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Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleit-untersuchung (1999-2003) zum E+E Projekt Renaturierung der Hase-Aue Folgen fr die Strukturkomplexitt und die Besiedlung durch Flora und Fauna
Dominique Remy (mit einem gekennzeichneten Beitrag von R. Schrpfer)
Altgewsser, Auenlandschaft, Eigendynamik, Reaktivierung, Renaturierung, Sandko-
system, Wiederansiedlung
1 Einleitung
Der inzwischen von der Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) geforderte gute ko-
logische Zustand ist fr Fliegewsser eigentlich nur dann als gegeben anzusehen,
wenn sich durch geogene dynamische Prozesse naturnahe Strukturen und Be-
dingungen sowohl im Wasserkrper als auch in der Uferzone und mglichst auch in der
zugehrigen Aue ausbilden und erhalten knnen. Die Qualittsmerkmale fr ein
kologisch intaktes Gewsser in einer intakten Aue zielen also auf die weitgehende
Natrlichkeit bzw. Naturnhe aller wichtigen Parameter, wie Wasserhaushalt, Durch-
gngigkeit, Strmung, Sedimentdifferenzierung, Lauflnge, Gewssermorphologie,
Strukturvielfalt, Retention, Grundwasserbildung, Kleingewsser, auentypische Stand-
orte und Vegetationskomplexe sowie extensive Umlandnutzung. Die Umsetzung dieser
Vorgaben, also die Beseitigung kologischer Defizite von Fliegewssern und ihrer
Auen, erfolgt jedoch eher sporadisch. Hufig genannte Grnde sind hohe Kosten,
erheblicher Platzbedarf, Eigentumsverhltnisse oder Widerstnde von Anliegern.
In Niedersachsen gab es bereits vor Inkrafttreten der EG-WRRL Projekte zur Re-
naturierung von Fliegewssern bzw. zur Entwicklung eines flchendeckenden Flie-
gewsserschutzsystems (Dahl & Hullen 1989). So fhrte auch der Landkreis (LK)
Emsland in den Jahren 1992/93 erste Untersuchungen zum Zustand des Unterlaufes
der Hase sowie ihrer Altgewsser durch und lie Mglichkeiten fr einen Wieder-
anschluss dieser Altgewsser prfen. Obwohl der Unterlauf der Hase noch ber weite
Strecken einen mandrierenden Verlauf besitzt, waren doch erhebliche landschaftliche
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und strukturelle Defizite feststellbar, so im Bereich der Ufer (Regelprofil), der nicht
durchgngigen Einmndung von Nebengewssern oder der nicht standortgerechten
Nutzung der Aue. Aus diesem Grund wurde vom LK Emsland das E+E-Projekt
Hasetal beantragt und 1995 begonnen.
Inzwischen ist die Wiederherstellung naturnaher Gewsser und natrlicher Retentions-
rume etablierter Bestandteil vieler vergleichbarer Planungen, allerdings eher im
Zusammenhang mit kleineren Fliegewssern oder mit Strmen, wie der Elbe, wh-
rend derartige Manahmen an Flssen von der Gre der Hase eher die Ausnahme
bilden (vgl. Smukalla 1994; Sellheim 2006).
Das Innovative am E+E Projekt Hasetal war seinerzeit der ganzheitliche Ansatz, der
die Restrukturierung eines Gewssers mit der Reaktivierung mglichst groer Anteile
der fossilen Aue in einen lngeren Talabschnitt verband und damit ber die ver-
breiteten Uferrandstreifenprogramme deutlich hinaus ging. Randstreifen als Puffer-
zonen erbrigten sich, da alle weiterhin landwirtschaftlich genutzten Flchen, die im
Zuge des Projektes in den Besitz des LK Emsland gelangten, nur noch als standort-
gerechtes, extensiv genutztes Grnland genutzt werden drfen (Pachtauflage). Auch
konnte hier der natrliche Retentionsraum zumindest in Teilabschnitten des Projekt-
gebietes nach entsprechendem Deichrckbau in voller Talbreite wiederhergestellt
werden und geht damit ber den Umfang von berflutungspoldern hinaus.
Ein wesentlicher Anteil der Projektmittel in Hhe von rund 10,2 Millionen Euro, aus den
Haushalten von EU, BfN, Land Niedersachsen und LK Emsland, wurde fr den Fl-
chenerwerb in der Talaue ausgegeben. Ein deutlich geringerer Anteil war fr die
eigentliche Baumanahmen notwendig, wie:
Deichrckbau bzw. Rckverlegung von Flussdeichen zur Vergrerung der
Retentionsflchen;
Modellierung naturnaher Gewsserstrukturen und naturnahe Umgestaltung
endwidmeter Fischteiche;
Beseitigung oder Vernderung von (Quer-) Bauwerke zur Verbesserung der
Durchgngigkeit;
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Laufverlngerung durch den Anschluss von Altgewssern;
Partielle Beseitigung von Uferbefestigungen;
Wegebau, Bau einer Aussichtsplattform;
Anpflanzungen, Einsaaten;
Besucherlenkung, Beschilderung.
Durch die Reduktion kostenintensiver Baumanahmen auf das absolut Notwendige,
durch die zumeist baustellennahe Verbringung bzw. Nutzung der anfallenden Erd-
massen aus dem Deichrckbau und durch die Einbeziehung eigendynamischer
Prozesse wurde versucht die Finanzmittel mglichst optimal zu nutzen. Auch zuknftig
werden Haushaltsmittel bei der Erhaltung des guten kologischen Zustands ein-
gespart werden knnen, da der Wegfall oder die weitgehende Reduktion von Unter-
haltungsmanahmen fr weite Uferstrecken vereinbart wurde, um auentypische
Prozesse auf geomorphologischer und biologischer Ebene zuzulassen. Allerdings
mussten auch in diesem Projekt Belange des Hochwasserschutzes, historischer
Nutzungsformen sowie der Rechte Dritter bercksichtigt werden, so dass eine voll-
stndige Dynamisierung der gesamten Aue nicht realisierbar war. Auch wurde von der
unteren Naturschutzbehrde des LK Emsland, in Absprache mit der Wasserwirt-
schaftsbehrde, festgelegt, dass in Teilen der reaktivierten Aue die Entwicklung eines
standorttypischen Auenwaldes unterbleibt. Stattdessen ist durch Beweidung nasses,
feuchtes und trockenes Extensivgrnland zu entwickeln bzw. zu erhalten. Damit soll
einerseits der Abfluss von Hochwasser gesichert und andererseits, leitbildkonform, aus
dem Zusammenspiel von Hydrodynamik und standortgemen Nutzungsformen, eine
offene, parkhnliche Landschaft entwickelt werden, die sich mosaikartig aus Elementen
der Weich- und Hartholzaue, der unterschiedlich Typen des Extensivgrnlandes
(Niedermoor bis Sandtrockenrasen), aus Rhrichten, Kleingewssern und Hoch-
staudenfluren zusammensetzt und den standorttypischen Zooznosen Lebensraum
geben soll. Es stand somit nicht die Frderung bestimmter Pflanzen- oder Tier-Arten im
Vordergrund, sondern die Reaktivierung auentypischer Bioznosen und Biotop-
komplexe.
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2 Projektstruktur Alle mit der direkten Umsetzung des E+E Projektes Hasetal zusammenhngenden
Manahmen wurden vom LK Emsland in Kooperation mit den betroffenen Krper-
schaften durchgefhrt. Die wissenschaftliche Begleitung zum E+E Projekt (1999-2003)
bernahm der Fachbereich Biologie/Chemie der Universitt Osnabrck. Die wissen-
schaftlichen Begleituntersuchungen starteten zeitgleich mit dem Beginn der Umsetzung
der baulichen Manahmen. Sie erfolgten in enger Zusammenarbeit mit dem LK Ems-
land und dem Bundesamt fr Naturschutz (BfN). Die sehr unterschiedlichen Aspekte
des breitgefcherten Anforderungsprofils wurden von drei Arbeitsgruppen (kologie,
Ethologie und Spezielle Zoologie) innerhalb der Biologie bearbeitet. Die Gesamtleitung
lag bei Prof. Dr. Rdiger Schrpfer (Ethologie). Angesichts einer Gesamtflche von
ber 450 ha, einer Vielzahl von Gewssern und Gewssertypen mit ber 20 km
Uferlnge sowie sehr unterschiedlichen Baumanahmen war von vornherein klar, dass
nur ausgewhlte Aspekte, also nur bestimmte Organismen-Gruppen und nur einige der
erwarteten abiotische Vernderungen, flchendeckend bzw. kontinuierlich erfasst und
bearbeitet werden konnten, whrend dies ansonsten nur punktuell bzw. im Jahres-
rhythmus erfolgen konnte.
Aus der Arbeitsgruppe kologie rekrutierten sich zwei Teilprojektgruppen. Durch die
erste, unter Leitung des Autors (Dr. Remy), erfolgte die flchenhafte, kartographische
Erfassung der Vegetation zu Beginn (Status quo) und am Ende der Manahmen. Auf
diese Weise entstanden zwei Kartenwerke, die die Zustnde 1999 sowie 2003 und
damit die im Projektzeitraum aufgetretenen Vernderungen dokumentieren. Gleichzei-
tig wurde damit eine bersicht ber die Biotoptypen geschaffen und eine Basis fr die
Einordnung anderer, punktueller Untersuchungen. Diese Gruppe bearbeitete neben
dem Diasporenpotential auch die linearen Strukturen, da Vernderungen der Ufer- und
Auenstrukturen als wichtige Indikatoren fr die sich verndernde Dynamik des Flusses
herangezogen wurden. Die zweite Teilprojektgruppe (Prof. Dr. Assmann) beschftigte
sich punktuell im Uferbereich mit der Erfassung der Gruppen der Laufkfer, S-
wasser-Mollusken und Springschwnze, um deren Vernderungen zu dokumentieren.
Die Arbeitsgruppe Ethologie (Prof. Dr. Schrpfer) verantwortete ein weiteres Teil-
projekt und beobachtete die Auswirkungen des Manahmen auf die semiaquatischen
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Sugetiere und den Einfluss der berschwemmungen auf die Kleinsugetiergemein-
schaften in verschiedenen Vegetationszonen. Das vierte Teilprojekt verantwortet die
Arbeitsgruppe Spezielle Zoologie (Prof. Dr. Westheide). Von ihr wurde besonders der
Einfluss der vernderten Flussdynamik und berschwemmungsintensitt auf die
Populationen der Heuschrecken und Amphibien bearbeitet. In allen Fllen kamen fr
die jeweilige Fragestellung spezifische Methoden zum Einsatz. So wurden u.a. im
aktiven Lauf der Hase und in den spter angeschlossenen Altgewssern jhrlich
Tiefenmessungen mit einem Echolot vorgenommen. Von besonderer Bedeutung waren
auch Kenntnisse ber das Reservoir und den Eintrag von Diasporen, da durch den
Abbau von 17 km Deichstrecke sowie