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Orthop€adieTraumatologie
Sport Orthop. Traumatol. 29, 245–247 (2013)Elsevier – Urban&Fischer
www.elsevier.de/SportOrthoTraumahttp://dx.doi.org/10.1016/j.orthtr.2013.07.006
STATEMENT GOTS-AGA-BVASK
STATEMENT GOTS-AGA-BVASK
Vergleichbare Ergebnisse nach physiotherapeuti-scher oder arthroskopischer Therapie vonMeniskusrissen – Stimmt das wirklich?
Gemeinsame Stellungnahme der AGA,des BVASK und der GOTSProf. Dr. Roland Becker, PD Dr. OliverMiltner, PD Dr. Geert Pagenstert, PDDr. Ralf Muller-Rath
Am 18. Marz 2013 wurde im renom-mierten New England Journal eineStudie (Katz et al. 2013) publiziert,in der die Ergebnisse nach Arthro-skopie versus Physiotherapie beisymptomatischenMeniskusrissen un-tersucht wurden.Wurde man die Arbeit nur fluchtig -d.h. nur den Abstract – lesen, konnteman falschlicherweise zu der Auffas-sung gelangen, die Studie habe ge-zeigt, dass zwischen Arthroskopieund Physiotherapie kein Unterschiedim Ergebnis bestehe. Denn es heißtin der Zusammenfassung: ,,In derintention-to-treat-Analyse haben wirkeinen signifikanten Unterschied zwi-schen den Studiengruppen bzgl. derfunktionellen Verbesserung nach 6Monaten gefunden. Zwar schranktder folgende Satz diese Konklusionein: ,,Allerdings wurden 30% der Pa-tienten, welche der Physiotherapie-gruppe zugeordnet waren, innerhalbvon sechs Monaten operiert.Doch trotz dieser Einschrankung halltder erste Satz erst einmal nach undsteht fur sich. Wurde man nur diesenSatz (in der Politik wurde man sagen:aus dem Zusammenhang heraus...)zitieren, so ware das fur das Fachder Kniegelenkarthroskopie schoneine sehr gewichtige Nachricht.Aus diesen Grunden lohnt es sichalso, an dieser Stelle genauer hinzu-schauen und die gesamte Arbeit zuanalysieren.
Die Ergebnisse entstammen der Me-TeOr–Studie (Meniscus tear in Osteo-arthritis Research). Hierbei handeltes sich um eine randomisierte, pro-spektive Studie (Level I/hochsterEvidenzlevel), welche in sieben Zent-ren in den USA durchgefuhrt wurde.In dieser Studie sollten laut Studien-protokoll Patienten im Alter von uber45 Jahren mit symptomatischer Me-niskuspathologie und radiologischenZeichen einer leichten bis mittel-schweren Arthrose und mindestensvierwochiger frustraner konservati-ver Vorbehandlung (Medikamenten-einnahme, Physiotherapie oder Be-lastungsmodifikation) eingeschlos-sen werden. Die Patienten wurdenin einem randomisierten Verfahrenentweder einer arthroskopischenOperation mit partieller Meniskusre-sektion oder einer physiotherapeuti-schen Behandlung zugeordnet.Aus einer Gruppe von 14.430 Patien-ten erfullten 1.330 die Einschluss-kriterien. Aus dieser Gruppe wurdenletztlich 351 Patienten (26,4%) ein-geschlossen. Bezuglich der Vertei-lung der Patienten fallt auf, dassder Anteil der Patienten mit einemrontgenologischen Arthrosegrad IIInach Kellegren/Lawrence mit 28% inder Arthroskopie-Gruppe deutlichhoher als in der konservativen Grup-pe mit 23% war.Der Behandlungserfolg wurde regel-maßig telefonisch in den ersten dreiMonaten sowie nach sechs und 12Monaten erfragt. Fur die Evaluierungdes klinischen Ergebnisses dientenTeile anerkannter Scores, wie diephysische Funktionskategorie des‘‘Western Ontario und McMaster Uni-versities Osteoarthritis Index’’ (WO-MAC), der Schmerzscore des ‘‘Knee
Injury and Osteoarthritis OutcomeScale’’ (KOOS) und die physische Ak-tivitatsskala des Short Form-36 (SF-36). Eine vollstandige Erhebung derGesamtscores erfolgte nicht.In der Auswertung samtlicher Scoreszeigten die Patienten nach Arthro-skopie nach sechs Monaten bessereErgebnisse. Dieser Unterschied istnach drei Monaten noch deutlicher.30% der Patienten wechselten nachRandomisierung innerhalb der ers-ten sechs Monate aus der konserva-tiven Gruppe in die Arthroskopie-gruppe, nach 12 Monaten waren es35%. Eine erfolgreiche Behandlung(Verbesserung um�8 Punkte imWO-MAC ohne Gruppenwechsel) fandsich bei 67% der arthroskopiertenPatienten und bei nur 44% der kon-servativ behandelten Patienten. Diegraphische Darstellung der Ergebnis-verlaufe zeigt zudem, dass Patien-ten, welche erst nach sechs Monatenin die Arthroskopiegruppe gewech-selt sind, weniger gute Endergebnis-se erreichen als Patienten, die fruhereinen Gruppenwechsel vollzogen ha-ben. Gruppenwechsel oder eine Ver-besserung im WOMAC < 8 Punktewurde als Therapieversagen einge-stuft. Hiernach wurden 25% in derArthroskopiegruppe und 49% in derPhysiotherapiegruppe als Therapie-versager eingestuft. Es mag von derstatistischen Methodik her korrektsein, die acht Patienten, welchetrotz Zuteilung zur Arthroskopie-gruppe nicht operiert wurden son-dern in die Physiotherapiegruppegewechselt sind, als Versager derArthroskopie zu bewerten. Der ge-sunde Menschenverstand kann hierjedoch nicht folgen. Nimmt man die-se Patienten aus der Versageranalyse
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heraus, so entsteht ein eindeutigesBild: 49% Therapieversager in derPhysiotherapie-Gruppe, 19% in derArthroskopie-Gruppe. Es wurdenkeinerlei Komplikationen in Zusam-menhang mit der Arthroskopiegesehen.Es ist durchaus bedeutsam, dass dasursprungliche Studienprotokoll imMai 2012, d.h. nach Einschluss derPatienten und Studienbeginn, anmehreren Stellen modifiziert wurde(Manual of Operations November2007, Manual of Operations May25, 2012, s. supplementary mate-rial). Wahrend in dem primaren Stu-dienprotokoll festgelegt wird, dasseine Kortisoninjektion ein Versa-genskriterium darstellt (,,failure ofthe assigned treatment‘‘), findet sichdieser Passus in dem sekundarenStudienprotokoll ohne Begrundungnicht mehr wieder. Dieses ist vonRelevanz, da der Anteil der Patien-ten, die eine intraartikulare Korti-sontherapie erhielt, mit 12,4% inder konservativen Gruppe mehrals doppelt so hoch war wie inder ASK-Gruppe mit 5,6%. Gemaßdem eigentlichen Studienproto-koll hatte die sich somit die Thera-pieversageranalyse noch deutlicherzugunsten der Arthroskopie vers-choben.An dieser Stelle stellt sich die Frage,warum die Autoren die eindeutigeUberlegenheit der Arthroskopienicht in ihren Schlussfolgerungenbenennen, sondern hier eine schein-bare Gleichwertigkeit zwischen denGruppen darstellen.Hierzu ist es wichtig, die zugrundeliegende statistische Methodik zuverstehen. Es wurde das Intention-to-treat-Prinzip, also die Auswer-tung gemaß randomisierter Zutei-lung, angewendet. Zur Verdeutli-chung: Wenn ein Patient aus derkonservativen Gruppe beispielsweisenach vier Monaten aufgrund frustra-
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ner konservativer die Gruppe wech-selt, arthroskopiert wird und hier-durch eine Besserung erfahrt, wirddas Ergebnis dieses Patienten nachsechs Monaten dennoch der Physio-therapiegruppe zugeschlagen.Durch das Intention-to-treat-Prin-zip soll eine nachtragliche Einfluss-nahme auf die Gruppenzuteilungz.B. durch Aufmunterung zum Grup-penwechsel vermieden werden. Die-ses Prinzip kommt allerdings eindeu-tig an seine Grenzen, wenn ein cross-over uberwiegend nur in eineRichtung funktioniert und eine gro-ße Zahl von Patienten nicht gemaßder ursprunglichen Allokation be-handelt wird (35% der ursprungli-chen konservativen Gruppe). DieseProblematik wird von den Autorenleider nicht in der Hauptpublikationsondern nur im Appendix diskutiert.Hier heißt es:,,Um den Effekt des crossovers ausdem nicht-operativen in den operati-ven Studienarm abzuschatzen, habenwir eine explorative Analyse vorge-nommen und das letzte Scoreergebnisvor dem Gruppenwechsel berucksich-tigt. (...) Diese Analyse zeigte eineVerbesserung um 13 Punkte in derFunktionskategorie des WOMAC furdie Physiotherapie-Gruppe und 20,9Punkte fur die Arthroskopiegruppe.(...) Diese explorative Analyse legtnahe, dass das vergleichbare Outcomezwischen beiden Gruppen dadurcherklart werden kann, dass die Patien-ten, welche in die Arthroskopiegruppegewechselt sind, eine zusatzliche Ver-besserung durch die Arthroskopie er-fahren haben.‘‘Die Studie liefert einen weiteren in-teressanten Nebenaspekt: So wurdekein Zusammenhang zwischen demrontgenologischen Arthrosegrad (KL0-2 vs. KL 3) und der Behandlungsartgesehen. Dieses bedeutet, dass dieWirkung der arthroskopischen Ope-ration unabhangig vom zugrunde
liegenden rontgenologischen Statusist. Eine arthroskopische Operationist also auch bei hohergradigenKnorpelschaden ein wirksames Ver-fahren. Dieses Ergebnis widerlegt dieArbeiten von Moseley et al. und Kir-keley et al., welche die Wirksamkeitarthroskopischer Operationen beimaßiger Gonarthrose in Zweifelziehen.Leider ist die Studie nicht geeignet,naher zu differenzieren, welchePatienten eher von einem konserva-tiven oder einem operativen Vorge-hen profitieren, da weder die prao-perativen klinischen, MR-tomogra-phischen noch die intraoperativenBefunde mitgeteilt bzw. mit den Er-gebnissen korreliert werden.Zusammenfassend zeigt die Studieeine Uberlegenheit des arthroskopi-schen Vorgehens bei symptomati-schen Meniskusrissen mit und ohnezusatzliche Knorpellasionen gegen-uber einem physiotherapeutischenRegime. Es kann nicht ausgeschlos-sen werden, dass aufgrund der ho-hen Versagerquote mit nachfolgen-der Operation und einer schnellerenGenesung nach Arthroskopie diekonservative Therapie mit hoherensoziookonomischen Kosten verbun-den ist als ein primar operativesVorgehen.Die detaillierte Analyse der Arbeitzeigt, wie wichtig es ist, sich mitder Methodik und den Ergebnissenvon Studien detailliert und uber denAbstract hinaus auseinander zu set-zen. Nur so konnen voreilige Schlus-se, welche an dieser Stelle vor demHintergrund einer Kostendamp-fungspolitik im Gesundheitswesendurchaus auch eine berufspolitischeRelevanz entfalten konnen, vermie-den werden.Gerade vor dem Hintergrund einessehr aufwandigen und prinzipiellgut geplanten Studiendesigns so-wie der hohen soziookonomischen
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Bedeutung des Themas ist es schadeund auch unverstandlich, dassdie renommierten Autoren aufeine entsprechend sorgfaltige unddifferenzierte Darstellung und Dis-kussion der Ergebnisse wohl zu-gunsten einer plakativen Aussageverzichten.
Literatur
[1] J.N. Katz, R.H. Brophy, C.E. Chaisson,et al., Surgery versus Physical Therapyfor a Meniscal Tear and Osteoarthritis, NEngl J Med 368 (2013) 1675–1684.
[2] J.B. Moseley, K. O’Malley, N.J. Petersen,et al., A controlled trial of arthroscopicsurgery for osteoarthritis of the knee,
N Engl J Med. 347 (2) (2002 Jul 11)81–88.
[3] A. Kirkeley, T.B. Birmingham, R.B.Litchfield, et al., A randomized trial ofarthroscopic surgery for osteoarthritisof the knee, N Engl J Med. 359 (11)(2008 Sep 11) 1097–1107.
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