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Beitrag zum Krankheitsbild der Coxa valga

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Page 1: Beitrag zum Krankheitsbild der Coxa valga

(Aus der Chirurgischen Universits GS~tingen. [Direktor: Prof. Stich, z. Zt. im Fc]de; stellvertretender Direktor: Oberarzt Prof. Fromme.])

Beitrag zum Krankheitsbild der Coxa valga').

Vt)n

Dr. Walter Koennecke-Gottingen. Ass ia t en t de r l~linik.

)lit 3 AbbiIdungen im Text und I Tafel.

(Eingegangen am 10. MSrz 1918.)

Meine Herren! Ich mSchte I h n e n ein Krankhei t sb i ld vorffihren, das ziemlich selten und wenig bekarmt ist, und yon dcm ich einen gleich schweren Fall in der Li te ra tur nicht gefunden habe.

K r a n k e n g e s c h i c h t e : C a r l B., 19 J a h r e , S c h u h m a c h e r . Anamnese : Pat. hat als klcines Kind englische Kmnkheit gehabt und erst mit

vier J~hren b~ufen gelcrnt. Dann will er zwar schws gewesen sein, konnte aber laufcn und gehen wic andere Kinder auch, er hat an Turn- und Jugendspielen teilgenommen und nie gehinkt.

Vor einem Jahr muBte er gelegentlich einer tJbung der Jugendwehr zwei Stunden ohne Unterbreehung angestreng~ lau/en. Am folgendcn Tage kormte er nicht mehr ordent- lich gchen, da er Schmerzen in den Knien hatte. Diese Schmerzen blieben in der Folge- zeit bestcheu, ohne dab sie aber damals schon zum Hinken gen6tigt h~tten. Erst 1/2 Jahr sp/~tcr begann er zu hinken, weil er beim Gehen keinen ttalt mehr in den Knien gehabt babe. Auch stelltca sich jetzt Schmerzen im Kreuz ein.

Skit dem 15. Lebensjahr ist Pat. als Schuhmacher t.~tig. Die Arbeit wurde moist im Sitzen ausgefiihrt.

Beschwerden: Pat. ~agt jetzt dariiber, dab er ,,beim Gehen die Beine ificht mit- bekommen kSnne", dab er sich dabei unsicher fiihle und nur schlecht vorw/J, rts komme. Er miisse bcim Gehen einen Stock beniitzen. Trcppensteigen sei ibm besonders besehwer- lich, er miisse sich am Gel~nder emporziehen. Ferner babe er heftige Schmerzen in den Kuien und im Kreuz, so dab er nur kurze Wegstrecken zuriicklegen kSnne.

Befund: Mittclgrol]er, blasser, fiir sein Alter wenig entwickelter jlmger Mann in mittlerem Ern~ihrtmgszustande. Zeichen abgelaufener Rhachitis. Stimhbcker, Epiphysen- verdiekungen. Ro~akranz. Kein Cubitus valg'us. Kein Genu valgum odor v~rum. Irmerc Organe gesnnd. Nervensystem intakt. Kein PlattfuI]. Knie- und FuBgelenk frei be- weglich.

1) :Nach eincr Demonstration in der reed. Ges. zu GSttingen am 6. Doz. 1917.

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Beitrag zum Krankhei tsbi ld der Coxa valga. 101

Der I~a~. s teht mi t tibernormaler Lendenlordose und etwas vorgestrt,cktem Baueh. :Die B~ine sind im Stehe• um ein geringes mehr als normM nach aullcn rotiert . Stehen mit geschlossenen ]~'ii[3en kann Put. schlecht, ausfiihren, er s teht dann unsicher und taumelt . Stehen auf einem Bein ist sehr schleeht m6glicb, nu t fiir einige Sekumten. l?~t. beginnt dabei sofort zu schwanken. Geriuger Tren(lelenburg. Beim Gehcn, das i~ng.~nt und ua- sieher ausgefiihrt wird, sehwankt der Oberk6rper yon einer Seite zur ;mderen. D~ls Bceken pendelt dabei um eine sagitt~le Achse. Pat . [egt den Rumpf bei jedem Schrit t aur die Seite des Standbeines hintiber. Die Muskulat.ur der Beine und des Ges~iBes i~t schleeht entwickelt. (Abb. 1.)

B e w e g u n g s f S h i g k e i t d e r t t i i f t g e l e n k e : Bei im Kuie gebeugtem Bein ist die Beugung ~ktiv bis zu einem Winkel yon .9t) o ohne Sehmer- zen, p~ssiv urn einen Winkel yon 105~ ~msfShrbm, mit Sehmerzen passiv um eineu Winkel yon 130 ~ Die Streckung im I~iiftgelenk ist ak t iv und passiv nur soweit mSglieh, dab Rumpf und Oberschenkel ,;ine grade Linie bilden. Eine Hyperextension d~r- iiber him, us wird gehemmt und ist schmerzht~ft. Die Abdukt ion ist ohr~e Schnmrzen um einer~ Winkel yon 40 o m6glieh, mit. Schmerzen t~ktiv und passiv nur wenig dariiber hinaus. Die Schmerzen werden dabei in der Leist.enbeuge angegeben. Die Adduk- t ion ist um einea Winkel yon 30 o m6glich, stSrkere passive Bewegungen sind schmerzhaft . Die Aul~en- ro ta t ion ist nur gering behindert und nu t in den Endstellungen sehmerzhaft , die I n n e n r o t a t i o n i s t f a s t v611ig a u f g e h o b e n .

Die Troeh~nterspitze s teh t b~ir 2 cm uaterha lb der Roser-N~l,~tonseher~ Linie. IAinge und Umf,~ngsmasse der Beine sind gleieh.

Wemt Pat. fiach auf einem Tiseh liegt mit nebeneinandergelegten Beinen, so liegen die Fersen nebeneinander, w~hrend zwisehen den Knien eine 1)ist~anz yon 5 cm besteht. Beim Versueh, die Knie einander zu n'~hern, wird tiber Schmerzen geklagt, eine v611ige Niihemng ist auch passiv unter Gewaltaawendung nicht ausfiihrbar. Der Oberschenkelschaft zeigt eine geringe Varusverbie- gung. Die Kniescheiben sintl nur um etwa 10 ~ nach sullen gedreht.

D a s s t e r e o s k o p i s c h e B i ld (vgl. Abzug} zeigt, dab die Pfannen beiderscits gut ausgebildet sind. Der obere Pfarmenr~nd springt s tark vor. Der Kopf iiberragt den Pf~mnenrand rechts um 1.7 cm, links um 2,5 cm. Dcr Sche~kelhals ist abnorm verl~ngert. Seine Achsenl~nge yon der Geleakfl~che des Kopfes bis zum Sehni t tpunkt mit Abb. l. der Schaft~chse gemcssen betr~ig~ rechts 11,4 cm, li~tks 9,3 cm. Der Ausatzwinkel des Schenkelhabses an den Schaft (Neigungswinkel) ist ~ehr finch und botr~gt rechts 152 ~ links 160 ~ Der Richtungswinkel (A l sbe rg ) , den mart erh~lt, wenn man die beiden Endpunk te des K~orpeliiberz~,ges ties Kopfes verbindet und diese Linie bis zum Schni t tpunkt mit der Schaftachse ver|~ingert,, hetr~igt reehts ti3 o, links 75 ~ Der Kopf is~ in der Epiphysenzone gegen den Hals im Sinne einer Valgus- stellung abgeknickt. Der Verlatff der Epiphysenlinie n,~hert sich mehr der Horizontalen und ist yon unten innen nach oben auBen gerichtet. Die Epiphysenfinie ist unre.ge|m~I~ig gestMtet, erschein~ a~ffgelockert., ist im unteren Tell verbrei ter t und quiIlt }tier iiber alas Niveo.u des Schenkclh~dses vor. Auf der oberen Fl~ehe des Sehenkelhalses ~ieht man leiehte

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periostale Auflagerungen. Der der Epiphyse bem~cilbarte Knochen dcs Schenkelhalscs ist auffMlend kalkarm, macht einerL atropbischert Eindruck. Die Spitze des Trochanter minor ist eben sichtbar (Abb. 2 ,. 3.)

Das Charakteristische der vorliegenden Erkrazrk,mg i~t eine Defter miti~t des Schenkelhalses beiderseits, der eine Ver1~,ngerung und steile Aufrichtung unter Vergr613erung des SchenkelhMswinkels zeigt. Es handelt sich um eine Form der H[iftdeformitSt, die unter den Sammelbegriff der Coxa v a l g a fMlen diirfte. Differentialdiagnostisehe Schwierigkeiten werden durch das stereo- skopisehe R6ntgenbild behoben.

Das VCesentliche de~ k l i n i s e h e n B e f u n d e s sind in unserem Falle die sehwere Gangst6rung, der Tiefstand des Trochanters, die Bewegun~beschr~,n- k,mg im Htiftgelenke naeh allen 8eiten, ganz besonders aber der InnerLrotation, und die erhebliehen in den Knien empfundenen Sehmerzen.

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Abb. 2.

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Abb. 3.

Wahrend tiber die Coxa vara einc umfangreiche Literatur e~st ier t , sind unsere Kemztnisse iiber ihr Gegenst~'mk, die Coxa valga, noch ziemlich diirftig, und die Ansehaumwen sind aueh heute noch nicht soweit geklSrt, d~B die Cox~ vMga als fest umschriebenes Kranld~eitsbild gelten kSnnte.

Bei der Mehrzahl der bisher beschriebenen FSUe und Prgparate hat die Coxa valga nur eine s y m p t o m a t i s e h e Bedeutung oder tr i t t sekundSr als Folgezustand aufgehobener Funktion auf. - - So ist die Coxa valga als E n t - I a s t u n gs d e f o r mi t 5 t besehrieben bei Oberschenkelamputierten, Paralyse und sonstwie bedingter Inaktivi tgt des Beines, wo die Last des freisehwebenden Gliedes den Schenkelhals streckt, und das normale Korrigens der Belastung fehlt ( T u r n e r ~)). Auch traumatisch nach Frakturen entstandene F.~lIe yon Coxa valga sind beobachtet ( T h i e m o)).

~) Turner , Zeitschr. f. orthop. Chir. 13. -') Thiem, }[andb. d. Unfallcrkrank. Chir..Kongr. 26.

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Beitrag zum K~mkheitsbild der Co.ca valga. 103

In allen diesen F~,llen hat die Deforn~it~t nur anatomisches Interessc. Ein s e l b s t ~ n d i g e s k l i n i s c h e s K r a n k h e i t s b i l d stellt sie jedoch dar in der Form der Coxa valga congenita, rhachitica und idiopathica.

Die Cow valga congenita (Dreh m a n n 1), D a v i d '~)) hat na]ae Beziehungen zur kongcnitalen Luxation. Einige Autoren ( S p r i n g e r a), D r e h m a n n l ) ) sehen in ihr nur die Vorstufe zur Luxation. V o g e l 4) meint, dal~ z~s4schen Cox~ valga congenit~ und Luxation nur ein quanti tat iver Untcrschied anzu- nehmen sei. K l a p p ~) hat geradezu eine Coxa va, lga luxa, ns beschrieben (Ku- m a r l s 6), bei der neben der Sehenkelhalsverbicgung noch eine anormale Ab- flachung der Pfanne, wie ~4r sie bei der kongenitalen Luxation kennen. bestand.

Die steile Stellung des Schenkelhalses bei Ncugeborenen und I~nder~ in den ersten Lebensjahren ist jedoch nicht ohne weiteres als pathologisch anzusprechen. S c h r S d e r ;) hat durch sorgfMtige 5lessungen nachgc~viesen, da[3 ein grol~er Sche~elhalswinkel bei KAndern in den ersten Lebensj~hren die P~cgel ist, und d~f~ erst unter der Einwirkung der Belastung eine Verkleine- rung dieses Winkels eintritt.

Die r a c h i t i s c h e Coxa v a l g a ist zicmlich selten, da bei dieser Erkran- kung natursem~I~ eine welt grS[~ere ~'eigung zur Coxa var~ besteht. Immerhin is~ es m5Flich , dab es dabei zur Coxa valga-Bildung kommt, wen~ die Erwei- chungsprozesse ungleichmSBig verteilt und etwa im Schaftteile starker sind als im Halse. V o g e l s) macht darauf aufmerksam, dab bei sehr schweren F:,tllen yon Rachitis, bei denen die Kinder dauernd liegen miissen, auch eine Abflachung des Schenkelhalswir~kels zustande kommen ka~m dutch Druck der Kbrperlast auf den Trochanter bei Seitenlage des K6rpers. Bei den rachiti- schen Formen wird zwar eine Unbeholfenheit des Ganges erw:,~hnt, yon schweren StSrungen des GehvermSgens und Schme~-zen ist jedoch keine Rede.

Unter Coxa v a l g a i d i o p a t h i c a ( a d o l e s c e n t i u m ) ist eine Reihe un- ldarer Fhlle zusammengefal~t (I-tof me i s t e r9 ) , Machol~~ S t i e d a ~ ) , Vogel'~ fiir die keine der bisher genannten Ursachen zutrLfft, und in denen man nach S t i e d ~ eine ) 'orm einer zu Deformitaten neigenden konstitutionellen Erkran- kung sehen mull, dercn Natur uns zur Zeit noch unbeka~mt ist. Auch hier er- scheinen aber bei den meistcn (|~r bisher beschriebenen FSlle die klinischen Symptome ~icht sehr schwer~egend. Die Besehwerden siud dabci moist yon intermittierendem Charakter und wenig charakteris~isch. Symptomatologisch t)estanden iiberall Abduktion~tellung, AuBe~rotation der ganzen ExtremitY, t,

l) Drehmann , Zeitschr. f. orthop. Chir. 17. 2) David, Zeitsehr. f. orthop. Chir. 13 uml 17. a) Springer, Fortschr. d. Med. 1909. *) 1. e. ~) Sitzungsbez'. d. reed. Ges. f. ~Natur- u. Heilk. Bonn 1906. ~) Arch. f. "klin. Chit. 87. 7) HabiIit~tionsschr. Bonn, zit. nach Vogel (l. c.). s) 1. c. ') Brans Beitr. 12 u. 21, Chir.-Kongr. 23 u. 26.

I,*) Verhandl. d. reed. Ges. f. Natur- u. Heilk. Bonn 1909. 11} ~rch. f. kiln. Chix. 87. 12) k c.

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104 Walter Koenneckc:

Adduktion~hemmung und Sehme~zen in der Hiifte. Die Gehst6rungen waren ziemlich gering.

I m Gegensatze hier~u sind ill unserem Fallc die kli~fischen Erseheinungen recht erheblieh. Es ist offenbar eine schwere S t S r u n g de r s t a t i s c h e n V e r - h h l t n i s s e vorhanden. Der Pat. geht watschelnd. Das Becken loendelt um eine sagittale Achse. Er mul3 bei jedem Schritt den Rumpf stark nach der Seite des Standbeines hinfiberlegen, um das Gleichge~-icht zu halten. Der Gang ist sehr unsicher und langsam, da der Pat . bei schnellerem Gehen st~,ndig in Gefahr ist, zu fallen. Er kann wegen rasch eintretender Ermiidung nur kurzc Streeken zurfcklegen. Auf einem Bein zu stehen ist unm6glich, ebenso ist Stehen mit geschlossenen Fiil3en nicht ausf(ihrbar. Dazu kommen noch bedeutende Schmerzen beim Gehen, die den Patienten vollends arbeitsunf~khig machen.

Wie erw~,hnt, ist in unserem Falle yon Bewegungsst6rungen a m ausge- pr~gtesten die B e s c h r ~ , n k u n g dc r I n n e n r o t a t i o n . Die sonst allgemein beobachtete starke Aul]enrotation ist wenig hervortretend. Auch die Abduk- tionssteUung bei Beugung und (lie Beschr~nkung 4er Adduktion is t gering.

Was das ~ S n t g e n b i l d anlangt, so lot die Gr61]e des Schenkelhalswinkels werfiger bedeutend als in den iibrigen beschriebenen F~llen. Viel mehr in die Augen springend ist die Lange des Schenkelhalses. Die Stellung und Form des Kopfes s t immt mit anderen F~illen iiberein. Der Kopf iiberragt den Pfannen- rand um mehrere Zentimeter und ist an der Epilohyse gegen den Schenkelhals abgeknickt. Eine Abflachung der Pfanne haben wir nicht, sondern vielmehr ein Uberh~ngen des Pfannenrandes, wie es aueh S t i e d a 1) beschreibt. Ganz besonders auffidlig ist das Verhalten tier E p i p h y s e n l i n i e . Sie is t aufge- lockert, unregelm~,~ig geformt, im unteren Abschnitte verbreitert und nach au0en vorquellend. Der benachbarte Halsteil sieht atrophisch aus. Eine Fraktur am 1-~fannen_rande, die B r a n d z) fiir das Auftreten klinischer :Erschei- nungen bei vorhcr symptomlos bestehender Coxa valga verantwortlich macht, ist nicht vorhanden (Abb, 1 u. 2.)

Unser R 6 n t g e n b i l d zeigt einige A b w e i c h u n g e n yon dem :Befunde der bisher publizierten Fglle. Dabei ist hervorzuheben, daf$ in keinem der bis- herigen F~lle stereoskopische Aufnahmen gemacht wurden. Der stereoskopisehe Eindruck ist aber gerade bei den bier vorliegenden Verh~tltnissen yon groBem Wert. Er [ehrte uns, dab der Schenkelhals v611ig gestreckt vert~,uft und keine Bic~o-ung nach vorn oder binten aufweist, wie das z. B. bei der Coxa yarn die Regel ist. S t i c d a a) nimmt diesen geraden Vertauf auch fiir seine ~FSlle in Anspruch. Auffallend ist jedoch, dal3 sowohl in diesen wie im Vogelschen Falle starke AuBenrotation bestand, der Trochanter minor aber auch nach Ausgleich der Aul~enrotatiort sichtbar blieb. In unserem Falle besteht bei sicher geradem Schenkelhals weder ausgepr~gte Aul3enrotation noch ungew6hn- fiches Hervortreten des Trochanter minor. :Es ist die Vermutung nicht yon der Hand zu weisen, da~ bei den vor Attfkommen der stereoskopischen Auf-

~) 1. c. -") Deutsche Zeitschr. f. Chit. 1~8. ~) 1. c.

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Bcitrag zum Krankheitsbild der Coxa valga. 105

nahmen ger6ntgten F:,'dlen die AnnaJame des ganz geraden Schenkelhalsver- laufes trotz aller angcfiihrten Grfinde auf einer Tguschung beruht, und Aul~en- rotation und Vorspringen des Trochanter minor zum Tell auch auf eine Ver- biegung des Schenkelhalses mit der KonvexitSt nach vorn zuriickzufiihren ist.

Die A t i o l o g i e des Falles ist nicht leicht zu deuten. Die interessante Erktgrung yon Manz 1), der in .4.nalogie zur Kocherschen Theorie fiber Coxa vara-Entstehung, Arbeiten in t tockstelhmg (Gi~rtner) ffir die Bildung der Coxa valga verantwortlieh machte, ist nicht anwendbar.

Da es feststeht, dab der Pat. als Kind eine schwere R a c h i t i s durch- gemacht hat, liegt es nahe, in dieser Erkrankung eine Ursache ffir die Deformitgt zu sehen. Dagegen spricht jedoch, dal3 Pat. bis vor einem Jab_re v611ig normal und ohne Schmerzen gehen konnte, so dab er sich sogar am FuBballspielen und an Jugeadwehrfibungen beteiligen konnte. Wenn man auch nieht an der Rhachitis voriibergehen kann, so kann man doch nut einen mitwirkenden Faktor bei dem Zustandekommen der DeformitS, t in ibx sehen, etwa in Gestalt einer schleehten Knochenaiflage und einer wenig widerstandsf~,higerL, zu krank- hafter Funktion neigenden Epiphysenlinie. Die H a u p t u r s a c h e muB in anderen Momenten gesucht werden, wobei ohne Frage (lie Epiphysenlinie eine Rolle spielt, einmal weil es sich bei dieser Gruppe der Coxa valga ausschliel31ieh um Individuen im Wachstumalter handelt und zweitens well auf dem R6ntgen- bride gerade die Epiphysenzone die st~rksten Verhnderungen aufweist, die im Zusammenhang mit der benachbarten Knochenatrophie und den Auflagerungen am Schenkelhals fast einen entzfindlichen Eindruck machen.

V o g e l ' ) hat mit Recht darauf hingewiesen, dab g e r i n g f i i g i g e T r a u m e n , deren Wichtigkeit fiir die Entstehung der Coxa yarn anerkannt ist, auch bei der Entstehung der Coxa valga yon Bedeutung sein k6nnten. Er n immt ffir seinen Fall eine Irri tation der Epiphy~nlinie dureh ein Icichtes Trauma an, durch die das Knoehenwachstum zu pathologischer Leistung angeregt wiirde. Dadurch wiirden dann Verbie~oamg des Schenkelhalses, Schmerzen und Schonung des Beines bedingt werden, und durch das Nachschleppen des geschonten Beines wfirde Coxa valga als Entlastungsdeformit~t entstehen. Dieser letzten Folge- rung kann ieh reich aUerdings im Hinblick auf die Doppelseitigkeit der Erkran- kung nicht anschliefSen. F i t t i g a) will die Coxa valga statica iiberhaupt lficht anerkennen und glaubt, dab es sieh in allen diesen F ~ l l e n um eine partielle oder schubweise fortschreitende Epiphysenl6sung handele, die durch ein leiehtes Trauma wie Fall oder Sto~ und selbst schon dureh Muskelzerrung und Uber- anstrengung zustande kommen kSnne.

Ich bin iiberzeuoo~, dal3 auch bei unserem Falle in Analogi~ zur Coxa vara einem leichten Trauma die Rolle des auslSsenden Moments zugebiiligt werden mul3. Dieses Trauma w~re hier in dem anstrengenden Dauerlauf zu sehen, nach dem die erstcn klinischen Erscheinungen aufgetreten sind.

Durch da~Trauma wfirde die, sei es durch Rachitis, sei es durch ein Vitium primae formationis, minderwertige Epiphyscnfuge gereizt und zu "kra~l~after

i) Bruns Beitr. ,08. ") 1. c. ~) Arch. f. klin. Chir. t909. 89.

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l ( J6 Walter Koennecke: Beitrag ztua~ Xranldmit~sbild der Cox,~ v,~lga.

Knochenneubihhmg veralflal3t. Ein abnormes Wachstum des Schenkelhalses wSre die Folgc. Durch die V e r l ~ n g e r u l , g des SchenkeLhMses und Abknickung des Kopfes entsteht eine V e r s c h t e b u n g der s t a t i s c h e n V e r h ~ l t n i s s e . dutch den Zug der am Scheitel des Scheukelhals~inkels inserierenden ~'[uskeln, die ihrer Dehnung widcrstreben und andererseits vielleicht die Versckiebung der statischen Verh~ltnisse durch erhShte Kraftanspannung (Fixation des Beckens) auszuglcichen suchen, erfolgt eine A b f l a c h u n g des Sc h e n k e lh a ls- w i n k e l s . Gleichzeitig entstehen in den gcreizten Muskeln (Aul3enrotatoren) spastische Zustfi, nde. Damit wtirde die Zusammensetzm~g des K_rarLkheits- bildcs aus G a n g s t 6 r u n g , S c h m e r z e n und B e w e g u n g s b e s c h r ~ n k u n g erklSrt sein.

~,Varum nun bei traumatischer Epiphysensch:,~digung in einem Falle eine Coxa vara, im andercn eine Coxa valga zustande kommt., darfibcr lassen sich nur Vermutungcn aufstellen. Solange uns objektlve An_haltspunkte fe]flen. mul~ es /iberhaupt zweifeLhaft erscheinen, ob die Entstehung der cinch oder anderen Deformit-St von bestimmten 5u~eren :Faktoren abh-Sngt. S t i e d a hat die Aufrichtung des Sche~fl~elhttlses durch deu Zug der am SchenkelhMswinkel inserierenden 5Iuskeln erkh~rt. Is t diese Ammhmc richtig, so w~rc es deltkbar, dab dieser MuskeLzug nur bei muskclstarken Individuen die genannte Wirkung hhtte, wShrend er bei muskelschwachen Individuen nicht ausreichcn, sondern die gumpf las t zur Coxa vara-Bildung ffihren wfirde.

Die Bch~mcLlung der Coxa valga ist im ganzen ziemlich machtlos. Die anatomisclm DeformitSt kSnnte nur durch eine Osteotomie am SchenkeLhaJse gebessert werden. Zu diesem Eingriff werden sich Arzt und Patient schwer ent- schlieBcn, zumal noch Erfahrungeu dariiber fetflen und ~uf eincn Erfolg kaum re_it Sicherheit zu rechnen ist. Im kontrakten schmerzhaften Stadium sind jedoch thcr,%peutische Maf~nahmen unbedingt erforderlich und auch nicht aus- sichtslos. Unser Fall war zum~.chst sehr hartn~ckig. Wir behandelten ihn zwei Wochen mit strenger Bettruhe, ohne einen Erfolg zu erzielen. Dann vcrsuchten wir (Lie yon verschiedener Seite empfohlenen mediko-mechanischen Ubungen und HeiBluftappLikationen. Nach sechs Wochea war das Krank- heitsbih:t noch ganz unver/mdert. Schlieglich legtcn wir an beiden Beinen einen St reckverband in gr6Btm6glichstcr Adduktion und Innen_rotation an, so (hzl3 der Pat. also mit gekreuzten und einwhrtsgedrehten Beineu im Bett liegen muBte. ,Nach (Lrei Wochen war eine erhebliche subjektive und objektivc Bcsserung eingetreten. Dic Schmerzen waren auch bei Belastung versehwundeu, Beugung und Strcckung im Htiftgelcnk waren nahezu normal. Abduktion war aktiv und passiv um 65 ~ m6glich, Adduktion und AuBenrot~ttion waren fast frei, wi~hrend die Iimenrotation noch gut um die H~lfte beschr~nkt gc- blieben war.

Ob dicser Erfolg yon Dauer ist, bleibt noch abzuwarten, doch diirfte sich tin Versuch mit der ~[ethode bei kontrakten F~kllen jedenfalls empfehlen.