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ISSN 1869-6597 3344 Papier aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff neu r aktuell Informationsdienst für Neurologen und Psychiater Gebühr bezahlt Inhalt Editorial Zurück zur Drehtürpsychiatrie? 3 Kommentare MUSS Stress eigentlich immer Aggressionen hervorrufen? 8 Arzt-Bewertungsportale - wie zufrieden sind Praxisinhaber? 8 Stressforschung: „Gleiche Augenhöhe" 10 Multiple Sklerose Neurodegeneration bei Multipler Sklerose 10 Neuro-Quiz Was passieren kann, wenn ein Praxis- inhaber die Urlaubswünsche seiner Belegschaft nicht berücksichtigt 12 FSME Was der Neurologe über Frühsommer- Meningo-Enzephalitis wissen sollte 14 Borreliose Borreliose und assoziierte psychische Erkrankungen 15 Kurz berichtet Kein eindeutiger Beweis für „chronischen Botulismus" beim Menschen 19 Bipolare Störungen Schwerpunkt Manie - Probleme und Prophylaxe 25 Neuro-Forschung Schlaganfalltherapie mit modernen Kathetern senkt Sterberate deutlich 26 Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung an einzelnen Neuronen ersichtlich 29 Spastische Spinalparalyse: Neue Erkenntnisse zur Pathogenese 30 Interessante Perspektiven für die Wiederherstellung der Handmotorik nach Schlaganfällen 31 Wird Panikstörung ausgelöst durch Hyperaktivierung des linken inferioren frontalen Kortex? 32 Neurostimulation, eine neue Therapie- option bei chronischer Migräne? 33 Ausschreibung / News 34 Angst Transkulturelle Aspekte von Angststörungen bei Migranten 42 Forum 45 Parkinson Demenz bei Morbus Parkinson Altruismus Ist Altruismus anatomisch bedingt? 47 20 Impressum 47 Ausgabe 3 April 2013 Der Burnout des optimierten Menschen Burnout ist das Ergebnis eines länger dauernden, nicht bewältigbaren Stressprozesses. Nicht jeder Stressor wirkt sich bei unterschiedlichen Perso- nen gleich stark aus. Jeder wird entsprechend seiner Persönlichkeit, Erziehung und Ausbildung, seinem individuellen Lebensstil und seinen Per- sönlichkeitseigenschaften, Resilienzfaktoren usw. ein individuelles Bewältigungsmuster (coping) aufweisen. Als Stressoren sind auch Umweltfakto- ren wie allgemeine gesellschaftliche, sozioökono- mische, kulturelle Umweltbedingungen, Lebens- und Arbeitsbedingungen, Gemeinde und engeres soziales Umfeld von größerer Bedeutung (Dahl- gren und Whitehead 2006, Zaudig et al. 2012, Ber- berich et al. 2012). Veränderte Umweltbedingun- gen führen zu erhöhter Anpassungsleistung und zu forcierter Optimierung z. B. durch Leistungs- steigerung unter Zuhilfenahme von Medikamen- ten usw. In Deutschland gilt mehr als ein Drittel der Werkstätigen als Burnout-gefährdet; alle aktu- ellen Gesundheitsberichte (2011/2012) der Kran- kenkassen (s. u.) belegen, dass psychische Krankheiten in den letzten 20 Jahren drama- tisch zugenommen haben, vor allem De- pressionen und Anpassungsstörungen. Fortsetzung auf Seite 3

Informationsdienst für Neurologen und Psychiater€¦ · als Ursache eine extreme Verdichtung des Arbeitspro-zesses, der immense, kaum zu bewältigende Informa-tionsfluss, hohe Anforderung

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Page 1: Informationsdienst für Neurologen und Psychiater€¦ · als Ursache eine extreme Verdichtung des Arbeitspro-zesses, der immense, kaum zu bewältigende Informa-tionsfluss, hohe Anforderung

ISSN 1869-6597 3344Papier aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff

neu raktuell

Informationsdienst für Neurologen und Psychiater

Gebühr bezahlt

InhaltEditorialZurück zur Drehtürpsychiatrie? 3

KommentareMUSS Stress eigentlich immerAggressionen hervorrufen? 8

Arzt-Bewertungsportale -wie zufrieden sind Praxisinhaber? 8

Stressforschung:„Gleiche Augenhöhe" 10

Multiple SkleroseNeurodegeneration bei MultiplerSklerose 10

Neuro-QuizWas passieren kann, wenn ein Praxis-inhaber die Urlaubswünsche seinerBelegschaft nicht berücksichtigt 12

FSMEWas der Neurologe über Frühsommer-Meningo-Enzephalitis wissen sollte 14

BorrelioseBorreliose und assoziierte psychischeErkrankungen 15

Kurz berichtetKein eindeutiger Beweis für„chronischen Botulismus" beimMenschen 19

Bipolare StörungenSchwerpunkt Manie -Probleme und Prophylaxe 25

Neuro-ForschungSchlaganfalltherapie mit modernenKathetern senkt Sterberate deutlich 26

Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankungan einzelnen Neuronen ersichtlich 29

Spastische Spinalparalyse:Neue Erkenntnisse zur Pathogenese 30

Interessante Perspektiven für dieWiederherstellung der Handmotoriknach Schlaganfällen 31

Wird Panikstörung ausgelöst durchHyperaktivierung des linken inferiorenfrontalen Kortex? 32

Neurostimulation, eine neue Therapie-option bei chronischer Migräne? 33

Ausschreibung / News 34

AngstTranskulturelle Aspekte vonAngststörungen bei Migranten 42

Forum 45

ParkinsonDemenz bei Morbus Parkinson

AltruismusIst Altruismus anatomisch bedingt? 47

20 Impressum 47

Ausgabe 3April 2013

Der Burnout desoptimierten MenschenBurnout ist das Ergebnis eines länger dauernden,nicht bewältigbaren Stressprozesses. Nicht jederStressor wirkt sich bei unterschiedlichen Perso-nen gleich stark aus. Jeder wird entsprechendseiner Persönlichkeit, Erziehung und Ausbildung,seinem individuellen Lebensstil und seinen Per-sönlichkeitseigenschaften, Resilienzfaktoren usw.ein individuelles Bewältigungsmuster (coping)aufweisen. Als Stressoren sind auch Umweltfakto-ren wie allgemeine gesellschaftliche, sozioökono-mische, kulturelle Umweltbedingungen, Lebens-und Arbeitsbedingungen, Gemeinde und engeressoziales Umfeld von größerer Bedeutung (Dahl-gren und Whitehead 2006, Zaudig et al. 2012, Ber-berich et al. 2012). Veränderte Umweltbedingun-gen führen zu erhöhter Anpassungsleistung undzu forcierter Optimierung z. B. durch Leistungs-steigerung unter Zuhilfenahme von Medikamen-ten usw. In Deutschland gilt mehr als ein Drittelder Werkstätigen als Burnout-gefährdet; alle aktu-ellen Gesundheitsberichte (2011/2012) der Kran-kenkassen (s. u.) belegen, dass psychischeKrankheiten in den letzten 20 Jahren drama-tisch zugenommen haben, vor allem De-pressionen und Anpassungsstörungen.

Fortsetzung auf Seite 3

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editorialZurück zur Drehtürpsychiatrie?

Sehr geehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,

im Sommer letzten Jahres verabschiedete der Bundes-tag das Psychiatrie-Entgeltgesetz, welches den Rah-men für eine neue Finanzierung der Krankenhaus-behandlung von Menschen mit psychischen Erkran-kungen setzen soll und ab Januar diesen Jahres inKraft ist. Man gewinnt den Eindruck, dass hier mit-tels eines neuen „Entgeltkatalogs", quasi im Rahmeneines Feldversuchs, die stationären Behandlungskos-ten für Menschen, die vor allem unter schweren psy-chischen Erkrankungen wie Depressionen, Schizophre-nien und auch Demenzen leiden, gesenkt werden sol-len. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psycho-therapie und Nervenheilkunde (DGPPN) protestierteim Oktober letzten Jahres zusammen mit zahlreichenweiteren Fach- und Betroffenen-Verbänden: Mit die-sem überstürzt und auf einer völlig unzulänglichenDatenbasis entwickelten „Entgeltkatalog" würden nurFehlanreize gesetzt. Belohnt werde derjenige, der Pa-tienten ohne ausreichende Gesundung vorschnell wie-der aus dem Krankenhaus entlässt. Häufige Rückfäl-le und Wiederaufnahmen seien so vorprogrammiert.Die „Drehtürpsychiatrie" werde finanziell belohnt, dieKrankenhäuser würden ermuntert, vorzugsweise sol-che Patienten zu behandeln, die weniger schwer kranksind. Persönliches Leid der Betroffenen, Chronifizie-rung der Erkrankung, extreme Belastung der Famili-en und Angehörigen seien die Folge.Dabei gab es in den letzten Jahren genug warnendeHinweise von Patienten-, Angehörigen- und Fachver-bänden, von den Verbänden der Krankenhausträgerund von den Bundesländern, die alle vom Bundes-gesundheitsministerium ignoriert wurden. Vor allemwurde gefordert, sich bei der Entwicklung eines neuenFinanzierungssystems mehr Zeit zu lassen, da es an-ders als bei Einführung des DRG-Systems in der soma-tischen Medizin vor zehn Jahren keinerlei Vergleichs-modell - auch nicht international - gibt, an dem mansich orientieren könnte.In welchem Ausmaß stationär-psychiatrische Behand-lungen in den letzten Jahren zunahmen und was evtl.noch auf uns zukommt, wird auch aus den Zahlen desKrankenhausreports 2011 der Barmer GEK - an demsich das Bundesgesundheitsministerium möglicherwei-se orientierte - deutlich: Die Zahl der speziell wegenpsychischer Störungen im Krankenhaus Aufgenomme-nen stieg in den letzten 20 Jahren um 129 Prozent.Laut Gesundheitssurvey 2012 des Robert-Koch-Insti-tuts (Bundesgesundheitsblatt) leidet mindestens jedervierte Mann und jede dritte Frau im Laufe des Lebens

unter einer ernsthaften psychischen Störung. Dabeiwurde die stationäre Behandlungsdauer inzwischenschon von 45 auf 31 Tage gesenkt. Circa ein Drittelder Patienten wird innerhalb von 30 Tagen nach Ent-lassung, etwa die Hälfte in den ersten drei Monatenerneut stationär behandelt.Wir sollten uns also darauf einstellen, dass eine solcheÄnderung der Vergütung für die stationär psychiatri-sche Behandlung, insbesondere der schwer psychischErkrankten, zu einer erheblichen Verschlechterungihrer medizinischen Betreuung führen wird, und dassdie beschränkten vertragsärztlichen Möglichkeitendiese Entwicklung kaum auffangen werden können.

Mit freundlichem kollegialem Gruß

Ihr Benno Huhn

Fortsetzung von Titelseite

Der Burnout des optimierten Menschen

Michael Zaudig, Windach

Die depressive Episode ist die dritthäufigste Erkran-kung, gefolgt von Anpassungsstörung als vierthäu-figste. Laut Barmer/GEK-Report 2011 ergab sich inden letzten 20 Jahren eine Zunahme psychischer Er-krankungen von 57%. Die wesentlichen Einflussfak-toren auf den Krankenstand waren Arbeitslosigkeit,hohe Arbeitsbelastung und schlechtes Betriebsklima.Nahezu alle Krankenkassenstudien zu Burnout sehenals Ursache eine extreme Verdichtung des Arbeitspro-zesses, der immense, kaum zu bewältigende Informa-tionsfluss, hohe Anforderung an Flexibilität und Mo-bilität, Verschärfung der Spielregeln in der Arbeit mitvermehrten Konflikten, mangelnde Anerkennung undimmer weniger Handlungsspielräume (Melchior et al.2007, DAK-Report 2012, Zaudig et al. 2012). Mankönnte von einer Burnout-Epidemie sprechen - ande-rerseits stellt sich auch die Frage, ob es sich nicht umeine Burnout-Hysterie handelt (Kratzer 2012).

Entwicklung des Burnout-Konzepts _

Erstmalig beschrieb der New Yorker PsychoanalytikerHerbert J. Freudenberger 1974 „Burnout" als einen„...Energieverschleiß, eine Erschöpfung aufgrund vonÜberforderungen, die von innen oder außen - durchFamilie, Arbeit, Freunde, Liebhaber, Wertsysteme oderdie Gesellschaft - kommen kann und einer PersonEnergie, Bewältigungsmechanismen und innere Kraftraubt. Burnout ist ein Gefühlszustand, der begleitet istvon übermächtigem Stress und der schließlich persön-liche Motivationen, Einstellungen und Verhalten be-einträchtigt". Obwohl inzwischen unendlich viel dazugeschrieben wurde, ist diese Definition bis heute als

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gültig anzusehen. Galt Burnout früher als ein spezifi-sches Problem von in Sozialberufen tätigen Menschen(Freudenberger 1974), dürfte es heute nahezu keineBerufsgruppe mehr geben, die von Burnout unbelas-tet ist. Christine Maslach und Susan Jackson, zweiamerikanische Gesundheitspsychologinnen, entwickel-ten 1984 im Kontrast zu Freudenbergers psychosozi-alem Ansatz den eher organisationsorientierten An-satz, der die Ursachen von Burnout stärker auf Seiteder Arbeitsorganisation und der damit einhergehen-den Interaktion sieht. Inzwischen haben auch sie sichder Ansicht angenähert, dass sowohl organisatorischeals auch individuelle psychische Voraussetzungen ander Entstehung von Burnout beteiligt sind (Maslachund Jackson 1996). Sie entwickelten das bis heuteam häufigsten verwendete Inventar zur Messung vonBurnout: Maslach Burnout Inventory - MBI. Das MBIdefiniert Burnout durch drei Skalen: (1) Emotiona-le Erschöpfung (Emotional exhaustion) - ausgelaugt,ausgebrannt; (2) Depersonalisation - Zynismus, abge-stumpft, negativ, und (3) Leistungs(un)-zufriedenheit(Personal accomplishment) - insuffizientes Arbeiten,gefühlte Inkompetenz.

Burnout-Symptomatik /- Syndrom

Burnout kann als singuläres Symptom im Sinne vonAusgebranntsein verstanden werden, als Syndromwird es zwar in der Literatur häufig beschrieben, abermit höchst unterschiedlicher Symptomatik, z .B. führtBurisch (2010) mehr als 130 verschiedene Symptomean. In der Regel handelt es sich um stressbezogeneSymptome, die sich körperlich, behavioral oder kogni-tiv-emotional zeigen können (siehe Tabelle).Chronischer Stress hat nicht nur schädliche Ein-flüsse auf die körperliche Gesundheit zur Folge (wiez. B. Gastritis, Hypertonie, Kopf- und Rückenschmer-zen, Diabetes), sondern bewirkt auch Störungen despsychischen und sozialen Wohlbefindens und führt zugeschwächter Immunkompetenz (Müller und Schwarz2012) und gesundheitlichem Risiko verhalten (sieheTabelle). Die Burnout-Symptomatik stellt ein psycho-vegetatives Erschöpfungssyndrom in Folge multipler,zum Teil chronischer Stressbelastungen dar.

Diagnostik

Inzwischen ist hinlänglich bekannt und publiziert,dass Burnout keine Krankheit nach ICD-10 oder DSM-

IV-TR darstellt (ausführlich Zaudig et al. 2012, Korc-zak et al. 2010, Kaschka et al. 2011). In ICD-10 wirdBurnout als „Ausgebranntsein" und „Zustand der to-talen Erschöpfung" mit dem ZusatzdiagnoseschlüsselZ73.0 erfasst, d. h. als ein Faktor, der den Gesund-heitszustand beeinflusst und zur Inanspruchnahmedes Gesundheitswesens führt. Ein chronischer Stress-prozess führt in unterschiedlichen Phasen der Ent-wicklung auch zu unterschiedlichen Symptomen, vonleichteren Befindlichkeitsstörungen, vegetativen Stö-rungen (mit leichtem Krankheitswert) über schon aus-geprägtere und klar definierbare Anpassungsstörun-gen bis hin zu typischen Achse I-Störungen wie de-pressive Episode oder Angststörungen. In eigenen Un-tersuchungen (Zaudig et al. 2012) konnte gezeigt wer-den, dass sich (bei klinischen Fällen) unter dem LabelBurnout zu 98% mittelgradige bis schwere depressiveEpisoden verbergen. Bezüglich des Burnout-Prozessesergeben sich höchst individuelle Verlaufsaspekte derSymptomatik, kein allgemeines Syndrom wie von vie-len Autoren behauptet wird. Leider gibt es keine einzi-ge prospektive Langzeitstudie dazu.

Ursachen des Burnout

Der Begriff Burnout wird immer in Zusammenhangmit chronischem Stress und Formen der Stressbewäl-tigung gebracht; Burnout ist das Resultat eines chroni-schen Stressprozesses, der sich nach Cherniss (1980)aus Umweltstressoren, Stress und psychologischer An-passung zusammensetzt. Stress ist die psychophysi-sche Antwort des Organismus auf eine Belastung.

Stress

Es können drei große Gruppen von Definitionen fürden Stressbegriff unterschieden werden:> Stress als psychophysische Antwort des Organismus

auf alles, was ihn aktiviert und eine emotionale Re-aktion hervorruft (Selye 1936, 1976). Bereits 1936publizierte Selye die erste Version des AllgemeinenAdaptionssyndroms (AAS), das aus drei Phasen be-steht: Alarmreaktion, Widerstandsphase und Er-schöpfung. Chronischer Stress führt zu einer Schwä-chung des Immunsystems (Müller und Schwarz2012) und zu einem ständig erhöhten Cortisonspie-gel mit entsprechenden kognitiven Symptomen wiez. B. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. t>

Burnout-Symptome

emotionaleSymptome

• Reizbarkeit• Aggressivität• Angst• Unruhe• Schuldgefühle• Hilflosigkeit

motivationaleSymptome

• Verlust der Motivation• Resignation• Zynismus• Demoralisierung• Lustlosigkeit

Verhaltens-änderungen

• vermehrtes Risikoverhalten• sozialer Rückzug• Leistungsminderung• vermehrter Konsum von Nikotin, Alko-

hol, Beruhigungstabletten• keinerlei Freizeitaktivitäten

körperlicheSymptome

• Neigung zu Infektanfälligkeit• massive Schlafstörungen• körperliche Erschöpfung• Müdigkeit• Apathie• Magen-Darm-Beschwerden• diffuse Schmerzen

kognitiveSymptome

• Selbstzweifel• Gedächtnis- und

Konzentrationsstörungen

Tabelle: Burnout-Symptome (modifiziert nach Zaudig et al. 2012)

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oW

CDl03

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> Stress als Auslöser = Stressor: In der Life-event-For-schung spielen Stressoren die wichtigste Rolle. Obein Stressor als positiv oder negativ bewertet wird,ist weniger wichtig als die Tatsache, dass sich etwasim Leben verändert und Anpassung erfordert (Hol-mes und Rahe 1967), und

> Stress im Sinne eines interaktiven Prozesses: Nachdem transaktionalen Ansatz der Stressforschung(Lazarus und Volkman 1984) entsteht Stress im Zu-sammenspiel zwischen situativen Anforderungenund individuellen Beurteilungen, Einschätzungender eigenen Ressourcen und Fähigkeiten. Entschei-dend ist die jeweils subjektive Bewertung der Anfor-derung, nicht allein die objektive Stärke eines Stres-sors. Kognitive Bewertung (appraisal), Stress undBewältigung (coping) sind nach Lazarus untrennbarmiteinander verwoben. Demnach kann jedes rele-vante Ereignis oder jeder Reiz einen Stressor dar-stellen oder auch nicht, je nachdem, ob er von einerPerson als solcher bewertet wird oder eben auchnicht. Individuelle Faktoren dürften bei der Burn-out-Entwicklung ähnlich wichtig sein wie äußereStressoren.

Vulnerabilität und Resilienz

Die Passung zwischen Person und Umwelt wird alsentscheidend für die Resistenz gegen die Entwicklungeines Burnout-Syndroms angesehen (Swider und Zim-mermann 2010, Berberich et al. 2012). Wie Menschenauf einen Stressor reagieren, hängt ganz wesentlichvon seinen Sensibilitäten (Vulnerabilität) oder Stärken(Resilienz) ab. Welche Art der Vulnerabilität oder Resi-lienz bei einem Individuum vorliegen, wird wiederumdurch genetische Prädisposition, Persönlichkeitseigen-schaften, prä-, peri- und postnatale Stresserfahrun-gen, frühkindliche Schädigung, Erziehung, Ausbildung,individuellen Lebensstil oder durch die sozioökonomi-sche Situation massiv beeinflusst. Die wichtigsten Ri-sikofaktoren für das Auftreten verschiedener psy-chischer Störungen im Erwachsenenalter sind früheStresserfahrungen wie Vernachlässigung, sexuellerund körperlicher Missbrauch, Misshandlungen, chroni-sche familiäre Disharmonie, auffällige psychische Stö-rungen der Eltern usw. (Egle und Hart 2005, Egle undZentgraf 2012). Gesichert ist der Zusammenhang zwi-schen frühen Stresserfahrungen und einer erhöhtenVulnerabilität für psychische Störungen, insbesonde-re für Depression und Angststörungen. Frühe Stress-erfahrungen prädisponieren auch für die Entwicklungverschiedener körperlicher Erkrankungen wie z. B.kardiovaskuläre, metabolische und immunologischeStörungen sowie chronische Schmerzsyndrome undgastrointestinale Beschwerden (Heim 2005, Felitti etal. 2002). Multiple körperliche Beschwerden könnendurch chronischen Stress im Erwachsenenalter ausge-löst oder verschlimmert werden.

Welche Rolle spielen Persönlichkeitseigenschaftenfür die Entwicklung des Burnout?

Viele Publikationen nennen häufig und übereinstim-mend folgende Burnout förderlichen Persönlichkeitsei-

genschaften: emotionale Labilität, besondere Sensibili-tät, Helfersyndrom, perfektionistische Kontrollattribu-tionen, Narzissmus, Arbeitssucht, Ängstlichkeit, Selbst-unsicherheit, mangelnde Resilienz, mangelnde Stress-bewältigungskompetenz usw. (Zaudig et al. 2012).Zahlreiche Studien belegen inzwischen einen Zu-sammenhang von bestimmten Persönlichkeitszügen(traits) und erhöhten Burnout-Maßen, gemessen mitdem MBI (Maslach und Jackson 1996). Am häufigs-ten wurde dieser Zusammenhang überprüft für die„Big Five", das Fünf-Faktoren-Modell mit den Sub-skalen „Neurotizismus", „Extraversion", „Offenheit",„Verträglichkeit" und „Gewissenhaftigkeit" (Costa undMcCrae 1992; Übersicht: Berberich et al. 2012, Zau-dig et al. 2012). Unter allen Studien zeigt die Big-Five-Dimension „Neurotizismus" die stabilste und stärks-te Korrelation zum Gesamtwert des MBI (Swider undZimmermann 2010).

Ebenfalls sehr starke Zusammenhänge finden sichzwischen den MBI-Maßen und dem Hardiness-Kon-zept (Kobasa 1979, Kobasa et al. 1982), insbesonde-re mit den Faktoren Engagement und Kontrolle. DasHardiness-Konzept beinhaltet im Wesentlichen dreiprotektive Persönlichkeitseigenschaften: Engagementund Selbstverpflichtung (commitnient) - dies bedeu-tet, neugierig auf das Leben zu sein und sich mit dem,was man tut, innerlich zu verbinden und sein Besteszu geben -, den Faktor Kontrolle - den Lauf der Dingeselbst bestimmen zu können - und als dritten Faktordie Herausforderung (challenge) - dies bedeutet, dassVeränderungen nicht als bedrohlich wahrgenommenwerden, sondern als positive Chance.Ein weiteres Resilienz-Konstrukt stellt das Konzeptder Selbstwirksamkeit nach Bandura (1997) dar, auchhier gibt es positive Zusammenhänge zwischen Burn-out und der Fähigkeit zur Selbstwirksamkeit.Erstaunlicherweise gibt es jedoch kaum Studien, diesich explizit mit dem Zusammenhang von Persönlich-keitsstörungen (nach ICD-10/DSM-IV-TR) mit demMBI befassen, Ausnahme ist die Untersuchung vonBerberich et al. (2012). Die Autoren fanden, dassBurnout keineswegs nur von äußeren, berufsbeding-

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ten Stressoren abhängig ist, sondern beeinflusst wirdvon zahlreichen Persönlichkeitsfaktoren. Es fandensich deutliche Hinweise auf das gehäufte Vorliegenvon Persönlichkeitsstörungen (dependent, paranoid,vermeidend-unsicher) und akzentuierten Persönlich-keitsstilen (zusätzlich schizoid und Borderline) bei Pa-tienten mit hohen Burnout-Maßen. Diese Studie liefer-te erste Hinweise auf einen Zusammenhang von Burn-out mit Persönlichkeitsstörungen und Akzentuierungnach DSM-IV-TR.

Soziale und arbeitsbezogene Faktoren

Neben Persönlichkeits- und Umweltfaktoren spielen dieArbeitsbedingungen ebenfalls eine sehr wichtige Rollebei der Entstehung eines Burnout-Prozesses. Das „ Jöb-Demand-Control"-Modell nach Karasek (1979) formu-liert zwei wesentliche Dimensionen der Arbeitssituati-on als potenzielle Auslöser eines Burnout-Syndroms:einerseits die konkrete Arbeitsbelastung (job-demand)und andererseits die Kontrolle und Einflussmöglich-keit auf den Arbeitsprozess (job-control). Die Entste-hung von Krankheit wird auf die Diskrepanz zwischenhohen Anforderungen (z. B. Arbeitsmenge) und ge-ringer Kontrolle (z. B. Entscheidungsspielraum) sowiegeringer sozialer Unterstützung (z. B. durch Vorge-setzte, Kollegen) zurückgeführt (Glaser und Herb ig2012). Für diese Konstellation in der Arbeit zeigten

mehrere Metaanalysen ein mehrfach erhöhtes Risikofür das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen,Depression und Mortalität, selbst dann wenn soziode-mografische Merkmale und individuelle Risikofakto-ren kontrolliert wurden (Stansfeld und Candy 2006,Glaser und Herbig 2012). Das Karasek-Modeü wurdezum „demand resources modell" generalisiert (Deme-routi et al. 2001). Hiermit wurden weitere (z. B. emo-tionale oder kognitive) Anforderungen und Ressour-cen unterschieden und in Zusammenhang zu Burnoutund Engagement systematischer untersucht.Siegrist (1996) entwickelte das Modell der Gratifikati-onskrisen. Diese entstehen aus einer Diskrepanz zwi-schen hoher Anstrengung und geringer Belohnung.Auch hier gibt es prospektive Studien, die zeigen, dassbei dieser Konstellation das Risiko der Neuentstehungvon körperlichen und psychischen Erkrankungen wieHerzinfarkt und Depression, aber auch von Burnoutmehrfach erhöht ist (Kivimäki 2007, Borritz et al.2010).

Fortsetzung im nächsten Heft

Literatur beim Verlag

Professor Dr. med. Michael ZaudigPsychosomatische Klinik Windach

Schützenstraße 100 • 86949 WindachTel.: 08193 72 802 • Fax: 08193 72 809,

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Demenzen in der Normalbevölkerung. Im klinischenals auch neuropathologischen Bild ähnelt sie sehr derAD und tritt bei fast allen Betroffenen mit Trisomie21 im höheren Lebensalter auf (Zigman &? Lott 2007).Obwohl Menschen mit Trisomie 21 ein generell erhöh-tes Risiko haben, im Laufe ihres Lebens an einer Epi-lepsie zu erkranken, finden sich auch in dieser Popu-lation Epilepsien, die sich erst im späteren Lebensalterund in zeitlichem Zusammenhang mit einer Demenzer-krankung manifestieren. Resümiert man verschiedeneStudien, die sich mit dem Zusammenhang zwischenEpilepsien und Demenz bei Trisomie 21 befassen, liegtdie prozentuale Häufigkeit von epileptischen Anfällenbei Patienten, die Demenzsymptome entwickelten, bei72,2 % (Martin 2012). Es wird eine schlechte Progno-se bzgl. der Lebenserwartung nach Epilepsiebeginn beiMenschen mit Trisomie 21 und zusätzlicher Demenzbeschrieben (Prasher 1995; De Simone et al. 2010).Tritt im Rahmen einer demenziellen Erkrankung eineEpilepsie auf, beträgt die Lebenserwartung im Durch-schnitt weniger als zwei, maximal fünf Jahre. Andersals die i. d. R. fokalen Anfälle bei der klassischen ADwerden bei Trisomie 21 und Demenz vorwiegend Ab-sencen, generalisiert tonisch/klonische Anfälle und/oder Myoklonien beschrieben (De Simone et al. 2010;Vignoli et al. 2011). Für einen ausführlichen Überblickzum Thema Epilepsie und Demenz bei Trisomie 21sei auf den aktuellen Übersichtsartikel von Martin(2012) verwiesen.

Literatur beim VerlagDipl.-Psych. Dr. Katja Brückner

Abt. Weurologie und Epileptologie • Epilepsiezentrum HamburgEvangelisches Krankenhaus Alsterdorf gGmbH

Bodelschwinghstraße 24 • 22337 HamburgE-Mail: [email protected]

depressionFortsetzung aus neuro aktuell 3/2013

Der Burnout des optimiertenMenschenMichael Zaudig, Windach

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Der philosophische und soziologische Standpunktzu Burnout _

Die Flexibilisierung des Menschen in der neuen Ar-beitswelt, so R. Sennett (2006), hat zu Zwangsneuro-sen und lähmender Stimmung geführt. Priddat (2012)schreibt: „Die zunehmenden Chancen und Möglichkei-ten, denen sich Menschen im Spätkapitalismus ausge-setzt sehen, das permanente Aktivsein und Chancen-Ergreifen-Müssen, machen sie müde und erschöpft:Innere Leere, gefühlte Minderwertigkeit, Antriebs-schwäche und das Überhandnehmen von psychischenKrankheiten wie Depression sind die Indikatoren."Pur diesen Autor signalisieren die o. g. Symptome eine

„hypermoderne Gestimmtheit. [...] die Kreativitäts-vermutung, individuell immer erfolgreich zu sein ingeschärfter Flexibilität, als Homo mobilis sich jeweilsneu zu positionieren in der sozialen Matrix und dasdamit einhergehende wahrscheinliche Nichtgelingenbzw. das Nicht-immer-gelingen, vergrößert die Distanzzu sich selber".Der „Horror potentialitatis", die Angst vor der Über-fülle der Möglichkeiten (Ortmann 2009), die alleinschon deshalb, weil sie so viele sind, nicht alle ergrif-fen werden können und die Angst, das nicht zu kön-nen, aber zu sollen, schafft ein Vakuum, unvollständigzu sein angesichts der gefühlten Anforderungen, dienicht nur offerieren, dass alles möglich sei, sonderndas auch zu realisieren fordern. Nicht an den Mög-lichkeiten scheitern die Menschen, sondern am darangekoppelten Erfolgsdruck (Priddat 2012). Nach Prid-dat (2012) befördert die Fülle der Möglichkeiten denLeerlauf der „Müdigkeitsgesellschaft" (Han 2010):„Nicht nur im ,Informational overflow' der Wissens-gesellschaft in den Internetwelten, sondern auch im,Possibility overflow', der so vieles ergreifen will, abernur manches realisieren kann, mit der mitlaufendenEinsicht, möglicherweise nicht das Richtige oder An-gemessene erlangt zu haben (...). Je mehr wir wissenund uns als möglich erscheint, desto größer wird dieAmbivalenz, was angemessen zu wählen oder zu ent-scheiden sei - Decidophobie."In den letzten Jahrzehnten hat sich die Welt drama-tisch verändert, ein deutlicher Wertewandel ist zu be-obachten. Die bis Ende des 20. Jahrhunderts gelten-de „Disziplinargeseilschaft", in der die Stechuhr re-gierte, wurde von der Leistungs-/Positiv-/Risikogesell-schaft abgelöst, in der jeder sich konditioniert, als seier sein eigener Unternehmer (Byung-Chul Han 2010).Die Leistungsgesellschaft ist geprägt durch Globalisie-rung, Multitasking, Flexibilität und Mobilität. Es gibtkeine Zeit mehr, Dinge konsequent und gründlich undlang dauernd zu bearbeiten. Laut Han (2010) könnteman die Leistungsgesellschaft auch als „Müdigkeits-gesellschaft" bezeichnen. Der Mensch in der „Müdig-keitsgesellschaft" leide nicht mehr an der Negativitätvon Verboten, sondern seine Krankheit resultiere ge-rade umgekehrt aus einem Übermaß an Positivität: Erkann, bis er nicht mehr können kann! Han schreibt:„Der depressive Mensch ist jenes ,animal laborans',das sich selbst ausbeutet und zwar freiwillig und ohnejede Fremdzwänge". Nicht ohne Druck werden Men-schen zu selbstzerstörerischen Produktivitätsmaschi-nen: Die Leistungsgesellschaft zeichnet sich aus durchpermanent drohende Arbeitslosigkeit oder kurzfristi-ge Verträge (Prekariat), unaufhörlich wachsende Leis-tungsanforderung, denen sich die Menschen inzwi-schen nicht nur aus Not heraus mit Hilfe von Medi-kamenten anpassen, vielmehr wird im Rahmen desLeistungsdrucks immer mehr versucht, die Leistungzu optimieren.Zusammen mit dem Essay von Priddat (2012): „DieLeere der Fülle", Hartmut Rosas Schrift „Beschleuni-gung - Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Mo-

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derne" (2005) sowie Alain Ehrenbergs Schriften „Daserschöpfte Selbst: Depression und Gesellschaft in derGegenwart" (2008), „Das Unbehagen in der Gesell-schaft" (2012) zählt Byung-Chul Hans „Müdigkeitsge-sellschaft" (2010) zu den zentralen Schriften, die demdiffusen Gefühl einer stetig wachsenden Anzahl vonMenschen, immer weniger über ihre Zeit verfügen zukönnen und an der Gesellschaft zu leiden, eine passen-de Umschreibung liefern.Hartmut Rosa arbeitet in seiner Darstellung das Phä-nomen der „Beschleunigung" als grundlegendes Struk-turmerkmal unserer Gegenwart heraus.Alain Ehrenberg zeigt in seinen Untersuchungen, dassdie seit einigen Jahrzehnten zu beobachtende Zunah-me der Depression mit tiefgreifenden gesellschaftli-chen Veränderungen und entsprechenden neuartigenAnforderungen an das Individuum zusammenhängt.Han differenziert zwischen der heute dominierendenLeistungsgesellschaft und der Disziplinargesellschaftalter Tage. „Die Disziplinargesellschaft ist noch vomNein und der Stechuhr beherrscht, ihre Negativität er-zeugt Verrückte und Verbrecher. Die Leistungsgesell-schaft bringt dagegen Depressive und Versager hervor(Han 2010)". Die Negativität des Sollens hat sich zueinem viel effizienteren „Positiv des Könnens" entwi-ckelt.Das „Yes we can!" von Obama ist eine der Konsequen-zen und führt zu weiteren Anpassungsleistungen undentsprechender Optimierung. Der optimierte Homosapiens wird in der Zukunft bald eine Kombinationvon Spitzentechnologien wie Stammzellen, Roboter-technik und Psychopharmaka nutzen, um die natür-lichen Grenzen seiner physischen und psychischenLeistungsfähigkeit zu sprengen. Stress und Leistungs-streben gibt es überall, pharmakologische Kognitions-verstärker haben daher höchste Konjunktur, typischeBegriffe sind: Kosmetische Neurologie, Smart drugs,Neuroenhancer, Hirndoping oder „Viagra für dasHirn".Die Ära der künstlichen Hirnoptimierung als Folgevon Dauerstress ist schon angebrochen. Daten derKrankenkassen weisen darauf hin, dass z. B. Studen-ten ohne besondere Not und Krankheit immer mehrPsychopharmaka einnehmen. Es gehört inzwischenschon zum guten Ton bei Schülern und Studenten, Ta-bletten des rezeptpflichtigen Medikaments Ritalin zuschlucken, um die ganze Nacht büffeln zu können.Gleiches gut für das Mittel Modafinil, ein bei Schicht-arbeitern gern genommener Muntermacher. Die Nach-frage nach Kognitionsverstärkern ist sehr groß: 2007nutzten bereits 1,6 Millionen US-Bürger Medikamentenur als „Neuroenhancer". Dazu gehören Methylphe-nidat und Modafinil. Eine Online-Befragung der Zeit-schrift Nature (2008) ergab, dass jeder fünfte von1.427 Wissenschaftlern aus 60 Ländern Methylphe-nidat, Modafinil oder Betablocker eingenommen hatte(letzteres gegen Lampenfieber). In der Regel wurdedie Notwendigkeit genannt, die Konzentration zu stei-gern, das Leistungsvermögen zu optimieren und demStress ein Schnippchen zu schlagen.

Sozioökonomische Stressoren

Nach Wilkinson und Pikett (2009), britischen Epide-miologen, sind sozialökonomische Unterschiede in-nerhalb einer Gesellschaft das wesentliche Kriteriumzur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit in entwi-ckelten Ländern. Je größer die Diskrepanz zwischenreichster und ärmster Schicht, um so schlechter seies um den allgemeinen Gesundheitsstatus in der Ge-sellschaft bestellt. Die Autoren konnten aufgrundeiner riesigen Datenmenge nachweisen, dass nicht diereichsten Länder die höchste Lebenserwartung unddie besten Daten für Gesundheitszustand aufweisen,sondern die Länder, in denen der Unterschied zwi-schen der oberen und unteren Einkommensklasse amgeringsten ist. Gesellschaften mit geringen sozioöko-nomischen Unterschieden verfügen über einen größe-ren sozialen Zusammenhalt, es bestehen mehr sozialeNetzwerke und auch weniger Neid und Abgrenzung.Ein derartiges positives Klima vermittelt ein Gefühlvon Sicherheit, schafft Vertrauen in die staatlichen In-stitutionen und lässt die Menschen mit Zuversicht indie Zukunft blicken. Ungleichheit vermehrt Stressre-aktionen und führt zu einer erhöhten gesellschaftlichetablierten Stresssensibilität. Dies steht auch in Ein-klang mit den Daten zum „Happy Planet Index - HPI".In diesem Index der Vereinten Nationen (2009) tauchtz. B. Costa Rica als das „glücklichste" Volk der Erdeauf. Es zeigt sich, dass man glücklich und bescheidenzugleich sein kann. Umgekehrt wird daraus geschluss-folgert, dass Konsumüberfluss der reichsten Länder,der „better comfort" der kapitalistischen Welt, mit Un-zufriedenheit einhergeht. Der HPI ist ein Produkt desbritischen „Eco-Thinktanks" und der „New EconomicsFoundation". Die Autoren versuchen damit, im Prin-zip an der Idee des „Weltmodells und des dynamischenGleichgewichts" von Denis Meadows („Grenzen desWachstums") anzuknüpfen, messbare und vergleich-bare Kriterien für gutes, erfülltes und nicht zuletztlanges Leben zu finden, das außerdem der Bedingungder Nachhaltigkeit entspricht, d. h. es soll den Plane-ten nichts kosten. Alles, was für den eigenen Bedarfgebraucht wird, auf natürlichem Weg erneuerbar ist,hohe Lebenserwartung, persönliche Zufriedenheit undein maßvoller „ökologischer Fußabdruck" sind in die-sem ökopolitischen Konzept für die glückliche Weltge-sellschaft die entscheidenden Kriterien einer optima-len Balance.Der Happy Planet Index wird anhand von Daten, dieim Auftrag der Vereinten Nationen in 143 Ländernerhoben werden und 99% der Weltbevölkerung reprä-sentieren, ausgewertet.2009 stellte der zweite veröffentlichte Bericht dieklassische Wertvorstellung vom Vorrang des ökonomi-schen Wachstums komplett auf den Kopf: Auf Platz lder HPI-Liste (quasi als glücklichstes Land der Welt,mit zufriedenem Volk, hoher Lebenserwartung und re-lativ geringem „ökologischem Fußabdruck") rangiert- wie schon gesagt - mit 76,1 von hundert möglichen

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Punkten Costa Rica. Im Mittelfeld landete Deutschlandauf Platz 51, die USA wegen ihrer verheerenden Öko-bilanz auf Platz 114. Schlusslicht sind zehn schwarz-afrikanische Staaten mit Simbabwe an letzter Stelle.

Stress und Umwelt

Weltweit nimmt die Verstädterung zu, und es meh-ren sich wissenschaftliche Hinweise darauf, dass dasLeben in Ballungszentren die Psyche belastet. Heutelebt bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung inStädten, bis 2050 werden es zwei Drittel sein.Ist das urbane Leben auch gesund? Städter leidenauch in Deutschland zu etwa 40% häufiger an De-pressionen als die Landbevölkerung und die Quoteder Angststörung ist mit 20% im Vergleich deutlicherhöht; noch dramatischer steigt das Risiko, an Schi-zophrenie zu erkranken (Meyer-Lindenberg und Tost2012, Haddad und Meyer-Lindenberg 2012, Lederbo-gen et al. 2011). Eine städtische/urbane Umwelt zumZeitpunkt der Erstmanifestation scheint keine Rollefür die Manifestation einer psychischen Störung zuspielen (Marcelis, Takei und van Os 1999, Pedersenund Mortensen 2001). Stadtleben allerdings verdop-pelt während der kritischen ersten 15 Lebensjahredas Erkrankungsrisiko für psychische Störungen imVergleich zum ländlichen Aufwachsen. Verkehrslärm,Luftverschmutzung, aber auch sozialer Stress stelleneine besondere Belastungsquelle für Städter dar. Men-schen in Ballungszentren leiden deutlich häufiger anpsychischen Erkrankungen wie Depression oder Schi-zophrenie als Landbewohner. Sozialer Stress führt vorallem bei Großstädtern zu einer erhöhten Aktivitätder Amygdala und des anterioren Cingulums. DieseHirnareale spielen für unseren Gefühlshaushalt einewichtige Rolle.Lederbogen und Mitarbeiter (2011) verglichen dreiGruppen: Probanden, die aus Metropolen mit mehr als100.000 Einwohnern stammten, eine zweite Gruppeaus Kleinstädten ab 10.000 Bürgern und die dritteGruppe lebte auf dem Land. Dabei stellten sie fest,dass die Aktivität der Amygdala von gestressten Pro-banden jeweils mit der Größe der Stadtumgebung stu-fenweise ansteigt: Bei Dorfbewohnern schien das Ge-fühlszentrum nahezu unbeeindruckt zu sein, bei Klein-städtern regte sich die Amygdala schon etwas mehr,bei Bewohnern von Großstädten war die Aktivität amgrößten. Auch fanden sie, dass das bei Kernspinto-mografie gemessene Volumen der Amygdala mit derGröße des Freundes- und Bekanntenkreises ansteigt.Das bedeutet, ein gut ausgebautes soziales Netz kannwiederum vor seelischen Störungen bewahren und ge-rade dieser Schutz ist in anonymen Großstädten eherseltener gegeben.Was für Ursachen stecken nun hinter der besonderenStressverarbeitung bei Städtern? Soziale Stressfakto-ren in der Stadt können die eigentliche Ursache fürdie vermehrte Aktivierung der Amygdala sein. Unklarist aber, welche Umweltfaktoren, mit denen Stadt-menschen konfrontiert sind (mangelnde Grünflächen,Lärm, Vereinsamung, Hektik usw.), besonders rele-vant sind (Lederbogen et al. 2011).

Inzwischen liegen viele Studien vor, die zeigen, dasspsychosoziale Stressoren wie Diskriminierung (Wil-liams et al. 2003), Isolation (Cacioppo 2009), Armut,Arbeitslosigkeit oder Minderheitenstatus zu einer er-höhten Prävalenz von koronarer Herzerkrankungen(Lederbogen und Ströhle 2012), affektiven, Angst-und Abhängigkeitsstörungen sowie zu deutlich redu-zierter Lebenserwartung führen (Wilkinson und Mar-mot 2003). Bei alledem sollte beachtet werden, dassungünstige psychosoziale Bedingungen in utero und inder frühen Kindheit in der Lage sind, das Niveau derStresssystemaktivität längerfristig, wahrscheinlichdauerhaft, zu bestimmen, d. h. diese Entwicklungenin der frühen Kindheit führen später zu einer erhöh-ten Vulnerabilität für Stress (Egle und Zentgraf 2012,Zaudig et al. 2012, Neigh et al. 2009, Szyf 2012, Le-derbogen und Ströhle 2012).

Zusammenfassung

Abschließend ist zu bemerken, dass Burnout einenStressprozess mit internen und externen Stressorendarstellt mit der Folge unterschiedlicher psychischer,aber auch körperlicher Erkrankungen. Ausgehend vongenetischen, prä-, peri- und postnatalen Entwicklun-gen, dem Einfluss der Umwelt (z.B. Familie), der Epi-genetik, der Entwicklung der interpersonellen Kom-munikation und der psychischen Regulation werdenSchemata, Persönlichkeitsstile oder auch schon Ansät-ze zur Persönlichkeitsstörung entwickelt (Zaudig undBerberich 2012). Entsprechend ihrer Entwicklung zei-gen Menschen mehr oder weniger ausgeprägte Resili-enz und/oder Vulnerabilität, die während einer beson-ders stressigen Phase im Leben einen Burnout-Prozessin Gang bringen können. Neben der persönlichen Ent-wicklung stellen natürlich auch psychosoziale Fakto-ren wie Diskriminierung, Isolation, Arbeitslosigkeit,Armut, Minderheitenstatus, gesellschaftliche Positi-on den Stress erhöhende Einflussvariablen dar. Men-schen, die unter schwierigen Bedingungen aufwuchsen(z. B. Ablehnung durch die Eltern oder frühe Gewalt-erfahrung), in der Kindheit und Schule diskriminiertwurden, keine sichere Bindung an Eltern oder Groß-eltern hatten oder in einer Großstadt sozialisiert wur-den, können im Sinne einer erhöhten Stressvulnerabi-lität sehr wohl als Risiko-behaftet für künftigen Stressgelten. Auf dem Boden einer derartigen Vulnerabilitätnimmt es dann nicht Wunder, wenn spätere üblicheStressoren nicht mehr bewältigt werden können. DieKonsequenz ist der Versuch nochmaliger Leistungs-steigerung und häufig eine „Optimierung" mit Drogen,Medikamenten, Alkohol mit der konsekutiven Ent-wicklung eines Burnout-Prozesses und entsprechen-den psychischen oder körperlichen Störungen.

Literatur beim Verlag

Prof. Dr. med. Michael ZaudigPsychosomatische Klinik Windach

Schützenstraße 100 • 86949 WindachTel.: 08193 72 802 • Fax: 08193 72 809,

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