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Zur Geschichte der Finanzwirtsehaft Wiens 1) Von Friedrieh Engel-Jdnosi, Wien Wenn bei der Aufnahme eines historischen Werkes eine Beziehung zu einem geltenden oder wirkenden Problem wesentlich mitwirkt, so kann die Darstellung der Finanzwirtschaft frtiherer Zeiten, und nieht zuletzt die des Gemeindehaushaltes der Stadt Wien eines weit'gehenden Interesses gewiB sein. In zweifacher Riehtung ist die Arbeit yon Otto Brunner, die 4ie Geschichte der Finanzen der Stadt Wien yon den Anfi~ngen bis ins 16. Jahr. hundert, also bis zur endgiiltigen Durchsetzung des landesffirstlichen Absolu= tismus, darstellt, bemerkenswert~). Zunachst, zum ersten Male wird bier unter restloser Yerarbeitung des vorhandenen Quetlenmaterials ein gr61~erer Abschnitt der Wiener Wirt- sehafts, und Soziatgeschlehte im sp~teren Mit¢elalter geschildert. Diese Feststellung soll nichts anderes gegen manehe vortreffliche Aufs~tze in der vom Altertumsverein herausgegebenen Geschichte der Stadt Wien aussagen, als da~ in diesem Sammelwerke die Aufgabe notwendig anders gestellt war. Were es Wunseh o4er Bediirfnis ist, eine klare Vorstellung yon den aus diesem Zeitraum vorhandenen historisehen Quellen zur Geschiehte Wiens zu gewinnen, der wird unbedingt zum Buehe Brunners greifen, zumal diese Que]len zum groi~en Tefle bisber nicht oder nut bruchstfiekweise benfitzt waren. ~un erst ergibt sich ein anschauliches Bild von Verwaltung und &ufgaben der Sta4t Vc'ien im ~ttelal~er, ein Bild, alas f/ir jeden, dem es um historisehe Erkenntnis ernst ist, dutch alle typologlschen Darstellungen und Erg~nzungen in keiner Weise zu erseCzen war. Die Bedeutung dieser Erkenntnis fiber alles LokMhistorisebe hinaus erhellt bereits aus dem Um- stande, da[~ Wien mit seinen yon B r unn er gesch~tzten 20 000 Einwobnern um die Mitre des 15. Jahrhunderts in der ersten Reihe der deutschen St~dte dieser Zeit stehtS). Die Eigenartigkeit der Gesehichte Wiens erseheint zum grol~en Tei] (lurch das Verh;41tnis zum Landesffirsten bestimmt, dutch die Abh~ngigkeit yon diesem, deren Ausmai~ wohl in tier Zeit vom 13. bis 16. Jahrhundert ziemtich stark sehwankte, die abet stets in wesentliehen Belangen vorhanden war. Versuche des 13. Jahrhunderts, Wien zur Reichsstadt zu erheben, sin4 scheinbar yon der Politik des Reiehes, nicht yon der der Stadt, bestimmt i) Otto Brunner: Die Finanzen der Stadt Wien yon den Anf~ngen bis ins 16. Jahr- hundert, Stlldien aus dem Archiv der Stadt XVien, Bd. 112, S. 462. Wien, 1929. ~) Die Besprechuug beniitzt auf Grund der vorliegenden Korrekturbogen zugleieh aueh dcsselben Ver£assers Arbeit, in tier seine Forsehungen in die Gesehiehte der ,,Politik tier Stadt ~Vien im sp~itercn 5iittetalter" verarbeitet werden, ans den ,,Historischen Stu4ien, A° F. P~dbram zum 70. Gebl~rtstag dargebracht", "Wien, 1929; im foIgenden zitiert als ,,Politik der Stadt Wien". *) Die beigebraeht.en Vergleichszahlen stellen es lediglieh hinter Niirnberg un4 Strai~burg, zusammen mit Ulm, vor Augsbm~', Frankfurb und alle iibrigen. Bei 4iesem Vergleieh ware auch zu beriicksichtigen, zu weleher Zeit die einzelne Stadt den H6hepunkt ihrer Bedeutung erla,ngt. Fftr Wien wnr(le er nn4 ftir sehr lange Zeit hinans in den angegebenen Jahrzehnten erreicht, was bis in die Struktur der Finanzverwaltung vor lind nach dieser Zeit ersiebtlieh gemaeht wird (z. B. S. 75).

Zur Geschichte der Finanzwirtschaft Wiens

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Page 1: Zur Geschichte der Finanzwirtschaft Wiens

Zur Geschichte der Finanzwirtsehaft Wiens 1) Von

Friedrieh Engel-Jdnosi, Wien

Wenn bei der Aufnahme eines historischen Werkes eine Beziehung zu einem geltenden oder wirkenden Problem wesentlich mitwirkt , so kann die Darstellung der Finanzwirtschaft frtiherer Zeiten, und nieht zuletzt die des Gemeindehaushaltes der Stadt Wien eines weit'gehenden Interesses gewiB sein.

In zweifacher Riehtung ist die Arbeit yon Otto B r u n n e r , die 4ie Geschichte der Finanzen der Stadt Wien yon den Anfi~ngen bis ins 16. Jahr. hundert, also bis zur endgiiltigen Durchsetzung des landesffirstlichen Absolu= tismus, darstellt, bemerkenswert~).

Zunachst, zum ersten Male wird bier unter restloser Yerarbeitung des vorhandenen Quetlenmaterials ein gr61~erer Abschnit t der Wiener Wirt- sehafts, und Soziatgeschlehte im sp~teren Mit¢elalter geschildert. Diese Feststellung soll nichts anderes gegen manehe vortreffliche Aufs~tze in der vom Altertumsverein herausgegebenen Geschichte der Stadt Wien aussagen, als da~ in diesem Sammelwerke die Aufgabe notwendig anders gestellt war. Were es Wunseh o4er Bediirfnis ist, eine klare Vorstellung yon den aus diesem Zeitraum vorhandenen historisehen Quellen zur Geschiehte Wiens zu gewinnen, der wird unbedingt zum Buehe B r u n n e r s greifen, zumal diese Que]len zum groi~en Tefle bisber nicht oder nu t bruchstfiekweise benfitzt waren. ~ u n erst ergibt sich ein anschauliches Bild von Verwaltung und &ufgaben der Sta4t Vc'ien im ~t te la l~er , ein Bild, alas f/ir jeden, dem es um historisehe Erkenntnis ernst ist, dutch alle typologlschen Darstellungen und Erg~nzungen in keiner Weise zu erseCzen war. Die Bedeutung dieser Erkenntnis fiber alles LokMhistorisebe hinaus erhellt bereits aus dem Um- stande, da[~ Wien mit seinen yon B r u n n er gesch~tzten 20 000 Einwobnern um die Mitre des 15. Jahrhunderts in der ersten Reihe der deutschen St~dte dieser Zeit stehtS).

Die Eigenartigkeit der Gesehichte Wiens erseheint zum grol~en Tei] (lurch das Verh;41tnis zum Landesffirsten bestimmt, dutch die Abh~ngigkeit yon diesem, deren Ausmai~ wohl in tier Zeit vom 13. bis 16. Jahrhunder t ziemtich stark sehwankte, die abet stets in wesentliehen Belangen vorhanden war. Versuche des 13. Jahrhunderts, Wien zur Reichsstadt zu erheben, sin4 scheinbar yon der Politik des Reiehes, nicht yon der der Stadt, best immt

i) Ot to B r u n n e r : Die F inanzen der S tad t Wien yon den Anf~ngen bis ins 16. J ah r - hunder t , Stlldien aus dem Arch iv der S t ad t XVien, Bd. 112, S. 462. Wien, 1929.

~) Die Besprechuug beni i tz t auf Grund der vor l i egenden K o r r e k t u r b o g e n zugleieh aueh dcsselben Ver£assers Arbei t , in tier seine Forsehungen in die Gesehiehte der , ,Poli t ik tier S tad t ~Vien im sp~itercn 5 i i t t e ta l t e r " ve ra rbe i t e t werden, ans den , ,His tor ischen Stu4ien , A° F. P ~ d b r a m zum 70. Gebl~rtstag dargebracht", "Wien, 1929; im foIgenden z i t ie r t als , ,Polit ik der S t ad t Wien" .

*) Die beigebraeht.en Vergleichszahlen stellen es lediglieh h in te r Ni i rnberg u n 4 Strai~burg, z u s a m m e n m i t U l m , vo r Augsbm~' , F rankfurb und alle iibrigen. Bei 4iesem Vergleieh ware auch zu beri icksichtigen, zu weleher Zei t die einzelne S tad t den H 6 h e p u n k t ihrer Bedeu tung erla, ngt . Fftr Wien wnr(le er n n 4 ftir sehr lange Zeit h inans in den angegebenen J a h r z e h n t e n erreicht , was bis in die S t r u k t u r der F i n a n z v e r w a l t u n g vo r lind nach dieser Zeit ersiebtlieh g e m a e h t wird (z. B. S. 75).

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gewesen und voriibergegangen, ohne Folgen zu hinterlassen. Diese Abhangig- keit bestimmt auch die finanzielle Kraft der Stadt. Wien ist zum gro2en Teil daxauf angewiesen, dab der Herzog ibm einzelne Finanzrechte fibertr~gt; was aueh erfolgt, scheinbar sehr unsystematisch, tats~chlich so, dab die Abhiingigkeit stets bewuBt erhalten bleibt. Der Herzog hat der Stadt z. B. nicht etwa sein Mautregal iiberlassen, sondern nur einzelne bestimmte Mauten, deren Einhebungskosten fibrigens recht erheblich waren, bis zu 20 % des Ertri~gnisses der Maut (S. 60). ,,Die ertragreiche Wassermaut am Roten Turm blieb immer tandesffirstlich" (S. 40). Es sell mit diesem Itinweis nicht etwa eine Ra~ionalisierung des mittelalterliehen Finanz- oder sonstigen 6ffentliehen Rechtes versucht werden, abet er erschein¢ angebraeht, da es sich bei den Mauten um die zweitwichtigste Einnahmequelle der Stadt handelt (S. 108, 161 f. ), und diese es stets unterlie], eine unabh~ngige Einnahms- mSgliehkeit, wie die st~dtisehen Gebfihren, im fiskalisehen Sinn auszubauen, sondern sieh bier bei wirtschaftspolitisehen Gesichtspunkten beruhigte (S. 127, 133). Es sell auch nicht aus dieser finanziellen Abh~ngigkeit die letzthin bewegende Kraft der Wiener sp~tmittelalterlichen Gesehichte gemach~ werden. Aber sehr eigenartig ist es doeh, da2 die Stadt eigentlich nie versueht hat, gegen dies Prinzip ernstlich anzuk~mpfen; ja aueh nieht in Zeiten tier Not desFii~tenhauses ibre Maehtstellung auszubauen (S. 446f.). Gleicherma~en eharakteristisch ist es, dal~ auch die unteren Schichten Wiens sich bei den gegebenen 5ffentlichen Rechtsverh~ltnissen beruhigten. Es ist eine wichtige Feststellung B r u n n e r s , dai~ die inneren Wirren der Stadt zum Ausgang des ~Iittelalters nieht Klassen-, nicht Standek~mpfe sind, sondern lediglich die Bedeutung haben, dal~ die Gruppen, in deren H~nden die sthdtische Verwaltung liegt, innerhalb einer sozial and rechtlich im Wesen gleiehaa~gen herrsehenden Sehiehte weehselnI).

Gelegentlieh aber ergibt sieh aus den Quellen, dab die verwaltungs- rechtlichen Gestaltungen nicht so sinnfremd sind, als es seheint. Z. B. kennen den verwirrend bunten M~uttarifen einige leitende Gesiehtspunkte abgewonnen warden, die das bewui~te Streben Wiens naeh einer fiber die Stadt ausgreifenden territorialen Wirtseha~tspolitik zeigen (S. l l4f.) . Wie die landesffirstlichen und st~dtischen Einnahmsquellen tats~ehlich ineinander verfloehten er- seheinen, so weist das quellengem~13e Bild der inneren Verwaltung das gleiehe Verh~ltnis auf, keine r~umliehe oder zeitliche Seheidung, sondern Landes- ffirstentum und Stadt konkurrieren aueh auf diesem Gebiet. Mit Recht erwiilmt B r u n n e r , dab diese typenwidrige Vermengung eben in Osterreieh iniolge der stark entwiekelten landesffirstlichen Maeht gut zu beobaehten ist.

Es war bekannt, dal~ Wien eigene speziell dem Bauwesen angeh6rige Betriebe im Mittelalter besaB, Steinbrfiehe, ZiegelSfen und Kalkbrennereien. Nun ergibt die Priiiung ihror Gebarung, da~ diese Betriebe lediglich den eigenen Bedfirfnissen der Stadt dienten und nur gelegentlich Erzeugnisse auf den ~ a r k t brachten. Die aus Verkiiufen erzielten Erlese waren daher verhaltaism~i~ig gering und spielten im st~dtischen Haushalt eine ver- sehwindend kleine Rolle (S. 153 f.). Mit diesen Worten ist die Frage nicht bertihrt, ob die Verwaltung dureh die eigene Betriebsfiihrung oder die marktm~$ige Deckung des Bedarfs rentabler gewesen w~re, eine Frage, die quellenm~Big wohl kaum zu beantworten ist, die aber aneh die gegen die moderne Zeit anders gestalteten Marktverhgltnisse yon damals ein- gehend zu beriicksichtigen h~tte. Die ffir einzetne Jahre erhaltenen Reeh-

~) Daf i i r b e s o n d e r s . B r u n n e r s A u s f i i h r u n g e n in , ,Po l i t ik der S t a d t ~Vien".

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mmgen der st/~dtisehen ZiegelSfen ergeben hier einen rechnungsmhBigen Gewinn yon etwa 16 % (S. 163f.).

Die I-Ighe der st~dtisehen Ausgaben ftir die inhere Verwaltung (S. 206 ft.), wie sie vor allem die Reehnungen der K~trnmerer festhalten, seheint zun~ehst mi t tier Vorstellung yon der umfassenden T/~tigkeit eines mlt telal ter l ichen Gemeinwesens im Widersprueh zu stehen und eben in jenen Jahrzehnten des 15. Jahrhunder ts , die als die bedeutendsten in der Geschichte Wiens bezeiehnet wurden. B r u n n e r s LSsung leuchtet ein, daft auf diesem Gebiete so, wie es im Kriegswesen genau naehweisbar ist, die Leistungen zun~ehst dureh die Bfirger unentgelt l ieh vo]lbraeht warden und erst um die Jahrhunder t - wende immer mehr dureh besoldete Angestellte. Mit Reeht wird (S. 289) darauf hingewiesen, da$ ffir die vollentfat tete S tadt des Mittelalters der persSnliehe Dienst am Gemeinwesen in das allt~gliehe Leben verfloehten is t ; anderseits ist aber aueh zu erinnern, wie sehr z. B. ira Kriegswesen Auf- gaben und AusIagea in der ersten H~lfte des 16. Jahrhunderfs stiegen (z. B. S. 363ff.).

Dem mittelal terl iehen, in keiner Weise zum System ausgebauten Reehtsverh/~ltnissen entsprieht es, daft einerseits die Stadt ft~r einen namhaf ten Teil ihrer Einkfinfte auf die ~ber lassung landesffirstlicher Einnahmsquellen angewiesen war, anderseits hiervon getrennt Abgaben dem Landes iars ten teistet, aus deren H5he vor allem erhellt, dal~ aueh in dieser Zeit die Bedeutung Wiens die aller anderen Stgdte 0sterreichs zusammen in dieser Hinsieht tiberwog 1).

Da$ die Pinanzwirtsehaft in Wiens Blatezei t geordnet war, beweist der Umstand, dal~ die S tadt far Darlehen auf ein oder mehrere Jahre 3 bis 5 % Zinsen zahlte (S. 415). Ihre Versehuldung in der zweiten H/~lfte des 14. Jahr- hunderts war radikal gel6st worden. 1418 war die S tadt sehuldenffei. Die Sehuldenlast um die Mitte des Jahrhunder ts kann als mgl~ig bezeichnet werden: 10000 Pfund bei einem ungefghren Jahresdurehschni t t yon 12000 Pfund j~hrlieher Einnahmen (S. 426). Nachher w/~chst sie rap id an, und zwar zun~chst dutch Aufwendungen im potitischen Kampf, die z. B. 1452 mehr als 100 % der normalen Ausgaben betrugenS), dann dutch die groBen politisehen Entsehgdigungen, die der Stadt naeh 1463 aufgezwungen wurden, eine Last, die dadurch nieht leiehter t ragbar wurde, dab gleiehzeitig aueh die wirtsehaftliehe Bedeutung Wiens zur~ickging.

Einnahmen und Ausgaben weisen im 16. Jahl 'hundert e twa die gleiehe HShe wie im 15. auf, abet die Kaufkraf t des Geldes war ungef/£hr um die Halfte gesunken, und im gleiehen Zeitraum steigen die Einnahmen der grol~en, nunmehr mal~gebenden St/~dte Oberdeutsehtands sprunghaf~ an (S. 430).

Aus B r u n n e r s Arbeiten werden nun die Umrisse der Leis tung tier ffihrenden Sehichten des Wiener Bfirgertums deutticher, und auch der Umstand, daf3 ledigtich die Ungunst der Quellen, vor allem der Mangel einer eigentliehen Wiener Chronik es versehuldet, wenn nieht einzelne Personen dieser Gruppen typische Ansehaulichkeit gewonnen haben. Hier sei einiges fiber einen yon ihnen, fiber Niclas T e s e h l e r , erw/~hnt. Er geh6rt zu den im mittelal terl ichen ~Vien nieht fiberaus zahlreiche~ Kaufleuten, die die Sta.rke ihrer finanziellen Stellung fiir eine stadtpoli t ische Karriere benfitztenS). Er gilt als ha t te r

~) Auf den ku l turh is tor i seh in te ressan ten Abschn i t t tiber die &usgaben fiir R e p r a s e n t a - t ionszweeke m 6 c h t e ich hier aus0a'fioklich verweisen.

~) Poli t ik der Stad~ Wien. ") I t ierf iber und fiber die Chaneen einer solehen Tfit igkeit vffl. meine Ausf f ihrungen in :

~litteilungen des Vereins f~r Oeschichte der Stadt ~Vien, VI, Bd., S. 50 f.

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Gl~ubiger, als riicksichtsloser Vormund. Daftir liel~ er sich in zahlreiehe Gebetsgemeinsehaften aufnehmen. Seinen Reichtum genol~ er in gl~nzenden Festen. Sein 5ffentliches Wirken f~llt in die unruhige Zcit unmit telbar nach der Mitre des 15. Jahrhunderts . Er begaJan es 1441 als erster K~mmerer tier StatiC, also als Inhaber ,,des zentralen Finanzamtes" , bald darauf war er Stadtriehter (S. 51 f.). Er seheint zu den Anh~ngern F r i e d r i ch s I I I . gez~hlt zu haben, der bekanntlieh a u / d i e Dauer den Sieg davontrug, haupts~ehlich, well er seine Gegner zu iiberleben verstan4. Noch zur Zeit des L a d i s l a u s wurde T e s e h l e r Biirgermeister, er mul~te den Anh~ngern der st~ndischen Umgebung des jungen KSnigs weichen, setzte sich wieder lest und wurde nochmals vertrieben, unmittelbar vor dem Tode L a dis ! a u s', des Beschfltzers seiner Gegnerl). Dann wurde er mehrmals Mfinzmeister und 1460, als er zum zweitenmal dies Amt und je tz t als selbst~ndiges, gewit~ nicht unrentables U n t e r n e h m e n - man denke an ~hnllche Gesch~fte tier F u g g e r - innehatte, gelang es ibm, dem etwa 20jShrigen kontinuierlichen Verfall der Wiener l~iinze Einhalt zu tun, ein Effolg, der aber nieht dauernd war. Beim Aufstand gegen F r l e d r i e h wurde T e s c h l e r in den Kerker geworfen~). Erzherzog A l b r e c h t %rug scheinbar den Sieg fiber den Kaiser davon, und wiitete gegen die Anh~nger seines Bruders. Abet wenige NIonate, naehdem die neue Herr- schaft gesiehert zu sein sehien, starb er, und es erfolgten die Vergeltungs- mal~regeln des wiederkehrenden Kaisers. Dabei erhielt T e s c h l e r wohl vollgiiltigen Ersatz ~iir die erlit tenen Vertuste. Wien mul~te an die Anh~nger F r i e d r i e h s 46000 Gulden zahlen, den Betrag, mi t dem die Kaufleute selbst ihren Sehaden eingesch~tzt bat ten (S.331f.). Sehliel~lich erscheint T e s c h l e r als Stadtanwalt, als Vertreter des Landesfiirsten im Rat, um in dessen Interesse die Fiihrung der Amtsgesch~fte zu iiberwaehen~). Damals aber war Wien in die Gewalt des UngarkSnigs M a t t h i a s C o r v i n u s geraten und T e s c h l e r hat also in seinen letzten Lebensjahren die Partei des Kaisers, mit dem er aufgestiegen war, verlassen. Er hat an etwa 25 stSdtisehen Gesandtsehaften teilgenommen, die ihn zum KSnig, gum Kaiser, zum pSpst- lichen Legaten und wiederholt zu st~ndisehen Tagungen gefO~rt hattena).

Auf anderem Gebiet liegt der zweite Grund, weshalb ieh berechtig~ zu sein glaube, auf B r u n n e r s Buch ausfiihrlieher hinzuweisen. In der letzten Zeit scheint der M e t h o d e n s t r e i t zwisehen NationalSkonomie bzw. Soziologie un& der Gesehiehte wieder aufzuleben. G o t t t und seine Anh~nger haben sich zun~ehst zu ~¥or~iitn-ern der Historic gemachtS). Es handelt sieh ihnen um Beseitigung des Gegensatzes zwisehen abstrakt theo- retiseher und historischer Forschungsriehtunge), die dutch die notwendige ,,Erkenntnis des Ineinander und Miteinander yon Seele und Geist" gewonnen werden soll; etwa einer Kombination beider Forsehungsmethoden, wobei abet Kernfrage bleibt, ein Nebeneinander zu vermeiden. Man kann fibrigens einer Anzahl der konkreteren Ausfflhrungen und Forderungen J e e h s t zu- stimmen, ohne sieh hernaeh sonderlich gef6rdert zu fflhlen. Es k~me auf

~) Brunner: Politik der Stadt Wien. 2) Schalk: Aus der Zeit des Gsterr. Faustrechts, S. 284ff. ') Politik der Stadt Wien. Laut tier im Wiener Stadtarchiv (H. S. 225) erliegenden

Liste der Wiener Biirgermeister und Ratsherren war 1485 zun~chst Georg Kranbe rge r Stadtanwalt, der dies Amt seit 1479 inne hatte. Erst die zweite, auch sonst mehrfach ver- ~nderte I%atsliste aus dem Jahre 1485 weist Niclas Teschler als Stadtanwalt auf.

8) Laut den S. 271 bis 282 publlziorten/kusziige aus den Kammeramtsrechnungen. i) Fiir Gott t verweise ieh aut G. Haber lers Ausfiihrungen in Bd. I;Heit I, dieser Zeit-

schriit, S. 28 ft. Horst ff e cht: Wirtschaftstheorie und Wirtscha~tsgeschichte, 60. Bd., 1928, der Sammlung Recht und Staat.

') J e c h t , S. 14.

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die Durchffihrung an1). Wesenttieh sind die Ausffihrungen yon M i s e s fiber Soziologie und Geschiehte~). Ihren kritischen Darlegungen insgesamt ist ohne Vorbehalt beizupflichten, ebenso den Ausffihrungen fiber den Anspruch unbedingter Geltung, mit der der soziologische Satz auftr i t t . Das, was Mises fiber das Verh~ltnis yon Soziologie und Gesehichte, fiber die Unent- behrliehkeit der Kenntnis der Soziologie fiir den Historiker sagt, seheint im Einzelfall gesehen weniger zwingend. ,,Die soziologischen Kausals~tze 3} sind ein Ausdruck dessen, was notwendigerweise immer eintreten mul~; das sehliel3t freilich nicht aus, dab die Wirkung im Einzelfall nicht siehtbar wird, well eine andere, yon der ersten unsichtbare Kausalkette, die zur entgegengesetzten Wirkung fiihrt, gleichzeitig am Werke war" (Mises, S. 484). Wozu aber client dem ttlstoriker selbst die Kenntnis eines so einfaChen Gesetzes, wie das yon G r e s h a m , das aueh yon Mises als Beispiel angeffihrt wird und das fibrigens im Mittelalter infolge des ,,Saigerns", der Feststellung lediglich des summarischen Gewichts einer grSl~eren Anzahl yon Miinzen, seine Geltung geradezu im Leben des regelm~l~igen Alltags auswirkte, wenn die Quellen erweisen, dab bei einem Fallen der Wiener W~hrung um mehr als 100 % lebenswiehtige Konsumwaren zum Toil um 30 bis 50 %, zum Toil fast gar nicht stiegen, das schleehte Gold also beinahe die Kraf t des guten behiel t? { B r u n n e r , S. 35.) Sehr gewil3 handelt es sieh um keine Ausnahme yon der Geltung des G r e s h a m s c h e n Gesetzes, sondern um ,,die Wirkung einer anderen, yon der ersten unabh~ngigen Kausalkette, die zu entgegen- gesetzter Wirkung fiikrt '°; aber auf weiten Streeken kann der Historiker oft nicht kausal erkl~ren, sondern lediglieh sehildern. Nicht etwa: yos~ hoc, ergo propter hoc, sondern eine in bewui~ter Beschr~nkung vorgenommene Akzentverlegung auf das: wie es gewesen, s tart : warum es so gekommen. Die Zahl der durch und gegen einander laufenden Kausalketten ist zu groin. Vieles, was historiseh sieher ist, mag soziologisch unbest immbar sein; vor ahem in jenen Zeiten, in denen die Quellen so raseh abbrechen und uns oft nur in einzelnen Momenten noeh sichtbar sind. Es ist ~ i s e s in der yon ibm gew~hlten Form nicht beizustimmen, dab jedes Denken, aueh das des Histo- rikers, das Kausaliti~tsprinzip postuliert~ abgesehen davon, daB Mises es unter- tassen hat , eine seh~rfere Formulierung des Wesens des Kausalsatzes zu geben. Aber selbst dann, wenn die Historic fiber die Schilderung hinauszugehen vermag, such dann wird sic zumeist bei den B e d i n g u n g e n einhalten, ohne bis zu den Ursaehen vorzudr~ingen. Aueh an Punkten, an denen die Theorie eino fertige Erkl~rung zu bieten seheint, kann die Geschichte das Bekenntnis des Ignoramus verlangen, wenn die versehiedenen, wirksam gewesenen Kausatketten nicht mehr zu sehen sin44). Ich m6chte es als einen besonderen Vorzug der Arbeit B r u n n e r s ansehen, clal3 er an solehen Stellen rfiekhaltlos und riieksichtslos innegehalten hat. Denn die Wirkung der soziologisehen Theorie alff die Geschichte - - so Wichtiges und Wertvolles sie, kritisch verwendet, zur Deutung der Quellen, zur Kenntnis der Problematik

1) E:ann man den Satz: ,,Logisch geht die theoretisehe der geschichtlichen Betrachtung des Gegenstandes immer voraus . . . . genetisch die Geschich'tsschreibung aner Systcmatischen Theorie" nicht mit. gleichem Recht umkehren?

~) Arch. f. Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik, 61. Bd., H. 3. 8) Wcnn Brunner mit Re~ht darauf hinweist, dal~ die Begriffe der modernen Finanz-

wissenschaft sich nur schwer auf mittelalterliche Finanzverh~ltnissc anwenden lassen ( 127 ), so handelt es sich bier selbstverst~ndlich nicht um soziologische B0~riffe, sondern um idealtypische, die fiir eine bcstimmte wirtschaftliche und politische Stufc gebildct wurdcn.

') 1VIa~verglcichedieAusfiihrungen GcorgSimmcls iiber dicProblematik psychologischer Motivierung und Begriindung. Problemc der Gcschichtsphilosophie, 2. Aufl., S. 9ft. und S. 38. ,,Weder Ursache noch Grund/'

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des Tatbestandes, helfen mag - - kann die schgdhchste sein, wenn nicht tier Pr imat der Quellenkritfk nicht nur theoretisch anerkann~ - - was leicht gesag¢ ist - - , sondern prak$isch mt~sam durchgeffihrt wird. Sons~ droht die Gefahr der Konstruktion, ,,besonders brennend sngesichts eines diirftigen und unergiebigen Quellenmaterisls", vor der B r u n n e r einmal bei Be- spreehung finanzwissenschaftlicher Momente warnt. Gelegentlieh, wie bei der Bestimmung des historisehen Geldwertes, ffihren such beide Be- traehtungsweisen auf getrennten Wegen sum gleiehen, zum negativen Resultst ( B r u n n e r , S. 28ff,). Das Verh~Itnis zwischen Besonderem und Allgemeinem, die Spsnnung zwisehen Individuellem und Typisehem und zuletzt Abstraktem bleibt ein Hauptproblem aller Historie, das jeder, tier suf den Nsmen eines Geschichtsforschers Ansprueh erhebt, nsch seiner Weise und unter seiner Verantwortung zu 15sen un~ernehmen wird.

In cler Gesehiehte - - magma, n sie dsrum aus dem irgendwie abgesteekten Bereieh tier eehten Wissensehaf~ verweisen - - gibt es Wshrhei ten ihr nsher Wissensgebiete, die ffir sic keine sind; was ffir sie, ffir die Gesehichte, such yon den scharfsinnigen Ausffihrungen Felix K a u f m a n n s fiber soziale Kollektiva 1) zutreffen dtirfte, so dankbar auch der Historiker sie liest und sich dabei vor gewissen Formen etwa der Volksgeistlehre gefeit ffiblt. MSgen Staat und Gesellsehaft sieh letzthin einwandfrei als intersubjektive Be- ziehungen darstellen, die Geschichte wird diese Ausdrficke verwenden, als ob sie Wesen bezeichneten, und wird ihren erkenntnistheoretisehen Gehstt unerSr~er~ lassen. Die Historie ran2 yon Potenzen, wie Staat, Kultur, Religion, handeln, wobei es sehon nseh den gegebenen Definitionen 2) ksum glaublieh ist, dai~ Jskob B u r c k h a r 4~ reale E xistenzen hierunter verstsnden hg~te; sie wird, wie H u m b o l d t , R ~ n k e und Croce bei verschiedenster erkenntnistheoretiseher t ta l tung es getan, Ideen und historisehe Mgehte vorffihren, ohne Absicht und Beruf fiber metaphysisehe Fragen zu entscheiden oder anders als gleiehnisweise von ihnen zu sprechen.

1) Zei tschr . f. Na~iona l6konomie , I. Bd. H . 2. a) Vgl. Weltgescb~ichtliche B e t r a c h t u n g e n , , ,Von den drei P o t e n z e n . "