be-
sorgniserregend wahr und furchtbar deprimierend.
Mehr als drei Stunden dauert der Abend, aber er
vergeht wie ein Traum. Wunderbare Schauspieler
gestalten in klug abstrahierender Regie etwas,
das an Volkstheater grenzt, mit kühnen Mitteln;
sie zeigen das Leben in seinen furchtbaren Verstri-
ckungen. Was aus einer Liebe werden kann.“ (WAZ)
Schauspielhaus, Bochum, 18 Uhr
DI 20 | 12 | 11 – SO 08 | 01 | 12
BODO VERLOSUNG | Circus Flic Flac
Für das Programm „Schrille Nacht, eilige Nacht“
reisen 60 Artisten aus China, Russland, aus den
USA und Kanada, aus
Kolumbien, aber auch
aus Ungarn und Italien
und sogar aus Köln und
Düsseldorf an. Viele
von ihnen sind so ge-
nannte Circus-VIPs; dazu zählen die kolumbiani-
schen Motorradakrobaten im „Globe of Speed", die
todesmutigen Freestyle Springer von „AirFours“
auf ihren Motocross-Maschinen, aber auch der
Schweizer Balance-Schamane Rigolo, die ungari-
schen Breakdancer von der „Sick 7 Crew“ und das
Trapezduo Rose (USA), das schon viele internatio-
nale Zirkus- und Artistik-Preise einheimsen konn-
te. Schräg, schrill und schnell, aber auch festlich,
frech und fröhlich – so soll es werden im neuen
Weihnachtscircus für das Revier. Damit die Feierta-
ge zum furiosen Fest für alle Sinne werden – voller
Leidenschaft und Action, Spannung und Romantik,
Tempo und Nervenkitzel, ziehen die Künstler alle
Register. Ab 20. Dezember heißt es also „Schrille
Nacht, eilige Nacht“ im gelb-schwarzen (wie pas-
send!) FlicFlac-Zelt an der Westfalenhalle (Park-
platz E, Victor-Toyka Straße). Mehr Infos und Fotos
gibt es unter www.flicflac-dortmund.de.
An den Westfalenhallen, Dortmund, 20 Uhr
(Sa, So & Feiertage auch 16 Uhr)
bodo verlost 5 x 2 Karten für den 22.12. 2011.
Teilnahmebedingungen auf Seite 33.
38
DI 20 | 12 | 11
Musik | Silbermond
Silbermond haben in den vergangenen zehn Jahren
einen beeindruckenden Weg zurückgelegt. Nach
mittlerweile drei Studioalben und über drei Milli-
onen verkauften Tonträgern, den wochenlangen
Nummer 1 Hits „Das Beste“ und „Irgendwas bleibt“
und zahlreichen Auszeichnungen (unter anderem sieben
Mal den ECHO, davon zwei Mal als bester Live Act), zieht
es die Band immer wieder als erstes zurück auf die Büh-
ne. Kennen gelernt haben sich die Mitglieder von Sil-
bermond übrigens 1998 bei dem musikalischen Jugend-
projekt „Ten Sing“ des CVJM in Bautzen in Sachsen. Die
aktuelle Tour steht unter dem Motto „Himmel auf“.
Westfalenhalle 1, Dortmund, 20 Uhr
Kleinkunst | Juckel Henkel
1954 erblickte der Autor Juckel Henke in Bochum das
Licht der Welt. Volksschule, Gymnasium, Abitur, abge-
brochenes Germanistik- und Philosophiestudium. Bis
1971 Amateurfußballer beim VfL Bochum (danach stieg
der Verein direkt in die 1. Fußball-Bundesliga auf). 12
Jahre in diversen Schallplattenfirmen (Einpacker, Auspa-
cker, Importeur, Exporteur, Marketingfritze), anschlie-
ßend für einen Monat als Telefonverkäufer in einer Han-
delsagentur tätig (größter Erfolg: Verkauf von 100.000
Gartenzwergen an einen großen deutschen Discounter).
Autor, Moderator, Röhrenjeansmodel, Kabarettist, Voice-
over-Sprecher und in einer Essener Werbeagentur als All-
zweckwaffe tätig. Aktueller Roman: „Frauen, die nach
Schinken stinken“. Der Eintritt ist frei, moderiert von
dem „Whiskyleser“ Dirk Oltersdorf.
Biercafe, Bochum, 20 Uhr
MI 21 | 12 | 11
Kleinkunst | Jochen Malmsheimer & Tiffany Ensemble
Jochen Malmsheimer „jauchzt und frohlockt“ mal ganz
anders. Zwischen seinen unübertroffenen, bitterbösen
Festgedanken sorgt das fünfköpfige Tiffany-Ensemble,
sozusagen als musikalische Verstärkung und Kontrast
für weihnachtliche Momente. Unter der Leitung von Uwe
Rössler, der auch die Klaviertasten bediente, konnten
die Musiker mit eigenen Arrangements bekannter Stücke
begeistern. Von Mozarts „Türkischer Marsch“ bis zu Karel
Svobodas „Biene Maja“-Thema war sich das Quintett für
keine klassische Neu-Interpretation zu schade.
Saalbau, Witten, 20 Uhr
DO 22 | 12 | 11
Zirkus | Roncallis Winterträume
Seit 35 Jahren begeistert der weltberühmte Circus Roncal-
li die Zuschauer von Moskau bis München, von Stuttgart
bis Sevilla, von Wiesbaden bis Wien. Bernhard Paul, Direk-
tor, Clown und Regisseur gilt nicht umsonst als „Erneuerer
der Circuskunst“ (Die ZEIT). Nun kehrt er nach drei Jah-
ren vom 22. Dezember 2011 bis 01. Januar 2012 mit einer
Weihnachtsshow ins Konzerthaus zurück, die exklusiv für
diesen Ort kreiert wurde. Hochkarätige, internationale
Künstler versprechen ein turbulentes, poetisches und vor
allem vielseitiges Programm, das Körperkunst, Komik und
Artistik zu einem fantastischen Spektakel vereint.
Konzerthaus, DO, 19.30 Uhr (auch 23. & 25. bis 31.12.)
SO 25 | 12 | 11
BODO VERLOSUNG | Chris Hopkins‘ Swinging Christmas
Klären wir erst einmal, wie das hier geht, „schwingen“.
Das Wörterbuch sagt, es handele sich um ein Tu-Wort
und bedeute „weit ausholend hin-
und herbewegen“. Im Weit-Ausholen
ist auch das Wörterbuch gut: 8. Jh.,
das althochdeutsche „swingan“ hieß
soviel wie „schütteln, fliegen, schwe-
ben„ ,im Altsächsischen bedeutete es
„sich schwingen“ oder auch „stürzen“,
und so langsam dämmert einem, dass
es mit Engeln zu tun haben muss, jenen Figuren, die
fliegen schweben stürzen, weil sie Schwingen haben.
Ist es Zufall, dass die Swing Society ihren Blasinstru-
mente-Spezialisten Engelbert Wrobel „Engel“ ruft? Zum
englischen „to swing“ ist es jedenfalls nicht weit, sagt
das Wörterbuch und schenkt uns diesen erstaunlichen
Satz: „Außergermanische Verwandte“ – wir reden vom
Swing – „sind spärlich und unsicher.“ Außer Sängerin
Shaunette Hildabrand, sie ist, sagt Chris Hopkins, „ein-
zigartig“. Er selber nennt sie nur „die Zauberhafte“,
und so langsam haben wir den Zauber von Weihnach-
ten wieder beisammen. Wäre da nicht eine Band, „die
swingen kann wie keine, seit Cyrenius Landpfleger in
Syrien war“. Ein Bochumer, der tausende Konzerte gibt
weltweit und dieses eine nur einmal im Jahr zuhause.
Christuskirche, Bochum, 17 Uhr
bodo verlost 3 x 2 Karten.
Teilnahmebedingungen auf Seite 33.
Theater | Nora oder Ein Puppenheim
Weihnachten steht vor der Tür, und mit der neuen Stelle
des Bankdirektors, die Torvald Helmer zum neuen Jahr
antreten wird, scheinen sich seine Karrierehoffnungen
und alle Träume seiner Frau Nora zu erfüllen. Doch auf
das scheinbare Idyll – er nennt sie sein Eichhörnchen, sie
schmückt den Tannenbaum – fällt ein Schatten. Ibsen gilt
mit seinen fein skizzierten Figuren als Wegbereiter des
naturalistischen Gesellschaftsdramas. „Nora ist ihrem
Mann ,Eichhörnchen‘, ,Lerche‘ und ,Singvögelchen‘. Das ist
bitter und hat zugleich hohes Comedy-Potential. Dieses
arbeitet Kay Voges in seiner Premiere geschickt heraus:
Caroline Hanke und Axel Holst geben das selbstgefällige
Traumpaar Helmer bis ins Slapstickhafte überzogen und
quälend glaubwürdig zugleich.“ (Süddeutsche Zeitung)
Schauspielhaus, Dortmund, 18 Uhr
Party | Cosmotopias Weihnachts Sause
Traditionell befeiert das Cosmotopia Weihnachten mit
einer ausgelassenen Sause. Es wird nicht besinnlich
38 VERANSTALTUNGEN DEZEMBER 2011
18 | 12 | 11 Eisenstein 21 | 12 | 11 Jochen Malmsheimer & Tiffany Ensemble
SCHRAVEN & BURMEISTER | Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander Kielland (Carlsen Comics)
Eine wahre Begebenheit, eine Katastrophe hat hier zwei Comic-Künstler nicht zur Ruhe kommen lassen bzw. inspiriert. 1980 ver-
sank in der Nordsee die norwegische Bohrinsel „Alexander Kielland“. Das Unglück forderte 123 Opfer. David Schraven aus Bottrop,
der eine große Faszination an diesen gigantischen Metalkolossen hegt – typisch „Kind des Ruhrgebiets“ - hat sich überlegt, was
da wohl genau passiert ist und wie es zu dieser Tragödie kommen konnte. Seine Erklärung resultiert aus einer unglücklichen Lie-
besgeschichte inmitten schroffer Menschen und der äußerst rauen Nordsee. Er hat daraus eine stimmige, eher düstere Geschichte
gemacht, die einen am Ende leicht verstört zurücklässt. Äußerst passend hat der Kieler Comiczeichner Vincent Burmeister dazu
seine Bilder gezeichnet, die teilweise über das gesamte Buchformat (60 x 21 cm) reichen. Auch ihn müssen Bohrinseln fasziniert
haben, und natürlich die Nordsee. Fast jedes Bild könnte einzeln in einer Ausstellung hängen und für sich alleine etwas erzählen.
Seine Bilder sind teilweise wie Bühnenbilder oder wie Großaufnahmen aus einem Film – opulent ohne überdosiert zu sein, auf jeden
Fall eindrucksvoll. Man ist zwar nach fünf bis zehn Minuten fertig mit dem Comic, aber Freunde von Kunst in Comics dürften auf
jeden Fall ihre Freude haben. (BvR)
COMIC-TIPP
39
25 | 12 | 11 Cosmotopias Weihnachts Sause22 | 12 | 11 Roncallis Winterträume
innegehalten, sondern die Korken fliegen und der wil-
de Teppichtanz wird gestartet. „Ladies & Gentlemen!
The unbelievable, the One-man-Dj-show, oft gefordert
und endlich wieder zu Gast: Mr. Psycho Jones“, mit
seiner spektakulären und wilden Wundertüte aus Rare
Grooves, 60s Beats und Gitarren-Krachern. Funktro-
nix, die Dortmunder Queens of Funk & Soul, mit ihrem
Tanzmarathon aus 60s Soul, 70s Funk, Disco & HipHop-
Classics, sind ebenso am Start. Und DJ ECE, die Gypsy-
Guerilla mit ihren schäumenden BalkanBeats, wird
auch noch für erquickliche Groove-Bespaßung sorgen.
Cosmotopia, Dortmund, 22 Uhr
MO 26 | 12 | 11
BODO VERLOSUNG | Total Paranormal Weihnachtsshow
Der zweite Weihnachtstag steht bei „Ekamina“ traditi-
onell im Zeichen von Zauberei und Trashmagie. Bei der
Total Paranormal Weihnachtsspezialshow werden Tan-
nenbäume schweben, Zimt-
sterne verschwinden und die
Zukunft aus Bratäpfeln ge-
lesen. Oder so ähnlich. Das
total fabelhafte Trashmagie
und Zauberkunstquartett
Mario Schulte, Kotelett Schabowski aus Ost-Ostekistan,
Pille der Kartenhai und Magic Mark Weide. Eingeladen
wird dem Anlass entsprechend ein sehr spezieller Special
Guest. Geboten wird eine Show, die mit ebenso erstaun-
lichen Tricks aufwartet wie sie die Lachmuskeln strapa-
ziert. Witzig, verblüffend, ein höchst unterhaltsamer
und spannender Balanceakt zwischen Possen von kalku-
lierter Albernheit und Kunststücken auf Weltniveau. Wer
nicht an das Weihnachtswunder glaubt, der kann sich ja
an den Zaubertricks versuchen.
Sissikingkong, Dortmund, 20 Uhr
bodo verlost 1 x 2 Karten.
Teilnahmebedingungen auf Seite 33.
MI 28 | 12 | 11
BODO VERLOSUNG | A Christmas Carol
Charles Dickens‘ „A Christmas Carol“ ist in vielen Varian-
ten gespielt und verfilmt worden. In dieser Bühnenver-
sion wird der Klassiker „ge-
genwärtig“ präsentiert, mit
unkonventionellen Einfällen
und live gebackenen Weih-
nachtsplätzchen. Ein win-
terwarmer, froh-vergnügli-
cher Theaterabend, der zur Weihnachtszeit Theater und
auch Publikum erwärmt, denn über aller „Modernität“
bleibt die zeitlose literarische Qualität sowie die immer
wieder neu zu stellende Frage nach sozialer Verantwor-
tung und den wahren Werten einer Gesellschaft. „In
einer sehr unterhaltsamen Revue schlüpfen vier Bäcker,
pardon, Schauspieler in sämtliche Rollen des Charles-
Dickens-Klassikers, bieten eine rundherum einladende
Show und vergessen überdies das Backen nicht. Ein wun-
derbarer Abend. Denn die Inszenierung ist so einfach
wie genial.“ (Ruhr Nachrichten)
Theater im Depot, Dortmund, 19 Uhr
(auch 09., 10., 15., 17., 18., 22., 23., 26., 27., 31.12)
bodo verlost 3 x 2 Karten.
Teilnahmebedingungen auf Seite 33.
DO 29 | 12 | 11
Musik | Too Strong meets X-Mas
Ihr meint, ihr hättet genug für dieses Jahr? Ihr denkt
Too Strong zusammen mit Creutzfeld & Jakob und den
Profis aka Mikromachine & Spax live im FZW braucht
kein Mensch? Dann langweilt euch weiter vor eurer Tas-
tatur oder glotzt in die Flatscreen. Alle anderen, die
Bock haben, feiern, wenn es heißt: Too Strong meets
X-Mas. Nach dem ganzen Weihnachtsfreizeitstress mit
Eltern, Oma, Opa, Onkel und Tantchen, Weihnachtsgans
und der ganzen Völlerei, begebt ihr euch einfach ins
neue FZW und schwitzt eure ganzen Schlechtigkeiten
des abgelaufenen Jahres aus.
FZW, Dortmund, 20 Uhr
FR 30 | 12 | 11
Musik | Downliners Sekt
Ein Rauschen, ein Knistern, etwas braut sich zusam-
men. Schabend und langsam bauen sich die Tracks auf,
und dann setzt dieser unglaublich tiefe Bass ein und der
Groove zieht an. Eine körnige Melancholie. Das Duo Down-
liners Sekt kommt aus Barcelona, wo es in Kleinstarbeit
aus rauen Sounds herrlich unangepasste Konstruktionen
baut, die dekonstruktiv sind: Sie zerlegen die endlos
chromglatte Die-Hände-in-die-Höhe-Partyästhetik. Auf
dem „Sonar“, dem größten Festival für elektronische Mu-
sik, haben sie tausende Fans überzeugt. Downliners Sekt
sind ein meditativ-ekstatisches Spektakel. Damit bleibt
sich „urban urtyp“ treu: In ihrem zweiten Jahr macht die
Konzertreihe klar, dass sie keine ist, sondern wirklich das,
was sie von sich behauptet: „immer anders“.
Christuskirche Bochum, 19 Uhr
25 | 12 | 11 Nora oder Ein Puppenheim
Adressen | Bochum (0234)Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg 108, 687 16 10
Christuskirche, An der Christuskirche 1, 338 74 62
Endstation Kino, Wallbaumweg 108, 687 16 20
Eve Bar, Königsallee 15, 333 354 45
Freilichtbühne Wattenscheid, Parkstraße, 61 03-0
HalloDu-Theater, Lothringer Str. 36c, 87 65 6
Jahrhunderthalle, Gahlensche Str. 15, 369 31 00
Kulturhaus Oskar, Oskar-Hoffmann-Straße 25
Kulturrat Bochum, Lothringer Straße 36, 862 012
Museum, Kortumstraße 147, 51 60 00
Mus. Zentrum der RUB, Universitätsstr. 150, 322 28 36
Prinz-Regent-Theater, Prinz-Regent-Str. 50 – 60, 77 11 17
Riff, Konrad-Adenauer-Platz 3, 150 01
RuhrCongress, Stadionring 20, 610 30
Schauspielhaus, Königsallee 15, 333 30
Stadthalle Wattenscheid, Saarlandstraße 40, 610 30
Thealozzi, Pestalozzistraße 21, 175 90
Varieté et Cetera, Herner Straße 299, 130 03
Zauberkasten, Lothringer Straße 36c, 86 62 35
Zeche, Prinz-Regent-Straße 50-60, 977 23 17
Zeche Lothringen, Lothringer Straße 36c, 876 56
Zwischenfall, Alte Bahnhofstraße 214, 28 76 50
Adressen | Dortmund (0231)Auslandsgesellschaft, Steinstraße 48, 838 00 00
Cabaret Queue, Hermannstraße 74, 41 31 46
DASA, Friedrich-Henkel-Weg 1 – 25, 90 71 24 79
Dietrich-Keuning-Haus, Leopoldstr. 50 – 58, 502 51 45
domicil, Hansastraße 7 – 11, 862 90 30
Fletch Bizzel, Humboldtstraße 45, 14 25 25
F.-Henßler-Haus, Geschw.-Scholl-Str. 33 – 37, 502 34 72
FZW, Ritterstraße 20, 17 78 20
Galerie Torhaus, Haupteingang Rombergpark, 50 23 194
Konzerthaus, Brückstraße 21, 22 69 62 00
Museum f. Kunst u. Kulturgesch., Hansastr. 3, 502 55 22
Piano Musiktheater, Lütgendortmunder Str. 43, 604 206
Rasthaus Fink, Nordmarkt 8, 999 876 25
Reinoldikirche, Ostenhellweg 1, 52 37 33
Schauspielhaus, Hiltropwall, 502 55 47
Sissikingkong, Landwehrstraße 17, 728 25 78
Strobels, Strobelallee 50, 999 50 60
Subrosa, Gneisenaustraße 56, 82 08 07
SweetSixteen Kino im Depot, Immermannstr. 29, 910 66 23
Theater im Depot, Immermannstraße 29, 98 21 20
U, Leonie–Reygers-Terrasse, 50 247 23
Westfallenhallen, Rheinlanddamm 200, 120 40
Westfalenpark, An der Buschmühle 3, 35 02 61 00
Zeche Zollern, Grubenweg 5, 696 12 11
Adressen | Herne (02323)Flottmann-Hallen, Flottmannstr. 94, 16 29 52
Mondpalast, Wilhelmstraße 26, 58 89 99
Adressen | Witten (02302)Saalbau, Bergerstraße 25, 581 24 24
Werkstadt, Mannesmannstraße 2, 94 89 40
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40 DAS INTERVIEW | von Volker Macke | Foto: Volker Macke · AWO
20 Jahre Nationale ArmutskonferenzDie gute Lobby – Ein Interview mit Dr. Thomas Beyer
„Eine unbekannte Erfolgsgeschichte“ wird der Nationalen Armutskonferenz attestiert. Als gewichtiger Zusammenschluss hat sie die Bun-desregierung zur regelmäßigem Vorlage eines Armuts- und Reichtumsberichts herausgefordert und sich immer wieder eingemischt in Fragen von Armutsbekämpfung und -prävention. Volker Macke sprach anlässlich ihres 20jährigen Beste-hens mit Thomas Beyer, dem Sprecher der nak.
VM 20 Jahre Nationale Armutskonferenz, eigent-
lich kein Grund zum Feiern, oder?
TB Nein, sicherlich kein Grund zur Freude. Aber
ein wichtiges Signal. Nämlich 20 Jahre Verdeut-
lichung, dass es selbst in so einem reichen Land
wie Deutschland manifeste Armut gibt.
VM Jüngst gingen Meldungen durch die Presse,
Deutschland sei das kinderärmste Land der EU
und zugleich reich an armen Kindern. Kommen-
tatoren großer Zeitungen meinten, Kindern fehle
eher die Unbeschwertheit früherer Zeiten als
materielle Absicherung. Ärgert Sie sowas?
TB In der Tat. Ich erinnere mich noch gut selbst
an solch unbeschwerte Kindertage. Und das wäre
jedem Kind zu wünschen. Ich sehe aber auch,
dass allein in Bayern, einem der reichsten Bun-
desländer, 135.000 Kinder unter 15 Jahren vom
Regelsatz leben müssen.
VM In Niedersachsen rund 180.000.
TB Da ist es doch ein Skandal, wenn relativiert wird,
es gebe diese materielle Armut nicht. Es gibt sie.
VM Der öffentliche Diskurs trennt derzeit gern
zwischen selbstverschuldeter Erwachsenen- und
tragischer Kinderarmut...
TB Selbst die Existenz von Kinderarmut wird von
interessierter Seite ja immer noch viel zu oft
geleugnet. Aber ich gestehe ein, dass im breiten
öffentlichen Diskurs Kinderarmut noch relativ gut
zu thematisieren ist. Das verstellt dann manchmal
den Blick auf andere Facetten, beispielsweise auf
Alleinerziehende, Niedriglöhner und Altersarmut.
Gerade dieser Bereich muss uns viel mehr be-
schäftigen. Unsere Aufgabe als Armutskonferenz
ist, hier die Zusammenhänge aufzuzeigen.
VM Inwiefern?
TB Dass beispielsweise Beschäftigungszuwächse
stark im Bereich der Niedriglöhne, Geringverdiener
und Teilzeitkräfte liegen. Dass sich mit so etwas
langfristig Altersarmut aber verschärfen wird und
eine Besserung so keinesfalls in Sicht kommt.
VM Stichwort Beschäftigungszuwachs: Der
Aufschwung geht an den Langzeitarbeitslosen
immer noch vorbei.
TB In der Tat ist das ein Riesenproblem. Es gibt
kaum Chancen für diesen Kreis von Menschen.
Realität ist ja, dass die Bundesregierung von 2012
bis 2015 insgesamt 26 Milliarden Euro im Bereich
SGB II und III kürzen will. Das trifft vor allem,
die, die Förderung am nötigsten haben. Diese Po-
litik lässt eine ganze Bevölkerungsgruppe bewusst
im Stich. Und das in Zeiten des Aufschwungs.
Stattdessen gibt es dann noch Vorschläge wie
einen zwangsweisen Bundesfreiwilligendienst, um
die Menschen für ein paar Monate aus der SGB-II-
Statistik zu holen. Das ist zynisch.
VM Wäre das bedingungslose Grundeinkommen
eine realistische Alternative zum heutigen Trans-
fergeldsystem?
TB Ich glaube das nicht.
VM Was dann?
TB Der Spruch, dass sozial sei, was Arbeit
schafft, jedenfalls ist falsch. Es muss um
gute, um gut bezahlte Arbeit gehen. Zunächst
brauchen wir kostenlose Bildung für alle, wir
brauchen Berufsausbildungen mit Jobperspekti-
ven, damit die Menschen selbstständig Familien
ernähren können. Wir brauchen zudem mittel-
fristig einen öffentlich gestützten Beschäfti-
gungssektor mit sozialversicherungspflichtigen
Mindestlöhnen.
VM Die soll es in Deutschland aber nicht geben.
TB Die Bundesregierung befindet sich da in
einem aussichtslosen Abwehrkampf. Verhindern
wird sie die Einführung von Mindestlöhnen nicht
mehr. Die gibt es mittlerweile überall in Europa.
VM Europaweit werden derzeit im Zuge der
Finanzkrise allerorten Sparmaßnahmen durch-
gedrückt. In Spanien, Frankreich, Griechenland
und zuletzt in England führt das zu teils sehr
gewaltsamen Protesten. Ist Deutschland in
glücklicherer Position?
TB Man muss immer glücklich sein, wenn es
keine Gewalt gibt, ob von außen oder von innen.
Aber auch die deutsche Gesellschaft wird die
Ungerechtigkeiten, die sich öffnende Schere
zwischen arm und reich, nicht ewig aushalten.
Derzeit sehe ich als Reaktion hierzulande immer
mehr Agonie und Resignation, das zeigt sich
auch in den Wahlbeteiligungen. Dass es keine
Gewalt gibt, macht die Lage selbst ja nicht bes-
ser. Die nak sagt seit 20 Jahren: Armut ist falsch
verteilter Reichtum. Es wird Zeit, dass wir offen
diskutieren, wie man das ändert.
VM Was kann die Armutskonferenz da tun?
TB Einfluss nehmen. Mit inhaltlicher Arbeit in
Arbeitskreisen und Konferenzen, mit Stellung-
nahmen zu Gesetzgebungsverfahren, mit Öffent-
lichkeitsarbeit wie den Veranstaltungen zum
Europäischen Jahr gegen Armut im Jahr 2010...
VM Und mit klassischer Lobbyarbeit?
TB Wenn man unter Lobbyarbeit versteht, dass
wir Anwalt sein wollen, ja. Dann Lobbyarbeit. Wir
sitzen aber nicht hauptberuflich in Berlin und
putzen Klinken von Abgeordnetenbüros, denn
das hier ist Ehrenamt. Und von staatlicher Seite
bekommen wir kaum Geld, wir müssen fast alles
aus Eigenmitteln der Mitgliederverbände finanzie-
ren. Das ist nicht eben üppig. Ministerin von der
Leyen hatte ja leider bisher noch keine Zeit für
uns. Aber ein kürzlich erfolgtes Gespräch mit dem
Staatssekretär hatte zum Inhalt, dass wir mehr
eingebunden werden wollen. Beispielsweise in die
aktuell zu erarbeitende Neufassung des Armuts-
und –Reichtumsberichts der Bundesregierung.
VM Bemerkenswert, dass Sie auf die Einbindung
erst dringen mussten.
TB Ja, immerhin sind in der nak fast alle großen
Wohlfahrts- und Selbsthilfeverbände organisiert.
Ich persönlich besuche in meiner Eigenschaft als
Sprecher der nak jetzt auch verstärkt soziale Ein-
richtungen wie Wärmestuben oder die Bahnhofs-
mission. Ich dachte eigentlich, dass ich mich als
41
41
AWO-Vorsitzender in Bayern mit den Facetten
von Armut schon gut auskenne, merke aber jetzt,
dass sich Armut so sehr quer durch die Gesell-
schaft zieht, dass dies eines der drängendsten
innenpolitischen Themen überhaupt ist.
VM Ist Sozialpolitik also auch Ordnungspolitik?
TB Vielleicht sogar die wirksamste Ordnungspo-
litik überhaupt. Weil sie so nachhaltig sein kann.
Wir hatten ja mal ein funktionierendes Sozial-
staatsmodell. Leider antworten Kämmerer und
Finanzminister, selbst wenn sie den Zusammen-
hang zwischen Sozialpolitik und Ordnungspolitik
erkannt haben, immer öfter, sie hätten trotzdem
kein Geld.
VM Mitte September organisierte die nak wieder
eine Konferenz für Menschen mit Armutserfah-
rung. Wofür sind diese jährlichen Treffen gut?
TB Wir arbeiten da in Workshops mit den
Menschen ihre Alltagserfahrungen im Umgang
mit Transferleistungen, Wohnungsmarkt oder
Schuldnerberatungen auf. So sieht man sehr
gut, wo es hakt, wo die Hauptprobleme liegen.
Von denen, die von Armut ganz direkt betroffen
sind, zu hören, bedeutet Lebenswirklichkeit
abbilden. Beispielsweise wissen wir, dass nur 15
Prozent der rund 3,15 Millionen überschuldeten
Haushalte in Deutschland derzeit in einer öf-
fentlichen oder gemeinnützigen Schuldnerbera-
tung beraten werden können. Anlaufstellen und
zeitnahe Termine sind Mangelware; die bun-
desweit unterschiedlichen Finanzierungsregeln
spitzen das Problem zu. Kommerzielle Regulie-
rer und Kreditvermittler springen ein und viele
von ihnen nutzen die Not der verschuldeten
Menschen aus.
VM Was wäre zu tun?
TB Armut als beschämende Realität in Deutsch-
land nicht länger tabuisieren – damit die Nati-
onale Armutskonferenz keine weiteren runden
Geburtstage feiern muss.
VM Ihre Vorgänger als nak-Sprecher haben die
Hartz-Gesetze von Gerhard Schröder als intrans-
parent und ungerecht bezeichnet. Sie selbst sind
SPD-Mitglied. Ist es Zeit für eine Distanzierung
von der Agenda 2010?
TB In der Praxis haben wir bereits in einigen
Bereichen eine Abkehr von der Agenda-Politik.
Wir müssen diese kritische Überprüfung fortset-
zen, etwa was die Höhe der Regelsätze oder die
Bezugsdauer des ALG II angeht, um nur einige
Stichpunkte zu nennen.
INFOIn der Nationalen Armuts-
konferenz (nak) sind unter
anderem die Diakonie, die
Caritas, die Arbeiterwohl-
fahrt, der Paritätische,
die Bundesarbeitsgemein-
schaften der Schuldnerbe-
ratungen und Wohnungs-
losenhilfe, sowie Erwerbsloseninitiativen und der
Bundesverband der Tafeln organisiert. In Deutsch-
land leben laut einem Bericht der Vereinten Nationen
vom Juli 2011 dreizehn Prozent der deutschen Bevöl-
kerung, also rund zehn Millionen Menschen, unter der
Armutsgrenze – darunter 2,5 Millionen Kinder. 1,3
Millionen Menschen benötigen trotz Arbeit staatliche
Unterstützung. 450.000 Menschen sind derzeit ohne
Obdach. (Volker Macke)
Dr. Thomas Beyer
42
Aber was ist neu?
Die Mordserie bestens vernetzter Zwickau-
er Nazis bestimmt seit Wochen die Schlag-
zeilen. Die Opfer wurden unschuldig und
aus rassistischen Motiven zu Opfern. Sie
wurden verhöhnt durch die Täter und ver-
unglimpft durch Ermittlungsbehörden und
Presse („Döner-Morde“). Ein jahrelanges
staatliches Desinteresse an der Aufklärung
ist offensichtlich, eine Tatbeteiligung von
Verfassungsschutzmitarbeitern wahrschein-
lich. Aber was ist neu?
Das Leid der Angehörigen ist unermesslich
und immer einzigartig. Doch: Hier gibt es
keine Einzeltäter und keine Einzigartigkeit
der Taten, hinter ihnen steht keine Patho-
logie und kein neues „Sicherheitsproblem“,
sondern die Exekution eines hundertfach
formulierten Programms: Die Taten wurden
in der Szene gefeiert und schon 2010 besun-
gen („Neun sind nicht genug“). Sie setzen
nur in Konsequenz um, was ideologischer
Kern des Neonazismus ist und mit täglichen
Übergriffen eine Praxis vor dem Mord fin-
det: Der rassistische Hass, die Ideologie des
unwerten Lebens, die zynische Sprache der
Vernichtung eint Tausende europaweit ver-
netzte Neonazis, auch bei uns vor der Haus-
tür, und nicht erst seit letzter Woche.
Ihre Morde – 182 seit 1990 – werden ver-
harmlost und umdeklariert, nur 47 „akzep-
tiert“ die offizielle Zählung. Die Dortmun-
der Morde werden sämtlich herausgehalten
aus der Statistik. Der Mörder des Punks
Thomas Schulz, der Dortmunder Nazi Sven
Kahlin, begeht weiter Überfälle.
Doch neonazistische Gewalt richtet sich
nicht allein gegen vermeintlich Fremde
und gegen politische Gegner: Ein Opfer der
Mordserie ist Polizistin. Noch einmal: Aber
was ist neu?
Im Jahr 2000 tötet der Dortmunder Nazi
Michael Berger drei PolizistInnen und er-
schießt sich selbst. Die Dortmunder Ka-
meradschaft verteilt daraufhin Flyer mit
der Aufschrift „3:1 für Deutschland“. Am
2. September 2011 spielt im Dortmunder
Kreuzviertel die Brechtener Naziband Oi-
doxie, die über PolizistInnen singt: „Am
Tag der Rache / Woll´n wir euch bluten se-
hen“. (bp)
SKOTTS SEITENHIEB
NEWS | von Sebastian Sellhorst42 DER KOMMENTAR | von Bastian Pütter
Paritätischer fordert Plan zur Armutsbekämpfung
Die Armut in Deutschland ist
erneut auf Rekordniveau. Die
im Herbst veröffentlichen Zah-
len des Bundesamtes für Statis-
tik besagen, dass jeder sechste
Deutsche in Armut lebt. Der Pari-
tätische fordert von der Bundes-
regierung einen belastbaren Plan
zur Armutsbekämpfung.
„Nicht nur die Armut in Deutsch-
land hat Rekordniveau erreicht,
sondern auch der Reichtum hat
trotz aller Krisen stetig zuge-
nommen. Wenn dieser eklatanten
Ungleichheit kein Ende bereitet
wird, droht unsere Gesellschaft
zu kollabieren", warnt Ulrich
Schneider, Hauptgeschäftsführer
des Paritätischen. Die Bundesre-
gierung habe mit ihren bisherigen
Maßnahmen die gesellschaftliche
Spaltung noch beschleunigt. Der
Paritätische fordert die Bundes-
regierung auf, von der geplanten
Instrumentenreform Abstand zu
nehmen, die Hartz IV-Regelsätze
auf eine bedarfsgerechte Höhe
anzuheben, das Bildungs- und
Teilhabepaket durch eine echte
Bildungsoffensive für unterpri-
vilegierte Kinder zu ersetzen und
das Rentensystem armutsfest zu
machen.
Bildungsstreik in Dortmund und Bochum
Dem Aufruf der Initiative „Bil-
dungsstreik“ sind sowohl in
Dortmund als auch in Bochum
zahlreiche Schüler und Schülerin-
nen gefolgt. Am 17.11. demons-
trierten in den beiden Städten
insgesamt über 1600 Schüler
und Studenten für bessere Un-
terichtsbedingungen an Schulen,
gegen das „Turboabitur“ in acht
Jahren und Zugangsbeschränkun-
gen zu immer mehr Studiengän-
gen durch einen Numerus Clau-
sus. „Wir fordern, dass so viele
Kapazitäten geschaffen werden,
bis alle Zulassungsbeschränkun-
gen an den Unis aufgehoben wer-
den“, so Finn Siebert, Mitglied
des Bildungsstreikbündnisses.
Die Finanzierung des Bildungs-
systems und der chronische Geld-
mangel an den Hochschulen wa-
ren ebenfalls Inhalt der Proteste.
„Wir wollen nicht, dass Milliarden
von öffentlichen Geldern für
die Bankenrettung ausgegeben
werden. Für die Krise sollen die
zahlen, die sie verursacht haben,
dann ist auch mehr als genug für
ein gutes Bildungssystem da“,
so Tom Bühler, stellvertretender
Vorsitzender der Bezirksschüler-
vertretung Dortmund.
Zweiter Druckraum für Dortmund gefordert
Ordnungsamtsleiter Ingo Mol-
denhauer fordert einen zwei-
ten „Druckraum“ für Dortmund.
31.300 Konsumvorgänge gab es
im vergangenen Jahr im Konsum-
raum Kick. „Das sind über 30.000
Spritzen, die nicht auf der Straße
und auch nicht auf Spielplätzen
lagen“, stellt Moldenhauer fest
und betont damit die Wichtig-
keit eines solchen Raumes. FDP/
Bürgerliste, CDU und die Grünen
stehen einem weiteren Druck-
raum postitiv gegenüber und
fordern die Verwaltung auf, die
Einführung eines mobilen Kon-
sumraums, wie er in Berlin zum
Einsatz kommt, zu prüfen. Dort
sind zwei Wohnwagen unterwegs,
in denen suchtkranke Menschen
unter Aufsicht eines Arztes Dro-
gen konsumieren können und
ihnen Beratunggespräche ange-
boten werden. Der Vorteil dieses
Modells liege in seiner Mobilität,
da die Wohnwagen immer dort
eingesetzt werden können, wo
sich sie Szene sammle. Noch im
letzten Jahr hatte die Dortmun-
der SPD den Rücktritt von Ord-
nungsdezernent Steitz gefordert,
als der sich für einen zweiten
Druckraum einsetzte.
43
ANZE
IGEN
Das Diakonische Werk Dortmund und Lünen grün-det einen Chor und eine Band, in denen musika-lisch Interessierte gemeinsam mit Wohnungslo-sen und Suchtkranken musizieren.
Nach dem Vorbild des Berliner Straßenchores, der seit
zwei Jahren in der Hauptstadt existiert, wird jetzt in
Dortmund ein neues Projekt in Angriff genommen.
„Wohnungslose und Suchtkranke musizieren gemein-
sam mit Menschen, die nicht beeinträchtigt sind“, for-
muliert Hartwig Sabacinski, Leiter des Ludwig-Steil-
Hauses die Projektidee. Erste Erfahrungen mit einem
kleinen Chor aus Bewohnern der Einrichtung für chro-
nisch Suchtkranke im Defdahl gibt es bereits. „Es ist
toll, die Begeisterung zu sehen, wenn sie die eigene
Stimme wahrnehmen“, beschreibt Sabacinski.
Durch das gemeinsame Musizieren sollen die Betroffe-
nen wieder einen Sinn im Leben finden, die regelmäßi-
gen Proben sollen helfen, Struktur und Regelmäßigkeit
zu schaffen. Auch das Gefühl, in einer Gemeinschaft
mitzumachen, in der man wahrgenommen und nicht
abgelehnt wird, ist ein wichtiger Aspekt für die Teil-
nehmer. Später sind auch kleine Auftritte bei Veran-
staltungen der Diakonie geplant, etwa bei Jubiläen
und Sommerfesten. Damit sollen die Beteiligten Be-
stätigung erfahren und das Erlebnis, gehört zu werden.
Für die Leitung des Chores konnte Jürgen Klein-
schmidt gewonnen werden, bekannt als Leiter des
Chors „Cantastrophe“. „Wir brauchen einen Chorlei-
ter, der nicht nur musikalisch führt sondern auch
ein Gespür für die Gruppe hat, die Menschen zusam-
menführt und wahrnimmt, wenn es Dinge zu regeln
gibt.“ Kleinschmidt, selbst hauptberuflich Sozialar-
beiter, ist dafür genau der Richtige.
Einen Namen hat der Chor noch nicht, den sollen
die Beteiligten selbst entwickeln. Nach der Auftakt-
veranstaltung, die Ende November stattfand, sind
zunächst 14-tägige Proben geplant. Interessenten
sind willkommen. Auch mit den Planungen für die
Band kommt man voran. Hierfür hat Sabacinski mit
dem Nordstadtmusiker Boris Gott bereits einen pro-
minenten Bandleader gefunden. (biru)
INFO Hartwig Sabacinski | Tel. 0231 – 55 776-13
Wohnungslose und Suchtkranke musikalisch integrieren
43SOZIALE INITIATIVEN | von Dr. Birgit Rumpel | Foto: Claudia Siekarski
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44
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RÄTSEL
Rätsel-Lösung: BOGEN | Weihnachtsmann-Lösung: Nummer sechs und Nummer sieben sind das gesuchte Zwillingspaar.
Diese neun Weihnachtmänner unterscheiden sich alle durch ein kleines Detail. Zwei jedoch gleichen sich aufs Haar. Findest Du das Zwillingspaar?
45
Mit einem Sack voller Geschenke streift der Nikolaus durchs Land. Doch auch dem guten Mann ist der Fehlerteufel auf den Fersen. Im rechten Bild hat er wieder einmal 10 Unterschiede eingeschmuggelt. Kannst Du sie finden?
ESELSOHR | von Volker Dornemann
Fehlersuchbild – Lösung:
1) fehlender Schornstein am Haus
links, 2) fehlende Pfote beim Ha-
sen, 3) Nikos Gürtelschnalle, 4)
Reißverschluss an Nikos Mantel, 5)
eine Fußspur fehlt, 6) Flicken auf
Nikos Sack, 7) Nikos Ohr fehlt, 8)
fehlender Mützenbommel, 9) Fens-
ter im 2. Haus von rechts fehlt, 10)
ein Stern ist weg.
Weihnachtskekse – Lösung:
Es ist der Butterkeks mit der roten
Marmelade in der Mitte. Er taucht
im Bild fünfmal auf.
45
Oma hat zu Weihnachten jede Menge Kekse gebacken.
Selbst mag sie am liebsten den Keks ohne Loch, ohne Schokolade und ohne Zuckerstreusel.
Welcher Keks ist es und wie oft ist er auf dem Bild zu sehen?
46
In einem unauffälligen zweigeschossigen Flachbau in Hombruch „versteckt“ sich eine der spannenden kulinarischen Neueröffnun-gen der Region. Die erste Überraschung: Wer „Die Küche“ betritt, steht in der Küche. Blickfang gleich am Eingang ist die offene Showküche, statt vom Servicepersonal wird der Gast von Küchenchef Alexander Erdmann begrüßt, der sich im wahrsten Sinne in die Töpfe gucken lässt.
Gastronomie erarbeitetes Können und ein indi-
viduelles Eingehen auf den Gast. Eine moderne
Küche mit alten Rezepten: Das Schönste, was
ihre Gerichte auslösen, sei eine Erinnerung an
die Kindheit, sagt Lukas.
Die Karte ist überschaubar – „Mehr als zehn Ge-
richte braucht man nicht“, sagt Lukas resolut.
Außerdem sei fast jeder Sonderwunsch möglich.
Das jeweilige Marktangebot bringt Abwechslung
auf die Wandtafel. Und die Preise sind mode-
rat. Der wechselnde Mittagstisch beginnt bei
vier Euro, nur die Gänsekeule liegt in dieser
Woche über der Zehn-Euro-Grenze. Das teuerste
Gericht auf der Abendkarte ist ein Rinderfilet
mit Pfeffersauce, Bratkartoffeln und Salat für
scharf kalkulierte 19,50 Euro. Eine weitere Emp-
fehlung: Zanderfilet auf Rahmkraut mit Salzkar-
toffeln für 16 Euro.
Wer die Treppe ins Obergeschoss hinaufgeht,
wird ein zweites Mal überrascht. Ein gar nicht
großer Gastraum, dominiert von einer hineinra-
genden Bar, dunkles Holz und gedeckte Braun-
und Grautöne, indirektes Licht: schick und ge-
mütlich. „Das ist hier unser Baby. Wir haben von
der Grundsanierung an alles selbst gemacht. Es
ist so geworden, wie es sollte – und es funkti-
oniert.“
Der Weg dahin war nicht einfach. Beide haben
bei großen Namen gelernt und gearbeitet – das
„Dieckmann‘s“ oder die „Dimberger Glocke“ wer-
den die Dortmunder kennen – wurden aber nicht
glücklich mit der fehlenden Freiheit und dem
Gefühl, eigentlich mehr zu können. „So gesehen
haben wir 14 Jahre lang Ideen gesammelt“, sagt
Lukas. „Und hier können wir sie endlich umset-
zen, hier sind wir Gastgeber. Und wenn wir wol-
len, machen wir jeden Tag etwas anders.“
Zum Beispiel ein Vier-Gänge-Menü als Kochkurs,
das jetzt monatlich angeboten wird, oder die ei-
gene Feinkostabteilung mit Alexander Erdmanns
einzigartiger Vinaigrette zum Mitnehmen.
Nach sechs Wochen ist bereits klar: Diese neue
Ess-Klasse wird angenommen. Die 25 Plätze im
ersten Stock können auf 35 erweitert werden, um
niemanden abzuweisen. „Die Hombrucher sind
wirklich ein freundliches und aufgeschlossenes
Publikum. Wenn es mal voll wird und neue Gäste
kommen, wechseln andere, die schon gegessen
haben, von sich aus an die Bar, um Platz zu ma-
chen. Jeden Abend gibt es Unterhaltungen über
die Tische hinweg. Das ist toll, so haben wir uns
das vorgestellt.“ (bp)
bodo verlost ein Vier-Gänge-Menü „all inclusi-ve“ für 2 Personen! (siehe S.33).
Die Küche – neue (Ess-)KlasseHarkortstraße 16 | 44552 Dortmund
Tel. 0231 – 968 398 21
www.die-kueche-neue-ess-klasse-dortmund.de
Mo. bis Sa. 11.30 – 24.00 Uhr
Küche bis 22.30 Uhr
Tradition modern in Hombruch
Die Küche – neue (Ess-)Klasse | Dortmund
46 BODO GEHT AUS | von Bastian Pütter | Fotos: Claudia Siekarski
Keine Fritteuse, keine Mikrowelle, stattdessen
nur Gasherd und -ofen und -grill – hier kann nur
frisch gekocht werden. „Der Gast bekommt Einblick
in alle Prozesse, wir verstecken nichts“, sagt Lu-
kas Tarabczynski, Barchef und zweite Hälfte des
Esskultur-Duos. Grinsend fügt er hinzu: „Mittags
stehen manchmal vier Kinder hier und schauen
Alexander auf die Finger. Das muss man als Koch
schon wollen. Aber das ist ja das Konzept: Es geht
um die Küche.“
Und um was für eine? Da wird Lukas ernst: „Es
gibt einfach keinen geraden Stil mehr. Alle ver-
suchen alles. Die Rezepte werden vermischt und
verfälscht, überall ist ,mediterranes Flair‘ dabei.“
Alexander und Lukas hingegen sind Puristen: Ihr
Ausgangspunkt ist die traditionelle deutsche Kü-
che. Der Rest sind beste Zutaten, in der gehobenen
47
CARTOON | Idee und Zeichnung: Volker Dornemann
47LESERSEITE
bodo dankt: Sparkasse Bochum
Dr. Josef Balzer, Alexander Barbian-Steinfort, Micha-
el Buddenberg, Helmut Buscha, Christian Chammings,
Angelika Engelberg, Paul Engelen, Fabian Fluhme, Rolf
Geers, Matthias Grigo, Grünbau GmbH, Britta Rich-
ter, Manfred Kater, Almuth Keller, Jutta Kemper, Hel-
ga Koester-Wais, Birgit Kuehn, Otfried Ladwig, Nicola
Steinstrass, Wulfhild Tank, Felix Zulechner, Ingeborg
Schumacher, Brigitte Sonntag, Gabriele Steinbrecher,
Gabriela Schaefer, Hermann Schroeder, Christoph Ro-
eper, Susanne Mildner, Barbara Meyer, Ute Michler,
Ludwig Seitz, Bärbel Bals, Kerstin Bals, Karl Bonbardt,
Das Grafikhaus/O. Schäfer, Ralf Finke, Michael Stange,
Nicole Goralski, Jörg Gruda, Erika Janssen, Marlis Lange,
Arne Malmsheimer, Wolfgang Neuhaus, Ursula Remer,
Daniela Schmitz, Nadja Schramm, Rainer Stücker, Tho-
mas Terbeck, Linda Wotzlaw, Heinz Schildheuer, Thomas
Schröder, Snezka Barle, Ute Börner, Bernd Ewers, Regina
Höbel, Sandra und Friedrich Laker, Heike Pannitz, Frank
Siewert, Ilona Zarnowski, Rainer Biel, Udo Bormann, R.
Dammer, Anita Diehn-Driessler, Christine Ferreau, Udo
Greif, Rüdiger Haag, Elsbeth Heiart, Astrid Kaspar, An-
nette Krtizler, Ursula Machatschek, Lieselotte Markgraf,
Thorsten Matern, Jutta Meklenborg, Marlies und Eber-
hard Piclum, Sandra Rettemeyer, Inge Schaub, Dorothea
Bomnüter, Petra Bloch, Ina und Arno Georg, Edith Link,
Annemarie Meiling, Christain Scheer, Roswitha Wolf, Ul-
rike Bornemann, Hans-Georg Schwinn, Isabell Bikowski-
Gauchel, Peter Buning, A. und M. Dietz, Klaus-M. Kin-
zel, Annegret Malessa, Else Stockert, Christine Weber,
Monika Bender, Petra Bender, Eberhard Garburg, Jutta
Haring, Lieselotte Koch, Katrin Lichtenstein, Ulrike Mär-
kel, Gerd Pelzer, Renate Krökel, Klaus Kwetkat, Stefan
Meyer, Carsten klink, Thomas Olschowny, Daniela Gerull,
Dieter Schibilski, Martin Scholz, Karl-Heinz Schwieger,
Barbara Bokel, Sandra Wortmann, Annabell Preusler, Bir-
gitt Kuhlmann, Dieter Zawodniak, Elisabeth Heymann-
Roeder, Friederike Jansen, Dirk Schmiedeskamp, Sebas-
tian Poschadel, Sabine Raddatz, Petra Danielsen-Hardt,
Charlotte Steinke, Silke Harborth, Timo Zimmermann,
Martin Botteck, Thomas Scholle, Hildegard Reinitz, Dolf
Mehring, Renate Schmidt, Ute Soth-Dykgers, Dorothee
Pischke, Annette Düe, Armin Rau, Oliver Stiller, Caritas
Konferenz St. Johannes Baptist, Erika Maletz, Prof. Dr.
Klaus-Martin Melze, Volker Schaika, Elsemarie Bork,
Peter Lasslop, Christina Kolivopoulos, Jutta und Wido
Wagner, Marianne Linnenbank, Klara Lehmann, Petra
Vossebürger^, Hueber Verlag, Franzis Verlag, Gräfe und
Unzer Verlag, Hädecke, Verlag freies Geistesleben, AT,
Kosmos, Goldmann/Mosaik, List, Südwest, Compact Via,
Heel, Hallwag, DK, Edition Wurzer & Villigst, Urach-
haus, Hirzel, Stiftung Warentest, Vegane Gesellschaft
Deutschland, Christian Vagedes
Ein Gedicht von Renate Küppers
Wieder naht die Weihnachtszeit, | wieder brennen Kerzen.
Spendenaufruf bundesweit | öffnet nicht nur Herzen.
Kinderaugen traurig, groß, | jede Spende zählt,
weisen auf ihr schweres Los | in der dritten Welt.
Und seh’n wir uns einmal um | in der eig’nen Welt,
Armut auch um uns herum | jede Hilfe zählt.
Wärmestuben in den Städten | schützen, lindern Not,
helfen mancherorts zu retten | die vom Tod bedroht.
Wieder naht die Weihnachtszeit, | wieder brennen Kerzen,
bringen sie mit ihrem Licht | Wärme in die Herzen?
LESERBRIEFE
Liebe bodo-Redaktion,
da ich schon seit Jahren ein sehr begeisterter und interes-
sierter bodo-Leser bin, möchte ich nun auch einmal an eurer
Verlosung teilnehmen. Ein weiterer Grund ist euer Bericht
über das Rottstr5 Theater. Womit sich die Frage nach mei-
nem Wunschgewinn wohl auch beantwortet hat.
Macht bitte weiter so wie bisher und lasst nicht nach. Die
Arbeit die Ihr leistet ist sehr gut und noch wichtiger für
unsere Gesellschaft und für jeden einzelnen Menschen.
Mit freundlichen Grüßen, Ralf Braun
Liebes Bodo Redaktionsteam,
Ihr seid auch diesen Monat wieder gut gewesen. Bin überhaupt
fast nie enttäuscht von Eurer Zeitung und dabei lese ich fast
jeden Artikel. Die bodo liegt halt immer bei mir ‘rum und ich
schnappe sie mir zwischendurch um ein Stück weiter zu lesen.
Also macht bitte in Eurem unverwechselbaren Stil weiter. Mit
der perfekten Mischung von sozialer Aufklärung unter empathi-
scher Hinwendung zur ehrlichen Berichterstattung und mit der
umfassenden Monatsinformation des Kulturangebotes aus dem
Revier bleibt Euer Magazin immer weiter interessant.
Eine sehr begeisterte treue Leserin, Gabriele Legat
Schreiben Sie uns Ihre Meinung!
bodo e.V. | Postfach 100543 | 44005 Dortmund
oder eMail an: [email protected]
Ein bodo-Büchertresen, wie er bis jetzt nur in der Bochumer Ausgabestelle zu finden war, steht jetzt auch in der Buchhandlung
Seitenreich in Dortmund Huckarde. Wir wünschen den beiden Geschäftsführerinnen Claudia Rohmann und Sabine Kurmann viele
gute Geschäfte über diesen und freuen uns, 2012 noch weitere spannende Möbel aus alten Büchern zu entwickeln.
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