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III Die Geologische Vereinigung verlieh im Jahre 1988 die Gustav-Steinmann-Medaille am Professor Dr. Ihsan Ketin ..... Ihsan Ketin, 1914 in Kayseri geboren, war von 1953 bis 1983 ordentlicher Professor far Allgemeine Geologie an der Technischen Universit~it in Istanbul, ein sehr exakt und unermiidlich arbeitender, allzeit hilfsbereiter Geologe. Sein wissenschaftliches Werk umfaflt meisterhafte Beitr~ige zur Tektonischen Grundlagenforschung, zur Regionalen Geologie der Tiirkei und zur Entwicklung der Erdwissenschaften in seinem Land. Dafiir wurde er mit den h6chsten Ehrun- gender tiirkischen Geologen und Naturwissenschaft- let ausgezeichnet. Er gilt heute als einer der groi~en Lehrer und Ratgeber der geologischen Wissenschaften in der Tiirkei. Wit stellen also fest, dat~ wit in seiner Person den Nestor und unbestrittenen Fiihrer aller tiirkischen Geowissenschaftler hier in Jiilich ehren. Mit Ihsan Ketin entbieten wit auch seinen Kollegen und Schiilern, die heute an den Hochschulen zwischen Izmir und Trabzon lehren, die fiir die Geologische Staatsanstalt MTA nach Energietr~igern und Rohstof- fen suchen oder in privaten Firmen fiir das Wohl ihres

Professor Dr. Ihsan Ketin

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Die Geologische Vereinigung verlieh im Jahre 1988

die Gustav-Steinmann-Medaille

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Professor Dr. Ihsan Ketin

..... Ihsan Ketin, 1914 in Kayseri geboren, war von 1953 bis 1983 ordentlicher Professor far Allgemeine Geologie an der Technischen Universit~it in Istanbul, ein sehr exakt und unermiidlich arbeitender, allzeit hilfsbereiter Geologe. Sein wissenschaftliches Werk umfaflt meisterhafte Beitr~ige zur Tektonischen Grundlagenforschung, zur Regionalen Geologie der Tiirkei und zur Entwicklung der Erdwissenschaften in seinem Land. Dafiir wurde er mit den h6chsten Ehrun- gender tiirkischen Geologen und Naturwissenschaft-

let ausgezeichnet. Er gilt heute als einer der groi~en Lehrer und Ratgeber der geologischen Wissenschaften in der Tiirkei. Wit stellen also fest, dat~ wit in seiner Person den Nestor und unbestrittenen Fiihrer aller tiirkischen Geowissenschaftler hier in Jiilich ehren. Mit Ihsan Ketin entbieten wit auch seinen Kollegen und Schiilern, die heute an den Hochschulen zwischen Izmir und Trabzon lehren, die fiir die Geologische Staatsanstalt MTA nach Energietr~igern und Rohstof- fen suchen oder in privaten Firmen fiir das Wohl ihres

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Landes arbeiten, unsere Hochachtung far ihren wis- senschaftlichen Elan nnd ihre Beitr~ige zur internatio- nalen Forschung.

Ihsan Ketin ragt heraus, well er der erste war, der 1948 in unserer Geologischen Rundschau das Nor& anatolische Lineament mit seinen sich gegen Westen fortpflanzenden katastrophalen Erdbeben als eine ak- tive, rechtssinnige Horizontalverschiebung erkannt und sie geologisch sinnvoll gedeutet hat. Seit jenem Aufsatz in unserer internationalen, das heif~t bewugt mehrsprachig gegriindeten Rundschau, haben sich mit Ihsan Ketin viele tiirkische Geophysiker und Geolo- gen und namhafte internationale Teams, immer wie- dermit der Nordanatolischen Bebenlinie befai~t, be- fassen miissen. Denn die Unruhe in der Erdkruste, Angst und Schrecken in den anatolischen D6rfern, Erdbebenvorhersage und Katastrophenschutz, sie for- derten die neutektonischen Deuter und Experten.

So wurde das Nordanatolische Lineament neben der beriihmten San-Andreas-Fault zu einem der klassi- schen Paradebeispiele moderner Intraplatten-Tekto- nik, bei denen spr6de Schollen oder Terrane lateral und l~ings zum Gebirgsbau verschoben wurden und werden. Wenn nut die vielen Bewegungspfeile in den spekulativen Cartoons der globalen Seher so sicher belegt w~iren, wie in diesen beiden F~illen, die Ihsan Ketin im Gel~inde in Kleinasien und in Amerika stu- diert hat. Und wenn doch die zeitliche Entwicklung und die Verschiebungsbetr~ige so klar festgestellt und nachgewiesen wiirden wie bei ihm und seinen Schii- lern.

Das Nordanatolische Lineament l~iuft nach Westen zu aus in das Schollenmosaik des Marmarameeres und der Ag~iis. Die eigentiimlichen Strukturen der neoge- hen Becken, die sich in Thrazien und in Bythinien iiber den Kippschollen der rigiden Kruste eingesenkt haben, wurden yon Ihsan Ketin seit 1970 aufgegriffen und re- gional-tektonisch interpretiert. Sie vermitteln zwi- schen dem Senkungsfeld der Ag~iis und den inter- montanen Molassebecken Zentral- und Ostanatoliens, unter ihnen dem grof~en Tuz-G~51h-Trog. Vor allem er- kannte er hier die Rolle yon Nord-Siid-Verwerfungen, also Scherzonen des Nordanatolischen Lineaments, an denen die mit vulkanoklastischen und evaporitisch-la- kustrinen Sedimenten gefhllten Becken eingebrochen sind. Hier gebiihrt Sengh6r das Verdienst, eine interes- sante geodynamische Synthese der tektonisch-sedi- ment~iren Strukturen weiterentwikkelt zu haben: Ei- gentiimliche, um vertikale Axen rotierte Pull- Apart-Basins. Damit stehen wir mitten in der Entwick- lung sediment~irer Becken, dem faszinierenden Rah- menthema dieser Tagung. Zu diesem Thema hat Ihsan Ketin mit seinen regional-tektonischen Studien struk- turelle Rahmenbedingungen abgesteckt.

Die ~ilteren Krustenstrukturen unter den jungen Becken sind verdeckt und tiefgriindig zerstiickelt, so dag es nicht leicht f~illt, die Leitlinien zu erkennen. Hier galt es, durch ausgedehnte Kartierungen die Ge- steinsverb~inde und die Gebirgszusammenh?inge zu er- griinden. An dieser Basisarbeit waren Ihsan Ketin und seine Schiiler mat~gebend beteiligt, in Zusammenarbeit mit dem MTA und der Staatlichen Erd61gesellschaft. Man sollte an dieser Stelle auch die Mitwirkung vieler ausl~indischer Kollegen und Arbeitsgruppen er- w~ihnen, die in Ketin immer einen Diskussionsparmer und Fiirsprecher hatten.

Der Gebirgsbau Anatoliens, wie er sich in den plat- tentektonischen Synthesen heute darstellt, wurde in friiheren Arbeiten Ihsan Ketins in Umrissen vorge- zeichnet: Als ein sukzessiv yon S her angegliedertes Schollenmosaik aus driftenden Mikroplatten. Es ist wenig iibrig geblieben yore zweiseitigen Orogen Ko- bers und Stilles mit den starren Zwischengebirgen, den Scheiteln, Narben und jenen f~icherf6rmigen Gebirgs- zonen, die als ,,-idem~ yon Wien und Berlin aus dekre- tiert worden sind. Vor allem zeigte es sich, dag in den Zwischenmassiven jiingere Strukturen und Mobilisate stecken.

Wie modern und wie unbefangen nehmen sich dem- gegeniiber die Schemata aus, mit denen Ihsan Ketin und seine jiingeren Freunde, auf der Basis einer nun fl~i- chendeckenden Kartierung des Landes, die geotekto- nische Gliederung der Tiirkei in die internationalen Ubersichtskarten eingepat~t haben. Dazu, und zu den bestimmt noch nicht abgeschlossenen Auseinander- setzungen mit problematischen Suturzonen, Ophio- lith-Giirteln, chaotischen Breccien und einem nicht minder r~itselhaften Deckenbau, hat sich Ihsan Ketin immer wieder -- m~it~igend und stimulierend zugleich - - zu Wort gemeldet. Er hat dabei internationale Re- sonanz gefunden, wie sich in der Ehrenmitgliedschaft der Geological Society of London, Gastprofessuren in Amerika und einem regen internationalen Austausch zeigt.

Die spektakul~ire Erdbebenlinie, die sie flankie- renden Sedimentbecken und die Plattentektonische Synthese des anatolischen Gebirges sind nur einige Marksteine an der ergebnisreichen Wegstrecke eines herausragenden und liebenswiirdigen Geologen. Der Weg begann vor 50 Jahren, als ein Hans Cloos pers6n- lich besonders nahestehender Schiiler, Ihsan Ketin, 1938 in Bonn ,,iiber die Tektonik und den Vulkanis- mus der Gegend yon Bad Bertrich im Rheinischen Schiefergebirge,, promovierte. Es w~ire eine Laudatio fhr sich, die Aufstiegsbahnen der quartiiren Vulkan- schmelzen durch das varistische Schiefergebirge mit den sp~iteren Forschungen und der originellen Ar- beitsweise Ihsan Ketins in Anatolien zu vergleichen.

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Ihsan All hat jedenfalls den Wahlspruch tiber dem Portal des Geologischen Instituts in der Nuf~alle Bonn - - ,Mente et Malleo<, -- immer vor Augen. Es begleitet ihn das Vorbild und die Stimme seines Meisters. Er ist gut ausgeriistet mit einem Geftigekompat~ (einem der vielen Hans Cloos-Kompasse in aller Welt!), mit Melt- band und Zeichenblock, um Beobachtungen sehr ge- nau aufzuzeichnen. So durchforscht und registrierte er nun die jungen Bruchstrukturen und die alten Erddih- te Anatoliens, hoch tiber dem im Erdmantel ver- schwundenen Ozeanboden der einstigen Tethys. Ist das nicht eine abenteuerliche Vorstellung, yon der we- der Steinmann noch Cloos je getr~iumt hiitten, als All seinerzeit nach Bonn kam.

Von den lieblichen pontischen Gestaden bis in die wilden Schluchten des Taurus-Gebirges, yon der licht- durchfluteten fi, g~iis bis zum legendiiren Vulkanberg des Ararat fiihren die Gebirgspfade und Salzpisten Ih- san Ketins, die er gegangen und gefahren ist. Im Zuge der wissenschaftlichen Expansion und der globalen

Mobilit~it wurden sie dank seiner Unterstiitzung zu of_ fenen Straiten ftir Gastforscher aus vielen L~indern und zu immer breiteren Geotraversen der internationalen Lithosphiirenforschung.

Geologisch betrachtet ist also das Anatolien Ihsan Ketins gewisserma~en wie eine grot~e Gustav Stein- mann-Medaille, die nicht er, die vielmehr ihn tr~igt. Auf ihrer Palette p~isentiert sich jene beriihmte ,,Stein- mann-Trilogie,, aller Gebirge besonders pr~ichtig: 1. Ophiolith, 2. Radiolarit, 3. Flysch. Mit seinen neo-tek- tonischen und regionalgeologischen Arbeiten steht Ihsan Ketin in der Tradition yon Gustav Steinmann und yon Hans Cloos. Ketins Arbeiten dokumentieren die methodische Weiterentwicklung der geologischen Wissenschaften in ihrer internationalen Breite und Vielfalt, der sich die Geologische Vereinigung seit ihrer Griindung verschrieben hat .....

Paul Wurster