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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1950 Der Geist des Bildwerkes Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur …download.burgenverein-untervaz.ch/downloads/dorfgeschichte/1950-De… · Daneben standen noch zehn solche Tempelchen zur Ehre anderer

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Untervazer Burgenverein Untervaz

Texte zur Dorfgeschichte

von Untervaz

1950

Der Geist des Bildwerkes

Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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1950 Der Geist des Bildwerkes Christianus Caminada Separatabdruck aus: Leonhard von Matt "Die Kunst in Rom".

Zürich, 1950. Seite 13-26.

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DER GEIST DES BILDWERKES

S. 13: Der grösste theologisch-philosophische Wissenschaftler des Mittelalters,

Thomas von Aquin, der noch heute in weitesten Kreisen tonangebend ist, hat

den Satz geprägt: «Non intelligitur nisi per phantasmata», Erkenntnisse können

nur durch Phantasiebild erreicht werden. Das Bild ist also ganz besonders

geeignet für den Unterricht. Es wirkt sogar noch eindringlicher und dauernder

als die Buchstabenzeilen. Aus diesem Grunde wurde das Volk in früheren

Jahrhunderten durch die Bildszenen an den Kirchenwänden unterrichtet. Diese

und die Zeremonien des Gottesdienstes gaben dem Volke ebenso guten

religiösen Unterricht wie heutigentags die Presse. Die Bücherabschreiber

wussten die Bedeutung des Bildes einzuschätzen, darum fügten sie ihren

Handschriften köstlichste Miniaturmalerei in Rot, Blau, Grün und Gold bei.

Die Gegenwart kehrt wieder zurück zum Unterricht durch die Bilder. Bücher,

Zeitungen, Photo und Kinoleinwand suchen durch die Bildschau die Seele des

Betrachtenden zu erobern. Der Reiz der Bilder rückt oft die Realität des

Lebens dem Beschauer so nahe, dass er nicht selten fast plötzlich von dessen

Anblick zur guten oder bösen Tat gejagt wird. Das Spiegelbild will

Wirklichkeit werden. Dieses Bilderwerk benützt diese Erfahrungen, um die

tiefen religiösen Erlebnisse und künstlerischen Schönheiten der «ewigen

Stadt» unauslöschlich in die Seelen aller Kreise einzuprägen. Es wird freilich

ein jeder in seiner Art und nach seiner Seelenverfassung davon erfasst.

Jedweder trinkt aus dem gleichen Quell und jeder stillt seinen Durst.

Wir lassen also die Bilder sprechen und sich eingraben ins Gedächtnis aller

Rompilger und Kunstfreunde. Wir gehen zurück bis aufs Gründungsjahr der

Stadt Rom, siebenhundertdreiundfünfzig Jahre vor Christus, wo die

mythischen Zwillingsbrüder sich bald anschickten, die ersten Bausteine der

Siebenhügelstadt aufeinanderzulegen. Es häufen sich langsam die Monumente

der römisch-heidnischen Kultur. Als diese Volkskultur sich bereits

hochentwickelt hatte, erschienen von Osten her die Abgesandten einer neuen

Kultur, die Abgesandten der christlichen Welterneuerung.

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Es erschienen Männer im Apostelmantel und mit der Trinkmuschel am

Wanderstab. Diese und ihre Nachfolger überwinden in jahrhundertelanger

Mühewalt bis aufs Blut das römische Heidentum. Die erste heidnische

S. 14: Kulturlage wird überdeckt von der Humusdecke der christlichen

Weltauffassung und Kultur. Es entsteht die christliche Kulturlage. Hier sitzt

das tiefste Geheimnis der Anziehungskraft der «ewigen Roma». Es erwachen

aus der christlichen Atmosphäre neues Denken, neue Ziele, neue Bauten. Man

benützte zwar die Gefässe, welche die heidnische Kunst geschaffen hatte, man

redete in der Sprachgewandtheit der klassischen Zeit, brauchte ihren Pinsel,

ihren Meissel, ihre Redekunst und Philosophie, aber um wesentlich andere

Lebensauffassungen dem Volke und dem Staate einzuhauchen. Die Stadt, in

der diese Wandlung in grösster Tragik vor sich gegangen ist, war unstreitig

Rom. Die Spuren davon sind unaustilgbar dem Gesicht der Roma aeterna

eingegraben. Die Stadt ist durch die Päpste, durch die Nachfolger des hl. Petrus

zum entscheidenden Zentrum des Christentums geworden.

Nicht bloss für den gläubigen Christen, sondern für jeden geistig interessierten

Menschen muss es ein tiefes Erlebnis sein, wahrzunehmen, wie die christlich-

religiöse und die heidnischrömische Kulturlage ineinandergreifen und wie die

christliche Zeit die vorhergehende Periode begrub. Man kann nun trotz der

gewaltigen Ruinen, die sich häuften, tatsächlich hinabsehen und hinabsteigen

zur ältesten Kulturlage. Am Trajansforum, wo die Basilica Ulpia einstens

stand, lässt sich heute durch eine Trattoria in dreizehn Meter Tiefe gelangen

auf die ehemalige römische Strasse, die zum Forum Traianum und zum

Kapitol führte. Die Mitte dieser römischen Kulturstätte ist bezeichnet durch

zwei herrliche Siegessäulen, die den beiden Kaisern Trajan und Mark Aurel

gewidmet waren. Der römische Historiograph Amian berichtet, dass Kaiser

Constantinus, als er im Jahre 356 dieses Forum besuchte, innerlich so

erschüttert war, dass er ausgerufen habe, es sei «seinesgleichen nichts unter

dem Himmel, und selbst die Götter könnten ihre Bewunderung für diesen Platz

nicht unterdrücken ». Von jener Herrlichkeit, aber in tiefer Versenkung, steht

heute noch vor dem Beschauer die vierunddreissig Meter hohe Trajanssäule,

welche die Feldzüge dieses Kaisers auf einem Marmorstreifen, der am

Säulenschaft sich emporwindet, darstellt. Nicht weniger als 2500 Personen von

sechzig bis siebenzig Zentimeter Höhe drängen sich vorwärts auf diesem

marmornen Riesenfilm.

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Auf elf Foren, von denen das Traianum und das Romanum die herrlichsten

waren, entwickelte sich das römische Volksleben, die Volksbelustigungen und

zur Zeit der Demokratie auch der öffentliche politische Betrieb. Hier schafften

sich die politischen Volksredner Geltung und buhlten um die Volksgunst. In

Versen beschreibt der beobachtende römische Dichter, wie die

Volksversammlung unter der Wortgewalt angesehener Redner hin und her

wogte, wie ein vom Winde bewegtes Kornfeld.

Neben den Foren standen in Rom nicht weniger als 423 Tempel, die davon

Zeugnis geben, dass dieses Volk eine bedeutende heidnische Frömmigkeit

pflegte. Rom, die damalige raubgierige Wölfin, feierte nach den Kriegszügen

grosse Freudenfeste, deren Triumphtore

S. 15: nicht bloss aus einigen Latten mit grünen Kränzen und Blumen bestanden,

sondern herrliche monumentale Bauten waren, die noch heute stehen (Titus,

Septimus Severus, Konstantin). Sie verkünden die Grösse des Sieges und die

Schande der Besiegten. Man denke an den Titusbogen, unter dem noch heute

kein echter Jude durchgehen will. Zu solchen Zeiten dampften die heidnischen

Götzenaltäre vom Duft des emporsteigenden Weihrauchs und der schmorenden

Fleischopfer. Nach dem Zeugnis des frömmsten römischen Dichters Vergil

wurden auch Opfer dargebracht, um das Gedeihen auf dem Acker und in der

Herde sich zu sichern. Er erzählt, wie er selber um den brennenden Holzstoss

tanzte, über das Feuer sprang und die Asche auf den Acker hinaustrug, damit

die Götzen günstig sich stimmen liessen. Auf dem Kapitol, dem religiösen

Zentrum der heidnischen Stadt, fand sich der herrlichste Tempel des Jupiter.

Dieser Jupiter war aus Marmor gehauen. In der einen Hand hielt er den

Blitzkeil und in der anderen die Lanze bereit, um sie wahllos auf die armen

Menschen zu schleudern. Daneben standen noch zehn solche Tempelchen zur

Ehre anderer Gottheiten. Davon ist auf dem Kapitol nichts mehr zu finden. Der

grösste heidnische Tempel, der im Jahre 27 v. Chr. in Rom geweiht wurde, ist

das heute noch bestehende Pantheon. Der Römer stieg zu diesem riesenhaften

Rundbau auf fünf nun im Erdboden versunkenen Stufen empor zu den

sechzehn Riesensäulen der Vorhalle. Dieses Hinanschreiten gab dem Gemüte

und dem Schreiten eine erhebende Schwingung, die heute um so wichtiger

wäre, weil das Fundament des Pantheons im Laufe der Jahrhunderte durch

aufgehäuften Schutt früherer Zerstörungen mehrere Meter tiefer liegt als die

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umliegenden Gebäulichkeiten. So herrlich der vorgebaute Säulenportikus ist,

so beeinträchtigt er doch durch seine geraden Linien den mächtigen Schwung

dieses einzigartigen Rundbaues. Die prachtvolle Gestaltung, Grösse und

Schönheit dieses Tempels erzwang sich doch so viel Rücksichtnahme, dass

trotz der eingreifenden Zerstörungen durch Wegnahme der vergoldeten

Dachziegel, des Ersatzes der ehernen Tragbalken des Vorbaues, Entfernen der

goldenen Neptunstatue und der Marmorverkleidung, nach zweitausend Jahren

noch die Worte von Dr. Kuhn gelten: «In der Schwelle und im Türsturze aus

afrikanischem Marmor knarren die Zapfen der ehernen Tore aus der alten

Zeit.» Das geschah wohl infolge der Tatsache, dass er seit mehr als ein

Jahrtausend dem christlichen Gottesdienst dient. Die heidnisch-römische

Kulturperiode zeigt uns in Rom noch einen ungemein lieblichen kleinen

Rundtempel am Tiber, unweit der Basilika S. Maria in Cosmedin, der mit dem

Namen Vestatempel unter die römischen Reiseandenken geraten ist. Die

Vestalinnen hatten ihren Tempel nicht dort, sondern am Forum Romanum, wo

solche edelgeformte Statuen in Marmor noch einen Platz flankieren. Der

genannte kleine Rundbau ist nach aussen durch zwanzig korinthische Säulen

umkreist, die das Dach tragen. Ihr gegenüber steht die wunderbare Kirche S.

Maria in Cosmedin, die auf den Ruinen eines Herkulestempels erbaut war.

Eine christliche Taufe auf den Trümmern

S. 16: eines heidnischen Tempels, im Angesichte des anmutigen Vestatempels, in der

Nähe des Kapitols und vieler anderer Tempel musste bei der Abschwörung des

Heidentums einen erschütternden Eindruck machen. Widersagst du dem bösen

Feind (den heidnischen Götzen)? Widersagst du seinen Werken (seiner

geniesserischen Lebensauffassung)? Widersagst du seiner Pracht (den

Tempeln, den rituellen Prachtaufzügen, dem entnervenden Duft der

Opferbräuche)? So lauteten, wie noch heute, die Abschwörungen. In den

Zeiten, da in den Amphitheatern in berauschenden Volksspielen das Blut der

Christen unter den Zähnen der wilden Tiere dahinfloss, waren diese

Abschwörungen nicht so leer und unübersetzbar wie heute. Der Schauer dieser

Taufszene ist leicht nachzufühlen, wenn man sich erinnert, wie Augustinus in

seinen Bekenntnissen erzählt, dass er von seinen Freunden mit Gewalt in diese

Spiele geschleppt wurde, während er den festen Vorsatz gefasst hatte, seine

Augen geschlossen zu halten.

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Ein Aufschrei des Publikums bei einer blutigen Szene durchbebte derart das

Theater und sein ganzes Wesen, dass die geschlossenen Augenlider

unwillkürlich sich aufrissen und auch er mitheulte.

Durch einige Sätze suchten wir den Eindruck jener vielen Bilder aus der

heidnisch-römischen Kulturstadt zu beleben und die ehemalige Grösse und

Pracht aufleuchten zu lassen. Roma war die herrliche, stolze und reiche

Weltbeherrscherin. Die Eroberung der Stadt war für kriegsgeübte, starke

Völker ein gewaltiger Anreiz. Die Raubzüge Roms hatten die roheste

Rachsucht wachgerufen. Es hat sich gezeigt, dass Rom durch Schwert, Lanze,

Katapulte und Feuersbrunst in Ruinen gelegt werden konnte, aber die innere

geistige Eroberung, die Überwindung ihrer heidnischen Kultur musste auf

anderem Wege erfolgen. Diese Eroberung sollte aus dem Orient kommen.

Christus sandte die Eroberer aus. War die Stadt Rom dafür offen? Nicht

weniger als 28 grosse Heerstrassen mündeten in die Tore dieser Stadt. War die

heidnisch-römische Kultur aufnahmereif und standen die Tempeltore offen?

Rom war tatsächlich bereit, der eigenen nicht geringen Götterschar auch die

Gottheiten der unterjochten fremden Völkerschaften einzureihen, um ja keine

Macht zu übersehen, welche dem Staate hätte günstig sein können. Hatte nicht

der römische Dichter schon im Jahre 41 v. Chr. in seiner Ekloge die Geburt

eines göttlichen Sprösslings des Weltfriedens angekündigt? Hat nicht

Konstantin der Grosse, Lactantius und sogar Augustinus jenes Lied als eine

Prophezeiung zugunsten des Christentums bezeichnet? Der hl. Paulus soll

sogar am Grabe dieses Dichters Vergil zu Neapel geweint haben, wie ein

mittelalterlicher Hymnus der Kirche von Mantua singt (St. Paulus):

Ad Maronis mausoleum ductus flevit super eum piae rorem lacrimae. «Quem

te, inquit, reddidissem, si te vivum invenissem poetarum maxime!» An

Vergilius' Maro Grabmal weinte Paulus bitterlich frommer Erinnerung

Tränentau: «Was hätt' ich aus dir gemacht, hätt' ich lebend dich getroffen, O du

grösster aller Dichter.» -

S. 17: Standen nicht alle Gefässe bereit, um christliche Wahrheiten

entgegenzunehmen? Die griechische Sprache war allgemein herrschendes

Weltidiom. Das Lateinische hatte metallenen Klang, biegsamen Satzbau und

Wortreichtum genug, um dem hohen Wahrheitsgehalt des Christentums recht

dienen zu können.

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Die Dichtkunst beider Sprachen verfügte über solche Schätze wohlklingender

Verse und poetischen Ausdrucks, dass sie in würdiger Weise die grossen

Geheimnisse des Todes und der Auferstehung besingen konnte. Die

Philosophie hatte eine so grosse Schärfe und Strenge der Gedankenordnung

erreicht, dass es ihr möglich war, die Lehren und Geheimnisse des

Christentums sicher und klar wiederzugeben. Die Architektur, Malerei und

Plastik hatte sich ausgewiesen, dass sie würdige Altäre, Kapellen und

Kathedralen zur Feier der Geheimnisse errichten konnte. Feinste Leinwand

wurde gewoben, geeignet, in zierlicher Weise die Altäre desjenigen zu decken,

der in der Krippe auf Stroh lag, trotzdem er Herr allen Reichtums war. Gold,

Silber, edles Gestein hatten die Kunsthandwerker zur Verfügung, um wertvolle

Gefässe für die Eucharistie zu bereiten, zu Ehren des Herrn aller Schönheit,

Wahrheit und aller irdischen und ewigen Schätze.

Alle Gefässe zur würdigen Aufnahme des Christentums wären bereit gewesen,

wenn nicht eine diametral entgegengesetzte Nichtkenntnis Gottes, eine

Vergöttlichung des Staates als präsenten Gott, eine grundfalsche Einschätzung

der menschlichen Seele, der Sünde, der Erlösung und Bestimmung des

Menschen, die alles regierende und beherrschende Staatsweisheit gewesen

wäre. Der Kaiser war der allmächtige Gott, die Quelle allen Rechtes, der

absolute Herr über Leben und Tod. Es gab keine Instanz über ihm. Dass man

dieser Staatsauffassung sich beugte, wurde durch die symbolische Handlung

des Weihrauchopfers vor dem Kaiser und seinen Staatsgottheiten öffentlich

dargetan. Der Christ, welcher nach den staatlichen Dekreten vor Gericht

geladen wurde, hatte die Alternative, entweder durch das Opfer sich zur

heidnischen Staatsauffassung zu bekennen oder in den Tod zu gehen. Die

Gerichtsakten der damaligen Märtyrerprotokolle enthalten folgende und

ähnliche Erklärungen: «Wir respektieren die Person des Kaisers, wir erweisen

ihm alle Ehre, welche unser Gewissen zulässt und welche seiner Würde

gebührt. Indem wir in ihm einen Menschen erkennen, der nach Gott kommt

und der von Gott alles, was er ist, empfangen, opfern wir für sein Heil, aber die

Opfer bringen wir Gott dar, unserem und seinem Herrn!»

Diese ganz gegensätzlichen weltanschaulichen Staatsauffassungen mussten

folgerichtig aufeinanderprallen, weil es auf Tod und Leben ging. Darin fand

sich auch eine von den Heiden nie erkannte Würde der menschlichen Seele,

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wonach alle von Gott erschaffen sind, alle die gleiche ewige Bestimmung in

Gott und für Gott haben. Alle Seelen sind vor Gott so wertvoll, dass Er sie

durch den Kreuzestod erlöste, also gleichwertig einschätzte, weil Er für alle

den gleichen Erlösungspreis zahlte. Diese Lehre der Gleichwertigkeit aller

Menschen bedeutet aber auch die Auflösung der Sklaverei. Man kann sich

vorstellen, wie eine solche

S. 18: Lehre begrüsst und angenommen wurde von jenem Heer zermarterter

Menschen, die schlimmer als die Tiere misshandelt wurden. Diese neue

Gottesauffassung und Menschenwertung, für welche zahllose Christen in den

Tod gingen, erzwang sich Achtung und Anhänger, selbst in den kaiserlichen

Palästen. Die natürliche Anziehungskraft des Guten und der Wahrheit ist seit

jeher auch in den Heiden wirksam gewesen. Die Lehren Ciceros in seinem

Buch «de bono» und anderer Schriftsteller über das Gute, ferner die Beispiele

einer Mutter der Gracchen und vieler anderer waren mehr als bloss

Zufälligkeiten. Für solche Menschen mussten die wunderbaren und

geheimnisvollen Lehren Christi eine hochwillkommene neue Botschaft sein.

Als Paulus in seinem Briefe an die Korinther sein längeres Verbleiben in

Ephesus entschuldigte, schrieb er: «Ostium magnum apertum est et evidens»

(I. Kor. 16,9), ein weites und vielversprechendes Tor hat sich uns aufgetan,

aber auch «et adverserii multi», aber auch viele unbeschreibliche

Schwierigkeiten, die der stillen Durchdringung und geistigen Eroberung der

Stadt entgegenstanden. Chateaubriand hat in seinem Buch «Les Martyrs» eine

Szene dargestellt, welche hieher gehört und jeden Katakombenbesucher oder

Betrachter des altheidnischen Roms ergreifen muss. Ein christlich getaufter

Jüngling, der aber sich nicht entschieden loslösen konnte von den Genüssen

der heidnischen Lebensgewohnheiten, trotzdem diese ihn immer wieder

anekelten, entdeckte eines Abends auf der Appischen Strasse in der Nähe des

Grabmals der Cecilia Metella, draussen auf dem Feld, wie im fahlen

Mondschein Gestalten heranhuschten und auf einem Platze plötzlich gleichsam

versanken. Die Neugierde jagte ihn dorthin, wo diese Figuren in ein klaffendes

Erdloch verschwanden. Der Jüngling erzählt: «Ich stand plötzlich in einem

Raum weithinziehender Gänge, durch welche ein schwaches Licht flimmerte.

Waagrecht an den düsteren Mauerwänden zogen sich drei Zeilen von Särgen

hin, die übereinandergeschichtet waren.

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Das über diese Mauerwände huschende, zitternde Licht verlieh der

Totenwohnung eine erschauernde Unruhe. Um mich zu orientieren, suchte ich

mit gespanntem Ohre Töne zu erlauschen. Erstarrende Stille umgab mich im

Totenraum, ich vernahm nur das ängstliche Ticken des eigenen Herzens. Ich

wollte umkehren, aber es war schon zu spät. Ich irrte auf falschem Wege.

Anstatt dem Labyrinth mich entziehen zu können, geriet ich immer tiefer.

Neue sich kreuzende Wegschluchten vermehrten meine ratlose Bestürzung.

Bald schritt ich zaudernd, dann aber eilig. Nun schien es mir, als stürme

jemand hinter mir her. Es war der Widerhall meiner eigenen Schritte.

Unheimlich lang hatte dieses Zaudern und Eilen gedauert. Die Kräfte drohten

mich zu verlassen. Halb ohnmächtig sank ich hin inmitten der Totenstadt.

Während ich erschauernd auf die Lichtlein blickte, die halb am Verlöschen

schienen, schlugen an mein Ohr die sanften Töne eines unheimlich klingenden

Chorals, die aus den Tiefen der Totenwohnungen empordrangen. Die

geisterhaften Töne verhauchten, aber wachten wieder auf, ja sie schienen bald

weicher und milder hinzurieseln durch die unterirdischen Querpfade.

S. 19: Ich erhob mich und schritt nach der Richtung, woher dieses magische Singen

kam. Ich fand einen erleuchteten Raum, wo Marcellinus (der Papst) auf einem

bekränzten Grabmonument die christlichen Geheimnisse feierte. Eine grosse

Schar wohnte dem Opfer bei. Ich wusste nun, dass ich in einer Katakombe

war. Meine Seele wurde ergriffen von Scham, Reue und Zerknirschung. Neue

Überraschung! Töchter in weissen Schleiern sangen zu Füssen des Altares. Ich

meinte plötzlich inmitten der Knieenden sogar die Kaiserin mit ihrer Tochter

neben Dorothea und Sebastian wahrgenommen zu haben. Noch nie hatte mein

Auge ein so wundervolles Schauspiel wahrgenommen, gewiss ist Gott noch nie

würdiger angebetet worden, und wohl noch nie offenbarte sich mir seine

Grösse so auffallend. Oh, welche Macht einer Religion! Dass die Gattin eines

römischen Kaisers verstohlen wie eine Ehebrecherin ihr Nachtlager verlässt

um zur Zusammenkunft der Unglücklichen zu eilen, um Jesus Christus am

Altare eines unbekannten Märtyrers unter Gräbern Verachteter und Verfemter

ihre Aufwartung zu machen. Während ich von diesen Gedanken erstürmt

wurde, beobachtete ich, dass ein Diakon einige Worte ins Ohr des Papstes

flüsterte. Man hatte den unberufenen Fremdling entdeckt.

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Jemand gab ein Zeichen. Sofort schwieg der Gesang und die Lichter

erlöschten. Eine glänzende Vision entschwand. Erfasst vom Gedränge der

Enteilenden, fand ich mich plötzlich hinausgetragen an den Eingang der

Katakombe.»

Nachdem Konstantin im Jahre 312 an der Milvischen Brücke unter dem

Kreuze den Sieg errang, öffneten sich durch sein Dekret der Glaubensfreiheit

vom Jahre 313 die Katakomben. Es begann die zweite, die christliche

Kulturlage sich über die sieben Hügel auszubreiten. Schon früher hatte der

christliche Gottesdienst sich herauf gewagt in die Häuser mancher

Senatorenfamilien, die christlich geworden waren. Der hl. Petrus soll zuerst

beim Senator Pudentius gewohnt haben. Man glaubt in den baulichen

Fundamenten der S. Pudentiana deutliche Spuren der ehemaligen «Kathedrale»

des Apostelfürsten entdeckt zu haben. Die Töchter des Pudentius, Priscilla und

Pudentiana, die später als Märtyrinnen in der Priscilla-Katakombe beigesetzt

wurden, sollen hier dem hl. Petrus aufgewartet haben. Unter deckenden

Glasplatten des Fussbodens kann man in die Krypta hinabsehen, die schon um

384 genannt wird. Eine einzig wunderbare Apside mit himmelblauem

Mosaikgrund und schillerndem Goldflimmer des Jahres 8 I7 hütet diese

Tradition in würdiger Weise. Nicht allzuweit von dieser Kirche findet sich auf

dem Wege nach S. Maria Maggiore die S. Prassede, die zurückgeht aufs Jahr

491. Karolingische Mosaiken und andere Kostbarkeiten leuchten dem Pilger

ins Auge.

Wandert der Reisende durch den Konstantinsbogen die Via S. Gregorio

zwischen Palatin und Celius hindurch, so erreicht er immer wieder älteste

Kirchen. So S. Gregorio Magno, im Jahre 576 nach Christus von Gregor dem

Grossen an Stelle seines väterlichen Palastes erbaut. Es folgt SS. Giovanni e

Paolo, wo der Senator Pammachius an dem Platze des eigenen

S. 20: Palastes dem genannten Heiligen das Gotteshaus errichtete. S. Saba und S.

Sabina verkünden ähnliche christliche Tradition. S. Domenica (auch S. Maria

della Navicella genannt) ist eine der ältesten Diakonien Roms. Sie präsentiert

sich in schönen Granitsäulen und leuchtet in karolingischer Mosaikmalerei.

Wendet man sich gegen S. Giovanni in Laterano, aber mit einem bedeutenden

Seitensprung, so entdeckt man die umfangreichste aller Rundkirchen Roms,

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S. Stefano Rotondo, welche aus einer römischen Markthalle im Jahre 468 für

den christlichen Gottesdienst geweiht wurde. Sie besteht im Innern aus einem

kreisrunden Mittelschiff, das von zwanzig Säulen gebildet wird, während

vierundvierzig andere Säulen in gleicher Ordnung Seitenschiffe formen. An

der Aussenwand bilden grosse Pilaster eine interessante Gliederung und festen

Widerstand. Von diesem Bau her ist man in der richtigen Stimmung, die

Taufkapelle beim Lateran zu besuchen, wo Kaiser Konstantin im Jahre 324 die

hl. Taufe empfangen haben soll. Sie trägt in erhabener Würde und Kunstgrösse

seinen Namen.

Feierlicher als alle genannten Kirchenbauten tritt uns südöstlich vom

römischen Amphitheater die besterhaltene Basilika S. Clemente entgegen. In

ihren Fundamenten steckt eine Wohnung von Flaviern kaiserlichen Ranges,

aus welcher der Papst Clemens stammte. Dort zelebrierte dieser Märtyrerpapst

des Jahres 100 n. Chr. die heiligen Geheimnisse. Schon im Jahre 392 erwähnte

der hl. Hieronymus diese Kirche. Im Jahre 417 fand dort eine

Kirchenversammlung gegen die Pelagianer statt. Sie wurde im Kampfe des

Kaisers Friedrich IV. gegen Gregor VII. so vandalisch zertrümmert, dass der

Boden zugeschüttet werden musste und dass darüber die heute bestehende

Kirche durch Paschal II. erbaut wurde. Die zerstörte Unterkirche wurde so

gründlich vergessen, dass man vor ungefähr hundert Jahren staunend die

Entdeckung der noch bestehenden Räume machte, wo wertvolle älteste Bilder

bis zum heutigen Tag sich erhalten haben. Diese sind ein kostbares Stück

ältester Kirchengeschichte. Im hintersten Raum der Unterkirche findet sich

noch ein Altar des Mithraskultus. In Stein gemeisselt ist der heidnische Priester

damit beschäftigt, das Opferkalb abzustechen, indem er den Blick zum

Sonnengott emporrichtet. Man glaubt, dass dieser Altar zu einer Zeit hierher

kam, als man bei Wiederausbruch der Christenverfolgungen die christlichen

Gottesdienstlokale dem heidnischen Götzendienst auslieferte.

Eine grosse Zahl von Basiliken findet sich noch in Rom, die ohne Ausnahme

auf römisch-heidnischen Unterbauten und Ruinenschutt sich erheben. Man

vergesse S. Sabina auf dem Aventin nicht, wo vierundzwanzig antike

korinthische Säulen das offene Dachgebälke im schön renovierten Riesenraum

tragen. Hier übergab Papst Honorius III. dem hl. Dominikus die

Genehmigungsbulle des Ordens.

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Am Tore dieses Gebäudes, des ruhmvollen Stolzes des Dominikanerordens,

zeigen die weissen Frati die älteste Reliefdarstellung der Kreuzigung Christi.

Man übersehe S Maria in Trastevere nicht, welche auf dem Platze der ältesten

S. 21: Marienkirche Roms jene Ölquelle hütet, die am ersten Weihnachtstage der

Geburt Christi plötzlich hervorgebrochen sein soll. Die jetzige Basilika, welche

den Bau des vierten Jahrhunderts ablöste, entstand im zwölften Jahrhundert.

Zweiundzwanzig schlanke korinthische Säulen mit Kapitellen ägyptischer

Gottheiten tragen auch hier das offene Dachgebälke und dienen so dem

göttlichen Kinde und seiner Mutter. Dieser Siegesgedanke des Christentums,

der die Kunstdenkmäler des Heidentums den christlichen Bauten dienen lässt,

durchweht alle Kirchen und Paläste Roms. Fast sämtliche Strassen und Plätze

verkünden diesen Triumph.

Die Basilika S. Giorgio in Velabro, errichtet beim vierfrontigen Janusbogen

auf dem ehemaligen Sumpfe, wo die ausgesetzten Zwillinge Romulus und

Remus aufgefunden wurden, gibt diesem Siegesgedanken drastischen

Ausdruck. Nach dem heidnischen Aberglauben entsteigt den gasigen Miasmen

der Sumpfpfützen der giftige Erddrache. Der hl. Georg, der Drachentöter, jagt

dieser heidnischen Gottheit, welche die Töchter der Stadt zum Opfer fordert,

die tödliche Lanze in den Rachen. Diese Kirche mit dem unvergleichlichen

Portikus und dem wohlproportionierten Turm, der seit seiner Errichtung,

besonders im Mittelalter, Vorbild ungezählter Campanili wurde, steht da wie

ein Triumphbogen wider die besiegte Macht des Heidentums, die zwar stetsfort

nach der Ferse der Madonna schielt.

Im raschen Gleitflug über die alte Bau- und Kunstgeschichte der

Siebenhügelstadt konnten wir einzig das Heraufsteigen und den Sieg der

christlichen Kultur über das Heidentum in knappen Zügen zeichnen.

Das Werden der christlichen Roma ward fortwährend erschüttert wie vom

Grollen eines Erdbebens, dem Ruinenbrand, Blutvergiessen, Tod und Elend

folgte. Wie Steinlawinen stürzten Barbarenheere durch erbrochene Eisentore

und über zerborstene Stadtmauern. Im Jahre 390 v. Chr. äscherten die Gallier

die stolze Stadt ein, im Jahre 64 n. Chr. liess Nero Rom in Brand stecken, im

Jahre 312 n. Chr. entschied sich ein erschütternder Kampf auf der

zusammenbrechenden Milvischen Brücke, der Westgotenkönig Alarich brach

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im Jahre 410 n. Chr. in die Stadt, Attila, die Geissel Gottes, drang anno 452

durch die Tore, Geiserich drei Jahre später, Vitiges nach 22 Jahren, Totila 546

und 549, im Jahre 846 plünderten die Sarazenen St. Peter und St. Paul. Im

Jahre 1084 erschien Kaiser Heinrich IV. am Tiber und ein Jahr darauf drang er

bis in die Stadt. Es folgte nach mehrhundertjähriger Pause im Jahre 1527 das

Heer der Bourbonen. Im Jahre 1870 marschierte die «Italia una» durch die

Bresche der Porta Pia.

Alle übrigen weltgeschichtlichen Ereignisse des damaligen Europa wie die

Kreuzzüge, die Türkengefahr, die Reformation und die Revolution trafen

immer wieder die Stadt, das Zentrum der christlichen Kirche, und störten ihre

kulturelle Friedensmission.

Die bedauerlichste Periode des päpstlichen Roms trägt den richtigen Namen

S. 22: Babylonische Gefangenschaft des Papstes in Avignon (Südfrankreich) vom

Jahre 1305 bis 1376. Der Untergang der Stadt bereitete sich vor. Eine

unheimliche Entvölkerung der Stadt setzte ein. Jedes schmutzige Dorf der

Campagna konnte sich mit Rom messen. Ziegen und Schafe kletterten über die

Trümmer, während Hunde und Katzen auf den ehemaligen stolzen

Stadtplätzen herumbalgten. Schmutzige Kinder wühlten im Schutt, und Bettler

trockneten ihre Kleiderfetzen auf den Kirchentreppen und sonnten ihre faulen

Glieder. Marmorstatuen griechischer und römischer Kunst verschwanden in

den Kalköfen, denn zuweilen musste das zerborstene Gemäuer doch geflickt

werden, um nicht bei lebendigem Leib darunter begraben zu werden. Rom war

am Sterben, weil die Päpste fortgezogen waren und Miene machten, nicht mehr

zurückkehren zu wollen. Zum Glück verdross das Avignonsche Exil doch die

Päpste. Die Warnungen der grossen Seherin von Schweden, der hl. Brigitta, die

Mahnungen der hl. Katharina von Siena und die scharfen Worte Petrarcas

verfehlten die Wirkung nicht. Petrarca hatte schon im Jahre 1366 den Papst

gefragt, ob er einst unter den Sündern von Avignon oder unter den Märtyrern

Roms auferstehen möchte. Papst Urban V. liess sich bestimmen, nach Rom zu

kommen, aber er kehrte nach wenigen Monaten zurück, belastet mit der

Voraussage der hl. Brigitta, dass er dort bald sterben werde, wie es bald darauf

wirklich geschah. Sein Nachfolger Gregor XI. kehrte im Jahre 1377 nach Rom

zurück, auf die Bitten der h1. Katharina von Siena. Nach zwei Monaten starb

er dort, sonst wäre er wieder nach Avignon gezogen.

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Mit ihm war diese Periode zu Ende, welche Avignon zum Aufblühen gebracht

hatte, während Rom in den letzten Zügen zu liegen schien, ob der Abwesenheit

der Päpste.

Ums Jahr 1300 tritt in Italien ein genialer Mann mit dem Namen Dante auf,

welcher in der Vision seiner Divina Commedia eine Reise antrat ins Jenseits,

wohin Vergil als von Beatrice gesandter Führer dient. Derartige visionäre

Reisen waren damals Sitte. Dante übertraf in seinen monumentalen

Schilderungen alle und blieb bis auf den heutigen Tag der König der

Dichtkunst. Seine Einführung des heidnischen Dichters Vergil in die Literatur

regte die Zeitgenossen an, wieder zurückzugreifen zu den literarischen

Schätzen und Kunstschöpfungen der Heiden. Petrarca nahm diese Anregung

auf und wurde mit Boccaccio zum Begründer der Renaissance, die dadurch

grösste Förderung erhielt, dass byzantinische Gelehrte nach Italien flüchteten

und dort die Kenntnis der griechischen Literatur und Kunst verbreiteten. In

dieser Atmosphäre erwachten in Florenz, unterstützt durch die Medici, grosse

Talente und geniale Künstler. Reich gewordene Fürstenhäuser traten in einen

Wettstreit, der aus Italien das Land der Kunst machte. Die Päpste (Nikolaus V.,

Julius II., Leo X. usw.) riefen die überragendsten Talente nach Rom und

übergaben ihnen die Aufgaben. Die Wiedergeburt des klassischen Altertums

mit der römischen und griechischen Literatur und Philosophie brachte leider

auch heidnische Lebensanschauungen in alle Kreise. Diese

S. 23: Ideenwelt blieb nicht immer draussen vor den Toren der Heiligtümer und ihrer

Hüter. Heidnische Götterszenen tanzten nur zu oft über Gesimse, Rahmen,

Friese und Wände selbst kirchlicher Bauten. Laszive Literatur verwüstete in

hohen und höchsten Kreisen die sittliche Strenge des Christentums. Petrarca

hatte dieses vorausgeahnt und davor gewarnt, als er schrieb: «Wir wollen die

Geistesgaben der Heiden bewundern, doch so, dass wir den Schöpfer dieser

Gaben verehren. Wir wollen Mitleid mit den Irrtümern jener Männer fühlen,

uns aber Glück wünschen, dass wir die Gnade haben, jene Gottesgaben zu

erkennen, die den Heiden nicht zuteil wurden.»

Indem wir von der Renaissance sprechen, schreiten wir durch jene Kulturlage

hin, die nach dem Mittelalter über die Siebenhügelstadt wie eine neue

geologische Schicht sich ausbreitete und der Roma das moderne Antlitz

verlieh.

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An Kunst, an Literatur, Architektur, Plastik und Malerei ergoss sich ein solcher

Reichtum über die Tiberufer, dass uns der Mut fehlt, mehr als flüchtige

Andeutungen zu machen.

Der Bilderreichtum dieses Werkes und frühere oder spätere Reisen nach Rom

mögen den Leser und Beschauer schadlos halten. Man wird am vorhandenen

Anschauungsmaterial leicht wahrnehmen, wie die Kunst nach

Ermüdungserscheinungen immer wieder in neuen Formen sich aufraffte. Die

strengere klassische Kunst ging in die belebteren Formen des Barocks über,

wodurch in den Gotteshäusern eine Hoch-, Weit- und Grossräumigkeit der

kühnsten Art erreicht wurde. Das Licht sollte durch die herrlichen Räume

unbehindert fluten und eine frohe, heitere Stimmung hereinzaubern. Weite

Simse, starkschattige Ausladungen, Unterschneidungen, verschiedenartigste

Profile und Verkröpfungen entlocken dem Licht und dem Schatten die

merkwürdigsten Wirkungen. Man hat oft fälschlicherweise der Kirche den

Vorwurf gemacht, dass sie durch den festlichen Prunk dieser Gotteshäuser die

Christen zuungunsten der protestantischen Nüchternheit und bethlehemitischen

Armut nur bluffen wollte. Das Ziel der kirchlichen Kreise besteht aber darin,

dass man durch die Schönheit des Gotteshauses die Gemüter erheben will, in

Freude zu den Hoffnungen des Jenseits, wo Gott, die Schönheit und Wahrheit,

wohnt.

Auch die Bauweise des Barocks ermüdete und suchte sich zu erholen im

Rokoko. Dieser ging in eine Dekorationsweise über, die in fröhlichster Weise,

kokett und graziös, Blumengirlanden, Flechtornamentik, Tiermotive,

Engelfiguren, Blattgewächse, bizarr geschweifte Muschelformen und andere

Motive mehr oder weniger harmonisch über Wände, Rahmen und Füllungen in

Holz, Gips und Metallen hinstreute. Man besuche in Rom die Kirchen Al Gesù

und S. Ignazio und blicke empor in die geheimnisvollen Perspektiven der

Gewölbe und Kuppeln, die Zeugnis geben von den wunderbaren Leistungen

der Architektur, Plastik und Malerei. Die Nachahmung der Wirklichkeit geriet

oft so täuschend, dass man plötzlich Angst bekommen könnte, es müssten die

Figuren über die profilierten Rahmen herunterpurzeln.

S. 24: In Erkenntnis unseres Unvermögens, in so grossem künstlerischem Reichtum

uns zurechtzufinden, möchten wir nur jenen Bau ins Blickfeld rücken, welcher

das monumentale Wahrzeichen der Weltkirche Christi ist.

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Es ist die St. Peterskirche, welche die frühere, unscheinbar gewordene Basilika

ersetzen sollte, zu welcher Konstantin der Grosse schon im vierten Jahrhundert

den ersten Spatenstich getan haben soll. Papst Nikolaus V. begann den Bau,

der durch Jahrhunderte hindurch andauerte. Infolgedessen offenbart er auch die

Spuren der verschieden gearteten Bauperioden.

Wenn der Pilger früherer Jahrhunderte vom Monte Pincio aus über das

Häusermeer hin plötzlich den Petersdom erblickte, sank er erschüttert zu

Boden und küsste den erreichten Ort seiner Sehnsucht. Wir können uns gut

vorstellen, wie sogar Goethe beim Hinabschreiten von diesem Hügel zur

Piazza del Popolo, wo zwei Kuppelkirchen (S. Maria del Monte und S. Maria

dei Miracoli) graziös wie Barocktabernakel ihm gegenüberstanden und den

Weg in die Stadt flankierten, nur die Worte fand: «Hier wären wir nun!»

Dem Pilger, welcher die Kuppel von St. Peter von der Höhe aus erblickte,

ergeht es wie den enttäuschten Weisen, welchen beim Betreten der Stadt der

Stern entschwand. Die Peterskuppel ist im Häusermeer versunken. Es treibt ihn

aber, das Entwichene wieder zu erschauen. Wir raten ihm an, dass er per pedes

Apostolorum die Strassen der Apostelstadt gehe, vorbei an den Kirchen und

Palästen, den Brunnen und Plätzen der Altstadt. Wir begreifen, dass unser

Fusswanderer keine Ruhe hat und den Weg nach St. Peter sucht. Man wird ihm

die Richtung nach der Engelsburg zeigen, wo er über die Tiberbrücke geht.

Dort erschaut er wieder die ersehnte Kuppel. Leicht geht er heute am

eindrucksvollen monumentalen Rundbau Hadrians vorbei, weil ihm Grösseres

winkt. Die Ermüdung des Wanderers weicht von der Fusssohle je näher St.

Peter kommt. Ehe die heutige Abräumung einer ganzen Häuserreihe ausgeführt

worden war, entschwand hier die Petruskuppel noch einmal, aber plötzlich

stand die ganze Pracht des Baues am Horizonte. Heute hingegen bleibt die

Kuppel lange vor dem Auge, aber anstatt imposanter zu werden, versinkt sie

vor der breiten, gewiss herrlichen Eingangsfassade. Indessen haben die

Kolonnaden Berninis den Pilger mit offenen Armen aufgenommen und

geleiten ihn mit Riesenschritten die steigenden Treppen hinan zu den fünf

Portalen dieses grössten Bauwunders aller christlichen Kirchen. Das uralte

Bronzetor der früheren Konstantins-Basilika des hl. Petrus öffnet sich und

schliesst sich hinter dem Pilger.

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Zwei in Marmor gehauene Engel bringen den Ankommenden ihre riesigen

Weihwasserschalen zur symbolischen Waschung entgegen. Die scheinbaren

Engelchen, die das hl. Wasser darbieten, sind in Wirklichkeit so gross wie der

längste Soldat der Schweizergarde.

In diesem Riesenraum, den man betritt, verliert man unwillkürlich die

Schätzung der Grössenverhältnisse. Man kühlt die verwirrte Stirne mit dem

Weihwasser, während Scharen

S. 25: und Scharen nachrücken. Es entsteht aber gleichwohl kein Gedränge. Alles

verliert sich dahin und dorthin in die Seitenschiffe und Kapellen. Man kann das

Ganze nicht übersehen, darum geht man ans Studium der Details. Um der

schwer erfassbaren Weiträumigkeit und dem Spiele der vollen Beleuchtung

Herr zu werden, stieg der Schreiber dieser Zeilen hoch hinauf zur

Peterskuppel, die Michelangelo nach seinen eigenen Worten «nur um Gottes

Lohn, zu Ehren Christi und der Apostel» dem Bau als Krone aufsetzen wollte.

Es war ein nahezu übermenschlicher Einfall, aus den vielen Rundbauten Roms

jene sieghafte, hochragende Wölbungsfläche als Vorbild zu wählen, die am

lautesten die Aufgabe des Fischers am Galiläischen Meer verkünden konnte.

Unter dieser Kuppel, auf vier Riesenpilastern von 71 Meter Umfang, ruhen des

Apostelfürsten Aschenreste. Doch sagen wir besser, dass der Sinn des Baues

Ende aller Enden doch nur das steinerne Denkmal der Erlösungstat Christi und

seiner Gründung der Kirche auf dem Felsen sein kann, den die Macht der

Hölle nicht zertrümmern wird.

Aus einer schwindeligen Höhe von 123 Meter erscheinen die Menschen, die

im Schiff drunten herumgehen, wie Bienlein, die auf dem glänzenden Marmor

hin und her schwirren. Selbst ein feierlicher Einzug zu den Zeremonien der

Heiligsprechung deckt nicht die ganze Fläche. Die Vivarufe der Masse, die den

Papst begrüssen und die Silberstimmen der Posaunen erheben sich nur wie

schwacher Choral aus grosser Tiefe. Es ist an gewöhnlichen Tagen sehr

interessant, von der Kuppelhöhe hinab wahrzunehmen, wie aus den Gruppen

der Ankommenden einzelne sich lösen und sich hinbegeben zur bronzenen

Petrusstatue, dort sich verneigen und den blankgescheuerten Fuss in Ehrfurcht

küssen. Lautlos huschen dann diese Menschlein hin zur Ballustrade der

Confessio, wo die weisse Papststatue Pius VI. vor dem Bronzetor des

Petrusgrabes betend kniet, unter dem Barockbaldachin Berninis.

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Mit dem Antlitz in den vorgehaltenen Händen verarbeiten sie die innere

Ergriffenheit. Den ganzen Tag ist hier ein ständiges Gehen und Kommen, ein

eiliges Erscheinen und plötzliches Verschwinden.

Der gewaltige Baldachin, der diesen heiligen Raum überschattet, wird von

ehernen Säulen getragen, die der Säule in der Pietàkapelle nachgebildet sein

sollen. Auf diesem hocherhobenen Zentralaltar der Petruskirche darf nur der

Papst das eucharistische Opfer darbringen. In dieser Vorschrift zittert die

Ehrfurcht vor dem eucharistischen Opfer im Angesichte desjenigen, der die

Worte zu Petrus sprach: «Du bist Petrus, der Fels, und auf diesem Felsen

werde ich meine Kirche bauen.» Diese Worte aus der biblischen Urkunde sind

am Rande der Petruskuppel in Riesenbuchstaben hingesetzt.

Der Betrachter hoch oben in der Petruskuppel ist hier oben so ergriffen, dass er

gerne die meterlange Feder des hl. Johannes entleihen möchte, um passende

Worte hinzuschreiben. Wir massen mit ausgespannter Hand den Mund des

Evangelisten in der Leibung der

S. 26: Kuppel und konnten die geöffneten Lippen kaum decken. So monumental

redet es von diesem Standpunkte aus hinab ins Kirchenschiff.

Manche Herren der Kunstgeschichte möchten den grossen Baldachin vom

Platze rücken, damit die Weite und Länge des Kirchenraumes zur vollen

Geltung käme. Die Kathedra des h1. Petrus an der hintersten Chorwand würde

dann entschieden hervortreten. Es wäre eine bedeutsame Betonung des

Lehrstuhles des h1. Petrus und seiner Nachfolger. Schon Tertullian redet von

der Kathedra des hl. Petrus zu Rom. Ein Kirchenfest rückt diesen Gedanken

sehr sinnreich ins Blickfeld der Gläubigen.

Dem Schreiber dieses Aufsatzes blitzte plötzlich der Gedanke durch den Kopf:

«Wie wäre es, wenn Michelangelo das jüngste Gericht in der Sistina in diese

Apside gemalt hätte? Würde dann nicht alles erschütternd ausklingen in den

Wahrheiten des Apostolischen Glaubensbekenntnisses? «Von dannen Er

kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten! Auferstehung des

Fleisches und ewiges Leben!»

Während solche Gedanken den Mann hoch in der Laterne der Kuppel

bestürmten, hat vielleicht ein Pilger unten auf dem Spiegel des Marmorbodens

emporgeblickt und sich gesagt:

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«Dort oben steht schattenhaft ein Mensch, klein wie ein Bienlein, das

herumschwirrt, an die Scheiben klopft und hoch hinaus will ins Freie durch die

Laterne der Peterskuppel».

Der Triumphbogen des Kaisers Konstantin. Blick von den oberen Sitzreihen

des Kolosseums. Wie kein anderes Denkmal in Rom ist er das

Trennungszeichen zweier Zeitalter. Er feiert den Sieg Konstantins über seinen

heidnischen Widersacher Maxentius. Einen Sieg, der den Christen das Recht

auf freie Ausübung ihrer Religion brachte.

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Trümmer einer Kolossalstatue Kaiser Konstantins, die in der Maxentius-

Basilika stand. Heute befinden sich diese gewaltigen Bruchstücke im Hof des

Konservatorenpalastes.

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Baptisterium beim Lateran. Die Legende erzählt, Papst Sylvester habe in ihm

Kaiser Konstantin getauft.

Internet-Bearbeitung: K. J. Version 05/2012

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