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1.80 Euro Dezember 2011 | 90 Cent für den Verkäufer 08 | Stern sucht Himmel | Single-Disco bei der Lebenshilfe 04 | Provokation und Engagement | Kabarettistin Uta Rotermund 40 | »Armut ist falsch verteilter Reichtum« | 20 Jahre Armutskonferenz 21 | 22 Verlosungen | z.B. Circus FlicFlac – »Schrille Nacht, eilige Nacht« bodo ZWÖLF SEITEN LITERATUR EXTRA * MOSER | WILLEMSEN | HACKE | BERG | KAMINER BÜCHERGUTSCHEIN* ZWANZIG PROZENT AUF ALLES

bodo Dezember 2011

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Die Dezember-Ausgabe des Straßenmagazins.

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Page 1: bodo Dezember 2011

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1.80 EuroDezember 2011 | 90 Cent für den Verkäufer

08 | Stern sucht Himmel | Single-Disco bei der Lebenshilfe

04 | Provokation und Engagement | Kabarettistin Uta Rotermund

40 | »Armut ist falsch verteilter Reichtum« | 20 Jahre Armutskonferenz

21 | 22 Verlosungen | z.B. Circus FlicFlac – »Schrille Nacht, eilige Nacht«

bodo

ZWÖLF SEITEN LITERATUR EXTRA*MOSER | WILLEMSEN | HACKE | BERG | KAMINER

BÜCHERGUTSCHEIN*ZWANZIG PROZENT AUF ALLES

Page 2: bodo Dezember 2011

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EDITORIAL

BODO E.V. – SO ERREICHEN SIE UNS

Herausgeber und Verleger:

bodo e.V.

Mallinckrodtstraße 270 | 44147 Dortmund

Postanschrift:

Postfach 100543 | 44005 Dortmund

Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.:

Bastian Pütter | [email protected]

0231 – 98 22 98 18 | Fax 88 22 527

Redaktionsanschrift:

Mallinckrodtstraße 270 | 44147 Dortmund

Veranstaltungskalender:

Benedikt von Randow (bvr) | [email protected]

engel und agenten | [email protected]

Layout und Produktion:

Andre Noll | Büro für Kommunikationsdesign

0231 – 106 38 31 | [email protected]

Anzeigenleitung:

Bastian Pütter | [email protected]

0231 – 98 22 98 18 | Fax 88 22 527

Autoren:

Bianka Boyke (bb), Volker Dornemann (vd),

Peter Erik Hillenbach (perik), Wolfgang

Kienast (wk), Volker Macke, Maike, Nina

Mühlmann (nm), Marcus Preis (mp), Basti-

an Pütter (bp), Benedikt von Randow (bvr),

Rosi, Dr. Birgit Rumpel (biru), Annalena und

Katharina Schneider, Sebastian Sellhorst (sese)

Fotos: Claudia Siekarski (S.2,3,4,5,6,7,8,9,10,

12,14,15,16,43,46,47), Andre Noll (S. 19 bis

31), Bastian Pütter (S.6) Oliver Philipp (S.7),

Volker Macke (S.41), AWO (S.41)

Titelbild: Claudia Siekarski

Zeichnungen und Cartoon: Volker Dornemann

Druck: Gebr. Lensing GmbH & Co. KG.

Auflage | Erscheinungsweise:

15.000 Exemplare

Bochum, Dortmund und Umgebung

Redaktions- und Anzeigenschluss:

für die Januar-Ausgabe 01.12.2011

Anzeigen:

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 7

gültig ab 01.03.2009

Vertriebe:

Mallinckrodtstraße 274 | 44135 Dortmund

0231 – 98 22 97 96

Stühmeyerstraße 33 | 44787 Bochum

Der Abdruck von Veranstaltungshinweisen ist kos-

tenfrei, aber ohne Gewähr. Für unaufgefordert ein-

gesandte Fotos oder Manuskripte wird keine Haftung

übernommen. Das Recht auf Kürzung bleibt vorbehal-

ten. Abdruck und Vervielfältigung von redaktionellen

Beiträgen und Anzeigen bedürfen der ausdrückli-

chen Genehmigung der Redaktion. Leserbriefe und

namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht

unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Vereinssitz:

Mallinckrodtstraße 270 | 44147 Dortmund

Post: Postfach 10 05 43 | 44005 Dortmund

Internet:

www.bodoev.de | www.facebook.com/bodoev

Vorstand:

Nicole Hölter | Brunhilde Dörscheln |

Andre Noll | [email protected]

Geschäftsleitung | Verwaltung:

Tanja Walter | [email protected]

0231 – 98 22 97 96 | Fax 88 22 527

Redaktion | Öffentlichkeitsarbeit:

Bastian Pütter | [email protected]

0231 – 98 22 98 18 | Fax 88 22 527

Transporte | Haushaltsauflösungen:

Michael Tipp | [email protected]

0231 – 88 22 825 | Fax 88 22 527

bodos Bücher online:

Gordon Smith | 0231 – 88 22 833

bodos Bücher | Modernes Antiquariat: Mallinckrodtstraße 270 | 44147 Dortmund

Mo. – Fr. 11 – 18 Uhr

Second-Hand-Laden Dortmund:Brunhilde Dörscheln | [email protected]

0231 – 98 22 97 96

Mallinckrodtstraße 274 | 44147 Dortmund

Di. – Do. 10 – 17 Uhr

Verkäufercafé Dortmund:Mallinckrodtstraße 274 | 44147 Dortmund

Mo. u. Fr. 10 – 13 Uhr | Di. – Do. 11 – 18 Uhr

Anlaufstelle Bochum:Stühmeyerstraße 33 | 44787 Bochum

Mo., Mi. und Fr. von 14 – 17 Uhr

Di. und Do. von 10 – 13 Uhr

Spendenkonten: Stadtsparkasse Dortmund

BLZ: 440 501 99, Kto. 104 83 76

Sparkasse Bochum

BLZ: 430 500 01, Kto. 10 406 254

IMPRESSUM

02

Liebe Leserinnen und Leser,

vielen Dank, dass Sie sich für das Straßenmagazin

entschieden haben, denn – wie es in unserer aktuel-

len Plakatkampagne heißt: Lesen ist helfen.

Mit dem Kauf des Straßenmagazins haben Sie eine

Verkäuferin oder einen Verkäufer unseres Magazins

mit mehr unterstützt als mit Ihrem Geld. Sie haben

einen Menschen darin bestärkt, anzugehen gegen

die Resignation und die Verzweiflung. Sie haben

jemanden dabei begleitet, das Leben selbst in die

Hand zu nehmen und etwas zu tun, um seine oder

ihre Situation selbst zu verbessern.

In unserer täglichen Arbeit sehen wir, wie sehr Betteln

eine Sackgasse ist, noch einsamer macht und das

Selbstwertgefühl weiter schädigt. Bei unseren Verkäu-

ferinnen und Verkäufern sehen wir bei allen Rückschlä-

gen, wie hilfreich unser Angebot ist, einen neuen An-

fang zu machen oder sich in der Krise zu stabilisieren.

In diesem Heft erzählen wir Ihnen einige dieser guten

Geschichten, die ja auch ein Grund sind, warum wir das

hier so gerne und so überzeugt machen.

Apropos Überzeugen: Sprechen Sie doch einmal mit

einem der Menschen, die in der Kälte auf dem Boden

sitzen und betteln. Wir haben eine Alternative für

ihn oder sie und eine Reihe an Angeboten für Men-

schen auf der Straße. Und vielleicht empfehlen Sie

uns in Ihrem Bekanntenkreis weiter oder verschen-

ken einmal ein Exemplar. Je mehr Käuferinnen und

Käufer das Straßenmagazin findet, desto erfolgrei-

cher ist unsere Hilfe für Menschen am Rande.

Am Ende der „guten Geschichten“ in diesem Heft

(ab S. 14) verraten wir Ihnen unsere Pläne für das

kommende Jahr. Wir zeigen, wie vielen Menschen wir

eine Perspektive bieten konnten und stellen Ihnen

vor, wie unsere nächsten Pläne aussehen werden.

Um es bildlich auszudrücken, platzt der bodo-Vereins-

sitz am Dortmunder Hafen aus allen Nähten. Längst

sind die Bedingungen nicht mehr gut, weder für un-

sere VerkäuferInnen noch für die MitarbeiterInnen in

unseren Beschäftigungsprojekten. Wir wünschen uns

einen Umzug in zentralere und vor allem ausreichend

große Räume und bitten Sie dafür um Unterstützung.

Wir glauben, mit einem Umzug, der uns einerseits

unseren Kundinnen und Kunden und andererseits den

Menschen auf der Straße näher bringt, einen nachhal-

tigen Schritt nach vorne zu tun.

Sie haben es auf unserem Titel gesehen. Dieses

Heft steht ganz im Zeichen des Lesens. Wir finden,

dass es an den dunklen Adventsabenden und in der

stillen Zeit „zwischen den Jahren“ nichts Besseres

gibt als ein gutes Buch. Um Sie auf den Geschmack

zu bringen, schenken wir Ihnen zwölf Seiten große

Literatur in unserem Literatursonderteil (mit den

passenden Einkaufstipps vor Ort).

Und wir laden Sie herzlich in unseren Buchladen ein:

Auf Seite 18 finden Sie einen Gutschein, mit dem Sie

20 Prozent Rabatt auf Ihren Einkauf an der Mallinck-

rodtstraße bekommen! Dort treffen Sie auch unsere

beiden Auszubildenden Steffi und Sandra, die das

Titelbild zieren.

Und vor Weihnachten gehen unsere Bücher auch in

Bochum auf Tour: Am 13. und 14. Dezember sind wir

von 11 bis 18 Uhr im Uni-Center Bochum. Gemein-

sam mit dem gemeinnützigen Verein University

meets Querenburg (UMQ) eröffnen wir für zwei Tage

einen „temporären Buchladen“. Den Preis bestimmen

Sie! Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

Das ganze bodo-Team und alle unsere Verkäuferin-

nen und Verkäufer wünschen Ihnen eine besinnli-

che Adventszeit, frohe Weihnachten und ein gutes

neues Jahr.

Viele Grüße von bodo,

Bastian Pütter – [email protected]

Page 3: bodo Dezember 2011

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INHALT 03

02 Editorial | Impressum

04 Menschen Uta Rotermund von Bianka Boyke

Uta Rotermund ist eine Kontrastperson. Die 56jährige Dortmunder Kaba-

rettistin ist schnippisch und freundlich. Respektlos und warmherzig. Sie

selbst beschreibt sich als „direkt, offen und hilfsbereit.“ Sie liebt Loriot

und Mr. Bean, sieht beide aber nicht als Kollegen. „Ich bin ja nicht grö-

ßenwahnsinnig. Ich bin eine kleine, unterhaltsame Nummer.“

06 Neues von bodo

07 Maikes Verkäufertagebuch

08 Reportage Stern sucht Himmel von Dr. Birgit Rumpel

Kontaktbörsen gibt es viele: online, offline, per Chat, beim Tanztee oder

im Szenemagazin. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bleiben da

meist außen vor. Ganz anders ist das bei der Single-Disco der Lebenshilfe,

die dieses Jahr mit mehr als 500 Besuchern im Keuning-Haus stattfand.

10 Neues von Rosi | von bodo-Verkäuferin Rosi

12 Zum Haare raufen Oekonomia nervosa von Nina Mühlmann

Staatsverschuldung und die beruhigende Wirkung von vielen Nullen.

12 Kultur Total Paranormal von Markus Preis

bodo trifft sich mit dem Zauberquartett „Total Paranormal“ und bekommt

nicht nur eine ganze Reihe skurriler Künstlernamen zu hören, sondern auch

eine spannende Privatvorstellung.

13 Wilde Kräuter Schlehe von Wolfgang Kienast

Wer gerne zu klassischen Volksliedern durch den Westerwald oder wahlwei-

se auch durch Sauerländer Randlagen wandert, der freut sich über Selbst-

gebranntes aus Schlehen, wenn er Fuchs und Hase Gute Nacht sagt.

14 Neues von bodo Viele gute Geschichten von Bastian Pütter Weil Sie unser Straßenmagazin kaufen, uns Bücher und Hausrat bringen,

in unseren Läden einkaufen und unser Transport-Team beauftragen,

können wir so vielen Mitarbeitern eine Perspektive geben. Wie genau das

funktioniert? Lesen Sie von den vielen guten Geschichten bei bodo und

einem großen Wunsch.

17 Neues von bodo Der Blick von außen von Annalena & Katharina Schneider

Die Schülerreporterinnen Annalena und Katharina Schneider über uns und

ihren Besuch bei bodo im Dortmunder Norden.

18 Literatur Ruß | Wir sind Deutschland! gelesen von Bastian Pütter

Feridun Zaimoglu erschreibt sich das Ruhrgebiet als Geschichte eines

Gescheiterten, als Krimi, als Roadmovie. Bernd Hoëcker und Volker Dorne-

mann unterrichten Geschichte als Comic.

19 Literatur Moser | Willemsen | Hacke | Berg | KaminerWeltbekannte Autoren stellen einmal im Jahr den deutschen Straßen-

magazinen Kurzgeschichten zur Verfügung. Wir haben für Sie die besten

auf zwölf Extraseiten zusammengestellt:

Einsam in Tokio von Roger Willemsen

Selbstabbruch von Axel Hacke

Stadtgeschichten von Milena Moser

Die Reichen von Sibylle Berg

Berühmte Persönlichkeiten von Wladimir Kaminer

32 Das Ruhrgebiet Iksavauer von Peter Erik Hillenbach

32 Kinotipp Im Weltraum gibt es keine Gefühle im endstation.kino

33 Veranstaltungskalender | Verlosungen | CD-Tipps von Benedikt von Randow

40 Das Interview 20 Jahre Nationale Armutskonferenz von Volker Macke

Zum Jubiläum der Nationalen Armutkonferenz spricht Volker Macke mit

deren Sprecher Dr. Thomas Beyer über Perspektiven und gute Lobby-Arbeit.

42 Der Kommentar Aber was ist neu? von Bastian Pütter

Vor einem Jahr stand an dieser Stelle ein Kommentar zur laufenden Verharm-

losung neonazistischer Gewalt und zur verantwortungslosen Gleichsetzung

von „Linksextremisten“ und Neonazis durch Behörden und (Lokal-)Presse.

Der Text endete mit einer Unterscheidungshilfe: „Nazis töten Menschen.“

42 News | Skotts Seitenhieb

43 Soziale Initiativen Musikalische Integration von Dr. Birgit Rumpel

44 Kreuzworträtsel | Sudoku

45 Eselsohr Weihnachtsrätsel von Volker Dornemann

46 bodo geht aus Die Küche – Neue (Ess)Klasse von Bastian Pütter

Sie sind erst 30, haben aber 14 Jahre lang in der gehobenen Gastronomie

in Dortmund und Düsseldorf Ideen gesammelt für das erste eigene Restau-

rant, sagen sie. Und in der Tat hat sie wirkliche Überraschungen zu bieten,

diese neue Ess-Klasse.

47 Leserbriefe | Cartoon

Unser Titelbild der Dezember-Ausgabe:

Sandra und Steffi sind unsere beiden

Auszubildenden im bodo-Buchladen (siehe S.14).

Foto: Claudia Siekarski

12041440 43

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Uta Rotermund ist eine Kontrastperson. Die 56jährige Dortmunder Kabarettistin ist schnip-pisch und freundlich. Respektlos und warmher-zig. Sie selbst beschreibt sich als „direkt, offen und hilfsbereit.“ Sie liebt Loriot und Mr. Bean, sieht beide aber nicht als Kollegen. „Ich bin ja nicht größenwahnsinnig. Ich bin eine kleine, unterhaltsame Nummer.“

„Ein Porträt ist doch keine Homestory“, sagte Uta

Rotermund energisch, als wir sie fragten, ob wir

uns bei ihr zu Hause zum Interview treffen könn-

ten. Ihr gehe es um ihren Beruf als Kabarettistin

und um ihr Engagement für medica mondiale. Dazu

später mehr.

Uta Rotermund redet viel und ausschweifend. Aber

sie diskutiert nicht gern, eine Meinung hat sie hin-

gegen immer. Da kommt es schnell vor, dass sie ei-

nem ein „Das ist doch Bullshit!“ an den Kopf wirft.

Böse meint sie das nicht, aber ob es bei ihrem Ge-

genüber auch so ankommt, scheint ihr nicht wich-

tig zu sein. „Ich bin eben direkt“, sagt sie selbst

immer wieder von sich.

Menschen, die sich ihrer Meinung nach auf Aus-

reden ausruhen, mag sie gar nicht. „Die müssen

nur den Arsch hoch kriegen.“ Uta Rotermund ist

direkt und mag sich in dieser Rolle – privat und

auf der Bühne. Als drei Frauen ihr aktuelles Pro-

gramm „Golden Girl! Best of all!“ verlassen, wäh-

rend sie auf der Bühne demonstriert, wie man sich

mit einem alten, ausrangierten Bettlaken eine

Burka basteln kann, baut sie dies nach der Pause

nur allzu gerne ein: „Haben Sie das gesehen? Da

sind drei Frauen gegangen. Es gibt Menschen, die

mögen es einfach nicht, wenn ich zu direkt bin.

Macht nichts.“

Uta Rotermund möchte gar nicht nett sein – „Nett

ist der kleine Bruder von scheiße!“ – polarisiert

gerne. Doch auf die Frage, ob es ihr wirklich nichts

ausmache, weicht Uta Rotermund aus: „Es gibt in

der Kommunikationspsychologie das berühmte Mo-

dell von Sender und Empfänger. Was ich sage und

was bei Ihnen ankommt, muss überhaupt nichts

miteinander zu tun haben.“

Natürlich stößt sie die Menschen mit ihrer Art

manchmal vor den Kopf. „Es gibt doch tatsächlich

Menschen, die haben Angst vor mir“, sagt sie zu

Beginn unseres Interviews, ist darüber aber nicht

Uta Rotermund:»Ich bin eine kleine, unterhaltsame Nummer«

MENSCHEN | von Bianka Boyke | Fotos: Claudia Siekarski04

Page 5: bodo Dezember 2011

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wirklich überrascht. Uta Rotermund provoziert viel

zu gerne. Fragt man sie nach ihren Hobbys, klingt

die Antwort wie eine auswendig gelernte Floskel:

„Hobbys sind was für Menschen, die zu viel Zeit ha-

ben. Gelangweilte Hausfrauen mit dem Motto ,Von

meinem Boden kann man essen‘.“

Vielleicht stört Uta Rotermund aber auch nur der

Begriff. Denn auch sie hat mindestens ein Hobby:

Lesen. Und das bereits seit ihrem vierten Lebens-

jahr. Irmgard Keuns Jugendroman „Das Mädchen,

mit dem die anderen Kinder nicht verkehren durf-

ten“ erschien 1936, kurz bevor sich die Autorin

ins Exil flüchtete, und handelt von einem kleinen

Mädchen, das in der Schule und zu Hause immer

wieder unangenehm auffällt, weil sie sich nicht an-

passen will. Uta Rotermund las das über 200 Seiten

starke Buch bereits mit neun Jahren. Ihre Mutter

sagte später, dass sie nach der Lektüre verdorben

gewesen sei. „Ich nehme an für Erziehungsmaß-

nahmen.“

Zu unserem Interview in der Moses erlebBar kommt

Uta Rotermund in schwarz-weißem Zottelpulli und

hautenger roter Lackhose. Den farblich passenden

Lippenstift zieht sie vor dem Fotoshooting noch-

mal nach. Und obwohl Uta Rotermund seit Tagen

eine starke Bronchitis mit sich herumschleppt, po-

siert sie für uns lange in der Kälte. Wenn andere

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an ihre Arbeit Ansprüche stellen, mag sie das. Sie

tut es auch.

Für unsere Kinder hat sie uns gleich einen ganzen

Schwung ihrer „Rosaroten Brillen“ mitgebracht.

Die verkauft sie bereits seit 15 Jahren nach ihren

Veranstaltungen für den guten Zweck – die Or-

ganisation medica mondiale, die sich für Frauen

in Kriegs- und Krisengebieten einsetzt. Was für

manch' einen Besucher ihres Programms wie eine

lästige Werbeveranstaltung klingen mag, zeigt

auch, wie warmherzig die Kabarettistin ist. Denn

als der Gründerin von medica mondiale 1995, zur

Zeit des Krieges in Jugoslawien, der Preis „Frauen

Europas“ verliehen wurde, beeindruckte sie Dr. Mo-

nika Hauser mit ihrer ehrlichen Rede so sehr, dass

Uta Rotermund sofort beschloss, die Organisation

zu unterstützen.

Damals sagte Hauser, dass es nicht nur die Schläch-

ter auf den Kampffeldern des Krieges sind, die

schuldig werden, sondern auch „Sie, meine Herren

an den Schalthebeln der Industrie, der Wirtschaft,

der Politik, der Macht – durch Ihre Entscheidun-

gen, durch Ihr Handeln oder Nichthandeln.“ Uta

Rotermund fand das einfach großartig.

Dank ihrer „Rosaroten Brillen“, die den Blick aufs

Leben ab und zu etwas freundlicher gestalten,

konnte Uta Rotermund bisher bereits 37.000 Euro

an medica mondiale überweisen.

Ob sie Wünsche für die Zukunft hat? „Einen schnel-

len, schmerzlosen Tod, und das werde ich auch so

organisieren.“ Denn eins will sie nicht: als „mar-

kiertes und zweimal täglich gewendetes Gammel-

fleisch enden.“ (bb)

INFO

Uta Rotermund | Golden Girl! – Best of all!

9.12., 20.30 Uhr| 10.12., 20.30 Uhr | 11.12., 19 Uhr

Theater Fletch Bizzel, Humboldtsraße 45, Dortmund

www.utarotermund.de

www.medicamondiale.org

Page 6: bodo Dezember 2011

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pro verkaufter bodo 1 Euro verdienen*

*90 Cent Verkäuferanteil, bei 10 bodos ein Heft Bonus =

1,08 Euro plus Trinkgeld!

bodo ist für Sie da

Geschäftsleitung

Tanja Walter

[email protected]

Verwaltung

Brigitte Cordes

[email protected]

Redaktion und

Öffentlichkeitsarbeit

Bastian Pütter

[email protected]

Vertrieb

Oliver Philipp

[email protected]

Projekt Buch

Suzanne Präkelt

[email protected]

Buch Online

Gordon Smith

[email protected]

Projekt Transport

Michael Tipp

[email protected]

Second Hand

Brunhilde Dörscheln

[email protected]

06 NEUES VON BODO | www.bodoev.de | www.facebook.com/bodoev

Eine ungewöhnliche Veranstaltung, ein besonde-rer Ort, eine ungewohnte Rolle. bodo-Verkäuferin Birgitt machte sich Anfang November mit uns auf in die Bochumer Rotunde zum Multimedia-Pro-jekt „Doors of Perception“.

Die Künstlerin Lisa Lyskava (Bild), die das dreiwö-

chige Spektakel aus Ausstellungen, Performances

und Dokumentarfilmen zum Thema Wahrnehmung

organisierte, hatte uns eingeladen zur Urauffüh-

rung des Films „Standort Sehnsucht / Lebenswelten.

Innen-Ansicht“. Mit gutem Grund, denn Birgitt war

eine von 32 Ruhrstadtbewohnerinnen und -bewoh-

nern, die Lisa Lyskava in einfühlsamen Interviews

über ihr Leben und ihre Träume sprechen ließ. Viele

der Porträtierten warteten gebannt auf ihren Auf-

tritt, auch Birgitt.

Jedes Interview beginnt mit einem Gedicht, das die

Interviewten selbst vollenden, indem sie benennen,

was für sie Sehnsucht ist. Heraus kommt ein ein-

drucksvoller Dokumentarfilm, der ein Panorama der

Lebenswelten im Ruhrgebiet bietet und ein nach-

denklich machendes Spektrum an persönlichen Ein-

sichten, Einstellungen und Haltungen.

Gleichberechtigt sprechen die Streetartkünstler und

die junge türkischstämmige Krankenschwester, der

Flüchtling und der Manager, die Chefin der Bochumer

Eve-Bar und der Schichtführer einer Härterei – und

Birgitt, die beeindruckend offen über Wendepunkte

in ihrem Leben spricht, über die Vorurteile, die ihr

begegnen, und über ihre Träume. Ein tolles Projekt,

ein schöner Abend.

DokumentarfilmMitgliederversammlung

Die jährliche Mitgliederversammlung im Dort-munder Keuning-Haus ist für uns immer Zeit und Ort, zurück und nach vorn zu schauen. Während im letzten Jahr ein geradezu arktisches Schnee-treiben die Anreise behinderte, trafen wir uns am 16. November bei mildem Herbstwetter.

Auch wenn die Mittel knapp sind, war es ein erfolg-

reiches Jahr für bodo. Alle Projekte sind in Bewe-

gung, wir haben weiterhin den Eindruck, dass es

vorangeht – ein gutes Gefühl übrigens.

Viel von dem, was die Leiter der Arbeitsbereiche

bei der Versammlung vortrugen, finden Sie in un-

serem langen Text ab Seite 14. Seit wir vor knapp

drei Jahren begonnen haben, unsere Arbeitsberei-

che – allem voran Straßenmagazin und Buchprojekt

– einem tiefgreifenden Umbau (in voller Fahrt) zu

unterziehen, hat sich das Reformtempo kaum ver-

langsamt. Manchmal knirscht es im Gebälk, und ein

öffentlicher Fördertopf würde uns bestimmt hin und

wieder besser schlafen lassen. Trotzdem glauben wir

auf einem guten Weg zu sein – und gerüstet für die

Veränderungen, die das neue Jahr bereithält.

Wir bedanken uns bei unserem neuen Vorsitzenden

Andre Noll und bei den Vorstandsmitgliedern Nicole

Hölter und Brunhilde Dörscheln, die diesen Weg wei-

ter mit uns gehen wollen. Alle drei wurden einstim-

mig gewählt. Herzlichen Glückwunsch!

Wenn auch Sie Mitglied bei bodo werden wollen, ru-

fen Sie uns an.

montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr

unter dieser zentralen Rufnummer:

0231 – 98 22 97 96

Mail: [email protected] | Fax: 0231 – 88 22 527

Oder Sie besuchen uns:

Mallinckrodtstraße 270 | 44147 Dortmund

Mo. bis Fr. 11 – 18 Uhr

Stühmeyerstraße 33 | 44787 Bochum

Mo., Mi. u. Fr. 14 – 17 Uhr

Di. u. Do. 10 – 13 Uhr

EIN SELBSTBESTIMMTER ZUVERDIENST FÜR MENSCHEN IN SOZIALEN NOTLAGEN!

ANZEIGE

Liebe bodo-Leser,

helfen Sie uns, Menschen auf den Weg zu bringen.

Ermutigen Sie Menschen in Not, zu uns zu kommen.

Bei bodo ist jeder willkommen.

Page 7: bodo Dezember 2011

7

07

Hallo bodo-Leser, männlich und weiblich.

Wie immer gibt es viele interessante The-

men in der bodo zu lesen, die nur von Euch

gerne gelesen werden. Dann legt mal los!

4. Oktober

Ja, so ist es, wenn man wegen Anpassung

der neuen Zähne in den Mittagsstunden

zum Zahnarzt muss. Denn die Dritten sol-

len doch gut aussehen.

8. Oktober

Wie schnell doch vier Wochen vorbei sind.

Nun muss mein gefiederter Freund „Strol-

chi“ nach Hause. War auch eine schöne Zeit

mit dem Piepmatz.

10. Oktober

Heute ist der vorletzte Zahnarzt-Termin,

dann sehen wir weiter. Darum konnte ich

heute nicht so lange Zeitungen an Mann

oder Frau bringen.

12. Oktober

Nun ist es mit den Zähnen so weit. Ab zum

Zahnarzt hin, Anprobe, anpassen und mit-

nehmen. Bin dann beim Einkaufen prompt

damit aufgefallen. Ab morgen heißt es

dann Zeitungen verkaufen.

21. Oktober

Heute war bei meinem Hausarzt kurzer vier-

teljährlicher Gesundheitscheck dran und

dann ab die Post, Zeitungen verkaufen,

wenn denn welche eine haben möchten.

26. Oktober

Wie herrlich dieser Faulenzertag. Keine

Lust und Nerv, die restlichen Zeitungen zu

verkaufen, dafür ist morgen auch ein Tag.

Habe dafür gelesen, gestrickt und mit Min-

ka geschmust.

28. Oktober

Nun ist heute unser monatlicher Verkäu-

ferversammlungstag angebrochen. Denn

da werden wieder erfreuliche und negative

Themen behandelt. Nun, wir werden wei-

tersehen, was uns der heutige Tag bringt.

Und mal sehen, ob ich mit meinen neuen

Zähnen bei allen heute auffallen werde.

Hoffentlich erfreuliche Ergebnisse.

Mit freundlichen Grüßen an Euch alle.

Eure Bodoline Maike

MAIKES VERKÄUFERTAGEBUCH

Seit zehn Jahren liegen unser Vereinssitz und unsere Dortmunder Läden am Dortmunder Hafen. Der Blücherpark nebenan, viele Stammkunden und ein großes Netzwerk im nahen Umfeld sind immer noch ein Grund, gern hier zu sein. Leider wachsen unsere Räume an der Mallinckrodtstraße nicht mit.

In diesem Heft (S. 11ff.) berichten wir detaillierter,

was sich vor allem in diesem Jahr alles getan hat

bei bodo – um es kurz zu machen: Inzwischen sind

wir zu viele Menschen auf zu wenig Quadratmetern.

Seit einiger Zeit tragen wir uns mit dem Gedanken,

dem abzuhelfen und einige Nachteile unserer jetzi-

gen Adresse gleich mit zu verbessern. Ohne ein Sozi-

alticket laufen unsere Verkäuferinnen und Verkäufer

weiterhin zu Fuß. Das heißt: manchmal eine halbe

Stunde pro Weg in die Innenstadt. Dazu braucht

unser Buchprojekt mit inzwischen einem Dutzend

MitarbeiterInnen zwei Dinge: Parkplätze, damit Ihre

Buchspenden zu uns kommen, und eine Lage, die es

möglich macht, „mal eben“ in unserem Buchladen

vorbeizuschauen. Beides fehlt hier.

Aus diesem Grund werden wir im nächsten Jahr un-

sere Zelte am Hafen abbrechen und in einen Laden

mit Büroetage in größerer Innenstadtnähe umzie-

hen, unseren MitarbeiterInnen und unseren KundIn-

nen zuliebe. Sobald die neue Adresse feststeht, wer-

den wir Sie natürlich umgehend informieren – wir

freuen uns jetzt schon darauf. Bis dahin brauchen

wir Ihre Unterstützung: Spenden Sie für „Ein Dach,

unter dem Platz für alle ist“.

Vereinssitz: Umzug geplantSoziale Stadtführung

Soziale Einrichtungen für Obdachlose standen im Mittelpunkt der „Sozialen Stadtführung“, bei der bodo-Verkäufer Markus Neiß sieben Mitarbeiter-Innen des Jugendhilfezentrums Nord die Orte Bo-chums zeigte, die sonst nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung stehen.

Zusammen mit bodo-Vertriebsleiter Oliver Philipp

stellte Markus zuerst die Arbeit von bodo vor und

erzählte, wie er 1997, damals noch obdachlos, zu

bodo fand. Mittlerweile hat der 49jährige wieder

eine feste Wohnung und zählt zu den bekanntesten

bodo-Verkäufern der Stadt.

Vorbei an der Beratungsstelle für wohnungslo-

se Männer und der Suppenküche führte Markus

die Gruppe zur Bochumer Bahnhofsmission, wo

eine Mitarbeiterin sich viel Zeit nahm, die un-

terschiedlichen Aufgaben der Einrichtung vorzu-

stellen. Nächste Station des Rundgangs war Bo-

chums Übernachtungsstelle für obdachlose und

wohnungslose Menschen. Mit seiner Lage weit au-

ßerhalb der Stadt und einer stark renovierungsbe-

dürftigen Fassade steht das Gebäude der Einrich-

tung sinnbildlich für die Position am Rande der

Gesellschaft, die Obdachlose und ihre Versorgung

leider immer noch einnehmen. Weitaus freundli-

cher ging es dann wiederum beim Tagesaufenthalt

der Inneren Mission zu, wo der informative Rund-

gang sein Ende fand.

Auch wenn es sich nur um einen „Probelauf“ handel-

te, hat es allen sichtlich Spaß gemacht, und bodo

freut sich schon auf weitere Führungen in 2012.

schafft Chancenbodo

BODO-VERKÄUFER WERDEN! WWW.BODOEV.DEEIN SELBSTBESTIMMTER ZUVERDIENST FÜR MENSCHEN IN SOZIALEN NOTLAGEN!

Page 8: bodo Dezember 2011

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DIE REPORTAGE | von Dr. Birgit Rumpel | Fotos: Claudia Siekarski08

Viele Sterne suchen ihren Himmel

Page 9: bodo Dezember 2011

9

09

Kontaktbörsen gibt es viele: online, offline, per Chat, beim Tanztee oder im Szenemagazin. Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bleiben da meist außen vor. Ganz anders ist das bei der Single-Disco der Lebenshilfe, die dieses Jahr mit mehr als 500 Besuchern im Keuninghaus stattfand.

Freitagabend, kurz vor sieben am Keuninghaus in der Nordstadt. Ein Kleinbus nach dem anderen fährt

vor und lädt erwartungsvolle junge und weniger junge Leute aus. Sie freuen sich auf ein besonde-

res Highlight: Die Single-Disco für Menschen mit Behinderung mit dem schönen Titel „Stern sucht

Himmel“.

Seit drei Jahren veranstaltet die Lebenshilfe e.V. Dortmund mit zahlreichen ehrenamtlichen Helfern

einmal jährlich diese Disco, auf die sich viele schon seit Monaten freuen. „Wir bekommen das ganze

Jahr über Anrufe, werden gefragt, wann die nächste Single-Disco stattfindet,“ erzählt Daniela Rolle,

die seit Wochen mit der Organisation beschäftigt ist. Die 29jährige Sozialpädagogin berät bei den

ambulanten Diensten der Lebenshilfe Familien mit behinderten Angehörigen und organisiert deren

Betreuung.

Das Forum des Keuninghauses ist schon gut gefüllt, aufgeregtes Treiben überall. DJ Lars sorgt für

die typischen Discoklänge, Spotbeleuchtung, Discokugeln und herzförmige Luftballons zeigen, wo-

rum es hier geht. Die kleinen runden Tische sind belegt, auf der Tanzfläche tummeln sich die ersten

Tanzbegeisterten. Für fünf Euro Eintritt wird allerdings noch viel mehr geboten als Musik und ein

Freigetränk: organisiertes Flirten. Wer das möchte, bekommt am Eingang einen roten Herzaufkleber

mit der persönlichen Flirtnummer. Weitere Angebote sollen die Partnersuche erfolgreich machen: An

einer Stelle können sich die Besucherinnen schminken lassen, bevor professionelle Fotoporträts für

den persönlichen Steckbrief gemacht werden. Bei Bedarf wird auch beim Ausfüllen des Steckbriefs

geholfen. Neben den üblichen Angaben wie Name, Alter, Hobbys und Interessen werden dabei auch

Fähigkeiten bzw. Einschränkungen abgefragt. Es soll ja alles passen.

Etwas abgelegen vom großen Trubel ist die Flirt- und Kuschelecke eingerichtet. Hier können Flirtwil-

lige ihren Steckbrief an Pinnwänden hinterlassen und/oder auf die Suche gehen. Wer einen interes-

santen Flirtpartner an der Pinnwand entdeckt hat, schreibt ihm oder ihr eine Nachricht. Die Flirtpost

wird von ehrenamtlichen Helfern entgegengenommen, und umgehend erscheint die Flirtnummer des

Adressaten an der großen Projektionswand direkt neben der Tanzfläche. Flirtwillige sind also gut be-

raten, beides nicht aus den Augen zu lassen, jeder hofft natürlich, endlich auch die eigene Nummer

angezeigt zu sehen.

So auch der 43jährige Martin aus Wetter. Er ist schon zum zweiten Mal dabei und hofft, heute eine

Partnerin zu finden. „Letztes Jahr hatte ich schon eine Frau gefunden, die hat mir dann aber ein

anderer Macker ausgespannt,“ bedauert er. Martin lebte einige Jahre in diversen Großstädten auf der

Straße, hat einen Aufenthalt in der Psychiatrie hinter sich und lebt jetzt in einem Wohnheim. „Die

haben mich so gut wieder hingekriegt, jetzt wohne ich in einer Außen-WG mit fünf anderen Män-

nern.“ Wonach er hier Ausschau hält? „Schlank und blond soll sie sein, vielleicht auch mit schwarzen

Haaren, eher ruhig und nicht so hibbelig. Erstmal will ich sie treffen, vielleicht kann sie auch Besuch

bekommen, später dann auch mit Übernachten, aber das muss man erstmal abwarten,“ beschreibt

Martin seine Vorstellungen.

Als nächstes wird er also die Pinnwände sichten, an denen die weiblichen Suchenden ihre Steck-

briefe angehängt haben. Das sind allerdings deutlich weniger als bei den männlichen Steckbriefen.

Wer denkt, dass sich nur Teens und Twens bei der Single-Disco tummeln, irrt gewaltig. Die jüngste

Flirtkandidatin ist 19 der älteste ein 75jähriger HSV-Fan.

Page 10: bodo Dezember 2011

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NEUES VON ROSI | von bodo-Verkäuferin Rosi

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

Weihnachten steht vor der Tür. Die

ersten Einkäufe werden schon ge-

macht. Lange genug steht das Weih-

nachtszeug in den Geschäften. Ich

finde es nicht so schön, dass es so

früh in den Geschäften steht.

Was sagen Sie denn dazu, oder was hät-

ten Sie gesagt, wenn der Fußball als

Weihnachtsspitze auf den Baum gekom-

men wäre? Es wäre doch eine Katastro-

phe gewesen. Der Ball hat doch nichts

mit Weihnachten zu tun. Nach der Um-

frage, die gemacht wurde, kommt ja

nun doch der Engel drauf. Auch wenn

wir eine Fußballstadt sind.

Gestern hatte ich auch viel zu tun.

Ich musste unsere Blumenkästen von

draußen reinholen. Etwas hatte der

Frost schon genagt an den Pflanzen,

aber sie sind noch heil geblieben.

Jetzt überwintern sie im Keller. Am

Tag ist es sehr warm, aber nachts auch

schon sehr kalt bis minus 6 Grad.

Haben Sie denn schon für das Weih-

nachtsfest alles gekauft? Wir haben

schon mal die Weihnachtsgans gesi-

chert, denn nachher wird alles teuer.

Ich möchte mich noch für die vielen

Gaben, die Sie mir zukommen ließen,

bedanken. Ich wünsche Ihnen allen

ein frohes Fest, viel Gesundheit, ein

schönes, ruhiges neues Jahr und sage

wie immer: Tschüss, Ihre Rosi

10

Auch in der Flirtecke stehen aufmerksame Helfer bereit, um beim Lesen der Post und beim Zusam-

menkommen der Flirtwilligen zu helfen. „Manchmal stehen sie schon nebeneinander, man muss sie

nur noch zueinander drehen,“ erzählt Alexander Rupprecht, der als Helfer über die Wirtschaftsjuni-

oren hier aktiv ist. In ihrem Ressort „Soziales“ ist die Single-Disco ein fester Termin. „Wir haben das

Projekt damals mit angestoßen, wollten unsere Kompetenz beim Organisieren von Veranstaltungen

einbringen,“ erinnert sich Rupprecht, der hauptamtlich die Geschäfte des Business-Centers eport

Dortmund führt. Nicht nur er hat heute Abend Schlips und Kragen im Schrank gelassen. Etwa 15

Ehrenamtliche aus dem Kreis der Wirtschaftsjunioren engagieren sich vor Ort mit sichtbarem Spaß.

Dazu gehört auch Sonja Dunkel. Die Geschäftsführungsassistentin einer großen Parfümeriekette

bringt nicht nur die Utensilien mit, sondern hat sichtbar Spaß daran, die Besucherinnen zu schmin-

ken. „Man bekommt soviel mehr zurück, wenn man diese glücklichen Gesichter sieht. Die Mädchen

genießen es, während dieser Minuten vor dem Spiegel etwas Besonderes zu sein“. Sonja Dunkel ist

schon zum dritten Mal dabei. „Anfangs musste ich erst lernen, mit den Behinderten umzugehen, sie

sind so offen und viel distanzloser, als man es gewohnt ist, aber sie bringen einen immer wieder

auf den Boden zurück,“ beschreibt die 28jährige ihre Erfahrungen.

Auf der Bühne hat inzwischen die Dortmunder Band „Mid!Live“ den DJ abgelöst, die Tanzfläche ist

jetzt restlos gefüllt. In der Flirtecke haben Corinna (20) und Martin (26) es sich auf dem Kuschelso-

fa bequem gemacht. Grinsend genießt sie es, von ihm neckisch in die Seite gestupst zu werden,

auch er strahlt über beide Ohren. Sie haben sich über die Flirtpost gefunden und sogar schon ge-

küsst. Da wollen wir lieber nicht stören.

„Was nach der Veranstaltung aus den Pärchen wird, wissen wir ja nicht,“ erzählt Daniela Rolle. „Für

manche ist es schwierig, sich regelmäßig zu treffen oder auch nur zu telefonieren, das geht oft nur

mit Betreuern.“ Allein die Gelegenheit zu haben, auf Partnersuche zu gehen, ist für viele Besucher

schon ein besonderes Ereignis, das sie sonst kaum finden. Kein Wunder also, dass die Single-Disco

ein echtes Zugpferd unter den Veranstaltungen der Lebenshilfe ist. Und die beste Nachricht zum

Schluss: Der Termin für nächstes Jahr steht auch schon fest, es ist der 14. September 2012, auf den

man sich schon wieder freuen kann. (biru)

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Page 12: bodo Dezember 2011

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KULTUR | von Marcus Preis | Foto: Claudia Siekarski

Wer spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag die Nase voll hat von Kokosmakronen und La-metta und den kleinen Lord schon auswendig kann, der bekommt im Sissikingkong in Dort-mund eine echte Alternative geboten: Die „To-tal Paranormal“-Weihnachts-Zauber-Show. Hier sollen Tannenbäume schweben und die Zukunft wird aus Bratäpfeln gelesen. Haben wir gehört. bodo bekam vorab eine Privatvorführung.

Wir stehen vor verschlossener Tür, die Kneipe, in

der wir uns mit der Zaubertruppe zum Frühstück

treffen wollen, hat dicht: Ruhetag. Es ist Novem-

ber, draußen ist es um diese Uhrzeit zu kalt. Kur-

zerhand bekommen wir Asyl in einem Seminarraum

im Kommunikativen Bildungswerk KOBI direkt über

der Kneipe. Naja, ein eher nüchternes Ambiente für

ein Künstlerinterview, denke ich zunächst. Dem Ort

entsprechend bilden wir einen Stuhlkreis, zwei der

vier Zauberkollegen sind noch nicht da.

Seit 2006 gibt es die Combo, damals war das

jüngste Mitglied „Magic Kid“ gerade mal 14 Jah-

re alt. Heute tritt er unter seinem bürgerlichen

Namen auf: Marc Weide. Im Gegensatz zu seinem

Kollegen Grobi, Grobilyn Marlowe: Polnischer Vor-

name – irischer Nachname klärt er uns auf. „Aber

bei der Show bin ich ,Kotelett Schabowski‘ aus

,Ost-Ostekiskan‘. Das liegt hinter dem ,Oralgebir-

ge‘.“ Seine Kunst nennt er „TrashMagie“ verbun-

den mit Mentalmagieeffekten: „Ich finde z.B. ein

Wort, welches ein Zuschauer sich gemerkt hat, und

auf dem Weg dahin passieren komische Sachen, da

explodiert dann mal was.“ Marc macht „allgemei-

ne Magie mit Vortrag“, fachmännisch ausgedrückt:

„Ich rede sehr viel und beziehe das Publikum mit

ein; ich bin nicht so der ernste Künstler, das würde

mir auch keiner abkaufen.“

Nun sind auch die beiden anderen Kollegen im

Stuhlkreis angekommen. Der eine stellt sich vor

als „Pille“. Schon wieder so ein komischer Name,

denke ich. Olli Pilsner ist der Kartenhai. Künstler-

name „Der große Pilloso“. Mario Schulte kommt

ohne Künstlernamen aus, er hält als Moderator das

Programm zusammen, aber natürlich nicht ohne

Zaubertricks, versteht sich. Alle vier sind auch

solistisch unterwegs: „Wir treten überall auf, von

Gala bis zur Entzugsklinik – das Publikum funkti-

oniert immer.“

Das Programm verändert sich ständig, laufend

werden neue Tricks ausprobiert. Und als wenn

das Quartett nicht schon genug wäre, laden

Total Paranormal Plötzlich explodiert da mal was

12 ZUM HAARE RAUFEN | von Nina Mühlmann

Ich interessiere mich für Wirtschaft, das ist neu.

Nicht die Wirtschaft, sondern mein Interesse.

Als Tochter eines Bankers musste ich mich bisher

nicht darum kümmern. Sie schien etwas zu sein,

das ständig und stetig weiter wächst, Punkt.

Neuerdings lese ich engagiert die Wirtschaftstei-

le der Zeitungen. Schlagzeilen sind mit Fragezei-

chen versehen. Die sonst so vor lauter Potenz und

Ausrufezeichen strotzende Ökonomie scheint am

Ende mit ihrem Latein. Wechselt dennoch nicht

in liturgische Hoffnungsgesänge, um den Abge-

sang auf den Kapitalismus zu übertönen. Schreibt

weiter Zahlen, mit Minuszeichen vor lauter Un-

summen von kaum zählbaren Nullen. Meine Lei-

denschaft für Zahlen und das Rechnen wächst

synchron zu meinem Wirtschaftsinteresse. Als

Künstlerin arbeitete ich immer schon gerne auf

der Schwelle von Realität und Fiktion. Präziser

formuliert steht die ganze Angelegenheit also

hoch bei mir im Kurs. Wenn mein Wirtschafts-

und Zahleninteresse eine Aktie wäre, würde dies

zur Marktstabilisierung beitragen. Wenn ich in

den Nachrichten höre, dass Italien Eintausend

Milliarden Euro Neuverschuldung aufnehmen

muss, werden die sich dahinter versteckenden

einzelnen Zahlen für mich erst sichtbar, wenn ich

sie notiere: 1.000.000.000.000.

Das Malen der Zahlen, vor allem der Nullen, hat

für mich aufgrund der Rundungen eine beruhi-

gendere Wirkung als ein großflächiges Manda-

la. Diese meditative mathematische Beschäf-

tigung scheint mir eine geeignete Prävention

gegen das Burnout-Syndrom zu sein. Wenn ich

auf diese Art, als Teil dieses Wirtschaftssys-

tems, zwischenzeitlich innehalte, droht mir

sicherlich nicht so schnell, wie dem System

selbst, das komplette Erliegen.

Dennoch bedeutet dies nicht das Ende des Ka-

pitalismus, der Marktwirtschaft oder der Parole

„Geld regiert die Welt.“

Denn so zeigt uns „alle Jahre wieder“ das bevor-

stehende Wiegenfest vom Christuskind wie auch

fortlaufend die roten Zahlen, die die Staaten

schreiben: Religionen haben eine unbändige

Kraft und Wirkungszeit. Etwas, das gar nicht mehr

unter uns weilt, zu existieren aufhört, ist trotz-

dem immer irgendwie da und unter uns. So ist es

mit Christus und so ist es mit Geld. Von daher:

frohe Festtage allen Gläubigen, Nicht-, Un- oder

Andersgläubigen und all unseren Gläubigern! (nm)

Oekonomia nervosa in spiritus sanctus

Page 13: bodo Dezember 2011

13

die Jungs immer noch andere Gastkünstler in ihre

Show ein, oder der ein oder andere bringt seine

persönliche Assistentin mit. Klar, was ist schon ein

Zauberer ohne seine Assistentin. „Petranowa Pet-

ranowcic“ z.B. macht dann die singende Säge, oder

„Miss Schweden 1974“ kommt extra aus Skandina-

vien angereist. Übereifrige Zuschauer sollen schon

mal behauptet haben, einen Kerl im Fummel gese-

hen zu haben. Eine Massenhypnose ist am Abend

ebenso wenig ausgeschlossen wie die Taufe eines

Schweins.

Kaum zückt die Fotografin in unserem Seminarraum

ihr Arbeitsgerät, hält die Zauberer nichts mehr im

Stuhlkreis. Aus der Tasche erwacht ein Waschbär,

kleine rote Bälle erscheinen und verschwinden

wieder, Flaschen beginnen zu rauchen und Spiel-

karten werden ausgekotzt (entschuldigen Sie die

Ausdrucksweise, aber das nennt man so). Naja, so

lange es nur Karten sind und nicht der Weihnachts-

braten... (mp)

INFO

Total Paranormal – die Weihnachtsshow

am 26. Dezember 2011, 20 Uhr

Sissikingkong, Landwehrstraße 17, 44247 Dortmund

bodo velost 1 x 2 Karten (s.S. 21)

13WILDE KRÄUTER | von Wolfgang Kienast

In Geschichten tauchen sie noch auf. Ich

finde Hühner prima, habe ein Faible für

schwarzen Humor, und bei den Erzäh-

lungen, die sich ums Federvieh ranken,

kommt beides oft zusammen. Wie der

Marder sie geholt und der Milchmann

überfahren hat, wie sie schneeblind den

Weg zurück in den Stall nicht mehr fan-

den, und niemals darf der Klassiker feh-

len, der, wie sie orientierungslos über

den Hof gekugelt sind, sternhagelvoll

von versehentlich ins Futter geratenen

aufgesetzten Früchten.

Der Aufgesetzte. Eine hochprozentige

Methode, Aromen des Sommers in den

Winter zu retten. Ein Ressort, auf das

sich vor allem die Alten im Dorf verstan-

den. Vererbte Rezepturen wurden in ge-

selligen Runden auf Wirkung und Würze,

auf Leber und Milz hin geprüft. Schwar-

zer Johannisbeer. Sauerkirsch. Von ge-

heimen Zutaten wurde gemunkelt.

Als Königsdisziplin galt der von den

Schlehen. Schon deshalb eine Ausnah-

me, weil hier Winteraromen eingelegt

werden: 250 g Schlehen (nach dem ers-

ten Frost gesammelt), 1 aufgeschnittene

Vanilleschote, 2 Zimtstangen, 4 unge-

schälte Mandeln und 1 Handvoll Rosinen

mit 0,7 l Wodka übergießen und sechs

Monate in einem verschlossenen Glas

ruhen lassen. Abfiltern. Dann aus 150 g

braunem Zucker und 250 ml Wasser einen

Sirup bereiten, zur Flüssigkeit geben und

weitere sechs Monate warten.

Zur Halbzeit gibt es eine Belohnung,

wenn Sie die rausgefischten Wodka-

schlehen mit 100 g Rohrzucker in 500 ml

trockenen Sherry legen, das Ganze über

zwei Wochen ab und an schütteln und

schließlich filtrieren. Ein ganz vorzügli-

ches Kollateral-

getränk. (wk)

wildkraeuter.bodo/12_schlehe/„Oh du schöner Wehehesterwald...” Unver-

meidliche Wanderfolklore, sie bei sonn-

täglichen Ausflügen anzustimmen, ließ

mein Vater sich nicht nehmen. Alle sangen

mit. In der Kindercrew hatte niemand ei-

nen Schimmer, was genau ein Westerwald

ist. Ich reimte mir Wester auf Winnetou

und Old Shatterhand und war zufrieden.

Das Unbekannte nährt Illusionen. So lässt

sich auch die ungebrochene Nachfrage in

Sachen Liebe-, Lust- und Landluftjourna-

lismus erklären, als deren Folge der Zeit-

schriftenhandel sein Regalsystem umbau-

en musste. Ähnliches gelang zuvor mal

den Computermagazinen.

Ich kenne mich mit Land besser aus.

Meine Biografie. Zwar wird man mich im

Pott so schnell nicht mehr los, und hö-

ren Sie mir bloß auf mit Berlin, geboren

und aufgewachsen aber bin ich in einem

Sechshundertseelendorf in sauerländer

Randlage, Sehnsuchtsort schon damals

in gewissen Kreisen. Herr O. zum Beispiel

beschritt den entgegengesetzten Weg.

Ihn zog es, der Ruhe wegen, raus aus der

Stadt und mitten rein in die Region, in

welcher angeblich Fuchs und Hase sich

eine Gute Nacht zu sagen pflegen. Es dau-

erte nicht lang, da prozessierte er gegen

einen Landwirt in unmittelbarer Nähe

seines neuen Domizils. Der Hahn krakeele

täglich früh und ausgesprochen laut. Herr

O. gewann. Bei der Dorfgemeinschaft war

er fortan und für alle Zeiten durch.

Inzwischen hat sich vieles geändert. Häh-

ne, vermuten meine Eltern, würde es mitt-

lerweile auch aus anderen Gründen nicht

mehr geben; weil es auch keine richtigen

Bauern mehr gäbe, die machten jetzt alle

in Pony und Pferd. Selbst Hühner, solche

mit ausreichend Platz zum Scharren, Pi-

cken, Staubbadneh-

men und mal etwas

Fliegen, seien sel-

ten geworden.

Page 14: bodo Dezember 2011

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„Wir werden immer größer, jeden Tag ein Stück.“ – Ganz so wie im Kinderlied ist es nicht, tatsächlich ist 2011 jedoch ein beson-deres Jahr für bodo: Noch nie waren so viele Menschen in unseren Räumen am Dortmunder Hafen beschäftigt. Von hier aus bringen wir Menschen in Wohnungen, beraten und helfen. Hier bilden wir selbst aus und qualifizieren oder vermitteln in Ausbildung und Arbeit. Weil Sie unser Straßenmagazin kaufen, uns Bücher und Hausrat bringen, in unseren Läden ein-kaufen und unser Transport-Team beauftragen, können wir so vielen Menschen eine Perspek-tive geben.

bodos Bücher: Menschen auf den Weg bringen

„Allein auf weiter Flur“ ist lange her. Heute drän-

gen sich an manchen Tagen zehn MitarbeiterInnen

in den Büros, in denen wir noch vor zwei Jahren

zu zwei oder zu dritt waren. Wachstum bei bodo

bedeutet natürlich etwas anderes als in den Bör-

sennachrichten. Mit steigenden Einnahmen – zum

Beispiel in unserem Projekt Buch – steigt nicht

unser Gewinn, sondern es verbessern sich die Mög-

lichkeiten, noch mehr Menschen eine Perspektive

zu geben. Inzwischen koordiniert mit Suzanne Prä-

kelt eine gelernte Buchhändlerin mit Ausbildungs-

befugnis ein Dutzend MitarbeiterInnen.

Zum Beispiel Gordon Smith. Vor zwei Jahren baten

wir unsere Leserinnen und Leser um Unterstüt-

zung. Mit Gordon hatten wir über das Netzwerk

Nachsorge („nado“) einen Mitarbeiter gefunden,

der viel von dem mitbrachte, was Unternehmen

heute suchen: Perfekte Zweisprachigkeit, hervor-

ragende Computerkenntnisse, eine leise, freundli-

che Art, Engagement. Was ihm fehlte: Zwölf Jahre

in seinem Lebenslauf. Mit einer Anschubfinanzie-

rung der bodo-Leserschaft stellten wir Gordon als

Vollzeitkraft ein, gefördert durch das Programm

Jobperspektive. Die Förderung ist ausgelaufen –

Gordon bleibt bei uns. Er betreut den Bereich der

antiquarischen Bücher, in dem er sich ein beein-

druckendes Fachwissen erarbeitet hat, und betreut

– dankenswerter Weise – unser EDV-Netzwerk.

Dass Mitarbeiter dauerhaft bei uns bleiben, ist

jedoch nicht die Regel. Ziel in allen Projekten ist

es, Menschen Möglichkeiten zu eröffnen und sie

bei den nächsten Schritten zu begleiten, ob das

die eigene Wohnung ist oder der erste Arbeits-

markt. Dabei fallen Abschiede oft schwer. Auch

Lothar Schöps kam über die „nado“ zu uns und

hat uns im September verlassen. Er schreibt uns:

„Hallo liebe bodo-Freunde, ich habe vor über ei-

nem Jahr mal ein Praktikum bei bodo gemacht,

und von da an hatte ich so etwas wie eine zwei-

te Familie in einer mir damals fremden Stadt.

(…) Mir wurde die Chance gegeben, wieder eine

Struktur in mein Leben zu bringen. Mit viel Ein-

fühlungsvermögen haben die bodos mir zurück

geholfen: Ich habe einen Weg eingeschlagen, den

ich für unerreichbar gehalten habe, ich mache

eine Umschulung zum Bürokaufmann. Danke, dass

ich Euch ein Stück vom Weg begleiten durfte.“

Stolz sind wir auch auf unsere beiden Auszubil-

denden. So stolz übrigens, dass sie in diesem

Monat unseren Titel zieren. Stefanie Sievers

und Sandra Gehring machen ihre Ausbildung zur

Verkäuferin, Steffi im zweiten, Sandra im ers-

ten Lehrjahr. bodo ist Kooperationsbetrieb und

übernimmt die Praxis der Ausbildung, die wie bei

allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bereichs-

übergreifend funktioniert. Steffi war maßgeblich

an der Neugestaltung des Verkäufercafés betei-

ligt, gemeinsam mit Sandra zeichnet sie Ware im

Second-Hand-Laden aus, betreut Verkäuferinnen

und Verkäufer des Straßenmagazins, bearbeitet

Buchbestellungen und berät Kunden.

Bei aller Vielseitigkeit ist es vor allem der Buch-

laden in Dortmund, den Steffi und Sandra „im

Griff“ haben. Gegenüber neuen MitarbeiterIn-

nen, ob in Praktikum, Einstiegsqualifizierung

oder Zuverdienst, sind sie genauso hilfsbereit

wie bei Buchkunden oder neuen Verkäuferinnen

und Verkäufern des Straßenmagazins. Besuchen

Sie die beiden und ihre KollegInnen einmal in

unserem Buchladen (und nehmen Sie den Ein-

kaufsgutschein von Seite 18 mit).

bodo Transport: Ich will und ich kann

Es gibt wirklich viel zu tun: 250 Aufträge in die-

sem Jahr – Transporte, Umzugshilfen, Wohnungs-

auflösungen. Dazu eine Kooperation mit dem CJD:

Der Umbau von Süd- und Nordtribüne für jedes

Champions-League-Spiel des BVB – eine harte

Arbeit, die aber mindestens so stolz macht wie

ein reibungslos abgeschlossener Umzug. Und zu

guter Letzt: Die vielen Aufträge von bodo selbst,

ob Renovierungsarbeiten, Transporte oder die Be-

lieferung der zusätzlichen bodo-Ausgabestellen.

Auch hier geht es darum, Menschen zu begleiten,

ihnen Hindernisse aus dem Weg zu räumen und

ihnen neues Zutrauen in sich selbst zu geben. Wer

bei uns morgens pünktlich um Viertel vor acht sei-

nen Kaffee in der engen Küche trinkt, um danach

NEUES VON BODO | von Bastian Pütter und Sebastian Sellhorst| Fotos: Claudia Siekarski14

Viele gute Geschichten unter einem Dachbodo blickt auf ein erfolgreiches Jahr und plant den nächsten Schritt

Page 15: bodo Dezember 2011

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Das Straßenmagazin – Lesen ist helfen

Das Lied vom Immer-größer-Werden passt beim

Straßenmagazin bodo vor allem geografisch.

Während wir z.B. in Witten noch nach Partnern

suchen, haben wir bereits jetzt mit neuen Ausga-

bestellen in Herne und Unna, fünf Öffnungstagen

in Bochum und einer 7-Tage-Versorgung in Dort-

mund eine bessere Abdeckung denn je.

Mit Oliver Philipp haben wir einen neuen Mitar-

beiter, der den Vertrieb der Zeitung koordiniert.

Dabei geht es jedoch um weit mehr als um die

Frage, wie Zeitungsstapel von A nach B kommen.

Es sind vor allem die Probleme unserer Verkäufe-

rinnen und Verkäufer, deren Olli sich annimmt.

Ämterfragen, Beratungstermine, die Koordinati-

on der Verkaufsplätze und die Kontakte in die

Hilfenetzwerke in immerhin vier Städten. Nicht

zuletzt wirbt Olli auch bei Menschen auf der

Straße, den kalten Platz auf dem Boden gegen

die rote bodo-Jacke einzutauschen: „Wir freuen

uns über jede neue Verkäuferin und jeden neu-

en Verkäufer. Wer arm oder wohnungslos ist und

bereit, sich an unsere Regeln zu halten, ist uns

herzlich willkommen.“

loszufahren und schwere Schränke oder ganze

Stadionsitzreihen zu heben, der zeigt zweierlei:

Ich will und ich kann. Manchmal reicht allein das,

um zukünftige Arbeitgeber zu überzeugen: Wie

bei Kai aus Bochum, der über die Aushilfe in unse-

rem Second-Hand-Laden zum Transport-Team kam

und darüber zuletzt in eine unbefristete Stelle im

ersten Arbeitsmarkt. (Herzlichen Glückwunsch!)

Nicht immer geht es so reibungslos. In jedem Fall

hilft aber der Einsatz unserer Zuverdienstler, sich

selbst und auch dem Jobcenter zu zeigen, dass

sich jemand mit der „Diagnose“ Langzeitarbeits-

losigkeit nicht abgefunden hat.

Oder die Alternativen zum Leben auf der Straße

prüft: Olli, Tobi und „Blümchen“ sind drei neue

Mitarbeiter im Team von Michael Tipp. Tobi ist 27,

stammt aus Flensburg und hat dort eine Lehre als

Bäcker abgeschlossen. Nach diversen Jobs bei un-

terschiedlichen Zeitarbeitsfirmen war er auf dem

Weg nach Spanien, bis er in Dortmund hängen

geblieben ist. Die letzten zwei Jahre hat er auf

der Straße verbracht. Inzwischen hat er wieder

eine eigene Wohnung. Wie lange noch, da sei er

sich noch nicht sicher. „Aber es ist schon super,

wenn du eine Tür hast, die du hinter dir zumachen

kannst“, erzählt er.

Auch „Blümchen“, dem Dritten im Bunde, ist es

ähnlich ergangen. Als sein Ausbildungsbetrieb

in Konkurs ging, konnte er seine Lehre als Gas-

und Wasser-Installateur nicht abschließen und

bekam seine bereits abgeleistete Ausbildungs-

zeit nicht angerechnet. Entmutigt von diesem

Rückschlag fehlte die Kraft für einen zweiten

Anlauf und er landete auf der Straße. Nach fast

fünf Jahren Obdachlosigkeit wohnt er jetzt bei

seiner Freundin.

Natürlich habe die Arbeit bei bodo auch negative

Seiten. „Wenn du ‘nen Keller entrümpelst, der so

richtig vermodert ist, dann ist das schon wider-

lich“, klagt er. Aber solche Aufträge seien nicht

die Regel und das Arbeitsklima würde vieles auf-

wiegen. „Die Leute hier sind schon alle ganz cool,

und finanziell lohnt es sich auch.“

Die Frage, was sie sich für ihre Zukunft wünschen,

beantworten die drei ironisch: „Ein Haus, fünf

Kinder und mich reich arbeiten bei bodo“, heißt

es da mit einem Augenzwinkern. Doch wenn die

drei auch an ihrem freien Tag auf einen Kaffee

bei bodo vorbeischauen, macht es den Anschein,

als wäre die Arbeit vielleicht ein bisschen mehr

als der Nebenjob, bei dem man sich ein paar Euro

dazu verdient.

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Page 16: bodo Dezember 2011

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Die Geschichten unserer zur Zeit knapp 90 Ver-

käuferinnen und Verkäufer könnten Bände füllen.

Für manche ist jeder Tag ein Kampf. Sie wissen

morgens nicht, wo sie abends schlafen oder wie

sie über den Tag kommen. Im letzten Jahr noch

schlief René im bitterkalten Dezember unter dem

Stahlgerüst des monströsen Dortmunder Weih-

nachtsbaums, während die Glühweinstände sich

leerten, wenn die Gäste dort kalte Füße bekamen.

Für andere ist das Straßenmagazin eine Stütze und

Bedingung ihrer Stabilisierung. Wieder eine Woh-

nung zu haben kann auch heißen, dass einem die

Decke auf den Kopf fällt. Viele unserer ehemals

obdachlosen Verkäuferinnen und Verkäufer bleiben

bei uns, um einen Halt zu haben, den Kontakt zu

ihren Kundinnen und Kunden und zu uns.

Frank war obdachlos und verlor auf der Straße

durch einen schweren Unfall beide Unterschen-

kel. Er kämpfte sich zurück ins Leben, und wer

ihn heute sieht, würde ein solches Schicksal nie

vermuten. Frank bewegt sich mit seinen Prothe-

sen beinahe uneingeschränkt, hat eine Wohnung

und einen Hausmeisterjob, und samstags trifft er

seine Stammkunden in der Wattenscheider Fuß-

gängerzone, „denn die warten doch auf mich“.

Und die paar Euro kann er auch ganz gut gebrau-

chen, denn für die Zuzahlung zum Zahnersatz

reichte es nicht. Als er im Interview erzählte, dass

er seine lose Zahnprothese – ganz Heimwerker – re-

gelmäßig mit Sekundenkleber befestige, meldeten

sich mehrere Leserinnen und Leser, mit dem Ergeb-

nis, dass Frank inzwischen wieder lächeln kann.

Wir sollen uns ganz herzlich bei allen auch hier im

Heft bedanken, hat er uns eingeschärft.

Bei anderen, wie unserem wohl bekanntesten Dort-

munder Verkäufer Günter, kommt plötzlich Bewe-

gung in die Arbeitsbiografie. Auch er kann heute

noch seinen Schlafplatz unter einer Kanalbrücke

zeigen, hat aber längst eine Wohnung und ist ver-

heiratet. Nur wirklichen Erfolg bei der Jobsuche

hatte er nicht – die Lücke im Lebenslauf war zu

groß. Seit zwei Monaten arbeitet Günter bei dem

großen Buchversender, der in Werne ein neues La-

ger errichtet hat. Die in der Tagespresse kritisier-

ten Ausbeutungsvorwürfe kann er zwar bestätigen,

doch was für ihn zählt, ist die Chance, wieder an-

zukommen im Berufsleben. Sein Vertrag ist befris-

tet, und noch lässt er sich seine bodo-Runde nicht

nehmen. Wir jedenfalls drücken die Daumen...

Einer der Jüngsten bei uns ist Matthias, 21, der im

letzten Jahr aus einer Drückerkolonne floh und auf

der Straße landete. Er rutschte in die Drogensze-

ne ab und kam irgendwann zu uns. Er bekam erst

einen Platz in einem Wohntraining, später in einer

Maßnahme, in der er Autos restauriert. Jeden Tag

nach Feierabend kommt er nun zu uns auf einen

Kaffee und hilft bei der Post oder im Buchladen.

Abends geht er manchmal noch für eine Stunde das

Straßenmagazin verkaufen. Denn aus seiner Drück-

erzeit ist noch ein Bußgeld offen. Und das möchte

er so schnell wie möglich abbezahlen.

Mit Ihrer Hilfe gemeinsam weiter –bodo zieht um

Längst ist der Verein mit seinen Arbeitsbereichen

und all seinen Geschichten aus den alten Räumen

am Hafen herausgewachsen. Wir teilen uns Schreib-

tische im „Schichtdienst“, telefonieren auf dem Flur

und halten Dienstbesprechungen im Stehen ab.

Es ist jeden Tag schön zu sehen, wie wir die un-

terschiedlichsten Menschen unter einem Dach

versammeln und Übergänge schaffen statt zu tren-

nen. Doch dieses Dach ist inzwischen zu klein.Dazu

kommt, dass wir inzwischen den Eindruck haben,

es uns und anderen unnötig schwer zu machen mit

unserer Randlage ohne Parkplätze vor der Tür.

Wir möchten umziehen in Räume, die unsere Ver-

käufer zu Fuß erreichen können. In Räume, die für

unsere Kunden, Spender und für alle Interessier-

ten offen stehen, in denen man und frau einfach

mal vorbeischaut, Bücher bringt oder kauft, Fra-

gen stellt oder Ideen mitbringt.

Unser Wunsch ist ein Dach, unter dem Platz ist für uns alle. Dafür brauchen wir Ihre Hilfe. (bp)

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NEUES VON BODO | von Annalena und Katharina Schneider | Foto: Claudia Siekarski

Jedem tut es gut, gelobt zu werden, aber hier haben wir stellenweise schon rote Ohren be-kommen. Die Schülerreporterinnen Annalena und Katharina Schneider über uns und ihren Besuch bei uns im Dortmunder Norden. Vielen Dank!

Es ist mal wieder Zeitungszeit an Dortmunder

Schulen, und ganz in diesem Sinne haben wir,

die Klasse 9c des Stadtgymnasiums Dortmund,

gemeinsam mit Herrn Pfennig und Frau Kohn die

Redaktion der Straßenzeitung „bodo“ besucht.

Redakteur Sebastian Sellhorst hat den bodo-

Buchladen für uns umgekrempelt, dreißig Stühle

aufgestellt und zwei Stunden lang Rede und Ant-

wort gestanden. Unser erster Eindruck: So enga-

giert bodo im Stadtbild auftaucht, so engagiert

sind auch die Mitarbeiter in der Redaktion.

bodo ist das Straßenmagazin im Raum Bochum

und Dortmund, das Besondere an dieser Zeitung

ist ihr soziales Engagement, denn bodo steht für

Hilfe. Das Straßenmagazin unterstützt hilfsbe-

dürftige Menschen in vielerlei Art. Insbesondere

in finanzieller Hinsicht, aber auch wenn jemand

nur mal ein offenes Ohr braucht, ist bodo da und

hört zu. Außer dem Straßenmagazin gibt es je-

Die 9c des Stadtgymnasiums Dortmund zu Besuch bei bodo

doch noch andere Projekte, welche vom bodo e.V.

seit Mitte der 1990er Jahre ins Leben gerufen wur-

den. Durch eine Buchhandlung, ein Umzugsunter-

nehmen sowie einen Second-Hand-Laden wurden

bereits eine Reihe Arbeitsstellen geschaffen.

bodo gibt Menschen, die sich in schwierigen Le-

benssituationen befinden, eine Chance, wieder in

die Gesellschaft zurückzufinden und sich ein neu-

es und geregeltes Leben aufzubauen. Sebastian

Sellhorst berichtete uns über das Konzept: Jeder

neue Verkäufer bekommt ein Startpaket von zehn

bodos geschenkt. Danach kann er neue bodos zu

einem Preis von 90 Cent pro Stück erwerben, um

diese weiterzuverkaufen. Mit dieser Anschub-

finanzierung haben sich schon viele Verkäufer

langfristig eine Perspektive erarbeitet.

Durch den Kontakt zu anderen Menschen lernen

Obdachlose sich wieder einzufügen, ihre Prob-

leme selbst in den Griff zu bekommen, sich an

Regeln zu halten und erhalten die Bestätigung,

nützlich zu sein. Dieses System war schon für

viele ein Start in ein neues Leben. Neben dem

Verkauf des Straßenmagazins schafft bodo e.V.

in weiteren Beschäftigungsprojekten Stellen für

Langzeitarbeitslose und Menschen in sozialen

Schwierigkeiten, die so zurück in ein normales,

geregeltes Leben mit Wohnung und materieller

Eigenständigkeit finden.

bodo unterscheidet sich nicht nur durch ihr so-

ziales Engagement von anderen Zeitungen. bodo

ist gemeinnützig und setzt nicht auf Gewinnma-

ximierung und Auflageninflation, sondern auf

journalistische Präzision. Die Artikel sind um-

fassend und informieren mit „ansprechenden,

ausführlichen Artikeln, begleitet von journalis-

tisch überzeugenden Fotos”, so ein Schüler der

Klasse. Die Hauptthemen sind Kultur, Soziales

und Lokales.

Auch berichten die Journalisten über ,,unbeque-

me” Themen in den Städten, über die man sonst

nur zurückhaltend informiert wird: „bodo ist also

ein Teil einer Gegenöffentlichkeit, es ist die Stim-

me derer, die nicht gehört werden“, erzählte uns

Sebastian, „und gerade diese Unterschiede zeigen

die hohe Bedeutung von bodo für Dortmund und

Bochum.” So hat dieser Ausflug uns in eine andere

Welt des Journalismus geführt, einen engagierten

Journalismus – Das Gespräch zeigte, dass unser

erster Eindruck sich bestätigt hat.

(Annalena und Katharina Schneider)

Der Blick von außen

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Wollen wir es nicht verschweigen:

Wäre dieses Buch nicht von unse-

rem Illustrator Volker Dornemann

gestaltet worden, wäre es mir

kaum in die Hände gefallen. Ein

illustriertes Geschichtsbuch von

einem Fernseh-Comedian? Und

dann noch mit einem so national

trötenden Titel? „Wir sind wieder

wer“ mit eingespielten Lachern?

Mal langsam. Dieses Buch taugt we-

der zur schwarzrotgeilen Deutsch-

länder-Erbauung noch ist es ein Abklatsch öder TV-Sketch-Formate. Die-

ses Buch ist total bekloppt. Und das mag ich.

Herr Hoëcker (nur echt mit dem Trema über dem e, der Diärese wegen –

entschuldigen Sie bitte) und Herr Dornemann erzählen die Geschichte

Mitteleuropas bzw. „der Deutschen“, wie es seit Guido Knopp wieder

heißt, als einigermaßen irre Improshow.

Heinrich IV. findet mit google maps nach Canossa, Martin Luthers Wirken

fließt ein in verblüffend authentische Wilhelm-Busch-Verse und -Illus-

trationen, die komplexen Feld- und Winkelzüge des 30jährigen Krieges

werden als atemlose Fußballreportage berichtet und die 1848er Revolu-

tion als Comic-Castingshow. Der Studienrat windet sich – oder er findet

Spaß an dem durchgeknallten Geschichtskurs, der immer so wirkt, als

würden die beiden Autoren die Regieanweisungen aus dem Publikum

zugeworfen bekommen: Das Leben Friedrichs der Großen in Briefen an

Mama („Küsschen, Dein Kartoffel-Fritzi“) und das Wirken des Otto von

Bismarck anhand der Statusmeldungen auf dessen Facebookseite. Natio-

nalsozialismus, Wiedervereinigung – alles dabei.

Ja, das ist total bescheuert. Aber es macht einen Riesenspaß. Und dank

der zwischengeschalteten Zeittafeln und der zwischen all den Irrsinn

reichlich gestreuten Fakten kann wer will sogar etwas lernen. Muss aber

nicht. In jedem Fall bleiben hundert skurrile, auch mal doofe oder schrei-

end komische Ideen, ein kurzweiliger Ritt durch die Jahrhunderte und

die Erfahrung auch für jüngere Leser, dass Geschichte alles ist – nur

nicht langweilig. (bp)

Geschichte beklopptEs gibt Klappentexte, die tatsächlich

verblüffen: „Feridun Zaimoglu wen-

det sich in seinem neuen Roman einer

Region zu, die deutscher kaum sein

könnte: dem Ruhrpott, Industriebra-

che im Wandel zur Dienstleistungs-

region.“ Wer sich davon erholt hat,

sieht den Autor dahinter lächeln. Als

ein Kenner der deutschen Romantik

mag der Kieler Zaimoglu das Kippbild

und den Schwebezustand genauso

wie die große (Herzens-)Geste. Das

Klappentext-Geklingel seines Verla-

ges wird ihm daher gefallen: „Liebe, Trauer und Vergeltung im Ruhrpott

– eine deutsche Saga“, so wird sein neues Buch beworben.

Natürlich stimmt das und es stimmt nicht. „Ruß“ ist nicht der große

Ruhrgebietsroman, wie auch. Und deutsch im Komparativ ist schief, doch

es klingt die Zuwanderungsgesellschaft BRD mit und ist noch in anderer

Hinsicht wahr: In Zaimoglus Duisburger Geschichte taucht kein Ruhrorter

Türke und kein Hochfeld Rom auf.

Zaimoglu hat es nicht nötig, sich an einem Panorama zu verheben. Er

zeigt einen Ausschnitt, einen Splitter dieses Ruhrgebiets. Es geht um

Renz, den ehemaligen Arzt, der sich nach der Ermordung seiner Frau im

Duisburger Kiosk seines Schwiegervaters verschanzt, ein Gescheiterter

unter Gescheiterten. Als ihm die Idee der Rache zufällt, beginnt eine

Art Krimi und das Roadmovie eines Traumatisierten, in dem nichts so

eindeutig ist und in dem die Versionen der Geschichte konkurrieren.

Selbst das Milieu „anne Bude“ ist so scharf gezeichnet wie künstlerisch

überformt. „Authentisches“ Sprechen – was ist das eigentlich – und wort-

gewaltige dichterische Ausbrüche wechseln sich ab. Schon in Zaimoglus

frühen Romanen Kanak Sprak, Abschaum und Koppstoff war die mitnotierte

Ghettosprache eher wahr als echt. Und seit er in seinen letzten Romanen die

Märchen- und Schauerromantik heimholte, ist ihm gar nicht mehr zu trauen.

Umso spannender ist die Lektüre. Wer heimeliges Ruhrpotteinverständ-

nis sucht oder Antworten auf die Frage nach der Zukunft der Region,

ist hier falsch. Ruß ist eine vielschichtige, so präzise wie schillernde

Geschichte, die bei uns spielt. (bp) bodo verlost 2 Exemplare (s.S. 33)

Liebe, Trauer und Vergeltung?

LITERATUR | gelesen von Bastian Pütter18

BÜCHERGUTSCHEIN | ZWANZIG PROZENT | AUF ALLE BÜCHER IN BODOS ANTIQUARIAT | IM DEZEMBER |

GUTSCHEIN MITBRINGEN | RUMSTÖBERN | KAUFEN | MALLINCKRODTSTR.270 | DORTMUND | MO – FR | 11 – 18 UHR

schafft Chancenbodo

Bernhard Hoëcker, Volker Dornemann Feridun Zaimoglu

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Literatur

Milena MoserRoger WillemsenAxel HackeSibylle BergWladimir Kaminer

Fotografien von Andre Noll

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nun mal nie gut. „Ach was, Humbug“, hat ihre Mutter gesagt, „Kate Moss war doch auch schon in der Klinik! Naomi Campbell!“ Corinne nimmt einen Nussgipfel aus einer anderen Tüte und beißt ab. Nie mehr hungern, denkt sie. Egal, was sonst kommt. „Kommt ja jede Stunde einer“, sagt der Schaffner, und erst versteht sie nicht, was er meint. Hat sie laut gedacht? Jede Stunde was? Ein Nuss-gipfel? Ein Zug natürlich. „17.48 der nächste“, sagt der Schaffner etwas lauter. Das löst die Starre. Co-rinnes Füße setzen sich in Bewegung. Tragen sie aus dem Bahnhofsgebäude hinaus und auf die Stra-ße. Da ist ein Fluss. Eine Brücke. Corinne kennt Zürich nicht. Nur Paris und das Dorf, in dem sie aufgewachsen ist.

Vielleicht ist das das Problem, denkt sie. Dass ich Zürich nicht kenne. Und sie heftet ihren Blick auf den schmutzigen Gehsteig, als bildeten die Flecken der ausgespuckten, f lachgetretenen Kaugummis eine Karte. Eine Karte für ihre Zukunft.

Er geht quer über den Platz auf den Hauptbahn-hof zu, sie schaut ihm nach. Sie möchte sich

aus dem Fenster lehnen, ihm nachwinken, rufen, alle sollen es sehen. Es ist kurz nach fünf, er reiht sich in die Masse der Pendler ein, die Aktentasche in der einen, die ungelesene Zeitung in der anderen Hand. Als käme er von der Arbeit. Ganz normal. Wenn da nicht im dritten Fenster von links in der obersten Etage des Hotels Steigerhof eine nackte

Literatur20

Von Milena Moser

„Bitte einsteigen und Türen schließen, der Zug fährt ab.“ Corinne steht vor dem letzten

Wagen zweiter Klasse, ganz am Ende des Zuges, schon nicht mehr im Bahnhofsgebäude, sondern sozusagen auf freier Wildbahn. Mitten in der Stadt. Der Schaffner pfeift einmal, den Blick fragend auf Corinne gerichtet, Corinne gibt den Blick an ihre Füße weiter. Die Füße rühren sich nicht. Der Schaffner pfeift ein letztes Mal. Die Zugtür seufzt theatralisch und schließt sich dann automatisch.

„Nimm den 16 Uhr 48 ab HB“, hat ihre Mutter gesagt, „dann hol ich dich ab.“ „Ja, jetzt“, sagt der Schaffner, der nicht mitgefahren ist, der auf den nächsten Zug wartet. „Ja, jetzt aber!“ Corinne trägt fünf oder sechs Papiertüten mit Proviant in den Ar-men. Seit sie Paris verlassen hat, hat sie nicht aufge-hört zu essen. Eine der Tüten fällt ihr jetzt herunter und ein halb gegessenes Schinkensandwich rollt auf den Boden. Ihre Füße reagieren immer noch nicht. Der Schaffner hebt das Brot auf, dreht es in der Hand, schaut es von allen Seiten an und wirft es dann weg. Corinne drückt die restlichen Tüten an sich. Sie hat damals nichts nach Paris mitge-nommen und jetzt nichts dort zurückgelassen. Die Agentur hat sie ohne Umstände entlassen, von einer Geldstrafe würde man absehen. Corinnes Karrie-re ist zu Ende, da besteht kein Zweifel. Bevor sie überhaupt angefangen hat. Siebzehn und am Ende, denkt Corinne, der Film zum Buch. Ein Nerven-zusammenbruch, auf diesen Begriff hatte man sich geeinigt, ein Nervenzusammenbruch macht sich

Stadtgeschichten

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Frau wäre, eine nackte Frau, die da nicht hingehört. Das Fenster des Hotelzimmers lässt sich nicht öff-nen.

Er bleibt am Kiosk stehen, kauft eine Flasche Was-ser, eine Schachtel Zigaretten, einen Plüschelefanten. Elefanten liebe ich am meisten, hat sie gesagt. Ande-re Männer bringen ihren Frauen Blumen, wenn sie sie betrogen haben, oder Pralinen, er bringt seiner Tochter Elefanten. Meist schläft sie schon, wenn er nachhause kommt, er beugt sich über sie, atmet ihr Haar, legt das Tier neben sie, das Zimmer füllt sich, auf dem Bett ist längst kein Platz mehr, die Rega-le, der Fußboden, das ganze Kinderzimmer ist voll grauem Plüsch und rosa Ohren.

Als ob er sich freikaufen könnte. Als ob der Elefant sie auslöschen würde. Sie schaut ihm

nach aus dem Hotelzimmer, er geht quer über den Platz, nicht über den Fußgängerstreifen, auf dem Hauptbahnhof zu und sie schaut ihm nach, verzerrt durch die Fensterscheibe die sich nicht öffnen lässt. Sie wünschte, sie hätte ein Gewehr und könnte ihn von hinten erschießen. Ein roter Fleck breitet sich auf seinem Rücken aus, die Mappe fällt aus seiner Hand, der Plüschelefant rollt auf die Straße, viel-leicht fährt ein Taxi drüber. Über den Elefanten. Statt dessen tritt sie zurück ins Zimmer, der Fern-seher ist an und zeigt immer noch die automatische Anzeige, Willkommen im Hotel Steigerhof, Herr und Frau Dr. Fankhauser. Sie setzt sich auf den

Bettrand, greift nach der Fernbedienung, schal-tet um, sie hat ja Zeit, sie wird nirgends erwartet.

„Nutz’ doch das Zimmer“, hat er gesagt, „teuer ge-nug war es ja.“ Auf dem Nachttisch noch ein halb-volles Glas, im zweiten beginnt der Krimi.Das muss aufhören, denkt er. Das mit den Ele-fanten. Das war das letzte Mal, morgen mach ich Schluss, gleich als erstes morgen früh. Keine Ele-fanten mehr, ich schwör’s.Vielleicht noch einen. Ganz kleinen.

Der Lift hält in der 28. Etage, die Türe öffnet sich mit einem leisen Zischen, noch im Gehen

wirft sie einen letzten Blick zurück, in den Spiegel, einen Kontrollblick, glänzt die Nase, sitzen die Haa-re, hat sie Spinat auf den Zähnen. Da sieht sie es erst: Das Rot ihrer neuen Jacke beißt sich mit dem Rot ihrer Tasche.

Warum sie das nicht vorher gemerkt hat? Es muss am Licht liegen. Die Lifttür schließt

sich zögernd wieder, als wolle sie ihr noch eine Chance geben. Sonja reagiert nicht. Sie wird zu spät zur Sitzung kommen, was ihr in zehn Jahren nicht einmal passiert ist, nicht, seit sie die Firma übernommen hat. Am Tag nach der Beerdigung. So hat sie um ihren Vater getrauert: Jeder, der auch nur eine Minute zu spät kam, wurde entlassen. „Es herrscht ein neuer Wind“, hat sie damals gesagt und ihre Manager haben genickt. Haben sich ge-duckt. Ducken sich heute noch. Seit zehn Jahren.

Milena Moser, 1963 in Zürich geboren, veröffentlichte 1990

ihre erste Kurzgeschichtensammlung „Gebrochene Herzen oder

Mein erster bis elfter Mord“. Mit „Die Putzfraueninsel“ landete

sie 1991 ihren ersten Bestseller. Es folgten weitere erfolgreiche

Romane und Erzählungen sowie Sachbücher. Milena Moser lebt

nun mit ihrer Familie, nachdem sie acht Jahre in San Francisco

gewohnt hat, wieder in der Schweiz. Ihr aktueller Roman heißt

„Möchtegern“, erschienen im Februar 2010 beim Verlag Nagel

& Kimche. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin schreibt Milena

Moser regelmäßig Kolumnen und hat zusammen mit der Autorin

Sibylle Berg und der Agentin Anne Wieser eine Schreibschule

gegründet: www.die-schreibschule.com

Die rote Tasche ist seit diesem ersten Tag ihr Mar-kenzeichen. Damals hat sie sich keine Aktentasche kaufen können, keine Zeit gehabt, kein Geld, da-mals hat sie eine Strandtasche genommen, heute ist es ein teures Modell aus Leder. Fröhlich, arglos, baumelt sie an ihrer Schulter, als wolle sie nur eben mal ins Strandbad oder zum Stadtbummel. Dabei birgt sie sämtliche Akten, die Sonja gerade bear-beitet, das Schicksal jeder kleineren Firma in der Umgebung, das Leben ihrer Angestellten. Die Ta-sche jagt Angst ein. Ebenso wie ihr Name, Sonja Huber, ein an sich harmloser, hübscher, weiblicher Name. Synonym für Entlassungen, Nervenzusam-menbrüche, skrupellose Firmenübernahmen. Son-ja Huber drückt auf den Knopf, die Lifttür öffnet sich wieder. Doch Sonja rührt sich nicht. Die Jacke ist neu. Sie kann sie nicht ausziehen. Japanisches Kunstleder, direkt auf der Haut zu tragen. „Ja kei-ne Bluse drunter“, hatte ihr der Designer einge-schärft, „das gibt nur wieder Rümpfe!“ Als mache sie absichtlich Rümpfe. Als ruiniere sie das Modell nur dadurch, dass sie es trug. Modeschöpfer und Verkäuferinnen in teuren Boutiquen sind die einzi-gen Menschen, von denen Sonja sich Befehle ertei-len lässt. Männer, die zu viel Macht haben, lassen sich von Prostituierten demütigen. Sonja besucht teure Boutiquen, probiert Kleider an, die ihr nicht passen und lässt sich von gehobenen Brauen, von Kopfschütteln und bedauerndem Zungenschnal-zen klein und kleiner machen. „Naja, man könn-

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Roger Willemsen studierte Germanistik, Kunstgeschichte

und Philosophie und lebt in Hamburg. 1991 kam der Bonner

zum Fernsehen, wo er vor allem Interview- und Kultursen-

dungen moderierte und Dokumentarfilme produzierte. Die

Bücher des 55jährigen, zuletzt „Die Enden der Welt“ (2010

bei Fischer erschienen), wurden fast ausnahmslos zu Bestsel-

lern. „Einsam in Tokio“ schrieb er nach den Ereignissen in Fu-

kushima. Veröffentlicht wird die Geschichte erstmals in den

Literaturausgaben der deutschsprachigen Straßenmagazine.

Literatur22

Das Hotel, in dessen 20. Stock ich hinter der Gardine sitze, um die Stadt Tokio zu be-

lauern, heißt „Jahrhundert“. Alles ist epochal hier, das Frühstück heißt „Jahrhundert Frühstück“, der Pool „Jahrhundert Pool“, und einen „Jahrhundert“-Andenkenshop gibt es auch, falls ich all dies je-mals vergessen sollte. Die Hochbauten gegenüber stecken im Boden wie von innen beleuchtete Chi-tinpanzer ausgestorbener Insekten mit auf- und nieder rasenden Fahrstühlen darin. Ja, und es gibt Schnittblumen im Aufzug.Nach Mitternacht steht auf dem großen leeren Platz vor dem Neuen Rathaus ganz allein ein Mädchen und fotografiert mit ihrem Mobiltelefon den Voll-mond. Gibt es jemanden unter den dreißig Millio-nen im Großraum von Tokio, der heute nicht zum Nachthimmel hinauf blicken kann? Einen Kranken? Gefangenen? Unterirdisch Arbeitenden? Oder wird der Mond gleich vom Display über die Landesgren-zen geschickt oder über den Ozean, vielleicht nach Europa, wo er noch nicht aufgegangen ist, aber jetzt acht Stunden zu früh eintreffen wird?

Ich kenne keine Stadt, über der das Licht so grau auf-geht wie über Tokio, der einzigen Stadt, die aus dem

Anthrazit kommt und auf den Betonflächen langsam, langsam aufklart, heller wird, mausgrau, staubgrau, flanellgrau, fahl, dann licht. Graue Mauern werfen das graue Licht grau zurück, mehr Schattierungen seift der Frühnebel hinein. Auch der Rauch aus den Klimaanlagen mischt mit. Jetzt treten die Laufschrif-ten heraus, jetzt die in die Fassaden gesäbelten Schrift-zeichen, jetzt Billboards und Transparente.

Einsam in Tokio

te die Hose eventuell noch etwas auslassen, aber Ihre Schuhe verderben natürlich alles. – Rot? Sie wollen rot? Wirklich? – Unsere Entwürfe richten sich nun mal an die zierliche Kundin, verstehen Sie.“ Sie genießt diese perfiden, exakt gesetzten Stiche wie ein Mann den Peitschenhieb seiner Domina genießt. Sie spürte, wie der Druck aus ihr entweicht, mit einem leisen Zischen, wie das der Lifttür, die sich wieder schließt. Und sie drückt den Knopf: Erdgeschoss.

Die Tür zum Atelier ist verschlossen und über dem Schloss klebt das Siegel des Betrei-

bungsamtes. Darauf ist er vorbereitet. Trotzdem. Was nun? Der Hund zerrt an seinem Knöchel. Genauer, am Hosenbein, die scharfen Zähne in dem sauteuren japanischen Kunststoff verbissen, der wie Leder aussieht, aber maschinenwasch-bar sein soll. Nichts für scharfe Hundezähne. Er bückt sich und dabei rutscht die Hose und er denkt an sein Rheuma, er denkt nicht an den Anblick, den er allenfalls bietet, den oberen Teil seines weißen Hinterns der Stadtluft ausgesetzt, nein er denkt an sein Rheuma und er seufzt. Der Hund heißt Yves. Nach Yves Saint-Laurent. Der genau so einen Hund gehabt hat, eine französi-sche Bulldogge oder auch zwei, das Bild aus der französischen Vogue hat ihn inspiriert, ein Bild aus den siebziger Jahren, der Meister am Boden kauernd über überlebensgroßen Skizzen, die Hunde respektlos darüber hinweg tapsend, Fuß-spuren hinterlassend. Er hat den Hund. Er hat die Zigarettenspitze. Die getönte Brille. Was er nicht hat, sind überlebensgroße Skizzen. Oder einen Atelierboden, auf dem er die Skizzen hätte aus-breiten können. „Komm schon, Yve-i“, sagt er und klickt die Leine an das Nietenhalsband des klei-nen Hundes, der diese Geschmacklosigkeit mit Fassung trägt. „Gehen wir halt.“ Unterwegs kauft er eine gekühlte Flasche Champagner und eine Rose in Zellophan. Er öffnet die Flasche auf der Strasse und nimmt gleich einen Schluck und dann noch einen. Yves zerrt an der Leine und zieht ihn weiter. Als sie ankommen, ist die Flasche beina-he leer. Das stört sie nicht. „Liebling! Du hast es nicht vergessen!“ „Vergessen?“ Da hat Yves ihn schon in die Küche gezerrt, wo ihre Freundin-nen sitzen, um den Tisch herum, auf dem leeren Flaschen stehen und ein angeschnittener Kuchen. „Happy Birthday, Mama!“ Die Damen rutschen, und er lässt sich auf den Hocker sinken, Frau Zu-berbühler von oben hat ihm schon den Hinterkopf zugewandt, er beginnt ihr Haar zu kämmen, wie er es früher immer getan hat, als es noch lang und dunkelbraun war. Frau Messaui von gegenüber fährt in ihrer Erzählung fort – „ich hätte es ja wissen müssen, ein Mann in seinem Alter“ – seine Mutter füllt die Gläser auf und schaut ihn über den Tisch hinweg an. „Bleibst ein bisschen?“Er nickt. Er ist zuhause.

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tücher mit Werbeaufdrucken auf der Straße. Dritte wieseln mit indischem Curry zwischen gekachel-ten Wänden herum, in Schwarzwald-Kostümen, mit gestärkten Schürzen und weißen Schleifen im Kreuz. Und so weiter.Nach vier Tagen habe ich kaum vier Sätze gespro-chen. Einem Fremden in die Augen zu sehen, gilt als unhöflich. Man könnte unsichtbar sein und würde es kaum merken.

Ein Sonntagnachmittag in Roppongi: Erkalte-te Reste der Nacht, übernächtigte Frauen an

der Seite desinteressierter Männer, amerikanischer Swing der jüngsten Jahre in der Luft, Lounge Mu-sic, das Schwirren von Saiten rund um chinesische Dim Sum Lokale, Brasserien, Seven-Up-Läden, American Diners. An einer Straßenkreuzung zwi-schen Nüsse-Verkäufern und Zeitschriftenhänd-lern eine etwa 22-Jährige mit kastanienrot gefärb-ten Haaren, ein Schild vor sich mit japanischen Schriftzeichen, darunter auf Englisch: „Slave“. Eine Künstlerin? Eine Prostituierte? Unter ihrem Arm ein Bildband über Audrey Hepburn. Die Ordnung auf der Straße hat etwas Kultisches. Selbst die Elenden mit der Sozialfunktion „Bettler“ liegen in Kartons brav nebeneinander. Mal steht „Made in the Phillippines“ darauf, mal einfach „Enjoy“ oder „Bananas“. Im Innern sieht man die Bettler auf dem Rücken liegen und gegen den Pla-fond stieren. Der ist unbeschriftet. Auch die Ord-nung macht traurig. Und einsam.Nie habe ich eine Stadt auf so vielen krummen Frauenbeinen laufen sehen, alle anders krumm. Die

Individualität liegt irgendwo zwischen Söckchen-bund und Rocksaum. Nur einmal hat mich eine Frau angesprochen, eine mit Sommersprossen und einem lustigen vierzigjährigen Gesicht samt Pony. Sie sprach Englisch und sagte wörtlich übersetzt: „Würden Sie mich bitte in die Kirche begleiten und sich einen netten Segen abholen?“

Ich hatte eine Schwäche für das Wort „nett“. Aber in der Kirche musste ich nur einmal im

Seitenschiff neben ihr knien, ungesegnet, denn der Pfarrer war auf und davon. Also versuchte ich einen frömmelnden Gesichtsausdruck, ließ sie im übrigen ein bisschen murmeln und erwarb dann für eine Faustvoll Yen eine Loreto-Madonna auf Papier, und weil die so ernsthaft und menschlich aussah wie eine Muttergottes aus dem Passbildau-tomaten, steckte ich sie ein und ging. Madonnen und Models sind in Japan meist Europäerinnen.Die zweite Klasse der Menschen, die sich außer den christlichen Schwestern in Tokio traut, einen Fremden anzusprechen, das sind die Männer vor den Nachtbars, den wenigen, die sich nicht durch ein „No Foreigners Allowed“ Sommerfrischler wie mich vom Leib halten. Diese Männer aber können auf Deutsch so schwierige Worte wie „Verwöhnen“ sagen, ein Ausdruck aus der Weltsprache der Lustversprechen, der gebrochenen. Man versteht ihn kaum, von so weit weg kommt der Klang: „Verwöhnen“ bellt der Straßenkuppler, der eine Rolle roter Coupons in der Hand hält wie Rabattmar-ken. Ich gehe mit ihm, d.h. hinter ihm her, denn er bleibt immer drei Schritte vor mir. Ich bin ihm pein-lich. Wir sind einander beide peinlich.

Drei Tage später darf ich sagen: Der Himmel war immer schön. Keine Wolke blieb, und Sorgen gab es nur im Traum. In den Fenstern der Büros stan-den um vier Uhr nachmittags die Angestellten zu Fitnessübungen. In den Fenstern der großen Hotels f lammten um drei Uhr früh nur noch die Lichter der Jet-Lag-Patienten, bis vier Uhr früh sind sie al-lein es, die wachen. Um sechs ging ich zum Früh-stücken und aß Spaghetti, danach „Armer Ritter“ zu „Jahrhundert“-Instant Kaffee.

Randvoll sind Gassen, Brücken, Bahnen, Lä-den, Bürgersteige, Toreingänge, Verkehrs-

wege aller Art mit sechzehnjährigen Mädchen, alle gleich alt, ja, auf das Haar gleich alt. Faszi-nierend. Es muss also eines Tages eine kosmische Befruchtung über der Stadt niedergegangen sein, eine, die im nämlichen Augenblick Millionen Frauen schwängerte, die alle im selben Augen-blick kleine Mädchen hervorbrachten, die so he-ransprossen, in dieselben Röckchen, Schühchen, Blüschen hineinwachsend. Ihre plärrenden Stimmen. Immer kommen sie vom Hof der gleichaltrigen Freundinnen, von Millio-nen Freundinnen. Eine trägt eine Baskenmütze, eine andere eine Baseballkappe aus Sandpapier. Dämchen in Matrosenanzügen sind dabei, Unifor-mierte im Dienste großer Kaufhäuser. Gemeinsam verschwinden sie in einem westlichen Dekor, „Das Brot-Restaurant“ überschrieben, wo man sich an der Theke aus fünfzehn Brotkörben bedient, Se-sambrot, Kürbisbrot, Zwiebelbrot, Tangbrot, Al-genbrot, Brotbrot. Andere verteilen Papiertaschen-

Von Roger Willemsen

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Literatur24

Axel Hacke lebt als Schriftsteller und Journalist in München.

Seine journalistischen Arbeiten wurden vielfach mit Preisen

ausgezeichnet. „Selbstabbruch“ ist seinem Buch „Wortstoffhof “

entnommen, Verlag Antje Kunstmann, München 2008.

Die Hostess-Bar, in der er mich abliefert, be-steht aus einer langen Theke mit Pit-Stop-

Mobiliar und ein paar Resopaltischen, beschie-nen vom Streulicht einer Neon-Installation. Vom anderen Ende der Theke lächelt mich der einzige Gast an, gequält. Eine Frau im Minirock sitzt vor ihm auf dem Counter. Ihr Beine quellen unter dem Röckchen hervor wie nasser Puffreis. Ich bekomme einen Barhocker am anderen Ende. Der Geschäftsführer mit seiner eingeübten kosmo-politischen Attitüde erklärt mir die Regeln. Sein Englisch wird nie wieder so f lüssig sein wie jetzt. Hier sind die Erdnüsse. Hier Glas und Bier. Die Erdnüsse – „Essen Sie, soviel Sie wollen“, das Bier – „wir schenken Ihnen nach, Sie müssen nur trinken.“ Jetzt noch ein gewisses Sümmchen, fünfzig Euro ungefähr, eigentlich fürs Gedeck, und dann kann’s losgehen. Was?„Sie haben eine Stunde Zeit. Alle zwölf Minuten stelle ich Ihnen ein neues Mädchen vor. Vier Mäd-chen: Das macht achtundvierzig Minuten. In den zwölf Minuten, die dann noch bleiben, dürfen Sie sich eines der vier Mädchen aussuchen zum An-fassen. Das kostet dann noch einmal sechs Euro. Wenn Sie aber mit ihr den Raum verlassen möch-ten, no problem, no problem“, er wehrt meine ima-ginären Einwände ab, „aber dann müssen wir neu verhandeln.“ Ich schüttele mehrmals den Kopf.„No problem.“Er stellt das Bierglas samt Flasche vor mir auf.

Die Erste trägt ein süßes blaues Chiffon-Kleidchen mit Feder besetzten Ärmeln, hat

aber eine Kiefern-Gaumen-Spaltung, vulgo Ha-senscharte. Sie spricht kein Englisch, wäre aber auch im Japanischen kaum zu verstehen. Am Ende teilen wir ein paar Erdnüsse und die Erleichterung der Trennung. Die Zweite ist eine Vorbeißerin in Grün und stammt aus Taiwan. Ich denke an Hartgummi-Spielzeug und Scherzartikel. Wie treuherzig ihr Gesicht wirkt, und wie früh gealtert! Jetzt schwingt sie sich sogar auf die Theke, blickt von oben auf mich herab und gießt dabei unaufhörlich Bier nach. Aus meiner Perspektive, von unten betrachtet, schwillt ihr Kopf zum Ballon. Die Nächste, ver-spricht sie, könne f ließend Englisch.

Die Dritte tritt durch die Flügeltür der Küche und nähert sich phlegmatisch, gleitet die The-

ke hinauf, die angezogenen Beine unter den Körper faltend. Tatsächlich: eine Erscheinung! Ich lege die Hand auf das Bierglas, sie gießt einen Tropfen da-rauf. Als ich wegziehe, lacht sie und entblößt eine Reihe von innen ergrauter Schneidezähne. Ab Mi-nute Neun wird sie meine Augen nicht mehr loslas-

sen, und ich werde mich fragen, wie ich hier raus-komme, während die Letzte, eine schmale Braune mit nervöser Heiterkeit, ihre Verlegenheit ausbadet, indem sie das Bier in dem vollen Glas mehrmals über den Rand treten lässt. In diesem Augenblick ist die Einsamkeit Aller im Raum vollkommen.

Nein, ich verzichte auf das Betasten von wem auch immer und mache mich auf die Socken.

Sofort bricht der Kuppler aus der Kulisse: „No! You cannot go!“ Er stellt sich zwischen meinen Hocker und die Au-ßentür und macht seine Rechnung auf: „Noch zwölf Euro bis zur Betastung!“ Ich schüttele meinen betrunkenen Kopf. „Nicht zufrieden?“ „Dochdoch.“ „Verwöhnt?“ „Jaja.“ „Bumsibumsi!“

Er sagt das auf Deutsch. „Nein, bitte!“ Der Kuppler zieht eine Grimasse wie im Kabuki-Theater. Jetzt lehnt das blaue Chiffon-Kleid auch noch wartend an der hinteren Schwingtür. „Ich habe eine Freundin!“ schwindele ich, als hinge alles davon ab, „Girlfriend!“

Ich fahnde nach einem Beweis. Das Erste, das mir beim Durchsuchen meines Portemonnaie in die Hände fällt, ist das Madonnenbild. Ich hebe es ganz kurz bis auf die Höhe seiner Augen. Keine Ahnung, was er gesehen hat, aber als er so routi-niert nickte, beiseite trat und eigenhändig den Vor-hang aus dem Weg raffte, und als ich dann auf der Straße stand, trunken vor Bier und Glück über die-se wunderwunderschöne Hostess-Bar im Herzen von Shinjuku, da hatte mich die Madonna errettet und eingehüllt, die Madonna in ihrem roten Man-tel der Liebe.

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Selbstabbruch starben. Seit wir von seinem Tod hör-ten, haben wir seine Folgend-vonstämme erwartet, vorbeizukommen und Ansprüche für sein Geld als der Erbe zu setzen, weil wir nicht die Kapital von seinem Konto freigeben können … Leider hat we-der ihr Familie Mitglied noch entfernter Verwandter everappeared.“ Freez’ Vorschlag: 65 Prozent für ihn, 5 für Gebühren, 30 für Leser D.

Ich war neidisch. So schöne Wörter hatte mir Akaru nicht geschrieben: Am liebsten, Selbst-

abbruch, Folgend-vonstämme … Ich sortierte sie alle in den Wortstoffhof ein. Dann schrieb ich Sa-muel Akaru: „Am liebsten Akaru! Thank you for deinen wonderfullen Mailpost. Ist es nicht ein un-believable Zufall, dass ich Dir gestern auch schrei-ben wollte? Denn am 21.12.2003 ist Mr. Andrew Akaru, Prokurist der Andrew Altwörter-Entsor-gungs GmbH, hier auf meinem Wortstoffhof zu einem Abbruch gekommen, als er einen Lkw ent-laden wollte. Er wurde together mit seiner Schwie-germutter und zwölf Folgend-vonstämmen von einem Berg alter Phrasen und Metaphern erschla-gen. Herr Andrew hinterlässt ein Vermögen von 15,5 Millionen seltener, sehr beautifuller Wörter. Du wollen haben? Ich vorschlagen: 60 Prozent für mich, 60 Prozent für dich, den Rest für die Du-den-Redaktion. Bitte antworte soon, aber nurnur-nur auf Deutsch (lass Peter Freez übersetzen!) und mit Foto und Geld, das ich Dir dann backschicke, für Deine Auslagen. Mit dem besten Respekt aus meinem Leben! Dein Axel.“

Eines Tages bekam ich eine Mail von Samuel Akaru aus der Republik Benin. Akaru stellte

sich als Anwalt von Andrew Hacke vor, Direktor der Andrew Construction Company in Benin. Andrew Hacke sei zusammen mit seiner Familie am 25. De-zember 2003 beim Absturz einer Boeing 727 in Be-nin ums Leben gekommen. Sie seien auf dem Weg nach Beirut gewesen, um dort Ferien zu verbringen.

Andrew Hacke, so teilte mir sein Anwalt mit, habe ein Vermögen in Höhe von 15,5 Milli-

onen Dollar hinterlassen, das nun herrenlos sei. Es gebe keine Verwandten von Andrew Hacke mehr in Benin, und er, Samuel Akaru, habe sich darauf-hin im Internet auf die Suche nach Leuten mit dem gleichen Nachnamen gemacht. Er biete an, mich in den Besitz des Vermögens zu bringen, bevor die Continental Bank Benin das Geld konfisziere. Da-für wolle er einen Teil des Vermögens haben. Sein Angebot: 60 Prozent für ihn, 40 für mich. Ich solle Telefon- und Faxnummer, Adresse, Beruf sowie vollen Namen mitteilen.Ich war erstaunt über die Gebührensätze der An-wälte in Benin; da dürfte mancher deutsche Kollege neidisch werden. Dann machte ich mich meiner-seits im Internet auf die Suche nach Samuel Aka-ru und Andrew Hacke. Ich entdeckte (was ich mir schon gedacht hatte): dass ich nicht der einzige Ad-ressat solcher Post bin.

Viele Menschen bekommen sie, mit gleichem Inhalt: Ein Vermögen wartet in Afrika. Da-

Selbstabbruch Von Axel Hacke

hinter stecken, so lernte ich, Verbrecherbanden. Sobald man auf den ersten Brief eingegangen sei, las ich, antworteten sie: Herzlichen Dank, wir treiben die Sache weiter voran, leider kommen wir ans Geld noch nicht ran, schicken Sie tausend Dollar; wir müssen Beamte bestechen und Ge-bühren zahlen. Es soll Leute geben, die das tun. Sie hören nie wieder von Samuel Akaru und sei-nen Freunden.Ich entdeckte außerdem, dass viele andere Brief-adressaten ebenfalls Namensvettern bei jenem Flugzeugabsturz vor vier Jahren verloren hatten. Die Toten trugen den jeweiligen Nachnamen des Adressaten, hießen aber alle Andrew mit Vor-namen. Und alle waren Direktoren der Andrew Construction Company, einer Firma, die durch das Unglück enthauptet wurde: Die Maschine war voller Chefs namens Andrew. Ein Betriebsausf lug anscheinend.

Etwas später kam Post von Leser D. aus Aachen. Er hatte eine ähnliche Nachricht von einem

Mann namens Peter Freez in Ghana bekommen. Aber während Samuel Akaru mir auf Englisch ge-schrieben hatte, erhielt D. seine Post auf Deutsch. Freez teilte dem D. nach der Anrede „Am liebsten“ mit, er sei Entdecker „einer verlassenen Summe of $  12,500,000.00 (nur zwölf Million fünfhundert tausend Vereinigte Staaten Dollar) in einem Kon-to, das bis einen unserer Auslandskunden gehört, die zusammen mit seiner gesamten Familie eine Frau und zwei Kinder im November 1999 in einem

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Ihre Buchhandlung im Dortmunder Süden

Wir freuen uns auf Ihren Besuch

HOMbrucher BUCHhandlung

Harkortstraße 71

44225 Dortmund

Tel. 0231 – 797 90 99

www.hombuch.de

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Dunkel wird es wieder und Reif an gedörrten Bäumen, lange Schatten auf den Straßen

und Zeit für Mitgefühl. Randgruppen umarmen zur Weihnachtszeit. Zeit an die Reichen zu den-ken. Die keiner mag, und das wissen sie. Sitzen in ihren Villen, sehen sich an, das wird fad mit der Zeit, doch zum Rausschauen fehlt der Mut. Draußen sind die, von denen sie verachtet werden.

Reiche sind nicht beliebt. Zu unrecht. Denn es sind Menschen. Sie haben Gefühle. Irgend-

wie. Aber wer ist reich? Gunilla von Bismarck? Daniel Vasella? Christoph Blocher? Oder Sie? Haben Sie schon einmal Leute gesehen, die gar nichts hatten? Die liegen nackt an der Straße, in verschiedensten heißen Ländern, wie Müll liegen sie da, und war-ten auf den Tod, denn dann bekommen sie we-nigstens einmal etwas geschenkt: Ihren Abtrans-port in eine öffentliche Grube. Fast jeder Tourist der sich freiwillig nach Kambodscha, Haiti oder Polen begibt, ist wohlhabender als 80 Prozent der Einheimischen. Selbst ein deutscher Sozial-hilfeempfänger, aus welchem Grund er auch im-mer eine Reise in die Slums von Dhaka machen sollte, wird sich reich fühlen müssen. Wird es richtig begreifen, wenn er das Land wieder ver-lassen darf, verfolgt von tausend Augen die ihn beobachten, am Flughafen. Die Augen in Leuten, die ihn beneiden, um den Weg in die Freiheit, in ein Land unermesslichen Reichtums, das ihnen

verwehrt bleiben wird, weil ein Ticket mehr kos-tet, als sie haben werden in ihrem ganzen Leben, selbst wenn das nicht so lang ist. Doch wenn er dann zurückgekehrt ist, in sein Land, der Sozi-alhilfeempfänger, wird er wieder nichts sein, arm sein und nach oben schauen zu den anderen. Für ihn bin vermutlich sogar ich reich, denn ich kann es mir leisten, in einem der teuersten Länder der Welt, der Schweiz, zu leben, wo wiederum ich ei-ner der Ärmeren bin, denn es langt mir nicht für ein Chalet in St. Moritz, eine Villa am Zürichsee. Selbst der Unterhalt eines Rolls Royce liegt für mich nicht drin. Reichtum ist relativ. Man fühlt sich reich oder mag sicher sein, dass es immer einen geben wird, der reicher ist als man selber, und kann verzweifeln daran. Kann sich denken, dass das Leben vertan ist, ob all der Sachen die man nie besitzen wird, kann aus der Verzweif-lung Neid werden lassen, auf all jene, die über einem selbst zu stehen scheinen, in der Sonne. Neid ist relativ. Es gibt den kleinen, gepf legten, goldfarbenen Neid eines Herrn Rothschild auf ei-nen Herrn Gates, ein Neidchen, kann man sagen, und es hat den zerfressenden Neid dessen, der im Straßengraben vor einer Villa schlafen möchte, nicht schlafen darf, weil er das Auge beleidigt. Wird er die Villa sehen und neidisch sein in ei-ner Form, die dem Hass sehr nahe kommt, weil er keine Rechte hat, keine Chancen. Und dann gibt es noch den General-Neid, den viele Menschen in sich tragen, die sich vom Leben betrogen fühlen,

Die Reichen Von Sibylle Berg

Sibylle Berg ist in Weimar geboren und lebt heute in Zürich. Sie hat

bislang zwölf Bücher veröffentlicht. Ihr letzter Roman „Der Mann

schläft“ ist im Herbst 2009 im Hanser Verlag erschienen. Die The-

aterstücke von Sibylle Berg („Helges Leben“, „Hund, Mann, Frau“,

„Hauptsache Arbeit!“, „Nur Nachts“ u.a.) werden an zahlreichen

Bühnen im In- und Ausland gespielt. Übrigens gibt Sibylle Berg

auch Schreibkurse (www.die-schreibschule.com).

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die die irrige Idee haben, etwas Großes stünde ihnen zu, einfach, weil sie sie sind. Der General-Neider hasst Reiche. Aus Prinzip. Die Reichen, die über Leichen gehen, Geizkrägen, die Men-schen ausbeuten, Mistkerle, die mit ihren Ferrari-Abgasen die Luft verpesten, blöde Schlunzen, die Pelztierchen tot machen. Geld macht nicht glück-lich, zischelt der Neidische und hat unrecht. Der Versuch, eine Definition von Glück zu finden, ließ Wissenschaftler auf eine Formel kommen, die Glück sehr fördert: Wohlstand, Bildung, so-ziale Kontakte und Naturverbundenheit. Machen wir uns also nichts vor, Reiche sind glücklich. So wie einer eben glücklich sein kann, der um sein Ende weiß. Hat der Reiche sich sein Geld erarbeitet, dann hat er viel gearbeitet, und viel arbeiten macht glücklich. Ein prima Beispiel für den Mann, der aus dem Nichts kam, ist Deutsch-lands Geld-Guru Bodo Schäfer. Er ist reich, und er ist es geworden, weil das immer sein Ziel war. Was wollen sie werden, mein Junge? Reich. Alles klar. Das hat er gemacht. Er hat einen Bestsel-ler darüber geschrieben und ist noch reicher ge-worden, er hat 20 Stunden täglich gearbeitet und gespart, und heute hat er einen Rolls Royce, ein Anwesen in der Sonne und vermutlich müsste er nichts mehr machen. Wenn das so leicht ginge. Denn der sich seinen Reichtum erarbeitet weiß, wie mühsam das ist, und immer wird er in Sor-ge leben, dass der Reichtum einfach wieder ver-schwinden könnte, wie ein geliehener Pelzmantel. Bodo ist zufrieden mit sich, er ist geworden, was er immer wollte, und er tut keinem weh damit. Warum sollten wir ihn hassen? Es gibt nichts zu hassen an denen, deren Ziel es ist, mit ihrer Ar-beit reich zu werden, denn sie denken, sie erbau-en, sie kreieren, und sie tun es für sich, tun es, weil es sie befriedigt. Meist glauben sie an etwas,

haben eine Leidenschaft, und dass sie damit viel Geld verdienen, ist nur richtig. Denn neben den Arbeitsplätzen, die sie schaffen, heißt das, was sie 22 Stunden täglich tun, den Kapitalismus zu fördern, ihn zu beschleunigen, damit er schneller explodiert, und das ist nur zu bejubeln.

Die reich sind, ohne zu arbeiten, haben ge-erbt. Das ist auch nichts Schlechtes. Gu-

nilla von Bis- marck war immer reich, sie kennt es nicht anders. Als sie jung war, feierten alle jungen Reichen Partys, das hat sie auch getan und ist wie unbemerkt in die Jahre gekommen. Als ich sie in Mar- bella traf, war sie eine Figur, die Gunilla von Bismarck darstellt. Dauerlachen unter einem platin- blonden Haardeckel, gehüllt in eine teure Tischdecke. Tags darauf trug sie einen Trainingsanzug und war eine kultivierte freundliche Dame, die mit mehreren Tieren auf einem Anwesen saß und bedauerte, dass sie in ihrer Jugend nichts gelernt hatte, nichts getan außer Partys zu feiern. Jetzt ist es zu spät, sich etwas Neues einfallen zu lassen, sagte sie ein we-nig traurig beim Abschied. Nicht zum Hassen, die Gunilla. Nicht zum Hassen ihre Freunde, die des Nachts in Marbella auf den Tischen tanzen. Tut keinem weh, denn sie ziehen die Schuhe aus dabei. Und wollen doch nur einen Sinn finden, in ihrem Leben, wie wir alle.

Nichts Böses, der reiche Erbe. Die Erbinnen tragen die stoffgewordenen Naturkatastro-

phen von Escada und Versace und das ist gut, denn irgendjemand muss das tun. Sie langweilen sich und deshalb werden sie wohltätig, das ist mehr an andere gedacht, als es sich einer je leisten kann, der um seine Miete besorgt sein muss. Der Män-nererbe spielt Polo, das stört keinen, weil es ein

leiser Sport ist, er lässt gutaussehende Häuser er-richten, die dem Auge schmeicheln, er hat selten anste- ckende Krankheiten, weil er sich sehr gute Ärzte leisten kann.

Wer ist noch reich, wen könnten wir verach-ten und weswegen? Gerhard Schröder?

Für einen normal verdienenden Deutschen mag er reich erscheinen, doch er ist es nicht. Ständig mahlen seine Wangenknochen, so gerne wäre er reich und wird es doch nicht werden. Ihn müssen wir nicht beneiden. Aber auch keinen wirklichen Reichen müssen wir beneiden oder verachten. Oder sind Sie noch nicht überzeugt ?

Dann stellen wir uns ein kleines Land vor. Es wäre von Bergen umgeben, von hellem

Himmel bedeckt, Seen lägen und kleine Bäche mit Goldfischen darin. Es hätte keinen Namen, das Land, aber seine Währung wäre der schöne, bunte Schweizer Franken. Stellen wir uns wei-ter vor, in diesem Land lebten nur reiche Men-schen. Es wäre sauber, das Land. Straßenreiniger verdienten 6000 Franken, eine bisschen mehr als Gepäcksortierer am Flugplatz, ein bisschen weni-ger als ein Schaffner im Zug wäre das, aber doch soviel, das jeder seiner Arbeit gerne nachginge. Nachdem einige der Einwohner des Landes ein kleines bisschen gearbeitet hätten, andere durch Läden ge- schlendert wären, um die Wirtschaft anzukurbeln, träfen sie sich in schönen Cafés und Restau- rants oder beim Schwimmen im f leisch-warmen Wasser. Sie würden miteinander reden, die Men- schen, weil sie kaum Arg hätten. Reich-tum entspannt, er verringert die Angst, und wer sich keine Gedanken darüber machen muss, wie er den nächsten Tag überlebt, hat viel Kraft für vernünftige Dinge.

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Sie füttern Tiere, bilden sich, die Menschen des kleinen Landes, und legen hübsche Gär-

ten an. Fremden begegnen sie höf lich und leise, denn sie sind gut erzogen und haben keine Furcht vor allem, was fremd ist, denn sie sind ruhig und wissen, dass kaum etwas sie bedrohen kann. Da-rum schlagen sie keine Ausländer zusammen, denn sie sind gut ausgebildet und wissen, dass je-der Mensch gleich ist. Solange er Geld hat. Die Menschen des kleinen Landes riechen nicht un- angenehm, weil sie sich sauber halten. Sie bauen ab und an, wenn es ihnen langweilig ist, ein paar Museen, und verschenken Kunstsammlungen. Sie lieben Kunst und Künstler, weil sie wis- sen, dass Kunst das einzige ist, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Wenn sie verreisen, so fahren sie an feine gepf legte Orte, denn sie verachten Touris-mus als den 4. Weltkrieg unserer Zeit. Von dem, was sie zuviel haben, geben sie ab, weil sie wissen, dass Wohlstand nur Spaß macht, wenn man teilen kann. Abends f liegen sie eine Runde über ihren hübschen Häusern, winken und lachen. So wäre das in dem kleinen Land, wo der Reichtum lebt.

Doch auch bei Ihnen zu Hause, gibt es keinen Grund, die Reichen zu verachten. Wenn Sie

in Europa wohnen, eine Arbeit haben und nicht gar zu viele, die sie versorgen müssen, können Sie sich selber alles leisten, was Reiche glücklich macht: freundlich zu anderen sein, nicht nur an sich selber denken, an hübsche Plätze verreisen und fein essen gehen. Die Welt wäre eine bessere, wenn alle Menschen reich wären. Keinen Grund gäbe es mehr für Hass und Missgunst, für Über- fälle und Kriege. Ich möchte, dass jeder auf der Welt soviel Geld hat, dass er sich leisten kann, was er will und er wird feststellen, mit der Zeit, dass es gar nicht soviel ist.

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Berühmte Persönlichkeitenauf der Schönhauser Allee:Albert Einstein und Niels Bohr

Vor dem Eingang in die „Schönhauser Arca-den“ sitzt ein Bettler auf einer Pappkiste. Je-

des Mal, wenn ich an ihm vorbeikam, kuckte ich weg. Es war mir peinlich, ihm in die Augen zu schauen. Der Kerl erinnerte mich an jemanden, den ich oft im Fernsehen sah. Aber an wen? Eines Ta-ges fiel es mir ein: Dieser lustige, etwas verwirrte Blick, die hoch stehenden Haarbüschel, der graue Schnurrbart – das habe ich in der Werbung für Herschi-Limonade gesehen. Der Kerl sieht Albert Einstein, dem verrückten Erfinder der Relativitäts-theorie, absolut ähnlich. In diesem Moment konn-te ich auch seine Sprüche, die er auf den Karton schreibt, viel besser nachvollziehen: „Zwei Mark ist kein Geld“ stand da beispielsweise drauf.

„Hey Alter, alles ist relativ, nicht wahr?“ Ich zwinkerte ihm zu und legte zwei Mark in

seinen Becher. Einstein tat so, als ob er mich nicht verstanden hätte, er wollte wahrscheinlich nicht, dass seine Tarnung auff log. „Alles ist relativ – oder was?“, fragte ich ihn noch einmal. Daraufhin pack-te er seine Sachen und ging auf die andere Seite der Schönhauser Allee. Dort begrüßte ihn ein anderer Kerl, der auch ein bekanntes Gesicht trug. Irgend-wo hatte ich diesen Dicken schon mal gesehen: Glatze, kalte Augen, fette Wangen, breites Kinn: ohne Zweifel Niels Bohr, der dänische Erfinder der Quantentheorie. Doch was machte dieser Mann hier auf Schönhauser Allee? Ganz klar: Er traf sich

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insgeheim mit Albert Einstein, um in aller Ruhe mit ihm die aktuellen Probleme der modernen Phy-sik zu diskutieren. Hier findet ein geheimer wissen-schaftlicher Kongress statt.

Beide Wissenschaftler gehen die Schönhauser Allee entlang und setzen sich auf die Bank

vor dem Sportwarengeschäft. Einen besseren Platz für einen Kongress kann man in der Gegend gar nicht finden. Dort warten auch schon andere Wis-senschaftler auf sie. Alle begrüßen sich kollegial. Niels Bohr packt seine „Plus“-Markt-Tüte aus und holt vier Flaschen Korn sowie mehrere Dosen Bier hervor.

Der Kongress kann beginnen. Von den anderen Wissenschaftlern kenne ich niemanden, nur

Friedrich Engels mit seiner verlebten Braut, weil die beiden jeden Tag auf dieser Bank sitzen, egal wie das Wetter ist. Engels hat sich anscheinend vor kurzem den Bart abgeschnitten, aber nur die eine Seite, jetzt sieht er total schräg aus. Er hält seinen Bart in der Faust und erzählt Einstein irgendwas Lustiges. Leider kann ich ihn nicht verstehen.

Vielleicht erzählt ihm Engels etwas über die Unvermeidlichkeit der neuen sozialen Revo-

lution und der Notwendigkeit, die politische Macht zu ergreifen? Einstein schüttelt nur den Kopf – alles ist relativ: Ich kann seine Antwort von den Lippen

Wladimir Kaminer studierte Dramaturgie in seiner

Heimatstadt Moskau. Seit 1990 lebt der 44-jährige

in Berlin, publiziert in verschiedenen Zeitungen und

Zeitschriften und organisiert Veranstaltungen wie seine

berühmte „Russendisko“. Mit der gleichnamigen Erzähl-

sammlung sowie zahlreichen weiteren Büchern macht er

sich einen Namen als Autor in Deutschland. Sein neues

Buch, „Liebesgrüße aus Deutschland“, erscheint im Au-

gust 2011 bei Manhattan. Die abgedruckte Erzählung

erschien 2001 in dem Band „Schönhauser Allee“ bei

Goldmann in der Verlagsgruppe Random House.

Von Wladimir Kaminer

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ablesen. Niels Bohr nimmt einen großen Schluck aus der Flasche, dann gibt er sie der Braut von En-gels, dann Einstein. Die Flasche ist schnell leer und landet unter der Bank. Engels mit dem schrägen Bart sieht heute irgendwie traurig aus. Ihm fehlt bestimmt sein Freund Marx. Den habe ich schon eine Ewigkeit hier nicht mehr gesehen. Früher sa-ßen die beiden gerne zusammen auf dieser Bank und tranken einen auf die „Deutsche Ideologie“. Mit einem Schluck schaffte Marx die Hälfte, die andere war dann für Engels bestimmt.

Das nichts ahnende Publikum läuft an der Bank vorbei, das gemeine Volk interessiert

sich so gut wie gar nicht für Relativitätstheorien, eher für Konsumtheorien. Junge Mütter mit Kin-derwagen machen einen großen Bogen um die Bank. Sie wollen dadurch verhindern, dass ihre Kinder die Wissenschaftler kennen lernen. Werden sie aber trotzdem! Denn solange die Sonne scheint, wird der Kongress weiterlaufen – die Wissenschaft auf der Schönhauser Allee ist nämlich unsterblich, und darauf trinken wir einen. 

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„Ich bin Simon. Ich habe Asperger. Ich mag

den Weltraum, Kreise und meinen Bruder

Sam. Gefühle, andere Menschen, Verände-

rungen und romantische Komödien mit Hugh

Grant kann ich nicht ausstehen.“ Soweit ge-

regelt – bis Sam von seiner Freundin verlas-

sen wird und alles aus den Fugen gerät. Si-

mon beschließt, für seinen Bruder eine neue

Liebe zu finden – obwohl er selbst nichts

davon versteht. Aber er hat einen wissen-

schaftlich todsicheren Plan...

Unverkrampft ist das farbenfrohe Filmde-

büt des jungen schwedischen Regisseurs

Andreas Öhman, das sich souverän in die

Tradition skandinavischer Wohlfühlkomödi-

en einreiht, die einen sympathischen Blick

auf das Leben und seine schrägen Protago-

nisten werfen und mit trockenem Humor,

Slapstick und Situationskomik ins Schwarze

treffen. Dabei folgt die Geschichte vor allem

der Wahrnehmung des 18jährigen Simon,

dessen Gedankenwelt durch eingeblendete

technische Skizzen und Zeichnungen, etwa

von Winkelberechnungen für den Wurf eines

Basketballs oder Weltraumanimationen, vi-

sualisiert wird.

Die pfiffige Komödie war 2010 der Überra-

schungserfolg in Schweden.

Do 22.12. bis Fr 23.12. um 19.15 Uhr

So 25.12. bis Mi 28.12. um 21.00 Uhr

Endstation Kino im Bahnhof Langendreer

Wallbaumweg 108, 44894 Bochum

Telefon 0234 – 68 71 620

www.endstation-kino.de

endstation.kino & bodo präsentieren:Im Weltraum gibt es keine Gefühle

32 KINOTIPP | von endstation.kino

Serra, Richard | Es stehen noch viel zu wenig rostige Stahlskulpturen in unseren Innen-

städten herum. Serras wunderbares „Terminal“ am Bochumer Hauptbahnhof rostet stillver-

gnügt seit den Achtzigern vor sich hin und zeigt dem Ruhrgebietler wie eine Jahrzehnteuhr

an, wie die Zeit verrinnt und ferne Reiche untergehen, aber der SPD-Ortsverein bleibt, wenn

auch schwankend.

Tee trinken | Das macht aber doch nur der Magath, oder?

Ultras | Fanatismus können wir überhaupt nicht brauchen. Weder im Sport noch in der

Politik. Und Kunst-Ultras? Will man die haben? Meese, klar. Aber dem Lüpertz sein „Herku-

les“, den hat doch ein Kunst-Ultra gemacht, oder? Nee, eben nicht. Das war richtig Arbeit.

Das „ultra“ in der Kunst ist nämlich eher nicht beim Pol „Recht auf Rausch“ angesiedelt,

sondern beim Pol „Selbstdisziplin“.

Vanitas | Ein bisschen barockes Vergänglichkeitsbewusstsein kann uns heutigen Zeitgenos-

sen nicht schaden. Passend zum Jahresende hier die Schlusszeilen aus Andreas Gryphius’

„Cardenio und Celinde“, tätowiert sie Euch über Euer Arschgeweih:

„Wer hier recht leben will vnd jene Kron ererben /

Die vns das Leben gibt; denck jede Stund ans Sterben.“

Veilchenpastillen | Gehören ins Sortiment jeder Bude. Wer lange nicht mehr an sie gedacht

hat, sollte sie wiederentdecken; sie schmecken nach früher.

Wasser | Niemals werde ich Leute verstehen, die in tropischer Sommerhitze die Geträn-

kemärkte stürmen und kistenweise Mineralwasser in den vierten Stock schleppen. Bei mir

kommt das Wasser aus dem Hahn. Ruhrgebietswasser versiegt nie, ist laborgeprüft und

schmeckt gut. Was die medizinische Wirkung des Wassers angeht, hänge ich der Theorie an,

dass oft nicht die Tabletten heilen, sondern das Glas Wasser, mit dem man seine Pillekes

runterspült. Vor dem Frühstück ein halber Liter lauwarmer Möhnesee, aah!

Wunderkind | Ich war, als ich im Alter von vier Jahren in Bochum-Langendreer vor der Tür

unseres Mietshauses saß und den wesentlich älteren Kindern aus der Nachbarschaft flüssig

aus Grimms Märchen vorlas, vermutlich das letzte Wunderkind, das das Ruhrgebiet hervor-

gebracht hat. Wir hatten hier nie einen Mozart, und mein Konto ist auch knietief im Dispo.

Was machen wir bloß falsch mit der Elitenförderung? Rudi Carrell wusste es, als er zu Arlo

Guthries Melodie sang: „… und Schuld daran ist nur die SPD!“

Xaver | Herrschaftszeiten, so heißt ja niemand in unseren Breiten. Vielleicht auch deshalb

hat mein Sohn, als er Lesen lernte, ganz korrekt gelesen: „Iksavauer.“ Das ist ein so geni-

aler Name©, dass Kevin, Mirko und Pamela ganz neidisch werden.

Zaretten | „Hömma, ich muss nomma anne Bude, Zaretten kaufn.“ Hömma, samma, kumma.

Vonne, anne, mitte. Durch unsere konzentrierte, per Konsonantenverdoppelung verknapp-

te, gepimpte und alles Überflüssige eliminierende Sprache bekommen selbst banale Sätze

oft etwas Dringliches. Kein Wunder, dass der oben genannte Satz manchmal der letzte ist,

den die Mudda vom Vadda hört.

DAS RUHRGEBIET VON A BIS Z | von Peter Erik Hillenbach

Mein nächstes Kind heißt IksavauerEine kleine Geschichte des Ruhrgebiets aus kultureller und philosophischer Sicht.

Zum Abschluss der Reihe: S bis Z.

S

TU

V

W

X

Z

INFO

Die hier abgedruckten Einträge wurden zuerst im vergangenen Dezember auf der Kultur-

plattform www.2010LAB.tv veröffentlicht. Peter Erik Hillenbach ist außerdem Chefre-

dakteur der Restaurantführer „Dortmund geht aus“ und „Bochum geht aus“ sowie Autor

der „Gebrauchsanweisung für das Ruhrgebiet“. Er lebt im Dortmunder Klinikviertel.

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Circus FlicFlac – »Schrille Nacht, eilige Nacht«

20.12. 2011 bis 08.01. 2012 um 20 Uhr (Sa, So & Feiertage auch 16 Uhr)

An den Westfalenhallen, Parkplatz E, Dortmund

bodo verlost 5 x 2 Karten für den 22.12. 2011 um 20 Uhr

VERANSTALTUNGEN DEZEMBER 2011 | VERLOSUNGEN | CD-TIPPS | zusammengestellt von Benedikt von Randow 33

Auch diesmal gibt es wieder Bücher und Karten für tolle Veranstaltungen zu gewinnen.Senden Sie uns eine Email mit dem Betreff „bodo-Verlosung“ und der Angabe Ihres Wunschgewinns an:

[email protected] schicken Sie uns eine frankierte Postkarte mit Ihrem Wunsch, Absender und Telefonnummer an:

bodo e.V., Postfach 100 543, 44005 Dortmund

Unter allen Emails und eingesandten Postkarten entscheidet das Losverfahren.

Alle Gewinner werden rechtzeitig telefonisch oder per Email benachrichtigt.

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

16.12. | Michael Ehnert | Bahnhof Langendreer, Bochum | 3 x 2 Karten

22.12. | Circus FlicFlac | An den Westfalenhallen, Dortmund | 5 x 2 Karten

25.12. | Chris Hopkins‘ Swinging Christmas | Christuskirche, Bochum | 3 x 2 Karten

26.12. | Total Paranormal Weihnachtsshow | Sissikingkong, Dortmund | 1x 2 Karten

28.12. | A Christmas Carol | Theater im Depot, Dortmund | 3 x 2 Karten

22. – 28.12. | Im Weltraum gibt es keine Gefühle | endstation.kino, Bochum | 1 x 2 Karten

FairBleiben – ethisch und ökologisch korrekte Bekleidung | 3 Einkaufsgutscheine zu je 20 Euro

Liebe, Trauer und Vergeltung? | Feridun Zaimoglu | 2 Exemplare

Die Küche – neue (Ess-)Klasse | 1 Vier-Gänge-Menü „all inclusive“ für 2 Personen |

Harkortstraße 16, 44552 Dortmund

Viel Glück, wünscht Ihr bodo-Team!

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flöte, Ukulele, Panflöte und anderem Blas- und Zupfwerk

sehr gut umgehen können. Ihr Programm „Musikcomedy

für Fortgeschrittene“ verspricht „geschredderte Pop-

songs, gehexelten Rock und eine Prise Wahnsinn.“

Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

SA 03 | 12 | 11

Theater | Liegen lernen

Eine Jugend im Ruhrgebiet in den 80er-Jahren: Das be-

deutet Pershing II, ELO, Öko-AG, „Hart, aber herzlich“,

Arbeitskreis Nicaragua, Cordhosen, Mix-Kassetten, Wald-

sterben, Barclay James Harvest, 25 DM Mindestumtausch

für den Tagestrip nach Ost-Berlin – mittendrin Helmut.

Und Britta, die Neue in der Klasse, die derartig schön

ist, dass es für Helmut im Rest seines Lebens nur noch

eine Sehnsucht gibt. Er lässt alles stehen und liegen und

macht sich auf den Weg nach Berlin... Mit seinem Sprach-

witz ist dem Bochumer Kultautor und VfL-Aufsichtsrat

mit „Liegen lernen“ 2000 ein Zeitgeistroman der 80er

und 90er Jahre gelungen, der auf raffinierte Weise sowohl

die Atmosphäre zweier Jahrzehnte einfängt, wie auch das

literarische Portrait einer Jugend in Deutschland zeigt.

Die Bühnenadaption bringt nun das WLT als Uraufführung

auf die Bühne. „Ich bin völlig locker, was den Umgang mit

dem Stoff angeht. Beim Theater herrschen andere Geset-

ze, also: Spielt damit ‘rum!“

Stadthalle, Castrop-Rauxel, 20 Uhr

Theater | Die schöne Wassilissa

Die schöne Wassilissa lebt mit ihrem Vater, ihrer Stief-

mutter und Stiefschwester zusammen. Die Stiefmutter

kann ihre schöne Stieftochter nicht ausstehen. Während

sie die eigene Tochter den ganzen Tag verwöhnt, lässt sie

Wassilissa von früh bis spät arbeiten und nie ist sie mit

ihr zufrieden. Eines Tages schickt die Stiefmutter Wassi-

lissa in den Wald zum Holzholen. Dort trifft sie auf Ilja,

einen jungen Burschen, der sich in sie verliebt. Als er ihr

folgt, sieht er, wie Wassilissa von der Hexe Baba Jaga

gefangen genommen wird. Ilja will sie befreien. Doch

bevor ihm das gelingt, sind noch Abenteuer mit einem

Bären und einer Räuberbande zu bestehen. „Die schöne

Wassilissa“ nach Motiven von Alexander N. Afanassjew

wurde für Kinder ab sechs Jahren umgeschrieben. Das

Ensemble entführt die kleinen und großen Zuschauer in

die Welt des russischen Märchens.

Schauspielhaus, DO, 18 Uhr (auch 06., 11., 14., 22., 26.12.)

SO 04 | 12 | 11

Mischmasch | Internationale Weihnachtsfeier

Auch in diesem Jahr lädt die Auslandsgesellschaft ein,

die vorweihnachtliche Stimmung mit kulturellen Bei-

trägen und internationalem Imbiss zu genießen. Albina

Gonopolschi singt russische Lieder und Romanzen, Sa-

chiko Bömer-Oshiumi tritt mit japanischen Liedern auf,

sie wird am Klavier begleitet von Kazuyuki Ogimoto.

Miroslaw Tybora und Dagmara Daniel bieten mit Akkor-

deon und Violine stimmungsvolle Weihnachtsmusik.

Nach der Pause tritt die schottische Tanzgruppe Loch

Ness Monsters auf. Auf dem Programm: Scottish Count-

ry Dances, Jigs, Reels und Strathspeys (von schnell und

lebhaft bis höfisch, ein Querschnitt schottischer Tanz

und Musik). Unter der Leitung von David Cheong singt

der Agape-Chor weihnachtliche Lieder. Lateinamerika-

nische Lieder, Huapango und Son aus Mexiko, Zamba

aus Argentinien, Bolero aus Kuba und Bossa Nova aus

Brasilien gibt es von Berlinerin Anne Jannick und dem

gebürtigen Mexikaner Josue Partida. Einen schwung-

vollen Abschluss versprechen Vanglis und Jannis mit

02 | 12 | 11 Butterfahrt 5

34 VERANSTALTUNGEN DEZEMBER 2011

04 | 12 | 11 Märchen aus 1001 Nacht

DO 01 | 12 | 11

Theater | Volkers Lied

Spielmann Volker musiziert, Brunhild leidet und

Hagen von Tronje sollte man nicht vertrauen – mit

diesen drei Figuren des Nibelungenliedes treibt

der Bochumer Autor Werner Streletz ein vertrackt-

tragisches Spiel. Es geht um Psycho-Ticks, das

große Geld und die Altlast der dunkel-dräuenden Mär

aus dem Mittelalter. Zu erleben ist, wie das Unheil,

das schon die Nibelungen ins Verderben zog, auch

heute noch wirksam sein kann. Zum Schluss singt nur

noch Volker sein Lied. Werner Streletz schrieb das

Theaterstück auf Einladung des Rottstr5-Theaters für

dessen ganzjährigen Nibelungen-Zyklus.

Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr (auch 08.12.)

FR 02 | 12 | 11

Poetry Slam | Dead Or Alive Slam

Ein halbes Jahr nach dem ersten Duell treffen sich

lebende und tote Dichter zur Revanche auf der gro-

ßen Bühne. Die Poetry Slammer Franziska Holzheimer,

Pierre Jarawan, Renato Kaiser und Torsten Sträter

wollen den knapp errungenen Titel verteidigen. Das

Team des Todes schickt mit Raiko Küster, Marco Mas-

safra, Nicola Mastroberardino und Werner Strenger

erneut vier Schauspieler ins Rennen, die verstorbenen

Helden der Weltliteratur Körper und Stimme leihen.

Sebastian 23 moderiert den Kampf frischer, heutiger

Texte gegen Klassiker und Überraschungen aus den

Nachlässen, musikalisch unterstützt wird er dabei von

DJ Nachtfalke. Und das Publikum entscheidet, ob der

Wanderpokal in die WG oder die Gruft wandert.

Schauspielhaus, Bochum, 20.30 Uhr

Musik-Comedy | Butterfahrt 5

Der Humor ist das Schmier- und Gleitmittel, das die Grup-

pe so gut funktionieren lässt. Er ist mal leise, fast subtil,

viel öfter jedoch skurril, manchmal gar anarchisch. Wenn

sich der gesamte Blödsinn, den das Quintett so ausheckt

dann noch mit rotzfrecher Clownerie paart, ist die Mi-

schung perfekt. Den Rest besorgt die Musik. Bei Butter-

fahrt 5 stehen fünf Profis auf der Brücke, die mit Gitarre,

Schlagzeug, Keyboards, Saxofon, Tuba, Klarinette, Quer-

THE SOUL SESSION | One (Agogo Records / Indigo)

„Get down to the essence of your soul“, haucht Sängerin Bajka, deren Timbre stark an die grandiose Erykah Badu

erinnert, uns im Opener „Struggles and Blessings“ entgegen. Und schon hat man quasi das Motto dieser Platte.

Multiinstrumentalist Ralph Kiefer, der auch schon mit den Poets Of Rhythm positiv auffiel, hat hier ein wirklich coo-

les, modernes Soul-Album eingespielt. Freunde des Acid Jazz der 90er werden ihre uneingeschränkte Freude daran

haben. Die Kombination aus lässig groovenden HipHop-Beats mit 70er Soul und Rare Funk funktioniert noch immer

einwandfrei. Und ist ja, guckt man mal in die Charts (z.B. Aloe Blacc oder Cee Lo Green) wieder oder immer noch

sehr populär. Kiefer belässt es aber nicht allein bei den HipHop-Beats, seine Rhythmen sind bisweilen auch gerne

mal etwas latinesk und nujazzig. Seine Sänger und Gastmusiker sind allesamt Könner auf dem Gebiet zeitgemäßer

Soulmusik und geben dem Ganzen die letzte Würze. Gelegentlich hat man gar das Gefühl Guru von Jazzmatazz, Erykah

Badu oder Lenny Kravitz sind mal eben im Studio vorbei gekommen. Auch vor dem Covern von Klassikern wie „Light

My Fire“ oder „A Horse With No Name“ fürchtet sich Kiefer nicht und braucht sich mit seinen Versionen auch nicht zu

verstecken. Auf jeden Fall hört sich die gesamte Platte sehr organisch an und ist natürlich jederzeit voller Soul. (BvR)

CD-TIPP

Page 35: bodo Dezember 2011

35

ihren griechischen Liedern (Gesang, Gitarre und Bou-

zouki). Eine Ikebana-Ausstellung und ein internationa-

les Buffet runden das Programm ab.

Auslandsgesellschaft, Dortmund, 14 Uhr

Kindertheater | Märchen aus 1001 Nacht

Das Theater Wundertüte hat die bekanntesten Geschich-

ten aus dem berühmten Märchenzyklus für Kinder ab vier

Jahren bearbeitet und mit viel Musik, Tanz und Gesang

inszeniert. Aufwendige Kostüme und ein stimmungsvol-

les Bühnenbild verzaubern Groß und Klein und stillen die

kindliche Lust auf Phantasie und Abenteuer. „Welch er-

frischende Inszenierung mit tollen Darstellern, fantasie-

vollen Kostümen, witzigen Dialogen und Erzählungen.

Eine gelungene Hommage an das Geschichtenerzählen

an sich. Sehr empfehlenswert. Weitererzählen!“ (Bodo

Bauer, Welttheater der Straße)

Bahnhof Langendreer, BO, 15 Uhr (auch 05.12. 10 Uhr)

DI 06 | 12 | 11

Kleinkunst | Thomas Gsella

Lesereisen führten Thomas Gsella in nahezu jeden Win-

kel der Republik. Wenn er nicht gerade unterwegs ist

und liest und schreibt, rührende Liebeserklärung an

den Zauber der Städte und ihrer Bewohner zum Beispiel,

dann findet man ihn in Aschaffenburg. Dort wohnt er

und verfasst Gedichte und Prosa unter anderem für WDR,

SWR, FAZ, Titanic, Spiegel Online, taz, WAZ, WOZ und SZ-

Magazin. Viele Jahre lang war Gsella Titanic Redakteur

und von 2005 bis 2008 sogar Chefredakteur des Frank-

furter Satiremagazins. Er ist Co-Autor des lehrreichen

Fußballbuchs „So werde ich Heribert Faßbender“, aus

seiner Feder stammen elf Bände meist komischer Lyrik.

Im Jahr 2004 erhielt Gsella den „Cuxhavener Joachim-

Ringelnatz-Nachwuchspreis für Lyrik“ für seine ersten

Gedichtbände und kürzlich erst den „Robert-Gernhardt-

Preis“. „Längst ist er kein Gsella mehr, schon seit langem

darf er sich Meista nennen“, wusste Gernhardt.

Sissikingkong, Dortmund, 20 Uhr

MI 07 | 12 | 11

Kindertheater | Filipa unterwegs

Filipa ist eine Prinzessin und soll bald Filipanien re-

gieren. So wollen das ihre Eltern, die Königin und der

König, die genug regiert haben und nun endlich am

Strand liegen wollen. Aber Filipa will noch nicht regie-

ren. Die Krone ist ihr viel zu groß, und einen König hat

sie auch noch nicht. Und es fehlen noch so viele Dinge

in Filipanien. Zum Beispiel eine schönere Landschaft,

mehr Tiere, was zum Spielen, frischer Wind, neue Ge-

räusche, leckeres Essen und vieles mehr. Außerdem ist

Filipa viel lieber unterwegs und erlebt Abenteuer. „Mit

ihrer quirligen Art zieht Filipa kleine und erwachsene

Zuschauer gleichermaßen in den Bann und lässt sie ihre

Abenteuer miterleben.“ (WAZ)

Flottmann-Hallen, Herne, 10 & 12 Uhr (auch 06.12.)

Kleinkunst | Moses W.

Männer sind von Null auf Hundert in drei Sekunden und

brauchen für den Einkauf sämtlicher Weihnachtsge-

schenke maximal 24 Stunden. Das bedeutet aber nicht,

dass ihnen Weihnachten egal ist. Immerhin sind nahezu

alle Rollen der Weihnachtsgeschichte männlich besetzt:

1 Zimmermann, 1 Jesuskind, 3 Könige, 1 Komet, 1 Palm-

busch, 1 Ochse und 1 Esel – alles Männer. Lediglich die

Rolle der Maria bleibt Frauensache. Moses W. spricht in

seinem Weihnachtskabarett „Mach Platz, ich mach Plätz-

chen“ darüber, was sich abspielt, wenn Männer sich aufs

Christkind freuen. Er backt im Stundentakt, lernt mit

der Weihnachts-CD Lieder auswendig, nutzt den Amazon

Last-Minute-Service und vertraut auf die Zuverlässigkeit

von DHL. Wenn das kein Gottvertrauen ist.

Zauberkasten, Bochum, 20.30 Uhr

Musik | Bochumer Blues Session

Das Dezember-Special der Blues Session präsentiert

mit Get The Cat und Das mobile Blueskommando dies-

mal Blues zum Tanzen. Get The Cat setzen sich spie-

lend über Genregrenzen hinweg. So interpretiert das

Quartett mit Frontfrau Astrid Barth ihre bluesigen Bal-

laden mit einem deutlich jazzigeren Einschlag sowie

ihren souligen Nummern. Den musikalischen Gegenpol

dazu bildet Philipp Roemer mit seiner Gitarre. Locker

und leicht lässt er seine Finger über den Gitarrenhals

wandern. Schlagzeug und Bass sorgen derweil für den

stimmigen Groove. Das mobile Blueskommando ist mal

swingig, mal ruhig. Der Spaß an den Live-Auftritten

wird offenkundig, wenn Gräsel, Lüke und Feierfeil die

Lust am Blues transportieren. Tanzbarkeit und gute

Stimmung ist ebenso ihr Anliegen, wie ihr zusätzliches

Thema, den Rock‘n‘Roll. Der Eintritt ist frei.

KulturCafé der Uni, Bochum, 20 Uhr

SA 10 | 12 | 11

Theater | Ute, die Gute

Die Uraufführung „Ute, die Gute“ im Nibelungen-Zyklus

verschafft dieser Mutter aller Könige endlich den großen

Auftritt. Starr und stark und scharfzüngig hat Ute (fast)

alle überlebt. Im Versteck, in ihrem Bunker in Burgund.

Man weiß nicht, wie lange sie dort schon ausharrt. Sie

trinkt viel, Burgunderwein, natürlich. Und so könnte es

07 | 12 | 11 Filipa unterwegs 10 | 12 | 11 Ute, die Gute09 | 12 | 11 Bochumer Blues Session

ewig weiter gehen. Wenn nicht der Einmarsch der Hun-

nen drohte. „Ute, die Gute“ erzählt die nie zuvor gehörte

Vorgeschichte allen Übels und das ungeahnte Ende aller

Wormser Tage. In einer Nacht im Bunker spielt sich ein

skurriles Psychodrama ab, rund um eine Frau, die von

den Nibelungen mehr als ein Lied singen kann. „Mit der

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Page 36: bodo Dezember 2011

36

guten Ute wird die Königin von Burgund ins 21.

Jahrhundert katapultiert – inklusive Quarkmasken,

Tetrapack-Wein und Global Players.“ (RN)

Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr

SO 11 | 12 | 11

Kleinkunst | Ox und Esel

André Wülfing bringt seinen Gelsenkirchener Schauspiel-

Kollegen Markus Kiefer für „Ox und Esel“ mit nach Dort-

mund. Auf eigenwillige Art präsentieren sie das etwas

andere Krippenspiel von Norbert Ebel: Die zwei schrägen

Burschen im Stall entdecken plötzlich etwas Kleines, Le-

bendiges in ihrem Futtertrog. Das Baby will gefüttert

werden, schreit ohne Ende und – da seine Eltern auf

unbestimmte Zeit auf Weihnachtseinkauf oder Volks-

zählung sind – muss es auch noch vor den Soldaten des

bösen Herrn Rodes beschützt werden. Einig sind sich Ox

und Esel da nicht unbedingt.

Theater im Depot, Dortmund, 19 Uhr

DI 13 | 12 | 11

Musik | Götz Widmann

„Godfather of Liedermaching“ nennen ihn seine Freun-

de, das mag vielleicht ein bisschen viel der Ehre sein,

aber tatsächlich hat Götz Widmann einem praktisch

toten Genre ganz neues Leben eingehaucht und ihm

damit eine völlig andere Richtung gegeben. Sein Stil,

eher vom erhobenen Mittel- als Zeigefinger geprägt,

hat eine ganze Generation von jungen Liedermachern

inspiriert, es einmal anders zu probieren als die Barden

der Altachtundsechziger. Jetzt ist er wieder auf Tour

mit seinem neuen Album „Ahoi“ und jeder Menge Klas-

sikern. Lieder die einen ergreifen, authentisch, lustig,

traurig, zärtlich, böse, herrlich einfach, raffiniert, vor-

getragen mit einer abgrundtiefen Stimme, die Ehrlich-

keit und Menschenliebe ausstrahlt.

Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

MI 14 | 12 | 11

Comedy | Der Telök & Helmut Sanftenschneider

Für alle, die einen gemütlich besinnlichen Vorweih-

nachtsabend mit Geschichten, die zum Schmunzeln aber

auch zum Nachdenken anregen, erwarten, heißt es: Wir

müssen leider draußen bleiben. Ab nach Hause und dort

weiter vor sich hin stauben. Denn hier öffnet die „Weih-

nachtsmetzgerei“ (so der Programmtitel) ihre Pforten,

ein X-Mas-Comedy-Shop der ganz speziellen Art. An der

Theke werden Sie bedient von Fachpersonal, das in die-

ser Konstellation seinesgleichen gar nicht erst sucht.

Auf der einen Seite Der Telök: Deutschlands einziges

dreiarmiges Comedy-Duo, die beinharten Blutgrätscher

auf dem Feld der satt absurden Komik. Und auf der ande-

ren Seite Helmut – the womanizer – Sanftenschneider:

Genialer Musiker und begnadeter Moderator der bekann-

ten Nachtschnittchen-Comedy-Show aus Herne.

Zauberkasten, Bochum, 20.30 Uhr

Mischmasch | Finn-Ole Heinrich & Spaceman Spiff

Die Reihe „Lauscher“ präsentiert diesmal einen musika-

lischen Leseabend mit Finn-Ole Heinrich und Spaceman

Spiff. Gemeinsam treten sie mit ihrem Programm „Du

drehst den Kopf, ich dreh den Kopf“ als Geschichtener-

zähler auf. Finn-Ole Heinrich ist Autor, Spaceman Spiff

ist Musiker. Der eine liest verstörend schöne Texte und

der andere spielt betörend schwermütige Gitarren-Songs,

die ungewöhnlich nahe gehen und im richtigen Moment

laut knallen. Die zwei Wortkünstler sind seit einiger Zeit

als Duo unterwegs. So können sich die melancholisch-

schönen Lieder von Spaceman Spiff und die filmischen Ge-

schichten von Finn-Ole Heinrich miteinander verbinden.

FZW, Dortmund, 20 Uhr

DO 15 | 12 | 11

Musik | Bluegrass & Americana Music Festival

Im 100. Geburtsjahr von Bill Monroe, dem Vater der

Bluegrass Music, gastiert das Bluegrass-Festival auch

36 VERANSTALTUNGEN DEZEMBER 2011

13 | 12 | 11 Götz Widmann 15 | 12 | 11 Della Mae

im domicil. Diesmal mit drei jungen Bands aus dem Nor-

den der USA: Die Musikerinnen von Della Mae drücken

ordentlich auf die Tube mit viel Drive und Gesang und

einer Mischung aus Altem und Neuem. „Deadly Gentle-

men“ gelten als „Banjo Rapper“. Hier trifft Bluegrass

auf HipHop, Rap und New Acoustic Music. Schließlich

das Duo Cahalen Morrison & Eli West aus Seattle mit

archaischen Klängen auf Banjo und anderen Saitenin-

strumenten, betörenden Männerstimmen, gehaltvollen

Texten und neuen Kompositionen.

domicil, Dortmund, 20 Uhr

FR 16 | 12 | 11

Musik | Broilers

Mit ihrer energiegeladenen Mischung aus Punk, Ska und

Rockabilly eroberten sich die fünf Düsseldorfer mit ihrem

aktuellen Album „Santa Muerte“ bereits im Juni einen er-

staunlichen Platz 3 der Charts. Zudem sind sie als „Bester

Live-Act“ dieses Jahr für die 1LIVE Krone nominiert. Nun

stören die Broilers im Dezember noch einmal ordentlich

die vorweihnachtliche Ruhe. „Was macht man, wenn man

seine Instrumente noch schlechter beherrscht als Vorbil-

der wie die Sex Pistols, die Toten Hosen oder The Clash

zu ihren Anfangszeiten? Ganz klar, man lässt sich davon

nicht beirren, sondern gründet einfach eine eigene Oi-

Punk-Band“, veräppelte laut.de die Band noch anfänglich.

Zu dem Oi-Punk des Quartetts mischten sich aber nach

und nach auch Einflüsse aus dem Psychobilly-, Ska- und

Reggae-Bereich hinzu. Entsprechend erweiterte sich das

Publikum, das sie mit ihrer Musik erreichen – die ewig

Gestrigen aus der Skinhead-Szene werfen ihnen bald den

Ausverkauf vor. Die Band gibt (zum Glück) einen Scheiß

drauf und macht einfach mit dem weiter, was Spaß macht.

Westfalenhalle 3a, Dortmund, 20 Uhr

JEWRHYTHMICS | Jewrhythmics (Essay Recordings)

„Aus den Tiefen des Tel-Aviv-Moscow-Widerstands mit fanatischem Augenmerk aufs Detail und Verwendung analoger

Maschinen von vorvorgestern entstehen Songs aus der Symbiose von Yiddish und Italo Disco. Tote Musik mit einer toten

Sprache, welche sich in einem Untergrund-Club genauso passend anhört wie auf einer Bar Mitzwa. Koschere Ernährung

für die nicht notwendigerweise koscheren Seelen. Jiddisch ist tot! Es lebe Jiddisch!“ Soweit das „Manifest“ des Projek-

tes Jewrhythmics zu ihrem Debüt auf dem umtriebigen Label von Shantel. Jiddische Klassiker und andere All-Time-Hits

(u.a. „Misirlou“ von Dick Dale) eingebettet in Synthie-Sounds der 80er-Dico-Ära – das hört sich ja erst einmal ganz

spannend an. Aber ich persönlich bekomme leider schon spätestens mit dem zweiten Song ein wenig die Krise. Das

hört sich wie gruseligste Italo-Disco an. Einige Songs allerdings finde ich ganz originell. Am ehesten dann, wenn ich

an Kraftwerk, Depeche Mode oder Human League denken muss. Leider fühle ich mich bei vielen Songs an Alphaville,

Bronski Beat und Modern Talking erinnert. Und das läst mich kurzzeitig erschaudern. So sehr ich derlei musikalische Ko-

operationen über alle Ländergrenzen hinweg und auch stilistische Vermischungen immer positiv einschätze, in diesem

Falle ist das Ergebnis so gar nicht meine Welt. Aber vielleicht gefällt es ja anderen Menschen; durchaus denkbar. (BvR)

CD-TIPP

Page 37: bodo Dezember 2011

37

16 | 12 | 11 Der kleine Prinz 17 | 12 | 11 Klazz Brothers & Cuba Percussion17 | 12 | 11 Feindrehstar

BODO VERLOSUNG | Michael Ehnert

Knurrend, geifernd und gnadenlos schlägt Micha-

el Ehnert in seinem neuen Programm „Das Tier in

mir – Deutschland primat“ seine

Zähne in die schwammig-wurstige

Elite unseres Landes. Rücksichtslos

und böse und dabei enorm lustig.

Eine Körperverletzung, die gut tut.

Eine Katharsis, auf die wir lange

gewartet haben. Denn Ehnert ist

ein ausrastender Einflüsterer, ein

sanfter Choleriker, ein tief trauriger Komiker, der

nicht bereit ist, sich mit dem Status Quo abzufinden.

„Eine großartige Analyse deutscher Alltäglichkeiten.

Soviel pessimistische Ekstase löst Freude aus. Das

ist grandioses Kabarett!“ (Hamburger Morgenpost)

Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

bodo verlost 3 x 2 Karten.

Teilnahmebedingungen auf Seite 33.

Theater | Der kleine Prinz

„Der kleine Prinz“ in Tetiana Sarazhynskas Interpre-

tation ist ein Stück für zwei Schauspieler (Markus

Kiefer und Giampiero Piria) und eine Kinderstimme.

Der Flieger Saint-Exupéry stützt mit seinem Flug-

zeug in der Wüste Sahara ab. Er überlebt diesen

Unfall und versucht seinen Flieger zu reparieren.

Er muss es schaffen, denn er hat nur wenig Wasser

dabei. Da taucht plötzlich eine seltsame Figur auf.

„Bitte mal mir ein Schaf“, sagt der kleine Prinz. Zwi-

schen beiden entsteht eine Freundschaft. Kann der

kleine Prinz dem Flieger aus seiner aussichtslosen

Situation helfen? Ein modernes Märchen über Liebe

und Freundschaft und über das Erwachsenwerden.

Für Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren.

Flottmann-Hallen, Herne, 20 Uhr

Musik | Georg Zimmermann Trio

Georg Zimmermann tischt Musikkunst der etwas an-

deren Art auf. Er stolpert durch die Absurditäten des

Lebens, des Chaos' und der virtuellen Welt. Wie eine

Mischung aus klimperndem Tucholsky und deutschem

Beatnik singt er von Exzessen, skurrilen Gestalten

und der Existenz zwischen web 3.0 und Kneipentre-

sen. Unterstützt von Tobias und Jochen Zimmermann

stöpselt er die Akustikgitarre in einen etwas aus den

Fugen geratenen E-Verstärker und das Ergebnis ist

durchaus tanzbar. Mit geradezu dynamischer Inkom-

petenz führt das Trio sein Publikum durch Trash-Folk,

Blues und Rock. Die Songs atmen dabei stets den

Geist von Satire und Poesie. Der Eintritt ist frei.

Subrosa, Dortmund, 20 Uhr

SA 17 | 12 | 11

Musik | Klazz Brothers & Cuba Percussion

Mit „Classic meets Cuba“ sind sie berühmt gewor-

den und haben dafür denn auch einen Echo Klas-

sik und einen Jazz Award bekommen. Jetzt sind

sie mit neuem Programm unterwegs: „Christmas

meets Cuba". Der Titel liest sich zwar wie aus dem

Reiseprospekt geklaut: Deutscher Tannenbaum

trifft auf Latin Groove, Marzipan auf Merengue und

Kubas Sinnlichkeit auf Stille Nacht. Die Fünf sind

allerdings so dermaßen gut an ihren Instrumen-

ten und dabei so lässig, so sanft ironisch, dass sie

selbst gröberen Kitsch ganz locker und verspielt

in meisterhafte Weihnachten wandeln. Im letzten

Jahr jedenfalls haben sie ihr Meeting in den Phil-

harmonien Berlin und München vorgestellt. Wird

Zeit fürs Ruhrgebiet, Weihnachtszeit.

Christuskirche, Bochum, 20 Uhr

Theaterlesung | Beyond the Dark

Studierende haben in Projekten forschenden

Lernens Menschen nach ihrer Lebensgeschichte

gefragt und sich auf intensive analytische Ver-

stehensprozesse eingelassen. Nach Abschluss der

Arbeiten haben sie in der Präsentationswerkstatt,

einem Seminar der Fakultät für Sozialwissen-

schaft, ihre Begegnungen mit den Biographen,

die Forschungserfahrungen und die Ergebnisse

reflektiert, diskutiert, theoretisch weitergedacht

und für eine Vorstellung vorbereitet. Mit einigen

Ausschnitten aus den „Nach-Forschungs-Arbeiten“

werden die Studierenden in dieser Theaterlesung

mit dem Titel „Beyond the Dark – Biographische

Begegnungen in Ruhrnächten“ die Menschen vor-

stellen, die sie mit ihren Lebensgeschichten ken-

nen gelernt haben. Der Eintritt ist frei.

MZ der Ruhr-Uni, Bochum, 17 Uhr

Musik | Feindrehstar

Human Jazzhop Palim oder auch Organic Live Pogo

with Modern Technical Hip-Hop und House Roots.

Das achtköpfige Musikerkollektiv Feindrehstar aus

Jena steht für live gespielte Clubmusik, Trance und

Körperlichkeit, musikalisch gestrickt aus HipHop, Nu-

Jazz, Broken Beats, House, Funk und World Music. Zu-

sammengefasst: Krautclub. Und tanzbar. Die Band ist

Gewinner des Creole Wettbewerbs für Mitteldeutsch-

land in 2008 und hat zudem ihre erste EP mit dem

Titel „Dancetrack“ bei Jazzanova veröffentlicht. Im

Anschluss: Global Player Party von Funkhaus Europa.

domicil, Dortmund, 21 Uhr

SO 18 | 12 | 11

Theater | Eisenstein

„Dieses Stück ist ein Wagnis, ein Experiment, ein

unmögliches Genre. Über 63 Jahre erstreckt sich

die gespielte Zeit, und sie bewegt sich nicht im-

mer in großen Sprüngen vorwärts. Auf der Bühne

entwirrt sich alles und wird einfach, klar, traurig,

sentimental, witzig, spannend, unterhaltend; be-

sorgniserregend wahr und furchtbar deprimierend.

Mehr als drei Stunden dauert der Abend, aber er

vergeht wie ein Traum. Wunderbare Schauspieler

gestalten in klug abstrahierender Regie etwas,

das an Volkstheater grenzt, mit kühnen Mitteln;

sie zeigen das Leben in seinen furchtbaren Verstri-

ckungen. Was aus einer Liebe werden kann.“ (WAZ)

Schauspielhaus, Bochum, 18 Uhr

DI 20 | 12 | 11 – SO 08 | 01 | 12

BODO VERLOSUNG | Circus Flic Flac

Für das Programm „Schrille Nacht, eilige Nacht“

reisen 60 Artisten aus China, Russland, aus den

USA und Kanada, aus

Kolumbien, aber auch

aus Ungarn und Italien

und sogar aus Köln und

Düsseldorf an. Viele

von ihnen sind so ge-

nannte Circus-VIPs; dazu zählen die kolumbiani-

schen Motorradakrobaten im „Globe of Speed", die

todesmutigen Freestyle Springer von „AirFours“

auf ihren Motocross-Maschinen, aber auch der

Schweizer Balance-Schamane Rigolo, die ungari-

schen Breakdancer von der „Sick 7 Crew“ und das

Trapezduo Rose (USA), das schon viele internatio-

nale Zirkus- und Artistik-Preise einheimsen konn-

te. Schräg, schrill und schnell, aber auch festlich,

frech und fröhlich – so soll es werden im neuen

Weihnachtscircus für das Revier. Damit die Feierta-

ge zum furiosen Fest für alle Sinne werden – voller

Leidenschaft und Action, Spannung und Romantik,

Tempo und Nervenkitzel, ziehen die Künstler alle

Register. Ab 20. Dezember heißt es also „Schrille

Nacht, eilige Nacht“ im gelb-schwarzen (wie pas-

send!) FlicFlac-Zelt an der Westfalenhalle (Park-

platz E, Victor-Toyka Straße). Mehr Infos und Fotos

gibt es unter www.flicflac-dortmund.de.

An den Westfalenhallen, Dortmund, 20 Uhr

(Sa, So & Feiertage auch 16 Uhr)

bodo verlost 5 x 2 Karten für den 22.12. 2011.

Teilnahmebedingungen auf Seite 33.

Page 38: bodo Dezember 2011

38

DI 20 | 12 | 11

Musik | Silbermond

Silbermond haben in den vergangenen zehn Jahren

einen beeindruckenden Weg zurückgelegt. Nach

mittlerweile drei Studioalben und über drei Milli-

onen verkauften Tonträgern, den wochenlangen

Nummer 1 Hits „Das Beste“ und „Irgendwas bleibt“

und zahlreichen Auszeichnungen (unter anderem sieben

Mal den ECHO, davon zwei Mal als bester Live Act), zieht

es die Band immer wieder als erstes zurück auf die Büh-

ne. Kennen gelernt haben sich die Mitglieder von Sil-

bermond übrigens 1998 bei dem musikalischen Jugend-

projekt „Ten Sing“ des CVJM in Bautzen in Sachsen. Die

aktuelle Tour steht unter dem Motto „Himmel auf“.

Westfalenhalle 1, Dortmund, 20 Uhr

Kleinkunst | Juckel Henkel

1954 erblickte der Autor Juckel Henke in Bochum das

Licht der Welt. Volksschule, Gymnasium, Abitur, abge-

brochenes Germanistik- und Philosophiestudium. Bis

1971 Amateurfußballer beim VfL Bochum (danach stieg

der Verein direkt in die 1. Fußball-Bundesliga auf). 12

Jahre in diversen Schallplattenfirmen (Einpacker, Auspa-

cker, Importeur, Exporteur, Marketingfritze), anschlie-

ßend für einen Monat als Telefonverkäufer in einer Han-

delsagentur tätig (größter Erfolg: Verkauf von 100.000

Gartenzwergen an einen großen deutschen Discounter).

Autor, Moderator, Röhrenjeansmodel, Kabarettist, Voice-

over-Sprecher und in einer Essener Werbeagentur als All-

zweckwaffe tätig. Aktueller Roman: „Frauen, die nach

Schinken stinken“. Der Eintritt ist frei, moderiert von

dem „Whiskyleser“ Dirk Oltersdorf.

Biercafe, Bochum, 20 Uhr

MI 21 | 12 | 11

Kleinkunst | Jochen Malmsheimer & Tiffany Ensemble

Jochen Malmsheimer „jauchzt und frohlockt“ mal ganz

anders. Zwischen seinen unübertroffenen, bitterbösen

Festgedanken sorgt das fünfköpfige Tiffany-Ensemble,

sozusagen als musikalische Verstärkung und Kontrast

für weihnachtliche Momente. Unter der Leitung von Uwe

Rössler, der auch die Klaviertasten bediente, konnten

die Musiker mit eigenen Arrangements bekannter Stücke

begeistern. Von Mozarts „Türkischer Marsch“ bis zu Karel

Svobodas „Biene Maja“-Thema war sich das Quintett für

keine klassische Neu-Interpretation zu schade.

Saalbau, Witten, 20 Uhr

DO 22 | 12 | 11

Zirkus | Roncallis Winterträume

Seit 35 Jahren begeistert der weltberühmte Circus Roncal-

li die Zuschauer von Moskau bis München, von Stuttgart

bis Sevilla, von Wiesbaden bis Wien. Bernhard Paul, Direk-

tor, Clown und Regisseur gilt nicht umsonst als „Erneuerer

der Circuskunst“ (Die ZEIT). Nun kehrt er nach drei Jah-

ren vom 22. Dezember 2011 bis 01. Januar 2012 mit einer

Weihnachtsshow ins Konzerthaus zurück, die exklusiv für

diesen Ort kreiert wurde. Hochkarätige, internationale

Künstler versprechen ein turbulentes, poetisches und vor

allem vielseitiges Programm, das Körperkunst, Komik und

Artistik zu einem fantastischen Spektakel vereint.

Konzerthaus, DO, 19.30 Uhr (auch 23. & 25. bis 31.12.)

SO 25 | 12 | 11

BODO VERLOSUNG | Chris Hopkins‘ Swinging Christmas

Klären wir erst einmal, wie das hier geht, „schwingen“.

Das Wörterbuch sagt, es handele sich um ein Tu-Wort

und bedeute „weit ausholend hin-

und herbewegen“. Im Weit-Ausholen

ist auch das Wörterbuch gut: 8. Jh.,

das althochdeutsche „swingan“ hieß

soviel wie „schütteln, fliegen, schwe-

ben„ ,im Altsächsischen bedeutete es

„sich schwingen“ oder auch „stürzen“,

und so langsam dämmert einem, dass

es mit Engeln zu tun haben muss, jenen Figuren, die

fliegen schweben stürzen, weil sie Schwingen haben.

Ist es Zufall, dass die Swing Society ihren Blasinstru-

mente-Spezialisten Engelbert Wrobel „Engel“ ruft? Zum

englischen „to swing“ ist es jedenfalls nicht weit, sagt

das Wörterbuch und schenkt uns diesen erstaunlichen

Satz: „Außergermanische Verwandte“ – wir reden vom

Swing – „sind spärlich und unsicher.“ Außer Sängerin

Shaunette Hildabrand, sie ist, sagt Chris Hopkins, „ein-

zigartig“. Er selber nennt sie nur „die Zauberhafte“,

und so langsam haben wir den Zauber von Weihnach-

ten wieder beisammen. Wäre da nicht eine Band, „die

swingen kann wie keine, seit Cyrenius Landpfleger in

Syrien war“. Ein Bochumer, der tausende Konzerte gibt

weltweit und dieses eine nur einmal im Jahr zuhause.

Christuskirche, Bochum, 17 Uhr

bodo verlost 3 x 2 Karten.

Teilnahmebedingungen auf Seite 33.

Theater | Nora oder Ein Puppenheim

Weihnachten steht vor der Tür, und mit der neuen Stelle

des Bankdirektors, die Torvald Helmer zum neuen Jahr

antreten wird, scheinen sich seine Karrierehoffnungen

und alle Träume seiner Frau Nora zu erfüllen. Doch auf

das scheinbare Idyll – er nennt sie sein Eichhörnchen, sie

schmückt den Tannenbaum – fällt ein Schatten. Ibsen gilt

mit seinen fein skizzierten Figuren als Wegbereiter des

naturalistischen Gesellschaftsdramas. „Nora ist ihrem

Mann ,Eichhörnchen‘, ,Lerche‘ und ,Singvögelchen‘. Das ist

bitter und hat zugleich hohes Comedy-Potential. Dieses

arbeitet Kay Voges in seiner Premiere geschickt heraus:

Caroline Hanke und Axel Holst geben das selbstgefällige

Traumpaar Helmer bis ins Slapstickhafte überzogen und

quälend glaubwürdig zugleich.“ (Süddeutsche Zeitung)

Schauspielhaus, Dortmund, 18 Uhr

Party | Cosmotopias Weihnachts Sause

Traditionell befeiert das Cosmotopia Weihnachten mit

einer ausgelassenen Sause. Es wird nicht besinnlich

38 VERANSTALTUNGEN DEZEMBER 2011

18 | 12 | 11 Eisenstein 21 | 12 | 11 Jochen Malmsheimer & Tiffany Ensemble

SCHRAVEN & BURMEISTER | Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander Kielland (Carlsen Comics)

Eine wahre Begebenheit, eine Katastrophe hat hier zwei Comic-Künstler nicht zur Ruhe kommen lassen bzw. inspiriert. 1980 ver-

sank in der Nordsee die norwegische Bohrinsel „Alexander Kielland“. Das Unglück forderte 123 Opfer. David Schraven aus Bottrop,

der eine große Faszination an diesen gigantischen Metalkolossen hegt – typisch „Kind des Ruhrgebiets“ - hat sich überlegt, was

da wohl genau passiert ist und wie es zu dieser Tragödie kommen konnte. Seine Erklärung resultiert aus einer unglücklichen Lie-

besgeschichte inmitten schroffer Menschen und der äußerst rauen Nordsee. Er hat daraus eine stimmige, eher düstere Geschichte

gemacht, die einen am Ende leicht verstört zurücklässt. Äußerst passend hat der Kieler Comiczeichner Vincent Burmeister dazu

seine Bilder gezeichnet, die teilweise über das gesamte Buchformat (60 x 21 cm) reichen. Auch ihn müssen Bohrinseln fasziniert

haben, und natürlich die Nordsee. Fast jedes Bild könnte einzeln in einer Ausstellung hängen und für sich alleine etwas erzählen.

Seine Bilder sind teilweise wie Bühnenbilder oder wie Großaufnahmen aus einem Film – opulent ohne überdosiert zu sein, auf jeden

Fall eindrucksvoll. Man ist zwar nach fünf bis zehn Minuten fertig mit dem Comic, aber Freunde von Kunst in Comics dürften auf

jeden Fall ihre Freude haben. (BvR)

COMIC-TIPP

Page 39: bodo Dezember 2011

39

25 | 12 | 11 Cosmotopias Weihnachts Sause22 | 12 | 11 Roncallis Winterträume

innegehalten, sondern die Korken fliegen und der wil-

de Teppichtanz wird gestartet. „Ladies & Gentlemen!

The unbelievable, the One-man-Dj-show, oft gefordert

und endlich wieder zu Gast: Mr. Psycho Jones“, mit

seiner spektakulären und wilden Wundertüte aus Rare

Grooves, 60s Beats und Gitarren-Krachern. Funktro-

nix, die Dortmunder Queens of Funk & Soul, mit ihrem

Tanzmarathon aus 60s Soul, 70s Funk, Disco & HipHop-

Classics, sind ebenso am Start. Und DJ ECE, die Gypsy-

Guerilla mit ihren schäumenden BalkanBeats, wird

auch noch für erquickliche Groove-Bespaßung sorgen.

Cosmotopia, Dortmund, 22 Uhr

MO 26 | 12 | 11

BODO VERLOSUNG | Total Paranormal Weihnachtsshow

Der zweite Weihnachtstag steht bei „Ekamina“ traditi-

onell im Zeichen von Zauberei und Trashmagie. Bei der

Total Paranormal Weihnachtsspezialshow werden Tan-

nenbäume schweben, Zimt-

sterne verschwinden und die

Zukunft aus Bratäpfeln ge-

lesen. Oder so ähnlich. Das

total fabelhafte Trashmagie

und Zauberkunstquartett

Mario Schulte, Kotelett Schabowski aus Ost-Ostekistan,

Pille der Kartenhai und Magic Mark Weide. Eingeladen

wird dem Anlass entsprechend ein sehr spezieller Special

Guest. Geboten wird eine Show, die mit ebenso erstaun-

lichen Tricks aufwartet wie sie die Lachmuskeln strapa-

ziert. Witzig, verblüffend, ein höchst unterhaltsamer

und spannender Balanceakt zwischen Possen von kalku-

lierter Albernheit und Kunststücken auf Weltniveau. Wer

nicht an das Weihnachtswunder glaubt, der kann sich ja

an den Zaubertricks versuchen.

Sissikingkong, Dortmund, 20 Uhr

bodo verlost 1 x 2 Karten.

Teilnahmebedingungen auf Seite 33.

MI 28 | 12 | 11

BODO VERLOSUNG | A Christmas Carol

Charles Dickens‘ „A Christmas Carol“ ist in vielen Varian-

ten gespielt und verfilmt worden. In dieser Bühnenver-

sion wird der Klassiker „ge-

genwärtig“ präsentiert, mit

unkonventionellen Einfällen

und live gebackenen Weih-

nachtsplätzchen. Ein win-

terwarmer, froh-vergnügli-

cher Theaterabend, der zur Weihnachtszeit Theater und

auch Publikum erwärmt, denn über aller „Modernität“

bleibt die zeitlose literarische Qualität sowie die immer

wieder neu zu stellende Frage nach sozialer Verantwor-

tung und den wahren Werten einer Gesellschaft. „In

einer sehr unterhaltsamen Revue schlüpfen vier Bäcker,

pardon, Schauspieler in sämtliche Rollen des Charles-

Dickens-Klassikers, bieten eine rundherum einladende

Show und vergessen überdies das Backen nicht. Ein wun-

derbarer Abend. Denn die Inszenierung ist so einfach

wie genial.“ (Ruhr Nachrichten)

Theater im Depot, Dortmund, 19 Uhr

(auch 09., 10., 15., 17., 18., 22., 23., 26., 27., 31.12)

bodo verlost 3 x 2 Karten.

Teilnahmebedingungen auf Seite 33.

DO 29 | 12 | 11

Musik | Too Strong meets X-Mas

Ihr meint, ihr hättet genug für dieses Jahr? Ihr denkt

Too Strong zusammen mit Creutzfeld & Jakob und den

Profis aka Mikromachine & Spax live im FZW braucht

kein Mensch? Dann langweilt euch weiter vor eurer Tas-

tatur oder glotzt in die Flatscreen. Alle anderen, die

Bock haben, feiern, wenn es heißt: Too Strong meets

X-Mas. Nach dem ganzen Weihnachtsfreizeitstress mit

Eltern, Oma, Opa, Onkel und Tantchen, Weihnachtsgans

und der ganzen Völlerei, begebt ihr euch einfach ins

neue FZW und schwitzt eure ganzen Schlechtigkeiten

des abgelaufenen Jahres aus.

FZW, Dortmund, 20 Uhr

FR 30 | 12 | 11

Musik | Downliners Sekt

Ein Rauschen, ein Knistern, etwas braut sich zusam-

men. Schabend und langsam bauen sich die Tracks auf,

und dann setzt dieser unglaublich tiefe Bass ein und der

Groove zieht an. Eine körnige Melancholie. Das Duo Down-

liners Sekt kommt aus Barcelona, wo es in Kleinstarbeit

aus rauen Sounds herrlich unangepasste Konstruktionen

baut, die dekonstruktiv sind: Sie zerlegen die endlos

chromglatte Die-Hände-in-die-Höhe-Partyästhetik. Auf

dem „Sonar“, dem größten Festival für elektronische Mu-

sik, haben sie tausende Fans überzeugt. Downliners Sekt

sind ein meditativ-ekstatisches Spektakel. Damit bleibt

sich „urban urtyp“ treu: In ihrem zweiten Jahr macht die

Konzertreihe klar, dass sie keine ist, sondern wirklich das,

was sie von sich behauptet: „immer anders“.

Christuskirche Bochum, 19 Uhr

25 | 12 | 11 Nora oder Ein Puppenheim

Adressen | Bochum (0234)Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg 108, 687 16 10

Christuskirche, An der Christuskirche 1, 338 74 62

Endstation Kino, Wallbaumweg 108, 687 16 20

Eve Bar, Königsallee 15, 333 354 45

Freilichtbühne Wattenscheid, Parkstraße, 61 03-0

HalloDu-Theater, Lothringer Str. 36c, 87 65 6

Jahrhunderthalle, Gahlensche Str. 15, 369 31 00

Kulturhaus Oskar, Oskar-Hoffmann-Straße 25

Kulturrat Bochum, Lothringer Straße 36, 862 012

Museum, Kortumstraße 147, 51 60 00

Mus. Zentrum der RUB, Universitätsstr. 150, 322 28 36

Prinz-Regent-Theater, Prinz-Regent-Str. 50 – 60, 77 11 17

Riff, Konrad-Adenauer-Platz 3, 150 01

RuhrCongress, Stadionring 20, 610 30

Schauspielhaus, Königsallee 15, 333 30

Stadthalle Wattenscheid, Saarlandstraße 40, 610 30

Thealozzi, Pestalozzistraße 21, 175 90

Varieté et Cetera, Herner Straße 299, 130 03

Zauberkasten, Lothringer Straße 36c, 86 62 35

Zeche, Prinz-Regent-Straße 50-60, 977 23 17

Zeche Lothringen, Lothringer Straße 36c, 876 56

Zwischenfall, Alte Bahnhofstraße 214, 28 76 50

Adressen | Dortmund (0231)Auslandsgesellschaft, Steinstraße 48, 838 00 00

Cabaret Queue, Hermannstraße 74, 41 31 46

DASA, Friedrich-Henkel-Weg 1 – 25, 90 71 24 79

Dietrich-Keuning-Haus, Leopoldstr. 50 – 58, 502 51 45

domicil, Hansastraße 7 – 11, 862 90 30

Fletch Bizzel, Humboldtstraße 45, 14 25 25

F.-Henßler-Haus, Geschw.-Scholl-Str. 33 – 37, 502 34 72

FZW, Ritterstraße 20, 17 78 20

Galerie Torhaus, Haupteingang Rombergpark, 50 23 194

Konzerthaus, Brückstraße 21, 22 69 62 00

Museum f. Kunst u. Kulturgesch., Hansastr. 3, 502 55 22

Piano Musiktheater, Lütgendortmunder Str. 43, 604 206

Rasthaus Fink, Nordmarkt 8, 999 876 25

Reinoldikirche, Ostenhellweg 1, 52 37 33

Schauspielhaus, Hiltropwall, 502 55 47

Sissikingkong, Landwehrstraße 17, 728 25 78

Strobels, Strobelallee 50, 999 50 60

Subrosa, Gneisenaustraße 56, 82 08 07

SweetSixteen Kino im Depot, Immermannstr. 29, 910 66 23

Theater im Depot, Immermannstraße 29, 98 21 20

U, Leonie–Reygers-Terrasse, 50 247 23

Westfallenhallen, Rheinlanddamm 200, 120 40

Westfalenpark, An der Buschmühle 3, 35 02 61 00

Zeche Zollern, Grubenweg 5, 696 12 11

Adressen | Herne (02323)Flottmann-Hallen, Flottmannstr. 94, 16 29 52

Mondpalast, Wilhelmstraße 26, 58 89 99

Adressen | Witten (02302)Saalbau, Bergerstraße 25, 581 24 24

Werkstadt, Mannesmannstraße 2, 94 89 40

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Page 40: bodo Dezember 2011

40

40 DAS INTERVIEW | von Volker Macke | Foto: Volker Macke · AWO

20 Jahre Nationale ArmutskonferenzDie gute Lobby – Ein Interview mit Dr. Thomas Beyer

„Eine unbekannte Erfolgsgeschichte“ wird der Nationalen Armutskonferenz attestiert. Als gewichtiger Zusammenschluss hat sie die Bun-desregierung zur regelmäßigem Vorlage eines Armuts- und Reichtumsberichts herausgefordert und sich immer wieder eingemischt in Fragen von Armutsbekämpfung und -prävention. Volker Macke sprach anlässlich ihres 20jährigen Beste-hens mit Thomas Beyer, dem Sprecher der nak.

VM 20 Jahre Nationale Armutskonferenz, eigent-

lich kein Grund zum Feiern, oder?

TB Nein, sicherlich kein Grund zur Freude. Aber

ein wichtiges Signal. Nämlich 20 Jahre Verdeut-

lichung, dass es selbst in so einem reichen Land

wie Deutschland manifeste Armut gibt.

VM Jüngst gingen Meldungen durch die Presse,

Deutschland sei das kinderärmste Land der EU

und zugleich reich an armen Kindern. Kommen-

tatoren großer Zeitungen meinten, Kindern fehle

eher die Unbeschwertheit früherer Zeiten als

materielle Absicherung. Ärgert Sie sowas?

TB In der Tat. Ich erinnere mich noch gut selbst

an solch unbeschwerte Kindertage. Und das wäre

jedem Kind zu wünschen. Ich sehe aber auch,

dass allein in Bayern, einem der reichsten Bun-

desländer, 135.000 Kinder unter 15 Jahren vom

Regelsatz leben müssen.

VM In Niedersachsen rund 180.000.

TB Da ist es doch ein Skandal, wenn relativiert wird,

es gebe diese materielle Armut nicht. Es gibt sie.

VM Der öffentliche Diskurs trennt derzeit gern

zwischen selbstverschuldeter Erwachsenen- und

tragischer Kinderarmut...

TB Selbst die Existenz von Kinderarmut wird von

interessierter Seite ja immer noch viel zu oft

geleugnet. Aber ich gestehe ein, dass im breiten

öffentlichen Diskurs Kinderarmut noch relativ gut

zu thematisieren ist. Das verstellt dann manchmal

den Blick auf andere Facetten, beispielsweise auf

Alleinerziehende, Niedriglöhner und Altersarmut.

Gerade dieser Bereich muss uns viel mehr be-

schäftigen. Unsere Aufgabe als Armutskonferenz

ist, hier die Zusammenhänge aufzuzeigen.

VM Inwiefern?

TB Dass beispielsweise Beschäftigungszuwächse

stark im Bereich der Niedriglöhne, Geringverdiener

und Teilzeitkräfte liegen. Dass sich mit so etwas

langfristig Altersarmut aber verschärfen wird und

eine Besserung so keinesfalls in Sicht kommt.

VM Stichwort Beschäftigungszuwachs: Der

Aufschwung geht an den Langzeitarbeitslosen

immer noch vorbei.

TB In der Tat ist das ein Riesenproblem. Es gibt

kaum Chancen für diesen Kreis von Menschen.

Realität ist ja, dass die Bundesregierung von 2012

bis 2015 insgesamt 26 Milliarden Euro im Bereich

SGB II und III kürzen will. Das trifft vor allem,

die, die Förderung am nötigsten haben. Diese Po-

litik lässt eine ganze Bevölkerungsgruppe bewusst

im Stich. Und das in Zeiten des Aufschwungs.

Stattdessen gibt es dann noch Vorschläge wie

einen zwangsweisen Bundesfreiwilligendienst, um

die Menschen für ein paar Monate aus der SGB-II-

Statistik zu holen. Das ist zynisch.

VM Wäre das bedingungslose Grundeinkommen

eine realistische Alternative zum heutigen Trans-

fergeldsystem?

TB Ich glaube das nicht.

VM Was dann?

TB Der Spruch, dass sozial sei, was Arbeit

schafft, jedenfalls ist falsch. Es muss um

gute, um gut bezahlte Arbeit gehen. Zunächst

brauchen wir kostenlose Bildung für alle, wir

brauchen Berufsausbildungen mit Jobperspekti-

ven, damit die Menschen selbstständig Familien

ernähren können. Wir brauchen zudem mittel-

fristig einen öffentlich gestützten Beschäfti-

gungssektor mit sozialversicherungspflichtigen

Mindestlöhnen.

VM Die soll es in Deutschland aber nicht geben.

TB Die Bundesregierung befindet sich da in

einem aussichtslosen Abwehrkampf. Verhindern

wird sie die Einführung von Mindestlöhnen nicht

mehr. Die gibt es mittlerweile überall in Europa.

VM Europaweit werden derzeit im Zuge der

Finanzkrise allerorten Sparmaßnahmen durch-

gedrückt. In Spanien, Frankreich, Griechenland

und zuletzt in England führt das zu teils sehr

gewaltsamen Protesten. Ist Deutschland in

glücklicherer Position?

TB Man muss immer glücklich sein, wenn es

keine Gewalt gibt, ob von außen oder von innen.

Aber auch die deutsche Gesellschaft wird die

Ungerechtigkeiten, die sich öffnende Schere

zwischen arm und reich, nicht ewig aushalten.

Derzeit sehe ich als Reaktion hierzulande immer

mehr Agonie und Resignation, das zeigt sich

auch in den Wahlbeteiligungen. Dass es keine

Gewalt gibt, macht die Lage selbst ja nicht bes-

ser. Die nak sagt seit 20 Jahren: Armut ist falsch

verteilter Reichtum. Es wird Zeit, dass wir offen

diskutieren, wie man das ändert.

VM Was kann die Armutskonferenz da tun?

TB Einfluss nehmen. Mit inhaltlicher Arbeit in

Arbeitskreisen und Konferenzen, mit Stellung-

nahmen zu Gesetzgebungsverfahren, mit Öffent-

lichkeitsarbeit wie den Veranstaltungen zum

Europäischen Jahr gegen Armut im Jahr 2010...

VM Und mit klassischer Lobbyarbeit?

TB Wenn man unter Lobbyarbeit versteht, dass

wir Anwalt sein wollen, ja. Dann Lobbyarbeit. Wir

sitzen aber nicht hauptberuflich in Berlin und

putzen Klinken von Abgeordnetenbüros, denn

das hier ist Ehrenamt. Und von staatlicher Seite

bekommen wir kaum Geld, wir müssen fast alles

aus Eigenmitteln der Mitgliederverbände finanzie-

ren. Das ist nicht eben üppig. Ministerin von der

Leyen hatte ja leider bisher noch keine Zeit für

uns. Aber ein kürzlich erfolgtes Gespräch mit dem

Staatssekretär hatte zum Inhalt, dass wir mehr

eingebunden werden wollen. Beispielsweise in die

aktuell zu erarbeitende Neufassung des Armuts-

und –Reichtumsberichts der Bundesregierung.

VM Bemerkenswert, dass Sie auf die Einbindung

erst dringen mussten.

TB Ja, immerhin sind in der nak fast alle großen

Wohlfahrts- und Selbsthilfeverbände organisiert.

Ich persönlich besuche in meiner Eigenschaft als

Sprecher der nak jetzt auch verstärkt soziale Ein-

richtungen wie Wärmestuben oder die Bahnhofs-

mission. Ich dachte eigentlich, dass ich mich als

Page 41: bodo Dezember 2011

41

41

AWO-Vorsitzender in Bayern mit den Facetten

von Armut schon gut auskenne, merke aber jetzt,

dass sich Armut so sehr quer durch die Gesell-

schaft zieht, dass dies eines der drängendsten

innenpolitischen Themen überhaupt ist.

VM Ist Sozialpolitik also auch Ordnungspolitik?

TB Vielleicht sogar die wirksamste Ordnungspo-

litik überhaupt. Weil sie so nachhaltig sein kann.

Wir hatten ja mal ein funktionierendes Sozial-

staatsmodell. Leider antworten Kämmerer und

Finanzminister, selbst wenn sie den Zusammen-

hang zwischen Sozialpolitik und Ordnungspolitik

erkannt haben, immer öfter, sie hätten trotzdem

kein Geld.

VM Mitte September organisierte die nak wieder

eine Konferenz für Menschen mit Armutserfah-

rung. Wofür sind diese jährlichen Treffen gut?

TB Wir arbeiten da in Workshops mit den

Menschen ihre Alltagserfahrungen im Umgang

mit Transferleistungen, Wohnungsmarkt oder

Schuldnerberatungen auf. So sieht man sehr

gut, wo es hakt, wo die Hauptprobleme liegen.

Von denen, die von Armut ganz direkt betroffen

sind, zu hören, bedeutet Lebenswirklichkeit

abbilden. Beispielsweise wissen wir, dass nur 15

Prozent der rund 3,15 Millionen überschuldeten

Haushalte in Deutschland derzeit in einer öf-

fentlichen oder gemeinnützigen Schuldnerbera-

tung beraten werden können. Anlaufstellen und

zeitnahe Termine sind Mangelware; die bun-

desweit unterschiedlichen Finanzierungsregeln

spitzen das Problem zu. Kommerzielle Regulie-

rer und Kreditvermittler springen ein und viele

von ihnen nutzen die Not der verschuldeten

Menschen aus.

VM Was wäre zu tun?

TB Armut als beschämende Realität in Deutsch-

land nicht länger tabuisieren – damit die Nati-

onale Armutskonferenz keine weiteren runden

Geburtstage feiern muss.

VM Ihre Vorgänger als nak-Sprecher haben die

Hartz-Gesetze von Gerhard Schröder als intrans-

parent und ungerecht bezeichnet. Sie selbst sind

SPD-Mitglied. Ist es Zeit für eine Distanzierung

von der Agenda 2010?

TB In der Praxis haben wir bereits in einigen

Bereichen eine Abkehr von der Agenda-Politik.

Wir müssen diese kritische Überprüfung fortset-

zen, etwa was die Höhe der Regelsätze oder die

Bezugsdauer des ALG II angeht, um nur einige

Stichpunkte zu nennen.

INFOIn der Nationalen Armuts-

konferenz (nak) sind unter

anderem die Diakonie, die

Caritas, die Arbeiterwohl-

fahrt, der Paritätische,

die Bundesarbeitsgemein-

schaften der Schuldnerbe-

ratungen und Wohnungs-

losenhilfe, sowie Erwerbsloseninitiativen und der

Bundesverband der Tafeln organisiert. In Deutsch-

land leben laut einem Bericht der Vereinten Nationen

vom Juli 2011 dreizehn Prozent der deutschen Bevöl-

kerung, also rund zehn Millionen Menschen, unter der

Armutsgrenze – darunter 2,5 Millionen Kinder. 1,3

Millionen Menschen benötigen trotz Arbeit staatliche

Unterstützung. 450.000 Menschen sind derzeit ohne

Obdach. (Volker Macke)

Dr. Thomas Beyer

Page 42: bodo Dezember 2011

42

Aber was ist neu?

Die Mordserie bestens vernetzter Zwickau-

er Nazis bestimmt seit Wochen die Schlag-

zeilen. Die Opfer wurden unschuldig und

aus rassistischen Motiven zu Opfern. Sie

wurden verhöhnt durch die Täter und ver-

unglimpft durch Ermittlungsbehörden und

Presse („Döner-Morde“). Ein jahrelanges

staatliches Desinteresse an der Aufklärung

ist offensichtlich, eine Tatbeteiligung von

Verfassungsschutzmitarbeitern wahrschein-

lich. Aber was ist neu?

Das Leid der Angehörigen ist unermesslich

und immer einzigartig. Doch: Hier gibt es

keine Einzeltäter und keine Einzigartigkeit

der Taten, hinter ihnen steht keine Patho-

logie und kein neues „Sicherheitsproblem“,

sondern die Exekution eines hundertfach

formulierten Programms: Die Taten wurden

in der Szene gefeiert und schon 2010 besun-

gen („Neun sind nicht genug“). Sie setzen

nur in Konsequenz um, was ideologischer

Kern des Neonazismus ist und mit täglichen

Übergriffen eine Praxis vor dem Mord fin-

det: Der rassistische Hass, die Ideologie des

unwerten Lebens, die zynische Sprache der

Vernichtung eint Tausende europaweit ver-

netzte Neonazis, auch bei uns vor der Haus-

tür, und nicht erst seit letzter Woche.

Ihre Morde – 182 seit 1990 – werden ver-

harmlost und umdeklariert, nur 47 „akzep-

tiert“ die offizielle Zählung. Die Dortmun-

der Morde werden sämtlich herausgehalten

aus der Statistik. Der Mörder des Punks

Thomas Schulz, der Dortmunder Nazi Sven

Kahlin, begeht weiter Überfälle.

Doch neonazistische Gewalt richtet sich

nicht allein gegen vermeintlich Fremde

und gegen politische Gegner: Ein Opfer der

Mordserie ist Polizistin. Noch einmal: Aber

was ist neu?

Im Jahr 2000 tötet der Dortmunder Nazi

Michael Berger drei PolizistInnen und er-

schießt sich selbst. Die Dortmunder Ka-

meradschaft verteilt daraufhin Flyer mit

der Aufschrift „3:1 für Deutschland“. Am

2. September 2011 spielt im Dortmunder

Kreuzviertel die Brechtener Naziband Oi-

doxie, die über PolizistInnen singt: „Am

Tag der Rache / Woll´n wir euch bluten se-

hen“. (bp)

SKOTTS SEITENHIEB

NEWS | von Sebastian Sellhorst42 DER KOMMENTAR | von Bastian Pütter

Paritätischer fordert Plan zur Armutsbekämpfung

Die Armut in Deutschland ist

erneut auf Rekordniveau. Die

im Herbst veröffentlichen Zah-

len des Bundesamtes für Statis-

tik besagen, dass jeder sechste

Deutsche in Armut lebt. Der Pari-

tätische fordert von der Bundes-

regierung einen belastbaren Plan

zur Armutsbekämpfung.

„Nicht nur die Armut in Deutsch-

land hat Rekordniveau erreicht,

sondern auch der Reichtum hat

trotz aller Krisen stetig zuge-

nommen. Wenn dieser eklatanten

Ungleichheit kein Ende bereitet

wird, droht unsere Gesellschaft

zu kollabieren", warnt Ulrich

Schneider, Hauptgeschäftsführer

des Paritätischen. Die Bundesre-

gierung habe mit ihren bisherigen

Maßnahmen die gesellschaftliche

Spaltung noch beschleunigt. Der

Paritätische fordert die Bundes-

regierung auf, von der geplanten

Instrumentenreform Abstand zu

nehmen, die Hartz IV-Regelsätze

auf eine bedarfsgerechte Höhe

anzuheben, das Bildungs- und

Teilhabepaket durch eine echte

Bildungsoffensive für unterpri-

vilegierte Kinder zu ersetzen und

das Rentensystem armutsfest zu

machen.

Bildungsstreik in Dortmund und Bochum

Dem Aufruf der Initiative „Bil-

dungsstreik“ sind sowohl in

Dortmund als auch in Bochum

zahlreiche Schüler und Schülerin-

nen gefolgt. Am 17.11. demons-

trierten in den beiden Städten

insgesamt über 1600 Schüler

und Studenten für bessere Un-

terichtsbedingungen an Schulen,

gegen das „Turboabitur“ in acht

Jahren und Zugangsbeschränkun-

gen zu immer mehr Studiengän-

gen durch einen Numerus Clau-

sus. „Wir fordern, dass so viele

Kapazitäten geschaffen werden,

bis alle Zulassungsbeschränkun-

gen an den Unis aufgehoben wer-

den“, so Finn Siebert, Mitglied

des Bildungsstreikbündnisses.

Die Finanzierung des Bildungs-

systems und der chronische Geld-

mangel an den Hochschulen wa-

ren ebenfalls Inhalt der Proteste.

„Wir wollen nicht, dass Milliarden

von öffentlichen Geldern für

die Bankenrettung ausgegeben

werden. Für die Krise sollen die

zahlen, die sie verursacht haben,

dann ist auch mehr als genug für

ein gutes Bildungssystem da“,

so Tom Bühler, stellvertretender

Vorsitzender der Bezirksschüler-

vertretung Dortmund.

Zweiter Druckraum für Dortmund gefordert

Ordnungsamtsleiter Ingo Mol-

denhauer fordert einen zwei-

ten „Druckraum“ für Dortmund.

31.300 Konsumvorgänge gab es

im vergangenen Jahr im Konsum-

raum Kick. „Das sind über 30.000

Spritzen, die nicht auf der Straße

und auch nicht auf Spielplätzen

lagen“, stellt Moldenhauer fest

und betont damit die Wichtig-

keit eines solchen Raumes. FDP/

Bürgerliste, CDU und die Grünen

stehen einem weiteren Druck-

raum postitiv gegenüber und

fordern die Verwaltung auf, die

Einführung eines mobilen Kon-

sumraums, wie er in Berlin zum

Einsatz kommt, zu prüfen. Dort

sind zwei Wohnwagen unterwegs,

in denen suchtkranke Menschen

unter Aufsicht eines Arztes Dro-

gen konsumieren können und

ihnen Beratunggespräche ange-

boten werden. Der Vorteil dieses

Modells liege in seiner Mobilität,

da die Wohnwagen immer dort

eingesetzt werden können, wo

sich sie Szene sammle. Noch im

letzten Jahr hatte die Dortmun-

der SPD den Rücktritt von Ord-

nungsdezernent Steitz gefordert,

als der sich für einen zweiten

Druckraum einsetzte.

Page 43: bodo Dezember 2011

43

ANZE

IGEN

Das Diakonische Werk Dortmund und Lünen grün-det einen Chor und eine Band, in denen musika-lisch Interessierte gemeinsam mit Wohnungslo-sen und Suchtkranken musizieren.

Nach dem Vorbild des Berliner Straßenchores, der seit

zwei Jahren in der Hauptstadt existiert, wird jetzt in

Dortmund ein neues Projekt in Angriff genommen.

„Wohnungslose und Suchtkranke musizieren gemein-

sam mit Menschen, die nicht beeinträchtigt sind“, for-

muliert Hartwig Sabacinski, Leiter des Ludwig-Steil-

Hauses die Projektidee. Erste Erfahrungen mit einem

kleinen Chor aus Bewohnern der Einrichtung für chro-

nisch Suchtkranke im Defdahl gibt es bereits. „Es ist

toll, die Begeisterung zu sehen, wenn sie die eigene

Stimme wahrnehmen“, beschreibt Sabacinski.

Durch das gemeinsame Musizieren sollen die Betroffe-

nen wieder einen Sinn im Leben finden, die regelmäßi-

gen Proben sollen helfen, Struktur und Regelmäßigkeit

zu schaffen. Auch das Gefühl, in einer Gemeinschaft

mitzumachen, in der man wahrgenommen und nicht

abgelehnt wird, ist ein wichtiger Aspekt für die Teil-

nehmer. Später sind auch kleine Auftritte bei Veran-

staltungen der Diakonie geplant, etwa bei Jubiläen

und Sommerfesten. Damit sollen die Beteiligten Be-

stätigung erfahren und das Erlebnis, gehört zu werden.

Für die Leitung des Chores konnte Jürgen Klein-

schmidt gewonnen werden, bekannt als Leiter des

Chors „Cantastrophe“. „Wir brauchen einen Chorlei-

ter, der nicht nur musikalisch führt sondern auch

ein Gespür für die Gruppe hat, die Menschen zusam-

menführt und wahrnimmt, wenn es Dinge zu regeln

gibt.“ Kleinschmidt, selbst hauptberuflich Sozialar-

beiter, ist dafür genau der Richtige.

Einen Namen hat der Chor noch nicht, den sollen

die Beteiligten selbst entwickeln. Nach der Auftakt-

veranstaltung, die Ende November stattfand, sind

zunächst 14-tägige Proben geplant. Interessenten

sind willkommen. Auch mit den Planungen für die

Band kommt man voran. Hierfür hat Sabacinski mit

dem Nordstadtmusiker Boris Gott bereits einen pro-

minenten Bandleader gefunden. (biru)

INFO Hartwig Sabacinski | Tel. 0231 – 55 776-13

Wohnungslose und Suchtkranke musikalisch integrieren

43SOZIALE INITIATIVEN | von Dr. Birgit Rumpel | Foto: Claudia Siekarski

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44

44

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RÄTSEL

Rätsel-Lösung: BOGEN | Weihnachtsmann-Lösung: Nummer sechs und Nummer sieben sind das gesuchte Zwillingspaar.

Diese neun Weihnachtmänner unterscheiden sich alle durch ein kleines Detail. Zwei jedoch gleichen sich aufs Haar. Findest Du das Zwillingspaar?

Page 45: bodo Dezember 2011

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Mit einem Sack voller Geschenke streift der Nikolaus durchs Land. Doch auch dem guten Mann ist der Fehlerteufel auf den Fersen. Im rechten Bild hat er wieder einmal 10 Unterschiede eingeschmuggelt. Kannst Du sie finden?

ESELSOHR | von Volker Dornemann

Fehlersuchbild – Lösung:

1) fehlender Schornstein am Haus

links, 2) fehlende Pfote beim Ha-

sen, 3) Nikos Gürtelschnalle, 4)

Reißverschluss an Nikos Mantel, 5)

eine Fußspur fehlt, 6) Flicken auf

Nikos Sack, 7) Nikos Ohr fehlt, 8)

fehlender Mützenbommel, 9) Fens-

ter im 2. Haus von rechts fehlt, 10)

ein Stern ist weg.

Weihnachtskekse – Lösung:

Es ist der Butterkeks mit der roten

Marmelade in der Mitte. Er taucht

im Bild fünfmal auf.

45

Oma hat zu Weihnachten jede Menge Kekse gebacken.

Selbst mag sie am liebsten den Keks ohne Loch, ohne Schokolade und ohne Zuckerstreusel.

Welcher Keks ist es und wie oft ist er auf dem Bild zu sehen?

Page 46: bodo Dezember 2011

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In einem unauffälligen zweigeschossigen Flachbau in Hombruch „versteckt“ sich eine der spannenden kulinarischen Neueröffnun-gen der Region. Die erste Überraschung: Wer „Die Küche“ betritt, steht in der Küche. Blickfang gleich am Eingang ist die offene Showküche, statt vom Servicepersonal wird der Gast von Küchenchef Alexander Erdmann begrüßt, der sich im wahrsten Sinne in die Töpfe gucken lässt.

Gastronomie erarbeitetes Können und ein indi-

viduelles Eingehen auf den Gast. Eine moderne

Küche mit alten Rezepten: Das Schönste, was

ihre Gerichte auslösen, sei eine Erinnerung an

die Kindheit, sagt Lukas.

Die Karte ist überschaubar – „Mehr als zehn Ge-

richte braucht man nicht“, sagt Lukas resolut.

Außerdem sei fast jeder Sonderwunsch möglich.

Das jeweilige Marktangebot bringt Abwechslung

auf die Wandtafel. Und die Preise sind mode-

rat. Der wechselnde Mittagstisch beginnt bei

vier Euro, nur die Gänsekeule liegt in dieser

Woche über der Zehn-Euro-Grenze. Das teuerste

Gericht auf der Abendkarte ist ein Rinderfilet

mit Pfeffersauce, Bratkartoffeln und Salat für

scharf kalkulierte 19,50 Euro. Eine weitere Emp-

fehlung: Zanderfilet auf Rahmkraut mit Salzkar-

toffeln für 16 Euro.

Wer die Treppe ins Obergeschoss hinaufgeht,

wird ein zweites Mal überrascht. Ein gar nicht

großer Gastraum, dominiert von einer hineinra-

genden Bar, dunkles Holz und gedeckte Braun-

und Grautöne, indirektes Licht: schick und ge-

mütlich. „Das ist hier unser Baby. Wir haben von

der Grundsanierung an alles selbst gemacht. Es

ist so geworden, wie es sollte – und es funkti-

oniert.“

Der Weg dahin war nicht einfach. Beide haben

bei großen Namen gelernt und gearbeitet – das

„Dieckmann‘s“ oder die „Dimberger Glocke“ wer-

den die Dortmunder kennen – wurden aber nicht

glücklich mit der fehlenden Freiheit und dem

Gefühl, eigentlich mehr zu können. „So gesehen

haben wir 14 Jahre lang Ideen gesammelt“, sagt

Lukas. „Und hier können wir sie endlich umset-

zen, hier sind wir Gastgeber. Und wenn wir wol-

len, machen wir jeden Tag etwas anders.“

Zum Beispiel ein Vier-Gänge-Menü als Kochkurs,

das jetzt monatlich angeboten wird, oder die ei-

gene Feinkostabteilung mit Alexander Erdmanns

einzigartiger Vinaigrette zum Mitnehmen.

Nach sechs Wochen ist bereits klar: Diese neue

Ess-Klasse wird angenommen. Die 25 Plätze im

ersten Stock können auf 35 erweitert werden, um

niemanden abzuweisen. „Die Hombrucher sind

wirklich ein freundliches und aufgeschlossenes

Publikum. Wenn es mal voll wird und neue Gäste

kommen, wechseln andere, die schon gegessen

haben, von sich aus an die Bar, um Platz zu ma-

chen. Jeden Abend gibt es Unterhaltungen über

die Tische hinweg. Das ist toll, so haben wir uns

das vorgestellt.“ (bp)

bodo verlost ein Vier-Gänge-Menü „all inclusi-ve“ für 2 Personen! (siehe S.33).

Die Küche – neue (Ess-)KlasseHarkortstraße 16 | 44552 Dortmund

Tel. 0231 – 968 398 21

www.die-kueche-neue-ess-klasse-dortmund.de

Mo. bis Sa. 11.30 – 24.00 Uhr

Küche bis 22.30 Uhr

Tradition modern in Hombruch

Die Küche – neue (Ess-)Klasse | Dortmund

46 BODO GEHT AUS | von Bastian Pütter | Fotos: Claudia Siekarski

Keine Fritteuse, keine Mikrowelle, stattdessen

nur Gasherd und -ofen und -grill – hier kann nur

frisch gekocht werden. „Der Gast bekommt Einblick

in alle Prozesse, wir verstecken nichts“, sagt Lu-

kas Tarabczynski, Barchef und zweite Hälfte des

Esskultur-Duos. Grinsend fügt er hinzu: „Mittags

stehen manchmal vier Kinder hier und schauen

Alexander auf die Finger. Das muss man als Koch

schon wollen. Aber das ist ja das Konzept: Es geht

um die Küche.“

Und um was für eine? Da wird Lukas ernst: „Es

gibt einfach keinen geraden Stil mehr. Alle ver-

suchen alles. Die Rezepte werden vermischt und

verfälscht, überall ist ,mediterranes Flair‘ dabei.“

Alexander und Lukas hingegen sind Puristen: Ihr

Ausgangspunkt ist die traditionelle deutsche Kü-

che. Der Rest sind beste Zutaten, in der gehobenen

Page 47: bodo Dezember 2011

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CARTOON | Idee und Zeichnung: Volker Dornemann

47LESERSEITE

bodo dankt: Sparkasse Bochum

Dr. Josef Balzer, Alexander Barbian-Steinfort, Micha-

el Buddenberg, Helmut Buscha, Christian Chammings,

Angelika Engelberg, Paul Engelen, Fabian Fluhme, Rolf

Geers, Matthias Grigo, Grünbau GmbH, Britta Rich-

ter, Manfred Kater, Almuth Keller, Jutta Kemper, Hel-

ga Koester-Wais, Birgit Kuehn, Otfried Ladwig, Nicola

Steinstrass, Wulfhild Tank, Felix Zulechner, Ingeborg

Schumacher, Brigitte Sonntag, Gabriele Steinbrecher,

Gabriela Schaefer, Hermann Schroeder, Christoph Ro-

eper, Susanne Mildner, Barbara Meyer, Ute Michler,

Ludwig Seitz, Bärbel Bals, Kerstin Bals, Karl Bonbardt,

Das Grafikhaus/O. Schäfer, Ralf Finke, Michael Stange,

Nicole Goralski, Jörg Gruda, Erika Janssen, Marlis Lange,

Arne Malmsheimer, Wolfgang Neuhaus, Ursula Remer,

Daniela Schmitz, Nadja Schramm, Rainer Stücker, Tho-

mas Terbeck, Linda Wotzlaw, Heinz Schildheuer, Thomas

Schröder, Snezka Barle, Ute Börner, Bernd Ewers, Regina

Höbel, Sandra und Friedrich Laker, Heike Pannitz, Frank

Siewert, Ilona Zarnowski, Rainer Biel, Udo Bormann, R.

Dammer, Anita Diehn-Driessler, Christine Ferreau, Udo

Greif, Rüdiger Haag, Elsbeth Heiart, Astrid Kaspar, An-

nette Krtizler, Ursula Machatschek, Lieselotte Markgraf,

Thorsten Matern, Jutta Meklenborg, Marlies und Eber-

hard Piclum, Sandra Rettemeyer, Inge Schaub, Dorothea

Bomnüter, Petra Bloch, Ina und Arno Georg, Edith Link,

Annemarie Meiling, Christain Scheer, Roswitha Wolf, Ul-

rike Bornemann, Hans-Georg Schwinn, Isabell Bikowski-

Gauchel, Peter Buning, A. und M. Dietz, Klaus-M. Kin-

zel, Annegret Malessa, Else Stockert, Christine Weber,

Monika Bender, Petra Bender, Eberhard Garburg, Jutta

Haring, Lieselotte Koch, Katrin Lichtenstein, Ulrike Mär-

kel, Gerd Pelzer, Renate Krökel, Klaus Kwetkat, Stefan

Meyer, Carsten klink, Thomas Olschowny, Daniela Gerull,

Dieter Schibilski, Martin Scholz, Karl-Heinz Schwieger,

Barbara Bokel, Sandra Wortmann, Annabell Preusler, Bir-

gitt Kuhlmann, Dieter Zawodniak, Elisabeth Heymann-

Roeder, Friederike Jansen, Dirk Schmiedeskamp, Sebas-

tian Poschadel, Sabine Raddatz, Petra Danielsen-Hardt,

Charlotte Steinke, Silke Harborth, Timo Zimmermann,

Martin Botteck, Thomas Scholle, Hildegard Reinitz, Dolf

Mehring, Renate Schmidt, Ute Soth-Dykgers, Dorothee

Pischke, Annette Düe, Armin Rau, Oliver Stiller, Caritas

Konferenz St. Johannes Baptist, Erika Maletz, Prof. Dr.

Klaus-Martin Melze, Volker Schaika, Elsemarie Bork,

Peter Lasslop, Christina Kolivopoulos, Jutta und Wido

Wagner, Marianne Linnenbank, Klara Lehmann, Petra

Vossebürger^, Hueber Verlag, Franzis Verlag, Gräfe und

Unzer Verlag, Hädecke, Verlag freies Geistesleben, AT,

Kosmos, Goldmann/Mosaik, List, Südwest, Compact Via,

Heel, Hallwag, DK, Edition Wurzer & Villigst, Urach-

haus, Hirzel, Stiftung Warentest, Vegane Gesellschaft

Deutschland, Christian Vagedes

Ein Gedicht von Renate Küppers

Wieder naht die Weihnachtszeit, | wieder brennen Kerzen.

Spendenaufruf bundesweit | öffnet nicht nur Herzen.

Kinderaugen traurig, groß, | jede Spende zählt,

weisen auf ihr schweres Los | in der dritten Welt.

Und seh’n wir uns einmal um | in der eig’nen Welt,

Armut auch um uns herum | jede Hilfe zählt.

Wärmestuben in den Städten | schützen, lindern Not,

helfen mancherorts zu retten | die vom Tod bedroht.

Wieder naht die Weihnachtszeit, | wieder brennen Kerzen,

bringen sie mit ihrem Licht | Wärme in die Herzen?

LESERBRIEFE

Liebe bodo-Redaktion,

da ich schon seit Jahren ein sehr begeisterter und interes-

sierter bodo-Leser bin, möchte ich nun auch einmal an eurer

Verlosung teilnehmen. Ein weiterer Grund ist euer Bericht

über das Rottstr5 Theater. Womit sich die Frage nach mei-

nem Wunschgewinn wohl auch beantwortet hat.

Macht bitte weiter so wie bisher und lasst nicht nach. Die

Arbeit die Ihr leistet ist sehr gut und noch wichtiger für

unsere Gesellschaft und für jeden einzelnen Menschen.

Mit freundlichen Grüßen, Ralf Braun

Liebes Bodo Redaktionsteam,

Ihr seid auch diesen Monat wieder gut gewesen. Bin überhaupt

fast nie enttäuscht von Eurer Zeitung und dabei lese ich fast

jeden Artikel. Die bodo liegt halt immer bei mir ‘rum und ich

schnappe sie mir zwischendurch um ein Stück weiter zu lesen.

Also macht bitte in Eurem unverwechselbaren Stil weiter. Mit

der perfekten Mischung von sozialer Aufklärung unter empathi-

scher Hinwendung zur ehrlichen Berichterstattung und mit der

umfassenden Monatsinformation des Kulturangebotes aus dem

Revier bleibt Euer Magazin immer weiter interessant.

Eine sehr begeisterte treue Leserin, Gabriele Legat

Schreiben Sie uns Ihre Meinung!

bodo e.V. | Postfach 100543 | 44005 Dortmund

oder eMail an: [email protected]

Ein bodo-Büchertresen, wie er bis jetzt nur in der Bochumer Ausgabestelle zu finden war, steht jetzt auch in der Buchhandlung

Seitenreich in Dortmund Huckarde. Wir wünschen den beiden Geschäftsführerinnen Claudia Rohmann und Sabine Kurmann viele

gute Geschäfte über diesen und freuen uns, 2012 noch weitere spannende Möbel aus alten Büchern zu entwickeln.

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