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Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1950
Der Geist des Bildwerkes
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
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1950 Der Geist des Bildwerkes Christianus Caminada Separatabdruck aus: Leonhard von Matt "Die Kunst in Rom".
Zürich, 1950. Seite 13-26.
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DER GEIST DES BILDWERKES
S. 13: Der grösste theologisch-philosophische Wissenschaftler des Mittelalters,
Thomas von Aquin, der noch heute in weitesten Kreisen tonangebend ist, hat
den Satz geprägt: «Non intelligitur nisi per phantasmata», Erkenntnisse können
nur durch Phantasiebild erreicht werden. Das Bild ist also ganz besonders
geeignet für den Unterricht. Es wirkt sogar noch eindringlicher und dauernder
als die Buchstabenzeilen. Aus diesem Grunde wurde das Volk in früheren
Jahrhunderten durch die Bildszenen an den Kirchenwänden unterrichtet. Diese
und die Zeremonien des Gottesdienstes gaben dem Volke ebenso guten
religiösen Unterricht wie heutigentags die Presse. Die Bücherabschreiber
wussten die Bedeutung des Bildes einzuschätzen, darum fügten sie ihren
Handschriften köstlichste Miniaturmalerei in Rot, Blau, Grün und Gold bei.
Die Gegenwart kehrt wieder zurück zum Unterricht durch die Bilder. Bücher,
Zeitungen, Photo und Kinoleinwand suchen durch die Bildschau die Seele des
Betrachtenden zu erobern. Der Reiz der Bilder rückt oft die Realität des
Lebens dem Beschauer so nahe, dass er nicht selten fast plötzlich von dessen
Anblick zur guten oder bösen Tat gejagt wird. Das Spiegelbild will
Wirklichkeit werden. Dieses Bilderwerk benützt diese Erfahrungen, um die
tiefen religiösen Erlebnisse und künstlerischen Schönheiten der «ewigen
Stadt» unauslöschlich in die Seelen aller Kreise einzuprägen. Es wird freilich
ein jeder in seiner Art und nach seiner Seelenverfassung davon erfasst.
Jedweder trinkt aus dem gleichen Quell und jeder stillt seinen Durst.
Wir lassen also die Bilder sprechen und sich eingraben ins Gedächtnis aller
Rompilger und Kunstfreunde. Wir gehen zurück bis aufs Gründungsjahr der
Stadt Rom, siebenhundertdreiundfünfzig Jahre vor Christus, wo die
mythischen Zwillingsbrüder sich bald anschickten, die ersten Bausteine der
Siebenhügelstadt aufeinanderzulegen. Es häufen sich langsam die Monumente
der römisch-heidnischen Kultur. Als diese Volkskultur sich bereits
hochentwickelt hatte, erschienen von Osten her die Abgesandten einer neuen
Kultur, die Abgesandten der christlichen Welterneuerung.
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Es erschienen Männer im Apostelmantel und mit der Trinkmuschel am
Wanderstab. Diese und ihre Nachfolger überwinden in jahrhundertelanger
Mühewalt bis aufs Blut das römische Heidentum. Die erste heidnische
S. 14: Kulturlage wird überdeckt von der Humusdecke der christlichen
Weltauffassung und Kultur. Es entsteht die christliche Kulturlage. Hier sitzt
das tiefste Geheimnis der Anziehungskraft der «ewigen Roma». Es erwachen
aus der christlichen Atmosphäre neues Denken, neue Ziele, neue Bauten. Man
benützte zwar die Gefässe, welche die heidnische Kunst geschaffen hatte, man
redete in der Sprachgewandtheit der klassischen Zeit, brauchte ihren Pinsel,
ihren Meissel, ihre Redekunst und Philosophie, aber um wesentlich andere
Lebensauffassungen dem Volke und dem Staate einzuhauchen. Die Stadt, in
der diese Wandlung in grösster Tragik vor sich gegangen ist, war unstreitig
Rom. Die Spuren davon sind unaustilgbar dem Gesicht der Roma aeterna
eingegraben. Die Stadt ist durch die Päpste, durch die Nachfolger des hl. Petrus
zum entscheidenden Zentrum des Christentums geworden.
Nicht bloss für den gläubigen Christen, sondern für jeden geistig interessierten
Menschen muss es ein tiefes Erlebnis sein, wahrzunehmen, wie die christlich-
religiöse und die heidnischrömische Kulturlage ineinandergreifen und wie die
christliche Zeit die vorhergehende Periode begrub. Man kann nun trotz der
gewaltigen Ruinen, die sich häuften, tatsächlich hinabsehen und hinabsteigen
zur ältesten Kulturlage. Am Trajansforum, wo die Basilica Ulpia einstens
stand, lässt sich heute durch eine Trattoria in dreizehn Meter Tiefe gelangen
auf die ehemalige römische Strasse, die zum Forum Traianum und zum
Kapitol führte. Die Mitte dieser römischen Kulturstätte ist bezeichnet durch
zwei herrliche Siegessäulen, die den beiden Kaisern Trajan und Mark Aurel
gewidmet waren. Der römische Historiograph Amian berichtet, dass Kaiser
Constantinus, als er im Jahre 356 dieses Forum besuchte, innerlich so
erschüttert war, dass er ausgerufen habe, es sei «seinesgleichen nichts unter
dem Himmel, und selbst die Götter könnten ihre Bewunderung für diesen Platz
nicht unterdrücken ». Von jener Herrlichkeit, aber in tiefer Versenkung, steht
heute noch vor dem Beschauer die vierunddreissig Meter hohe Trajanssäule,
welche die Feldzüge dieses Kaisers auf einem Marmorstreifen, der am
Säulenschaft sich emporwindet, darstellt. Nicht weniger als 2500 Personen von
sechzig bis siebenzig Zentimeter Höhe drängen sich vorwärts auf diesem
marmornen Riesenfilm.
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Auf elf Foren, von denen das Traianum und das Romanum die herrlichsten
waren, entwickelte sich das römische Volksleben, die Volksbelustigungen und
zur Zeit der Demokratie auch der öffentliche politische Betrieb. Hier schafften
sich die politischen Volksredner Geltung und buhlten um die Volksgunst. In
Versen beschreibt der beobachtende römische Dichter, wie die
Volksversammlung unter der Wortgewalt angesehener Redner hin und her
wogte, wie ein vom Winde bewegtes Kornfeld.
Neben den Foren standen in Rom nicht weniger als 423 Tempel, die davon
Zeugnis geben, dass dieses Volk eine bedeutende heidnische Frömmigkeit
pflegte. Rom, die damalige raubgierige Wölfin, feierte nach den Kriegszügen
grosse Freudenfeste, deren Triumphtore
S. 15: nicht bloss aus einigen Latten mit grünen Kränzen und Blumen bestanden,
sondern herrliche monumentale Bauten waren, die noch heute stehen (Titus,
Septimus Severus, Konstantin). Sie verkünden die Grösse des Sieges und die
Schande der Besiegten. Man denke an den Titusbogen, unter dem noch heute
kein echter Jude durchgehen will. Zu solchen Zeiten dampften die heidnischen
Götzenaltäre vom Duft des emporsteigenden Weihrauchs und der schmorenden
Fleischopfer. Nach dem Zeugnis des frömmsten römischen Dichters Vergil
wurden auch Opfer dargebracht, um das Gedeihen auf dem Acker und in der
Herde sich zu sichern. Er erzählt, wie er selber um den brennenden Holzstoss
tanzte, über das Feuer sprang und die Asche auf den Acker hinaustrug, damit
die Götzen günstig sich stimmen liessen. Auf dem Kapitol, dem religiösen
Zentrum der heidnischen Stadt, fand sich der herrlichste Tempel des Jupiter.
Dieser Jupiter war aus Marmor gehauen. In der einen Hand hielt er den
Blitzkeil und in der anderen die Lanze bereit, um sie wahllos auf die armen
Menschen zu schleudern. Daneben standen noch zehn solche Tempelchen zur
Ehre anderer Gottheiten. Davon ist auf dem Kapitol nichts mehr zu finden. Der
grösste heidnische Tempel, der im Jahre 27 v. Chr. in Rom geweiht wurde, ist
das heute noch bestehende Pantheon. Der Römer stieg zu diesem riesenhaften
Rundbau auf fünf nun im Erdboden versunkenen Stufen empor zu den
sechzehn Riesensäulen der Vorhalle. Dieses Hinanschreiten gab dem Gemüte
und dem Schreiten eine erhebende Schwingung, die heute um so wichtiger
wäre, weil das Fundament des Pantheons im Laufe der Jahrhunderte durch
aufgehäuften Schutt früherer Zerstörungen mehrere Meter tiefer liegt als die
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umliegenden Gebäulichkeiten. So herrlich der vorgebaute Säulenportikus ist,
so beeinträchtigt er doch durch seine geraden Linien den mächtigen Schwung
dieses einzigartigen Rundbaues. Die prachtvolle Gestaltung, Grösse und
Schönheit dieses Tempels erzwang sich doch so viel Rücksichtnahme, dass
trotz der eingreifenden Zerstörungen durch Wegnahme der vergoldeten
Dachziegel, des Ersatzes der ehernen Tragbalken des Vorbaues, Entfernen der
goldenen Neptunstatue und der Marmorverkleidung, nach zweitausend Jahren
noch die Worte von Dr. Kuhn gelten: «In der Schwelle und im Türsturze aus
afrikanischem Marmor knarren die Zapfen der ehernen Tore aus der alten
Zeit.» Das geschah wohl infolge der Tatsache, dass er seit mehr als ein
Jahrtausend dem christlichen Gottesdienst dient. Die heidnisch-römische
Kulturperiode zeigt uns in Rom noch einen ungemein lieblichen kleinen
Rundtempel am Tiber, unweit der Basilika S. Maria in Cosmedin, der mit dem
Namen Vestatempel unter die römischen Reiseandenken geraten ist. Die
Vestalinnen hatten ihren Tempel nicht dort, sondern am Forum Romanum, wo
solche edelgeformte Statuen in Marmor noch einen Platz flankieren. Der
genannte kleine Rundbau ist nach aussen durch zwanzig korinthische Säulen
umkreist, die das Dach tragen. Ihr gegenüber steht die wunderbare Kirche S.
Maria in Cosmedin, die auf den Ruinen eines Herkulestempels erbaut war.
Eine christliche Taufe auf den Trümmern
S. 16: eines heidnischen Tempels, im Angesichte des anmutigen Vestatempels, in der
Nähe des Kapitols und vieler anderer Tempel musste bei der Abschwörung des
Heidentums einen erschütternden Eindruck machen. Widersagst du dem bösen
Feind (den heidnischen Götzen)? Widersagst du seinen Werken (seiner
geniesserischen Lebensauffassung)? Widersagst du seiner Pracht (den
Tempeln, den rituellen Prachtaufzügen, dem entnervenden Duft der
Opferbräuche)? So lauteten, wie noch heute, die Abschwörungen. In den
Zeiten, da in den Amphitheatern in berauschenden Volksspielen das Blut der
Christen unter den Zähnen der wilden Tiere dahinfloss, waren diese
Abschwörungen nicht so leer und unübersetzbar wie heute. Der Schauer dieser
Taufszene ist leicht nachzufühlen, wenn man sich erinnert, wie Augustinus in
seinen Bekenntnissen erzählt, dass er von seinen Freunden mit Gewalt in diese
Spiele geschleppt wurde, während er den festen Vorsatz gefasst hatte, seine
Augen geschlossen zu halten.
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Ein Aufschrei des Publikums bei einer blutigen Szene durchbebte derart das
Theater und sein ganzes Wesen, dass die geschlossenen Augenlider
unwillkürlich sich aufrissen und auch er mitheulte.
Durch einige Sätze suchten wir den Eindruck jener vielen Bilder aus der
heidnisch-römischen Kulturstadt zu beleben und die ehemalige Grösse und
Pracht aufleuchten zu lassen. Roma war die herrliche, stolze und reiche
Weltbeherrscherin. Die Eroberung der Stadt war für kriegsgeübte, starke
Völker ein gewaltiger Anreiz. Die Raubzüge Roms hatten die roheste
Rachsucht wachgerufen. Es hat sich gezeigt, dass Rom durch Schwert, Lanze,
Katapulte und Feuersbrunst in Ruinen gelegt werden konnte, aber die innere
geistige Eroberung, die Überwindung ihrer heidnischen Kultur musste auf
anderem Wege erfolgen. Diese Eroberung sollte aus dem Orient kommen.
Christus sandte die Eroberer aus. War die Stadt Rom dafür offen? Nicht
weniger als 28 grosse Heerstrassen mündeten in die Tore dieser Stadt. War die
heidnisch-römische Kultur aufnahmereif und standen die Tempeltore offen?
Rom war tatsächlich bereit, der eigenen nicht geringen Götterschar auch die
Gottheiten der unterjochten fremden Völkerschaften einzureihen, um ja keine
Macht zu übersehen, welche dem Staate hätte günstig sein können. Hatte nicht
der römische Dichter schon im Jahre 41 v. Chr. in seiner Ekloge die Geburt
eines göttlichen Sprösslings des Weltfriedens angekündigt? Hat nicht
Konstantin der Grosse, Lactantius und sogar Augustinus jenes Lied als eine
Prophezeiung zugunsten des Christentums bezeichnet? Der hl. Paulus soll
sogar am Grabe dieses Dichters Vergil zu Neapel geweint haben, wie ein
mittelalterlicher Hymnus der Kirche von Mantua singt (St. Paulus):
Ad Maronis mausoleum ductus flevit super eum piae rorem lacrimae. «Quem
te, inquit, reddidissem, si te vivum invenissem poetarum maxime!» An
Vergilius' Maro Grabmal weinte Paulus bitterlich frommer Erinnerung
Tränentau: «Was hätt' ich aus dir gemacht, hätt' ich lebend dich getroffen, O du
grösster aller Dichter.» -
S. 17: Standen nicht alle Gefässe bereit, um christliche Wahrheiten
entgegenzunehmen? Die griechische Sprache war allgemein herrschendes
Weltidiom. Das Lateinische hatte metallenen Klang, biegsamen Satzbau und
Wortreichtum genug, um dem hohen Wahrheitsgehalt des Christentums recht
dienen zu können.
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Die Dichtkunst beider Sprachen verfügte über solche Schätze wohlklingender
Verse und poetischen Ausdrucks, dass sie in würdiger Weise die grossen
Geheimnisse des Todes und der Auferstehung besingen konnte. Die
Philosophie hatte eine so grosse Schärfe und Strenge der Gedankenordnung
erreicht, dass es ihr möglich war, die Lehren und Geheimnisse des
Christentums sicher und klar wiederzugeben. Die Architektur, Malerei und
Plastik hatte sich ausgewiesen, dass sie würdige Altäre, Kapellen und
Kathedralen zur Feier der Geheimnisse errichten konnte. Feinste Leinwand
wurde gewoben, geeignet, in zierlicher Weise die Altäre desjenigen zu decken,
der in der Krippe auf Stroh lag, trotzdem er Herr allen Reichtums war. Gold,
Silber, edles Gestein hatten die Kunsthandwerker zur Verfügung, um wertvolle
Gefässe für die Eucharistie zu bereiten, zu Ehren des Herrn aller Schönheit,
Wahrheit und aller irdischen und ewigen Schätze.
Alle Gefässe zur würdigen Aufnahme des Christentums wären bereit gewesen,
wenn nicht eine diametral entgegengesetzte Nichtkenntnis Gottes, eine
Vergöttlichung des Staates als präsenten Gott, eine grundfalsche Einschätzung
der menschlichen Seele, der Sünde, der Erlösung und Bestimmung des
Menschen, die alles regierende und beherrschende Staatsweisheit gewesen
wäre. Der Kaiser war der allmächtige Gott, die Quelle allen Rechtes, der
absolute Herr über Leben und Tod. Es gab keine Instanz über ihm. Dass man
dieser Staatsauffassung sich beugte, wurde durch die symbolische Handlung
des Weihrauchopfers vor dem Kaiser und seinen Staatsgottheiten öffentlich
dargetan. Der Christ, welcher nach den staatlichen Dekreten vor Gericht
geladen wurde, hatte die Alternative, entweder durch das Opfer sich zur
heidnischen Staatsauffassung zu bekennen oder in den Tod zu gehen. Die
Gerichtsakten der damaligen Märtyrerprotokolle enthalten folgende und
ähnliche Erklärungen: «Wir respektieren die Person des Kaisers, wir erweisen
ihm alle Ehre, welche unser Gewissen zulässt und welche seiner Würde
gebührt. Indem wir in ihm einen Menschen erkennen, der nach Gott kommt
und der von Gott alles, was er ist, empfangen, opfern wir für sein Heil, aber die
Opfer bringen wir Gott dar, unserem und seinem Herrn!»
Diese ganz gegensätzlichen weltanschaulichen Staatsauffassungen mussten
folgerichtig aufeinanderprallen, weil es auf Tod und Leben ging. Darin fand
sich auch eine von den Heiden nie erkannte Würde der menschlichen Seele,
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wonach alle von Gott erschaffen sind, alle die gleiche ewige Bestimmung in
Gott und für Gott haben. Alle Seelen sind vor Gott so wertvoll, dass Er sie
durch den Kreuzestod erlöste, also gleichwertig einschätzte, weil Er für alle
den gleichen Erlösungspreis zahlte. Diese Lehre der Gleichwertigkeit aller
Menschen bedeutet aber auch die Auflösung der Sklaverei. Man kann sich
vorstellen, wie eine solche
S. 18: Lehre begrüsst und angenommen wurde von jenem Heer zermarterter
Menschen, die schlimmer als die Tiere misshandelt wurden. Diese neue
Gottesauffassung und Menschenwertung, für welche zahllose Christen in den
Tod gingen, erzwang sich Achtung und Anhänger, selbst in den kaiserlichen
Palästen. Die natürliche Anziehungskraft des Guten und der Wahrheit ist seit
jeher auch in den Heiden wirksam gewesen. Die Lehren Ciceros in seinem
Buch «de bono» und anderer Schriftsteller über das Gute, ferner die Beispiele
einer Mutter der Gracchen und vieler anderer waren mehr als bloss
Zufälligkeiten. Für solche Menschen mussten die wunderbaren und
geheimnisvollen Lehren Christi eine hochwillkommene neue Botschaft sein.
Als Paulus in seinem Briefe an die Korinther sein längeres Verbleiben in
Ephesus entschuldigte, schrieb er: «Ostium magnum apertum est et evidens»
(I. Kor. 16,9), ein weites und vielversprechendes Tor hat sich uns aufgetan,
aber auch «et adverserii multi», aber auch viele unbeschreibliche
Schwierigkeiten, die der stillen Durchdringung und geistigen Eroberung der
Stadt entgegenstanden. Chateaubriand hat in seinem Buch «Les Martyrs» eine
Szene dargestellt, welche hieher gehört und jeden Katakombenbesucher oder
Betrachter des altheidnischen Roms ergreifen muss. Ein christlich getaufter
Jüngling, der aber sich nicht entschieden loslösen konnte von den Genüssen
der heidnischen Lebensgewohnheiten, trotzdem diese ihn immer wieder
anekelten, entdeckte eines Abends auf der Appischen Strasse in der Nähe des
Grabmals der Cecilia Metella, draussen auf dem Feld, wie im fahlen
Mondschein Gestalten heranhuschten und auf einem Platze plötzlich gleichsam
versanken. Die Neugierde jagte ihn dorthin, wo diese Figuren in ein klaffendes
Erdloch verschwanden. Der Jüngling erzählt: «Ich stand plötzlich in einem
Raum weithinziehender Gänge, durch welche ein schwaches Licht flimmerte.
Waagrecht an den düsteren Mauerwänden zogen sich drei Zeilen von Särgen
hin, die übereinandergeschichtet waren.
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Das über diese Mauerwände huschende, zitternde Licht verlieh der
Totenwohnung eine erschauernde Unruhe. Um mich zu orientieren, suchte ich
mit gespanntem Ohre Töne zu erlauschen. Erstarrende Stille umgab mich im
Totenraum, ich vernahm nur das ängstliche Ticken des eigenen Herzens. Ich
wollte umkehren, aber es war schon zu spät. Ich irrte auf falschem Wege.
Anstatt dem Labyrinth mich entziehen zu können, geriet ich immer tiefer.
Neue sich kreuzende Wegschluchten vermehrten meine ratlose Bestürzung.
Bald schritt ich zaudernd, dann aber eilig. Nun schien es mir, als stürme
jemand hinter mir her. Es war der Widerhall meiner eigenen Schritte.
Unheimlich lang hatte dieses Zaudern und Eilen gedauert. Die Kräfte drohten
mich zu verlassen. Halb ohnmächtig sank ich hin inmitten der Totenstadt.
Während ich erschauernd auf die Lichtlein blickte, die halb am Verlöschen
schienen, schlugen an mein Ohr die sanften Töne eines unheimlich klingenden
Chorals, die aus den Tiefen der Totenwohnungen empordrangen. Die
geisterhaften Töne verhauchten, aber wachten wieder auf, ja sie schienen bald
weicher und milder hinzurieseln durch die unterirdischen Querpfade.
S. 19: Ich erhob mich und schritt nach der Richtung, woher dieses magische Singen
kam. Ich fand einen erleuchteten Raum, wo Marcellinus (der Papst) auf einem
bekränzten Grabmonument die christlichen Geheimnisse feierte. Eine grosse
Schar wohnte dem Opfer bei. Ich wusste nun, dass ich in einer Katakombe
war. Meine Seele wurde ergriffen von Scham, Reue und Zerknirschung. Neue
Überraschung! Töchter in weissen Schleiern sangen zu Füssen des Altares. Ich
meinte plötzlich inmitten der Knieenden sogar die Kaiserin mit ihrer Tochter
neben Dorothea und Sebastian wahrgenommen zu haben. Noch nie hatte mein
Auge ein so wundervolles Schauspiel wahrgenommen, gewiss ist Gott noch nie
würdiger angebetet worden, und wohl noch nie offenbarte sich mir seine
Grösse so auffallend. Oh, welche Macht einer Religion! Dass die Gattin eines
römischen Kaisers verstohlen wie eine Ehebrecherin ihr Nachtlager verlässt
um zur Zusammenkunft der Unglücklichen zu eilen, um Jesus Christus am
Altare eines unbekannten Märtyrers unter Gräbern Verachteter und Verfemter
ihre Aufwartung zu machen. Während ich von diesen Gedanken erstürmt
wurde, beobachtete ich, dass ein Diakon einige Worte ins Ohr des Papstes
flüsterte. Man hatte den unberufenen Fremdling entdeckt.
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Jemand gab ein Zeichen. Sofort schwieg der Gesang und die Lichter
erlöschten. Eine glänzende Vision entschwand. Erfasst vom Gedränge der
Enteilenden, fand ich mich plötzlich hinausgetragen an den Eingang der
Katakombe.»
Nachdem Konstantin im Jahre 312 an der Milvischen Brücke unter dem
Kreuze den Sieg errang, öffneten sich durch sein Dekret der Glaubensfreiheit
vom Jahre 313 die Katakomben. Es begann die zweite, die christliche
Kulturlage sich über die sieben Hügel auszubreiten. Schon früher hatte der
christliche Gottesdienst sich herauf gewagt in die Häuser mancher
Senatorenfamilien, die christlich geworden waren. Der hl. Petrus soll zuerst
beim Senator Pudentius gewohnt haben. Man glaubt in den baulichen
Fundamenten der S. Pudentiana deutliche Spuren der ehemaligen «Kathedrale»
des Apostelfürsten entdeckt zu haben. Die Töchter des Pudentius, Priscilla und
Pudentiana, die später als Märtyrinnen in der Priscilla-Katakombe beigesetzt
wurden, sollen hier dem hl. Petrus aufgewartet haben. Unter deckenden
Glasplatten des Fussbodens kann man in die Krypta hinabsehen, die schon um
384 genannt wird. Eine einzig wunderbare Apside mit himmelblauem
Mosaikgrund und schillerndem Goldflimmer des Jahres 8 I7 hütet diese
Tradition in würdiger Weise. Nicht allzuweit von dieser Kirche findet sich auf
dem Wege nach S. Maria Maggiore die S. Prassede, die zurückgeht aufs Jahr
491. Karolingische Mosaiken und andere Kostbarkeiten leuchten dem Pilger
ins Auge.
Wandert der Reisende durch den Konstantinsbogen die Via S. Gregorio
zwischen Palatin und Celius hindurch, so erreicht er immer wieder älteste
Kirchen. So S. Gregorio Magno, im Jahre 576 nach Christus von Gregor dem
Grossen an Stelle seines väterlichen Palastes erbaut. Es folgt SS. Giovanni e
Paolo, wo der Senator Pammachius an dem Platze des eigenen
S. 20: Palastes dem genannten Heiligen das Gotteshaus errichtete. S. Saba und S.
Sabina verkünden ähnliche christliche Tradition. S. Domenica (auch S. Maria
della Navicella genannt) ist eine der ältesten Diakonien Roms. Sie präsentiert
sich in schönen Granitsäulen und leuchtet in karolingischer Mosaikmalerei.
Wendet man sich gegen S. Giovanni in Laterano, aber mit einem bedeutenden
Seitensprung, so entdeckt man die umfangreichste aller Rundkirchen Roms,
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S. Stefano Rotondo, welche aus einer römischen Markthalle im Jahre 468 für
den christlichen Gottesdienst geweiht wurde. Sie besteht im Innern aus einem
kreisrunden Mittelschiff, das von zwanzig Säulen gebildet wird, während
vierundvierzig andere Säulen in gleicher Ordnung Seitenschiffe formen. An
der Aussenwand bilden grosse Pilaster eine interessante Gliederung und festen
Widerstand. Von diesem Bau her ist man in der richtigen Stimmung, die
Taufkapelle beim Lateran zu besuchen, wo Kaiser Konstantin im Jahre 324 die
hl. Taufe empfangen haben soll. Sie trägt in erhabener Würde und Kunstgrösse
seinen Namen.
Feierlicher als alle genannten Kirchenbauten tritt uns südöstlich vom
römischen Amphitheater die besterhaltene Basilika S. Clemente entgegen. In
ihren Fundamenten steckt eine Wohnung von Flaviern kaiserlichen Ranges,
aus welcher der Papst Clemens stammte. Dort zelebrierte dieser Märtyrerpapst
des Jahres 100 n. Chr. die heiligen Geheimnisse. Schon im Jahre 392 erwähnte
der hl. Hieronymus diese Kirche. Im Jahre 417 fand dort eine
Kirchenversammlung gegen die Pelagianer statt. Sie wurde im Kampfe des
Kaisers Friedrich IV. gegen Gregor VII. so vandalisch zertrümmert, dass der
Boden zugeschüttet werden musste und dass darüber die heute bestehende
Kirche durch Paschal II. erbaut wurde. Die zerstörte Unterkirche wurde so
gründlich vergessen, dass man vor ungefähr hundert Jahren staunend die
Entdeckung der noch bestehenden Räume machte, wo wertvolle älteste Bilder
bis zum heutigen Tag sich erhalten haben. Diese sind ein kostbares Stück
ältester Kirchengeschichte. Im hintersten Raum der Unterkirche findet sich
noch ein Altar des Mithraskultus. In Stein gemeisselt ist der heidnische Priester
damit beschäftigt, das Opferkalb abzustechen, indem er den Blick zum
Sonnengott emporrichtet. Man glaubt, dass dieser Altar zu einer Zeit hierher
kam, als man bei Wiederausbruch der Christenverfolgungen die christlichen
Gottesdienstlokale dem heidnischen Götzendienst auslieferte.
Eine grosse Zahl von Basiliken findet sich noch in Rom, die ohne Ausnahme
auf römisch-heidnischen Unterbauten und Ruinenschutt sich erheben. Man
vergesse S. Sabina auf dem Aventin nicht, wo vierundzwanzig antike
korinthische Säulen das offene Dachgebälke im schön renovierten Riesenraum
tragen. Hier übergab Papst Honorius III. dem hl. Dominikus die
Genehmigungsbulle des Ordens.
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Am Tore dieses Gebäudes, des ruhmvollen Stolzes des Dominikanerordens,
zeigen die weissen Frati die älteste Reliefdarstellung der Kreuzigung Christi.
Man übersehe S Maria in Trastevere nicht, welche auf dem Platze der ältesten
S. 21: Marienkirche Roms jene Ölquelle hütet, die am ersten Weihnachtstage der
Geburt Christi plötzlich hervorgebrochen sein soll. Die jetzige Basilika, welche
den Bau des vierten Jahrhunderts ablöste, entstand im zwölften Jahrhundert.
Zweiundzwanzig schlanke korinthische Säulen mit Kapitellen ägyptischer
Gottheiten tragen auch hier das offene Dachgebälke und dienen so dem
göttlichen Kinde und seiner Mutter. Dieser Siegesgedanke des Christentums,
der die Kunstdenkmäler des Heidentums den christlichen Bauten dienen lässt,
durchweht alle Kirchen und Paläste Roms. Fast sämtliche Strassen und Plätze
verkünden diesen Triumph.
Die Basilika S. Giorgio in Velabro, errichtet beim vierfrontigen Janusbogen
auf dem ehemaligen Sumpfe, wo die ausgesetzten Zwillinge Romulus und
Remus aufgefunden wurden, gibt diesem Siegesgedanken drastischen
Ausdruck. Nach dem heidnischen Aberglauben entsteigt den gasigen Miasmen
der Sumpfpfützen der giftige Erddrache. Der hl. Georg, der Drachentöter, jagt
dieser heidnischen Gottheit, welche die Töchter der Stadt zum Opfer fordert,
die tödliche Lanze in den Rachen. Diese Kirche mit dem unvergleichlichen
Portikus und dem wohlproportionierten Turm, der seit seiner Errichtung,
besonders im Mittelalter, Vorbild ungezählter Campanili wurde, steht da wie
ein Triumphbogen wider die besiegte Macht des Heidentums, die zwar stetsfort
nach der Ferse der Madonna schielt.
Im raschen Gleitflug über die alte Bau- und Kunstgeschichte der
Siebenhügelstadt konnten wir einzig das Heraufsteigen und den Sieg der
christlichen Kultur über das Heidentum in knappen Zügen zeichnen.
Das Werden der christlichen Roma ward fortwährend erschüttert wie vom
Grollen eines Erdbebens, dem Ruinenbrand, Blutvergiessen, Tod und Elend
folgte. Wie Steinlawinen stürzten Barbarenheere durch erbrochene Eisentore
und über zerborstene Stadtmauern. Im Jahre 390 v. Chr. äscherten die Gallier
die stolze Stadt ein, im Jahre 64 n. Chr. liess Nero Rom in Brand stecken, im
Jahre 312 n. Chr. entschied sich ein erschütternder Kampf auf der
zusammenbrechenden Milvischen Brücke, der Westgotenkönig Alarich brach
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im Jahre 410 n. Chr. in die Stadt, Attila, die Geissel Gottes, drang anno 452
durch die Tore, Geiserich drei Jahre später, Vitiges nach 22 Jahren, Totila 546
und 549, im Jahre 846 plünderten die Sarazenen St. Peter und St. Paul. Im
Jahre 1084 erschien Kaiser Heinrich IV. am Tiber und ein Jahr darauf drang er
bis in die Stadt. Es folgte nach mehrhundertjähriger Pause im Jahre 1527 das
Heer der Bourbonen. Im Jahre 1870 marschierte die «Italia una» durch die
Bresche der Porta Pia.
Alle übrigen weltgeschichtlichen Ereignisse des damaligen Europa wie die
Kreuzzüge, die Türkengefahr, die Reformation und die Revolution trafen
immer wieder die Stadt, das Zentrum der christlichen Kirche, und störten ihre
kulturelle Friedensmission.
Die bedauerlichste Periode des päpstlichen Roms trägt den richtigen Namen
S. 22: Babylonische Gefangenschaft des Papstes in Avignon (Südfrankreich) vom
Jahre 1305 bis 1376. Der Untergang der Stadt bereitete sich vor. Eine
unheimliche Entvölkerung der Stadt setzte ein. Jedes schmutzige Dorf der
Campagna konnte sich mit Rom messen. Ziegen und Schafe kletterten über die
Trümmer, während Hunde und Katzen auf den ehemaligen stolzen
Stadtplätzen herumbalgten. Schmutzige Kinder wühlten im Schutt, und Bettler
trockneten ihre Kleiderfetzen auf den Kirchentreppen und sonnten ihre faulen
Glieder. Marmorstatuen griechischer und römischer Kunst verschwanden in
den Kalköfen, denn zuweilen musste das zerborstene Gemäuer doch geflickt
werden, um nicht bei lebendigem Leib darunter begraben zu werden. Rom war
am Sterben, weil die Päpste fortgezogen waren und Miene machten, nicht mehr
zurückkehren zu wollen. Zum Glück verdross das Avignonsche Exil doch die
Päpste. Die Warnungen der grossen Seherin von Schweden, der hl. Brigitta, die
Mahnungen der hl. Katharina von Siena und die scharfen Worte Petrarcas
verfehlten die Wirkung nicht. Petrarca hatte schon im Jahre 1366 den Papst
gefragt, ob er einst unter den Sündern von Avignon oder unter den Märtyrern
Roms auferstehen möchte. Papst Urban V. liess sich bestimmen, nach Rom zu
kommen, aber er kehrte nach wenigen Monaten zurück, belastet mit der
Voraussage der hl. Brigitta, dass er dort bald sterben werde, wie es bald darauf
wirklich geschah. Sein Nachfolger Gregor XI. kehrte im Jahre 1377 nach Rom
zurück, auf die Bitten der h1. Katharina von Siena. Nach zwei Monaten starb
er dort, sonst wäre er wieder nach Avignon gezogen.
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Mit ihm war diese Periode zu Ende, welche Avignon zum Aufblühen gebracht
hatte, während Rom in den letzten Zügen zu liegen schien, ob der Abwesenheit
der Päpste.
Ums Jahr 1300 tritt in Italien ein genialer Mann mit dem Namen Dante auf,
welcher in der Vision seiner Divina Commedia eine Reise antrat ins Jenseits,
wohin Vergil als von Beatrice gesandter Führer dient. Derartige visionäre
Reisen waren damals Sitte. Dante übertraf in seinen monumentalen
Schilderungen alle und blieb bis auf den heutigen Tag der König der
Dichtkunst. Seine Einführung des heidnischen Dichters Vergil in die Literatur
regte die Zeitgenossen an, wieder zurückzugreifen zu den literarischen
Schätzen und Kunstschöpfungen der Heiden. Petrarca nahm diese Anregung
auf und wurde mit Boccaccio zum Begründer der Renaissance, die dadurch
grösste Förderung erhielt, dass byzantinische Gelehrte nach Italien flüchteten
und dort die Kenntnis der griechischen Literatur und Kunst verbreiteten. In
dieser Atmosphäre erwachten in Florenz, unterstützt durch die Medici, grosse
Talente und geniale Künstler. Reich gewordene Fürstenhäuser traten in einen
Wettstreit, der aus Italien das Land der Kunst machte. Die Päpste (Nikolaus V.,
Julius II., Leo X. usw.) riefen die überragendsten Talente nach Rom und
übergaben ihnen die Aufgaben. Die Wiedergeburt des klassischen Altertums
mit der römischen und griechischen Literatur und Philosophie brachte leider
auch heidnische Lebensanschauungen in alle Kreise. Diese
S. 23: Ideenwelt blieb nicht immer draussen vor den Toren der Heiligtümer und ihrer
Hüter. Heidnische Götterszenen tanzten nur zu oft über Gesimse, Rahmen,
Friese und Wände selbst kirchlicher Bauten. Laszive Literatur verwüstete in
hohen und höchsten Kreisen die sittliche Strenge des Christentums. Petrarca
hatte dieses vorausgeahnt und davor gewarnt, als er schrieb: «Wir wollen die
Geistesgaben der Heiden bewundern, doch so, dass wir den Schöpfer dieser
Gaben verehren. Wir wollen Mitleid mit den Irrtümern jener Männer fühlen,
uns aber Glück wünschen, dass wir die Gnade haben, jene Gottesgaben zu
erkennen, die den Heiden nicht zuteil wurden.»
Indem wir von der Renaissance sprechen, schreiten wir durch jene Kulturlage
hin, die nach dem Mittelalter über die Siebenhügelstadt wie eine neue
geologische Schicht sich ausbreitete und der Roma das moderne Antlitz
verlieh.
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An Kunst, an Literatur, Architektur, Plastik und Malerei ergoss sich ein solcher
Reichtum über die Tiberufer, dass uns der Mut fehlt, mehr als flüchtige
Andeutungen zu machen.
Der Bilderreichtum dieses Werkes und frühere oder spätere Reisen nach Rom
mögen den Leser und Beschauer schadlos halten. Man wird am vorhandenen
Anschauungsmaterial leicht wahrnehmen, wie die Kunst nach
Ermüdungserscheinungen immer wieder in neuen Formen sich aufraffte. Die
strengere klassische Kunst ging in die belebteren Formen des Barocks über,
wodurch in den Gotteshäusern eine Hoch-, Weit- und Grossräumigkeit der
kühnsten Art erreicht wurde. Das Licht sollte durch die herrlichen Räume
unbehindert fluten und eine frohe, heitere Stimmung hereinzaubern. Weite
Simse, starkschattige Ausladungen, Unterschneidungen, verschiedenartigste
Profile und Verkröpfungen entlocken dem Licht und dem Schatten die
merkwürdigsten Wirkungen. Man hat oft fälschlicherweise der Kirche den
Vorwurf gemacht, dass sie durch den festlichen Prunk dieser Gotteshäuser die
Christen zuungunsten der protestantischen Nüchternheit und bethlehemitischen
Armut nur bluffen wollte. Das Ziel der kirchlichen Kreise besteht aber darin,
dass man durch die Schönheit des Gotteshauses die Gemüter erheben will, in
Freude zu den Hoffnungen des Jenseits, wo Gott, die Schönheit und Wahrheit,
wohnt.
Auch die Bauweise des Barocks ermüdete und suchte sich zu erholen im
Rokoko. Dieser ging in eine Dekorationsweise über, die in fröhlichster Weise,
kokett und graziös, Blumengirlanden, Flechtornamentik, Tiermotive,
Engelfiguren, Blattgewächse, bizarr geschweifte Muschelformen und andere
Motive mehr oder weniger harmonisch über Wände, Rahmen und Füllungen in
Holz, Gips und Metallen hinstreute. Man besuche in Rom die Kirchen Al Gesù
und S. Ignazio und blicke empor in die geheimnisvollen Perspektiven der
Gewölbe und Kuppeln, die Zeugnis geben von den wunderbaren Leistungen
der Architektur, Plastik und Malerei. Die Nachahmung der Wirklichkeit geriet
oft so täuschend, dass man plötzlich Angst bekommen könnte, es müssten die
Figuren über die profilierten Rahmen herunterpurzeln.
S. 24: In Erkenntnis unseres Unvermögens, in so grossem künstlerischem Reichtum
uns zurechtzufinden, möchten wir nur jenen Bau ins Blickfeld rücken, welcher
das monumentale Wahrzeichen der Weltkirche Christi ist.
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Es ist die St. Peterskirche, welche die frühere, unscheinbar gewordene Basilika
ersetzen sollte, zu welcher Konstantin der Grosse schon im vierten Jahrhundert
den ersten Spatenstich getan haben soll. Papst Nikolaus V. begann den Bau,
der durch Jahrhunderte hindurch andauerte. Infolgedessen offenbart er auch die
Spuren der verschieden gearteten Bauperioden.
Wenn der Pilger früherer Jahrhunderte vom Monte Pincio aus über das
Häusermeer hin plötzlich den Petersdom erblickte, sank er erschüttert zu
Boden und küsste den erreichten Ort seiner Sehnsucht. Wir können uns gut
vorstellen, wie sogar Goethe beim Hinabschreiten von diesem Hügel zur
Piazza del Popolo, wo zwei Kuppelkirchen (S. Maria del Monte und S. Maria
dei Miracoli) graziös wie Barocktabernakel ihm gegenüberstanden und den
Weg in die Stadt flankierten, nur die Worte fand: «Hier wären wir nun!»
Dem Pilger, welcher die Kuppel von St. Peter von der Höhe aus erblickte,
ergeht es wie den enttäuschten Weisen, welchen beim Betreten der Stadt der
Stern entschwand. Die Peterskuppel ist im Häusermeer versunken. Es treibt ihn
aber, das Entwichene wieder zu erschauen. Wir raten ihm an, dass er per pedes
Apostolorum die Strassen der Apostelstadt gehe, vorbei an den Kirchen und
Palästen, den Brunnen und Plätzen der Altstadt. Wir begreifen, dass unser
Fusswanderer keine Ruhe hat und den Weg nach St. Peter sucht. Man wird ihm
die Richtung nach der Engelsburg zeigen, wo er über die Tiberbrücke geht.
Dort erschaut er wieder die ersehnte Kuppel. Leicht geht er heute am
eindrucksvollen monumentalen Rundbau Hadrians vorbei, weil ihm Grösseres
winkt. Die Ermüdung des Wanderers weicht von der Fusssohle je näher St.
Peter kommt. Ehe die heutige Abräumung einer ganzen Häuserreihe ausgeführt
worden war, entschwand hier die Petruskuppel noch einmal, aber plötzlich
stand die ganze Pracht des Baues am Horizonte. Heute hingegen bleibt die
Kuppel lange vor dem Auge, aber anstatt imposanter zu werden, versinkt sie
vor der breiten, gewiss herrlichen Eingangsfassade. Indessen haben die
Kolonnaden Berninis den Pilger mit offenen Armen aufgenommen und
geleiten ihn mit Riesenschritten die steigenden Treppen hinan zu den fünf
Portalen dieses grössten Bauwunders aller christlichen Kirchen. Das uralte
Bronzetor der früheren Konstantins-Basilika des hl. Petrus öffnet sich und
schliesst sich hinter dem Pilger.
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Zwei in Marmor gehauene Engel bringen den Ankommenden ihre riesigen
Weihwasserschalen zur symbolischen Waschung entgegen. Die scheinbaren
Engelchen, die das hl. Wasser darbieten, sind in Wirklichkeit so gross wie der
längste Soldat der Schweizergarde.
In diesem Riesenraum, den man betritt, verliert man unwillkürlich die
Schätzung der Grössenverhältnisse. Man kühlt die verwirrte Stirne mit dem
Weihwasser, während Scharen
S. 25: und Scharen nachrücken. Es entsteht aber gleichwohl kein Gedränge. Alles
verliert sich dahin und dorthin in die Seitenschiffe und Kapellen. Man kann das
Ganze nicht übersehen, darum geht man ans Studium der Details. Um der
schwer erfassbaren Weiträumigkeit und dem Spiele der vollen Beleuchtung
Herr zu werden, stieg der Schreiber dieser Zeilen hoch hinauf zur
Peterskuppel, die Michelangelo nach seinen eigenen Worten «nur um Gottes
Lohn, zu Ehren Christi und der Apostel» dem Bau als Krone aufsetzen wollte.
Es war ein nahezu übermenschlicher Einfall, aus den vielen Rundbauten Roms
jene sieghafte, hochragende Wölbungsfläche als Vorbild zu wählen, die am
lautesten die Aufgabe des Fischers am Galiläischen Meer verkünden konnte.
Unter dieser Kuppel, auf vier Riesenpilastern von 71 Meter Umfang, ruhen des
Apostelfürsten Aschenreste. Doch sagen wir besser, dass der Sinn des Baues
Ende aller Enden doch nur das steinerne Denkmal der Erlösungstat Christi und
seiner Gründung der Kirche auf dem Felsen sein kann, den die Macht der
Hölle nicht zertrümmern wird.
Aus einer schwindeligen Höhe von 123 Meter erscheinen die Menschen, die
im Schiff drunten herumgehen, wie Bienlein, die auf dem glänzenden Marmor
hin und her schwirren. Selbst ein feierlicher Einzug zu den Zeremonien der
Heiligsprechung deckt nicht die ganze Fläche. Die Vivarufe der Masse, die den
Papst begrüssen und die Silberstimmen der Posaunen erheben sich nur wie
schwacher Choral aus grosser Tiefe. Es ist an gewöhnlichen Tagen sehr
interessant, von der Kuppelhöhe hinab wahrzunehmen, wie aus den Gruppen
der Ankommenden einzelne sich lösen und sich hinbegeben zur bronzenen
Petrusstatue, dort sich verneigen und den blankgescheuerten Fuss in Ehrfurcht
küssen. Lautlos huschen dann diese Menschlein hin zur Ballustrade der
Confessio, wo die weisse Papststatue Pius VI. vor dem Bronzetor des
Petrusgrabes betend kniet, unter dem Barockbaldachin Berninis.
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Mit dem Antlitz in den vorgehaltenen Händen verarbeiten sie die innere
Ergriffenheit. Den ganzen Tag ist hier ein ständiges Gehen und Kommen, ein
eiliges Erscheinen und plötzliches Verschwinden.
Der gewaltige Baldachin, der diesen heiligen Raum überschattet, wird von
ehernen Säulen getragen, die der Säule in der Pietàkapelle nachgebildet sein
sollen. Auf diesem hocherhobenen Zentralaltar der Petruskirche darf nur der
Papst das eucharistische Opfer darbringen. In dieser Vorschrift zittert die
Ehrfurcht vor dem eucharistischen Opfer im Angesichte desjenigen, der die
Worte zu Petrus sprach: «Du bist Petrus, der Fels, und auf diesem Felsen
werde ich meine Kirche bauen.» Diese Worte aus der biblischen Urkunde sind
am Rande der Petruskuppel in Riesenbuchstaben hingesetzt.
Der Betrachter hoch oben in der Petruskuppel ist hier oben so ergriffen, dass er
gerne die meterlange Feder des hl. Johannes entleihen möchte, um passende
Worte hinzuschreiben. Wir massen mit ausgespannter Hand den Mund des
Evangelisten in der Leibung der
S. 26: Kuppel und konnten die geöffneten Lippen kaum decken. So monumental
redet es von diesem Standpunkte aus hinab ins Kirchenschiff.
Manche Herren der Kunstgeschichte möchten den grossen Baldachin vom
Platze rücken, damit die Weite und Länge des Kirchenraumes zur vollen
Geltung käme. Die Kathedra des h1. Petrus an der hintersten Chorwand würde
dann entschieden hervortreten. Es wäre eine bedeutsame Betonung des
Lehrstuhles des h1. Petrus und seiner Nachfolger. Schon Tertullian redet von
der Kathedra des hl. Petrus zu Rom. Ein Kirchenfest rückt diesen Gedanken
sehr sinnreich ins Blickfeld der Gläubigen.
Dem Schreiber dieses Aufsatzes blitzte plötzlich der Gedanke durch den Kopf:
«Wie wäre es, wenn Michelangelo das jüngste Gericht in der Sistina in diese
Apside gemalt hätte? Würde dann nicht alles erschütternd ausklingen in den
Wahrheiten des Apostolischen Glaubensbekenntnisses? «Von dannen Er
kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten! Auferstehung des
Fleisches und ewiges Leben!»
Während solche Gedanken den Mann hoch in der Laterne der Kuppel
bestürmten, hat vielleicht ein Pilger unten auf dem Spiegel des Marmorbodens
emporgeblickt und sich gesagt:
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«Dort oben steht schattenhaft ein Mensch, klein wie ein Bienlein, das
herumschwirrt, an die Scheiben klopft und hoch hinaus will ins Freie durch die
Laterne der Peterskuppel».
Der Triumphbogen des Kaisers Konstantin. Blick von den oberen Sitzreihen
des Kolosseums. Wie kein anderes Denkmal in Rom ist er das
Trennungszeichen zweier Zeitalter. Er feiert den Sieg Konstantins über seinen
heidnischen Widersacher Maxentius. Einen Sieg, der den Christen das Recht
auf freie Ausübung ihrer Religion brachte.
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Trümmer einer Kolossalstatue Kaiser Konstantins, die in der Maxentius-
Basilika stand. Heute befinden sich diese gewaltigen Bruchstücke im Hof des
Konservatorenpalastes.