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Während sich die Grundprinzipien der Osteosyntheseverfahren bei der Gesichts- schädelrekonstruktion in den letzten Jahren wenig verändert haben, fand durch Weiterentwicklung der Osteosynthesesysteme und Instrumente sowie durch die Implementierung der computerassistierten Chirurgie einschließlich der Verwendung anatomisch präformierter oder patientenspezifischer Implantate eine entschei- dende Weiterentwicklung statt. Einleitung Die Platten-Schrauben-Osteosynthese zur Versorgung von Frakturen oder Rekonstruktion von Defekten hat sich seit Jahrzehnten im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich etab- liert. Hierdurch wurde es möglich, den knöchernen Ge- sichtsschädel anatomisch dreidimensional zu rekonstru- ieren und auf eine längere starre mandibulomaxilläre Fixation von Ober- und Unterkiefer zu verzichten. Die sta- bile Fixierung mittels Osteosynthese folgt auch im Be- reich des Gesichtsschädels den 4 Prinzipien der AO Guidelines zur adäquaten Behandlung von Frakturen: 1. anatomische Knochenreposition, 2. stabile Fixierung der Fragmente, 3. Erhalt der Durchblutung und 4. Sicherstellung einer frühen Funktion [1]. Im Laufe der Weiterentwicklung der Osteosynthese im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich wurden immer neue Sys- teme je nach Indikationsstellung entwickelt. Während noch Anfang dieses Jahrtausends die Platten-Schrauben- Systeme hinsichtlich Schraubendurchmesser und Plat- tenstärke sowie hinsichtlich Schraubenprinzip winkel- stabil versus nicht winkelstabil jeweils geschlossene Systeme darstellten, erlauben heutzutage moderne Os- teosynthesesysteme eine multimodale Anwendung eines einzelnen Systems. Unterschieden wird in der Regel nur noch zwischen dem Einsatz im Ober- oder Unterkiefer (Abb. 1 a und b). Zusätzlich unterscheidet man im Un- terkiefer noch zwischen Traumatologie- und Rekonstruk- tionssystemen, wobei bei den Rekonstruktionssystemen im Vergleich zu den Traumasystemen prinzipiell nur die Plattenstärken und die Schraubendurchmesser nochmals zunehmen (Abb. 1 c). Innerhalb eines Subsystems ist es jeweils uneinge- schränkt möglich, alle unterschiedlichen Plattenstärken mit allen unterschiedlichen Schrauben zu verwenden. Neben dem Standardschraubendurchmesser stehen zu- sätzlich Schrauben mit einem geringfügig vergrößerten Durchmesser als sogenannte Emergency- bzw. Rescue- Schrauben zur Verfügung, falls es zu einem Durchdrehen der Schraube mit Standarddurchmesser kommt. Bei den Systemen für den Einsatz im Unterkiefer ist es zusätzlich möglich, sowohl winkelstabile als auch nicht winkelstabi- le Schrauben bei ein und derselben Platte einzusetzen und miteinander zu kombinieren. Das gleiche gilt auch für die zwar weiter vorhandenen speziellen Kompressi- onsplatten, die jedoch bei der modernen Osteosynthese im Unterkiefer inzwischen eine eher untergeordnete Rol- le spielen und mehr und mehr durch Adaptationsplatten ersetzt wurden. Durch diese multimodale Anwendung der modernen Os- teosynthesesysteme ist es möglich, sowohl im Unter- als auch im Oberkiefer die Plattenstärken individuell an die Indikation hinsichtlich Stabilität und Funktionalität anzu- passen, ohne auf unterschiedliche Osteosynthesesyste- me zurückgreifen zu müssen. Merke Bei modernen Osteosynthesesystemen können alle unterschiedlichen Platten mit allen unterschiedli- chen Schrauben kombiniert werden. Prinzipien der Osteosynthese im Unterkiefer Bei der Osteosynthese im Bereich des Unterkiefers spielt neben der Anatomie die Biomechanik des Unterkiefers während der Mastikation weiter die entscheidende Rolle bei den Überlegungen hinsichtlich der optimalen Positio- nierung von Osteosyntheseplatten. Bei der Einleitung von Prinzipien der Osteosynthese im Bereich des Gesichtsschädels Frank Wilde, Alexander Schramm Fachwissen 45 Wilde F, Schramm A. Prinzipien der Osteosynthese OP-JOURNAL 2019; 35: 4561 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Online publiziert: 30.11.2018

Prinzipien der Osteosynthese im Bereich des Gesichtsschädels€¦ · empfiehlt sich, je Fraktur- bzw. Defektseite mindestens 3, besser 4–5 Schrauben zu platzieren. Die Indikationen

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Prinzipien der Osteosynthese im Bereich des Gesichtsschädels

Frank Wilde, Alexander Schramm

Fachwissen

Wilde F,

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Online publiziert: 30.11.2018

Während sich die Grundprinzipien der Osteosyntheseverfahren bei der Gesichts-schädelrekonstruktion in den letzten Jahren wenig verändert haben, fand durchWeiterentwicklung der Osteosynthesesysteme und Instrumente sowie durch dieImplementierung der computerassistierten Chirurgie einschließlich der Verwendunganatomisch präformierter oder patientenspezifischer Implantate eine entschei-dende Weiterentwicklung statt.

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EinleitungDie Platten-Schrauben-Osteosynthese zur Versorgungvon Frakturen oder Rekonstruktion von Defekten hat sichseit Jahrzehnten im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich etab-liert. Hierdurch wurde es möglich, den knöchernen Ge-sichtsschädel anatomisch dreidimensional zu rekonstru-ieren und auf eine längere starre mandibulomaxilläreFixation von Ober- und Unterkiefer zu verzichten. Die sta-bile Fixierung mittels Osteosynthese folgt auch im Be-reich des Gesichtsschädels den 4 Prinzipien der AOGuidelines zur adäquaten Behandlung von Frakturen:1. anatomische Knochenreposition,2. stabile Fixierung der Fragmente,3. Erhalt der Durchblutung und4. Sicherstellung einer frühen Funktion [1].

Im Laufe der Weiterentwicklung der Osteosynthese imMund-Kiefer-Gesichts-Bereich wurden immer neue Sys-teme je nach Indikationsstellung entwickelt. Währendnoch Anfang dieses Jahrtausends die Platten-Schrauben-Systeme hinsichtlich Schraubendurchmesser und Plat-tenstärke sowie hinsichtlich Schraubenprinzip – winkel-stabil versus nicht winkelstabil – jeweils geschlosseneSysteme darstellten, erlauben heutzutage moderne Os-teosynthesesysteme eine multimodale Anwendung eineseinzelnen Systems. Unterschieden wird in der Regel nurnoch zwischen dem Einsatz im Ober- oder Unterkiefer(▶ Abb. 1a und b). Zusätzlich unterscheidet man im Un-terkiefer noch zwischen Traumatologie- und Rekonstruk-tionssystemen, wobei bei den Rekonstruktionssystemenim Vergleich zu den Traumasystemen prinzipiell nur diePlattenstärken und die Schraubendurchmesser nochmalszunehmen (▶Abb. 1c).

Innerhalb eines Subsystems ist es jeweils uneinge-schränkt möglich, alle unterschiedlichen Plattenstärken

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mit allen unterschiedlichen Schrauben zu verwenden.Neben dem Standardschraubendurchmesser stehen zu-sätzlich Schrauben mit einem geringfügig vergrößertenDurchmesser als sogenannte Emergency- bzw. Rescue-Schrauben zur Verfügung, falls es zu einem Durchdrehender Schraube mit Standarddurchmesser kommt. Bei denSystemen für den Einsatz im Unterkiefer ist es zusätzlichmöglich, sowohl winkelstabile als auch nicht winkelstabi-le Schrauben bei ein und derselben Platte einzusetzenund miteinander zu kombinieren. Das gleiche gilt auchfür die zwar weiter vorhandenen speziellen Kompressi-onsplatten, die jedoch bei der modernen Osteosyntheseim Unterkiefer inzwischen eine eher untergeordnete Rol-le spielen und mehr und mehr durch Adaptationsplattenersetzt wurden.

Durch diese multimodale Anwendung der modernen Os-teosynthesesysteme ist es möglich, sowohl im Unter- alsauch im Oberkiefer die Plattenstärken individuell an dieIndikation hinsichtlich Stabilität und Funktionalität anzu-passen, ohne auf unterschiedliche Osteosynthesesyste-me zurückgreifen zu müssen.

MerkeBei modernen Osteosynthesesystemen können alleunterschiedlichen Platten mit allen unterschiedli-chen Schrauben kombiniert werden.

Prinzipien der Osteosyntheseim Unterkiefer

Bei der Osteosynthese im Bereich des Unterkiefers spieltneben der Anatomie die Biomechanik des Unterkieferswährend der Mastikation weiter die entscheidende Rollebei den Überlegungen hinsichtlich der optimalen Positio-nierung von Osteosyntheseplatten. Bei der Einleitung von

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▶ Abb. 1 a Modernes Osteosynthesesystem Matrix Mandible Trauma (DePuy/Synthes, Schweiz). Alle Platten können mit allen unterschiedlichenSchrauben kombiniert werden. b Modernes Osteosynthesesystem Matrix Midface (DePuy/Synthes, Schweiz). Alle Platten können mit allen unter-schiedlichen Schrauben kombiniert werden. c Modernes Osteosynthesesystem Matrix Mandible Recon (DePuy/Synthes,Schweiz). Alle Plattenkönnen mit allen unterschiedlichen Schrauben kombiniert werden.

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Kräften auf den Unterkiefer durch Abbeißen und Kauen,kommt es zu verschiedenen Zonen von Kompressionund Zugspannung. Diese sind abhängig vom Ort derKräfteapplikation und unterscheiden sich danach, ob mitden Seitenzähnen Speisen zerkleinert werden oder obmit den Frontzähnen abgebissen wird. Durch die Huf-eisenform des Unterkiefers kommt es des Weiteren, überdie einwirkenden Kau- und Muskelkräfte, zu einer dreidi-mensionalen Deformierung des Unterkiefers. Vereinfachtbetrachtet resultiert beim Zusammenbiss im Bereich desAlveolarfortsatzes eine Zugzone, während sich im Be-reich des basalen Unterkieferrandes eine Kompressions-zone zeigt. Zwischen der Zug- und Kompressionszoneliegt die sogenannte neutrale Zone, in der sich in derTheorie die beiden gegensätzlichen Kräfte gegenseitigaufheben (▶Abb. 2). Bezogen auf dieses Modell ist esvom biomechanischen Aspekt vorteilhaft, die Osteosyn-these im Bereich der Zugzone oder der Neutralzone, alsoim Bereich des zahntragenden Anteils des Unterkiefers zuplatzieren, um einem Auseinanderweichen der Fraktur-fragmente entgegenzuwirken. Anatomisch stellt sich diekrestale Zugzone jedoch durch das Vorhandensein derZähne, einer dünnen Kortikalis und einer dünnen darü-berliegenden Schleimhaut als kompliziert dar. Somit bie-tet sich eine Platzierung der Osteosyntheseplatten im Be-reich der Neutralzone an. Diese wurde auch als idealeOsteosyntheselinie definiert (▶ Abb. 3). Diese korreliertim Unterkieferkorpus jedoch i.d.R. mit der Ebene auf

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Höhe des N. mandibularis inferior, sodass hier nur einemonokortikale Verankerung von Schrauben möglich ist.Der Unterrand des Unterkiefers stellt vom biomecha-nischen Aspekt (Kompressionszone) her eigentlich eineeher weniger geeignete Lokalisation für die Positionie-rung von Osteosynthesematerial dar. Doch durch die dortvorhandene dicke Kortikalis und den sicheren Weichteil-mantel bietet sich der basale Unterkieferrand dennochals Lokalisationsort zur Befestigung von Osteosynthese-material an. Insbesondere in der Kombination mit einermonokortikalen Osteosynthese im Bereich der Neutralzo-ne [2].

Um einerseits den biomechanischen Anforderungen undandererseits den anatomischen Gegebenheiten bei derosteosynthetischen Versorgung des Unterkiefers Rech-nung zu tragen, unterscheidet man heutzutage zwischen2 Grundprinzipien der Fixierung:1. Load-sharing-Osteosynthese2. Load-bearing-Osteosynthese [2] (▶Abb. 4a und b).

Load-sharing-Osteosynthese

Bei der Load-sharing-Osteosynthese stellt die exakte ana-tomische Reposition der Fraktur den zentralen Aspektdes Prinzips dar. Hierdurch wird es möglich, dass die auf-tretenden funktionellen Kräfte während der Unterkiefer-bewegung über die Fraktur hinweg durch den Knochenaufgenommen bzw. weitergeleitet werden, während das

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Kraft

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▶ Abb. 2 Biomechanik des Unterkiefers bei der Mastika-tion. Im Bereich des Alveolarfortsatzes entsteht eine Zug-zone, im Bereich des basalen Unterkieferrandes eineKompressionszone. Zwischen der Zug- und Kompres-sionszone liegt die sogenannte neutrale Zone, in der sichin der Theorie die beiden gegensätzlichen Kräfte gegen-seitig aufheben.

▶ Abb. 3 Ideale Osteosyntheselinie im Unterkiefer.

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Osteosynthesematerial die Fragmente nur zueinander fi-xiert und stabilisiert. Das Osteosynthesematerial mussdemnach nur einen geringen Anteil der auftretendenKräfte auffangen, was wiederum dazu führt, dass dünneOsteosyntheseplatten der Profilstärken 1,0–1,5mm Ver-wendung finden können, welche i. d. R. monokortikal mitSchraubendurchmessern von ca. 2,0mm aufgeschraubtwerden (▶Abb. 1a). Das Prinzip der Load-sharing-Osteo-synthese kommt somit bei der Miniplattenosteosyntheseim Bereich des Unterkiefers in zahntragenden Anteilen,im Kieferwinkel oder im Bereich des Gelenkfortsatzes zurAnwendung. Die Miniplatten sollten dabei so lang ge-wählt werden, dass jeweils mindestens 2 Schrauben je in-stabiler Frakturseite sicher monokortikal verankert wer-den können, um eine Rotationsstabilität zu gewährleis-ten.

Der operative Zugang ist i. d. R. ein intraoraler. Durch denEinsatz eines 90° abgewinkelten Bohrers und Schrauben-drehers ist dies auch in der überwiegenden Anzahl derFälle, selbst bei Gelenkfortsatzfrakturen, möglich.

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Load-bearing-Osteosynthese

Bei der sogenannten Load-bearing-Osteosynthese wirddie gesamte einwirkende Kraft durch das Osteosynthese-material getragen. Hierbei wird dickeres Osteosynthese-material der Profilstärken 2,0–3,0mm mit bikortikalerSchraubenverankerung eingesetzt. Die eingesetztenSchraubendurchmesser bewegen sich in Abhängigkeitvom Hersteller zwischen 2,3–3,0mm (▶ Abb. 1c). Esempfiehlt sich, je Fraktur- bzw. Defektseite mindestens3, besser 4–5 Schrauben zu platzieren.

Die Indikationen für eine Load-bearing-Osteosynthesesind komplexe mehrfragmentäre Frakturen, Defektfrak-turen, Frakturen des atrophierten Unterkiefers, patholo-gische Frakturen, Komplikationen nach Frakturen mitPseudoarthrose und Infektionen sowie Kontinuitäts-defekte im Rahmen der Unterkieferrekonstruktion.

Mit Ausnahme vielleicht im Bereich des anterioren Unter-kiefers wird bei einer Load-bearing-Osteosynthese häufigein extraoraler Zugang zum Unterkiefer notwendig.

MerkeJe dicker der Knochen, desto dünner kann die Plattegewählt werden.Je dünner der Knochen, desto dicker sollte die Plattegewählt werden.

Die neuesten Entwicklungen gehen in Richtung anato-misch präformierte Osteosyntheseplatten. Diese sollendas Konturieren der Platten erleichtern, die Plattenfrak-turgefahr mindern und Operationszeiten reduzieren(▶ Abb. 5).

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Knochen kann Kraft nicht tragen

Knochen kann Kraft tragen

Kraft

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▶ Abb. 4 Grundprinzipien der Osteosynthese im Unter-kiefer. a Load-sharing-Osteosynthese, b Load-bearing-Osteosynthese.

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Anwendungsbeispiele derOsteosynthese im Unterkiefer

Paramediane/mediane Unterkieferfraktur

Bei diesem sehr häufigen Frakturmuster stellt die Mini-plattenosteosynthese mit 2 Miniplatten in der Regel dieosteosynthetische Versorgung der Wahl dar. Dabei kom-men nach anatomischer Reposition und Sicherstellungder Okklusion über eine mandibulomaxilläre Fixation(z. B. mittels MMF-Schrauben) 2 Osteosyntheseplatten

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zum Einsatz. Dabei wird eine Osteosyntheseplatte knappunterhalb der Zahnwurzeln in der neutralen Zone plat-ziert. Eine weitere Miniosteosyntheseplatte kommt imBereich des basalen Unterkieferrandes zu liegen(▶ Abb. 6a). Es empfiehlt sich, die Platten leicht zu über-biegen, um dem Phänomen des lingualen Aufbiegensentgegenzuwirken.

Bei streng medianen Unterkieferfrakturen kann auch einealleinige Zugschraubenosteosynthese zum Einsatz kom-men. Dies gestaltet sich jedoch nach Autorenmeinunghäufig komplizierter als die Plattenosteosynthese. Weiterempfiehlt es sich bei streng medianen Unterkieferfraktu-ren, neben dem Überbiegen der Platten, die basale Platteetwas dicker zu wählen als die krestale, insbesonderewenn gleichzeitig eine beidseitige Gelenkfortsatzfrakturvorliegt (▶ Abb. 6b).

PRAXISTIPP

Neben dem Überbiegen der Platte kann während der

Osteosynthese durch temporäres Einsetzen einer

großen spitzen Repositionsklemme/-zange im Be-

reich der krestalen Molarenregion eine gut dosier-

bare, posteriore Kompression ausgeübt werden.

Hierdurch kann einer lingualen Spaltbildung und

einer Verbreiterung des Unterkiefers suffizient ent-

gegengewirkt werden. Dies trifft insbesondere auf

mediane und paramediane Frakturen mit Aus-

gleichsfrakturen im Bereich der Gelenkfortsätze oder

der Kieferwinkel zu.

Kieferwinkelfrakturen

Obwohl bei einfachen Kieferwinkelfrakturen nach denUntersuchungen von Champy eine einzelne Platte im Be-reich der Zugzone, auf der Linea obliqua, ausreichend ist[2, 3], empfiehlt es sich nach Autorenmeinung, auch beiKieferwinkelfrakturen 2 Osteosyntheseplatten einzuset-zen. Dabei kommt die eine Osteosyntheseplatte ebenfallsim Bereich der Zugzone entweder lateral oder direkt aufder Linea obliqua zu liegen, während die zweite Mini-osteosyntheseplatte im Bereich des basalen Unterkiefer-randes aufgeschraubt wird (▶Abb. 7a). Durch diese Fi-xierung mit 2 Miniplatten kann eine basale Spaltbildungim Bereich der eigentlichen Druckzone, wie es sich kli-nisch häufig bei der Versorgung von Kieferwinkelfraktu-ren mit nur einer Platte auf der Linea obliqua zeigt, in derRegel verhindert werden (▶ Abb. 7b). Durch den Einsatzdes 90° abgewinkelten Schraubendrehers ist die Fixationbeider Platten durch einen ausschließlich intraoralen Zu-gang möglich. Alternativ bestünde für die kaudale Plattedie Fixation mittels eines transbukkalen Zugangs. Dieswird von den Autoren jedoch nur im Einzelfall empfohlen.

Im Bruchspalt liegende Weisheitszähne sollten, wenn siekein Repositionshindernis darstellen oder nicht zerstört

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▶ Abb. 5 Anatomisch präformierte Platten für den Unterkiefer. a Anatomisch präformierte Unterkieferrekonstruktionsplatten.Diese liegen für rechts und links jeweils in 3 Größen vor (DePuy/Synthes, Schweiz). b Anatomisch präformierte Miniplatten für denKieferwinkel im Bereich der Linea obliqua (oben) und den medianen Unterkiefer (unten) (KLS-Martin, Deutschland).

▶ Abb. 6 a Typische osteosynthetische Versorgung einer paramedianen Unterkieferfraktur mit 2 Miniplatten. b Osteosyntheti-sche Versorgung einer medianen Unterkieferfraktur in Kombination mit beidseitiger Gelenkfortsatzfraktur mit 2 Osteosynthese-platten. Die basale Platte wurde aus Stabilitätsgründen in diesem Fall etwas dicker gewählt.

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sind, belassen werden. Denn durch eine Entfernung ver-liert man unweigerlich Stabilität nach dem Prinzip desLoad-sharing und schafft sich im Einzelfall sogar eine De-fektfraktur, die eine Load-bearing-Osteosynthese erfor-derlich machen könnte. Die Entscheidung, ob Zähne ausdem Frakturspalt intraoperativ entfernt werden müssenbzw. sollten, ist jedoch jeweils individuell zu entscheiden.

Unterkieferkorpusfraktur

Aus Stabilitätsgründen empfiehlt sich auch hier im Regel-fall der Einsatz von 2 Miniosteosyntheseplatten, wovoneine wiederum auf Höhe der Neutralzone knapp unter-halb der Wurzelspitzen und oberhalb des N. mandibulariszu liegen kommt. Die 2. Platte wird im Bereich des basa-len Unterkieferrandes unterhalb des Nerven befestigt.Auch hier ist der Einsatz eines Winkelschraubendrehers,

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insbesondere im Bereich der basalen Platte, häufig hilf-reich.

Bei Schrägfrakturen des Corpus mandibulae empfiehltsich dagegen auch der Einsatz einer Zugschraubenosteo-synthese, um die schräg zueinander verlaufenden Frak-turhälften aufeinander zu pressen (▶ Abb. 8a und b). Da-bei ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass beider Platzierung der bikortikalen Zugschrauben derN. mandibularis sowie die Zahnwurzeln nicht beschädigtwerden. Dies kann im Einzelfall schwierig werden, sodasssich in einem solchen Fall eine Zugschraubenosteosyn-these verbietet. Der Vorteil der Zugschraubenosteosyn-these ist der hohe Grad der Stabilität bei idealer Kraftein-leitung in den Knochen. Im Einzelfall ist auch eine Kombi-nation aus Miniplattenosteosynthese und Zugschrauben-osteosynthese sinnvoll.

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▶ Abb. 7 a Osteosynthetische Versorgung einer Kieferwinkelfraktur mit 2 Miniplatten. Eine ist auf Höhe der Linea obliqua krestal positioniert. Eineweitere am basalen Unterkieferrand. Hierdurch wird Aufbiegen in diesem Bereich verhindert. Der Weisheitszahn im Bruchspalt wurde bewusst be-lassen. b Typisches Aufbiegen des basalen Kieferwinkels bei der Versorgung einer Kieferwinkelfraktur mit nur einer Platte krestal im Bereich derLinea obliqua.

▶ Abb. 8 a Unterkieferschrägfraktur präoperativ. b Mit 3 Zugschrauben versorgte Unterkieferschrägfraktur postoperativ.

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PRAXISTIPP

Bei der Unterkiefer-Miniplattenosteosynthese emp-

fiehlt es sich nach anatomischer Reposition, primär

die krestale Platte mit 2 exzentrisch gebohrten, frak-

turspaltnahen Schrauben zu fixieren, um in der Zug-

zone eine Kompression im Bereich des Frakturspaltes

auszuüben. Vor der rotationsstabilen Fixierung der

Platte mit den übrigen Schraubenlöchern sollte je-

doch jetzt erst die basale 2. Osteosyntheseplatte

fixiert werden. Hierdurch wird es möglich, durch die

noch bestehende Rotationsmöglichkeit um die kres-

tale Platte einer basalen Spaltentwicklung entgegen-

zuwirken, indem man z. B. mittels einer Repositions-

zange gezielt diesen Spalt schließt, bevor man die

Osteosyntheseplatte aufschraubt. Auch hier emp-

fiehlt es sich, die beiden ersten frakturnahen Löcher

exzentrisch auf Kompression zu bohren. Erst dann

sollten die beiden Platten mit weiteren Schrauben

definitiv fixiert werden.

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Gelenkfortsatzfrakturen

Bei dislozierten Gelenkfortsatzfrakturen empfiehlt sichebenfalls die Miniplattenosteosynthese. In Abhängigkeitvom Platzangebot sollten, wenn möglich, auch hier 2 Os-teosyntheseplatten aus Stabilitätsgründen verwendetwerden. Dabei sollte eine im Bereich des Hinterrandesdes aufsteigenden Astes und eine weitere im Bereich derIncisura mandibulae zu liegen kommen (▶Abb. 9). Beider Verwendung einer singulären Platte sollte diese so di-mensioniert sein, dass diese die auftretenden Kräfte kom-plett übernehmen kann. Auch werden von Herstellernverschiedene Spezial-3‑D-Platten angeboten, um hierdem Problem von Plattenfrakturen entgegenzuwirken.

Bezüglich des operativen Zugangs gibt es grundsätzlich2 Möglichkeiten. Die eine stellt den extraoralen Zugangin der Regel präaurikulär oder retromandibulär dar. Wo-bei jedoch auch andere Zugangswege wie submandibuläroder retroaurikulär möglich sind [4]. Der Vorteil des ex-traoralen Zugangs ist der direkte Zugang und die verbes-serte Visualisierung der Fraktur für die Reposition und

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▶ Abb. 9 Mit 2 Miniplatten von intraoral versorgte linksseitige Gelenk-fortsatzfraktur.

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Osteosynthese. Mit dem extraoralen Zugang einher-gehende Nachteile sind einerseits die extraorale Narbesowie andererseits die Gefahr der Verletzung des N. facia-lis [2].

Als alternativer Zugang zum Gelenkfortsatz bietet sichder in der Autorenklinik favorisierte intraorale Zugangan, der endoskopisch unterstützt zur Anwendung kommt(▶ Abb. 10). Der Zugang ähnelt dabei dem Zugang zueiner Unterkieferosteotomie im Rahmen einer sagittalenSpaltung des Unterkiefers, wobei hier die laterale Präpa-ration weiter nach kranial erfolgen muss (▶Abb. 11).Des Weiteren sind aufgrund der limitierten Sicht Spezial-instrumente hilfreich. Hierzu zählen überlange Raspa-torien und Repositionshäkchen (▶Abb. 12) sowie einelichtstarke Stirnleuchte. Zwingend erforderlich ist auchein 90° abgewinkelter Schraubendreher und Bohrer. Die-ser sollte über eine Haltevorrichtung verfügen, die es er-möglicht, Platte mit Schraube zusammen einzubringen(▶ Abb. 13).

Neuste Entwicklungen von Osteosyntheseplatten gehenin Richtung anatomisch präformierter 3-D‑Platten mit in-tegrierter Repositionshilfe für den Gelenkfortsatz(▶ Abb. 14).

Unterkieferstückfrakturen

Auch bei Unterkieferstückfrakturen mit 2 Frakturstellen,z.B. paramedian sowie im Kieferwinkel oder im Gelenk-fortsatzbereich kontralateral, werden die gleichen bereitsbeschriebenen Prinzipien der Osteosynthese mit Reposi-tion und stabiler Fixierung verfolgt, wie sie bei isoliertenFrakturen gelten (▶Abb. 15).

Komplexe Mehrfragmentfrakturendes Unterkiefers

Bei komplexen Mehrfragmentfrakturen des Unterkiefersim Bereich des anterioren Unterkiefers, des Corpus man-

▶ Abb. 10 Endoskopischer Blick während der Osteosyn-these einer Gelenkfortsatzfraktur über einen intraoralenZugang.

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dibulae oder des Kieferwinkels, wird in der Vielzahl derFälle wie bereits oben erwähnt, eine sogenannte Load-bearing-Osteosynthese mit dickeren Osteosyntheseplat-ten erforderlich. Auch eine Kombination aus Miniplatten,Zugschrauben und dicken Osteosyntheseplatten kommthier je nach Frakturmuster zum Einsatz (▶Abb. 16a). Da-bei sollte mittels Miniplatten die Fraktur initial verein-facht werden, um sie dann über dickeres Osteosynthese-material zu stabilisieren.

Während im Bereich des anterioren Unterkiefers sowiedes anterioren Corpus mandibulae dies meist noch mit-tels intraoralen Zugang bewerkstelligt werden kann, ist

▶ Abb. 11 Intraoraler Zugang zur Versorgung von Ge-lenkfortsatzfrakturen.

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▶ Abb. 12 Überlange Spezialinstrumente, Endoskop und spezieller Licht-leiterhaken zur intraoralen Versorgung von Gelenkfortsatzfrakturen (KarlStorz, Deutschland).

▶ Abb. 13 90° abgewinkelter Schraubendreher und Bohrer. Mittels Hal-tevorrichtung können Platte und Schraube in Kombination fixiert werden(MedArtis, Schweiz).

▶ Abb. 14 Anatomisch präformierte 3‑D‑Platten mit in-tegrierter Repositionshilfe für den Gelenkfortsatz (KLS-Martin, Deutschland).

▶ Abb. 15 Mittels Miniplatten versorgte Unterkiefer-stückfrakturen mit Paramedianfraktur links und Kiefer-winkelfraktur rechts.

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im Bereich des Kieferwinkels häufig ein extraoraler Zu-gang vorteilhaft. Dennoch ist es bei exakter Repositionund guter Compliance des Patienten auch möglich, sol-che Frakturen nur mittels Miniplatten durch einen intra-oralen Zugang zu versorgen (▶ Abb. 16b).

Frakturen im hoch atrophen Unterkiefer

Frakturen im hoch atrophen Unterkiefer erfordern in derRegel eine Load-bearing-Osteosynthese mit dickem Os-teosynthesematerial in Kombination mit winkelstabilenbikortikalen Schrauben. Ein extraoraler submandibulärer

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Zugang sollte präferiert werden. Dabei ist die Extensionder Osteosyntheseplatte in der Regel vom aufsteigendenUnterkieferast bis zum Kinn und bei Stückfrakturen inbeiden Unterkieferkörpern vom rechten bis zum linkenKieferwinkel notwendig (▶Abb. 17). Die bikortikalenSchrauben sollten hierbei im Bereich des Kieferwinkelsund des aufsteigenden Unterkieferastes sowie im Bereichdes anterioren Unterkiefers positioniert werden, da hier inder Regel weiter ausreichendes Knochenangebot zu fin-den ist. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Plattevon lingual zu positionieren [5]. Der Einsatz einer Mini-plattenosteosynthese im hoch atrophen Unterkiefer ist inder Regel nicht suffizient und führt in den allermeistenFällen zu einer Lockerung des Osteosynthesematerials,sodass ein solcher Versuch generell unterbleiben sollte.

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Page 9: Prinzipien der Osteosynthese im Bereich des Gesichtsschädels€¦ · empfiehlt sich, je Fraktur- bzw. Defektseite mindestens 3, besser 4–5 Schrauben zu platzieren. Die Indikationen

▶ Abb. 16 a Load-bearing-Osteosynthese einer rechtsseitigen Unterkieferstückfraktur im atrophen Unterkiefer. b Über intraoralen Zugang mit-tels Miniplatten und Zugschrauben versorgte komplexe Mehrfragmentfraktur des Unterkieferkorpus bei einem Patienten mit hoher Compliance.

▶ Abb. 17 Load-bearing-Osteosynthese eines hoch atrophen Unterkie-fers über einen extraoralen Zugang.

▶ Abb. 18 Load-bearing-Osteosynthese einer Defektfraktur im linkenKieferwinkel.

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Unterkieferdefektfrakturen

Bei Unterkieferdefektfrakturen z.B. aufgrund von Fraktu-ren nach Weisheitszahnextraktionen oder nach infizier-ten Frakturen mit Sequestrierung von einzelnen Kno-chenanteilen ist ebenfalls eine Osteosynthese nach denPrinzipien des Load-bearings notwendig. Dabei solltendie Osteosyntheseplatten unter Verwendung von winkel-stabilen Schrauben im Bereich des basalen Unterkiefer-randes fixiert werden (▶ Abb. 18).

In den meisten Fällen ist hierzu ebenfalls ein extraoralerZugang sinnvoll. Dennoch kann in Einzelfällen auch durcheinen intraoralen Zugang unter Verwendung eines 90°Winkelbohrers und Drehers das Osteosynthesematerialeingebracht werden.

Unterkieferkontinuitätsdefekte

Bei der rein alloplastischen Rekonstruktion von Unterkie-ferkontinuitätsdefekten aufgrund einer Unterkieferteil-resektion ist eine funktionsstabile Osteosynthese miteiner Rekonstruktionsplatte der Profilstärke 2,4–3,0mm,die den Defekt weitstreckig überbrückt, obligat.

Hierzu werden seit einigen Jahren vermehrt patienten-individuelle CAD/CAM-Platten eingesetzt [6,7]. Da beidiesen Plattenfrakturen, wie sie bei Standardplatten re-gelhaft auftreten, eher selten, oder nicht zu erwartensind, empfehlen die Autoren, wenn immer möglich sol-che Platten mit mindestens 5–6 bikortikalen Schraubenje Defektseite zu befestigen, da es möglicherweise durchdie Rigidität solcher CAD/CAM-Platten unter Langzeit-funktion zum Versagen der Schrauben-Knochen-Verbin-dung kommen könnte (▶Abb. 19).

Bei einer knöchernen Rekonstruktion eines Unterkiefer-defektes mit einem mikrovaskulären Knochentransplan-tat kommen, je nach Präferenz des Chirurgen, sowohlMiniplatten als auch Rekonstruktionsplatten erfolgreichzum Einsatz. Insbesondere für diesen Einsatzbereich sind

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▶ Abb. 19 Alloplastische Unterkieferrekonstruktion mit CAD/CAM-Osteosyntheseplatte (DePuy/Synthes, Schweiz) nach ablativer Tumor-chirurgie.

▶ Abb. 20 Modelle, Operationsschablonen und CAD/CAM-Unterkiefer-rekonstruktionsplatte zur knöchernen Unterkieferrekonstruktion mittelsFibulatransplantat (Materialise, Belgien, und DePuy/Synthes, Schweiz).

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mittlerweile patientenspezifische CAD/CAM-Platten inKombination mit Operationsschablonen für die Osteo-tomie des Unterkiefers und des Knochentransplantatsetabliert (▶ Abb. 20).

Unter Nichtberücksichtigung der Kosten für das Osteo-synthesematerial, liegt der Vorteil einer Rekonstruktions-platte im Vergleich zu Miniplatten darin, dass bei einemVerlust des Knochentransplantats die Kontinuität des Un-terkiefers weiter erhalten bleibt. Der Nachtteil ist darin zu

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sehen, dass die Gefahr einer postoperativen Plattenexpo-sition nach intra- oder extraoral im Vergleich zu Miniplat-te erhöht erscheint.

Prinzipien der Osteosyntheseim Mittelgesicht

Neben der Wiederherstellung der Okklusion steht dieanatomisch korrekte Reposition im Fokus bei der Versor-gung von traumatischen Verletzungen im Mittelgesicht.Sowohl die knöcherne Höhe als auch die Weite und dieProjektion sollte hierbei wiederhergestellt werden. JedeÜber- oder Unterkonturierung der Mittelgesichtsknochenkann zu einer ästhetischen Beeinträchtigung führen. DesWeiteren sind funktionelle Probleme wie z. B. eine Okklu-sionsstörung oder Komplikationen im Bereich der Orbita,wie Diplopie oder ein Enophthalmus, möglich [8].

Auch im Bereich des Mittelgesichts ist die Biomechanikbei der Platzierung der Osteosyntheseplatten bzw. derRekonstruktion zu beachten [8]. Eine erfolgreiche Rekon-struktion der Mittelgesichtsfrakturen wird dabei durchdie Wiederherstellung der sogenannten lateralen undmedialen Mittelgesichtspfeiler erreicht (▶ Abb. 21). Die-se sind dafür verantwortlich, die auftretenden Kaukräftenach kranial in den Schädel weiterzuleiten. Weiter findetman in diesen Bereichen ein ausreichendes Knochen-angebot, um die Platten mittels Osteosyntheseschrau-ben suffizient zu verankern. Dabei kann in Abhängigkeitvom Frakturmuster die Rekonstruktion von lateral nachmedial und/oder von kranial nach kaudal erfolgen [8].

Die typischen Lokalisationen für die Positionierung desOsteosynthesematerials sind im Bereich des lateralenMittelgesichtspfeilers die Crista zygomaticoalveolaris so-wie die Sutura frontozygomatica und im Bereich des me-dialen Mittelgesichtspfeilers die Regio paranasalis. Beikomplexeren Fällen mit z.B. ausgesprengten Fragmentenim Bereich des Infraorbitalrands kann es notwendig wer-den, auch hier eine Osteosyntheseplatte zu platzieren.Bei zusätzlichen Frakturen des Jochbogens, des nasoeth-moidalen Komplexes, des Oberkiefers und des Alveolar-fortsatzes sind auch dort weitere Osteosyntheseplattenmöglicherweise notwendig (▶ Abb. 22) [9]. KleinereFragmente außerhalb der Mittelgesichtspfeiler erforderngrundsätzlich nicht immer eine osteosynthetische Fixie-rung. Hier reicht es häufig aus, diese locker zu reponierenund sie ggf. z. B. mit Fibrinkleber zu stabilisieren. GrößereFragmente, z. B. im Bereich der Kiefer- und Stirnhöhlen-vorderwand, sollten mit dünnem Osteosynthesematerialfixiert werden.

Die Osteosynthese im Bereich des Mittelgesichts ist aus-schließlich die Domäne der Miniplatten, wobei auch hierdie modernen Osteosynthesesysteme multimodal auf-gebaut sind, sodass mit einem System verschiedene Plat-

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Page 11: Prinzipien der Osteosynthese im Bereich des Gesichtsschädels€¦ · empfiehlt sich, je Fraktur- bzw. Defektseite mindestens 3, besser 4–5 Schrauben zu platzieren. Die Indikationen

lateralerMittelgesichtspfeiler

medialerMittelgesichtspfeiler

▶ Abb. 21 Schematische Darstellung der Kraftvektoren (Trajektorien) des Mittelgesichts.

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III

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▶ Abb. 22 Zentrale Mittelgesichtsfrakturen. I: LeFort-I-Fraktur, II: LeFort-II-Fraktur, III: LeFort-III-Fraktur, IV: Sa-gittalfraktur im Bereich des Oberkiefers, X: Nasenbein-frakturen. blau: potenzielle Plattenlokalisationen. Quelle:Hell B. Zentrale Mittelgesichtsfrakturen. In: Wirth C,Mutschler W, Kohn D et al., Hrsg. Praxis der Orthopädieund Unfallchirurgie. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2013.

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tenstärken mit ein und derselben Schraube verwendetwerden können (▶Abb. 1b). Die durch das Osteosynthe-sematerial aufzunehmenden Kräfte sind nicht vergleich-bar mit denen im Unterkiefer. Deshalb sind, nach den Er-fahrungen in der Autorenklinik, eine Plattenprofilstärkevon 0,5mm ausreichend. Nur beim Vorhandensein z.B.größerer Knochenlücken insbesondere im Bereich des la-teralen Mittelgesichtspfeilers ist eine Plattenprofilstärkevon 0,7 oder 0,8mm zu empfehlen. Im Bereich des Infra-orbitalrandes und zur Fixierung einzelner Knochenfrag-mente z.B. im Bereich der Kiefer- oder Stirnhöhlenvor-derwand ist sogar noch dünneres Osteosynthesematerial(z. B. 0,4mm Profilstärke) als suffizient zu erachten.

Auch hier konzentrieren sich die neuesten Entwicklungeninzwischen auf anatomisch präformierte Osteosynthese-platten (▶ Abb. 23). Wie im Unterkiefer, soll dies auchim Mittelgesicht das Konturieren der Platten erleichternund die Operationszeiten reduzieren.

Hinsichtlich der Schrauben sind Durchmesser zwischen1,3 und 1,5mm und Längen zwischen 4–6mm zu emp-fehlen. Winkelstabile Schrauben kommen bis dato im Be-reich des Mittelgesichts i. d.R. noch nicht zum Einsatz.

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Page 12: Prinzipien der Osteosynthese im Bereich des Gesichtsschädels€¦ · empfiehlt sich, je Fraktur- bzw. Defektseite mindestens 3, besser 4–5 Schrauben zu platzieren. Die Indikationen

▶ Abb. 23 Anatomisch präformierte Platten für das Mittelgesicht. a Isoliert für lateralen Mittelgesichtspfeiler. b Für lateralen und medialen Mit-telgesichtspfeiler in Kombination (KLS-Martin, Deutschland).

▶ Abb. 24 Reposition einer unkomplizierten Fraktur des Jochbein-komplexes und Osteosynthese mit einer Platte im Bereich der Cristazygomaticoalveolaris.

▶ Abb. 25 3-D-C-Bogen zur intraoperativen Anwendung (Siemens,Deutschland).

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Anwendungsbeispiele derOsteosynthese im Mittelgesicht

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Frakturen des Jochbeinkomplexes

Bei unkomplizierten Frakturen des Jochbeinkomplexes istes häufig ausreichend, über einen intraoralen Zugangnach Reposition eine einzige Platte im Bereich der Cristazygomaticoalveolaris zu fixieren (▶ Abb. 24). Hiermitkann eine ausreichende Stabilität erreicht werden. Beidieser Art der Versorgung ist eine intraoperative3‑D‑Bildgebung z.B. unter Einsatz eines 3‑D‑C-Bogens(▶ Abb. 25) oder eines intraoperativen DVT sinnvoll, umneben der osteosynthetisch stabilisierten Fraktur auchdie Reposition im Bereich der übrigen Frakturlinien desJochbeinkomplexes, wie die Sutura frontozygomaticaund den Infraorbitalrand, zu visualisieren [10,11]. Alter-nativ ist hier natürlich auch eine Palpation möglich. ImBereich des Infraorbitalrandes ist dies meist suffizientmöglich. Im Bereich des lateralen Orbitarandes bzw. derSutura frontozygomatica sind jedoch Fehlinterpretatio-nen möglich. Sollte eine ausreichende Stabilisierung desJochbeinkomplexes über eine Platte im Bereich der Cristazygomaticoalveolaris nicht möglich sein, werden weitereOsteosyntheseplatten, z. B. im Bereich der Sutura fronto-zygomatica oder ggf. auch im Bereich des Infraorbitalran-des, notwendig.

Während für die Osteosynthese im Bereich der Crista zy-gomaticoalveolaris ein intraoraler Zugang über einen ves-tibulären Schnitt ausreichend ist, empfiehlt sich als ope-rativer Zugangsweg zum lateralen Orbitarand der soge-nannte Blepharoplastikzugang im Bereich des lateralenAugenlids [4]. Hierdurch können sichtbare Narben in derRegel vermieden werden. Bei einer zusätzlich notwen-digen Osteosyntheseplatte im Bereich des Infraorbital-randes, kann diese nicht nur durch einen zusätzlichen Zu-gang durch das Unterlid eingebracht werden. Hierzu ist invielen Fällen auch die Verwendung des bereits vorhande-nen intraoralen Zugangs möglich, da die Osteosynthese-

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Page 13: Prinzipien der Osteosynthese im Bereich des Gesichtsschädels€¦ · empfiehlt sich, je Fraktur- bzw. Defektseite mindestens 3, besser 4–5 Schrauben zu platzieren. Die Indikationen

▶ Abb. 26 Isoliert von intraoral versorgte Fraktur des Jochbein-Orbita-Komplexes. a Präoperativer CT-Befund mit Dislokation des Orbitabodens.b Intraoperative 3‑D-C-Bogen-Kontrolle. Durch alleinige Reposition desJochbein-Orbita-Komplexes kam es zu einer suffizienten Reposition desOrbitabodens. Eine Orbitarekonstruktion war nicht notwendig.

▶ Abb. 27 Mittels Miniplattenosteosynthese versorgte zentrolateraleMittelgesichtsfraktur. In die rechte Orbita wurde ein anatomisch prä-formiertes Implantat implantiert.

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platte auch kaudal des N. infraorbitalis zur Stabilisierungdes Jochbeinkomplexes fixiert werden kann. Nach Auto-renmeinung wird somit ein zusätzlicher Zugang zum In-fraorbitalrand durch das Unterlid nur bei ausgesprengtenFragmenten, komplexen Verlagerungen sowie bei der In-dikation zur Orbitarekonstruktion notwendig.

Frakturen des Jochbein-Orbita-Komplexes

Häufig zeigt sich bei Frakturen des Jochbeinkomplexesauch eine Dislokation im Bereich des Orbitabodens. Hier-bei stellt sich regelhaft die Frage, ob der Orbitabodeneiner operativen Rekonstruktion zusätzlich zur Repositionund Stabilisation des Jochbeinkomplexes bedarf. Die Er-fahrung hat hier gezeigt, dass häufig eine alleinige Repo-sition und Fixierung des Jochbeinkomplexes nach denoben beschriebenen Prinzipien ausreichend ist, um auchden Orbitaboden suffizient und anatomisch regelrecht zureponieren. Eine Orbitarekonstruktion ist in solchen Fäl-len nur selten notwendig. Zur intraoperativen Entschei-dungshilfe hierüber ist die bereits erwähnte intraopera-tive 3‑D‑C-Bogen- oder DVT-Bildgebung zu empfehlen.Diese erlaubt die intraoperative Beurteilung der Reposi-tion und ermöglicht somit die Entscheidung, ob zusätz-lich eine Orbitarekonstruktion indiziert ist (▶Abb. 26)[10,11].

Wenig komplexe zentrolaterale Mittel-gesichtsfrakturen

Bei wenig komplexen zentrolateralen Mittelgesichtsfrak-turen müssen neben den Frakturen im Bereich des Joch-bein- oder Jochbein-Orbita-Komplexes auch die Fraktu-ren im zentralen Mittelgesicht adressiert werden. Hierzusollte das zusätzliche Osteosynthesematerial im Bereichder paranasalen bzw. zentralen Mittelgesichtspfeiler fi-xiert werden (▶ Abb. 27).

LeFort-Frakturen

Bei den LeFort-Frakturen ist entweder der gesamte Ober-kiefer (LeFort I), die Gesichtspyramide (LeFort II) oder dasgesamte Mittelgesicht (LeFort III) von der Schädelbasisabgesprengt (▶Abb. 22). Die Osteosynthese erfolgt ana-log der beschriebenen Prinzipien entlang der zentralenund lateralen Mittelgesichtspfeiler mittels Miniplatten-osteosynthese. Sollte das Mittelgesicht jedoch einge-staucht sein und daraus eine fehlerhafte Okklusion resul-tieren, wird ggf. eine komplette oder zusätzliche LeFort-I-Osteotomie mit Down Fracture des Oberkiefers wie beieiner Dysgnathieoperation notwendig, um die Okklusionregelgerecht einzustellen. Dies betrifft gleichermaßenLeFort-I-, ‑II und -III-Frakturen.

MerkeEine intraoperative 3‑D‑Bildgebung ermöglicht dieVisualisierung der Reposition bereits während desEingriffs. Dies ermöglicht minimalinvasive Zugängeund es werden Revisionsoperationen verhindert.

Wilde F, Schramm A. Prinzipien der Osteosynthese… OP-JOURNAL 2019; 35: 45–61

Orbitawandfrakturen

Orbitawandfrakturen können einerseits isoliert, anderer-seits auch in Kombination mit zentralen, lateralen bzw.zentrolateralen Mittelgesichtsfrakturen auftreten. Dabeisollten prinzipiell vor einer Orbitarekonstruktion immererst die Mittelgesichtsfrakturen anatomisch regelgerechtversorgt werden.

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▶ Abb. 28 3-D‑Modell eines anatomisch präformiertenOrbitagitters (DePuy/Synthes, Schweiz).

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Als operativer Zugang für die Orbitarekonstruktion emp-fiehlt sich laut Autorenmeinung ein transkonjunktivalerZugang, der ggf. transkarunkulär erweitert werden kann[4]. Hierdurch besteht die Möglichkeit der Explorationder Orbita bis zu 270°, da über diesen Zugang auch diemediale Orbitawand bis zur Schädelbasis disseziert wer-den kann. Eine schonende Präparation ist dabei von größ-ter Wichtigkeit, um einerseits den N. infraorbitalis nichtzusätzlich zu schädigen und andererseits die feinen Au-genmuskeln nicht zu verletzen.

Zur Orbitawandrekonstruktion werden heutzutage fasteinheitlich Titangitter empfohlen. Von Autorenseite kön-nen Akutversorgung insbesondere anatomisch präfor-mierte Orbitarekonstruktionsgitter empfohlen werden,die bereits die typische Form des Orbitabodens vorgeben(▶ Abb. 28). Von entscheidender Bedeutung ist die Posi-tionierung des Titangitters im Bereich der posteriorenAuflage, die im Rahmen der Orbitadissektion aufgesuchtwerden muss. Weiter muss streng darauf geachtet wer-den, dass die implantierten Gitter posterior nicht nachkranial abstehen oder periorbitales Gewebe einklemmenund so möglicherweise die Augenmuskeln in ihrer Funk-tion komprimitieren.

Eine deutliche Fehlpositionierung des Gitters kann dabeidurch den Einsatz einer intraoperativen 3‑D‑Bildgebungmit hoher Sicherheit verhindert werden [11].

Neben der in der Autorenklinik bei Orbitarekonstruktio-nen obligaten intraoperativen 3‑D‑Bildgebung empfiehltsich weiterhin bei komplexen Fällen die Verwendung derintraoperativen Instrumentennavigation. Durch die zu-nehmende Tendenz hin zu patientenspezifischen Implan-taten, die präoperativ computerassistiert geplant und

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mittels CAD-Verfahren additiv mittels selektiv laser mel-ting hergestellt werden, tritt diese jedoch heutzutagemehr und mehr in den Hintergrund. Die Passung solcherpatientenspezifischer Implantate erreicht mittlerweileeine solch hohe Präzision, dass eine relevante Fehlpositio-nierung und mehrfache Korrektur der Gitterlage, die mit-tels der Navigation strahlungsfrei durchgeführt werdenkann, nicht mehr erforderlich ist (▶Abb. 29) [12].

MerkeBei Orbitawandrekonstruktionen sind Titangitter derRekonstruktionsmaterial der Wahl. Anatomisch prä-formierte oder patientenspezifische Implantate er-leichtern dabei die Rekonstruktion erheblich. DieFehlpositionierung des Orbitaimplantats kann durchden Einsatz einer intraoperativen 3‑D‑Bildgebung mithoher Sicherheit verhindert werden.

Komplexe Mittelgesichtsfrakturen

Bei komplexen Mittelgesichtsfrakturen muss im Bedarfs-fall neben einem intraoralen und transkonjunktivalen Zu-gang noch ein koronarer Zugang gewählt werden, umggf. Jochbögen, Supraorbitalrand sowie Stirnhöhle ein-schließlich des nasoethmoidalen Komplexes osteosyn-thetisch versorgen zu können. In Abhängigkeit vom Frak-turmuster, empfiehlt sich die Mittelgesichtspfeilerrekon-struktion von lateral nach medial und/oder von kranialnach kaudal. Weiter sollte immer von weniger komplexnach komplex rekonstruiert werden. Demnach ist es ofthilfreich, die Fraktur durch eine anatomische Repositionund Fixierung von größeren Komplexen zu vereinfachen,bevor man die Mittelgesichtspfeiler und die Okklusionwiederherstellt.

Bei größeren Knochenverlusten insbesondere im Bereichder Kieferhöhlenvorderwand oder der Stirnhöhlenvorder-wand empfiehlt es sich, diese Strukturen z.B. mittels Ti-tangittern zu rekonstruieren (▶Abb. 30).

Bei zusätzlichen Frakturen im Bereich der Maxilla im Sin-ne von Sagittalfrakturen sollte eine stabilisierende Osteo-syntheseplatte transversal unterhalb der Apertura pirifor-mis platziert werden. Um ein Auseinanderweichen im Be-reich des posterioren Gaumens zu vermeiden und einezusätzliche Stabilisierung zu erreichen, empfiehlt sichnach Autorenmeinung die Platzierung einer Osteosyn-theseplatte im Bereich des Gaumens. Eine solche kannbei modernen Osteosynthesesystemen mit winkelstabi-len Schrauben transgingival im Sinne eines Fixateur ex-terne unkompliziert erfolgen (▶ Abb. 31). Hierdurchkann z.B. auf einen transpalatinalen Draht verzichtetwerden. Zur passiven regelgerechten Einstellung der Ok-klusion wird ggf. wie bereits im Abschnitt LeFort-Frak-turen beschrieben, eine komplette oder zusätzliche Le-Fort-I-Osteotomie mit Down Fracture des Oberkiefersnotwendig.

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▶ Abb. 29 Computerassistierte Sekundärrekonstruktion der linken Orbita mittels eines patientenspezifischen Implantats. a Insuf-fizient rekonstruierte linke Orbita. b Virtuelle Operationsplanung mittels iPlanCMF 3.0 (Brainlab, Deutschland). c Computer-AidedDesign des patientenspezifischen Implantats (KLS-Martin, Deutschland). d Simulation der Rekonstruktion mit virtuell implantier-tem patientenspezifischen Implantat. e Implantation des patientenspezifischen Implantats über transkonjunktivalen Zugang undÜberprüfung der Position mittel Navigationssystem (Brainlab, Deutschland). Dabei spiegelt die lila Kontur die Oberfläche des Im-plantats im Situs wider. f Multiplanare Ansicht der intraoperativen 3‑D‑C-Bogen-Bildgebung nach Fusion mit der präoperativenPlanung. Das Implantat kommt exakt in der geplanten Position zu liegen.

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▶ Abb. 30 Mittels Miniplattenosteosynthese versorgte panfaziale Fraktur.Im Bereich der rechten Kieferhöhlenvorderwand wurde ein Titangitter zurRekonstruktion inseriert.

▶ Abb. 31 Transgingival eingebrachte winkelstabileOsteosyntheseplatte im Bereich des Gaumens im Sinneeines Fixateur externe. Hierdurch wurde eine Oberkiefer-sagittalfraktur im posterioren Bereich stabilisiert. Auf ei-nen transpalatinalen Draht konnte somit verzichtet wer-den. In die rechte Orbita wurde ein anatomisch präfor-miertes Implantat implantiert.

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Insbesondere bei solch komplexen Frakturmustern emp-fiehlt sich der Einsatz der computerassistierten Chirurgiemit präoperativer Planung, patientenspezifischen Im-plantaten, intraoperativer Instrumentennavigation sowieintraoperativer 3‑D‑Bildgebung [10–12].

Panfaziale Frakturen

Bei panfazialen Frakturen mit Frakturen im Bereich desOber- und Unterkiefers (▶Abb. 30) sollte hinsichtlichder Sequenzierung des operativen Vorgehens primär ge-klärt werden, ob man von kranial nach kaudal oder ggf.von kaudal nach kranial rekonstruiert. Im Vordergrundsteht auch hier wie bei allen Rekonstruktionen immerdie Wiederherstellung der Okklusion sowie der knöcher-nen korrekten Anatomie hinsichtlich Breite, Höhe und an-terior–posteriorer Projektion. Dabei empfiehlt sichgrundsätzlich, von den weniger komplexen Frakturen zuden komplexeren zu rekonstruieren.

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FAZIT

▪ Bei der Osteosynthese im Bereich des Gesichts-

schädels spielt neben der Anatomie die Bio-

mechanik die entscheidende Rolle hinsichtlich der

Positionierung des Osteosynthesematerials.

▪ Bei Unterkieferfrakturen mit guter Anlagerungs-

fläche der Frakturfragmente ist die Miniplatten-

osteosynthese mit monokorticalen Schrauben im

Sinne einer Load-sharing-Osteosynthese das Mit-

tel der Wahl. Das Prinzip der Load-bearing-

Osteosynthese unter Einsatz von dickerem

Osteosynthesematerial in Kombination mit bikor-

tikalen Schrauben sollte eingesetzt werden, wenn

keine ausreichende Anlagerungsfläche des Kno-

chens im Bruchspaltbereich möglich ist.

▪ Im Mittelgesicht kommen ausschließlich Miniplat-

ten zum Einsatz. Diese sollten primär im Bereich

der medialen und lateralen Mittelgesichtspfeiler

implantiert werden. In Abhängigkeit vom Frak-

turmuster sollte die Rekonstruktion von lateral

nach medial und/oder von kranial nach kaudal er-

folgen.

▪ Auf extraorale Zugänge sollte, wenn immer mög-

lich, sowohl im Unterkiefer als auch im Bereich

des Mittelgesichts verzichtet werden. Sollten die-

se dennoch notwendig sein, werden die Zugänge

so gewählt werden, dass sie möglichst unsichtbar

bleiben.

▪ Moderne Osteosynthesesysteme sind so konzep-

tioniert, dass alle Platten mit allen Schrauben

verwendet werden können. Im Bereich der Un-

terkiefersysteme können zusätzlich sowohl win-

kelstabile als auch nicht winkelstabile Schrauben

miteinander kombiniert werden.

▪ Die neuesten Entwicklungen gehen in Richtung

anatomisch präformierter Osteosyntheseplatten.

Diese sollen das Konturieren der Platten erleich-

tern, die Plattenfrakturgefahr mindern und Ope-

rationszeiten reduzieren.

▪ Die computerassistierte Chirurgie ist mittlerweile

ein integraler Bestandteil der modernen Ge-

sichtsschädelrekonstruktion. Neben der präope-

rativen Computerplanung bietet insbesondere

der Einsatz einer intraoperativen 3‑D‑Bildgebung

große Vorteile.

▪ Patientenspezifische mittels CAD‑CAM-Verfahren

hergestellte Implantate finden in der Akuttrau-

matologie derzeit noch wenig Anwendung. Die

Anwendung solcher patientenspezifischer Im-

plantate konzentriert sich auf Sekundärrekon-

struktionen oder die Rekonstruktion von größe-

ren Defekten nach ablativer Chirurgie.

e F, Schramm A. Prinzipien der Osteosynthese… OP-JOURNAL 2019; 35: 45–61

Page 17: Prinzipien der Osteosynthese im Bereich des Gesichtsschädels€¦ · empfiehlt sich, je Fraktur- bzw. Defektseite mindestens 3, besser 4–5 Schrauben zu platzieren. Die Indikationen

Interessenkonflikt

Wilde

Referententätigkeit für Firmen DePuy/Synthes und KLS Martin.

Autorinnen/Autoren

F, Schramm A. P

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Frank Wilde

Priv.-Doz. Dr. med. Dr. med. dent., LeitenderOberarzt und stellvertretender ärztlicher Direk-tor der Klinik für Mund-, Kiefer- und plastischeGesichtschirurgie am Bundeswehrkrankenhaus

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Alexander Schramm

Prof. Dr. med. Dr. med. dent. habil., ÄrztlicherDirektor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Ge-sichtschirurgie am Universitätsklinikum Ulm

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Priv.-Doz. Dr. Dr. Frank WildeLeitender Oberarzt und stellv. ärztl. DirektorKlinik für Mund-, Kiefer- und plastische GesichtschirurgieBundeswehrkrankenhaus UlmOberer Eselsberg 4089075 UlmOberarzt der Klinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsklinikum UlmAlbert-Einstein-Allee 1189075 [email protected]

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Literatur

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DOI https://doi.org/10.1055/a-0724-6264Online-publiziert 30.11.2018 | OP-JOURNAL 2019; 35: 45–61© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New YorkISSN 0178‑1715

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