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Die Wiener Kirchen, zentrale Denkmäler der österreichischen Kulturgeschichte, zeigen sich in diesem Buch von ihren schönsten Seiten. Von der Gotik bis zum Historismus, vom Barock bis zum Jugendstil spannt sich der Bogen der Wiener Kirchenarchitektur. Thomas Winkler erzählt die Entstehungsgeschichte der einzelnen Kirchen, beleuchtet den historischen und kirchenpolitischen Zusammenhang, in dem sie gebaut wurden, und geht vor allem auch auf ihre jeweilige künstlerische und architektonische Bedeutung ein.
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80 | Franziskanerkirche
Von den Sünderinnen zu den
Bettelmönchen
Der Franziskanerplatz, einer der beschaulichstenAltstadtplätze Wiens, bietet eine Reihe schönerGebäude,einenklassizistischenMosesbrunnenvonJohannMartinFischer,umdensichbeiSchönwet-ter lauschigeGastgärtengruppieren,undwirdbe-
herrschtvondereinzigenKircheinWienmitRe-
naissancefassade.DieFranziskanerkircheentstandzuBeginndes17.Jahrhunderts an der Stelle des ehemaligen Büße-
rinnenhauses St. Hieronymus. Dieses sogenannteSeelhaus wurde gegen Ende des 14. Jahrhundertsvon Wiener Bürgern gegründet und beherberg-
tebekehrteSünderinnen,meist reuigeLustdirnen,diesichzugemeinsamemLebenundBußübungenverplichtetenundsodieErrettungihrerSeeleer-hofften.DieAnstaltunterderLeitungeiner„Meisterin“ge-
nosswertvollelandesfürstlichePrivilegien,warvonSteuernundZöllenbefreitundhatteauchzahlrei-chebürgerlicheWohltäter,weshalbdasKlostersei-nen Besitz nach und nach vermehren konnte. Im15.JahrhundertherrschtebeidenBüßerinnenim-
merwiederregeBautätigkeit.1476wurdedieneueAnstaltskirche,einespätgotischeSaalkirche,geweiht.Die Zerstörungen beim Stadtbrand von 1525 lei-tetenwohldenNiedergangdesBüßerinnenhausesein.St.HieronymushattezunehmendmitAbwan-
derungundSittenverfallzukämpfen.1571wardasHausvölligverödet,weshalbdieStadtWienhierimdarauffolgendenJahreinWaisenhausfürMädcheneinrichtete.1589tauschtendieWaisenihreRäum-
lichkeitenmitdenFranziskanern,diezuletztbeiSt.NiklasinderSingerstraßeuntergebrachtwaren.DerFranziskanerordenließsichbereits1451inWiennieder, musste aber sein Stammkloster St.Theo-
baldobderLaimgrube imZugederosmanischen
Belagerung räumen und hinter die schützendenStadtmauernlüchten.Seit1589wirkendieBettelmöncheschließlichimKlosterkomplex zwischenWeihburggasseundSin-
gerstraße,dendieFranziskanerbaldnachderÜber-nahme grundlegend erneuerten.Womöglich nachseinen eigenen Plänen nahm Pater BonaventuraDaum,derauchGeneraloberstderösterreichischenOrdensprovinz war, 1603 zunächst den Um- bzw.NeubauderKircheinAngriff.
Der Neubau der Franziskaner
DaumbemühtesichumdieEinbeziehungderspät-gotischen Bausubstanz, indem er die bestehendenStrebepfeilerderaltenBüßerinnenkirchemitneuenAußenmauern ummantelte, diese somit ins Inne-
re zog und so einen umlaufenden, mittelalterlichanmutenden Kapellenkranz ausbildete. Nach demAbbruch zweier Häuser konnte das Langhaus derKirche um ein Joch gegen den heutigen Franzis-kanerplatz verlängert werden. Die BettelmönchebewirktenaußerdemdieAbtragungeinesweiterenHausesinderWeihburggasse,wodurchsichvorderKirche ein kleiner Platz öffnete, der das markan-
te Renaissancebauwerk angemessen zur Geltungbrachte.DieFassadederFranziskanerkirchekröntein stei-les, von zierlichenVoluten, Obelisken und Heili-geniguren konturiertes Giebelfeld.Während die-
ser Giebel eher profan wirkt, geben darunter dienachgotischen Formen des mit schlichtem Maß-
werkversehenenSpitzbogeneinedeutlichesakraleSignalwirkung.Diemittig gruppierten,mitOrna-mentbändernumrahmtenFensterunddieFiguren-
nischenmitrundemMuschelabschlusskontrastierenstimmigmitderlächigenGeschlossenheitderFas-sade. Einzig der barocke Portalvorbau durchbricht
Derprachtvolle,vonAndreaPozzo1707geschaffeneSäulenaltarkröntdieschönebarockeInnenausstattungderFranziskaner-kirche.
66 | Renaissance, Barock & Klassizismus
Renaissance, Barock
& Klassizismus Von der osmanischen Belagerung 1529 bis zur Revoluti on 1848
68 | Renaissance, Barock & Klassizismus
Auf dem Weg in die Neuzeit
DerUmbruchvomSpätmittelalterzurNeuzeitzuBeginndes16.JahrhundertsgestaltetesichfürEuropaundfürWien,demHerzendesKontinents,überausspannungsreich.1517schlugMartinLutherseine95ThesenandieWittenbergerSchlosskircheundlöstedamiteinefolgenreicheGlaubensspaltungaus,bluti-geBauernkriegetobtenunddasosmanischeReichbetriebeineaggressiveExpansionspolitik,die1529mitdererfolglosenBelagerungWiensihrenvorläu-
igenHöhepunkterreichte.Bedingtdurchdiedamitverbundene Beeinträchtigung des Warenverkehrsmit Ungarn, die Umorientierung des gesamten
Welthandels durch die EntdeckungAmerikas unddie zunehmende Dominanz der Brennerroute alsVerbindungundTransportwegzwischenNordundSüdkamdieehemalsblühendeHandelsstadtanderDonauaußerdemzunehmendinwirtschaftlicheBe-
drängnis.GeradeindiesenschwerenZeitengelangesjedochdenHabsburgern,sukzessiveihreMachtinEuropaauszubauen,wofürallerdingswenigermili-tärischeStrategienausschlaggebendwaren,sondernvielmehrdievonKaiserFriedrichIII.undseinemSohn Maximilian I. geschickt betriebene Heirats-politik.AngesichtsderSeriespektakulärerErbfolgenumschreibt der oft zitierteVers Bella gerant alii, tu
felix Austria nube(AnderemögenKriegeführen,du,
Renaissance, Barock & Klassizismus | 69
links:DieFassadederFranziskanerkircheistWienseinzigesBeispielsakralerRenaissancearchitektur.
oben:JohannBernhardFischervonErlachsKarlskirchebildeteinenHöhepunkteuropäischerBarockarchitektur.Ihreeinzig-
artigeFassadekonzipierteermitsubtilerSymbolik.
glückliches Österreich, heirate) die damalige Zeittatsächlichsehrtreffend.NachdemMaximilian I. gegenEndedes15. Jahr-hunderts die geteilten Ländereien der Habsburgerwieder unter einem Regiment vereinen konnte,sicherteersichdurchseineEhemitMariavonBur-gunddieNachfolgederinmännlicherLinieausge-
storbenen Burgunderherzöge und erbte somit diedamalsdynamischsteWirtschafts-undKulturregionEuropas.SeinezweiteEhemitBiancaMariaSforzabrachte ihmEinluss im reichenFürstentumMai-land. Seine beiden Kinder Philipp und MargaretevermählteKaiserMaximilianmitdenKindernIsa-bellasvonKastilienundFernandosvonAragón.DaDonJuan,derspanischeThronerbe,nurkurznachder Hochzeit starb, erhoben die Habsburger auchAnspruch auf den spanischenThron. Philipp demSchönenwarkeinlangesLebenbeschieden,undsotratenseinebeidenSöhnemitDoñaJuana,diewirheute als Johanna dieWahnsinnige kennen,Habs-burgsErbeanundentwickeltensichschließlichzuHerrscherpersönlichkeiten,diedas16. Jahrhundertentscheidenprägensollten:DerälterederbeidenübernahmalsKarlV.dieKai-serkrone.Auf verschiedenenSchauplätzenEuropasführteereinenerbittertenKampfgegendenfran-
zösischenKönigundgegendieReformation.Auf-grund der spanischen Eroberungen in der neuenWeltundderumfangreichenHerrschaftinEuroparühmtesichKarl,einReichzuregieren,indemdieSonnenichtuntergehe.
Die zweite Hausteilung –
Österreich unter Ferdinand I.
Wohlwegen seinerunüberschaubarenGröße teil-te sich das Haus Habsburg 1522 schließlich ineineösterreichischeund eine spanischeLinie.Die
österreichischen Ländereien überließ Karl seinemjüngeren Bruder Ferdinand, der bald von einemweiteren dynastischen Zufall proitierte. Basierendaufderprunkvollen,von seinemGroßvaterMaxi-milianeingefädeltenWienerDoppelhochzeit(1515)erbtederinSpanienaufgewachseneFerdinandBöh-
menundUngarn,alsderungarischeKönigLudwig1526inderSchlachtvonMohácsgegendieOsma-nenseinLebenlassenmusste.Ferdinands Regentschaft in Österreich war be-
stimmtvonbedeutendenpolitischen, sozialenundauchkulturellenUmwälzungen.WährendinweitenTeilenEuropasbereitsdieRenaissanceblühte,setzte
70 | Renaissance, Barock & Klassizismus
sichderneueStilinÖsterreichnichtsorechtdurch.VorallemfürWienbliebdieZeitderRenaissanceein vergleichsweise ereignisarmer Übergang zwi-schendenbedeutendenStilenderSpätgotikunddesfrühenBarock.Die Atmosphäre in der Residenzstadt war zwardurchaus von humanistischer Gelehrsamkeit ge-
prägt,dochesfehltenvorerstdieinanziellenMittel,umdieseauchbaulichzumanifestieren.DerWie-
deraufbaunachdemverheerendenStadtbrandvon1525unddie Instandsetzungbzw.derAusbauderBefestigungsanlagen nach der Türkenbelagerungverschlangen ungeheure Summen, und so muss-te die Realisierung großer Repräsentativbauten
vorersthintangestelltwerden.AlsFerdinand I.,der1531zumdeutschenKöniggewähltwurde,gegenMittedesJahrhundertsdanndochdaranging,seineResidenzstadt neu zu gestalten, überwogderPro-
fanbau.DerSakralbaublieb–abgesehenvonderSalvatorka-pelle,einemRenaissance-KleinodimaltenRathaus– ohne neue bewegende Kräfte. Der HauptgrunddafürwardietiefekonfessionelleErschütterung,dieEuropa infolgedervonMartinLutherausgelöstenGlaubensspaltungerlebte.DieReformationbreitetesichauchinÖsterreichschnellundquerdurchallesozialenSchichtenaus.DergrößteTeilderWienernahmebenfalls denneuenGlauben an.DieFolgewar ein Rückgang religiöser Stiftungen, was sichnatürlichaufdieFinanzierungsakralerKunstwerkeauswirkte.Auch vieleOrdensgeistliche traten zumLuthertumüber,sodasseinzelneKlöstergeschlos-senwerdenmussten.
Das Konzil von Trient und seine
Folgen
DiekatholischeKirche steckte im16. Jahrhundertalso in einer tiefen Krise, weshalb 1545 das Kon-
zil vonTrient einberufenwurde,woman sichbis1563umeinedeutlicheAbgrenzungzumprotestan-
tischenAugsburgerBekenntnisvon1530bemühte.DieimKonzilvonTrientausgelösteGegenreforma-tion brachte eine radikaleVerhärtung der FrontenzwischendenKonfessionen.AuchKönigFerdinandI.stellteseinRegimentganzindenDienstderGegenreformation.1551 rief erdieJesuitennachWien,dieinderFolgediewich-
tigstenImpulsezurDurchsetzungdeskatholischenGlaubens gaben.Dievon Ignatius vonLoyola ge-
gründetenJesuitenwareneinOrdenneuerPrägung,dersichintensivfürdieErneuerungderaltenKirche