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Alessandro Piccinini und sein Arciliuto Author(s): Georg Kinsky Source: Acta Musicologica, Vol. 10, Fasc. 3 (Jul. - Sep., 1938), pp. 103-118 Published by: International Musicological Society Stable URL: http://www.jstor.org/stable/931744 . Accessed: 16/06/2014 00:01 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . International Musicological Society is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Acta Musicologica. http://www.jstor.org This content downloaded from 194.29.185.216 on Mon, 16 Jun 2014 00:01:53 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Alessandro Piccinini und sein Arciliuto

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Alessandro Piccinini und sein ArciliutoAuthor(s): Georg KinskySource: Acta Musicologica, Vol. 10, Fasc. 3 (Jul. - Sep., 1938), pp. 103-118Published by: International Musicological SocietyStable URL: http://www.jstor.org/stable/931744 .

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ACTA MUSICOLOGICA Mitteilungen der Internationalen Gesellschaft fo3r Musikwissenschaft

Bulletin de la Soci6t6 Internationale de Musicologie

Anno MCMXXXVIII M. Jul.-M. Septbr. Vol. X, Fasc. III.

Alessandro Piccinini und sein Arciliuto von Georg Kinsky (K61n)

Die ausserordentliche Bereicherung des Instrumentariums im Zeitalter der Hochrenaissance beruht bekanntlich auf dem >>chorischen Ausbau< der einzel- nen Tonwerkzeuge, d. h. der Herstellung ganzer Akkorde oder Stimmwerke in den der Singstimme entsprechenden vier Stimmlagen Diskant, Alt, Tenor und Bass - ein Vierklang, der dann noch durch Einfiihrung von Kleindiskant- und Kontrabassinstrumenten nach der Hiihe und Tiefe zu erweitert wurde. Auch bei dem herrschenden Gesellschaftsinstrument der Zeit, der Laute, war der Ausbau zu einem vollstiindigen Chor schon friih vollzogen worden, wenn auch das Stamminstrument der Familie, die >>recht Chorist- oder Altlaute<<, stets seine Vorrangstellung im Einzelspiel behauptete. Ein anschauliches Bild dieser Entwicklung gewaihrt die 1566 verfasste Bestandsaufnahme der gross- artigen Musikkammer des Grafen Raymund Fugger (1528-1569) in Augsburg. Ausser 227 Blasinstrumenten (111 Fliiten, 24 Bomharden, Fagotten und Dol- cianen, 8 Krummharnern, 84 Zinken), 10 Klavieren und 20 Geigen waren in ihr - als friihes Beispiel einer regelrechten Spezialsammlung - iiber 140 Lauten aller Arten und Griissen vereint,') die grossenteils aus kostbaren Her- stellungsstoffen wie Elfenbein, Fischbein, Zypressen-, Ebenholz und anderen Edelh6lzern verfertigt waren. Sie umfassten 23 Accordi von je drei und vier und ein Stimmwerk von fiinf Stiicken, ausserdem zahlreiche einzelne Instru- mente in den verschiedenen Stimmlagen, darunter auch als Nr. 20 und 30 des Verzeichnisses zwei Kontrabasslauten, d. i. die >>Grossoktav-Basslaute<< bei Praetorius in der absonderlich tiefen Stimmung G, C F A d g. >>Falls dieses plumpe Instrument, dessen dicke, schwach gespannte Saiten einen glanzlosen, stumpfen Ton geben mussten, in der Praxis je eine Rolle gespielt hat, wurde es doch sicherlich schon recht bald durch die mit lEingeren und daher stirker spannbaren Batfsaiten ausgestatteten, besser klingenden Erzlauten in den Hin- tergrund gedraingt<<, bemerkt Karl Geiringer zutreffend.2)

1) Abdruck des Verzeichnisses (Ratsarchiv Miinchen, Libri antiquitatum Tom. I, fol. 170 a ff.) bei J. Stockbauer, >>Die Kunstbestrebungen am bayerischen Hofe<, Wien 1874, S. 81 f. tiber das Schicksal der beriihmten Sammlung vgl. Jahrbuch der Musikbibl. Peters fiir 1920, S. 52.

2) Z. f. Mw. X, 591.

Acta Musicologica X, III

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104 Alessandro Piccinini und sein Arciliuto

In der Instrumentenkunde ist >>Erzlauten<< der Gattungsname fiir die im 16. Jahrhundert in Italien aufgekommenen neuen Bassinstrumente der Lauten- familie: die theobierte Laute, die paduanische Theorbe und ihre Vergriisse- rung, die iibermannshohe romanische Theorbe oder Chitarrone. Ihr gemein- sames Kennzeichen ist ein zweiter Wirbelkasten, der oberhalb des fiir die Griffbrettsaiten bestimmten Kragens an der Verliingerung des Halses ange- bracht war und zur Befestigung der nur als Frei- oder Bordunsaiten zu grei- fenden Kontrasaiten (>>Contrabassi<<) diente. Diese sog. >>Abziige<< reihten sich in diatonischer Folge der in G gestimmten tiefsten Greifsaite an. Wer der Erfinder der wichtigen Neuerung der >>Theorbierung<< war, ist ebenso

ungekliirt wie die Frage nach dem Ursprung des Wortes >>Theorbe<< bezw.

>>Tiorba<<.3) Ob die >>Citaroni<<, die der Marchese von Mantua Federico II Gonzaga (reg. 1519--1540) 1523 in Pesaro bestellen liess,4) schon eigentliche Erzlauten waren, ist bei der Mehrdeutigkeit des Begriffs >>Cithara<< und seiner

Ableitungen >>Chitarra<< usw. nicht mit Sicherheit zu entscheiden.5) Dagegen bietet das erwiihnte Fugger'sche Inventar von 1566 in seiner Nr. 50, >>Ain fischbaine Lautten mit zwe[e]n Kriigen<<, eine einwandfreie Bestaitigung der

Theorbierung (und zugleich einen Hinweis, dass die anderen Basslauten der

Sammlung nicht theorbiert waren). Auch Bildzeugnisse aus jener Zeit sind bekannt, z. B. im Palazzo Pitti zu Florenz ein Gemailde >>Die Himmelstragung der hi. Magdalena<< von Taddeo Zuccaro oder Zucchero (1529-1566), das nach G. Branzoli') bereits einen >>Arciliuto a doppio manico<< zeigt. Besondere

Bedeutung gebiihrt aber dem von F. W. Galpin entdeckten Bildnis der 1586 verstorbenen Lady Mary Sidney in Penshurst Place (Kent), das die Dame in ganzer Gestalt mit einem Chitarrone in der rechten Hand darstellt.') Lady Mary, eine Tochter des Herzogs von Northumberland John Dudley, war die Gattin des Sir Henry Sidney, des Gouverneurs von Irland und spiiter von Wales, und die Mutter des als Liebling der Konigin Elisabeth und als einer

3) Vgl. Curt Sachs' >Real-Lexikon der Musikinstrumente<, Berlin 1913, S. 384. Seine Ver- mutung (>Handbuch der Musikinstrumentenkundet, Leipzig 1930, S. 225), der Name kinne >>mit Riicksicht auf die engen geographischen und kulturellen Beziehungent von dem kroati- schen Wort >trba<< (>der Baucht) herstammen, hat nur wenig Wahrscheinlichkeit fiir sich. - Erhaltene Instrumente der Friihzeit, wie z. B. die schine 13chbrige Theorbe aus Elfenbein und Ebenholz von Andrea Harton [Hartung], Venedig 1517 [?], der Sammlung Claudius-

Kopenhagen (Nr. 102 A), sind als Belegstiicke nicht verwertbar, weil sie in den meisten

Fiillen spiitere Umarbeitungen darstellen. 4) Brief der Herzogin von Urbino, Leonora Rovere-Gonzaga, an den Marchese v. 25. Ja-

nuar 1524: >Sono gil& alcuni mesi che M. Raphael mio secretario mi fece intendere hauer hauuto commissione da V. E. de farli fare alchuni Citaroni...<< (A. Bertolotti, >>Musici alla Corte dei Gonzaga in Mantova<, Milano 1890, S. 34.)

5) Vermutlich handelte es sich um grosse Basscistern, wie sie in Praetorius' >Theatrum instrumentorum<< (Wolfenbiittel 1620) auf Tafel V Nr. 3 (OGross' Sechscharichte Cithert) abgebildet ist.

6) 3Ricerche sullo studio del Liutoi, Roma 1889, S. 55. 7) Nachbildung des Gemaildes: Titelbild zu F. W. Galpins >Old English instruments of

music<, London 1910. Vgl. ebenda S. 43.

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der ersten englischen Schriftsteller riihmlich bekannten Sir Philipp Sidney (1554--1586); wahrscheinlich hat er das neue Instrument von seinen Aus- landsreisen 1575 seiner Mutter aus Italien mitgebracht. Demnach wird die Entstehung des lebenswahren Bildnisses um 1580 anzusetzen sein. Den Jahren um 1590 gehairen dann die bekannten Gemiilde des naturalistischen Meisters Michelangelo Merisi da Caravaggio (1569-1609) an, auf denen Chitarrone- spieler mit Vorliebe dargestellt sind.8) Die angefiihrten Belege lehren, dass Giulio Caccinis Angabe in der Vorrede zu >>Le nuove Musiche<< (Florenz 1601) kaum zutreffend sein kann, die Er-

findung des Chitarrone sei dem damals am Hofe der Medici wirkenden aus-

gezeichneten Lautenisten Antonio Naldi detto il Bardella zu verdanken,9) ob- wohl auch Mersenneo?) diese Angabe wiederholt und Praetorius") der Mei-

nung ist, der >lange Kragen<< (>Theorbenkragen<< oder >>Theorbenhals<<) sei erst >>neulich [d. h. um 1600] darzu erfunden worden<<. Noch weniger trifft dies auf einen andern zeitgenoissischen Lautenspieler zu, Alessandro Piccinini, der u. a. auch in Riemanns Musiklexikon schlechthin >>der Erfinder der Theorbe (Chitarrone, Liuto attiorbato)<< genannt wird, >>deren erstes Exemplar er 1594 in Padua bauen liess<< - zu einer Zeit, als jene Basslauten sich schon seit einigen Jahrzehnten eingebiirgert hatten! Als Stiitze dieser irrigen Annahme gilt das von Giustiniani iibernommene eigene Zeugnis Piccininis in seinem gedruckten Tabulaturbuch von 1623 (s. u.); doch ist hierzu festzustellen, dass dieser Bericht von allen Forschern bisher missverstaindlich ausgelegt worden ist. Zwar riihmt sich Piccinini der Erfindung eines >>Arciliuto<< - es liisst sich aber der Nachweis erbringen, dass dies neue Instrument nur Anspruch auf Kuriositatswert hat und fiir die Entwicklung der Erzlauten bedeutungslos ge- blieben ist. Freilich ist Piccinini einer Selbsttiiuschung zum Opfer gefallen, wenn er glaubt, seine 1595 eingefiihrte Neuerung sei die letzte Vervollkom- mung der Laute gewesen und habe dem Chitarrone zum Leben verholfen (>>hi data vita al Chitarrone<<). Dem widerspricht schon das Instrument der Lady Sidney, das - wie erwahnt - 1575 nach England gelangt ist und be- reits den voll entwickelten, endgiiltigen Typ des Chitarrone erkennen liisst.

Zunachst einige biographische Angaben.") Die Bologneser Lautenistenfamilie

8) Hauptstiicke: das sog. Konzert< im Palazzo vecchio zu Florenz und der >Lautenspie- ler<< in der Pinakothek zu Turin.

9) >... il quale si come veramente ne ' stato l'inventore, cosi i reputato da tutti per lo

piui eccellente che sino ' nostri tempi habbia mai sonato di tale strumento.< 10) >Harmonie universelle<< (Paris 1636) II, Livre 7, p. 77. 11) Im XXIV. Kapitel der >OrganographiaK (S. 51). 12) Die kurzen Mitteilungen in den Lexicis von Fetis, Eitner, Riemann usw. sind grossen-

teils unbrauchbar. Auch der Aufsatz iiber P. (>1581--?) von Romoldi Ferrari (Modena) im 1. u. 2. Heft des 2. Jahrgangs der Oesterreich. Gitarre-Zeitschrift ist im biographischen Teil hochst diirftig, bringt liingere Ausziige aus dem Tabulaturbuch von 1623 in einer guten Vtbersetzung von Josef Egger, Wien. (Das Wort >>Arciliuto<< ist dort stiindig in >ArcilintoC entstellt.)

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Piccinini ist in drei Generationen zu verfolgen. Der Vater, Leonardo Maria, mit dem Beinamen >>del Liuto<<, ist vermutlich"l) jener Leonardo, der vor 1582 als Musiker bei dem Fiirsten Christoph Nikolaus Radziwill (t 1616) zu

Olyka in Wolhynien'4) angestellt war und dann in seine Heimatsstadt zuriick- kehrte. Im Sommer 1582 erhielt er durch den Musiker Filippo Maria Pera-

bovi15) einen Antrag des Herzogs Guglielmo Gonzaga, ihm seinen begabten Sohn zur weiteren Ausbildung in Mantua anzuvertrauen; doch lehnte Leonardo dieses schmeichelhafte Angebot mit der Begriindung ab, dass er bereits dem

Herzog von Ferrara versprochen habe, mit seiner ganzen Familie an dessen Hof zu iibersiedeln, zumal er auch von Ferrara aus bequem sein Landgut ver- walten kSnne."6) Der vielversprechende Knabe war sein ailtester Sohn Ales- sandro, der demnach um 1565 geboren sein muss. Er sowohl wie seine jiingeren Briider Girolamo und Filippo wurden von dem Vater zu tiichtigen Lautenisten

ausgebildet. Alle drei SSihne standen in Diensten des sehr musikliebenden, von Tasso verherrlichten Herzogs Alfonso II d'Este (1533-1559-1597) und fanden dann - offenbar nach dessen Tode - Anstellung bei dem Kardinal Pietro Aldobrandini (1571-1621), dem Neffen und Leiter der Politik des

Papstes Clemens VIII. Alessandro P., der nach dem Zeugnis Adriano Banchieris"7) ein allseitig ge- sch*itztes Mitglied der >>Accademia de' Filomusi<< in Bologna war, veroffent- lichte dort (16231s) bei G. P. Moscatellis Erben das erste Buch seiner >>Intavo- latura di Liuto et di Chitarrone<<"); die Widmung an die Infantin von Spa- nien, Erzherzogin Isabella von Oesterreich,20) ist vom 2. August datiert. Das nur noch in zwei Exemplaren21) nachweisbare Werk ist durch seinen ausfiihr-

13) L. F. Valdrighi, >Nomocheliurgografia antica e moderna<, Modena 1884, S. 194 (No. 2356).

14) Den Titel als Herz6ge von Olyka und Nieswiesz hatten die Briider Nikolaus und Jo- hann Radziwill 1547 von Kaiser Karl V verliehen erhalten. Nikolaus starb 1565; sein Nach- folger war sein iiltester Sohn Christoph Nikolaus.

15) Vgl. iiber ihn Eitner VII, 360. 16) P. Canal, >>Della musica in Mantovac<, Venedig 1881, S. 37 u. 71. 17) >>Discorso per fuggire l'otio estivo...<< di Camillo Scaligeri dalla Fratta, Bologna 1622

[Titel im >Catalogo della Biblioteca del Liceo musicale di Bologna< von G. Gaspari I, 3.1 - Die aus Banchieris' >>Accademia florida<< hervorgegangene >>Academia dei Florimusi<< ist 1622 von dem Domkapellmeister und Komponisten Girolamo Giacobi (1567-1629) begriin- det worden (s. Gerbers neues Tonkiinstlerlexikon II, 316). Ihr erstes auswairtiges Mitglied war Monteverdi (V. f. Mw. III, 373).

18) Die Jahreszahl 1626 bei Fetis und Riemann ist ein Irrtum. 19) >>... nel quale si contengono dell' vno & dell' altro stromento Arie, Balletti, Corrente,

Gagliarde, Canzoni, & Ricercate musicali & altre ia dui e tre Liuti concertati insieme; Et vna inscrittione d'auertimenti, che insegnano la maniera & il modo di ben sonare con facilita i sudetti Stromenti.<

20) Isabella Clara Eugenia (1566-1633), Tochter des Kbnigs Philipp II aus seiner dritten Ehe mit der Prinzessin Elisabeth von Valois.

21) Im Liceo musicale zu Bologna [s. Anmerkung 301 und in der Bibliothbque Mazarine zu Paris. [Eitner VII, 431.]

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lichen Vorbericht (>>inscrittione d'avertimenti<<) zugleich eine wertvolle Quelle iiber Spiel und Behandlung der Laute und der Erzlauten. Ausser seiner Ver-

vollkommung des Chitarrone, der in dieser verbesserten Form den Namen >>Pandora<< erhielt (s. u.), erwaihnt Vincenzo Giustiniani in seinem 1628 ge- schriebenen >>Discorso sopra la Musica de' suoi tempi<<22) auch P.s Erfindung eines Instruments, das dem >>Plettro di Apollo<< (d. h. der mit einem Plektron

gespielten Kithara) ahnlich gewesen sein soill, >>eine Verbindung von Theorbe, Laute, Cither [Cister], Harfe und Gitarre, ein wahres Wunderwerk. Es wird aber nicht viel gebraucht werden wegen der Schwierigkeit, die darin liegt, es mit der gleichen Leichtigkeit zu handhaben wie jener es spielt.<<23) Dies viel- seitige Apollo-Instrument gehoirt zu den in damaliger Zeit beliebten Tonwerk-

zeugen, die wie z. B. auch Giovanni Baptista Donis >>Lyra Barberina<< (>>Am- phichord<<) den von der Florentiner Camerata ausgehenden antikisierenden

Bestrebungen ihr Dasein verdanken. Ob es mit der merkwiirdigen >>Lyra-Cister<< des Wiener kunsthistorischen Museums24) in Beziehung zu bringen ist, waire immerhin miiglich, da auch dies seltsame Zwitterinstrument wie P.s erster Arciliuto anscheinend der Sammlung des mit dem Erfinder befreundeten Musikliebhabers Antonio Goretti in Ferrara entstammt (s. u.). Alessandro P. muss um 1638 gestorben sein, da sein Sohn, der nach dem Gross- vater Leonardo Maria hiess und die Familieniiberlieferung im Lautenspiel fortsetzte, im naichsten Jahre ein Lautenbuch mit nachgelassenen Komposi- tionen des Vaters herausgab: >>Intavolatura di Liuto di Alessandro Piccinini Bolognese. Nel quale si contengano Toccate, Ricercate Musicali, Corrente, Gagliarde, Chiaccone... [etc.] Raccolte da Leonardo Maria P. suo Figliulo ... In Bologna, per Giacomo Monti e Carlo Zenero, 1639.<<25) Dies zweite Werk ist dem aus Ferrara gebiirtigen, als Geschichtsforscher bekannten Kardinal Guido Bentivoglio (1579-1644)26) gewidmet; in der Zueignung preist ihn Leonardo Maria als alten Goinner der Familie. Waihrend seiner Wirksamkeit

22) 1878 von Salv. Bongi in Lucca (Nozze Banchi-Brini) herausgegeben. (Abdruck auch bei Angelo Solerti, >Le origini del melodramma<, Turin 1903, S. 98 ff.)

23) >>. ha inventato ultimamente un istromento simile al Plettro d'Apollo, misto tra Tiorba, Liuto, Citara, Arpa e Chitarra, che rende maraviglia; ma non sara molto usato per la difficoltai che si troverai di metterlo in pratica con la facilith con la quale egli lo suona.<<

24) Nr. 66 in Julius Schlossers beschreibendem Verzeichnis der Sammlung alter Musik- instrumente, Wien 1920, S. 61. - Ein iihnliches, nur etwas kleineres (1,36 m anstatt 1,60 m) und ebenfalls unsigniertes Instrument ist in der aus dem Liceo musicale stammenden Samm- lung des Museo civico zu Bologna vorhanden.

25) Einziges bekanntes Exemplar im Liceo musicale di Bologna. (Titelwortlaut und Ab- druck der vom 15. April datierten Widmung in Gaspari-Cadolinis Katalog Band IV, Bologna 1905, S. 174.)

26) Sein von Anton van Dyck 1631 gemaltes Bildnis hiingt in der Gemiildegalerie des Pitti-Palastes zu Florenz. Ein fein bemaltes Spinett von Dominicus Venetus 1566 mit dem Familienwappen der Bentivogli und dem lateinischen Sinnspruch >Unicuiq[ue] probo patet praeclara domus Bentivola<< [>>Jedwedem Rechtschaffenen steht das beriihmte Haus B... of- fen<] ist seit 1932 im Besitz der Riick'schen Instrumentensammlung zu Niirnberg.

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als pa*pstlicher Nuntius in Flandern (1607-17) war er der Brotherr Girolamo P.s, den Alessandro 1623 als bereits verstorben erwahnt. Auch der jiingste der drei Briider, Filippo, hatte nach Beendigung ihrer gemeinsamen Taitig- keit beim Kardinal Aldobrandini einen neuen Wirkungskreis in den Nieder- landen gefunden. Er trat in die vom spanischen Konige Philipp III in Briissel unterhaltene Hofkapelle ein. In der >Lista de las personas de la capilla fla- menca de su Magestad<< ist >>Felipe Pichinini<< zuerst 1617 als >>cantor de tiorba<< und >>musico de instrumentos<< verzeichnet und bis 1637 - seit 1636 mit dem Vermerk >reservado<< (zuriickgetreten) - gefiihrt.7) Nach seinem Dienstaustritt kehrte er nach Bologna heim und ist dort 1648 gestorben. J. G. Walthers Musikal. Lexikon berichtet,2s) dass ihm und seinen Kindern vom

Kiinige >>wegen seiner Virtu<< ein jaihrlicher Ehrensold von 300 Dukatonen aus den Einkiinften des Mailiinder Salzzolls verliehen worden sei. Als Kom-

ponist ist er nur durch ein Madrigal >Filli gentili<< bekannt, das im 4. Buch der Kanzonetten des Enrico Radesca (Venedig 1610) gedruckt steht.29) lfber die Briider schreibt Alessandro im 33. Kapitel des Vorberichts zu seinem Tabulaturbuch von 162330): >> .... Diese Kompositionen geharen zu denen, die zwei meiner Briider und ich damals spielten, als wir alle drei in Diensten des Herzogs von Ferrara und spaiter des sehr beriihmten und ehrwiirdigen Herrn Kardinals Aldobrandino standen. Von diesen starb Girolamo, der eine

strenge Spielweise hatte und die grosse Laute schlug, in Flandern im Dienste des beriihmten Msg. Bentivoglio, der in vergangenen Jahren noch Nuntius war, jetzt aber Kardinal ist; und Filippo, der eine leichtere Spielweise (>>pifi capriccioso<<) pflegte und die kleinere Laute schlug, steht noch im Dienste Sr. Katholischen Majestait, wo er grosse Gunst geniesst. Dies Zusammenspiel wurde von jedem Zuhoirer nicht wenig gepriesen, wegen der erwa*hnten Ver-

einigung, des Verstlindnisses und der Riicksicht, die ein jeder auf den andern von uns nahm; und zwar deshalb, weil wir Briider waren, von denen jeder die Ehre des einen als seine eigene ansah, wie es bei Konzerten die Hauptsache ist, dass keiner den Mitspieler zu iiberbieten trachtet; dies maige als eine Regel von nicht geringer Wichtigkeit gelten.<< Die fiir unser Thema belangreichen Ausfiihrungen P.s sind im 34. Kapitel enthalten. Sie lauten in wortgetreuer QObersetzung: >>Wo ich die Laute ge- nannt habe, wollte ich darunter auch die Erzlaute (>>Arciliuto<<) verstanden haben, um nicht theorbierte Laute (>>Liuto Attiorbiato<<) zu sagen, wie sie viele nennen,a3) als ob die Erfindung von der Theorbe oder besser gesagt vom

27) E. van der Straeten, >La Musique aux Pays-bas<, 8. Band, Briissel 1888, S. 416 u. 424 f. 28) Leipzig 1732, S. 480. (Quelle: Ant. Masini, >Bologna perlustrata<, 3 Bologna 1666, S. 687.) 29) E. Vogel, >>Bibliothek der gedruckten weltlichen Vokalmusik Italienst, Berlin 1892,

2. Band, S. 116, Nr. 7. 30) Ital. Text im Liceo-Katalog IV [s. Anm. 25]. Fiir frdl. Mitteilung weiterer Textaus-

ziige ist Verf. dem Leiter der dortigen Bibliothek, Prof. Francesco Vatielli, zu Dank ver-

pflichtet. 31) Vgl. die >Intavolatura di Liuto attiorbato< von Pietro Paolo Melli da Reggio (vier

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Chitarrone hergeleitet sei. Das ist falsch; ich muss es wissen, da ich der Er. finder dieser Erzlauten bin. Als ich iibrigens die ersten herstellen liess, fand diese Erfindung ebenso wie noch jetzt wenig Beachtung; wiihrend eines Zeit- raums von zwei Jahren wurde sie von Niemandem aufgenommen, und nir- gends war ein a*hnliches Instrument zu sehen ausser denen, die ich bauen liess. Dennoch ist dies die letzte Vervollkommung der Laute gewesen und hat die Entstehung des Chitarrone veranlasst. [!] Zum Beweise der Wahrheit sei

erwiihnt: Als ich im Jahre 1594 im Dienste des erlauchten Herzogs von Ferrara stand, ging ich nach Padua in die Werkstatt Christoph Herberles, des ersten Lautenmachers, und liess ihn zur Probe eine Laute mit so langem Rumpfe bauen, dass er zum Anbringen der Kontrabalisaiten geeignet war; auch war er mit zwei weit auseinander liegenden Stegen versehen. Doch fiel das In- strument nur tonschwach aus, weil man die Kontrabiisse am Steg nicht an-

schlagen konnte. Ich liess daher ein anderes Instrument mit der Auflage [der Kontrasaiten] am Halse machen, und dies gelang vortrefflich. Danach liess ich mit noch griisserer Sorgfalt drei weitere herstellen, die ausgezeichnet gerieten. Alle diese brachte ich nach Ferrara, wo seine Durchlaucht, mein Dienstherr, und der hochedle Fiirst von Venosa, der eben dort anwesend

war,32) sie mit dem griissten Vergniigen hiirten; besonders die kraiftigen Biisse

gefielen ihnen sehr. Seine Hoheit schenkte zwei der Instrumente dem ge- nannten Fiirsten von Venosa, der sie sogleich nach Neapel mitnahm. Eines von ihnen liess er in Rom zuriick, das dann in die Hiinde des Lauten-Edelmanns

gelangte, der es stets benutzte, da ihm diese Erfindung ungemein gefiel. Als ich nach dem Tode des besagten Edelmanns33) in Rom war, kam die naimliche Laute wieder in meine Hainde. Die andere Laute mit dem langen Rumpf, von der ich oben gesprochen habe, iiberliess ich, als ich bei dem hochwiirdigen Kardinal Pietro Aldobrandino den Dienst antrat, in Ferrara dem Herrn An- tonio Goretti, meinem teuern Freunde, der sie noch in seinem beriihmten Musiksaal aufbewahrt, wo er in einem Zimmer nicht nur alle Arten alter und neuer Instrumente, sowohl Blas- als auch Saiteninstrumente, von ausgesuchter Schoinheit und Giite besitzt, sondern auch in einem zweiten Gemach in schoin- ster Ordnung saimtliche alten und neuen Musikbiicher fiir Kammer- und fiir Kirchenmusik, die irgendwie zu finden sind.<< Dieser Bericht erheischt einige Erlauterungen. P.s Bezeichnung >>Arciliuto<< ist hier offenbar nicht im spaiteren Sinne des Wortes als Gattungsbegriff der

Biicher mit Tanzstiicken; I: verschollen, II: Venedig 1614, III u. IV: 1616). Auch die erste Sammlung der >Musichec von Claudio Saracini, Venedig 1614, enthiilt zwei Tokkaten >>per il Liuto attiorbatoc.

32) Don Carlo Gesualdo, Fiirst von Venosa (c. 1560-1614), der bekannte kiihne Chroma- tiker, hatte sich 1594 in zweiter Ehe mit der estensischen Prinzessin Eleonora vermiihlt.

33) Wer dieser >>Caualier del Liutot war, bleibt noch zu ermitteln. (Der >nobile alemannot Hieronymus Kapsberger, >il Tedesco della Tiorbat, kann es nicht gewesen sein, da er 1623 noch lebte und erst um 1635 oder noch spiiter gestorben ist.)

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>>Zweikragenlaute<<, d. h. der Theorbe und ihrer Abarten, aufzufassen,34) son- dern nur als Name der von ihm ersonnenen neuen Basslaute. Vielleicht darf P. sogar als Schoipfer dieses Instrumentennamens gelten, fiir den wohl die von dem Graekomanen Nicola Vicentino (>>l'Arcimusico<<) erfundenen en- harmonischen Tasteninstrumente >>Arcicembalo<< und >>Arciorgano<<3) als Vor- bilder dienten. Zwar liisst sich schon aus P.s Bericht eine deutliche Vorstel-

lung der Beschaffenheit seines ersten Arciliuto gewinnen; aber auch das Instrument selbst ist - wenn auch bisher unerkannt - erhalten geblieben! Es ist als ehemaliger Bestandteil der beriihmten Ambraser Kunstkammer an ihre jetzige Heimstitte, das kunsthistorische Museum zu Wien, gelangt und in Julius Schlossers trefflichem Katalog der dortigen Sammlung alter Musik- instrumente (Wien 1920) unter Nr. 46 als >>paduanische Theorbe (theorbierte Laute)<< beschrieben (s. die Abbildung auf der folgenden Seite). Das schlank-oval verlaufende Korpus, das aus 25 Zedern- und Ahornholzspai- nen besteht, filllt sofort durch seine ungewo*hnliche Linge von fast einem Meter (95/2 cm) bei einer Gesamtlainge von 1,47 m auf. Auf der aus feinjah- rigem Holz gearbeiteten Decke sind zwei etwa 40 cm auseinander liegende Stege (>>due scanelli molto lontani vno da l'altro<<) angebracht, von denen der untere drei einfache Begleitsaiten (>>contrabassi<<), der obere sieben dop- pelcho*rige Greifsaiten traigt; s*imtliche Saiten laufen iiber das mit sieben be-

weglichen Biinden versehene Griffbrett. Der kurze Hals mit dem leicht nach

riickwa*rts gebogenen mandolamiissigen Wirbelkasten endet in einen Schild. Die Decke weist zwei Schallochrosen auf: die kreisfiirmige untere (rechts von der tiefsten Begleitsaite) ist mit Rankenwerk gefiillt, die griissere obere36) hat ovale Form und zeigt in der Schnitzerei ein Lo-wenwappen. Wortlaut des

gedruckten Zettels: >>PADOVA 1595 Vvendelio Venere<<; am Halsrand und unten am Korpus ist die Brandmarke >>W. T.<< (= Wendelin Tiefenbrucker) mit einem Anker erkennbar.

34) >>Die Italiiiner nennen dies Instrument nicht selten Archileuto oder Archiliuto, und die Franzosen Archiluth<<, schreibt Mattheson im >Neu er6ffneten Orchestre<< (Hamburg 1713, S. 279) fiber die Theorbe. Vgl. auch Walthers musikal. Lexikon (1732, S. 44): >Arcileuto, Arciliuto... eine Erz-Laute...< (usw.) - >Una Tiorba et uno Arcileuto<< sind unter den In- strumenten der Serenata (Florenz 1662) von Marc' Antonio Cesti (Ms. 16.890 der Wiener Nationalbibl.) vorgeschrieben. Eine Bassarie mit >Archiliuto solo<< kommt in der Oper >La

pieta di Numa< von Giuseppe Bonno (Wien 1738; Ms. 18.290) vor. (E. Wellesz in den Sam- melbainden der I. M. G. XV, 125 u. XI, 430.)

35) Das erste, zu Anfang der 1550er Jahre erbaute zweimannalige Arcicembalo war nach

Bottrigari [s. Anmerkung 40] ein Hauptstiick des Instrumentenmuseums des Herzogs Al- fonso in Ferrara. Lt. Artusi ging das Instrument nach dem Tode des Herzogs an Antonio Goretti fiber und kam durch den Verkauf seiner Sammlung um 1660 nach Innsbruck. Der bisher unbekannt gebliebene Erbauer dieses >Arcicembalo<, das hiiufig mit dem spiiteren, erst 1560/61 entstandenen >Arciorgano<< Vicentinos verwechselt wird, war Cesare Polastri in

Ferrara, wie aus der folgenden Aufzeichnung im Innsbrucker Inventar von 1665 [s. Anmer-

kung 381 hervorgeht: >>Ein dopplets Instrument mit 2 Clavirn, so alle schwarz brochne Claves haben von Cypress. Der Author, der es gemacht, haisst Caesar de Pollastris von Ferrara...<

36) Dieselbe auffiillige Anordnung der Deckenrosen zeigt der Chitarrone auf dem Bildnis der Lady Sidney [vgl. Anmerkung 7].

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Alessandro Piccinini und sein Arciliuto 111

Der Wanderweg dieses als Unikum zu betrachtenden Instruments ist genau zu verfolgen. P. bekundet, den >>Arciliuto del corpo longo<< beim Scheiden von Ferrara [1597] seinem Freunde Antonio Goretti zur Aufbewahrung in seinem beriihmten Studio di Musica iiberlassen zu haben. Die reiche Instru-

mentensammlung dieses vornehmen Musikliebhabers, zu dessen Freundeskreis auch Monteverdi ziihlte, wurde von seinem Erben Lorenzo Goretti (>>incas- sandone una ragguardevole somma<< um 1660 >>al Principe d'Inspruck<< ver-

kauft37): an den Erzherzog Ferdinand Carl von Tirol (1628-1662), den drit-

37) Quellen: D. Gaetano Cavallini, >Cenni storici intorno all'arte musicale in Ferrarac, pag. 52 (Ms. in der Biblioteca comunale zu Ferrara; vgl. S. I. M. G. VII, 599); F. Borsetti, >Historia almi Ferrariae Gymnasiit, Ferrara 1735, II. 469.

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ten Nachfolger Erzherzog Ferdinands (t 1595), des Schlossherrn von Ambras. Zu den Stiicken, die durch diese Erwerbung nach Tirol und spaiter in die Am- braser Kunstkammer gelangten, gehiirte auch P.s Arciliuto. Im Innsbrucker Inventar v. J. 166538) ist das Instrument als >>ein Lauthen mit einem langlich- ten Corpo in ihrem Fuetteral<< kurz angefiihrt; eine deutlichere Beschrei-

bung bietet Anton Roschmanns Ambraser Bestandsaufnahme v. J. 1730 (Bl. 90): >>ain grosse lange Lauthen mit einer grossen und khlainen ROislen auf dem Teckhl [auf der Decke], auch schwarzen haltf und braunem Corpus.<<39) Erbauernamen und Jahreszahl dieses Arciliuto stimmen freilich nicht mit P.s Bericht von 1623 iiberein, da er dort mitteilt, dass er 1594 nach Padua ge- reist sei und das erste Instrument von Christoph Heberle habe bauen lassen. Bei diesen Angaben muss ihn aber sein Gedaichtnis getaiuscht haben, zumal die Sache bald dreissig Jahre zuriicklag. Betreffs der Jahreszahl ist dies schon aus dem Briefe zu entnehmen, den er wenige Tage nach der Ankunft in der alten Universitaitsstadt an seinen Dienstherrn, den Herzog Alfonso, richtete, mit dem er vorher den Plan der neuen Erzlauten genau erortert hatte40): >>Ich bin am 25. des gegenwiirtigen Monats in Padua angekommen und habe die Lauten sogleich bestellt<<, schreibt er ihm am 31. Januar 1595; >>und obwohl die Meister einige Schwierigkeiten machten, in dieser kalten Jahreszeit neue Lauten herzustellen, werden sie dennoch nicht verfehlen, ihr Miiglichstes zu tun. Wenn ich nicht eigens hingegangen wiire, um anzuordnen, wie ich sie ge- macht haben wolle, waire sicherlich nichts Gutes dabei herausgekommen, denn ihnen kommt eine [solche] Laute haichst absonderlich vor [e gli pare un lauto molto stravagante]. Ich hoffe jedoch, dass etwas Gutes daraus wird, trotzdem ich die gewiinschten langen Boden nicht finden konnte, da man sie fiir diesen Zweck aus Deutschland kommen liisst; man muss sich daher jetzt nach Miig- lichkeit behelfen.... << usw.41) Demnach ergibt sich, dass die Reise erst in den Januar 1595 faillt und P. mit mehreren Meister verhandelt hat. In seiner

Erinnerung wird er nun Heberle, der vielleicht eines der drei oder vier spai- teren Instrumente verfertigt hat, mit Wendelin Tiefenbrucker (Vendelio Venere de Leonardo T.) verwechselt haben, fiir den iiberdies das lobende

38) Abdruck im 4. Heft der Studien zur Musikwissenschaft, Beihefte der D. d. T. in Oster-

reich, Wien 1916. (S. 128 f.: F. Waldner, >Zwei Inventarien a. d. 16. u. 17. Jahrhdt. iiber... Musikinstrumente... am Innsbrucker Hofe<.)

39) Schlosser, a. a. O., S. 56 (zu Nr. 46). 40) Jber die rege Musikliebe Alfonsos und seine in zwei Siilen untergebrachte hervor-

ragende Instrumentensammlung liegt ein ifters zitierter Bericht in Ercole Bottrigaris Dialog

>I1 desiderio overo de' concerti di varii strumenti musicalik, Venedig 1594 (Neudruck von K. Meyer: Berlin 1924) vor. (pag. 40: >... iquali strumenti sono con grandissimo ordine in

quelle [due camere] distinti, & appresso molti altri diversi strumenti tali usati & non

usati.<) 41) Text des Briefes in L. F. Valdrighis >>Nomocheliurgografiat, Modena 1884, S. 272

(LII). Der Schluss des Schreibens bezieht sich auf das Anbringen einer >gobba < (Kragen- aufsatz, eigentlich: Buckel) an einer Laute des Herzogs.

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Alessandro Piccinini und sein Arciliuto 113

Beiwort >>principalissimo liutaro<< weit griissere Berechtigung hat als fiir den sonst nirgends erwaihnten Heberle. Bekanntlich wirkten im 16. und 17. Jahr- hundert in den italienischen Staidten viele eingewanderte oberdeutsche Meister als geschiitzte Lautenmacher, wie es ja auch bei den verschiedenen Mitglie- dern der Familie Tiefenbrucker der Fall war; in Padua beispielsweise ausser Wendelin Tiefenbrucker Michauil Hartung, Johann und Peter Railich und Franz Verle oder Wi*rle.4) Wie Wiirle und Jacob Heisele in Modena43) wird auch Heberle ein wackerer Schwabe gewesen sein. (ber ihn ist jedoch nicht das Geringste ermittelt; nur darf wohl vermutet werden, dass er einen Sohn und Nachfolger Johann hatte, der seinen fiir Italiener schwierig auszusprechen- den Vatersnamen in >>Hieber<< vereinfachte. Das Royal College of Music zu London besitzt aus der Sammlung G. Donaldson eine reich verzierte Elfenbein- Theorbe mit der angeblichen Signatur >>Giovanni Krebar et Andrea Jansen Padova 1629<<.") Offenbar ist diese Inschrift aber ungenau entziffert; die

richtige Lesart der Namen der beiden Werkstattinhaber lautet nach der Be-

zeichnung einer ebenfalls fein eingelegten, 1924 in Paris versteigerten Theorbe45) v. J. 1628 >>Johannes Hieber und Andreas Pfanzelt<<.46) Hieber war

spiiter in Venedig ansiissig, wie aus dem Zettel (>>Giouane Hieber in Venetia<<) einer undatierten Laute im Briisseler Instrumentenmuseum (Nr. 1561) her-

vorgeht, die aus der alten Sammlung Contarini-Correr stammt.

So genau auch P. seinen ersten Arciliuto >>del corpo longo<< beschreibt, so wort-

karg bleibt er bei der Erwahnung des verbesserten Typs, >>che riusci buonis- simo<<. Seinem Bericht ist nur zu entnehmen, dass er nach den klanglich un- giinstigen Erfahrungen mit dem ersten Instrument den zum Aufspannen der Bordunsaiten benutzten unfoirmig langen Schallkiirper47) aufgab und die Kon-

42) Niihere Angaben s. im 2. Band von W. L. v. Liitgendorffs Werk >>Die Geigen- und

Lautenmacher vom Mittelalter bis zur Gegenwart<, 8 Frankfurt a. M. 1922. Christoph Heberle ist dort nicht erwiihnt, nur (S. 116) der als tiichtiger Gagliano-Schiiler bekannte Geigenbauer Tomaso Eberle in Neapel aus der zweiten Hiilfte des 18. Jahrhdts., der seinen Namen ge- legentlich auch >Thomas Heberl<< schreibt. Dass Alessandro P. selbst (S. 375) >>ein hoch-

angesehener Lautenmacher<< war, ist eine irrige Annahme. 43) Valdrighi, a. a. O., S. 163 u. S. 277/78. 44) Farbige Abbildung: A. J. Hipkins & W. Gibb, >>Musical instruments-historic, rare and

unique<<, Edinburgh 1888, Tafel XVI. Vgl. auch >Catalogue of the Music Loan Exhibition...

1904<, London 1909, S. 136.

45) Nr. 22 im Katalog der ehemaligen Sammlung Leon Savoye, Paris 1924; Abbildg.: Tafel III.

46) Uber zwei andere Mitglieder der Lautenmacherfamilie Pfanzelt (Peter Pf., t 1582 in

Rom, und Jirg Pf., Strassburg 1635) s. v. Liitzendorff, a. a. 0., 2. Band, S. 380. Die dortigen Angaben (S. 214) iiber Hieber sind hinfiillig, da der Berliner Chitarrone Nr. 2304 nach Sachs' Katalog, Sp. 182, eine Fiilschung ist.

47) Diese Bauart war - nebenbei bemerkt - gelegentlich auch schon friiher versucht

worden, wie es die ebenfalls der Ambraser Sammlung angeh6rende sog. >gotische Basscister<

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traba1fsaiten am Halse (>>con la tratta al manico<<) aufziehen liess. Da P. aus- driicklich betont, die Erfindung sei nicht von der Theorbe oder dem Chitar- rone hergeleitet, kann hier natiirlich die iibliche Theorbierung nicht in Be- tracht kommen - abgesehen davon, dass dies ja keineswegs eine Neuerung gewesen ware. Die Lijsung des Riitsels liefert anscheinend jene sonderbare

>>Lyra-Cister<< des Wiener Instrumentenmuseums (Nr. 66), auf deren Verwandt- schaft mit P.s >>Plettro d'Apollo<< und ihre Herkunft aus Gorettis Sammlung48) bereits hingewiesen ist. Ihr Bezug besteht aus sechs einzelnen Greif- und acht Bordunsaiten aus Messing- und Stahldraht. Nur fiir die Greifsaiten ist ein Wirbelkasten vorgesehen; die Begleitsaiten sind iiber einen unmittelbar an das breite Griffbrett angesetzten, spitz zulaufenden Chitarronenhals gezogen, laufen iiber einen gemeinsamen langen Sattel und sind an staihlernen Schrau- benwirbeln befestigt.49) Diese von der gebraiuchlichen Theorbe abweichende

Einrichtung50) wird auch P.s verbesserter Arciliuto besessen haben. Das waire zugleich eine Erkliirung fiir sein Eingestiindnis; seine Erfindung habe wenig Beachtung und noch 1623 keine Verbreitung gefunden: >> .... come se detta inventione per all' hora fosse poco stimata, per ispatio di due anni non si vide abbracciata di nessuno, ne si vedeua alcun simile stromento fuorche quelli ch'io faceua farc.<<

fSber seine Verbesserungen des Chitarrone und die Verwendung des Instru- ments auch zum Solospiel gibt P. im 28. Kapitel des Vorberichts einige Auf- schliisse. Er erwlihnt, dass man schon seit langen Jahren in Bologna ausge- zeichnete Lauten baue,51) die besonders von den Franzosen sehr geschaitzt wiirden, die jeden Preis dafiir bezahlten, und dass man dort auch grosse Bass- lauten herstelle, bei denen die Sangsaite (Cantino oder Chanterelle) eine Ok- tave tiefer gestimmt werden miisse. Dann faihrt er fort: >>Nach einiger Zeit, als die Bliite des Kunstgesangs begann, schien es den Virtuosen, dass diese

beweist. (Nr. 60 in J. Schlossers Katalog; Abbildg.: Tafel X.) Uber die Entstehungszeit dieses hichst merkwiirdigen Instruments sind freilich die Ansichten geteilt (s. Archiv f. Mw.

III, 130); Schlossers Ansetzung >14. bis 15. Jahrhdt.<< ist jedenfalls zu friih. 48) Im Innsbrucker Inventar v. J. 1665 [s. Anmerkung 381 als >Ein Chytharon mit stiicheln

[stlihlernen] Saitten, so blab [blau] und etwas vergult< verzeichnet.

49) Abbildung: Tafel X in Schlossers Katalog. 50) Eine ganz jihnliche Bauart, jedoch mit Holzwirbeln anstelle der Metallschrauben ffir

die Bordunsaiten, zeigt der Hals der theorbierten Laute auf dem bekannten Bildnis des Lautenisten Jacques Gautier (c. 1600-c. 1670), einer feinen Radierung des Rembrandtschii- lers Jean Lievens (Bartsch 59). Vgl. O. Fleischers Angaben iiber das Blatt in V.f. Mw. II, 3; Abbildung u. a. in Kinskys >>Geschichte der Musik in Bildern<, S. 136/2.

51) Auch dort war im 15. und 16. Jahrhdt. der Lautenbau iiberwiegend in den Hiinden deutscher Meister, wie es die Namen Sigismund und Laux [Lukas] Maler, Nikolaus Schin- feld und Hans Frey beweisen. (Letzterer darf nicht - wie es staindig geschieht - mit Diirers

Schwiegervater verwechselt werden! Vgl. den Hinweis des Verf. in Vol. IX der >Acta mu-

sicologica<<, S. 59 f.)

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grossen Lauten durch ihren zarten Klang besonders zur Gesangsbegleitung geeignet seien. Aber da viele fanden, dass sie fiir diesen Zweck zu tief stan- den, waren sie geniitigt, sie mit diinneren Saiten in einer der Singstimme bequemen Stimmung zu beziehen. Und da sich dies bei den zweiten [Chiiren] nicht erzielen liess, stimmten sie diese nach dem Beispiel der andern Saite eine Oktave tiefer. So erreichten sie ihre Absicht, und das war der Anfang [zur Stimmungsart] der Theorbe oder des eigentlichen Chitarrone. Kurze Zeit, bevor ich den Aufzug der Kontrabasssaiten anfiigen liess, war Herr Giulio Caccini, genannt der Roimer, nach Ferrara gekommen, ein vortrefflicher Bel-

canto-Sainger, der von den hohen Herrschaften [dorthin] berufen worden war. Er besass einen Chitarrone aus Elfenbein, der in der vorher beschriebenen Weise eingerichtet war und ihm zur Gesangsbegleitung diente. Ausser zu Ge-

sangszwecken benutzte niemand den Chitarrone; seitdem ich aber den Aufzug der Kontrabafisaiten hatte machen lassen, wurden viele Kiinstler von diesem

Klange und der bequemen Saitenauswahl bezaubert und begannen (trotz der Unvollkommenheit, die ihnen die eine Oktave tiefer gestimmte erste und zweite Saite bereitete) sich auch an seinem Einzelklang zu erfreuen. Durch

Q'bung erlangten einige in kurzer Zeit grosse Fertigkeit, und danach begann der Ruhm des Chitarrone. Ebenso kann ich sagen, dass der mit Cistersaiten

[aus Metalldraht] bezogene Chitarrone, der hauptsachlich in Bologna benutzt wird, einen sehr lieblichen Klang hat, der dem Ohre leicht und neuartig er- scheint. Jetzt habe ich einige Miingel beseitigt und ein anderes Verfahren bei der Herstellung dieser Instrumente ermittelt, so dass sie an Giite betraichtlich gewonnen haben: indem ich auf ihnen die fiinfte und sechste Saite und die Kontrabaisse aus Silberdraht anbrachte und je nach Bedarf jede Bafisaite mit kurzem oder langem Aufzug versah, hat die Tonfiille ausserordentlich zuge- nommen. Das so beschaffene Instrument wird Pandora genannt, und da es nicht von zu grossem Umfang ist, erweist es sich als sehr bequem. Trotzdem besitzt es weittragenden Klang und geniigende Tiefe zur Begleitung der Ge-

sangsstimme und halt vorziiglich Stimmung...<< Zur Erlaiuterung: Der Hinweis auf Bezug und Stimmung der Sangsaiten ent-

spricht den Angaben iiber die Theorbe im XXV. Kapitel der >>Organographia<< von Praetorius: >>... Deren sind nun zweierlei Arten; die eine mit Ge[i]gen- saiten, die andere mit Messings- und stii[h]le[r]nen Saiten... Aber die Quarta und Quinta wird... um eine Octav tiefer... gestimmt. Und das darum, die- weil in der Theorba die Liinge des Corporis und die Messingsaiten solches nicht anders leiden und die rechte Hoihe nicht erreichen koinnen.<< - In einem estensischen Inventar vom 18. Dezember 1600, einer Bestandsaufnahme der

Instrumente, die sich Herzog Cesare (Alfonsos Nachfolger) bei seiner ltber- siedlung nach Modena aus dem Palazzo Diamanti in Ferrara nachsenden liess, ist auch >>Un chitarone davolio [= d'avorio] bianca, con sua cassa<< verzeich- net.52) Vielleicht war dies der von P. genannte elfenbeinerne Chitarrone, den

52) E. van der Straeten, >La Musique aux Pays-bas<, 6. Band (1882), S. 117. Einen zu-

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Caccini bei seinem Besuche in Ferrara dem Herzog Alfonso fiir seine praich- tige Instrumentensammlung iiberlassen hat. - P.s Mitteilung iiber die Neue- rung der mit Silberdraht umsponnenen Basssaiten ist ein wichtiges Zeugnis fiir die Tatsache, dass derartige Saiten schon um 1620 in Italien bekannt wa- ren. In anderen Liindern ist ihre Verwendung erst im letzten Viertel des Jahrhunderts nachzuweisen. Ihre Einfiihrung in Frankreich geht auf den Gam- bisten Sainte-Colombe (t 1700) zuriick: >>c'est luy qui a mis les chordes filees

d'argent en usage en France<<, schreibt Jean Rousseau in seinem >>Traite de la Viole<< (Paris 1687, S. 24), und der deutsche Musikschriftsteller Daniel Speer vermerkt in seinem im selben Jahre zu Ulm erschienenen >>Unterricht der musikalischen Kunst<< (S. 91) die Anwendung von solchen mit Silber- oder

Kupferdraht iibersponnenen Saiten bei den sog. >>Fagottgeigen<< oder >>Violae di Fagotto<<.53) - Die Bezeichnung >>Pandora<< fiir den von P. verbesserten Chitarrone ist sonst nicht belegt.54) Der Namen diirfte sich auch kaum ein- gebiirgert haben, schon wegen der naheliegenden Verwechslung mit der so be- nannten, um 1560 aufgekommenen englischen Basscister,55) die iibrigens als Generalbassinstrument im 17. Jahrhundert auch in Deutschland verbreitet

war.56) - Zu P.s Ausserung, sein verbesserter Chitarrone >>sia di forma non

troppo grande<< ist darauf hinzuweisen, dass neben den grossen, 1,80 bis 2 Meter langen Instrumenten auch eine kleinere handlichere Abart in der Durch- schnittsliinge von 1,60 Meter gebriiuchlich war. Beispiele dieses Typs aus den Jahren 1609 bis 1639 sind in den Instrumentenmuseen zu Bologna, London, Salzburg und Wien anzutreffen.") Eine Zusammenfassung des Sachverhalts fiihrt zu dem Ergebnis, dass es ledig- lich ein Missverstaindnis ist, P. als Erfinder der Theorbe oder des Chitarrone zu bezeichnen, da es beide Instrumentenarten in der zweiten Hailfte des 16.

Jahrhunderts liingst gab. Sein 1595 geschaffener Arciliuto mit dem langen Korpus zur Aufnahme der Bordunsaiten erwies sich als klanglich ungeeignet

verliissigeren Abdruck des Verzeichnisses s. in Valdrighis >>Musurgiana<< No. 12, Modena 1884, S. 59. Dasselbe Instrument kommt auch noch in den Modeneser Inventaren von 1612 und 1617 vor.

53) Vgl. den Hinweis des Verfassers in Z. f. Mw. XIII, 326.

54) Giustiniani [s. Anmerkung 22], dem P's Vorbericht als Quelle diente, schreibt: >... dice che Alessandro P. bolognese e' stato inventore della Pandbra, cioei d'un Liuto tiorbato con

aggiunta di molte corde ne i bassi e molte negli alti, e tra queste alcune di ottone e d'argento, con tal dispozione che con la larghezza delle note e la quantitai delle corde, s'ha campo di sonare ogni perfetta composizione esquisitamente, con vantaggio de gl' altri stromenti nel trillo e nel piano e forte.<<

55) Vgl. das XXVIII. Kapitel in Praetorius' >Organographia<, iiber Einzelheiten: Heyer- Katalog Band II (1912), S. 205, und die Biicher von Curt Sachs.

56) Belege in der Vorrede zur >Historia der Auferstehung Jesu Christi< von Heinrich Schiitz (Dresden 1623), in Titeln von Musikdrucken von Gabriel Voigtliinder (Sohra 1642 u. ift.) und Johann Weichmann (Kinigsberg 1648), in den Inventaren Cassel 1638, Weimar

1662, Berlin 1667 usw. Auch auf dem Titelkupfer zu Walthers Lexikon (1732) ist eine Pandora

abgebildet. 57) Siehe die Nummern 4, 6, 12, 13, 17 u. 18 der Aufstellung auf niichster Seite.

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und ist von ihm selbst verworfen worden. (Das Originalinstrument ist in der

Instrumentensammlung des Wiener kunsthistorischen Museums erhalten ge- blieben.) Die von ihm vorgenommene Umwandlung dieser Erzlaute mit der abweichenden Befestigungsart der Freisaiten an Metallschrauben konnte sich ebenfalls nicht durchsetzen und blieb fiir die weitere Entwicklung des Lauten- baus bedeutungslos. Nur die Einfiihrung der mit Silberdraht umsponnenen Bagfsaiten beim Chitarrone (der sog. >>Pandora<<) ist ihm als unumstrittenes Verdienst zu belassen.

Zum Kapitel der Chitarronen noch ein kleiner Nachtrag! Curt Sachs erklairt in seinem >>Handbuch der Musikinstrumentenkunde<< (2, S. 227): >>Die meisten Museumsexemplare sind gef ilscht<<, und in seinem Berliner Katalog (Sp. 182) ist Nr. 2304 >>als ein bezeichnendes und warnendes Beispiel fiir die Florentiner

Chitarronenfailschung aufgenommen, denen fast alle Sammlungen zum Opfer gefallen sind.<< Es ist zuzugeben, dass nicht grade wenige Stiicke ganz oder teilweise gefailscht sind und z. T. schon durch ihre stark verdaichtigen Zettel- inschriften und Jahreszahlen ihren Ursprung aus der beriichtigten Werkstatt Leopoldo Franciolinis verraten. Andererseits bietet aber eine ganze Reihe von Instrumenten - unbeschadet mancher spaiterer Erneuerungen - durch ihre beglaubigte Herkunft aus alten, angesehenen Sammlungen und aus sonsti- gen Griinden Biirgschaft fiir ihre Echtheit. In Anordnung nach der Zeitfolge zihlen hierzu (unter Beschriinkung auf die signierten Stiicke): 1) Pietro Alberti, Rom 1598: Leipzig (Heyersammlung) Nr. 511. (Museo Kraus, Florenz.) - 2)-4) Magnus Tiefenbrucker, Venedig 1608: London, Royal College of Music. (Sammlung G. Donaldson.58) Zwei undatierte Chi- tarronen dieses Meisters: Leipzig Nr. 512. (Museo Kraus, Florenz.) Wien, Kunsthist. Museum Nr. 45. (Sammlung Obizzi, Catajo bei Padua.) - 5) Martin Kaiser, Venedig 1609: Paris, Cons. de Musique Nr. 227. (Sammlung Clapisson.) - 6) Wendelin Tiefenbrucker, Padua 1609: Bologna, Museo civico. (Liceo musicale di Bologna.) - 7) u. 8) Mattheus Buchenberg, Rom 1614: London, Victoria and Albert Museum Nr. 190/ [18]82. (Sammlung Carl Engel.) Briissel, Cons. de Musique Nr. 1570.59) (Sammlung Contarini-Correr, Venedig.) -

9)-11) Michele Attore, Venedig 1620: Leipzig Nr. 513. (Museo Kraus, Flo- renz.) Desgl. (Venedig 1620): ehemal. Sammlung E. de Bricqueville, Ver- sailles. Padua 1628: Florenz, Istituto Cherubini Nr. 55. - 12) Andrea Taus, Siena 1621: London, Victoria and Albert Museum Nr. 5989/ [18]59. - 13) Jo- seph Langenwalder, Fiissen 162560): Wien, Museum der Gesellschaft der Mu- sikfreunde Nr. 59. (Aus dem Stift Herzogenburg.) - 14) Jacob Bosshart, Augsburg 1628: Kopenhagen, C. Claudius Nr. 108a. (Sammlung F. Wildhagen,

58) Farbige Abbildung: Hipkins & Gibb [s. Anmerkung 44], Tafel XXI. 59) Die in Matrillons Katalog III, 147 angegebene Jahreszahl >1680 diirfte verlesen sein. 60) Der lilteste datierte deutsche Chitarrone.

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Berlin.) - 15)-17) Matteo Sellas, Venedig [um 1630]: Briissel, Cons. de

Musique Nr. 255. Desgl.: Paris, Cons. de Musique Nr. 231. (Sammlung Con-

tarini-Correr, Venedig, dann J. Fau, Paris.) 1639: Bologna, Museo civico.

(Liceo musicale di Bologna.) - 18) u. 19) Peter Khdipff, Miinchen 1637: Linz, Museum Francisco-Carolinum. 1647: Salzburg, Museum Carolino-Augusteum Nr. 118. - 20) Giuseppe Mascotto, Rovere 1637: Kopenhagen, Musikhist. Museum Nr. 310. - 21) Christopher Cocks, Venedig 1654: Paris, Cons. de

Musique Nr. 233. (Vgl. oben, 16). 22)-25) Pietro Raillich, Padua 1655: Darm-

stadt, hessisches Landesmuseum Nr. 22. 1664: ehemal. Sammlung Friedrich

Amerling, Wien. (Nr. 783 im Katalog 1916.) Ohne Jahreszahl: Briissel, Cons. de Musique Nr. 1562 u. 1569. (Beide Instrumente aus der Sammlung Con- tarini-Correr, Venedig.) - 26) u. 27) Magno Steger, Venedig [17. Jahrhdt.]: Boston, Museum of fine arts. (Coll. F. W. Galpin, Hatfield.) Berlin, Samm-

lung F. Wildhagen.

Was ist eigenlich >das Material der Musik<?

(Ein Beitrag zum Materialproblem der

Musikwissenschaften). Othmar Reich (Prag)

Die Frage nach dem Material der Musik ist, als Problem betrachtet, wohl eines der allerjiingsten Probleme der Musiktheorie. Insofern niimlich, als diese Frage selbst bis vor kurzem gar nicht als ein wirkliches Problem betrach- tet wurde und auch sonst gar keine weiteren, irgendwie besonderen Problem-

stellungen nach sich zu ziehen schien. Material der Musik, Material des Mu- sikers waren eben >>die Toine<< und das soill heissen: die Tone unseres Ton-

systems, die Tonempfindungen. Damit schien aber die Angelenheit im Gros- sen und Ganzen auch schon gekliirt. Man glaubte niimlich einerseits, seiner Sache sicher zu sein, anderseits schien auch die ganze Fragestellung als solche keineswegs von irgendwelchem weiteren Interesse. Nun, diese zugleich uninteressierte und selbstsichere Stellungnahme der Musiktheorie einem, wie wir noch sehen werden, ganz ausserordentlich wich-

tigen und weitreichenden Problem gegeniiber griindete sich einmal auf gewisse naive Anschauungen vom Wahrnehmungsvorgang und vom Schaffensprozess, wie sie aus der unkritischen Selbstbeobachtung des Musikers stammen; auf diese Anschauungen werden wir im Weiteren noch zu sprechen kommen; zum Anderen aber schienen auch die entsprechenden Ansichten der Psychologie

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