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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1792 Der Untergang der Schweizergarde in Paris Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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Untervazer Burgenverein Untervaz

Texte zur Dorfgeschichte

von Untervaz

1792

Der Untergang der Schweizergarde in Paris

Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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1792 Der Untergang der Schweizergarde in Paris Hans Franz Latour Geschichte. Historisches Magazin. Nr. 14, Januar/Februar 1977 S. 3-14 und

Geschichte. Historisches Magazin. Nr. 15, März/April 1977 Seite 44-52.

Der Untergang der Schweizergarde

in Paris

am 10. August 1792 Hans Franz Latour

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Der 10. August 1792 ist in der französischen Geschichte ein ebenso

bedeutendes Datum wie der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789.

An diesem Tag verliess König Ludwig XVI. die Tuilerien und wurde

gefangen gesetzt. Damit war die jahrhundertealte französische

Monarchie endgültig am Ende. Am gleichen Tag liess sich das

Schweizergarderegiment in den Tuilerien, die Ludwig XVI. bereits

verlassen hatte, praktisch bis zum letzten Mann töten, für einen König,

dem sie zwar einen Eid als Söldner geschworen hatten, der sie aber

sonst nichts anging und sie im Stich liess. Der Untergang des

Schweizergarderegiments - mit dem Regiment der Französischen

Garden, die sich aufgelöst hatten, seit Jahrhunderten die traditionelle

Bewachungstruppe der französischen Könige und ein berühmter

Eliteverband des französischen Heeres hat zwar nur episodale

Bedeutung, wird aber in der Militärgeschichte immer wieder als

Beispiel einer heroischen, wenn auch sinnlosen Aufopferung einer

Berufstruppe gewertet. Der nachfolgende Beitrag, der fortgesetzt wird,

schildert die Vorgeschichte des Gemetzels.

Seit Karl IX. kämpften Schweizer Söldner für Frankreichs Könige

Die Schweizer im Dienste der französischen Könige waren Söldner. Sie betrachteten

sich aber auch als Verbündete, denn sie wurden aufgrund von «Kapitulationen» oder

«Allianzen», die zwischen den französischen Königen und den schweizerischen

Kantonen abgeschlossen worden waren, angeworben. Es handelte sich um eigentliche

Staatsverträge, die Rechte und Pflichten aller Beteiligten regelten. Zwischen dem

Frieden von Ensisheim 1444 und 1816 wurden etwa 180 derartige Verträge

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abgeschlossen. Der fremde Kriegsdienst war für die Schweiz bis ins 18. Jahrhundert

eine wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit. Gegen eine Million haben in den

schweizerischen Regimentern in Frankreich Dienst geleistet, über 600'000 sind gefallen.

Die zuletzt 12 Regimenter, die mit Ausnahme der Garde den Namen der

Regimentsinhaber trugen, haben an allen Kriegen der französischen Könige seit Karl

IX. teilgenommen. In vielen Schlachten haben sie entscheidend mitgefochten.

Die Schweizergarde - ein privilegiertes Eliteregiment

Ein nicht nur im Verhältnis zu den anderen schweizerischen Regimentern, sondern auch

innerhalb der ganzen königlichen Armeen bevorzugtes Korps war das 1616 in Tours

von Ludwig XIII. aufgestellte «Régiment des Gardes Suisses». Zusammen mit dem

«Regiment des Gardes Françaises» bildete es die Gardebrigade. Die französischen

Garden trugen blaue, die schweizerischen, wie alle Schweizerregimenter in Frankreich,

die rote Uniform. Stulpen und Aufschläge waren königsblau mit weissen Verzierungen.

Die Füsiliere trugen weiss bordierte Dreispitzhüte mit weisser Kokarde, die Grenadiere

die hohe Bärenmütze. Die weissgepuderten Haare waren auf beiden Seiten aufgerollt.

Die Grenadiere und die Generalkompanien trugen auch nach dem Reglement von 1780

noch den Zopf. Die Offiziere zeichneten sich durch den silbernen Ringkragen, silberne

Achselstücke, ein blau und goldenes Schlagband und Halbschuhe mit silbernen

Schnallen aus. Zu Beginn der Revolution hatte das Regiment einen Bestand von 2416

Mann, davon 90 Offiziere. Es war eingeteilt in einen Stab, vier Bataillone und eine

Artilleriekompanie mit 8 Geschützen. Das erste Bataillon bestand aus sieben, die

übrigen aus vier Kompanien mit je einer Grenadierkompanie. Die 1. Kompanie des 1.

Bataillons war die sogenannte «Generalkompanie», in die nur, wie übrigens auch in die

Grenadierkompanien, Soldaten mit einer Körpergrösse von mindestens 1,80 m eingeteilt

wurden. Bekannt war das aus 88 Bläsern bestehende Regimentsspiel, das regelmässig in

Paris Konzerte gab. Die Mannschaft und die Offiziere rekrutierten sich im Gegensatz zu

den übrigen Schweizerregimentern, für die immer ein oder mehrere Kantone zuständig

waren, aus der ganzen damaligen Schweiz. Nach ihrer Herkunft wurden sie in den

Kompanien und Bataillonen zusammengefasst. Häufig waren Übertritte aus den anderen

Schweizerregimentern. In jedem Falle mussten Empfehlungen der bisherigen

Vorgesetzten oder der Heimatbehörden beigebracht werden. Es galt als Auszeichnung,

ins Garderegiment einzutreten.

Das Regiment versah den Wachtdienst in den königlichen Schlössern des Louvre, in

Versailles, Marly, St.Cloud, Fontainebleau, in den Tuilerien. Der Paradedienst und die

Mitwirkung bei allen Anlässen des Hofes nahmen natürlich viel Zeit in Anspruch.

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Daneben wurde Gefechtsausbildung in der Ebene von Sablons betrieben. Die

Grenadiere wurden im Handgranatenwerfen ausgebildet. Die Bewaffnung, bestehend

aus einem Infanterie-Steinschlossgewehr 1777, Bajonett und kurzem Säbel, war etwas

veraltet.

Die Schweizer beziehen den höchsten Sold - die Leutnants sind Oberste

In allen Feldzügen der französischen Könige seit Ludwig XIII. wurde das Regiment in

kritischer Lage als anerkannte Kampftruppe eingesetzt. Es bezog den höchsten Sold der

ganzen Infanterie. Wie alle Schweizertruppen im Ausland besass es seine eigene

Gerichtsbarkeit. Kein französisches ziviles oder militärisches Gericht hatte das Recht,

einen Angehörigen eines Schweizerregimentes vorzuladen, sogar wenn ein Verbrechen

oder gemeines Vergehen vorlag.

Die Unteroffiziere des Garderegimentes waren den Leutnants und Oberleutnants der

gewöhnlichen Linienregimenter gleichgestellt. Die Leutnants bekleideten rangmässig

den Grad eines Obersten, die Hauptleute den eines Brigadegenerals oder Maréchal de

Camp - nicht zu verwechseln mit dem Feldmarschall anderer Armeen, einem Rang, dem

in Frankreich auch heute noch der Maréchal de France entspricht -, der

Regimentskommandant und gelegentlich auch die Bataillonskommandanten hatten die

Stellung und Vorrechte eines königlichen Generalleutnants.

Es ist nicht erstaunlich, dass das Offizierskorps eines derart bevorzugten Verbandes, der

während mehr als zwei Jahrhunderten Glanz und Macht des französischen

Königshauses verkörperte, als versnobt galt. Die aristokratische Regierungsform des

«Ancien régime» fand auch auf die Schweizertruppen in fremden Diensten Anwendung.

Offiziersstellen waren Angehörigen der «regimentsfähigen» Familien in den Kantonen,

denen alle massgeblichen zivilen Funktionen zukamen, vorbehalten. Ausnahmen

bestätigen auch hier die Regel.

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Die Offiziere kamen zu Ansehen und oft zu Generals- und Adelspatenten, die ihnen die

Heimat nicht geben konnte. Auch finanziell war der fremde Kriegsdienst interessant,

jedenfalls so lange - etwa bis Mitte des 18. Jahrhunderts -, als Regiments- und

Kompanieinhaber gleichsam Eigentümer ihrer Verbände waren und sie wie ein privates

Geschäft betrieben. Wegen dieser und anderer wenig erbaulicher Erscheinungen der

«Kapitulationen» war der fremde Kriegsdienst in der Schweiz denn auch keineswegs

unbestritten.

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Die bekanntesten Familien der besonders nach Frankreich orientierten Kantone, wie

Freiburgs, Solothurns, Luzerns, Berns, Graubündens, stellten während Generationen

Offiziere im Schweizergarderegiment. Sie traten meistens schon mit 16 Jahren als

Kadetten ein und verbrachten ihr ganzes Leben in französischen Garnisonen.

Ein überalterter Kommandant und ein tüchtiger Stabsoffizier

Kommandant war seit 1767 der Freiburger Louis Augustin Graf von Affry,

Generalleutnant der königlichen Armeen schon seit 1758. Er war 1713 in Versailles als

Sohn des Generalleutnants Franz von Affry geboren worden, den er später 1753 in der

Schlacht von Guastalla fallen sah. Als Generalinspekteur der Schweizer und Bündner

war er einige Jahre für die Ausbildung aller Schweizertruppen in Frankreich

verantwortlich. 1792 ist er 79 Jahre alt und nicht mehr in der Lage, das Regiment

während der kritischen Ereignisse zu führen. Irgendwie gelingt es ihm, nach dem 10.

August aus Paris zu fliehen. Er stirbt ein Jahr darauf in der Schweiz.

Sein Stellvertreter war der Marquis de Maillardoz, auch er Freiburger und

Generalleutnant der königlichen Armeen. In der Garde bekleidet er den Grad eines

Oberstleutnants. Er hat während der Ereignisse vom Juli und August 1792 das Regiment

tatsächlich befehligt. Sein Schicksal entsprach dem des Regiments: Am entscheidenden

10. August wurde er in der «Conciergerie» gefangen gesetzt und ohne

Gerichtsverfahren oder andere Formalitäten unter nie ganz abgeklärten Umständen

umgebracht.

Der Offizier mit der grössten Ausstrahlung war jedoch der im Regimentsstab eingeteilte

57 Jahre alte Major Charles Joseph von Bachmann aus Glarus,

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Maréchal de Camp, der sich vor allem im Siebenjährigen Krieg ausgezeichnet hatte. Ein

Untergebener, der Oberleutnant Pfyffer von Altishofen, sagt von ihm, er habe sich in

allen Lagen durch seine Tapferkeit und Kaltblütigkeit ausgezeichnet. «Er war

wohlwollend, ohne schwach zu sein, gerade und einfach, ein gebildeter Offizier, ein

wahrhafter Freund seines Landes, gewissenhaft in der Erfüllung seiner Pflichten, streng

in der Handhabung der Disziplin, ein Vater seiner Soldaten. Zu diesen Vorzügen kamen

noch eine imponierende Gestalt von militärischer Haltung, männliche Gesichtszüge».

Man habe ihn als das Vorbild des Schweizer Soldaten betrachtet. Unter Umständen, die

noch zu schildern sein werden, wurde er am 10. August gefangen genommen. Am 3.

September starb er unter der Guillotine. Lamartine hat in seiner Geschichte der

Girondins seinen Tod, dem er furchtlos entgegensah, in eindrücklicher Weise

geschildert.

Hätte ein frivoler Schweizergardeoffizier die Revolution verhindern können?

Der letzte erhaltene Offiziersetat von 1791 führt als Kommandanten des 1. Bataillons

noch den Generalleutnant Baron Peter Viktor von Besenval aus Solothurn auf. Er war

Ehrenoberstleutnant des Garderegiments. Ein Jahr vor den entscheidenden Ereignissen

des Jahres 1792 ist er 70-jährig in seinem Palais an der Rue de Grenelle, der heute die

schweizerische Botschaft beherbergt, gestorben. Sein Einfluss auf das Regiment und auf

alle Schweizerregimenter in Frankreich; die 20'000 Rotröcke des Königs, war

tiefgreifend. Als Generalinspekteur der Schweizer und Bündner hatte er ihre

Ausbildung während Jahren geleitet und ihre Kriegstüchtigkeit verbessert.

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Er hatte sie entscheidend modernisiert und beispielsweise die Institution des

Regimentsinhabers abgeschafft. Schon sein Vater war Kommandant der Garde gewesen

und hatte dem König auch als Botschafter beim polnischen Hof gedient. Der elegante

und leicht frivole Sohn gehörte zum innern Kreis des Hofes und zu den engsten

Vertrauten der Königin Marie-Antoinette.

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Bei Ausbruch der Revolution nahm er als Gouverneur der Isle de France und

Stadtkommandant von Paris eine Schlüsselstellung ein. Die Erstürmung der Bastille hat

er nicht verhindert.

Es ist eine offene Frage, ob dieser kultivierte und brillante Schweizer den Verlauf der

Weltgeschichte hätte anders gestalten können, wenn er im entscheidenden Jahr 1789 auf

die Ereignisse mit mehr Entschlossenheit reagiert hätte. In vielem war er dem Prinzen

Eugen wesensverwandt: In seiner Jugend ein blendender Offizier, dessen Tapferkeit an

Tollkühnheit grenzte, unverheiratet, umfassend gebildet, Besitzer eines der damals

bekanntesten Stadthäuser, Mitglied der Kunstakademie und anerkannter

Naturwissenschafter.

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Auch als Schriftsteller hat er sich versucht. Seine Memoiren geben ein amüsantes, wenn

auch oberflächliches Bild des ausklingenden Ancien régime. Alles in allem ein in seiner

Vielseitigkeit bemerkenswerter Vertreter des Offizierstyps der Garde, der übrigens trotz

seiner glänzenden Laufbahn den Kontakt mit seiner Heimat und den Soldaten des

Regimentes nie verloren hat. Als Besenval nach der Flucht des Königs nach Varennes

vor Gericht gestellt wurde, war sein Freispruch vor allem den Zeugenaussagen

gewöhnlicher Füsiliere des Regimentes zu verdanken, die rückhaltlos für ihn eintraten.

In den Wirren der Revolution - die Spannung steigt von Tag zu Tag

Die Revolution geht 1792 schon ins vierte Jahr. Danton und Robespierre wollen sie

ihrem Höhepunkt entgegenführen. Sie haben für 1792 die Abschaffung der Monarchie

und den Tod der Königsfamilie beschlossen. Aus der Provinz strömen ohne Unterbruch

die Sansculotten, die Föderierten und alle Schattierungen von Mitläufern nach Paris.

Das Bataillon von Marseille, eine gefürchtete Revolutionstruppe, zieht am 30. Juli in

Paris ein, dasjenige von Brest ist schon vorher eingetroffen.

Die Spannung steigt von Tag zu Tag. Offen wird ein Sturm auf die Tuilerien

vorbereitet, in denen sich die Königsfamilie mit einem reduzierten Hof aufhält, nur noch

von einer kleinen Dienerschaft betreut, von der Schweizergarde und der Nationalgarde

bewacht.

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Von der alten königlichen Berufsarmee existieren

praktisch nur noch die Schweizerregimenter. Alle

anderen haben sich der Revolution angeschlossen oder

sich aufgelöst, nachdem sie meistens die Offiziere

gefangen gesetzt, misshandelt oder umgebracht und

sich der Regimentskasse bemächtigt hatten. Zwar war

die Nationalgarde aufgestellt worden - ihr Schöpfer

war Lafayette gewesen -, und die Gendarmerie

existiert immer noch. Bei der ersteren handelt es sich

aber um eine mehr oder weniger zuverlässige

Miliztruppe, die zweite wartet nur darauf, zur

Revolution überzugehen.

Die Schweizer sind noch die einzige Ordnungsmacht

Die 12 Schweizerregimenter liegen in Arras, Rouen, Saarlouis, Strassburg, Grenoble,

Cambrai, Lyon, Nancy und auf Korsika. In Paris ist nur die Garde stationiert. In der

allgemeinen Verwirrung und Auflösung sind die Schweizer für die lokalen Behörden oft

die einzige Ordnungsmacht. Der Gemeinderat von Lyon bittet den Kriegsminister

dringendst, das Luzernerregiment von Sonnenberg behalten zu dürfen, sonst sei es

«unmöglich, Ordnung, Sicherheit und Ruhe aufrechtzuerhalten». Die Bevölkerung von

Korsika reicht ein Gesuch ein, damit das Bündnerregiment von Salis-Marschlins nicht

abgezogen werde. Der Garde wird der Staatsschatz anvertraut, und der Stadtpräsident

von Paris schreibt, nur dank der Garde könne die Lebensmittelversorgung der

Grossstadt sichergestellt werden.

Auch die Schweizerregimenter werden jedoch in den Strudel der Revolution mit ihren

Idealen und Lastern, Reformen und Verbrechen, Illusionen und Realisationen gezogen.

Vor allem bearbeiten sie eigene Landsleute, die nach der Mode der Zeit in Frankreich

revolutionäre Klubs gegründet und sich zum Ziele gesetzt haben - zum Teil aus

achtenswerten Motiven und mit einer gewissen Berechtigung -, die Zustände in der

Heimat zu ändern.

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Diese Versuche verlaufen erfolglos, immerhin mit einer bemerkenswerten Ausnahme:

300 Mann des Genferregiments Lullin de Châteauvieux meutern im August 1790 in

Nancy, als sich auch die anderen Truppen der Garnison, das «Königsregiment» und das

Kavallerieregiment «Mestre de Camps», erheben, die Offiziere gefangen setzen und in

Nancy schwere Unruhen verursachen. Die Regierung und der Hof waren damals noch

zu einer von der verunsicherten Bevölkerung geforderten Reaktion fähig: Der General

von Bouillé kämpft mit den Schweizerregimentern Castella und Vigier, dem

Schützenregiment von Lunéville, Teilen der lokalen Nationalgarde und den loyal

gebliebenen Kompanien des Regiments Château-vieux die Meuterei in einem blutigen

Strassenkampf nieder. Auf der Place Stanislas in Nancy stellen sich die drei

Schweizerregimenter im Geviert auf, der Rädelsführer Soret aus Genf wird gerädert, 23

vom schweizerischen Militärgericht zum Tode verurteilte Soldaten öffentlich

hingerichtet. 24 werden zu Galeerenstrafen, 74 zu Gefängnis verurteilt.

Meuterei im Genferregiment - das Garderegiment bleibt loyal, wird aber reduziert

Das Garderegiment war natürlich in Paris den stärksten Versuchen ausgesetzt, es zur

Revolution hinüberzuziehen. Es erwies sich als nicht anfällig. Die Offiziere waren

ohnehin ihrer Herkunft, Erziehung und ihrem Werdegang nach gegen die Revolution

eingestellt. Auch die Mannschaft, meistens altgediente Leute, fühlte sich durch den Eid

auf den König und die Bündnisse ihrer Kantone mit der französischen Krone gebunden.

Korpsgeist und Ehrgefühl waren stark entwickelt. Eine strenge, von den Offizieren

jedoch vernünftig gehandhabte Disziplin hielt die Truppe zusammen. Die meisten

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waren im übrigen der Ansicht, dass sie die politischen Umwälzungen in Frankreich

nichts angingen und sie nur ihre klare militärische Pflicht zu erfüllen hätten.

Alle Regimentsangehörigen sind sich durchaus darüber im klaren, dass sie bei der

Pariser Bevölkerung, jedenfalls soweit sie mit der Revolution sympathisiert, verhasst

sind. Sie werden als «Trabanten des Tyrannen» verhöhnt. Täglich finden Schlägereien

statt. Einzelne Soldaten werden angegriffen.

Regelmässig hören sie vor ihren Kasernen den drohenden Ruf «Tod den Schweizern».

Sie sind sich der Gefahr bewusst, in der sie ihren Dienst versehen.

Im August 1792 ist der Bestand von der normalen Kriegsstärke von 2416 Mann auf

rund 1500 herabgesetzt worden. Der schwache, friedfertige König hatte, um die

Nationalversammlung nicht zu reizen, Rekrutierungen verboten, grosszügig Urlaube

erteilt und Entlassungen bewilligt. Nur dank einer energischen Intervention des

Regimentskommandos kann erreicht werden, dass das Regiment überhaupt in Paris

belassen und nicht an die Grenze versetzt wird. Dagegen müssen die acht Kanonen mit

der ganzen Munition an die Nationalgarde ausgeliefert werden. Die Artilleriekompanie

wird aufgelöst.

Seit dem 1. August versehen zwei Wachkompanien den Dienst in den Tuilerien statt wie

üblich einer einzigen. Das stolze königliche Gardekorps besteht nicht mehr. Das andere

Regiment der Gardebrigade, die Französischen Garden, war schon am Tag der Bastille,

am 14. Juli 1789, zur Revolution übergegangen. Aber auch die anderen reputierten und

eleganten Regimenter, die dem Hof seit Jahrhunderten gefolgt waren, die

Gardegendarmerie, die Leichten Reiter, die Grauen Musketiere, die Carabiniers de

«Monsieur», hatten sich aufgelöst und waren verschwunden. Zum Schutze der Tuilerien

ist neben den Schweizern nur noch die Nationalgarde eingesetzt.

Der letzte Wachaufzug der Schweizergarde auf der Place Royale

8. August 1792. Das Regiment ist seit einigen Tagen in den Kasernen konsigniert: das

1. Bataillon in Saint-Roch und in der Grange-Batelière-Strasse, das 2. in Rueil, das 3.

und 4. in Courbevoie. Die Stimmung ist gedrückt, wenn auch gelassen. Jedermann

weiss, dass das Regiment voraussichtlich allein gegen eine Übermacht der

Revolutionstruppen und entfesselter Mitläufer wird antreten müssen. Die Offiziere

bleiben in den Kasernen, die Feldprediger gehen von Stube zu Stube und besuchen die

in den Kasernen wohnenden Familien der verheirateten Regimentsangehörigen. Die

Tatsache, dass gestern das bereits stark reduzierte Regiment weiterhin geschwächt

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worden ist, nachdem 7 Offiziere und 300 Mann nach der Normandie in Marsch gesetzt

worden sind, um einen Krontransport zu begleiten - das Regiment verfügt somit nur

noch über 1200 Mann, die Hälfte des Kriegsbestandes -, gibt viel zu reden. Auch der

Alarm vor drei Tagen wird besprochen, als alle Bataillone in der Nacht in die Tuilerien

einmarschiert sind und dort den ganzen folgenden Tag gefechtsbereit die Ereignisse

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abgewartet haben, um dann wieder in tadelloser Ordnung unter den Augen der

spärlichen verängstigten oder feindlichen Zuschauer in ihre Kasernen zurückzukehren.

In den Tuilerien, wo der Major Bachmann kommandiert, ist der Dienst der zwei

Wachkompanien nicht besonders streng, wenn auch unter den gespannten Umständen

nervenaufreibend. Die Routine wird aufrechterhalten. Um 11 Uhr findet auf der Place

Royale vor dem Schloss der Wachaufzug statt. Die beiden Kompanien sind mit Spiel

und Fahne angetreten. Das militärische Schauspiel wird wie jeden Tag mit

eindrücklicher Präzision abgewickelt. Die roten Röcke der tadellos gerichteten Glieder

leuchten in der heissen Augustsonne. Es ist der letzte Wachaufzug der Schweizergarde,

während Jahrhunderten eine beliebte Attraktion für die Pariser Bevölkerung.

Die Nacht senkt sich über das gärende Paris. Bewaffnete Banden streifen durch die

Stadt und lassen sich auch bei den Tuilerien blicken. In den dunklen, engen Gassen der

grossen mittelalterlichen Stadt wird wortreich der Sturm auf die Tuilerien vorbereitet.

Im Schloss hat sich der Hof zurückgezogen. Ausser den regelmässigen Schritten der

Wachen und gelegentlichen gedämpften Kommandorufen ist in dem weitläufigen

Gebäudekomplex nichts zu hören. Auch in den Unterkünften der Schweizer herrscht

nach dem Signal «Lichterlöschen» Ruhe.

Alarm um Mitternacht: die Bataillone werden in die Tuilerien beordert

Gegen Mitternacht trifft in der Kaserne von Courbevoie der Aidemajor von Glutz, der

zum Regimentsstab gehört, ein. Er begibt sich ins Wachlokal und lässt das dort

garnisonierte 3. und 4. Bataillon sofort alarmieren. Er kommt aus Rueil, wo er das 2.

Bataillon geweckt hat. Er trägt einen schriftlichen Befehl des Regimentskommandanten

von Affry auf sich, wonach sich die drei Bataillone von Rueil und Courbevoie am 9.

August um 3 Uhr morgens in den Tuilerien einzufinden haben. Für viele ist der Alarm

eine Erlösung. Er wird rasch und geräuschlos ausgeführt. Kurz nach Mitternacht

marschiert das 2. Bataillon von Rueil in den Kasernenhof von Courbevoie ein und

vereinigt sich mit dem 3. und 4. Im Hof wird Appell gemacht. Die Bestände der

Kompanien sind wie erwartet schwach, obwohl sich in den letzten Tagen ehemalige

Regimentsangehörige und Urlauber freiwillig gemeldet haben, um in der Stunde der

Gefahr bei ihren Kameraden zu sein. Auf ein Gewehr werden 20-35 Patronen verteilt.

Die Fahnen - jedes Bataillon hat deren zwei - werden im Keller eingegraben. Alles

deutet darauf hin, dass sich das Regiment bewusst ist, zum letzten Gefecht auszurücken.

Um zwei Uhr marschieren die Bataillone ab. Sie durchqueren in tadelloser Ordnung die

Vorstädte, gesichert durch eine Vorausabteilung, gefolgt von den Sappeuren, dem

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stellvertretenden Regimentskommandanten de Maillardoz mit einigen Herren des Stabes

zu Pferd, dem Tambourmajor Chaullet mit seinen 15 jährigen Trommlern, meistens

Söhnen von Regimentsangehörigen, und den Pfeifern. Dahinter marschieren die

Grenadiere und Füsiliere der drei Bataillone, in Kompanien gegliedert. Sie tragen

Felduniform, sind vollständig bepackt, das Bajonett aufgepflanzt, die Haare gepudert.

Die lange rote Kolonne wirkt gespensterhaft, als sie in der hellen Mondnacht

schweigend im Gleichschritt die staubige Strasse heruntermarschiert, dort, wo sich

heute die Champs-Elysees befinden.

Um 3 Uhr morgens ist das Regiment befehlsgemäss in den Tuilerien versammelt, das 1.

Bataillon, das in der nahe gelegenen Grange-Batelière-Kaserne einquartiert war, ist

schon seit Mitternacht zur Stelle. Es hat seine beiden Fahnen und die Standarte der

Generalkompanie bei sich. In den Kasernen verbleiben nur die Fouriere, die Kranken

und eine kleine Polizeiwache. Insgesamt sind es etwa 1000 Mann, die nun die

Verteidigung des Schlosskomplexes, die vorher schon eingeübt worden war, zusammen

mit der Nationalgarde übernehmen sollen. Der 79-jährige Regimentskommandant von

Affry ist anwesend. Seine Niedergeschlagenheit und Nervosität wirken deprimierend.

Der einzige Befehl, den er erteilt, bezieht sich auf den Waffengebrauch und die

Feuereröffnung: nur auf schriftlichen Befehl des Königs oder auf Verlangen des

Kommandanten der Nationalgarde oder der Kommune dürfe von der Waffe Gebrauch

gemacht werden. Das Gefecht dürfe nur von der Nationalgarde eröffnet werden.

Nachher zieht er sich zurück und legt sich krank ins Bett. Den Befehl übernimmt der

Oberstleutnant de Maillardoz.

Die Tuilerien - ein weitläufiger, schwer zu verteidigender Gebäudekomplex

Der Auftrag ist an sich klar: Es geht darum, den König, seine Familie, den übrig

gebliebenen Rest der königlichen Autorität und des Hofes in den Tuilerien gegen den

bevorstehenden Angriff der Revolutionsbataillone zu verteidigen. Einige

schwerwiegende Nachteile waren nicht zu übersehen. Einmal das zu verteidigende

Objekt, die Tuilerien, ein weitläufiger Komplex von Gebäuden, Höfen, Terrassen und

Gärten zwischen der heutigen Place de la Concorde und dem Louvre. In einer anderen,

ebenso heftigen, wenn auch kürzeren Revolution 90 Jahre später, jener der Kommune

von 1871, sind Schloss und Nebengebäude eingeäschert worden und völlig

verschwunden. Den Haupttrakt bildet eine 330 m lange Gebäudeflucht, die bis zur Seine

reicht. Vorgelagert sind im Osten einige Höfe und unregelmässige Gebäude, alle von

Mauern umgeben. In der Mitte befindet sich die Cour Royale und davor, ausserhalb des

Schlosskomplexes, der Karussellplatz. Auf der Westseite ist der ganzen Fassade entlang

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eine grosse Terrasse vorgelagert. Davor dehnen sich die grossen Gärten aus, die etwa

700 m lang sind und sich bis zur Concorde, damals Place Louis XV, erstrecken. Die

Längsseiten sind durch zwei wallartig erhöhte, mit Bäumen bepflanzte ummauerte

Terrassen begrenzt. Vor der Mitte der nördlichen Terrasse erhebt sich in unmittelbarer

Nähe des Klosters der «Feuillants» das schmale, langgestreckte Gebäude der Reitbahn,

in dem die Nationalversammlung ihre Sitzungen abhält. Sie hat sich auch das

Verfügungsrecht über die ganze «Feuillants»-Terrasse vorbehalten. Nachteilig ist auch

der Mangel an einer einheitlichen und klaren Befehlsstruktur. Es fehlt ein

entschlossener Chef, der den Gesamtbefehl führt. Für die Verteidigung der Tuilerien ist

der Kommandant der Nationalgarde von Paris, der Marquis de Mandat, ein ehemaliger

Hauptmann der nicht mehr existierenden Französischen Garden, verantwortlich. Die

Gendarmerie und das Schweizergarderegiment sind dem Maréchal de Camp de

Boissieu, Kommandant der 17. Militärdivision, unterstellt. Lähmend wirkt schliesslich

die vom König selbst ausgehende Resignation und absolute Friedfertigkeit. Er will unter

allen Umständen Blutvergiessen vermeiden und ist nicht zu kämpfen bereit.

Mandats Anordnungen gehen dahin, die Seine-Brücken, die sich in der Nähe der

Tuilerien befinden, und die Zugänge durch die Nationalgarde besetzen zu lassen. Er

hofft, damit das besonders kritische Quartier St. Antoine, wo sich der Angriff

vorbereitet, zu neutralisieren und einen Zusammenschluss der Truppen der Revolution

auf dem rechten Seine-Ufer zu verhindern. Die berittene Gendarmerie hält er auf der

Place Vendôme und beim Louvre bereit, um die gegen die Tuilerien vorgehenden

Revolutionstruppen von der Flanke her anzugreifen. Wichtig ist, dass sich der Gegner

nicht auf dem Karussellplatz vor dem Schloss bereitstellen kann. Die Schweizer selbst

sollen das Schloss halten und die Sansculotten der Seine entlang vernichten. Der Plan

war recht überzeugend, beruhte jedoch auf der Voraussetzung, dass die Gendarmerie

und die Nationalgarde loyal blieben, eine Annahme, die sich beim ersten

Zusammentreffen als unzutreffend erwies. Die schliesslich gemäss der Konzeption

Mandats versammelten Mannschaften sind nicht unbedeutend. Allerdings haben sich

von den erwarteten 10'000 Nationalgarden Mandat hatte 16 Bataillone aufgeboten nur

etwa 2'000 eingefunden. Dazu kommen 930 berittene Polizisten und 300 Gendarmen zu

Fuss, mit dem Schweizergarderegiment immerhin über 4'000 Mann, die nun gemäss

dem Dispositiv Mandats in und um die Tuilerien Stellung .beziehen. Zuverlässig sind

allerdings, wie die Ereignisse zeigen werden, nur die Schweizer.

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Diese haben inzwischen 20 Detachemente gebildet, die auf die verschiedenen Gebäude,

Höfe und Gärten der Tuilerien verteilt werden. Die Kommandoverhältnisse werden

geregelt. Der Luzerner Hauptmann von Dürler übernimmt die Hofseite gegenüber dem

Karussellplatz, der kritischen Stelle, an der der Angriff erwartet wird. Hauptmann von

Salis aus Graubünden befiehlt in den Gartenanlagen. Etwas über 300 Mann halten sich

als Reserve in der Cour de Marsan bereit, um nach allen Richtungen eingesetzt zu

werden. Der Major Bachmann überwacht und koordiniert die Stellungen der

verschiedenen Kompanien und lässt unablässig alle Wachen kontrollieren.

Alle grossen Namen der französischen Monarchie suchen im Schloss Zuflucht

An diesem 9. August wissen alle im Schloss und in ganz Paris, dass morgen, am 10.

August, der Sturm auf die Tuilerien ausgelöst werden soll. Während des ganzen Tages

herrscht verhältnismässig Ruhe. Die Schweizer verbarrikadieren Tore und Türen. Alle

grossen Namen der französischen Monarchie sind im Schloss anwesend: La Roche-

Foucauld, Noailles, Montmorin, Puy-ségur, Rohan-Chabot, Lamballe, Mailly,

Narbonne, La Tour du Pin, Montmorency und viele andere, insgesamt etwa 200

Aristokraten, Staatsminister, Hofchargen, aber auch kleine Landadelige aus der Provinz,

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die dem König ihre Ergebenheit beweisen wollen. Anwesend sind auch Andre Chenier

als Journalist und der Vater Lamartines, der über die Ereignisse des 10. August in seiner

Geschichte der Girondins eine eindrückliche, noch heute modern wirkende Schilderung

hinterlassen wird. Viele dieser in Seide und Spitzenjabots gekleideten Notablen des zum

Tode verurteilten Regimes bewaffnen sich mit Pistolen, einem Gewehr, einem Degen

oder einer Feuerzange und stellen sich den diensttuenden Offizieren des

Schweizergarderegiments zur Verfügung.

Abends um 6 Uhr verdreifachen die Schweizer alle Posten. Am Abend ist «Grosser

Hofempfangstag» beim König. Es gelingt einer Anzahl von Anhängern Dantons,

meistens ehemaligen Angehörigen des königlichen Hofes, die noch über die blaue

Eintrittskarte ins Schloss verfügen, bis ins Schlafzimmer des Königs, wo der Empfang

stattfindet, und in die Säle des ersten Stocks vorzudringen. Sie verbreiten Gerüchte,

Angst und Verwirrung unter den Schlossbewohnern. Eine milde Augustnacht, diese

Nacht vom 9. auf den 10. August. Gelegentlich hört man im Schloss Alarmrufe der

Wachen: «Qui va là?» Sonst nichts. Der Augenzeuge Lamartine hat geschildert, wie es

im Schloss selber vor dem Angriff aussah:

«Die Schweizer waren im Vorzimmer zusammengedrängt um ihre Fahne geschart. Auf

Bänken und Treppenstufen sitzend, verbrachten sie, ihre Gewehre haltend, die ersten

Stunden der Nacht in tiefem Schweigen. Der Widerschein der Fackeln auf den Waffen,

der von Zeit zu Zeit auf dem Marmorboden hallende Aufschlag der Gewehrkolben, das

dumpfe "wer da?" der Wachen liessen den Palast als ein befestigtes Lager erscheinen.

Die roten Uniformen dieser 800 auf den Treppenabsätzen, Stufen und Geländern

liegenden oder sitzenden Schweizer erweckten den Eindruck, als ob die grosse

Haupttreppe schon jetzt von Blut übergossen wäre. Jedem politischen Streit gegenüber

gleichgültig, als Republikaner bereit, gegen die Republik zu kämpfen, kannten diese

Männer nur die Disziplin. Ihre Soldatenehre war ihr höchstes Ideal. Sie waren bereit, für

ihren Eid zu sterben. Sie kümmerten sich nicht darum, ob der König oder das Volk recht

habe, wodurch ihr Heldentum nicht hochstehender, aber militärisch bedeutender

wurde.»

2. Teil

Der Untergang der Schweizergarde beim Sturm auf die Tuilerien in Paris am 10.

August 1792 findet in der französischen Geschichtsschreibung weder Verständnis

noch Sympathie. Schweizerische Geschichtsschreiber haben den mutigen, aber

sinnlosen Kampf der letzten Getreuen Ludwigs XVI. eher heroisierend

beschrieben. Auch wenn die Motivation der Schweizergardisten nicht klar ist und

es vielleicht auch nie war, so verdient die beispielhafte Pflichterfüllung bis ans

bittere Ende trotzdem Respekt, In der letzten Ausgabe von «Geschichte» ist die

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Stellung der Schweizergarde in den königlichen Armeen Frankreichs und die

Vorgeschichte des Massakers beschrieben worden. Im nachfolgenden Beitrag

schildert Hans Franz Latour die Ereignisse des 10. August 1792, an welchem Tag

die französische Monarchie zu existieren aufgehört hat.

Der Angriff wird vorbereitet

Während des ganzen Tages hat die Revolution den Angriff vorbereitet. Bei der Vielzahl

von Komitees, Behörden, Logen, Geheimklubs, Sekten es gab mehr als 700

Freimaurerlogen, Drahtziehern und Führern ist nicht mehr genau auszumachen, wie

Willensbildung und Organisation zustande gekommen sind. Irgendwie haben alle

mitgewirkt: von der Kommune, dem Revolutionskomitee (das sich immer mehr als das

Machtzentrum erweist) über Danton, Marat und Robespierre bis zu Philippe-Egalité,

dem Herzog von Orleans. Militärisch wird der Sturm auf die Tuilerien in der Vorstadt

St.Antoine, in Charenton, .St-Marceau, in Belleville, bei den Hallen vorbereitet. Die

Angriffsverbände stellen ehemalige Französische Garden und Angehörige anderer

aufgelöster königlicher Regimenter. Von den eigentlichen Revolutionstruppen sind das

Bataillon aus Marseille und dasjenige von Brest dabei, das Bataillon der Lombarden, die

Legion der Allobroger, abgefallene Teile der Nationalgarden und der Polizei, insgesamt

nach vorsichtigen Schätzungen etwa 25'000 Mann, militärisch organisiert, reichlich mit

Waffen, auch Artillerie, und Munition versehen und zum Teil gut ausgebildet. Dazu

kommen noch etwa 10'000 Nationalgarden, die beim ersten Gefechtskontakt überlaufen

werden, so dass die gesamte militärische Streitmacht, der sich die Schweizer

gegenübersehen werden, auf etwa 35'000 Mann geschätzt wird. Unterstützt werden sie

von einer radikalisierten und zum Teil ebenfalls bewaffneten Volksmenge, die sich um

die Tuilerien herum versammeln wird, darunter viele finstere Gestalten beiderlei

Geschlechts, wie sie in Paris bei verschiedenen geschichtlichen Episoden aus ihren

Schlupfwinkeln hervorgekommen sind, vor allem wenn Aussicht auf Plünderung und

Blutvergiessen besteht.

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Danton ist der grosse Agitator - Film einer Nacht

Der grosse Agitator ist Danton. Er hält am 9. August eine Reihe von Reden, vor allem

bei der Kaserne der Cordeliers. Die Wirkung seiner Beredsamkeit ist unbestritten. Der

Aufstand wird planmässig geschürt: Mit dem Ruf «Aux Armes» wird er mit elementarer

Kraft ausbrechen. Die Parolen «Es lebe die Nation», «Nieder mit dem Tyrannen»

werden ausgegeben und von der Menge begeistert aufgenommen. Danton wirkt

zusammen mit Westermann und den Kommandanten der Bataillone aus Marseille und

Brest auch bei der Konzipierung des Angriffs massgebend mit. Zum militärischen

Kommandanten wird der Bierbrauer Santerre ernannt. Eine Alarmkanone beim Pont

Neuf soll das Zeichen zum Angriff geben. Das Marseiller Bataillon steht beim Pont

Saint-Michel mit zwei Geschützen bereit. Weder Danton noch Santerre wird am Angriff

selbst teilnehmen.

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Als die eleganten Pendülen im Schloss

Mitternacht schlagen und der

entscheidende 10. August anbricht, der

den Untergang des Garderegimentes, aber

auch der Monarchie sehen wird,

beschleunigen sich die Ereignisse.

Oberstleutnant de Maillardoz und Major

Bachmann erhalten von Patrouillen die

Meldung, dass sich das Bataillon von

Marseille beim Pont Saint-Michel

bereitstelle. Sie alarmieren das

Garderegiment. Die ruhende Mannschaft

wird geweckt, alle beziehen ihre

Gefechtsstellungen. Die Kammerfrau der

Königin stellt fest: «Die Schweizer

standen wie Mauern, was von der

Nervosität der Nationalgarde seltsam

abstach.»

00.15 Uhr besucht der Bürgermeister von Paris, Pétion, den König. Er sei mit

erhobenem Haupt und falschem Blick eingetreten, erzählt ein Augenzeuge. Überall gibt

ersterer die Weisung, nur Gewalt gegen Gewalt zu gebrauchen. Er spielt eine

zweideutige Rolle und will wohl in erster Linie den Zustand der Verteidigung in den

Tuilerien feststellen.

00.30 Uhr sieht man auch vom Schloss aus, dass die Vorstadt Saint-Antoine die Lichter

anzündet. Der Sturm steht bevor, und die Nervosität wird grösser.

00.45 Uhr schiesst die Alarmkanone der Aufständischen auf dem Pont Neuf. Die

Glocke der Bastille läutet Sturm. 200 Glocken antworten. Über die Absichten des

Gegners kann kein Zweifel mehr bestehen. Der König redet mit seinem Beichtvater und

überlässt alle militärischen Angelegenheiten Mandat, Maillardoz und den anwesenden

betagten Marschällen Mailly und Hervilly, Überbleibseln vergangenen Ruhms.

01.45 Uhr wird Mandat von einem Nationalgardisten abgeholt, der Befehl hat, ihn ins

Hotel de Ville, wo die Gemeindeversammlung tagt, zu begleiten.

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Er soll dort Bericht erstatten. Er wird

bleich und sagt: «Ich werde nicht

wiederkommen.» Darnach geht er, von

seinem jungen Sohn begleitet. Man

verhört ihn wie einen Angeklagten und

wirft ihm vor, er habe gegen die Weisung

des Bürgermeisters Pétion und den Befehl

«Gewalt gegen Gewalt» verstossen, indem

er im Schloss Verteidigungsmassnahmen

getroffen habe. Der Präsident ordnet an,

man solle Mandat «zu seiner eigenen

Sicherheit» ins Gefängnis bringen. Beim

Ausgang stürzt sich die rasende Menge

auf ihn.

Er wird durch einen Pistolenschuss getötet. Sein Körper wird vor den Augen seines

Sohnes in die Seine geworfen, der abgetrennte Kopf auf eine Pike gesteckt und als

erstes Triumphzeichen zum Schloss getragen.

04.00 Uhr ertönt ein Schuss in der Cour de Marsan vor der Hauptfassade der Tuilerien.

Eine von einem Sansculotten bedrohte und zum Äussersten gereizte Schweizer

Schildwache hat geschossen.

05.00 Uhr blasen die Regimentstrompeter das Signal «Tagwacht». Der anbrechende Tag

findet die Schweizer unbeweglich und schweigsam auf ihren Posten. Die

Generalkompanie ist im Königshof vor der Hauptfassade aufgestellt.

Der König inspiziert zum letztenmal seine Garde

06.00 Uhr sieht man vom Schloss aus, dass die Aufständischen die Quais des linken

Seineufers und auf dem rechten Ufer in immer dichteren Massen die Strassen, die zum

Schloss führen, besetzen. Zur gleichen Zeit erhalten die Sturmkolonnen beim Hotel de

Ville den Befehl zum Vormarsch. Der verschlafen und vollständig desorientiert

wirkende König hat sich bereit gefunden, das Garderegiment zu inspizieren. Es ist seine

und des Regiments letzte Truppenrevue. Die Kompanien treten an, die Trommler und

Pfeifer spielen den Präsentiermarsch, der König schreitet schleppend und gleichgültig

mit grossem militärischem Gefolge die roten Reihen ab, de Maillardoz nennt im

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Vorbeigehen die Namen der Hauptleute. Wiederum sind alle Augenzeugen beeindruckt:

«Die feste Haltung und achtunggebietende Ruhe der Schweizer legten sowohl von ihrer

gewohnten Disziplin wie von ihrem Pflichtbewusstsein Zeugnis ab», sagt Bigot de

Sainte-Croix. Bei den Nationalgarden, die der König ebenfalls Revue passieren will, ist

der Empfang weniger diszipliniert. Einige Bataillone lassen den König· hochleben,

andere verlassen beim entmutigenden Anblick dieses unköniglichen Monarchen die

Reihen. Auf der höher gelegenen Feuillants-Terrasse verfolgt eine aufgeregte, mit Piken

bewaffnete Menge das Schauspiel. Mit Rufen «Es lebe die Nation» und «Nieder mit

dem König» ermuntert sie die noch loyalen französischen Truppen zum Abfall. Mit

erheblichem Erfolg: einige Artilleristen verlassen ihre Geschütze, rufen dem König

Beleidigungen zu und gehen zu den Aufständischen über. Kompanienweise folgen die

Infanteristen der Nationalgarde. In den Gärten wird plötzlich der König von drohenden

Sansculotten umringt, die irgendwie eingedrungen sind. Sein militärisches Gefolge

bildet einen Kreis um den Monarchen und hält die aufgeregten Revolutionäre zurück.

Die Truppenrevue wird unter dem Hohngeheul der Menge hastig abgebrochen. Mit

Recht stellt die Königin fest, sie habe mehr geschadet als genützt.

07.30 Uhr meldet sich der oberste Staatsanwalt Roederer im Schloss. Er ist ein hagerer

Jurist aus Metz, der auch die Funktion eines Pariser Präfekten, wie man heute sagen

würde, versieht. Roederer wird zum König geführt, der nach der verunglückten Revue

aussieht, «wie wenn er aufgehört hätte zu leben» (Madame Campan vom Gefolge der

Königin). Ein dramatischer Kampf um die Seele dieses schwachen, wohlmeinenden,

von den letzten Ereignissen ohnehin moralisch vernichteten Menschen beginnt.

Roederer fordert ihn auf, den Kampf nicht aufzunehmen und sich in den Schutz der

Nationalversammlung zu begeben. Es sei seine Pflicht, jedes Blutvergiessen zu

vermeiden. Widerstand sei angesichts der gewaltigen, nun zum Sturm bereitstehenden

Kräfte der Revolution ohnehin nutzlos. Die Königin widerspricht. Sie ermahnt den

König nachdrücklich, nicht nachzugeben. Die unglückliche Habsburgerin will

wenigstens die Ehre retten. Schliesslich tritt der Kriegsminister Joly dazwischen. Er sagt

dem König, er solle die Aufforderung Roederers annehmen. Das Wohl des Staates

verlange es. Diese defätistische Empfehlung eines seiner engsten Ratgeber veranlasst

den König, der kaum ein Wort gesagt hat, seinen Entschluss bekannt zu geben: «Meine

Herren, wir wollen abtreten. Es gilt, noch diesen Beweis des Pflichtbewusstseins zu

erbringen. Hier bleibt nichts mehr zu tun.» Die dem Zusammenbruch nahe Königin sagt

Roederer, er bürge für das Leben des Königs und seines Sohnes.

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Der König gibt sich selbst, seine Familie

und die Monarchie auf. Er verlässt das

Schloss

08.30 Uhr. Der Entschluss des Königs ruft

überall im Schloss grösste Bestürzung

hervor. «Der König ist verloren», sagt

Major Bachmann zu seinen Offizieren.

Das Gefolge, das die königliche Familie

begleiten soll, versammelt sich auf einer

Terrasse. Hauptmann von Salis organisiert

das militärische Geleit. Links 100 Mann

der Generalkompanie des Schweizer-

Garderegimentes, aufgestellt in zwei

Reihen, rechts eine Reihe von 50

Grenadieren der Französischen

Nationalgarde.

Dazwischen setzen sich die Königsfamilie und ihre Begleitung in Bewegung. An der

Spitze marschieren zwei höhere Unteroffiziere und fünf Offiziere des

Schweizergarderegiments, darunter auch Maillardoz und Bachmann. Der König führt

seinen Sohn an der Hand. Der Weg zur Nationalversammlung, die in der Reitbahn bei

der Feuillants-Terrasse tagt, ist nicht weit. Auf dem Platz, der zur Treppe führt,

versperrt die Menge den Weg; «Tod dem Tyrannen, nieder mit der Osterreicherin!» Auf

einer Pike wird der Kopf Mandats geschwenkt. Roederer will verhandeln, wird aber

niedergeschrien. Die unübersehbare Menge droht den kleinen Zug zu überrennen.

Hauptmann von Erlach lässt mit gefällten Bajonetten vorgehen und nach einigen

Minuten gelingt es ihm, einen Durchgang zu schaffen.

Nun folgt ein weiterer unerklärlicher Befehl des unglückseligen Königs. Er will ohne

militärischen Schutz weitergehen. Die Schweizer werden zurückgezogen und warten auf

weitere Befehle. Zweimal wird auf den König gezielt. Der Dauphin wird von einem

verdächtig aussehenden Mann bis zur Reithalle getragen. Unter dem Hohngeheul der

Menge erreicht die kleine Gruppe die Versammlung. Der Königin sind Uhr und

Geldbörse gestohlen worden. Was schliesslich nach ihrem Eintritt in die

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Nationalversammlung und nach einigen

schönen Reden das weitere Schicksal des

Königs und seiner Familie sein wird, ist

bekannt: Verhaftung, Absetzung, Guillotine.

Die Schweizer Offiziere, darunter de

Maillardoz und Bachmann, die den König bis

in die Nationalversammlung begleitet haben,

werden sofort verhaftet.

Der Sturm auf die Tuilerien

Die Verteidigung des Schlosses ist seit dem

Weggang des Königs um die 100 Mann der

Generalkompanie, die ihn eskortierten,

geschwächt. Auch der amtierende

Regimentskommandant de Maillardoz, Major

Bachmann und der Regimentsstab sind

ausgefallen. Weshalb die ganze Führungsspitze

den König in die Nationalversammlung

begleitet hat, ist nicht ersichtlich. Loyalität

gegenüber dem König war sicher einer der

Gründe. Vermutlich wurden auch die

Versprechungen Roederers und die

Vertrauenswürdigkeit der

Nationalversammlung zu optimistisch beurteilt.

Der rangälteste in den Tuilerien verbliebene Offizier ist der Maréchal de Camp und

Hauptmann des Schweizergarderegiments, Jost von Dürler aus Luzern, ein erfahrener,

kaltblütiger Offizier, von dem die natürliche Autorität des echten Führers ausgeht. Er

trifft sofort die sich aufdrängenden Massnahmen und konzentriert die Verteidigung auf

den grossen Gebäudekomplex. Die zerstreuten Posten in den Gärten werden

zurückgezogen. Ein Gardist wird vergessen. Sofort von der blutrünstigen Menge

angegriffen, wird er nach verzweifelter Gegenwehr niedergemacht. Er ist der erste tote

Schweizer dieses Tages.

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In den Tuilerien sind nun die 800 verbliebenen Schweizer, etwa 70 Grenadiere und

einige Kanoniere der Nationalgarde und ungefähr 200 behelfsmässig bewaffnete

Höflinge und Aristokraten versammelt. Dürler reorganisiert die Verteidigung mit den

ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Trotz dem Abzug des Königs will die Garde den

unverändert gebliebenen, wenn auch sinnlos gewordenen Auftrag erfüllen, die Tuilerien

zu verteidigen.

Die Aufständischen haben inzwischen ihren Aufmarsch um die Tuilerien beendet. Sie

sind angriffsbereit. Das Schloss ist von allen Seiten eingeschlossen. Es ist 08.30 Uhr.

Der König befindet sich in der Nationalversammlung. Das Kommando über die

Truppen auf dem Karussellplatz hat der Elsässer Westermann übernommen, ein

begabter Offizier, der später unter der Guillotine sterben wird. Er trägt die

farbenfreudige Uniform der Revolutionsgeneräle. Auf einem prächtigen Pferd reitet er

bis zum verbarrikadierten Hauptportal des Königshofes vor der Schlossfassade. Er

verlangt, dass man es öffne, erhält aber keine Antwort.

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Die Garde erwartet die Angreifer in Gefechtsordnung

Das Hauptportal wird mit Sturmböcken und Äxten aufgebrochen. Plötzlich gibt es nach.

Was die Aufständischen nun sehen, hat allen Augenzeugen den Atem verschlagen: Am

Fusse der grossen Treppen sind vier Schweizerkompanien in Gefechtsordnung, die

immer noch die gleiche ist wie auf den Schlachtfeldern des Siebenjährigen Krieges,

aufgestellt: die Offiziere vor der Front, die wie zur Parade gerichteten Glieder der

Grenadiere und Füsiliere mit den beiden Fahnen des 1. Bataillons, Gewehr bei Fuss,

dahinter die· Wachtmeister. Auf den Stufen und Terrassen stehen weitere Abteilungen

der roten Schweizer. Ein prächtiges, wenn auch angesichts der Lage anachronistisches

und beklemmendes Bild.

Der Gegner zögert. Die Marseillaner, die zuvorderst stehen, fordern die

Nationalgardisten auf, zu ihnen überzugehen. Die Kanoniere folgen der Aufforderung

und drehen ihre sechs Geschütze gegen die immer noch unbeweglichen Schweizer. Ihr

Befehl lautet immer noch, erst zu schiessen, wenn sie angegriffen werden. Den

Abschrankungen entlang infiltrieren Sansculotten. Adjutant Roulin will auf Befehl

Dürlers die Aufständischen auffordern, zurückzuweichen. Er wird sofort umringt und

wäre umgebracht worden, wenn ihn nicht seine Leute herausgehauen hätten. Nun

verlangt Westermann nach dem kommandierenden Offizier der Schweizer. Dürler geht

auf ihn zu. Westermann ergreift seine Hand und fordert ihn auf, mit dem Regiment zur

Revolution überzutreten.

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Dürler antwortet ruhig, er sei für sein Verhalten den schweizerischen Kantonen

verantwortlich. Er würde sich entehrt fühlen, wenn er die Waffen niederlegte. Er werde

von sich aus nicht schiessen lassen. «Wenn ihr uns aber angreift, werden wir uns zu

wehren wissen.»

Die Spannung erreicht den Höhepunkt der erste Schuss fällt

Die Spannung erreicht ihren Höhepunkt. Auch zwei Gardesoldaten sind der Belastung

nicht mehr gewachsen und werfen ihre Gewehre hin. Adjutant Roulin beruhigt sie und

führt sie auf ihre Posten zurück. Die Menge wird ungeduldig. Der erste Gewehrschuss

ertönt. Er soll von einem Juden namens Zalkind Hourwitz abgefeuert worden sein.

Weitere Schüsse folgen. Fast gleichzeitig schiessen die Geschütze der Nationalgarde auf

50 Meter Distanz Kartätschen gegen die Schweizer auf der grossen Treppe. Die erste

Reihe der Gardesoldaten ist weggemäht. Michelet, der Geschichtsschreiber der

Revolution, nennt dies den «fröhlichen Kanonenschuss vom 10. August». Gleichzeitig

wird in einem Nebenhof ein Posten von sechs Mann eingedrungener Sansculotten

niedergemacht.

Es ist 10 Uhr. Im Hof, auf den Terrassen und in den Vorräumen ertönen knappe

Befehle. Wie auf dem Exerzierplatz heben sich die Gewehrläufe der Schweizer

gleichzeitig. Nicht nur die vor der Fassade stehenden Kompanien, sondern aus den

Fenstern und von den Terrassen her schiesst die Garde in die Menge. Tote und Verletzte

liegen im Hof. Fluchtartig drängen die Eingedrungenen gegen die Ausgänge. Sofort

stösst Dürler mit 200 Mann nach, säubert den Hof, erobert vier Kanonen, befiehlt drei

weitere. Ausfälle und beherrscht, unterstützt durch Feuer aus dem ersten Stock des

Schlosses, den grossen Karussellplatz. Auf der anderen Seite der Tuilerien säubert die

Kompanie von Salis bis zum Hof der Reitbahn das Vorgelände, erobert ebenfalls drei

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Geschütze und bringt vorübergehend das Feuer auf der Feuillants-Terrasse zum

Schweigen. Die Verluste sind beträchtlich. Innerhalb einer Viertelstunde haben die

Schweizer beide Seiten des Schlosses gesäubert und den ersten Angriff

zurückgeschlagen. Teile der Revolutionäre fliehen panikartig bis zum Hotel de Ville.

Ein sinnloser Befehl des Königs bringt die Wende

Ein unsinniger, zudem falsch übermittelter Befehl des Königs bewirkt den Untergang

des Regiments.

In der Nationalversammlung hören der König und die Abgeordneten von denen

allerdings nur 248 von 745 anwesend sind, die anderen ziehen es vor, den Ausgang des

Tages abzuwarten den Kampflärm. Es wird nun auch in unmittelbarer Nähe der

Versammlung geschossen. Dort wartet immer noch die Generalkompanie, die den

König zur Nationalversammlung begleitet hat, auf neue Befehle. Plötzlich gerät sie

unter Feuer. Die riesenhaften Grenadiere greifen sofort Richtung Orangerie an. Der

erschreckte König will wiederum Blutvergiessen verhüten und der

Nationalversammlung, die ihn gefangen hält, ein Zeichen seiner Friedfertigkeit und

Kompromissbereitschaft geben. Er befiehlt, dass sich das ganze

Schweizergarderegiment sofort in seine Kasernen zurückziehen solle. Er selbst befinde

sich in der Nationalversammlung.

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Dieser Befehl wurde ohne Kenntnis der

Lage gegeben, in der sich die drei

Gruppen kämpfender Schweizer vor der

Hauptfassade, auf der Gartenseite und

vor der Nationalversammlung befanden.

Ein Loslösen vom zahlenmässig stark

überlegenen, nun vollends fanatisierten

und blutrünstigen Gegner wäre wohl

schon in jenem Zeitpunkt kaum mehr

möglich gewesen. Um die Tragödie der

Fehler und Irrtümer aber fortzuführen,

wurde der Befehl nur an einen Teil,

nämlich die auf der Hofseite fechtenden

Schweizer, und überdies erst noch

vollständig falsch übermittelt. D'Hervilly

soll den Er liest ihn in der Aufregung

nicht genau, stürzt aus der

Nationalversammlung und erreicht,

ständig beschossen, schliesslich das

Schloss. Befehl überbringen.

Allen Schweizeroffizieren, die er trifft, sagt er, der König befehle, dass sich die

Schweizer sofort zum König in die Nationalversammlung zu begeben hätten. Dürler

erhebt Einwände, denen Hervilly mit dem Hinweis auf den königlichen Befehl

begegnet.

Der unsinnige Befehl wird ausgeführt, so gut es geht. Die Trommler schlagen zur

Sammlung. Etwa 200 Mann folgen dem Signal, ordnen sich um die Fahne «wie in den

Tagen der Parade» unter heftigem Feuer, das die ohnehin lichten Reihen noch mehr

dezimiert. Von allen Seiten angegriffen, rückt die Kolonne gegen die Reitbahn vor. Die

Verluste sind gross. Vor der Reitbahn ordnet sich die Generalkompanie neu. Sie erkennt

die heranrückenden Kameraden vorerst nicht, vereinigt sich dann aber mit ihnen. Die

Schweizer dringen in die Versammlung ein, wo die Verwirrung auf ihrem Höhepunkt

angelangt ist.

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Die Abgeordneten glauben, der König habe die Schweizer gerufen, um sich unter ihren

Schutz zu stellen. Sie werden mit Verwünschungen empfangen und aufgefordert, die

Waffen niederzulegen. Andere Abgeordnete und die Leute auf den Tribünen fliehen in

Panik, weil befürchtet wird, die Schweizer würden das Feuer eröffnen.

Dürler wünscht, zum König geführt zu werden, um endlich Klarheit über dessen

Befehle und den Auftrag der Garde zu erhalten. Der König antwortet mit müder

Stimme, die Schweizer sollten ihre Waffen der Nationalgarde übergeben. Er wolle

nicht, dass so tapfere Soldaten umkommen. Dieser Befehl beruht auf vollkommener

Unkenntnis der Lage ausserhalb der Versammlung. Er ist für die Schweizer umso

grausamer, als sie damit, wie ein Augenzeuge sagt, «wehrlos wilden Tigern»

ausgeliefert sind. Auch die Bitten der Gardesoldaten, ihnen zumindest die Bajonette zu

lassen, werden nicht berücksichtigt.

Das Ende: das Regiment wird vollständig vernichtet

Um 12 Uhr sind die Schweizer in verschiedene untereinander nicht koordinierte

Gruppen aufgeteilt. Eine zentrale Befehlsstelle besteht nicht mehr. Dürler wird

zusammen mit weiteren 12 Offizieren nach dem Entwaffnungsbefehl in einem Saal

gefangen gehalten.

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Die dem Befehl, die Waffen niederzulegen, Folge leistenden Soldaten etwa 150 werden

sofort in den Feuillantsklub eingesperrt und später hingerichtet. Die Hälfte der

Generalkompanie weigert sich jedoch, die Waffen abzugeben. Sie wollen sich in ihre

Kaserne an der Granges-Batelière-Strasse durchschlagen. Es gelingt ihnen auch, sich bis

zur Concorde durchzukämpfen. Dort werden sie von verschiedenen Batterien unter

Feuer genommen und von berittener Gendarmerie angegriffen. Die wenigen

Überlebenden werden in die Nationalversammlung geführt, wo sie der Präsident

Huguenin sofort zum Tode verurteilen lässt. Sie werden in einen Hof

zusammengedrängt und hingemacht.

In den Tuilerien kämpfen aber immer noch 450 Schweizer in und um die Gebäude. Ab

11 Uhr feuern 30 bis 40 Kanonen auf das Schloss. Die Schweizer beginnen unter

Munitionsmangel zu leiden. Sie kämpfen im Verhältnis 1 zu 100. Regelmässig werden

auf dem Karussellhof Ausfälle gemacht. Die Situation wird für die Schweizer kritisch,

als die dem Schloss vorgelagerten Stallungen unter der Beschiessung zusammenfallen

und sofort eine grosse Menge Marseillaner über die Trümmer in den Königshof

eindringen. Auf der grossen Treppe halten 80 Grenadiere aus Freiburg dem Ansturm

stand, bis sie aufgerieben sind. «Der letzte Schuss fällt mit dem letzten Leben»

(Lamartine).

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Die Revolutionstruppen und ihre Mitläufer dringen nun über die Leichen hinweg ins

Schloss ein. Ein erbarmungsloser Kampf von Saal zu Saal, Zimmer zu Zimmer, in den

Korridoren, auf Estrichen beginnt. In der Kapelle werden 17 Schweizer getötet. Ärzte

und Verwundete werden umgebracht. Alles, was sich im Schloss befindet, wird zerstört,

alle Insassen, auch Frauen und Kinder, werden auf alle möglichen Arten umgebracht.

Das Gemetzel geht bis in die Nachtstunden. Der Sadismus, zu dem eine von kriminellen

Elementen der Grossstadt und von enthemmten Frauen stark durchsetzte Menge fähig

ist, kommt in kaum zu schildernder Weise zum Vorschein. Im Marsanhof unternehmen

etwa 100 Schweizer einen Ausfall. Auch sie kommen nach einem Anfangserfolg unter

das Kartätschenfeuer der Geschütze und werden vernichtet. Auf der Gartenseite

versuchen 200 Mann nach der Kaserne von Courbevoie durchzubrechen. Sie

unternehmen einen Bajonettangriff und kommen bis zur Concorde, wo sie, wie schon

vorher ihre Kameraden, in das Feuer der dort schiessenden Batterien geraten.

Die Jagd auf die noch lebenden Schweizergardisten wird freigegeben. Beim Denkmal

Ludwigs XV., das damals auf der Concorde stand, verteidigt sich eine kleine Gruppe

gegen verschiedene Angriffe der berittenen Polizei, bis sie auf den letzten Mann fallen.

Der junge Fähnrich de Montmollin, der erst vor einigen Tagen voller Begeisterung zum

Regiment gekommen ist, stirbt, in die Fahne des 1. Bataillons gewickelt.

Ein gutes Tausend Getreuer starb an diesem Tag für den König

Das Regiment ist vollständig vernichtet. Auch die in den Kasernen verbliebenen oder

im Wachtdienst in den anderen königlichen Schlössern eingesetzten

Regimentsangehörigen werden verhaftet oder umgebracht. Noch zwei Tage dauern in

Paris die Greuel an. Immerhin können 17 Offiziere und gegen 200 Unteroffiziere und

Soldaten, davon viele verwundet, schliesslich Paris in Zivilkleidern verlassen. Den im

Feuillantskloster eingesperrten Offizieren, unter ihnen auch Dürler, hat der Abgeordnete

Buat Zivilkleider gebracht und die Flucht ermöglicht. Die meisten nehmen Dienst in

England, Holland oder Deutschland und kämpfen gegen das revolutionäre Frankreich.

Alle Entkommenen verdanken ihr Leben der Tatsache, dass sie von Pariser Familien

unter Lebensgefahr versteckt und gepflegt wurden.

Das Regiment hatte am 10. August etwa 650 Tote, darunter 15 Offiziere, zu beklagen.

Die meisten der gegen 100 Verwundeten starben in den nächsten Tagen. Die 200

Gefangenen einschliesslich 11 Offizieren wurden auf verschiedene Gefängnisse verteilt,

gefoltert und ausnahmslos entweder wie Oberstleutnant de Maillardoz schon im

Gefängnis umgebracht oder starben am 2. und 3. September unter der Guillotine, mit

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ihnen auch Major Bachmann. Zuzüglich der etwa 100 Angehörigen des Hofes, die sich

den Schweizern angeschlossen hatten, gaben an diesem Tag ein gutes Tausend ihre

Leben für einen traurigen König hin, der sich schon längst selbst aufgegeben hatte und

dieses Opfer gar nicht wollte.

Mehr als eine Episode?

Das Schweizergarderegiment hat in den Tuilerien nach dem Abzug des Königs nur noch

Steine und Möbel verteidigt. Es hat sich für eine Sache, die es politisch nichts anging,

die nicht mehr zu rettende französische Monarchie, buchstäblich in Stücke reissen

lassen. Der aussichtslose Kampf hat den Gang der Ereignisse in keiner Weise

beeinflusst. Der Verlauf der Französischen Revolution wurde dadurch, dass sich das

Garderegiment befehlsgemäss opfern liess, weder verändert noch um einen Tag

verzögert.

In der französischen Geschichtsschreibung findet das Opfer der Schweizer für den

König im allgemeinen weder Verständnis noch Sympathie. Im Traditionsgut der

französischen Armee spielt der 10. August 1792 keine Rolle, die Heeresgeschichte

Weygands erwähnt ihn nicht einmal. Schweizerische Geschichtsschreiber haben ihn

eher heroisierend beschrieben. Der Eindruck bleibt zwiespältig. Der 10. August 1792 sei

eine Apotheose und Rechtfertigung (Dierauer) des sonst umstrittenen fremden

Solddienstes, er habe das geschichtliche Verdienst, den Vernichtungswillen, die

negativen und zerstörerischen Kräfte der Französischen Revolution blossgelegt zu

haben (von Muralt). «Helvetiorum fidei ac virtuti» steht auf dem Denkmal in Luzern,

das eine denkmalfreudige Zeit zur Erinnerung an den Untergang des

Schweizergarderegiments errichtet hat.

Die vollständige Vernichtung des Regiments an einem einzigen Tag war eine

militärische Katastrophe. Das Regiment hätte wohl noch nach dem Abzug des Königs

aus den Tuilerien, sicher aber früher, sich unter entschlossener Führung in seine

Kasernen durchkämpfen können. Vielleicht wäre es dann wie die anderen, allerdings in

weniger revolutionär aufgeladenen Provinzgarnisonen stationierten

Schweizerregimenter nach einigen Tagen aufgelöst und in die Heimat entlassen worden.

Es hat jedoch bis zur Vernichtung an seinem sinnlos gewordenen Auftrag festgehalten.

Die Motivation der Schweizergardisten ist nicht mehr ganz klar und war es vielleicht

nie. Das direkte politische Motiv fehlt, denn die Schweizer verteidigten in Paris nicht

ihr Land oder ihren König, und sie betrachteten die Vorgänge in Frankreich eher

gleichgültig.

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Dagegen mag ein gewisses politisches Engagement bestanden haben, ging es doch

darum, nicht nur die überlebte bourbonische Monarchie, sondern eine moderne

Verfassung, übrigens eine durchaus einleuchtende und fortschrittliche Kombination der

herkömmlichen monarchistischen und einer neueren parlamentarischen

Regierungsform, zu erhalten.

Massgebend war für viele sicherlich auch der Wunsch, vor ihren Heimatkantonen, deren

Behörden und Bevölkerung in der Stunde der Gefahr zu bestehen. Der Solddienst in

Frankreich war auf Staatsverträge abgestützt, und mit der Zeit schienen Ehre und

Ansehen der Schweiz von der Haltung und Tüchtigkeit der schweizerischen Regimenter

in Frankreich abzuhangen, jedenfalls bei den im «Ancien régime» befangenen

Bevölkerungskreisen. Dass dies eine wirksame emotionelle Komponente war, geht aus

allen unmittelbar vor dem 10. August geschriebenen und erhaltenen Briefen der

Regimentsangehörigen hervor.

Entscheidend waren Ehrgefühl und Pflichtbewusstsein

Ebenso deutlich ergibt sich daraus eine ungewöhnliche und eigentlich unerwartete

Anhänglichkeit an die Königsfamilie, deren Schicksal seit 1789 in allen Briefen

bedauert wird. Eine persönliche Bindung bestand zwischen Regiment, dem König, der

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Königin und den Kindern, so dass sich die Frage der Loyalität des Regiments dem

Monarchen und Marie-Antoinette gegenüber überhaupt nie stellte.

Alle diese Beweggründe mögen mehr oder weniger wirksam geworden sein.

Entscheidend war aber wohl letzten Endes der Berufsstolz, das stark entwickelte Ehr-

und Elitegefühl, welches diesen zur Hauptsache lang gedienten, in einer starken

Tradition verankerten und durch einen ausgesprochenen Korpsgeist

zusammengehaltenen Soldaten überhaupt keine andere Wahl liess, als ihren Auftrag bis

zur letzten Konsequenz zu erfüllen, auch wenn dieser sinnlos schien. Dass sich niemand

über den Ausgang und die Hoffnungslosigkeit des Kampfes um die Tuilerien Illusionen

hingab, geht aus allen zeitgenössischen Berichten hervor. In dieser selbstverständlich-

professionellen Haltung bis zum Ende liegt doch so etwas wie antike Grösse, auch wenn

man den 10. August nur als eine geschichtlich bedeutungslose Episode bewertet.

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Anmerkung:

Über die Untervazer, die damals in Frankreichs Diensten standen, siehe Anno Domini 1991 und 1992, wo auch deren Biographien nachgespürt wurde.

Internet-Bearbeitung: K. J. Version 9/2011 - - - - - - - -