Upload
pawoe3064
View
465
Download
25
Embed Size (px)
Citation preview
PRAKTISCHEFRAKTOGRAPHIE
PR
AK
TIS
CH
EFR
AK
TO
GR
AP
HIE
Jarm
ila W
oo
dtl
i
Jarmila Woodtli
Brü
che
an m
etal
lisch
en u
nd k
eram
isch
en B
aute
ilen
sow
ie a
n O
bje
kten
aus
Gla
s
ISBN 3-905594-37-4
Die Autorin
In Prag, an der Chemisch-Technologischen Hochschule, absol-
viert Jarmila Woodtli ihr Studium der Metallurgie, das sie 1967
abschliesst. 1968 nimmt sie als Sachbearbeiterin für metallische
Schadenfälle ihre Tätigkeit an der Empa auf. Durch ihre Arbeit mit
dem Rasterelektronenmikroskop eignet sie sich in kurzer Zeit fun-
diertes Wissen in der Fraktographie der Metalle an. 1983 promo-
viert sie zum Dr. sc. techn. ETH. Das folgende Jahr verbringt sie
an der University of Michigan. Sie beschäftigt sich dort mit frakto-
graphischen Untersuchungen von Ermüdungsversuchen an io-
nenimplantierten Ni-Proben. Bald nach ihrer Rückkehr an die
Empa übernimmt sie die Leitung der Gruppe Schadenanalytik.
Untersuchungen zum Seilbahnunglück auf der Riederalp oder
zum Einsturz der Hallenbad-Decke in Uster gehören zu ihrer
Arbeit.
Als eine der Pionierinnen der Fraktographie in der Schweiz leitet
Jarmila Woodtli Anfang der 1980er-Jahre die Fachgruppe
"Fraktographie" des SVMT (Schweizerischer Verband für die
Materialtechnik). Ab 1992 ist sie Dozentin an der Technischen
Akademie Esslingen, wo sie Vorlesungen über Fraktographie in
Metallen und Keramik hält.
Praktische Fraktographie
Praktische Fraktographie
Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA, Herausgeberin
ISBN 3-905594-37-4, © 2003 EMPA, 8600 Dübendorf, www.empa.ch
Das Werk einschliesslich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung,
die über die engen Grenzen des Urheberrechts hinausgeht, ist ohne schriftliche
Zustimmung der EMPA unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Speicherung in elek-
tronischen Systemen. Weder die EMPA noch irgendeine in ihrem Auftrag handelnde
Person kann im Fall einer Verwendung der in diesem Werk enthaltenen Informationen
haftbar gemacht werden.
Konzept/Gestaltung: Design Team EMPA
Lektorat: Sabine Voser
Druck: Stämpfli AG Bern
Verlag und Vertrieb: EMPA-Akademie, Überlandstrasse 129, 8600 Dübendorf
[email protected], www.empa-akademie.ch
Tel. +41 58 765 11 11, Fax +41 58 765 11 22
Jarmila Woodtli, Dr. sc. techn.
Brüche an metallischen und keramischen Bauteilen sowie an Objekten aus Glas
Wissen und Erfahrungen aus drei Jahrzehnten Tätigkeit
PRAKTISCHEFRAKTOGRAPHIE
Während mehr als drei Jahrzehnten beschäftigte sich Jarmila Woodtli an der Empa mit
der Fraktographie – und zwar in Zusammenhang mit der Bearbeitung von Schadenfällen,
aber auch mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema. In dieser Zeitspanne
hat sie einen reichen Schatz an Erfahrung und Wissen erarbeitet, den sie hier zusammen-
fassend darstellt. Mit dem vorliegenden Buch "Praktische Fraktographie" wendet sie
sich an Fachleute, die sich mit Materialbrüchen befassen, aber auch an StudentInnen und
IngenieurInnen der Fachrichtungen Werkstoffe, Maschinenbau, Verfahrens- und
Fertigungstechnik. Ebenso gehören zu ihrem Publikum TechnikerInnen und LaborantInnen
mit vertieftem Wissen in der Werkstoffkunde.
Jarmila Woodtli behandelt nicht nur Brüche an metallischen und keramischen Bauteilen,
sondern auch an Objekten aus Glas. Sie gibt sehr viele praktische Anleitungen: beispiels-
weise wie Bruchstücke gehandhabt und dokumentiert werden und wie Bruchflächen sich
adäquat reinigen lassen. Sie geht aber auch wissenschaftlich in die Tiefe und beschreibt
unter Einbezug der entsprechenden makro- und mikroskopischen Bruchmerkmale die ver-
schiedenen Brucharten und erklärt, wie Risse entstehen und wie sie wachsen. Auf diese
Weise vermittelt die Autorin den Leserinnen und Lesern die Mechanismen, die beispiels-
weise zur Entstehung von Wallners Linien, Rastlinien und Ermüdungsstreifen führen.
Ebenfalls sehr anschaulich erklärt sie einen weiteren wichtigen Aspekt, den
Zusammenhang zwischen Gefügezustand und Bruchausbildung.
Jarmila Woodtli macht klar, dass die Fraktographie ein ganz wesentlicher Bestandteil der
Schadenanalytik ist, dass sie eingebettet ist in ein methodisches Vorgehen, das umfassen-
de Informationen zur Konstruktion, zur Belastung und zu den Betriebsbedingungen eines
gebrochenen Bauteils beinhaltet. Erst so lassen sich zusätzliche Umgebungseinflüsse,
zum Beispiel korrosiver Art, im Hinblick auf das Bruchgeschehen verstehen und bewerten.
Anhand zahlreicher Schadenbeispiele wird das theoretisch erworbene Wissen direkt um-
gesetzt; es werden ausserdem Beispiele für Fehlinterpretationen sowie Verwechslungen
bei der Beurteilung von Brüchen gegeben.
Die Publikation überzeugt durch eine klare, lebendige Sprache, durch die Menge und
Vielfalt an Beispielen und die dokumentarischen Illustrationen. Jarmila Woodtli verwendet
zum grossen Teil ihr eigenes Bildmaterial, also Bilder, die sie in den langen Jahren ihrer
Tätigkeit selbst unter dem Lichtmikroskop oder am Rasterelektronenmikroskop aufgenom-
men hat.
Der Inhalt dieses wertvollen Buches resultiert auch aus der äusserst effizienten Arbeit im
Team. In ihrer Funktion als Gruppenleiterin hat Jarmila Woodtli mit ihren Mitarbeitenden
und mir unzählige Diskussionen geführt – insbesondere bei der Bearbeitung von
Schadenfällen. Wir alle haben davon jahrelang ausserordentlich profitiert. Dafür möchte ich
mich bei Jarmila Woodtli herzlichst bedanken.
Dübendorf, Juni 2003 Manfred Roth
Abteilungsleiter Oberflächen- und Fügetechnik
VO
RW
OR
T
Jeder Bruch ist das Resultat eines Prozesses, der in drei
Etappen abläuft: Bruchbeginn, Bruchverlauf, Bruchende mit
seinen Folgen. Nur wenn wir jede dieser Etappen klar defi-
nieren, verstehen wir die Bruchgeschichte und können folg-
lich effektive, vorbeugende Massnahmen ergreifen.
Der Bruchbeginn setzt immer – auch in grossen Bauteilen
oder Systemen – im mikroskopischen Massstab ein, an ei-
ner oder an mehreren singulären Stellen und breitet sich
von dort aus. Der Bruch kann aus nur einem Riss bestehen,
so dass das Bauteil in zwei Bruchstücke zerfällt, oder er er-
folgt durch ein verzweigtes Risswachstum; als Folge davon
bilden sich zahlreiche Bruchstücke. Die Bruchge schwin -
digkeit variiert stark – von Ultraschallgeschwindigkeit in
spröden Werkstoffen bis zu kaum messbaren Rissaus -
breitungsraten bei Korrosion in duktilen Werkstoffen. So
kann ein Bauteil in einem kurzen Moment bersten, in ande-
ren Fällen wechseln sich Bruch wachstum und Stillstand ab
oder der Bruch breitet sich über eine lange Zeitspanne aus.
Die Bruchgeschwindigkeit muss aber nicht konstant blei-
ben. Das Risswachstum kann sich beschleunigen oder bis
zum Stillstand verlangsamen. Der Bruchprozess ist selten
nur durch mechanische Gesetz mässigkeiten bedingt:
Korrosive Beeinflussungen durch die Umgebung sind oft
von grosser Bedeutung für das Entstehen und Fortpflanzen
eines Bruches.
Alle diese Gegebenheiten müssen wir eruieren, um den
Bruch zu verstehen bzw. den Bruchmechanismus beschrei-
ben zu können. Dazu nehmen wir die Beobachtung des
Bruches und der angrenzenden Oberfläche zur Hilfe. Die auf
den Bruch einwirkenden Kräfte bestimmen seine Lage, sei-
nen Verlauf und die Topographie seiner Fläche, so dass die-
se Merkmale die Rekonstruktion des Bruchvorganges er-
möglichen. In diesem Sinn ist die Bruchfläche ein
Daten träger. Wenn wir das richtige Software-Programm be-
herrschen – die Fraktographie –, können wir die Bruchfläche
lesen und interpretieren.
Jarmila Woodtli
Expertin für Schadenfalluntersuchungen an der Empa
EIN
LE
ITU
NGKeramik
Glas
Metalle
Keramik und Glas
Literatur
EINLEITUNG
Behandlung der Bruchstücke
Methodik der Untersuchung
Makroskopische Untersuchung
• Riss- und Bruchverlauf
BEISPIEL: Zerbrochene Glasflasche
• Rissverzweigung / Rissmündung
BEISPIEL: Statischer Bruch einer Hüftgelenkkugel
• Drucklippen
• Mäanderförmige Risse
Bruchmerkmale
• Rauheit der Bruchfläche
BEISPIEL: Bruchabklärung bei Freileitungsisolatoren
• Spiegel
• Hertzscher Konus
BEISPIEL: Risse in Uhrengläsern
• Wallners Linien
BEISPIEL: Primär oder Sekundärbruch?
Bruchausgangsstelle
• Volumenfehler
• Oberflächenfehler
BEISPIEL: Bruch eines Kugellagerringes
BEISPIEL: Bruch einer Hüftgelenkkugel in vivo
BEISPIEL: Bruch einer Hüftgelenkkugel bei
Ermüdungstest
6/9
9/15
16/27
28/37
39
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S I
NH
ALT
Metalle
Literatur
EINLEITUNG
Behandlung der Proben
BEISPIEL: Bruch im Chassis
Methodik der Untersuchung
Makroskopische Untersuchung
BEISPIEL: Schraubverbindung
• Bruchform und Verlauf
BEISPIEL: Drahtbrüche
BEISPIEL: Auslegearm von Kran
• Bruchflächenmarkierungen
Gewaltbrüche
Ermüdungsbrüche
BEISPIEL: Bolzenbruch
• Lage der Bruchausgangsstelle
Bruchausgang an der Oberfläche
Bruchausgang unterhalb der Oberfläche
• Beschaffenheit der Oberfläche im Bruchausgangsbereich
BEISPIEL: Lasche von Seilbahnkabine
BEISPIEL: Turbinenschaufel
BEISPIEL: Spannkabel
Mikroskopische Bruchtopographie
• Gewaltbrüche
BEISPIEL: Rotorwelle eines Helikopters
• Rosettenbruch
• Spaltbruch
BEISPIEL: Kupplungsstück eines Eisenbahnwagens
• Interkristalliner Bruch
BEISPIEL: Leck in Brennstoffdüse
BEISPIEL: Schrauben von Schalldämmplatten
• Wasserstoffversprödung
BEISPIEL: Verminderte Zugfestigkeit
BEISPIEL: Verzinkte Unterlagsscheibe
• Ermüdungsbruch
• Gewalt- oder Ermüdungsbruch?
BEISPIEL: Gehämmerte Bruchfläche
• Verwechslungsmöglichkeiten
• Kriechbrüche
BEISPIEL: Turbinenschaufel
Komplexe fraktographische Untersuchungen
• Makroskopische Untersuchung
BEISPIEL: Betätigungsseil einer Landeklappe
BEISPIEL: Seilbruch nach Unterhaltsarbeit
• Mikroskopische Untersuchung
BEISPIEL: Schrägseil einer Brücke
ME
TA
LLE
INH
ALT
40/41
42
43/58
59/84
85/91
92/93
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
6 7
Während die vielfältige Morphologie der Metallbrüche weit-
gehend beschrieben und verstanden ist, gibt es bei der
Interpretation von keramischen Bruchflächen noch viele
Unsicherheiten. Keramische Werkstoffe gehorchen dem
Hookschen Gesetz und brechen immer spröde, d.h. dem
Bruchvorgang geht keine plastische Deformation voran.
Somit bleibt im mikroskopischen Bereich die Differen -
zierung von Brüchen nur auf inter- oder transkristalline Modi
beschränkt.
Das Hauptziel der fraktographischen Beurteilung besteht
damit in der Bestimmung der Bruchausgangsstelle und ihrer
Charakterisierung. Diese Bruchausgangsstelle ist immer ei-
ne Singularität bzw. Irregularität, die zu einer Spannungs -
über höhung führt. Oft wird von einer Fehlstelle gesprochen.
Diese Stellen dürfen aber nicht automatisch als Indikator für
fehlerhaft hergestelltes Material interpretiert werden. Die
Bezeich nung Herstellungsfehler ist oft unkorrekt. Vielmehr
handelt es sich um intrinsische Gefügestörstellen wie
Poren, Hohl räume, Einschlüsse und Korngrenzen oder um
Ober flächen störstellen wie scharfe Bearbeitungsriefen.
Dennoch stellt eine sorgfältige Bruchuntersuchung, welche
sowohl makroskopische als auch mikroskopische Befunde
berücksichtigt, die einzige Möglichkeit dar, die Bruc h ur -
sache in keramischen Werkstoffen zu eruieren. Denn nicht
nur die Lage der Bruchfläche in einem Bauteil, sondern
auch die Bruchform und das Aussehen liefern wertvolle
Informationen über die Beanspruchungsart, den Werk stoff -
zustand, die Umgebungseinflüsse und den bruch aus lösen -
den Fehler. Mit diesen Informationen lassen sich dann
Verbesserungs massnahmen ergreifen, die meistens in einer
Optimierung des Gefüges oder des Formgebungsprozesses
liegen.
Behandlung der Bruchstücke
Die zu untersuchenden Bruchstücke sind schonend zu be-
handeln, damit sie nicht sekundäre Beschädigungen erleiden.
Durch wiederholtes Zusammenfügen von Bruch und Gegen -
bruch kann sich die Mikrostruktur durch Reibung gelegentlich
derart verändern, dass ihre Beurteilung erschwert wird. Die
keramischen Werkstoffe zeichnen sich durch grosse Härte
und damit verbundene Abriebfestigkeit aus. Trotzdem ist es
möglich, dass sich Bruch und Gegenbruch, d.h. Bruchstücke
von gleicher Härte, durch Reibung verletzen, wie Bild 1 doku-
mentiert. Es ist eine interkristallin verlaufende Bruchfläche in
Al2O3 abgebildet, die leicht mit der Gegenbruchfläche von
Hand gerieben wurde. Die Abriebprodukte füllen die Ver -
tiefungen in der Bruchfläche aus, so dass die ursprüngliche
mikroskopische Bruchtopographie nicht mehr erkennbar ist.
Diese sekundäre Schädigung muss insbesondere bei der
Rekonstruktion des Bauteils aus den einzelnen Bruchstücken
in Betracht gezogen werden.
Ausserdem können an den porösen Zonen wichtige Bruch -
bereiche abbröckeln und somit eine Inkongruenz der Bruch-
und Gegenbruchstelle verursachen. Aus dem gleichen Grund
ist die Reinigung der Bruchstücke im Ultraschall mit Vorsicht
durchzuführen. Deshalb ist es vorteilhaft, den Zustand der
Bruchstücke vor dem Reinigen fotografisch festzuhalten.
Wenn sie nun durch die Reinigung sauberer werden und auch
ihre Form behalten, sind neue Aufnahmen zu machen.
Die einwandfreie Reinheit der Bruchflächen ist eine wichtige
Voraussetzung für die vollständige Interpretation der Bruch -
morphologie. Bruchstücke aus Glas und Keramik müssen oft
für die makroskopische Untersuchung unter dem Licht mikro -
skop bedampft werden, da sie transluzent sind.
Das Aufbringen einer dünnen Gold- oder Kohlenstoffschicht
von 10–20 nm genügt, um die Bruchmarkierungen unter dem
Lichtmikro skop sichtbar zu machen. Da es je-
doch schwie rig ist, die Bruchfläche nach dem
Bedampfen zu reinigen, muss dieser Vorgang
bereits vor dem Aufbringen der Schicht erfol-
gen. Dafür werden die Proben üblicherweise
einige Minuten lang einem Alkohol- oder
Aceton -Ultraschallbad ausgesetzt.
Bild 1:
Al2O3: Durch Reibung
mit der Gegenbruchfläche
entstandene Reibspuren
EINLEITUNG
4 µm
Eine oft anzutreffende Konta mination, die schwer zu beseitigen ist, stellen
Reste des Klebstoffes eines doppelseitig klebenden Scotch®-Ban des dar. So
wird z.B. ein Kollektiv von Vier punkt-Bie ge proben gerne mit solchen Kleb -
streifen auf einer Unter lage übersichtlich angeordnet. Die Auswahl der Proben
für die Frakto graphie kann erst nach abgeschlossener Prüfung der Biege -
festigkeit erfolgen, denn untersucht wer den jeweils die besten und die
schlechtesten Proben.
Eine übersichtliche Aufbewahrung ermöglicht eine schnelle Auswahl der
Proben für weitere Untersuchungen. Makros kopisch gesehen sind Reste von
Scotch®-Klebstoff in Aceton löslich. Befindet sich aber die Kontamination in
Nähe der Bruchfläche, kommt es während des Reini gungs pro zesses infolge
Oberflächen spannung zur Benetzung der Bruch kante mit dem angelösten
Klebmittel.
Die Bilder 2 und 3 geben Bruchflächen wieder, die mit Klebstoffresten be-
deckt sind. Es ist zu erkennen, dass diese von der Oberfläche her über die
Bruchkante gekrochen sind. Diese Art Kontamination ist sehr schwer zu be-
seitigen, denn sie wird erst nach dem Bedampfen der Proben mit Gold im
REM (Raster elektronenmikroskop) sichtbar.
Das aufgedampfte Gold kann von den keramischen Proben mit Königs -
wasserlösung wieder entfernt und nachträglich der Klebstoff durch Glühen
zersetzt bzw. abgedampft werden. Dies führt aber selten zu einem einwand-
freien Erfolg.
Bild 2:
Klebstoffreste
nach Reinigung
mit Aceton
Bild 3:
Klebstoffreste
am Bruchrand
nach Reinigung
mit Aceton
Behandlung der Bruchstücke
20 µm
100 µm
8 9
In Bild 4 ist eine Probe aus α-SSiC zu sehen, bei welcher ver-
sucht wurde, die Klebstoffreste thermisch bei 1000°C im
Vakuum zu entfernen. Mangels Sauerstoff konnte Kohlenstoff
nicht vollständig als flüchtige Phase entweichen, so dass stel-
lenweise Reste des verbrannten Materials, d.h. Kohlenstoff,
auf der Bruchfläche geblieben sind (mit RB «Restbelag» be-
zeichnete Zone). Ausserdem fand eine thermische Ätzung des
Gefüges statt, so dass sich der ursprüngliche Bruchcharakter
leicht geändert hat. Auf der geätzten Bruchfläche ist es z.B.
schwierig, zwischen inter- und transkristallinem Bruchverlauf
zu unterscheiden, da kristallographische Ebenen zum Vor -
schein kamen.
Thermisches Reinigen kann auch Gefügeveränderungen in
Form von An schmelz ungen der Glas phase (Bild 5) oder einer
infiltrierten Phase verursachen. Und in oxidierender Atmo -
sphäre ist es möglich, dass es zu Oxid bildung kommt.
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
Bild 4a:
Probe kontaminiert mit Klebstoffresten.
Rote gestrichelte Linie bezeichnet identische Stelle
Bild 4:
Bruchausgangsbereich einer
Vierpunkt-Biegeprobe in α-SSiC.
Bild 4b:
Nach dem Glühen (1000°C im Vacuum). Rote gestrichelte Linie bezeichnet
identische Stelle. Mangels Sauerstoff verbrannte der Klebstoff zu Kohlenstoff
(Restbelag RB)
Bild 5:
SSiC: Veränderung der Bruchmorpho logie durch
Erhitzen auf 1000°C. Bildung von Glasphase
Bei Bruchflächen, die mit einem dickeren, nicht sehr gut haf-
tenden Materialbelag bedeckt sind, zeitigen Ab ziehabdrücke
eine gute Reinigungs methode. So können z.B. Gewebereste
oder Blutkrusten von reoperierten Implantaten (z.B. Gelenk -
kugeln) entfernt werden. Als Ma te rial eignen sich Acetatfolien,
die in Aceton leicht eingeweicht werden. Die Folie wird mit
dem Finger auf der Bruchfläche positioniert und ca. 30
Sekunden fest angepresst. Dabei ist ein Verrutschen der Folie
zu vermeiden. Nach dem Anpressen muss die Folie vollständig
austrocknen, was ca. zwei Minu ten benötigt. Danach wird sie
vorsichtig abgezogen.
Blutreste lassen sich auch gut in kaltem Wasser auflösen.
Schlecht abzulösende Gewebereste müssen even tuell mit En -
zymen wie Tripsin entfernt werden oder mit starken alkalischen
Lösungen versetzten Tensiden (z.B. Contrad 90®, Deconex®).
RB
Aufgrund des Zuvorgesagten ist es also empfehlenswert,
Bruch stücke einzeln in faserfreien Couverts oder kleinen Plexi -
glas schachteln aufzubewahren, um Kon ta mi nationen zu ver-
meiden.
1µm 1µm
10µm
Methodik der Untersuchung
Der eigentlichen fraktographischen Untersuchung hat eine
fundierte Bestandesaufnahme vorauszugehen. Es müssen
Da ten und Parameter über das gebrochene Bauteil bzw. die
beschädigte Anlage eingeholt werden. Dazu gehören Infor mati -
onen über Werkstoff, Konstruktion, Fertigung, Bean spruch ung,
Betriebsdauer und Umgebung, aber auch über besondere
Vorkommnisse, insbesondere zur Zeit des Schadens.
Grundsätzlich soll eine eingehende Dokumentation der Frag -
mente bzw. der zur Untersuchung vorliegenden Proben schon
in der Voruntersuchungsphase erfolgen. Zu empfehlen ist die
Aufnahme zahlreicher Fotos, auch wenn von denen eventuell
nur ein Teil benutzt wird. Denn später könnten wichtige Details
fehlen, die in der Voruntersuchungsphase für nicht relevant ge-
halten worden waren. Es ist unbedingt eine eingehende ma-
kroskopische Untersuchung durchzuführen, denn sie bildet
den Schlüssel zur Bestimmung von weiteren Unter suchungen.
Und mit ihr lassen sich die relevanten Bruch stücke bzw.
Rissbereiche eruieren.
Zur mikro frakto grap hischen Unter such ung gelangen dann
nur diese relevanten Bruchstücke. Die mikrofraktographische
Untersuchung hat zum Ziel, die Bruch ausgangsstelle zu cha-
rakterisieren. Dabei steht vor allem die Differenzierung zwi-
schen einem Volumen- und einem Ober flächenfehler im
Vordergrund. Zudem werden Ziele vorgegeben für die keramo -
graphische Unter such ung, welche das Gefüge und die Bruch -
ausgangsstelle charakterisiert. Aufgrund der Resultate der
Fraktographie und Keramographie sind mikroanalytische
Unter suchungen mit EDX oder WDX angezeigt. Die werkstoff-
kundlichen Unter suchungen können mit der Über prüfung der
mechanischen Festigkeit und der chemischen Zusammen -
setz ung ergänzt werden.
Obwohl der Begriff Fraktographie ausschliesslich hier für das
Be schreiben der Bruchfläche steht, gehört zur fraktographi-
schen Untersuchung auch das Beurteilen des bruchnahen
Oberflächenbereiches. Ausserdem ist es hilfreich, zusätzlich
zu dem gebrochenen Bauteil ein einwandfreies zu untersu-
chen, das zeitlich ungefähr gleich lang im Einsatz war. Sogar
ein Vergleich mit einem neuen Bauteil kann wertvolle Infor -
mationen über die Schädigung bringen.
Im Folgenden sind die einzelnen Schritte der Untersuchung er-
läutert. Die Vorgehensweise sowie die Interpretation der Er -
geb nisse werden anhand von Beispielen diskutiert.
Makroskopische Untersuchung
Die makroskopische Untersuchung besteht aus zwei
Schritten:
1. Beurteilung des Riss- und Bruchverlaufs
2. Beurteilung der Bruchmarkierungen an einzelnen
Fragmenten
Riss- und Bruchverlauf
Bei einem komplexen Bruchverlauf ist es sinnvoll, die ur-
sprüngliche Form des Bauteils aus den einzelnen Fragmenten
zu rekonstruieren. Für diese Arbeit dürfen die Bruchstücke
aber nie direkt zusammengeklebt werden, weil das einwand-
freie, vollständige Entfernen der Klebstoffreste von den Bruch -
flächen praktisch unmöglich ist. Die Klebstoffreste könnten
wichtige makroskopische sowie mikroskopische Bruchmerk -
male überdecken.
Die Rekonstruktion einer Probe bzw. eines Bauteils aus allen
Bruchstücken erlaubt es, die Bruchausbreitungsrichtung zu de-
finieren, woraus sich wiederum der zeitliche und örtliche Verlauf
des Bruchs und somit die Bruchausgangsstelle eruieren lassen.
Da der Risspfad sich an den höchsten Spannungen orientiert,
kann die Spannungsverteilung des Bauteils anhand des
Bruchbildes abgeschätzt werden. Daraus ergibt sich die zum
Bruch führende Beanspruchung (Bild 6).
Folgende Merkmale sind von besonderem Interesse:
• Risspfad in Bezug auf die Geometrie
des Bauteils und dessen Beanspruchung
• Symmetrie der Rissbildung
• Verzweigungsgrad der Risse
• Rissform
In Bild 6a ist eine typische sternförmige Anordnung der Risse
wiedergegeben, die durch eine punktuelle Druckbean spru -
chung entsteht. Diese Bruchform bildet sich auch bei schlag-
artiger Beanspruchung aus. Die Risse gehen radial von der
Bruch ausgangsstelle weg und sind weitgehend symmetrisch
und paarweise ausgebildet.
Methodik der Untersuchung
Makroskopische Untersuchung
Bei einer Biegebean spruchung einer relativ flachen Probe bildet
sich ein typischer doppel-Y-förmiger Bruch, wie es in Bild 6b
schematisch dargestellt ist. Eine ähnliche Bruchausbildung fin-
den wir in einem auf Torsion beanspruchten Zylinder; aller-
dings sind die Risse hier durch Schubspannungen bedingt
und liegen schrägflächig.
In allen Fällen befindet sich die Bruchausgangsstelle im
Symmetrie zentrum des Bruchbildes. Um die Bruchausgangs -
stelle herum sind jeweils die grössten Bruchstücke angeord-
net. Diese Tat sache ist darauf zurückzuführen, dass ein Riss
erst nach Erreichen einer bestimmten Länge bzw. erst dann,
wenn er genug elastische Energie aufweist, sich verzweigen
kann. Somit befindet sich die Bruchausgangsstelle in der
Regel auf einem der grössten Bruchstücke, und das mühsa-
me Zu sam mensetzen der kleinen Bruchstücke ist oft nicht
notwendig.
Aus dem Rissverlauf lassen sich die bruchauslösenden Span -
nungen aber nur dann bestimmen, wenn das Material frei von
Eigenspannungen war. In einem von Eigenspannungen durch-
setzten Material bildet sich ein vielfältig verzweigtes Rissnetz,
10 11
Bild 6d: Bersten duch Innendruck
Bruch-ausgangs-stelle
Bruch-ausgangs-stelle
Bild 6c: TorsionKE
RA
MIK
UN
DG
LA
Sdas durch das Zusammenwirken von Eigen- und bruchverur-
sachenden Spannungen bedingt ist. Zur Demon stration des
Ein flusses der Eigenspannungen auf den Risspfad wurden ein
span nungsarmes und ein vorgespanntes Glas mit einem
Ham mer zerbrochen. Beide Proben hatten die Form einer
Glas schei be. Wie die Fotos in Bild 7 zeigen, ist der Rissverlauf
sehr unterschiedlich. Im spannungsarmen Glas breiten sich
die Risse paarweise in radialer Richtung von der
Hammeraufschlagstelle her aus; sie entsprechen dem sche-
matischen Rissmuster in Bild 6a. Für das Glas mit hohen
Eigenspannungen lässt sich das Rissmuster dagegen keinem
Schema zuordnen.
Bild 7a: Glas mit Eigenspannungen
Bild 7b: Spannungsarmes Glas
Bild 7:
Durch Hammerschlag verursachte Risse in Glasscheiben
Bild 6b: Biegung
Die Intensität der Rissverzweigung ist ein qualitatives Mass für
die Höhe der bruchauslösenden Energie. Diese Energie resul-
tiert aus den Eigenspannungen und der Belastung des Bau -
teils, wobei neben den Betriebslasten auch die Montage -
spannungen zu berücksichtigen sind.
90°
45°Bruch-
ausgangs-stelle
Bild 6:
Aus der Anordnung der Risse lässt sich die bruchauslösende Spannung
beurteilen und die Lage der Bruch ausgangsstelle bestimmen
Bild 6a: Punktuelle Beanspruchung
oder Aufschlagstelle
Bruch-ausgang
180°
5 mm
5 mm
In Bild 8 sind drei Glasflaschen wiedergegeben, die durch In -
nendruck barsten. Nach deren Rekonstruktion ist der Riss ver -
lauf gut erkennbar, der sich mit dem schematischen Bild 6d
vergleichen lässt. Die Bruchausgangsstelle befindet sich je-
weils auf der axial verlaufenden Bruchfläche, die mit einem
Pfeil bezeichnet ist. Die Länge dieses Bruchpfades ist von der
Höhe des Innendrucks abhängig. Je höher dieser ist, desto
kürzer verläuft die axiale Bruchpartie, denn auf höherem Ener -
gieniveau kann der Riss früher verzweigen. Und je weiter die
Bruchpartie von der Bruchausgangsstelle entfernt ist, desto
kleiner sind die Fragmente. Die grössten Fragmente befinden
sich um die Bruchausgangsstelle.
Wird eine Flasche seitlich im zylindrischen Mantelbereich
punktuell eingeschlagen, so entwickelt sich um die Einschlag -
stelle ein radial angeordnetes Rissnetz, oft durchsetzt mit
kreisförmigen, konzentrisch angeordneten Rissen, ähnlich wie
in den Bildern 6a und 7b. Es entstehen nur scharfwinklige
Frag mente, und kein Bruchstückpaar weist eine spiegelsym-
metrische, polygonale Form auf.
Wird eine Flasche schlagartig auf den Boden aufgesetzt,
dann trennt sich in der Regel der Boden vom zylindrischen
Teil mit einem in Umfangsrichtung verlaufenden Hauptriss. Es
bilden sich ausserdem scharfwinklige Fragmente, die radial zu
einem Punkt am Bodenumfang konvergieren. Dieser Punkt
stellt die Bruchausgangsstelle dar sowohl für den abgetrenn-
ten Boden bereich als auch für den zerbrochenen zylindri-
schen Teil der Flasche (Bild 9).
Bild 8:
Durch Innendruck geborstene Flaschen. Der Innendruck steigt von links
nach rechts. Die Bruchausgangsstelle befindet sich jeweils in der Mitte der
axialen Bruchpartie (siehe Pfeil BA)
BA
BABA
BEISPIEL: Zerbrochene Glasflasche
Zur Untersuchung wurden Glasbruchstücke zur Verfügung ge-
stellt, die von einer ungeöffneten, spontan geborstenen Sauer -
mostflasche stammen sollten. Der Hersteller/ Auftrag geber be-
fürchtete, dass diese Mostcharge durch Weitergären einen
Überdruck erzeugen und damit auch andere Personen gefähr-
den könnte. Der betroffene Kunde des Herstellers gab an,
dass er alle Glassplitter sorgfältig eingesammelt habe.
Im Hinblick auf die fraktographische Untersuchung wurde ver-
sucht, durch Zusammenlegen der Bruchstücke die ursprüngli-
che Gestalt der Flasche zu rekonstruieren. Dabei stellte sich
heraus, dass das gelieferte Glasmaterial nicht artgleich war. Es
enthielt Bestandteile von drei verschiedenen Flaschen. Der
Grossteil des Materials stammte von der grünen Sauer most -
flasche. Zwei braune Glassplitter sowie zwei Splitter mit einer
gelborangen Etikette gehörten mit Sicherheit zu anderen
Flaschen. Ausserdem beinhaltete das Material Bodenbereiche
von grünen Flaschen mit zwei verschiedenen Wandstärken.
Die Bruchstücke der Sauermostflasche wurden sortiert und
gewogen. Es zeigte sich, dass das Gewicht des Materials le-
diglich 80% des Flaschengewichtes ausmachte. Daraufhin
wurden durch Rekonstruktion die Bruchverlaufsrichtungen der
Splitter in Bezug auf die Flaschengeometrie beurteilt. Wäre die
Flasche spontan durch übermässigen Innendruck geborsten,
hätte eine axial verlaufende Bruchzone vorhanden sein müs-
sen, wie sie in den Bildern 6d und 8wiedergegeben ist. Diese
liegt immer zwischen den beiden grössten Fragmenten. Um
einen derartigen Schadenfall zu beurteilen, kann also die
Unter suchung auf die beiden grössten Bruchstücke be-
schränkt werden.
Bild 9:
Rissverlauf in Flasche,
die durch Schlag im
unteren Bereich zerbricht
Riss- und Bruchverlauf
BA
Rissverzweigung/Rissmündung
Rissverzweigungen sind ein wichtiges Hilfsmittel zur Bestim -
mung der Bruchausgangsstelle. Verzweigt sich ein Riss mit
zunehmender Risslänge, so bilden sich die neuen Rissaus -
läufer unter einem Winkel, der kleiner ist als 90° (Bild 10a).
Der Hauptriss ist immer durchlaufend, bleibt also stets in einer
Ebene. Dagegen stellen querlaufende Risse immer Folgerisse
dar, also Sekundärrisse (Bild 10b). Auf der freigelegten
Bruchfläche bilden diese eine Kante mit dem Hauptriss,
während die Ver zweigungen des Hauptrisses fliessend ausge-
bildet sind.
Riss mün dungen, die auf der Bruchfläche eine scharfe Kante
erken nen lassen, beinhalten manchmal im mikroskopischen
Bereich wertvolle Informationen über die zeitliche Rissfolge.
12 13
Im vorliegenden Fall befanden sich die grössten Splitter am
Übergang zwischen Boden und Wand, und die Risse verliefen
radial in verschiedene Richtungen wie in Bild 9. Dieses Riss -
bild ist charakteristisch für einen Schlag, d.h. für eine lokale
Gewaltein wirkung. Somit widerlegten sowohl die Tatsache,
dass die Glasfragmente von verschiedenen Flaschen stamm-
ten, als auch die fraktographische Untersuchung der fragli-
chen Fla sche die Aussage des Kunden und entlasteten den
Hersteller.
Rissausbreitungs-
richtung
zur Bruch-
ausgangsstelle
Sekundärriss
Bild 10a: Ein Risssystem
Bild 10b: Zwei unabhängige Risse:
Kurzer Querriss = Sekundärriss
BEISPIEL: Statischer Bruch einer Hüftgelenkkugel
In einem Laborversuch wurde eine Hüftgelenkkugel statisch
bis zum Bruch belastet. Die Belastung erfolgte durch Innen -
druck im Konusbereich und axiale Belastung von aussen auf
den Dombereich. Dabei hat sich der Dombereich zirkulär ab-
getrennt und der Konusbereich zerbrach durch axial verlaufen-
de Bruchflächen in mehrere Fragmente. Das grösste Bruch -
stück lässt zwei glatte Spiegelzonen erkennen (Bilder 11a, b):
Spiegelzone 1 auf der zirkulären Bruchfläche im Dom be reich,
Spiegelzone 2 auf der Axialbruchfläche. Der Übergang zwi-
schen den beiden Bruchflächen ist scharfkantig ausgebildet,
was darauf hindeutet, dass es sich um zwei un ab hängige,
nacheinander entstandene Risse handelt. In welcher Reihen -
folge aber waren die Risse entstanden? Hat das Versagen der
Kugel im Dom- oder im Konusbereich angefangen? Um diese
Fragen beantworten zu können, wurden die Übergänge zwi-
schen den einzelnen Bruchflächen mikroskopisch untersucht.
Dabei zeigte sich, dass die Bruchfläche des Dombereiches in
die Bruchfläche des Konus hineinfliesst und die Bruch -
ausgangsstelle für die Axialbruchfläche in diesem Bereich liegt
(Bild 11c). Somit steht fest, dass das Versagen der Kugel im
Dombereich begonnen hat. Bis sich jedoch die Spiegelzone
voll ausgebreitet hatte, wurden die Axialbruch flächen initiiert.
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
Bild 11a:
Fragment der Hüftgelenkkugel mit zwei Spiegelzonen:
Spiegel 1 im Dombereich, Spiegel 2 auf der Axialbruchfläche
Axialbruch2
1Dom
5 mm
Rissverzw
eigung/Rissm
ündung
Drucklippen
Drucklippen
Drucklippen entstehen bei Proben oder Bauteilen, die auf
Biegung beansprucht werden. Der Bruch breitet sich von der
auf Zug beanspruchten Oberfläche normalflächig, d.h. senk-
recht zur Oberfläche, ins Materialinnere aus. Hat der Riss die
Druckzone erreicht, biegt er von der Normalfläche ab und bil-
det die sog. Drucklippe (Bild 12a). Diese kann einseitig oder
auf beiden Seiten der Normalebene zu finden sein (Bilder
13a, b). Wird die gleiche Probe oder das gleiche Bauteil nur
auf Zug beansprucht, so bleibt der Riss auf dem normalflächi-
gen Pfad, die Bruchfläche verläuft senkrecht zur Oberfläche
über den ganzen Querschnitt (Bilder 12b, 14). Aufgrund des
Rissverlaufs können auch Aussagen über den Eigen -
spannungszustand gemacht werden. Bild 15 zeigt den Bruch
einer Kerbschlagprobe an einer gelöteten SSiC-Probe. Es
handelt sich um einen Keramik-Keramik-Verbund, hergestellt
durch Aktivhartlöten.
Der Bruch erfolgte in Nähe der Übergangszone zwischen der
keramischen Matrix und der Reaktionszone mit dem Lot und
breitete sich vorwiegend in der Keramik aus, die den niedrige-
ren Wärmeaus deh nungskoeffizienten aufweist.
Der konkav/ konvexe Bruchver lauf folgt der Zone mit den
grössten Zug-Eigenspannungen, die sich aus den thermi-
schen Spannungen aufgrund der hohen Solidustemperatur
ergeben. Die auffallend sehr schmalen Drucklippen weisen
darauf hin, dass der Bruchpfad weitgehend durch Zugspan -
nungen bestimmt war.
Erscheinen Drucklippen auf einer Zugprobe, dann sind sie ein
Indikator für eine sog. Parasit-Biegespannung, die der Zug -
spannung überlagert war. Die Biegemomente sind in Zugpro -
ben schwer zu beseitigen, sie stammen meistens von der
Einspannung und können fraktographisch eindeutig erkannt
werden.
Bild 11c:
Detail des Übergangs zwischen den Bruchflächen
lässt die Reihenfolge der Entstehung erkennen
Bild 11b:
Übergang zwischen den beiden Bruchflächen
ist scharfkantig ausgebildet
Bild 12a:
Schematischer Bruchverlauf bei
Biegebeanspruchung. Normal-
flächiger Verlauf auf der Zugseite,
Drucklippen auf der Druckseite
Bild 12b:
Bruchverlauf bei Zugbeanspruchung.
Normalflächiger Bruchverlauf
1Dom
Axialbruch2
1Dom
Axialbruch2
5 mm
1mm
14 15
Bild 13:
Einseitige (a) und doppelseitige (b) Drucklippen an Kerbschlagproben aus AI2O3. Bruchausgangsstelle an der Zugseite mit Pfeil bezeichnet
Bild 14:
Zugprobe aus SSiC.
Normalflächiger Bruchverlauf über den ganzen Querschnitt
Bild 15:
Biegeprobe einer Keramik-Keramik-(SSiC) Hartlotverbindung.
Der konkav/konvexe Bruchverlauf entspricht dem Verlauf der Zug-Eigen -
spannungen. Fehlende bzw. undeutlich ausgebildete Drucklippen
a b
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
2 mm 2 mm
5 mm 5 mm
Mäanderförmige Risse
Ein mäanderförmiger Rissverlauf ist oft auf eine thermische Be -
einflussung zurückzuführen. Thermisch induzierte Risse ent-
stehen bei schnellen einmaligen oder zyklischen Tempera tur -
ver änderungen, die zu Temperaturgradienten im Werkstoff
füh ren. Da keramische Werkstoffe im Allgemeinen einen niedri-
gen Wärmeausdehnungskoeffizienten und eine geringe Wär -
me leitfähigkeit aufweisen, können bei schnellem Erwär men
oder Abkühlen thermisch induzierte Zugspannungen entste-
hen, die sogar die Festigkeit des Materials übersteigen. Die
ther misch bedingten Risse sind in den Zonen mit den höchsten
Zugspannungen zu finden. Bekanntlich sind Bauteile, die
durch Montage unter Druck stehen (z.B. eingeschrumpfte
Büch sen), weniger empfindlich gegen Thermoschock. Die
Kennt nis über die Spannungsverteilung bzw. über die grössten
Dehnungen ist ein wertvolles Hilfsmittel zur Beurteilung der
Rissursache. Der Spannungszustand der Probe ist von den
Materialeigenschaften, der Geometrie der Probe bzw. des Bau -
teils und den Belastungsbedingungen abhängig.
Die thermisch induzierten Risse widerspiegeln die Lage der
höchsten Zugspannungen im Material, weshalb nicht nur ein
typisches Bruchbild existiert. Trotzdem gibt es einen Anhalts -
punkt, der die Diagnose der thermisch induzierten Risse er-
leichtert: Sie sind gekennzeichnet durch einen bogenförmigen,
mäanderförmigen Rissverlauf mit konkav/konvex ausgebilde-
ten Bruchflächen.
Bei einmaliger lokaler Aufheizung einer dünnwandigen Probe
entstehen mäanderförmige Risse, wie in Bild 16 wiedergege-
ben ist. Ein anderes Beispiel zeigt Bild 17. Es handelt sich um
Al2O3-Proben mit einem Querschnitt von 3x4 mm, die einem
thermischen Abschreckversuch unterworfen wurden. Auch hier
hat sich stellenweise der Risspfad bogenförmig ausgebildet.
Die Diagnose der thermisch induzierten Risse ist oft durch
Anwendungsbedingungen gegeben. So wird automatisch bei
einem heiss laufenden Turbinenrad an Thermoschockrisse ge-
dacht. Die Auswirkungen der thermisch induzierten Zugspan -
nungen können sich auch erst später unter Betrieb bei Raum -
temperaturen manifestieren, wie z.B. bei gelöteten Bauteilen.
Durch die Überlagerung von Betriebsspannungen mit Eigen -
spannungen wächst das Spannungsniveau über einen kriti-
schen Wert an und bringt das Bauteil vorzeitig durch Rissbil-
d ung zum Versagen.
Bild 16:
Mäanderförmiger Thermoriss in einer Steingutplatte
Bild 17:
Thermoschockrisse in Biegeproben aus AI2O3 [1]
Maänderförmige Risse
5 mm
15 mm
Bruchmerkmale
Rauheit der Bruchfläche
Bei spröden Werkstoffen hilft es, die Bruchflächenrauheit zu
beurteilen, um die Rissausbreitungsrichtung bestimmen zu
können. Die Rauheit nimmt mit wachsender Risstiefe zu. Die
Gründe dafür werden im Folgenden kurz erörtert.
In keramischen Werkstoffen breitet sich eine durch mechani-
sche Beanspruchung hervorgerufene Bruchfläche zunächst in
der Ebene der höchsten Nominalspannung aus. Bei instabiler
Rissausbreitung entsteht mit zunehmender Risstiefe ein immer
grösser werdender Überschuss an elastischer Energie. Die
überschüssige Energie wird in kinetische Energie umgesetzt.
Wie aus Gleichung (1) ersichtlich, ist sie umso grösser, je grös-
ser auch die Bruchspannung σ ist:
Die Zunahme der Bruchenergie äussert sich durch eine zu-
nehmende Bruchflächenrauheit, denn die Rissfront verzweigt
sich mikroskopisch. Ein wachsender Riss verzweigt sich erst
nach Erreichen einer genügenden Energiehöhe. Verzweigtes
Risswachstum bedeutet morphologisch gesehen die Bildung
einer grösseren Rissfläche und äussert sich in der Zunahme
der Rauheit auf der Bruchfläche. Ein Modell der Riss ver -
zweigung in einem homogenen, isotropen Werkstoff ist in
Bild 18 dargestellt. Durch lokale Verdrehung des Spannungs -
vektors bilden sich zwei Rissebenen, die durch Stufen verbun-
den sind.
16 17
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
�(1–ν2) σ2 c2W = WelO
_ + 4γcE
(1)
Bild 18:
Modell der
Rissverzweigung
Drehung des
Spannungsvektors
Bruchausbreitungs-
richtung
E = Elastizitätsmodul
γ = spezifische Oberflächenenergie
c = Fehlergrösse
σ = Spannung
l = Risslänge
W = potenzielle Energie der rissfreien Probe
WelO = elastische Energie der rissfreien Probe
ν = Poissonsche Konstante
Bruchmerkm
ale
Rauheit der Bruchfläche
Die auf der Bruchfläche entstandenen Stufen sind ein wichti-
ges Bruchmerkmal, denn sie geben direkt die Richtung der
Bruchausbreitung an. Die Bilder 19 und 20 zeigen zwei Bei -
spiele dafür. Beide Bruchflächen lassen deutlich ausgebildete
Rissausbreitungslinien erkennen, die mit zunehmender Ent -
fernung von der Bruchausgangsstelle gröber ausgebildet sind.
Auch die allgemeine, subjektiv beurteilte Rauheit der Bruch -
flächen nimmt mit wachsender Risstiefe zu.
Die Rauheit der Bruchfläche muss sowohl von blossem Auge
als auch unter einem Makroskop beurteilt werden, wobei die
Richtung des Lichteinfalls zu berücksichtigen ist. In den
Bildern 21a und 21b ist jeweils dieselbe Bruchfläche eines
Portlandzements zu sehen, die für Bild 21a mit diffusem und
für Bild 21b mit schrägem Licht aufgenommen wurde. Das
Schräglicht lässt die Bruchmerkmale, insbesondere die
Rissausbreitungslinien, deutlich erkennen, während unter dif-
fusem Licht die Bruchtopographie nicht zum Vorschein
kommt.
Bild 19:
Zunahme der Bruchflächenrauheit mit der Risstiefe.
Die Pfeile geben die Rissausbreitungsrichtung an
Bild 20:
Die Bruchausgangsstelle lässt sich aufgrund der geringeren
Bruchflächenrauheit bestimmen.
Die Pfeile geben die Bruchausbreitungsrichtung an
Bild 21b:
Dieselbe Bruchfläche wie in Bild 21a.
Die schräge Beleuchtung der Probe lässt
die Rissausbreitungslinien erkennen
Bild 21a:
Bruchfläche im Portland zement. Diffuses Licht,
Probe senkrecht von oben belichtet.
Keine Bruchmerkmale erkennbar
5 mm 5mm
5mm200 µm
zwischen demjenigen des Gusseisens (12x10-6/K) und des
Porzellans (5-6x10-6/K) zu liegen kommt.
Nach wenigen Ein satzjahren brach einer dieser Iso latoren ent-
zwei und verursachte grösseren Schaden an einer Fahrleitung.
Daraufhin wurden mehrere Isolatoren einer visuellen Prüfung
unterzogen, wobei zahlreiche Längsrisse sowohl im oberen als
auch im unteren Armaturenbereich ge fun den wurden (Bild
23). Die Verkittung aus Portland zement war von zahlreichen
Radial rissen durchsetzt, die auf eine ungenügende Zufuhr von
Feuchtigkeit während der Aushärtung zurückzuführen sind
(Bild 24). Es stellte sich die Frage, ob die Längs risse im
Porzellankörper durch die Radial risse in der Verkit tungs masse
eingeleitet worden waren.
18 19
Bild 23:
Längsrisse in unterem
Armaturenbereich
des Isolators
Bild 22:
Längsschnitt durch
die mit Portlandzement
eingekittete Armatur
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
Bild 24:
Radial angeordnete
Schwindrisse im
Portlandzement
Metall
Harz Porzellan
Porzellan-körner
Portlandzement
BEISPIEL: Bruchabklärung bei Freileitungsisolatoren
Keramische Isolatoren für Freileitungen haben sich in der
Hoch spannungstechnik seit 100 Jahren bewährt. Obwohl die
Einsatzdauer normalerweise mehrere Dekaden beträgt, treten
ab und zu vorzeitige Schäden in Form von Brüchen auf. Durch
eine eingehende Schadenanalyse ist dann herauszufinden, ob
der Schaden eine ganze Fertigungscharge betrifft, oder ob es
sich um einen Einzelfall handelt.
Isolatoren werden aus Porzellankeramik hergestellt. Im vorlie-
genden Fall waren die Porzellankörper mit Armaturen aus
Gusseisen versehen. Beide Teile waren im oberen und unteren
Bereich mit Portlandzement, dem Quarzkörner beigemischt
wurden, miteinander verbunden (Bild 22). Der Quarzzusatz
erhöht einerseits die Festigkeit und modifiziert andererseits
den Wärmeausdehnungskoeffizienten der art, dass letzterer
26mm
23mm
Parallel zu den Rissflächen wurden Säge schnitte gelegt, um
die Bruch fläche ohne Verletzung öffnen zu können. Die Bruch -
flächen im Porzellan verliefen makroskopisch beurteilt in der
gleichen Radial ebene wie im Portlandzement. Während die
Riss aus brei tungsrichtung im Porzellan anhand der Bruch mar -
kierungen eindeutig bestimmt werden konnte, zeigte der grob-
körnige Zement keine signifikanten Merkmale eines Riss fort -
schrittes. Im Porzellan liess sich aufgrund der radial
an ge ord neten Riss ausbreitungslinien die Bruchausgangsstelle
an der Grenz fläche zwischen Porzellan und Portlandzement lo-
kalisieren (Bild 25). Ausserdem deuteten die zahlreichen fei-
nen Stufen am Bruchrand auf viele nebeneinander liegende
Bruch aus gangsstellen hin. Auch die Zunahme der Bruch -
flächenrauheit in Richtung der vermutlichen Rissausbreitung
bestätigte diesen Befund. Somit hat sich gezeigt, dass die
Schrumpf risse in der Verkittung keinen kausalen Zusam men -
hang mit den Längs rissen aufweisen.
Die Risseinleitung fand eindeutig im Bereich der verkitteten
Arma turen statt, und zwar an Fehlstellen wie Poren, Hohl -
räumen und verästelten Ris sen. Die risseinleitenden Span nun -
gen sind auf Um ge bungs- bzw. Be -
triebs ein flüsse, z.B.Tempe raturwech sel,
zurück zufüh ren. Sie erreichten vor allem
an den Fehlstellen ihre Maxima. Die
Riss keime sind wegen der unterschied-
lichen Wär me ausdehnungskoeffizienten
von Me tall – Portland zement – Por zel -
lan und der sich daraus ergebenden
Zug-Eigen spannungen durch unterkriti-
sches Riss wachstum zunächst zu
Mikrorissen ange wachsen. Mit Errei -
chen einer kri ti schen Grösse haben die
Risse sich schneller ausgebreitet und
schliesslich zum katastrophalen Bruch
geführt.
Als primäre Ursachen müssen die schlechte Qualität der
Verkittung sowie das Fehlen einer elastischen Zwischen schicht
(z.B. Bitumen) angesehen werden.
Po
PZ
Bild 25:
Freigelegter Längsriss im Porzellan:
Rissausbreitungslinien und
zunehmende Bruchflächen-
rauheit zeigen die
Rissausbreitungsrichtung an.
Der Riss ist an der Grenzfläche
zwischen Portlandzement (PZ)
und dem Porzellan (Po) entstanden
10mm
20 21
Spiegel
Sowohl bei der Beurteilung von Schadenobjekten als auch bei
der Untersuchung von Laborproben, z.B. Vierpunkt-Biege pro -
ben, ist es von grosser Bedeutung, den primären Riss bzw.
die Bruchausgangsstelle zu identifizieren. Eines der wichtig-
sten Bruchmerkmale, das die Bruchausgangsstelle anzeigt, ist
der sog. Spiegel (engl. mirror). Als Spiegel wird die glatte
Bruch zone um die Bruchausgangsstelle bezeichnet. In hoch-
festen, feinkörnigen Keramiken von hoher Dichte und in Glas
ist die Spiegelzone glatt ausgebildet und durch eine saumför-
mige, feinkörnige Rauheit (engl. mist) abgegrenzt. An schlies -
send liegt eine Rissgabelungszone mit radialen Stufen vor
(Bilder 26b, c). Dagegen bilden weniger feste Keramiken mit
grober, poröser Struktur undeutlich ausgebildete Spiegel -
zonen. Übergangslos findet die Rissgabelung statt (Bild 26a).
Grobe RissgabelungFehler
Der Spiegel entspricht dem Bruchbereich, innerhalb welchem
sich der Bruch beschleunigt, so dass bei einer 3- bis 6-mali-
gen Verlängerung des Anrisses bzw. der Fehlergrösse eine
Bruchgeschwindigkeit von 103m/s erreicht wird [2]. Als Folge
der langsameren Ausbreitung in einer Ebene sind die Anrisse
bei Bruchbeginn immer glatter als in den zuletzt gebrochenen
Partien, wo die Rissfront sich verzweigt und das Wachstum
beschleunigt wird. Da der Riss am Anfang nur durch die Lage
der maximalen Spannung im Bauteil bzw. durch die Proben -
form vorgegeben ist, liegen die Spiegel immer in einer mecha-
nisch definierten Ebene der höchsten Spannung. Sie sind also
stets normalflächig orientiert, d.h. senkrecht zur Oberfläche.
Die Grösse des Spiegels bzw. dessen Radius ist von der
bruchverursachenden Energie abhängig [3]. Aus der Energie -
bilanz eines instabil verlaufenden Risses lassen sich die
Spiegelgrösse und die zum Bruch notwendige Spannung ab-
leiten. Für Glas und feinkörnige, homogene polykristalline ke-
ramische Werkstoffe gilt folgende Beziehung (2):
σB . � r = C
σB = Spannung bei Brucheintritt
r = Radius des Bruchspiegels
C = Materialspezifische Konstante
In der Literatur finden sich z.B. für spannungsfreies Glas
C-Werte von 2.3 MPa m1/2 und für Al2O3 C = 9.1MPa m1/2 [4].
Das Vorgehen zur Messung der Spiegelgrösse ist für einige
wenige Materialien genormt [5]. Da die Grenze zwischen der
glatten Spiegelfläche und der aufgerauten Rissgabelungszone
nicht diskret und scharf abgegrenzt, sondern durch eine konti-
nuierliche Zunahme der Bruchflächenrauheit gekennzeichnet
ist, sind für ein korrektes Ausmessen des Radius eine geeig-
nete Lichtquelle und eine angepasste Vergrösserung von
grosser Bedeutung. Jedoch ist der Radius nur mit einem sub-
jektiven Fehler bestimmbar, der bei ca. 5% der gemessenen
Länge liegt.
In isotropen, dichten und feinkörnigen keramischen Werk -
stoffen bildet sich eine «ideale» Spiegelzone um die Bruchaus -
gangsstelle. Da die Spiegelzone dort symmetrisch angeordnet
ist (eine Ausnahme bilden die «mixed-modus» Beanspru-
ch ungen, die zu einer asymmetrischen Form des Spiegels
füh ren), stellt sie ein wichtiges fraktographisches Merkmal für
die Bestimmung der Bruchausgangsstelle dar.
Bild 26a: Grobe Rissgabelung, undeutlicher Spiegel
(2)
Bild 26:
Ausbildung der Spiegelzone
GlatteSpiegelzone
Fehler
Bild 26c: Bruchausgangsstelle im Materialinneren
Bild 26b: Bruchausgangsstelle an der Oberfläche
Rissgabelung
Feinkörnige Rauheit
GlatteSpiegelzone
FehlerRissgabelung
FeinkörnigeRauheit
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
Bild 27:
Spiegel in ZrO2.
Bruchausgangsstelle an der Oberfläche
Bild 28:
Spiegel um die Bruch ausgangsstelle unterhalb der Oberfläche
Bild 29:
Undeutlich ausgebildete bzw. unscharf abgegrenzte Spiegelzone.
Bruchausgangsstelle unterhalb der Oberfläche. Nebeneinander gestellter
Bruch und Gegenbruch erleichtern das Erkennen der glatten Spiegelzone
Bild 30:
Undeutlich ausgebildete Spiegelzone in relativ grobkörnigem SiC
Spiegel
In Bild 27 sind Bruch und Gegenbruch einer Probe aus ZrO2
(mittlere Korngrösse ca. 1.7 µm) wiedergegeben. Die Spiegel -
zo ne liegt halbkreisförmig um die Bruchausgangsstelle, die
sich auf der Oberfläche befindet; die Grenze zwischen dem
glat ten Spiegel und der Gabelung ist undeutlich erkennbar. In
Bild 28 ist ein innerer Fehler als Bruchausgangsstelle erkenn-
bar.
In keramischen Werkstoffen mit grobkörniger oder poröser
Struktur bilden sich keine glatten Spiegelzonen oder sie sind
nur mit grosser Unsicherheit zu erkennen (Bilder 29, 30).
Wer den die beiden Bruchflächen nebeneinander gestellt
(Bilder 27, 29), so erhöht sich die Erkennbarkeit der glatten
Zonen und der Bruchausgangsstelle.
In dünnwandigen Bauteilen aus homogenem, feinkörnigem
Werkstoff kann der Radius der Spiegelzone grösser sein als
die Wanddicke des Bauteils und ist somit nicht vollständig
ausgebildet bzw. nicht vollständig zu erkennen.
4mm 1mm
1mm 200 µm
22 23 Bild 32b: Stufenartig ausgebildeter Hertzscher Konus
Bild 32a: Glatt ausgebildeter Hertzscher Konus
Schlagstelle
Spiegelzonen können auch durch runde Fehlstellen oder
Inhomogenitäten im Mikrogefüge vorgetäuscht werden. Bild
31 zeigt eine hofförmige, glatte Zone, die um eine Porosität an-
geordnet ist. Es handelt sich um die Bruchausgangsstelle einer
Vierpunkt-Biegeprobe aus Si3N4, mit durchschnittlicher Korn -
grösse von ca. 6 µm. Obwohl die Zone um die Bruch aus -
gangsstelle glatt ausgebildet ist, stellt sie keinen Spiegel dar.
Wie die keramographische Untersuchung ergeben hat, be-
steht diese Zone aus Grobkorn mit einem Durchmesser von
bis zu 30 µm. Offensichtlich verläuft die Grenze zwischen der
glatten Zone und der Bruchfläche entlang den Korngrenzen,
ist also im Gegensatz zu einem Spiegel linienförmig und scharf
ausgebildet.
20 µm
Bild 31:
Um eine Pore entstandene hofförmige Zone mit Grobkornbildung. Pfeile
zeigen die Grenze zwischen der grobkörnigen Zone und der Bruchfläche
Hertzscher Konus
Flache, konisch geformte Ausbrüche sind charakteristisch für
eine Schlagbeanspruchung und stellen ein wichtiges Bruch -
mer kmal dar.
Bei Schlagbeanspruchung wird die Oberfläche auf Druck be-
la s tet. Dabei entsteht im angeschlagenen Bauteil ein Span -
nungs maximum unterhalb der Oberfläche. Die Entfernung von
der Oberfläche als auch die Grösse des Spannungs maxi -
mums sind von verschiedenen Parametern wie Normalkraft
und Geometrie des Körpers abhängig. Übersteigt das Span -
nungs maximum die Festigkeit des Materials, so kommt es an
der Schlagstelle zu Riss- bzw. zu Bruchbildung. Ein solcher
Bruch verläuft immer schräg zur Oberfläche und wird als
Hertzscher Konus bezeichnet. Er kann glatt (Bild 32a) oder
stufenartig (Bild 32b) ausgebildet sein. Eine derartig abgestuf-
te, aus mehreren konzentrischen konischen Zonen bestehen-
de Stelle deutet auf eine relativ hohe Schlagenergie hin.
Dagegen sind die flach und einfach ausgebildeten Ausbrüche
typisch für einen Schlag mit niedriger Energie.
Ein Hertzscher Konus, der von einem glatten Spiegel umge-
ben ist, deutet auf die Brucheinleitung durch einen intensiven
Schlag hin.20 µm
5mm
3mm
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
Bild 33a:
Uhrengehäuse mit Riss
im Abdeckungsglas
Bild 33b:
Bruchausgangsstelle innerhalb
des linearen Bruchverlaufes
Bild 33c:
Schlagstelle an der
Bruchausgangsstelle
Bild 33d:
Schar von Kratzspuren (Pfeil 2) an der Bruchausgangsstelle.
Pfeil 1: Schlagstelle
Bild 33e:
Geöffneter Riss. Schlagstelle an
der Bruchausgangsstelle (Pfeil)
Bild 33f:
Die freigelegte Rissfläche zeigt eine
glatte Spiegelzone um die Bruch-
ausgangsstelle. Pfeil: Bruch-
ausgangsstelle bei Schlagstelle
1
2
Hertzscher Konus
BEISPIEL: Risse in Uhrengläsern
Bei einem Uhrenhersteller reklamierten Kunden wegen Risse
im Abdeckglas (Bild 33a). Die Rissursache sollte abgeklärt
werden. Mit dem Lichtmikroskop konnte kein Befund erhoben
werden. Wegen ihrer Trans -
parenz und der schlechten
elektrischen Leitfähigkeit
muss ten die Gläser mit Gold
bedampft und anschliessend
im REM untersucht werden. Die Bruch aus gangsstelle be-
fand sich jeweils dort, wo der Riss einen linearen Verlauf
zeigt, wie es in den Bildern 33b, d wiedergegeben ist. Als
Bruchausgangsstelle wurden Anschlagstellen eruiert, die
sich bei höherer Vergrösserung als Hertzsche Koni darstel-
len liessen. Bei einem Glas lag die Bruchausgangsstelle di-
rekt beim konusförmigen Ausbruch (Bilder 33b, c),
während das andere Glas die Rissausgangsstelle bei einer
Kratzspur erkennen liess (Bild 33d). Diese Kratzspur zeigt
einen kausalen Zusammenhang mit der Schlagspur und ist
wahrscheinlich durch denselben Anschlag des Uhren -
gehäuses gegen einen harten Gegenstand entstanden.
Nach Öffnen der Riss fläche zeigten sich glatte Spiegelzonen
um die vermutete Bruch ausgangs stelle (Bilder 33e, f).
Somit steht fest, dass die Uhren gläser durch Schlag be an -
spru ch ung beschädigt wur d en, welche die entstandenen
Risse zur Folge hatte.
20 µm 100 µm
10 µm 20 µm 100 µm
Wallners Linien
Wallners Linien sind bogenförmige, parallel zueinander verlau-
fende Markierungen auf der Bruchfläche, die durch das Zu -
sammentreffen der Bruchfront mit elastischen Schallwellen
ent stehen. Die Schallwellen können entweder durch Inhomo -
genitäten im Ligament des herannahenden Risses oder durch
Reflexion auf der freien Oberfläche des Prüfkörpers bzw. Bau -
teils entstehen. Allgemein gesagt sind Wallners Linien die
Inter ferenzstellen des Spannungsfeldes eines herannahenden
Risses mit einem anders orientierten Spannungsfeld.
Wallners Linien entstehen sowohl in spröden metallischen als
auch in spröden nichtmetallischen Werkstoffen. Die Sprödig -
keit bezieht sich hier auf die geringe bzw. fehlende plastische
Verformung an der Rissspitze. Die Bilder 34a-c zeigen Bei -
spiele dieses makroskopisch sichtbaren Merk mals in diversen
Materialien. Auch im mikroskopischen Bereich können sich
Wallners Linien bilden, wie Bild 34d zeigt.
24 25
Wallners Linien bilden sich nur bei schnell instabil wachsenden
Rissen. Aus ihrer Form lassen sich wichtige Informati o nen über
die Reihenfolge der Entstehung diverser Bruchberei che able-
sen. Dazu ist es sinnvoll, die Ent steh ungs me cha nis men in drei
Gruppen einzuordnen [6]. Die primären Wallners Linien entste-
hen durch Interferieren der Rissfront mit einem Hin dernis, das
durch eine Inhomogenität in Nähe der Oberfläche verursacht
wurde. Wenn die Rissfront (in Bild 35a blau) den Punkt 0
durchquert, stösst sie auf eine Inhomogenität (rot gezeichnet).
Dabei entstehen elastische Schallwellen, die in Zeitintervallen
folgen (gestrichelte Linien). Wenn die Rissfront die Positionen 1,
2...5 erreicht, interferiert sie mit den einzelnen elastischen
Schallwellen 1...4. An den Schnittpunkten entstehen die leich-
ten Verschiebungen der Rissebene, die als Wallners Linien er-
kennbar sind. Als sekundäre Wallners Linien werden Inter -
ferenzfronten mit Schallwellen bezeichnet, die bei einer
Gabe l ung der Rissfront entstehen, d.h. am grob strukturierten
Rand (Bild 35b). Folglich sind sie relativ dicht ausgebildet. Sie
helfen, den Bereich der Gabelung zu lokalisieren, d.h. den
Bereich, wo der Riss sich beschleunigt hatte. Ausserdem sind
Bild 34a:
Wallners Linien in gehärtetem Stahl
Bild 34b:
Wallners Linien in Al2O3
Bild 34c:
Wallners Linien in natürlichem Mineral (amorphes SiO2) innerhalb von
konischen Einschlagstellen (Hertzsche Koni)
Bild 34d:
Wallners Linien im mikroskopischen Bereich von Al2O3
10 µm
5 mm
8mm
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
sie ein Hinweis auf einen starken Spannungs gradienten im Bruchbereich. Die
tertiären Wallners Linien entstehen durch Interferieren mit Schallwellen, die auf
der freien Oberfläche der Probe oder des Bauteils ausserhalb des wachsen-
den Risses aufgetreten sind. Sie bilden sich vor allem bei einem energie-
reichen Aufschlag, einem anderen mechanischen Schock oder bei Vibra tionen
(Bild 35c).
1 2 3 4 5
1 2 3 4 5
1 2 3 4 5
123 0
0 1 2 3 4 5
1
2
3
4
Bild 35b:
Sekundäre Wallners Linien entstehen durch elastische Wellen aus dem
Bereich der Rissgabelung (rot)
Bild 35c:
Interferiert die Rissfront mit Schallwellen, die an der Probenoberfläche aus-
serhalb der Rissfront aufgetreten sind, so entstehen die tertiären Wallners
Linien [6]
Bild 35a:
Entstehung von primären Wallners Linien. Schallwellen sind an einer
Inhomogenität bei Position 0 entstanden. RAR: Rissausbreitungsrichtung
Wallners Linien
RAR
RAR
RAR
26 27
Obwohl die Wallners Linien nicht immer mit der Bruchfront identisch sind,
kann mit ihrer Hilfe die Rissausbreitung bestimmt werden. Ausserdem ist ihre
Form ein Indiz für die zum Bruch führende Belastung. In Bild 36 sind verschie-
dene Formen der Wallners Linien gezeigt, die die Spannungs ver teilung in der
Probe wiedergeben [7].
Eine besondere Form der primären Wallners Linien sind die kurzen flügelförmi-
gen Linien (gull wings), die bei Begegnung einer Riss front mit einem Hindernis
entstehen. Sind sie um einen Einschlag angeordnet, wie auf der Bruchfläche
des Isolators in Bild 37, dann sind sie ein Beweis dafür, dass der Einschlag
bei Aus breitung der Hauptbruchfläche schon bestanden hat, er also als Ur -
sache bezeichnet werden kann. Um einen nachträglich entstandenen Ein -
schlag würden sich diese Wallners Linien nicht bilden.
Bruchausgangsstelle
Wallners Linien
Wallners Linien
Wallners Linien
Bruchausgangsstelle
Bruchausgangsstelle
Bild 36a:
Symmetrisch ausgebildete Wallners Linien. Gleichmässig verteilte Zug spannung
Bild 36c:
Asymmetrisch ausgebildete Wallners Linien. Zugspannung im oberen,
Druckspannung im unteren Probenbereich
Bild 36b:
Asymmetrisch ausgebildete Wallners Linien deuten auf eine höhere
Zugspannung auf der oberen Oberfläche
Rissverzweigung
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
BEISPIEL: Primär- oder Sekundärbruch?
In einer Freiluft-Hochspannungsschaltanlage waren mehrere
Isolatorenkörper aus Porzellan entweder als Stützen- oder
Kammerisolatoren eingesetzt. Bei einem Bruchereignis wur-
den mehrere Isolatoren beschädigt. Es stellte sich die Frage,
welcher Isolator war als Erster gebrochen, und welche waren
durch herunterfallende Bruchstücke sekundär beschädigt
worden.
In einem solchen Fall wird nach Bruchflächen gesucht, die ei-
nen Spiegel aufweisen. Unter anderem wurde auch die in
Bild 37 gezeigte Bruchfläche gefunden. Am Ausgang der
Spie gelzone befindet sich eine konisch ausgebildete Schlag -
stelle. Der Konus liegt im Zentrum des halbkreisförmigen, glat-
ten Spiegels und könnte deswegen als ursächlich für den
Bruch betrachtet werden. Es ist aber auch möglich, dass die
Bruchfläche hier nachträglich einen Schlag zum Beispiel beim
Her unterfallen erhalten hat. In diesem Fall wäre der Konus auf
eine sekundäre Beschädigung zurückzuführen. Schauen wir
uns den Übergang vom Konus zur Spiegelzone genau an. Die
mit roten Pfeilen markierten flügelförmigen Linien (gull wings)
sind ein wichtiger Hinweis darauf, dass zuerst der Einschlag
entstanden war und von ihm ausgehend sich die Bruchfläche
gebildet hatte.
Im Gegensatz dazu zeigt Bild 38 eine Bruchfläche, die
nachträglich durch einen Schlag beschädigt wurde. Die
Bruch ausgangsstelle (BA) befindet sich an der mit Pfeil rechts
unten im Bild markierten Stelle und ist durch eine glatte
Spiegelzone erkennbar. Die konische, abgestufte Ausbruch -
stelle an der unteren Kante der Bruchfläche ist eindeutig als
sekundäre Beschädigung der Probe anzusehen.
Bild 37:
Bruchfläche eines Isolatorenkörpers.
Die Bruchausgangsstelle (BA) ist erkennbar am
glattem Spiegel und den Rissausbreitungslinien (siehe gelbe Pfeile).
Der Einschlag war massgebend für das Entstehen der Bruchfläche
(erkennbar an den flügelförmigen Linien, siehe rote Pfeile)
Bild 38:
Nachträglich beschädigte Bruchfläche
(konische Ausbruchstelle
mit gestrichelter Linie markiert)
BA
BA
20 mm
5mm
28 29
Bruchausgangsstelle
Die Bruchausgangsstelle ist eine Singularität, an welcher der
Riss bzw. Bruch begonnen hat. Es ist das wichtigste Ziel jeder
fraktographischen Untersuchung, diese Stelle zu charakteri-
sieren. Sie interessiert nicht nur bei Schadenfällen, sondern
auch bei Laborproben oder Proof-Test-Brüchen an Bauteilen,
denn die Kenntnis ihres Charakters macht unmittelbare Ver -
besserungsmassnahmen möglich. Auch ist die Bruchaus -
gangs stelle immer eine Singularität bzw. Irregularität, die zu ei-
ner Spannungskonzentration führte. Oft wird von Fehlstellen
gesprochen. Diese Stellen dürfen aber nicht automatisch als
Indikatoren für ein fehlerhaft hergestelltes Material interpretiert
werden. Die Bezeichnung Herstellungsfehler ist oft unkorrekt.
Vielmehr handelt es sich um intrinsische Gefügestörstellen wie
Poren, Hohlräume, Einschlüsse oder Korngrenzen oder um
extrinsische Oberflächenstörstellen wie scharfe Bearbei tungs -
riefen. Jeder Fall muss dahin gehend abgeklärt werden, ob die
vorhandenen Inhomogenitäten dem Stand der Technik ent-
sprechen oder ob sie verbessert werden können.
Bei der Untersuchung von Bruchausgangsstellen ist es vorteil-
haft, den Bruch und Gegenbruch nebeneinander zu legen und
gemeinsam zu betrachten. Die Bruchausgangsstelle wird da-
durch schneller erkannt, wie die Bilder 27, 40g und 41b de-
monstrieren. Ausserdem kann sie erst nach Auswertung von
beiden Bruchflächen mit Sicherheit beurteilt werden. In Bild
40h sind Bruch und Gegenbruch einer Vierpunkt-Biegeprobe
aus Al2O3 im Bereich der Bruchausgangsstelle wiedergege-
ben, welche bei einem unvollständig versinterten Sprühkorn
liegt. Dieses ist nur in der linken Bruchfläche eindeutig zu er-
kennen, während auf der rechten Bruchhälfte eine Kalotte
sichtbar ist. Wäre nun nur diese rechte Bruchfläche untersucht
worden, hätte die Kalotte irrtümlicherweise als Pore gedeutet
werden können.
Grundsätzlich werden die Bruchsausgangsstellen in zwei
Gruppen unterteilt:
1. Volumenfehler
2. Oberflächenfehler
Diese Gruppierung ist sinnvoll, weil sie zwischen intrinsischen
(von innen her) und extrinsischen (von aussen her) Ursachen
unterscheidet.
Volumenfehler
Volumenfehler sind dem Material inhärente Inhomogenitäten,
die auf den Herstellungsprozess zurückzuführen sind. Sie
können in oberflächennahen Bereichen oder im Material -
inneren vorkommen. In der industriellen Keramik sind folgende
Inhomogenitäten am häufigsten anzutreffen:
• Pore (diskreter Hohlraum) (Bild 39a)
• Poröser Spalt (zusammenhängende Poren, die eine
rissartige Trennung im Material verursachen) (Bilder 39b, f
• Poröser Bereich. Mit zahlreichen Poren durchsetzte
Zone (Bild 39c)
• Agglomerate. Ganze Gruppe von endogenen Ein -
schlüssen oder Reste des Sprühkorns (Bilder 39d, e)
• Exogene Einschlüsse. Fremdartiges, eingesintertes
Material (Bild 39i)
• Grobkornbildung, lokale Gefügeanomalie (Bilder 39g, h)
• Interne Risse, Trennungen
Bild 39a:
Grosse Pore als Bruchaus gangsstelle
Bild 39b:
Poröser Spalt in Al2O3
20 µm
2 µm
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
Bild 39e:
Unversinterter Bereich auf einer Bruchfläche.
Typische Merkmale sind das kugelige Sprühkorn (links im Bild)
und die abgerundeten Formen der Kristallite.
Rechts im Bild: trans- und interkristalline Bruchfläche
Bild 39f:
Unversinterte Zone auf einer Bruchfläche.
Typisch sind die abgerundeten
Formen der Kristallite
Bild 39c:
Anhäufung von Porosität
Bild 39d:
Bruch (1 oben) und Gegenbruch (2 unten)
einer Vierpunkt-Biegeprobe.
Bruchausgangsstelle an einem unvollständig
versinterten Agglomerat
Bruchausgangsstelle
Volumenfehler
1
2
100 µm
40 µm
10 µm
10 µm
30 31
Oberflächenfehler
Die Oberflächenfehler entstehen in der Bearbeitungsphase
des keramischen Bauteils. Es kommen vor:
• Vertiefte Prägung oder gefräste Bezeichnung
(Bilder 40a, b)
• Schleifspuren (Bilder 40c, d)
• Bearbeitungsfehler wie scharfe Riefen, Risse, Aus-
brüche (Bilder 40e, f)
• Beschädigungen der Oberfläche durch falsche
Handhabung: Kratzer, Ausbrüche, Schlagstellen
(Bilder 40i, j)
• Lochfrass- oder rissförmige Narben durch chemische
(Korrosion) oder thermische Reaktionen mit der Um-
gebung (Bild 40k)
Bruchverursachende scharfe Riefen, Kerben oder Reibspuren,
die sich über eine grössere Länge erstrecken, führen in fein-
körnigen, dichten Keramiken zu relativ glatten Bruchflächen,
die keine dominanten Bruchmarkierungen zeigen (Bild 40e).
Eine singuläre Bruchausgangsstelle dagegen lässt sich makro-
skopisch anhand der Rissausbreitungslinien punktuell erken-
nen (Bild 40g).
Licht- oder elektronenoptische Untersuchungen im Bereich
der Bruchausgangsstelle liefern wichtige morphologische Re -
sultate. Bei unversinterten Bereichen oder Kratzspuren und
Schlagstellen genügen diese Befunde oftmals, um geeignete
Verbesserungsmassnahmen zu ergreifen. In den meisten Fällen
jedoch sind weitere Untersuchungen angebracht. Denn die
Bruchausgangsstelle ist eine dreidimensionale Singularität, die
durchaus auch eine andere chemische Zusammen setzung,
ein anderes Gefüge aufweisen kann als die Grundmasse.
Deswegen ist ein keramographischer Schliff durch die Bruch -
ausgangsstelle mit anschliessender mikroanalytischer Unter -
suchung von grosser Bedeutung.
Bild 39i:
Bruchausgangsstelle bei exogenem Einschluss
Bild 40a:
Bruchausgangsstelle bei eingefräster Produktbezeichnung
Bild 39g:
Ansicht einer Bruchfläche im Bereich der Bruchausgangsstelle.
Pore und Grobkornbildung
Bild 39h:
Keramographischer Schliff durch die Bruchausgangsstelle
von Bild 39g. Grobkornbildung
20 µm
10 µm
40 µm
3 mm
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
Bild 40d:
Detail aus Bild 38c
Bild 40e:
Scharf gekerbte Biegeprobe zur Bestimmung der Bruchzähigkeit.
Keine singuläre Bruchausgangsstelle erkennbar
Bild 40f:
Detail aus Bild 38e: multiple Bruchausgangsstellen innerhalb einer
Bearbeitungsriefe. Kleine, durch die Bearbeitung verursachte
Ausbruchstellen (siehe Pfeile)
Bild 40g:
Ungekerbte Vierpunkt-Biegeprobe.
Bruch und Gegenbruch nebeneinander gestellt.
Singuläre Bruchausgangsstelle erkennbar
Bild 40b:
Eingefräste Zahl. Detail der Bruch ausgangsstelle aus Bild 38a
Bild 40c:
Bruchausgangsstelle bei einer Schleifspur
Oberflächenfehler
Kerbe
200 µm
20 µm
10 µm
10 µm
2 mm
2mm
32 33
Bild 40k:
Rissbildung innerhalb angeschmolzener Glasphase
im Korngrenzenbereich (SSiC)
Bild 40l:
Detail aus Bild 40k: angeschmolzene Glasphase
Bild 40j:
Bruchausgangsstelle an einer Schlagstelle
Bild 40h:
Detail der Bruchausgangsstelle aus Bild 40g: unversintertes Sprühkorn.
Bruch und Gegenbruch nebeneinander gestellt
Bild 40i:
Kratzer im Glas als Bruchausgangsstelle
40 µm
10 µm
20 µm
4 µm
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
Bild 41a:
Gebrochener Lagerring. Normalflächige Bruchfläche (unten),
Folgebruch-Biegebruch mit ausgeprägten Drucklippen (oben)
Bild 41b:
Ansicht der Bruchflächen.
Mit Pfeil bezeichneter Spiegel
BEISPIEL: Bruch eines Kugellagerringes
Ein Kugellagerring aus gesintertem TiCN-Werkstoff versagte
vorzeitig während eines Ermüdungsversuches. Der Ring wur-
de in Radialrichtung mit schwellender Dehnung belastet. Da
der Hersteller eine längere Lebensdauer erwartet hatte, sollte
die vorzeitige Versagensursache durch eine fraktographische
Untersuchung eruiert werden.
Der Ring zerbrach in zwei symmetrische Bruchstücke, die in
Bild 41a dargestellt sind. Welcher der beiden Brüche war der
Primärbruch und welcher der sekundäre Folgebruch? Diese
Frage kann beantwortet werden, wenn wir den makroskopi-
schen Bruchverlauf der einzelnen Bruchbereiche betrachten.
Die Bruchfläche im unteren Bereich erstreckt sich in
Radialrichtung senkrecht zu den Stirnoberflächen des Ringes,
d.h. normalflächig. Dagegen ist der zweite Bruchbereich (in
Bild 41a oben) zerklüftet. Schon diese «flüchtigen Resultate»
führen zur eindeutigen Bestimmung des Primärbruches: Die
normalflächige Bruchfläche entspricht der Lage der maxima-
len Zugspannungen, die sich aus der Beanspruchung beim
Ermüdungsversuch ergeben. Die zerklüftete Bruchfläche weist
auf dem Aussenumfang deutlich ausgebildete Drucklippen
auf, was eine Biegebeanspruchung und somit den sekun-
dären Folgebruch charakterisiert (Bild 41c). Auch die Rauheit
der beiden Bruchbereiche steht in Übereinstimmung mit die-
sen Überlegungen, denn die glatte, normalflächige Bruchfläche
ist für niedrigere Nennspannung charakteristisch, im Gegen -
satz zur rauen Bruchfläche, die bei höherem Energieniveau
entsteht, was für den Folgebruch zutrifft.
Die normalflächige primäre Bruchfläche zeigt eine deutlich
aus gebildete Spiegelzone an der Stirnoberfläche (Bilder 41b,
d). Die Bruchausgangsstelle befindet sich bei der mit Laser
eingeprägten Bezeichnung «4», die als Kerbe bei der Riss -
initiierung gewirkt hatte. Ausserdem entstand während der
Laser-Beschriftung eine Anschmelzung der Oberfläche, wie
aus den Bildern 41e, f ersichtlich ist. Auch ein keramographi-
scher Schliff durch die Bruchausgangsstelle bestätigt diesen
Befund. Das Mikrogefüge ist bis zu einer Tiefe von 20 µm ther-
misch beeinflusst und mit feinen Poren durchsetzt (Bild 41g).
Der Ermüdungsriss wurde somit durch die Kerbwirkung der
Beschriftung vorzeitig eingeleitet und das frühe Risswachstum
durch das angeschmolzene Gefüge begünstigt. Daraus lässt
sich folgern, dass die Beschriftung des Lagerringes sorgfälti-
ger ausgeführt werden muss, um sowohl die Kerbwirkung als
auch die Gefügeanschmelzung zu vermeiden.
20 mm
20 mm
34 35
Bild 41f:
Detail der angeschmolzenen Oberfläche
(Detail aus Bild 41e)
Bild 41g:
Keramographischer Schliff durch die Bruchausgangsstelle.
Angeschmolzenes, mit Poren durchsetztes Gefüge
Bild 41e:
Bruchausgangsstelle bei «4».
Angeschmolzene Oberfläche
Bild 41c:
Folgebruch-Biegebruch mit Drucklippen (oben).
Bruchausbreitungsrichtung bezeichnet mit Pfeilen
Bild 41d:
Ansicht der normalflächigen Bruchfläche mit Spiegel.
Bruchausgangsstelle bei Bezeichnung «4»
Bruchfläche
Drucklippen
Ob
erflä
che
Bruchfläche
Ob
erflä
che
0
0 1 2 3 4
12
••
100 µm
20 µm
20 µm
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
BEISPIEL: Bruch einer Hüftgelenkkugel in vivo
Untersucht wurde eine Hüftgelenkkugel aus Al2O3, die in vivo
brach. Die eingelieferten Bruchstücke sind in Bild 42a wieder-
gegeben.
Die makroskopische Betrachtung der einzelnen Bruchflächen
ergab, dass der primäre Bruch sich auf Bruchstück Nr. 1 be-
finden muss. Dafür sind einerseits die Grösse des Bruch -
stückes (das grösste Bruchstück) sowie seine geometrisch
axial verlaufende Bruchfläche charakteristisch (Bild 42b). Zum
Vergleich zeigt Bild 42c das Bruchstück Nr. 3, welches die ty-
pischen Merkmale eines Folgebruches aufweist: schräg ver-
laufende, zerklüftete und gewölbte Bruchflächen. Diese Riss -
ausbreitung entspricht keiner Hauptspannungsrichtung in der
belasteten Kugel. Der zerklüftete Bruchverlauf deutet auf einen
Folgebruch hin und die gewölbte Bruchfläche auf eine Biege -
be anspruchung (Drucklippen), die auch bei Folgebrüchen vor -
kommt.
Tatsächlich befindet sich auf dem Bruchstück Nr. 1 eine glatte
Spiegelzone mit gut sichtbaren Rissaus breitungs linien im
Bereich der Rissverzweigungen und zunehmender Rau heit bei
grösserer Entfernung von der Bruchausgangs stelle. In Bild
42d ist diese Stelle mit glattem Spiegel wiedergegeben.
Sie befindet sich im Bodenbereich in der Nähe – aber
ausserhalb – vom Radius. Unter dem Rasterelektronen -
mikroskop kommen an der Bruchausgangskante feine Riss -
ausbreitungslinien zum Vorschein, die darauf hindeuten, dass
der Bruch nicht punktuell, sondern auf einer Länge von
ca. 3.0 mm initiiert wurde. Weitere mikroskopische Unter-
such ungen haben ergeben, dass der Bruch an einer
Schleifspur entstanden ist (Bild 42e). Es konnten sonst keine
Anomalien in der Beschaffenheit der Oberfläche oder
Materialfehler gefunden werden. In diesem Fall müssen noch
weitere Unter suchungen klären, ob der Patient z.B. einen
Sturz erlitten hatte oder ob andere Gegebenheiten eine Über-
lastung der Kugel ermöglichten.
Bild 42a:
Übersicht der einzelnen Fragmente
Bild 42c:
Zum Vergleich Bruchstück Nr. 3: Folgebruch
Bild 42b:
Das grösste Bruchstück mit Primärriss.
Geometrisch axial verlaufende Bruchfläche
1 3
5 mm
5mm
36 37
BEISPIEL: Bruch einer Hüftgelenkkugel
bei Ermüdungs test
Eine Hüftgelenkkugel aus Al2O3 wurde mit einer Frequenz von
7 Hz und dem Prüfkraftverhältnis R = 0.1 (Verhältnis von
Unter last zu Oberlast) auf Ermüdung geprüft. Nach 2 Mio.
Last wechseln der sinusförmigen Druckbelastung wurde die
Last bei gleich bleibendem R-Wert um 11.7% erhöht. Der
Bruch ereignete sich nach weiteren 8'274 Lastwechseln. Es
bildeten sich fünf grössere und zahlreiche kleinere
Bruchstücke (Bild 43a).
Ziel der fraktographischen Beurteilung war es, die Bruchaus -
gangsstelle zu bestimmen und zu charakterisieren. Zu diesem
Zweck wurde die Kugel rekonstruiert und der Rissverlauf an
den grössten Bruchstücken beurteilt. Dieser lässt auf der inne-
ren Oberfläche im Bodenbereich eine deutlich symmetrische
Ausbildung erkennen (Bild 43b). Die weitere Untersuchung
konzentrierte sich auf den Symmetriepunkt (Pfeil in 43b).
Tatsächlich zeigt die Bruchfläche hier einen normalflächig ver-
laufenden Bruchbereich, in dessen Mitte sich ein Spiegel be-
findet (Bild 43c). Die mikroskopische Untersuchung zeigte,
dass der Bruch an einer Schleifspur initiiert wurde (Bild 43d).
Der leichte Helligkeitskontrast der Spiegelzone gegenüber der
übrigen Bruchfläche begründet sich in der mikroskopischen
Topographie der Bruchfläche. Während ca. 30% der Spiegel -
zone einen transkristallinen Verlauf zeigt, weist die übrige
Bruch fläche fast vollständig interkristallinen Bruchverlauf auf
(Bilder 43e, f). Dieser Unterschied könnte auf das unterkriti-
sche Risswachstum zurückzuführen sein [7].
Bild 42d:
Bruchausgangsstelle (mit Pfeilen bezeichnet) am Bruchstück Nr. 1
Bild 42e:
Die gestrichelte Linie zeigt den Bruchrand an der Bruchausgangsstelle.
Schleifspuren auf der Innenoberfläche (mit Pfeilen bezeichnet)
Bild 43a:
Übersicht der einzelnen Fragmente
Bruchfläche
Innere Kugeloberfläche
1mm
20 µm
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
Bild 43c:
Ansicht der Bruchfläche mit Bruchausgangsstelle.
Spiegel (Pfeil)
Bild 43d:
Detail der Bruchausgangszone.
Der Bruch wurde entlang einer Schleifspur initiiert (Pfeile)
Bild 43f:
Interkristalliner Bruchverlauf ausserhalb des Spiegels
Bild 43e:
Teilweise transkristalliner Bruchverlauf in der Spiegelzone
Bild 43b:
Rekonstruierte Kugel nach Ermüdungsbruch.
Ansicht der Bodenzone im Kugelinneren.
Bruchausgangsstelle (Pfeil) liegt beim Symmetriepunkt
5 mm
200 µm
20 µm
2 µm
1µm
38 39
KE
RA
MIK
UN
DG
LA
S
[1] Danzer, R.:
Bruch von Struktur- und Funktionskeramiken.
Konferenzband Gefüge und Bruch, Montanuniversität Leoben
(2002)
[2] Rice, R.W.:
Ceramic Fracture Features, Observations, Mechanisms, and
Uses.
P. 5–103 in Fractography of Ceramic and Metal Failures,
ASTM STP 827, Philadelphia Am. Soc. for Testing and
Materials (1984)
[3] Mecholsky Jr., J.J.; Rice, R.W.; Friman, S.W.:
Prediction of Fracture Energyband Flaw Glasses from
Measurements of Mirror Size. J. Am. Ceram. Soc. 57, 10, p.
440–443 (1974)
[4] Kirchner, H.P.; Gruver, R.M.; Sotter, W.A.:
Fracture Stress – Mirror Size Relations for Polycristaline
Ceramics.
Phil Mag 33, 5, p. 775–780 (1976)
[5] Standard Practice for Interpreting Glass Fracture Surface
Features. ASTM C1256-93
[6] Fréchette, V.D.:
Failure Analysis of Brittle Materials. Am. Ceram. Soc. (1990)
[7] ASTM Metals Handbook,
Vol. 11, Analysis of Ceramics (1986)
Literatur
40 41
ME
TA
LLE
Eine Schadenanalyse besteht gewöhnlich in komplexer
Untersuchungsarbeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
Schäden meist nicht nur einer Ursache zuzuschreiben sind,
sondern durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren
entstehen. Enden Schäden in einem Bruch, steht im
Mittelpunkt der Untersuchung zweifellos die Frakto graphie,
denn sie liefert Informationen über Bean spruchungs art,
Werkstoffzustand und Umgebungseinflüsse. Daraus lassen
sich dann die Ursachen eines Bruches ableiten.
Es existieren zahlreiche hervorragende Bücher, die sich mit
Schadenanalytik befassen. Ausserdem bietet die Fach -
literatur viele Bruchatlanten, in welchen die typischen
Bruchmerkmale metallischer Werkstoffe abgebildet sind
und ausserdem die Bruchmechanismen beschrieben wer-
den. In der Praxis besteht jedoch oft die Schwierigkeit, die
typischen Merkmale aufzuspüren und sie von den anderen
Begleitmerkmalen zu unterscheiden. Auch die Vorbereitung
der Proben hat einen grossen Einfluss auf die Interpretation
des Bruches. Der Ablauf einer fraktographischen Unter -
suchung und das richtige Vorgehen dabei, begleitet von an-
schaulichen Beispielen, werden in den folgenden Kapiteln
behandelt.
Behandlung der Proben
Das zu untersuchende Bauteil ist schonend zu behandeln,
damit es nicht sekundäre Beschädigungen erleidet. Ins be-
son dere Witterungseinflüsse oder sorglose, unsachgemässe
Be handlung, wie vorzeitiges Reinigen oder wiederholtes Zu -
sam men fügen von Bruch und Gegenbruch, können die Bruch -
merkmale verändern. Ausserdem ist an die Konta mination mit
Schweisssalz durch Fingerabdrücke zu denken, was eine spä-
tere Mikroanalyse verfälschen kann. Ebenso ist Vorsicht beim
Abwischen der Korrosionsprodukte angebracht. Falls für eine
REM-Untersuchung (Rasterelektronen mikro s kopie) der Kor -
rosionsbelag entfernt werden muss, empfiehlt es sich, einen
Teil davon an einer unwichtigen Stelle abzukratzen und für
eventuelle Mikroanalysen aufzubereiten. Eine altbewährte
Reinigungsmethode, die gleichzeitig die Konser vier ung der
Korrosionsprodukte ermöglicht, stellen Abzieh abdrücke dar. Zu
diesem Zweck wird eine Acetatfolie (ca.10 mm x 10 mm) mit
einer Pinzette kurz in Aceton gehalten, bis die Ober fläche auf-
geweicht ist, dann auf die kontaminierte Bruchfläche gelegt
und mit dem Finger leicht angedrückt. Ist die Folie trocken
(nach ca. 2 Minuten), wird sie mit der Pinzette vorsichtig abge-
zogen und mit Doppelklebband auf einen Träger aufgeklebt.
Die darauf haftenden Korrosionsprodukte können gut für die
mikroanalytische Untersuchung genutzt werden. Mehrmaliges
Wiederholen dieses Prozesses führt oft zu einer sehr sauberen
Bruchfläche.
Eine verrostete Bruchfläche lässt sich vorteilhaft mit ca.
5 Gew.-% Ammoniumhydrogenzitrat reinigen. Der Reini -
gungs prozess verläuft schneller und vollständiger im Ultra -
schallbad. Bei stark verrosteten Proben lohnt es sich, die
Probe stundenlang, eventuell über Nacht, in der Lösung liegen
zu lassen. Natürlich ist eine intensiv verrostete Bruchfläche
verändert. Der Korrosionsangriff hat die Feinstruktur oft irre-
EINLEITUNG
100 µm100 µm
Bild 44b:
Eine Stunde in Ammoniumhydrogenzitrat. Anätzungen
Bild 44a:
Halbe Stunde in Ammoniumhydrogenzitrat
Perlit
Martensit
Martensit
Perlit
Martensit
BEISPIEL: Bruch im Chassis
Ein Lastwagen hatte seine Kippmulde verloren, wodurch ein
grosser Schaden entstanden war. Als Ursache wurde ein
Bruch im Chassis vermutet. Das Chassis war als geschwei ss -
te und verschraubte Struktur aus einem Feinkornbaustahl her-
gestellt worden. Der Bruch erstreckte sich durch mehrere
Profile und war in allen Bereichen stark korrodiert, so dass sich
keine Bruchmarkierungen erkennen liessen. An den vermut -
lichen Bruchausgangsstellen wie Schweissungen und Bo h -
r ungen wurden Proben entnommen und ca. 15 Stunden in ei-
ner 5%igen wässrigen Ammoniumhydrogenzitrat-Lösung im
Ultraschallbad gereinigt. Von Anfang an stand fest, dass der-
artig stark verrostete Bruchflächen nicht mit dem REM unter-
sucht werden. Deshalb konnte der aufgelockerte Rostbelag
von Zeit zu Zeit mit einer Bürste bedenkenlos entfernt werden.
Das Resultat war erstaunlich. Wie Bild 45 erkennen lässt, kam
bei einer Bohrung ein bogenförmig abgegrenzter Ermüdungs -
anriss zum Vorschein, der durch Rastlinien gekennzeichnet
war. Die Restbruchfläche zeigte Chevronmarken, welche auf
die Rissausbreitungsrichtung hindeuten, die mit dem Er -
müdungsanriss übereinstimmt.
Behandlung der Proben
versibel zerstört, so dass derartige Proben, auch wenn sie
nach der Reinigung metallisch blank sind, sich für REM-Unter -
suchung nicht mehr eignen. Gleichwohl kann die vollständige
Reinigung einträglich sein, denn die makroskopischen Mar -
kierungen, wie Rastlinien oder Chevronmarken, bleiben oft
vorhanden.
Ein bei vielen metallischen Werkstoffen wirksamer Reiniger ist
die basische Emulsion Contrad®90. Bei dieser Chemikalie
stellt sich die Frage, ob ausser den Korrosionsprodukten auch
die metallische Substanz angegriffen wird. Um dies zu klären,
wurde je eine metallographisch polierte Probe für eine halbe
bzw. eine Stunde in Ammoniumhydrogenzitrat gelegt sowie für
eine Stunde in Contrad®90. Bei den Proben handelte es sich
um einen niedrig legierten Stahl (100MnCrW4), der ohne
Zusatz mit einem Kohlenstoffstahl (C45) verschweisst worden
war. Die Bilder 44 zeigen die Wirkung der beiden genannten
Reiniger.
Die ursprünglich polierte, nicht geätzte Probe lässt nach einer
halben Stunde Lagerung in Ammoniumhydrogenzitrat das
Mikrogefüge des Martensits gut erkennen. Die perlitische
Struktur ist schwach angeätzt. Nach einstündiger Exposition
sind alle Strukturen stark angeätzt. Im Gegensatz dazu zeigt
der polierte Mikroschliff auch nach einstündiger Lagerung in
Contrad®90 keine Anätzung des Mikrogefüges. Nur die zahl-
reichen nichtmetallischen Einschlüsse werden angegriffen.
Daraus ist zu folgern, dass während kurzer Zeit mit Am mon -
ium hydrogenzitrat durch geführte Reinigungen keinen bedeu-
tenden Einfluss auf Stahlbruchflächen haben. Die Reinigung in
Contrad®90 ist sogar noch schonender, bewirkt sie doch
selbst nach längerer Zeitdauer (bei Stahl nach einer Stunde)
kein Anätzen des Gefüges.
Bild 44c:
Eine Stunde in Contrad®. Das Mikrogefüge ist nicht angeätzt,
lediglich die nichtmetallischen Einschlüsse kommen stark zum Vorschein
Bild 45:
Bruchfläche lässt nach intensiver Reinigung einen Ermüdungsanriss und
Chevronmarken erkennen
100 µm
Bohrung
Bruchausgang
1 cm
auswertenUntersuchungsergebnisse
Einzeluntersuchungen
Bestandsaufnahme
Schadenbeschreibung
Schadenursachenermitteln
MassnahmenSchadenabhilfe
erarbeiten
Schadenbericht
Untersu
chungsplanzerstörungs- zerstörende
Simulations-über die
Anlagedes Werkstoffs des Bauteils
bedingungenablauf
undPro
benahmefreie Prüfungen Prüfungen
versuche
Info
rmatio
nen
Güteprüfungen FunktionBetriebs-
Schaden-der Anlage
BesonderheitenSchadenbeurteilung Besonderheiten
SchmierstoffresteZustand
konstruktive
makroskopische fertigungstechnischeBeläge, Brandspuren
42 43
Methodik der Untersuchung
Die Schwierigkeit der Methodik zur Ermittlung der Schaden ursache liegt darin, dass das
Vorgehen von Fall zu Fall total unterschiedlich sein kann, und dass ein Erfolg nur bei richtigem
Vorgehen gewährleistet ist. Oft ergeben sich erst während der Untersuchung Fragen, die weitere,
im Voraus nicht geplante Untersuchungen nach sich ziehen.
Notwendige Phasen im Ablauf der Schadenuntersuchung sind in Bild 46 zusammengestellt. In
der Voruntersuchungsphase wird der Schadenbefund erfasst, und Informationen werden über die
beschädigte Komponente, die Gesamtanlage und den Betrieb gesammelt. Weitere Informationen
hinsichtlich Belastungen (mechanisch und korrosiv), Konstruktion, Fertigung und Soll-Werkstoff -
eigen schaften müssen eingeholt werden. Betriebs daten beim Eintritt des Schadens und beson-
dere Vor kommnisse während des Betriebs sind ebenfalls zu eruieren.
Vor der Probenentnahme muss eine umfassende, aussagekräftige Fotodokumentation, vervoll-
ständigt mit Zeichnungen und Skizzen, erstellt werden. Es ist von Vorteil, wenn neben den be-
schädigten Komponenten auch neue oder im gleichen Betrieb eingesetzte, aber noch intakt ge-
bliebene Bauteile in die Untersuchung einbezogen werden.
Bild 46:
Ablauf der Schadenanalyse. Auszug aus
der Richtlinie VDI 3822, Blatt 1 [1]
ME
TA
LLE
BEISPIEL: Schraubverbindung
Zur Untersuchung gelangte eine Schraubverbindung mit
Gewindegängen auf der Aussen- und Innenoberfläche (Bild
47). Beim Betrachten der Bruchmerkmale fielen die bogenför-
migen Rastlinien auf, die für einen Ermüdungsbruch typisch
sind. Sie sind oft konzentrisch und konkav zur Bruch -
ausgangsstelle angeordnet, und deshalb wurde Stelle 1 als
vermutlicher Bruchausgang für die REM-Untersuchung präpa-
riert. Es zeigten sich feine Waben, typische Merkmale eines
duktilen Gewaltbruches. Wie konnte ein Gewaltriss in einer
verschraubten Verbindung entstehen und zum Ermüdungs -
bruch führen? Erst jetzt wurde die Geometrie der Verbindung
genau angesehen und der Bruchverlauf verstanden: Der
Ermüdungsbruch begann nämlich an Stelle 2, und Stelle 1 ist
der Restbruch. Die Rastlinien sind vom Bruchausgang wegge-
bogen, da der Bruch sowohl aussen als auch innen sich im
Gewindegrund erstreckte und durch die Kerbwirkung entlang
der Oberfläche gegenüber der Wandmitte beschleunigt wur-
de.
Dieses Beispiel führt vor Augen, dass auch eine zutreffende
mikroskopische Bruchbeurteilung zu falschen Schluss folge-
r ungen führen könnte, wenn die Bruchfläche makroskopisch
nicht richtig beurteilt und folglich eine falsche Proben -
entnahme durchgeführt wird.
Makroskopische Untersuchung
Unter einer makroskopischen Untersuchung wird nicht nur die
Begutachtung der Bruchfläche von blossem Auge, mit einer
Lupe oder lichtoptisch mit dem Stereomikroskop (Binokular)
verstanden, sondern auch die REM-Untersuchung mit kleins -
ten Vergrösserungen. Die makroskopische Untersuchung stellt
die Basis für das weitere Vorgehen dar. Nicht selten gibt sie
bereits Aufschluss über die Schadenart. Von grosser Wichtig -
keit ist die Auswahl der Bruchproben. Die Unter such ung darf
sich nie nur mit einem Teil der Bruchfläche zufrieden geben.
Sie muss den gesamten Bruchbereich, wenn möglich beidsei-
tig (d.h. Bruch und Gegenbruch), aber auch die angrenzenden
Oberflächen erfassen.
Die makroskopische Untersuchung soll Aufschluss geben
über folgende Aspekte:
• Bruchform und -verlauf
• Bruchflächenmarkierungen
• Lage der Bruchausgangsstelle
• Beschaffenheit der Oberfläche im
Bruchausgangsbereich
Werden alle diese vier Bruchaspekte sorgfältig beurteilt, ist ei-
ne gute Grundlage für die weitere Vorgehensweise geschaffen.
Dagegen können unvollständige oder voreilige makroskopi-
sche Beurteilungen die richtige Diagnostik erschweren oder
sogar verunmöglichen, wie das folgende Beispiel zeigt.
Während die makroskopische Untersuchung den gesamten
Bruchbereich inkl. angrenzender Materialien abdecken muss,
kann die mikrofraktographische Untersuchung nur an einem
Ausschnitt der Bruchfläche durchgeführt werden. Dies jedoch
unter der Bedingung, dass dafür die relevante Stelle ausge-
schnitten wurde.
Stelle 2
Stelle 1
Methodik der Untersuchung
Makroskopische Untersuchung
Bild 47:
Ansicht der Ermüdungsbruchfläche in einer Schraubverbindung. Von der
Bruchausgangsstelle weggebogene Rastlinien. Stelle 1 Restbruch, Stelle 2
Bruchausgang
44 45
Bruchform und Verlauf
Bei der Beurteilung des Bruchverlaufes interessiert vor allem
die Lage der Hauptbruchebene in Beziehung zur Bean spru-
ch ungs richtung. Brüche, die senkrecht zur Beanspruchungs -
richtung verlaufen, werden als normalflächig bezeichnet. Diese
Bruchlage ist unter anderem für spröde Trennbrüche und
Ermüdungsbrüche charakteristisch. Liegen die Bruchflächen
dagegen in Richtung der grössten Schubspannungen, wird
von Schub- und Schrägbrüchen gesprochen. Diese Form ist
u.a. bei duktilen Gewaltbrüchen anzutreffen.
Bild 48:
Bruchverlauf in Abhängigkeit der Beanspruchungsart für je
maximale Normal- und Schubspannung [2]
Beanspruchungsart Normalspannung Schubspannung
Richtung der Kraft maximal maximal
Richtung der Bruchverlauf Richtung der Bruchverlauf
Spannung (Trennbruch, Sprödbruch) Spannung (Schub- oder Gleitbruch)
Zug
Druck
Biegung
Torsion
In Bild 48 ist die Zuordnung zwischen der Beanspruchungsart
und dem durch die maximalen Spannungen im gefährdeten
Querschnitt resultierenden Bruchverlauf wiedergegeben. Daraus
geht hervor, dass für das makroskopische Bruchbild neben
Beanspruchungsart und -richtung auch die plastische Ver -
formbarkeit des Werkstoffes von Bedeutung ist. Werkstoffe mit
sehr guter plastischer Verformbarkeit werden als duktil be-
zeichnet, während der spröde Werkstoffzustand durch geringe
plastische Verformung beim Bruch charakterisiert ist. Duktile
Brüche entstehen unter plastischer Verformung infolge Ab -
gleiten entlang den Ebenen der maximalen Schub spann un -
gen. Sprödbrüche erfolgen dagegen verformungsarm durch
Überwinden der Ko häsions kräfte, die den Werkstoff zusam-
menhalten.ME
TA
LLE
Bruchform und Verlauf
Ob ein Werkstoff duktil oder spröd ist, lässt sich aufgrund ei-
ner vorhandenen Einschnürung bzw. ihres Fehlens alleine nicht
beurteilen. Liegt eine Bruchfläche in einem eingeschnürten
Bereich oder weist sie Scherlippen auf, so handelt es sich
zweifelsfrei um einen duktilen Gewalt- oder Kriechbruch.
Fehlen dagegen makroskopisch beurteilt Einschnürung oder
Scherlippen, so ist die Bezeichnung «spröder Bruch» jedoch
nicht immer angezeigt. Erfolgt nämlich der Bruch innerhalb ei-
nes Bereiches mit dreiachsiger Spannungsverteilung (ebene
Dehnungsverteilung), kann keine plastische Einschnürung ent-
stehen und der Bruch erfolgt ohne visuell sichtbare plastische
Verformung (Bild 49). Diese Situation ist z.B. an scharfkanti-
gen Kerben, bei einer Querpressung oder in dicken Quer -
schnitten anzutreffen. Hingegen ist jeder Bruchvorgang in «ge-
sunden» Metallen von einer plastischen Verformung zumindest
im mikroskopischen Bereich begleitet. So können makrosko-
pisch spröd erscheinende Brüche im mikroskopischen
Bereich Merkmale plastischer Verformung aufweisen.
Bild 49:
Plastische Deformation (schraffierte Bereiche) an der Oberfläche und im Querschnitt eines unter Zugbeanspruchung gebrochenen Materials bei
i) ebenem Spannungszustand und ii) ebenem Dehnungszustand (dreiachsiger Spannungszustand) [3]
B
σ
B
σ
45°
Schnitt B-B
A
A
σ
Schnitt A-A
σ
Die Neigung zu einem duktilen Gewaltbruch bzw. Gleitbruch
wird durch folgende Faktoren begünstigt:
• Zäher Werkstoffzustand
• Ebenener Spannungszustand (entspricht einem
dreiachsigen Dehnungszustand), z.B. glatte
Oberfläche, dünne Wandstärke
• Langsame Belastungsgeschwindigkeit
• Hohe Temperatur
Ein Sprödbruch dagegen entsteht bevorzugt unter folgen-
den Voraussetzungen:
• Spröder Werkstoffzustand
• Mehrachsige Spannungsverteilung (z.B. Kerbwirkung,
dicke Wandstärke)
• Schnelle Beanspruchungsgeschwindigkeit
• Tiefe Temperatur
i) ii)
46 47
Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Begriffe
Sprödbruch und Sprödigkeit Relativbegriffe sind und in jedem
Fall genauer erklärt werden müssen. Sie charakterisieren
Brüche, die von geringer plastischer Verformung begleitet und
makroskopisch verformungsarm sind. Wird die Dehnung eines
zähen Materials beim Bruch durch mehrachsige Spannungs -
verteilung behindert, so entsteht ein verformungsarmer Bruch,
der aber im mikroskopischen Massstab feine Waben oder
Rosetten aufweisen kann. Diese Brüche sind makroskopisch be-
urteilt spröd, aber mikroskopisch gesehen duktil.
0.2 mm
0.2 mm
Bild 50a:
Intensiver Korrosionsangriff schwächte den Drahtquerschnitt
Bild 50b:
Durch ein Geschoss deformierter und getrennter Draht
Bild 50c:
Schmelzspur in Trennbereich
Es existieren diverse Bruchformen, die sich unbeachtet der
Ebenen der maximalen Hauptspannungen ausgebildet haben
und sich daher keinem Schema zuordnen lassen. In diesen
Fällen deutet die Bruchmorphologie auf die Ursache des
Bruches bzw. der Trennung hin und ergibt zusammen mit der
Vorgeschichte die wahrscheinliche Beurteilung. So lassen
Brüche, die durch starke Korrosion verursacht wurden, den
Korrosionsangriff eindeutig erkennen (Bild 50a). In Bild 50b
ist ein Drahtbruch abgebildet, der durch ein Geschoss stark
verformt und getrennt wurde. Der Bruchbereich des in Bild
50c wiedergegebenen Drahtes lässt Aufschmelzungen erken-
nen. Derartige Schmelzspuren können durch Blitzschlag oder
elektrischen Kurzschluss verursacht werden.
0.2 mm
ME
TA
LLE
BEISPIEL: Drahtbrüche
Bild 51 zeigt die Bruchfläche eines patentierten und kalt nach-
gezogenen Drahtes, wie er in Tragseilen zur Anwendung
kommt. Der Bruch entstand durch einachsige Zugbean -
spruchung. Der Bruchbereich ist symmetrisch eingeschnürt,
die Randzone der Bruchfläche zeigt schräg verlaufende
Scherlippen und der mittlere Bruchbereich ist normalflächig
orientiert. Die Scherlippen entsprechen der Zone, in welcher
die zweiachsige Spannungsverteilung vorlag, so dass ein
Fliessen stattfinden konnte. Dieser Bruch wird als Trichter -
bruch bezeichnet. Die Oberfläche im Bruchbereich lässt so
genannte Orangenhaut erkennen, die auf intensive Ab -
gleitungen im Material zurückzuführen ist.
Wird dieser Draht während des Zugversuches an zwei ge-
genüberliegenden Stellen mit anderen Drähten quergepresst,
entsteht eine Bruchform, wie sie in Bild 52 wiedergegeben ist.
Der Drahtbruch erfolgt in der Ebene der maximalen Schub -
spannung ohne sichtbare plastische Verformung, denn das
Fliessen wird durch den dreiachsigen Spannungszustand ver-
hindert. Obwohl keine Einschnürung wahrzunehmen ist, han-
delt es sich aber nicht um einen Sprödbruch, sondern um ei-
nen duktilen Bruch mit Wabenstruktur im Mikrobereich. Die
Oberfläche im Bruchbereich lässt ausser den Druckspuren kei-
ne Verformungsmerkmale erkennen.
In Bild 53 ist ein Torsionsbruch des gleichen Drahtes wieder-
gegeben. Die makroskopische Lage des Bruches entspricht
den maximalen Normalspannungen (vergleiche Bild 48).
Bild 51:
Trichterbruch mit deutlich ausgebildeten Scherlippen.
Einachsige Zugbeanspruchung
Bild 53:
Torsionsbruch
Bild 52:
Scherbruch ohne Einschnürung.
Zugbeanspruchung mit Querpressung
0.3 mm
0.7 mm
0.3 mm
Bild 54b:
Kerbschlagproben bei –20°C gebrochen
48 49
BEISPIEL: Auslegearm von Kran
Im Januar, bei Temperaturen von –20°C, brach ein Träger des
Auslegearms an einem Kran während des Last transportes.
Der Träger bestand aus Baustahl St 37-1. Der Bruch zeigte
sich kristallin glänzend und der Bruch bereich verformungslos.
Bei Überprüfung der Kerbschlag zähigkeit stellte sich heraus,
dass das vorliegende Material unterhalb seiner Übergangs -
temperatur belastet worden war.
Die Bilder 54 zeigen zwei Bruchflächen an Kerbschlag proben,
wie sie für die Bestimmung der Übergangstemperatur in Stahl
eingesetzt werden. Die Bruchfläche von Bild 54a, die bei
Raumtemperatur entstanden ist, lässt deutlich eine plastische
Verformung im Bruchbereich erkennen. Dafür sind die
Bild 54a:
Kerbschlagproben bei Raumtemperatur gebrochen
Scherlippen und die Einschnürung charakteristisch. Dieser
Bruch zeigt auch mikroskopisch untersucht in allen Bereichen
feine Waben. Die Kerbschlagarbeit betrug 27 J. Der bei –20°C
entstandene Bruch weist dagegen weder eine merkliche
Einschnürung noch Scherlippen auf (Bild 54b). Makro-
sko p isch verläuft der Bruch normalflächig und mikroskopisch
findet sich ein transkristalliner Spaltbruch. Diese Merkmale
kennzeichnen einen Sprödbruch. Die Kerbschlagarbeit betrug
bei der Probe lediglich 7 J. Trotzdem liegen in den Ober flä chen -
randzonen schmale Scherlippen vor, die weniger als 1 mm breit
und nur mikroskopisch feststellbar sind. Diese Struktur ist
durch die sehr schmale Zone mit dreiachsiger Dehnungs -
verteilung an der glatten Oberfläche verursacht worden.
ME
TA
LLE
Bruchflächenm
arkierung
Gew
altbrüche
Diese im Allgemeinen durch feine Stufen verursachten
Markierungen dürfen nicht mit einer faserigen Bruchstruktur
verwechselt werden (Bild 56), denn Letztere wird einzig durch
eine zeilige Gefügeausbildung verursacht. Sie entsteht z.B. bei
stark kalt verformten oder geseigerten Werkstoffen sowie ent-
lang den zeilenförmigen Anhäufungen von Karbiden oder
nichtmetallischen Einschlüssen.
Beim Beurteilen von Bruchmarkierungen ist die Richtung des
Lichteinfalls massgebend für das Bruchbild. In den Bildern 57a
und 57b ist jeweils dieselbe Bruchfläche zu sehen, obwohl die
dargestellte Topographie sehr unterschiedlich ist. Während dif-
fuses Licht keine Details der Topographie erkennen lässt,
kommen mit schräger Beleuchtung deutlich stufenartige
Markierungen zum Vorschein, welche die Bruchausgangsstelle
und Rissausbreitungsrichtung kennzeichnen.
5 mm
Bruchflächenmarkierungen
Während der Rissentstehung und Rissausbreitung bilden sich
auf den Bruchflächen topographische Markierungen, die als
wichtiges Hilfsmittel für das Beurteilen von Bruchart und
Bruch ausgangsstelle genutzt werden. Aufgrund dieser Mar-
k ierungen ist eine preliminäre Unterscheidung zwischen einem
Gewaltbruch und einem Ermüdungsbruch möglich.
Gewaltbrüche entstehen durch einsinnige mechanische Über-
lastung unter rascher bis schlagartiger Beanspruchung.
Kennzeichnend für Gewaltbrüche sind Rissausbreitungslinien
(auch Fliesslinien genannt), Chevronlinien und bei runden
Quer schnitten radiale Stufen. In Bild 55 sind deutlich ausgebil-
dete Chevronlinien zu sehen, welche die Rissaus brei t ungs -
richtung erkennen lassen.
Bild 55:
Makroskopisch erkennbare Markierung einer Gewaltbruchfläche in Form
von Chevronlinien. Rissausbreitungsrichtung siehe Pfeil
Bild 56:
Faserige Bruchstruktur, verursacht durch zeilenförmige Anordnung von
Sulfiden (Automatenstahl)
1 mm
1 mm
Bild 57a:
Schraubenbruch. Aufnahme mit schräg einfallendem Licht
Bild 57b:
Dieselbe Bruchfläche wie in Bild 57a, aufgenommen mit diffusem Licht
1 mm
50 51
Ermüdungsbrüche – auch Dauer- oder Schwingbrüche ge-
nannt – entstehen unter wechselhafter oder schwellender
Bean spruchung, die unterhalb der Fliessgrenze des Materials
liegt. Nach einer Inkubationszeit bilden sich mehrere Mikro -
risse, die später zu einer Rissfront zusammenwachsen. Ein
Ermüdungsriss breitet sich also allmählich in die Tiefe des
Querschnittes aus, bis der verbleibende Restquerschnitt die
angelegte Spannung nicht mehr erträgt und durch einen
Gewaltbruch versagt. Die derart entstandene Bruchzone wird
Bild 58a:
Ermüdungsbruch einer Welle. Bruchausgangsstelle oben im Bild. Kleine
Nennspannung
Bild 58b:
Labor-Ermüdungsbruch eines Flugzeug-Hauptholmes. Die breiten
Rastlinien links im Bild deuten auf eine LCF-(Low Cycle Fatigue)-
Rissausbreitung hin
Bild 58d:
Ermüdungsbruch eines Bolzens. Restbruch oben. Gradlinig verlaufende
Rastlinien kennzeichnen eine einseitige Biegung
Restbruch genannt, der in den meisten Fällen als Scherbruch
erfolgt. Ein Ermüdungsbruch verläuft normalerweise senkrecht
zur Richtung der grössten Zug-Normalspannung und damit in
einfachen Bauteilen und gängigen Belastungen (Zug- oder
Torsionskräfte) meist senkrecht zur Bauteiloberfläche. Diese
normalflächige Bruchzone, die als Stadium II der Riss aus -
breitung bezeichnet wird, ist oft durch so genannte Rastlinien
gekennzeichnet.
Bild 58c:
Flächenmässig grosser Ermüdungsbruch einer Lenkstange.
Bruchausgangsstelle unten im Bild. Die Krümmung der Rastlinien ist
typisch für eine umlaufende Biegung
3 cm
6 mm
ME
TA
LLE
Bruchflächenm
arkierungen
Ermüdungsbrüche
Rastlinien entstehen nicht nur, wenn der Bruch während einer
Betriebspause rastet, sondern auch bei jeder sprunghaften
Änderung der Rissausbreitungsgeschwindigkeit. Dies ist der
Fall bei Wechsel der Lastrichtung oder der Spannungshöhen.
Rastlinien sind Markierungen der jeweiligen Position der
Rissfront.
Sind Belastungsspektrum und Rissausbreitungs geschwindig -
keit in Abhängigkeit von der Schwingbreite des Spannungs -
intensitätsfaktors in einem Bauteil bekannt, kann eventuell mit
Hilfe einer Auszählung der Rastlinien das Alter der Bruchfläche
bestimmt werden. Diese Methode wird z.B. bei Turbinen prak-
tiziert. Das Bestimmen des Rissalters ist jedoch unmöglich,
wenn die erwähnten Daten in einem Schadenfall unbekannt
sind. Selbst wenn es gelänge, stellenweise bestimmte Aus -
schnitte des Belastungsspektrums der Bruchfläche zuzuord-
nen, bliebe noch die Unsicherheit der Länge der Riss initiierungs -
phase und des Wachstums der Mikrorisse be stehen.
Bild 59:
Grundformen von Ermüdungsbrüchen bei rundem Querschnitt
Rastlinien sind in Bauteilen mit glatter Oberfläche konzentrisch
um die Bruchausgangsstelle angeordnet und mit zunehmen-
der Entfernung nimmt deren Dichte ab, d.h. die Abstände zwi-
schen den Rastlinien werden grösser. Auch die Rauheit der
Ermüdungsbruchfläche nimmt mit zunehmender Risstiefe zu.
Die Krümmung der Rastlinien gibt nicht nur einen Hinweis auf
die Bruchausgangsstelle, sondern bei geometrisch einfachen
Querschnitten auch auf die Beanspruchungsart. So sind z.B.
im runden Querschnitt die Rastlinien bei Zug- oder Umlauf -
biegebeanspruchung weitgehend rund ausgebildet, während
bei einseitiger Biegebeanspruchung sich die Rastlinien mit zu-
nehmender Risstiefe strecken (Bild 58d). Grundformen von
Ermüdungsbrüchen bei einem runden Bauteilquerschnitt, wel-
che unter den elementaren Belastungen bei glatten und ge-
kerbten Oberflächen entstehen, sind in Bild 59 wiedergege-
ben.
Hohe Nennspannung Niedrige Nennspannung
lokaler Kerb umlauf. Rundkerb umlauf. Spitzkerb lokaler Kerb umlauf. Rundkerb umlauf. Spitzkerb
Zug
(Zug-Druck)
einseitige
Biegung
doppelseitige
Biegung
umlaufende
Biegung
Torsion Grundform
Rastlinien sind ein wichtiger, aber nicht notwendiger Hinweis
auf einen Ermüdungsbruch. Sie sind in der Regel nur von blos-
sem Auge oder lichtoptisch wahrnehmbar, im REM dagegen
meistens nicht nachzuweisen. Die Rastlinie ist das Abbild der
jeweiligen Rissfront. Sie ist nur aufgrund von Lichtstreuung an
einer regelmässig geformten Stufe sichtbar. In zahlreichen
Gusslegierungen breiten sich Ermüdungsbrüche ohne Bildung
von Rastlinien aus. Dies lässt sich bei solchen mit inhomoge-
ner Struktur und gröberen Ausscheidungen mit dem Über-
brückungs-Effekt (Bridging) erklären. Nach der Rissinitiierung
kommt es vor der Rissspitze im Ligament an Graphitlamellen
oder gröberen Ausscheidungen zur mikroskopischen Riss -
ausbreitung in diverse Richtungen. So schliesst der heran-
wachsende Ermüdungsriss die vorhandenen kurzen Risse, die
im Ligament entstanden sind, in seinen Pfad ein. Diese Riss -
ausbreitung ergibt stets eine mikroskopisch unregelmässige
Bruchfront, und daher sind keine geometrischen Rastlinien auf
der Bruchfläche sichtbar. Die Bruchflächen in Guss legierun-
g en sind prinzipiell immer rauer als in Knet leg ierungen und
um ge form ten Strukturen. Eine sichere Beurteilung eines
Er müdungs bruches ist nur mit dem REM möglich. Durch Riss -
schliessungseffekte, insbesondere bei Wechsel bean spru -
ch ungen mit Zug-/Druckkomponente oder bei sekundärer
Beschädigung der Bruchfläche, sind die ursprünglich vorhan-
denen Rastlinien oft zerrieben oder gehämmert und somit
nicht auswertbar. Rastlinien sollten nicht mit Reibspuren ver-
wechselt werden, die oft bei nachträglichen Verletzungen der
Bruchflächen entstehen.
52 53
Aus dem flächenmässigen Verhältnis des normalflächigen
Ermüdungsanrisses zum Restbruch lässt sich die relative
Höhe der Nennspannung abschätzen. So deuten ein kleiner
Ermüdungsanriss und ein grosser Restbruch auf eine relativ
hohe Nennspannung hin, während ein ausgedehnter Er -
müdungsanriss und eine geringe Restbruchfläche für eine
niedrige Nennspannung typisch sind (z.B. Bild 58a). Diese
Befunde sind wichtig, um über das weitere Vorgehen in der
Schadenanalyse zu entscheiden. Im ersten Fall werden die
Belastung und die mechanischen Werte des Materials als
Erstes überprüft, während sich im zweiten Fall die Unter -
suchung zunächst auf die Oberflächenqualität konzentriert.
Die Form bzw. Krümmung der Rastlinien ist vom Spannungs -
zustand der Oberfläche abhängig. Im Bereich einer scharfen
Vorkerbung breitet sich der Bruch in oberflächennahen Zonen
schneller aus als im Materialinneren, was sich auf die Art der
Krümmung auswirkt. Steht die Oberfläche unter Druckeigen -
spannung, wird das Risswachstum retardiert und die Rast -
linien krümmen sich entsprechend der Spannung (Bild 60).
Bild 60:
Bruch eines Rotorblattes. Retardiertes Ermüdungsrisswachstum entlang
der Bohrung infolge Druckspannungen (siehe Krümmung der Rastlinien
entlang der Oberfläche)
Primäre Bruchfläche
5 mm
ME
TA
LLE
BEISPIEL: Bolzenbruch
In der Schadenanalytik sind oft Brüche zu untersuchen, die
unerwartet an Stellen eingetreten sind, an denen keine oder
nur eine sehr geringe Beanspruchung erwartet wurde. Es stellt
sich dann die Frage nach der Beanspruchungsart und der den
vorzeitigen Bruch einleitenden Ursache. Bild 58d zeigt die
Ermüdungsbruchfläche eines unerwartet früh gebrochenen
Bolzens. Tatsächlich ist der flächenmässige Anteil des
Ermüdungsanrisses gross im Vergleich zum kleinen Rest -
bruch, was auf eine sehr niedrige Nennspannung hindeutet.
Die Form der Rastlinien, die sich nach anfänglicher Krümmung
gestreckt haben und fast überall lineare Form aufweisen, ist für
eine Biegebeanspruchung charakteristisch. Der Kunde konnte
das System überprüfen und tatsächlich eine Biege kompo -
nente eruieren. Es stellt sich die Frage, warum überhaupt in
diesem Fall ein Ermüdungsriss entstehen konnte. Welche
Umstände hatten die frühe Rissentstehung auf dem tiefen
Bild 61a:
Durch zahlreiche Stufen gekennzeichneter Bruchausgangsbereich ist
typisch für mehrere initiale Mikrorisse
Bild 61b:
Längsschliff durch Bruchausgangsbereich. Von zahlreichen Rissen durch-
setzte Ni-P-Schicht
200 µm 20 µm
Spannungsniveau verursacht? Der Bruchausgangsbereich
liess bei genauer Betrachtung feine Stufen erkennen, die für
zahlreiche initiale Mikrorisse typisch sind (Bild 61a). Die weite-
re metallographische Untersuchung erbrachte, dass der
Bolzen mit einer Ni-P-Schicht als Korrosionsschutz versehen
war. Diese Schicht erwies sich allerdings als Schwachstelle bei
der mechanischen Beanspruchung des Bauteils. Wie Bild 61b
verdeutlicht, weist die Schicht zahlreiche Risse auf, die sich
zum Teil im Grundwerkstoff fortgesetzt haben und nach
Erreichen einer Tiefe von ca. 0.2 mm zu einer Rissfront zusam-
mengewachsen sind. Bekanntlich ist der Eigenspannungs zu -
stand stromlos abgeschiedener Ni-P-Schichten vom P-Gehalt
abhängig. In vorliegendem Fall wurden ca. 9% P detektiert. Es
lagen demnach in der Schicht Zugeigen spannungen vor, wel-
che die Rissbildung bei überlagerten Betriebs bean spru chun -
gen stark fördern.
Entstehen durch den Bruch mehrere Stücke, wie das bei sprö-
den Werkstoffen der Fall ist, sollte die Bruchausbreitung ver-
folgt und dadurch der Bruchausgangsort eruiert werden. Es ist
ähnlich wie bei keramischen Materialien und Glas vorzugehen.
Nach der Rekonstruktion des Bauteils wird das Rissmuster
beurteilt und aus Rissgabelung und Risssymme trie die
Bruchausgangsstelle bestimmt (Bild 62a). Die Mar kierungen
auf den Bruchflächen müssen mit der aus dem Rissbild abge-
leiteten Rissausbreitungsrichtung übereinstimmen (Bild 62b).
Des Weiteren wird die Übereinstimmung der Mikro- und
Makrotopographie überprüft (z.B. Orientierung der Waben -
struktur, Bilder 68 bis 71, Seiten 59 – 62).
Bild 62b:
Ausgeprägtes Chevronmuster erlaubt, die Rissausbreitungsrichtung zu
bestimmen (von rechts nach links)
5 mm
2
1
56
73
4
54 55
Lage der Bruchausgangsstelle
Bruchausgang an der Oberfläche
Bei allen Brüchen interessiert immer die Frage nach der
Bruchausgangsstelle. Mit wenigen Ausnahmen befinden sich
die Bruchausgänge jeweils an der Oberfläche, da dort die
höchsten Dehnungen vorliegen.
Bei Gewaltbrüchen helfen die Bruchmarkierungen, die
Bruchausgangsstelle zu lokalisieren. Weil die auf Zug-, Druck-
oder Torsionsbelastung zurückzuführenden duktilen Gewalt -
brüche im ganzen Volumen des Bruchbereiches gleichzeitig
entstehen, muss es nicht einen punktuellen Bruchausgang
geben. War aber die Oberfläche an einem Ort beschädigt, z.B.
durch eine Korrosionsnarbe, kann ein singulärer Bruch aus -
gang gefunden werden. Anders stellt sich die Situation bei
Biegebeanspruchung dar. Hier ist es möglich, aufgrund der
Bruchausbreitungslinien auf die Zugseite der Beanspruchung
zu schliessen und somit den Bruchausgangsbereich zu be-
stimmen. Ergänzend sollten auch die Drucklippen auf der ge-
genüberliegenden Seite gefunden werden.
Ist die vermutliche Bruchausgangszone stufenartig ausgebil-
det (Bild 61a), so ging der Bruch von zahlreichen äquivalen-
ten, benachbarten Stellen aus. Dies ist z.B. anzutreffen bei
Korrosionsnarben, scharfen Bearbeitungsriefen oder Span -
nungs risskorrosion.
Bild 62a:
In mehrere Stücke zerfallener Zylinder nach Rekonstruktion.
Bruchausgangsstelle: roter Pfeil
Bild 63:
Ermüdungsbruch mit wechselhafter Grösse der Schwingbreite des
Intensitätsfaktors ΔKI. Unregelmässig verteilte Rauheit auf der Bruchfläche
LCF
HCF
LCF
HCF
2.5 mm
ME
TA
LLE
Lage der Bruchausgangsstelle
Da sich Brüche mit zunehmender Tiefe rascher fortpflanzen,
nimmt die Rauheit der Bruchflächen zu und bei Ermüdungs -
brüchen auch der Abstand der Rastlinien (bei gleich bleiben-
der Beanspruchung). Die Veränderung der Rauheit ist somit ei-
ne wichtige Hilfe für das Bestimmen der Bruchausgangs stelle,
jedoch nur an Bauteilen/Proben aus homogenem Werkstoff,
die einer konstanten Beanspruchung unterworfen sind. Steigt
die Schwingbreite des Intensitätsfaktors stark an während der
Beanspruchung und sinkt wieder ab, kommt es zu einer
Beschleunigung mit anschliessender Verlangsamung des
Risswachstums (Bild 63). Auf der Bruchfläche bildet sich zu-
erst ein relativ glatter Bereich, der dem initialen HCF-Bereich
entspricht (High Cycle Fatigue). Auf höherem Spannungs -
niveau breitet sich der Ermüdungsanriss im LCF-Modus aus
(Low Cycle Fatigue), und es entsteht eine relativ grobe, raue
Bruchzone. Anschliessend bildet sich wieder eine glatte
Bruchfläche im HCF-Modus, der kurz vor dem Restbruch
nochmals in LCF übergeht.
Bruchausgang unterhalb der Oberfläche
Der Bruch kann seinen Ausgang unterhalb der Oberfläche ha-
ben, wenn die Spannung dort höher ist als an der Oberfläche.
Einerseits können Fehlstellen in Form von Einschlüssen, Poren
oder Rissen zu Spannungsüberhöhung gegenüber der
Oberfläche führen. Andererseits gibt es Belastungen, die auf-
grund von mechanischen Gesetzmässigkeiten das Maximum
unterhalb der Oberfläche bilden. Zum Beispiel entsteht bei ei-
ner auf Druck beanspruchten Oberfläche das Maximum der
Schubspannung unterhalb der Oberfläche, dessen Tiefenlage
von der Höhe der Normalkraft und der Geometrie der
Bauteilpartner abhängt. Werden zusätzliche Tangentialkräfte
überlagert, verschiebt sich die Tiefe der höchsten Bean -
spruchung in Richtung Oberfläche. Unterhalb der Oberfläche
entstehen Risse, wenn die Beanspruchung so weit erhöht
wird, dass im Mikrobereich plastische Verformungen auftreten,
die das Formänderungsvermögen des Werkstoffes über-
schreiten. So entstehen auf den Zahnflanken eines Zahnrades,
in Kugellagerkugeln oder Lagerzylindern flache muschelförmi-
ge Ausbrüche, von denen sich normalflächige Brüche quer
durch den Querschnitt ausbreiten (Bild 64a).
Auch in runden Querschnitten und in Bauteilen oder Proben
mit glatter Oberfläche kann ein Ermüdungsbruch infolge
Zugschwellbelastung unterhalb der Oberfläche liegen. In Bild
64b ist die Bruchfläche einer Welle wiedergegeben, die einer
Zugschwellbelastung ausgesetzt war. Der Bruch begann bei
einem unterhalb der Oberfläche liegenden Einschluss, der eine
lokale Spannungsüberhöhung verursacht hatte.
Bild 64a:
Ermüdungsbruch eines Zahnrades. Bruchausgangsstelle unterhalb der
Oberfläche einer Zahnflanke (siehe Pfeil)
Bild 64b:
Durch zugschwellende Belastung gebrochene Welle. Bruchausgangsstelle
bei einem nichtmetallischen Einschluss (siehe Pfeil)
Weitere Brucharten, bei denen die Bruchausgangsstelle auch
unterhalb der Oberfläche liegt, sind Kriechbrüche. Diese
Brüche entstehen in duktilen metallischen Werkstoffen, oft bei
erhöhter Temperatur, nach Erreichen der Standzeitgrenze
(Bilder 92 und 93, Seiten 82 und 83).
0.05 mm
3 mm
BEISPIEL: Lasche von Seilbahnkabine
Nach 15-jährigem Betrieb wurden an einigen Laschen, die als
Verbindung zwischen den Seilbahnkabinen und der
Aufhängung angebracht waren, Risse entdeckt. Diese befan-
den sich am Übergang vom Winkelteil zur flachen Lasche. Die
Laschen waren aus St 37-2 hergestellt und gegen Korrosion
mit einer Cadmium- und Lackschicht geschützt worden. Es fiel
auf, dass die Rissbereiche, wie in Bild 65a ersichtlich, immer
in metallisch blanken Zonen zu liegen kamen, d.h. die Cad -
mium- und Lackschicht waren hier entfernt worden. Die aufge-
brochenen Risse zeigen die für eine Ermüdungs- bzw.
Wechselbiegebeanspruchung typischen Rastlinien. Um die
Ursache der Rissinitiierung zu eruieren, wurde der Bruch -
ausgangsbereich beurteilt. Dabei kam deutlich zum Vorschein,
dass der Bruchausgangsort und auch der Bruchpfad in den
Kratz- bzw. Schleifspuren liegen (Bild 65b). Es ist anzuneh-
men, dass die lokal sichtbare metallisch blanke Oberfläche
durch Abkratzen oder Wegschleifen der Schutz schichten ent-
standen war und dabei scharfkantige Kratz spuren die Ober -
fläche verletzten. In diesen scharfen Kerben wurden die Er -
müdungsrisse eingeleitet und breiteten sich auch in diesen
aus. Korrosive Einflüsse begünstigten den Rissprozess.
Bild 65b:
Bruchausgang bei einer Schar von Kratzern56 57
Beschaffenheit der Oberfläche im
Bruchausgangsbereich
Die Untersuchung der Oberflächenbeschaffenheit im Bereich
der Bruchausgangsstelle stellt einen wichtigen Teil der Frakto -
graphie dar; doch leider wird sie oft unterlassen. Ob ein einzi-
ger Bruchausgang an der Oberfläche vorliegt oder zahlreiche
Bruchausgänge, die Beschaffenheit der Oberfläche muss cha-
rakterisiert werden, damit wertvolle Informationen nicht verlo-
ren gehen. Eine eingehende Untersuchung erleichtert auch die
anschliessende metallographische Zielpräparation. Von gros-
sem Nutzen ist ebenfalls ein Vergleich der Oberfläche im
Bruchausgangsbereich mit der intakten Oberfläche ausser-
halb des besagten Bereiches. Makroskopisch feststellbar
sind: bruchbegünstigende mechanische Verletzungen, z.B.
Schlag-, Druck-, und Reibspuren, korrosive Angriffe in Form
von Rissen oder Grübchen, thermische Einflüsse infolge von
Blitzschlag, Schweissen (Zündstelle der Elektrode), Thermo -
schock, Schleifen oder Funkerosion, grobe Bearbeitungs -
riefen, Schmiede- und Walzfehler sowie andere bei der Form -
gebung entstandene Oberflächenfehler.
Je kerbempfindlicher das Material ist, desto wichtiger erweist
sich die Oberflächenbeschaffenheit. Während feine Riefen in
duktilen Materialien den Bruch unter statischer Belastung
nicht begünstigen, können sie in kerbempfindlichen Werk -
stoffen sowohl unter statischer als auch dynamischer Belas-
t ung eine vorzeitige Risseinleitung bewirken.
Die makroskopische Beurteilung der Oberflächenbe schaffen -
heit im Bruchausgangsbereich ist vorteilhafterweise mit einer
REM-Untersuchung zu vervollständigen. Dabei ist auf die rich-
tige Betrachtungsrichtung zu achten. Der Zeitaufwand für
Drehen und Kippen der Probe lohnt sich insofern, als oftmals
erst unter einem bestimmten Betrachtungswinkel die Merk -
male zum Vorschein kommen, die wichtige und wertvolle
Information liefern. Bild 65a:
Ansicht der Aufhängelasche. Der Riss liegt in dem Bereich, wo die
Cadmium- und Lackschicht entfernt wurden
1 cm
1 mm
ME
TA
LLE
Beschaffenheit der Oberfläche im
Bruchausgangsbereich
BEISPIEL: Turbinenschaufel
An einer Schaufel einer Flugzeugturbine lag ein Ermüdungs bruch vor. Um festzustellen, was den
Bruch eingeleitet hatte, wurde der Bruchausgangsbereich untersucht. Es konnte eine Verletzung
durch einen Aufschlag direkt neben der Bruch ausgangsstelle festgestellt werden (Bild 66a). Da
die übrige Schaufeloberfläche zahlreiche gleichartige Schlag stell en aufwies, lag die Vermutung
nahe, dass der Schlag – wie in Bild 66b wiedergegeben – erst nach dem Schaufelbruch entstan-
den war. Durch Drehen der Probe im REM wurde ein günstiger Blickwinkel geschaffen, der deut-
lich den Verlauf der Bruch kante, weitgehend innerhalb einer scharfen Reibspur der Schlagstelle,
erkennen liess (Bild 66c). Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Anschlagstelle erst nach dem Bruch
entstanden war und die Reibung mikroskopisch genau parallel zur Bruch kante erfolgte, ist äus-
serst gering. Sehr gross hingegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Einschlag mit scharfen
Reib spuren an der Eintrittskante einen HCF-Ermüdungsanriss initiieren konnte. Es ist folglich da-
von auszugehen, dass diese Kerbwirkung den Bruch der Schaufel eingeleitet hatte und als
Ursache für den Ermüdungsbruch der Schaufel anzusehen ist.
Bild 66a:
Oberfläche mit zahlreichen Schlagspuren. Mit Pfeil bezeichnete
Bruchausgangsstelle
Bild 66b:
Ansicht der Bruchausgangsstelle. Ungünstiger Blickwinkel
Bild 66c:
Günstiger Blickwinkel zeigt den Zusammenhang der Bruchkante mit den
Reibspuren der Einschlagstelle
200 µm 1 mm
5 mm
1 mm
58 59
BEISPIEL: Spannkabel
Spannkabel, die in einem Viadukt zur Anwendung kommen, wurden einem Ermüdungstest mit anschliessender
statischer Prüfung auf Restfestigkeit unterworfen. Das Spannkabel besteht aus 37 Litzen, die je aus sieben verzink-
ten Drähten vom Durchmesser 5 mm geflochten sind. Nach 2 x 106 Last wechseln waren zehn Drahtbrüche aufge-
treten. Da diese Anzahl Brüche die von der Spezifikation zugelassene Menge überstieg, musste die Ursache abge-
klärt werden. Alle Draht brüche wiesen eine vergleichbare Topographie auf. Die Bruch ausgänge lagen jeweils bei
einer kegelförmigen Fehlstelle, die in Bild 67a mit einem Pfeil bezeichnet ist. Bei Betrachten der Drahtoberfläche im
Bruchausgangs bereich liessen sich zahlreiche V-förmige Risse feststellen, die auf einer Mantellinie angeordnet sind
(Bild 67b). Derartige Risse charakterisieren einen Ziehfehler. Dieser Befund hat sich auch metallographisch anhand
eines Längsschliffs durch die Risse bestätigt: Die Risse verlaufen schräg ins Drahtinnere und sind mit Zink gefüllt.
Demnach waren sie während des Drahtziehens, vor der Verzinkung, entstanden.
Bild 67b:
Oberfläche mit Ziehfehler in Form von V-förmigen Rissen (siehe Pfeile). BA
= Bruchausgangsstelle
Bild 67a:
Ermüdungsbruch eines Drahtes, von einer Fehlstelle ausgehend
(siehe Pfeil)
BA
2 mm
ME
TA
LLE
Mikroskopische Bruchtopographie
Gew
altbrüche
Mikroskopische Bruchtopographie
Gewaltbrüche
Duktile Metalle zeigen bei Verformung und Zug- oder
Schubbelastung nicht nur makroskopisch, sondern auch im
Mikrobereich Formen von Einschnürungen. Diese entstehen
durch lokales Einschnüren (Fliessen) zwischen Einschlüss en/
Ausscheidungen und der Matrix sowie an Poren und Mikro -
lunkern und legen nach ihrem Bruch eine Wabenstruktur offen
(Bilder 68). Während der plastischen Verformung bilden sich
an der Grenze zwischen den Partikeln einer zweiten Phase
und der Matrix durch deren unterschiedliche elastoplastische
Eigenschaften Mikrorisse, die sich bei Dehnen der Probe er-
weitern. Zwischen den Hohlräumen schnürt sich die Matrix im
Bereich der späteren Bruchfläche ein und es entsteht eine
Wabenstruktur. Innerhalb der Waben finden sich oft die
Partikel einer Phase wieder, welche die Bildung der Mikro -
hohlräume verursachen. Dies ist in Bild 68a anhand eines
Schliffes (unten im Bild) durch die Wabenstruktur (oben im Bild)
zu erkennen.
Bild 68b:
Die angelegte Spannung bestimmt die Orientierung der Waben
Bild 68a:
Die Hohlräume (Waben) bilden sich um Ausscheidungen oder Einschlüsse
unter Wirkung von Zugspannungen
Bild 68c:
Gerade Waben
4 µm
5 mm
10 µm10 µm
60 61
Die Duktilität eines Werkstoffes lässt sich an der Tiefe der
Waben messen. Ausserdem gibt deren Struktur Auskunft über
das Werkstoffgefüge. In einem sehr gut plastisch verformbaren
Werkstoff verbinden sich vor Eintreten des Bruches viele
Hohlräume mit ihren benachbarten zu grösseren Hohlräumen.
Dementsprechend sind die auf der Bruchfläche sichtbaren
Waben sehr gross (Bild 69a). Dagegen zeigt Bild 69b feine,
flache Waben, wie sie z.B. in kalt verformtem Stahl oder Al-
Knetlegierungen entstehen. Ein Bruch in Längsrichtung eines
Automatenstahls legt zahlreiche sulfidische Einschlüsse frei
und die Waben sind längs gestreckt. Makroskopisch zeigt die-
ser Bruch ein faseriges, holziges Aussehen (Bild 69c).
Bild 69c:
Faseriges Bruchaussehen infolge längsgezogener Waben. Zahlreiche sulfi-
dische Einschlüsse
Bild 69b:
Flache, feine Waben in kalt verformtem Material
Bild 69a:
Grosse, tiefe Waben in Reinkupfer mit Gleitspuren an der Wand
10 µm
ME
TA
LLE
Aus der Orientierung der Waben lässt sich die Belastungsart ablesen, die zum Bruch führte.
Zugkräfte verursachen aufrechte, in Kraftrichtung orientierte Waben auf denjenigen Bruchflächen,
die makroskopisch senkrecht zur Kraft wirkungs linie verlaufen (Bilder 68). Durch ungleichmässig
verteilte Zugbeanspruchung entstandene Gewaltbrüche zeigen in Schubrichtung gezogene
Waben, die auch Reisswaben genannt werden (Bild 70a). Die Waben sind auf Bruch und
Gegenbruch spiegelbildlich angeordnet. Entsteht der Bruch jedoch durch äussere Scherkräfte
(Bild 71a), so bilden sich gegensätzlich orientierte Scherwaben (auch Schubwaben genannt), die
ziemlich parallel zur Bruchoberfläche verlaufen und teilweise durch Abgleiten der Bruchstücke
verquetscht sind (Bilder 71b, c). Diese Wabenformen, die auf den ersten Blick sehr einleuchtend
sind, stellen in der Schadenanalytik ein wichtiges Hilfsmittel dar und sollten daher weiter auf der
Bruch- und Gegenbruchfläche untersucht werden.
Bild 70a:
Schematische Zeichnung. Entstehung von Reisswaben durch ungleich-
mässig verteilte Zugbeanspruchung
Bild 70b:
REM Aufnahme. Reisswaben an der Zugseite einer Biegeprobe
Bild 71a:
Entstehung von Scherwaben
10 µm
62 63
BEISPIEL: Rotorwelle eines Helikopters
Ein Helikopter geriet in Not und musste auf einem leicht abfallenden Gelände landen. Dabei
berührte das Rotorblatt den Boden und die Antriebswelle brach. Es stellte sich die Frage, ob
der diagnostizierte Antriebsschaden die Ursache oder die Folge des Unfalls war. Wäre die
Rotorwelle zum Zeitpunkt des Unfalls vom Motor angetrieben worden, so hätte sich beim
Berühren des Bodens ein Torsionsbruch in der Antriebswelle ergeben. Wäre der Antrieb hin-
gegen vorher ausgefallen, hätte sich ein Biegebruch ergeben. Natürlich ist die makroskopi-
sche Deformation ein wichtiger Hinweis auf die bruchverursachenden Kräfte. Jedoch unterlie-
gen die Bauteile in der Praxis nach dem Bruch einer sekundären Deformation, die von der
pri mären schwer zu unterscheiden ist. Die Mikrostruktur dagegen ändert sich nicht, sie kann
nur verrieben oder verhämmert werden. In den Vertiefungen der Bruchflächen bleibt aber die
ursprüngliche Information stets erhalten. Mit Hilfe der Waben formen lässt sich eindeutig zwi-
schen Torsions- und Biege bruch unterscheiden. Zu diesem Zweck müssen der Bruch und
Gegenbruch an mehreren Umfangsstellen mikroskopisch untersucht werden. Im vorliegenden
Fall war die Waben struktur auf Bruch und Gegenbruch entgegengesetzt orientiert, wie aus
den Bildern 71b, c ersichtlich ist. Demzufolge ereignete sich der Bruch bei rotierender
Antriebswelle.
10 µm
Bild 71c:
Entgegengesetzte Waben auf der Gegenbruchfläche
10 µm
Bild 71b:
Scherwaben auf einer Bruchfläche
ME
TA
LLE
Rosettenbruch
Rosettenbruch
Ein Wabenbruch ist begleitet von intensiver plastischer De -
formation im gesamten Bruchbereich, der makroskopisch eine
Ein schnürung zeigt. Wird diese Deformation bzw. Dehnung
z.B. durch eine dreiachsige Spannungsverteilung verhindert,
entstehen in duktilen Werkstoffen Rosettenbrüche. Dies sind
duktile Gewaltbrüche, bei denen die mikroskopische Ver -
formung im zweiachsigen Dehnungszustand erfolgt (Bild
72a). Diese Bruchart ist beispielsweise in Vergütungsstählen
mit fein ausgeschiedenen Karbiden anzutreffen oder in mar-
tensitischen Stählen, aber auch in unlegierten Stählen mit
dicken Quer schnitten und bei scharfer Vorkerbung. Früher
wurden sie in Anlehnung an die englische Bezeichnung qua-
sicleavage fracture auch im deutschsprachigen Raum als
Quasi spaltbrüche bezeichnet. Diese Bezeichnung ist zu mei-
den, denn die Rosettenbrüche entstehen durch plastisches
Fliessen und nicht durch Spalten entlang den kristallographi-
schen Ebenen wie die transkristallinen Spaltbrüche. Ein
Rosettenbruch kennzeichnet ein «gesundes» Material mit aus-
reichender Duktilität. Im Gegensatz dazu ist ein transkristalliner
Spaltbruch ein Hinweis auf versprödetes Material mit fehlen-
der Duktilität. Demzufolge ist es sehr wichtig, zwischen
Rosetten bruch und Spaltbruch zu differenzieren. Makro -
skopisch erscheint eine Bruchfläche mit Rosettenbruch eher
matt als kristallin. Die Bruchebene liegt normalflächig, d.h.
senkrecht zur Haupt normal spannung. Mikroskopisch sehen
die Bruchbilder auf den ersten Blick ähnlich aus wie die der
Spaltbrüche (Bilder 72b und 73b).
10 µm
Bild 72b:
Rosettenbruch (Restbruch einer durch Ermüdung gebrochenen Schraube
aus CrNiMo-Vergütungsstahl)
Kämme mit WabenZ = Zentrum
Z ZZ
Bild 72a:
Entstehung eines Rosettenbruchs
Das Verständnis des Entstehungsmechanismus führt zur rich-
tigen Interpretation des Bruchbildes. Wie die schematische
Zeichnung (Bild 72a) zeigt, treten im Inneren des Werkstückes
unter Zugbeanspruchung zahlreiche Hohlräume auf, die sich
linsenförmig erweitern und schliesslich vereinen. Die duktile
Verformung zeigt sich an der gewölbten Form der Rosette so-
wie an den Kämmen und Scherflächen mit Wabenstruktur am
Rand der einzelnen Rosetten. Die leicht gewölbten Böden sind
nicht mit kristallographischen Ebenen identisch. Bei einem
Rosettenbruch breitet sich der Riss ähnlich wie bei einem
Wabenbruch durch Zusammenwachsen von zahllosen Einzel -
rissen aus. Sein Entstehen ist von einer erheblichen örtlichen
plastischen Verformung begleitet.
Die Entstehung eines Spaltbruchs, auch transkristalliner
Spröd bruch genannt, hängt ab von Probenform, Temperatur,
Art und Geschwindigkeit der Beanspruchung sowie vom
Gefüge des Materials. So kann ihn eine mehrachsige Span -
nungsverteilung z.B. durch Kerbwirkung oder durch eine gros-
se Wanddicke begünstigen. Oft wird aber ein Rosettenbruch
mit einem Spaltbruch verwechselt. Unberuhigte Baustähle nei-
gen unterhalb der Übergangstemperatur zu Spaltbrüchen
(Bilder 54a, b, Seite 48). Ausserdem begünstigt eine hohe Be -
an spruchungs geschwindigkeit die Entstehung eines solchen
Bruchs, da die plastische Verformung durch Versetzungs be -
wegung behindert wird. Grobkornbildung, Widman stätt isches
Gefüge und Alterungsprozesse fördern ebenfalls seine
Entstehung. Und auch korrosive Beeinflussung lässt in aus-
tenitischem Gefüge oder in Kupferlegierungen Spaltbrüche
auftreten. Der Bruch zeigt dabei eine federförmige Mikro -
topographie.
64 65
Spaltbruch
Spaltbrüche sind energiearme transkristalline Sprödbrüche,
die ohne makro- und mikroskopischer Verformung entlang kri-
stallographischen Ebenen verlaufen. In kubisch raumzentrier-
ten Kristallen sind das die (100)-Ebenen und in hexagonalen
Kristallen die (0001)-Ebenen, während ein kubisch flächenzen-
triertes Gitter sich in keiner bevorzugten Richtung spaltet. Nur
auf der submikroskopischen Ebene sind die Spaltbrüche von
plastischen Vorgängen bzw. von Versetzungsbewegungen be-
gleitet [4]. Es resultieren normalflächige, relativ glatte, kristallin
glänzende Bruchflächen ohne Einschnürung im Bruchbereich.
Beim transkristallinen Spaltbruch nimmt die Rauheit der
Bruchfläche mit zunehmender Risstiefe zu, ähnlich wie bei den
keramischen Werkstoffen oder bei Glas. Die zunehmende
Rauheit ist auf die Gabelung des instabil wachsenden Risses
zurückzuführen und durch Erreichen eines kritischen Wertes
des Spannungsintensitätsfaktors gegeben (siehe Seite 16).
Die einzelnen Spaltflächen widerspiegeln die Korngrösse des
Materials, da die Kristallite an den Korngrenzen die kristallo-
graphische Orientierung ändern und die Bruchrichtung entwe-
der durch Kippen oder Drehen geändert wird. Die Spaltflächen
weisen Stufen auf, die auch als Fliesslinien bezeichnet werden.
Sie stellen die Schnittstelle von Schraubenversetzungen mit
der Spaltebene dar. Häufig sind auf den Spaltflächen so ge-
nannte Zungen zu beobachten, die an den Zwillingen im Gitter
entstehen. Dabei verlässt die Spaltfläche die (100)-Ebene und
läuft längs des Zwillings ein Stück auf der (112)-Zwillings -
ebene.
a
{100} {112}
Bild 73a:
Schematische Darstellung der Spaltebenen und eines Zwillings in α-Fe
10 µm
Bild 73b:
Transkristalliner Gewaltbruch: Spaltbruch (Baustahl)ME
TA
LLE
Spaltbruch
10 µm
Bild 74a:
Spröder transkristalliner Bruch
Bild 74b:
Kalt verformtes Gefüge im Bruchbereich, Nebenrisse
BEISPIEL: Kupplungsstück eines Eisenbahnwagens
Ein gebrochenes Kupplungsstück eines Eisenbahnwagens
wurde zur Untersuchung eingeliefert. Diese Kupplungsstücke
waren in grosser Zahl eingesetzt worden, und nach acht bis
zwölf Monaten traten häufig Sprödbrüche ein. Der Bruch er-
streckte sich jeweils in einem Radius, der durch Kaltver -
formung entstanden war. Die Kupplungsstücke waren aus un-
legiertem Stahl St 37-2 gefertigt und anschliessend einem
Feuerverzinkungsprozess unterzogen worden.
Die verformungslose Bruchfläche wies kristallines Aussehen
auf. Mit dem REM konnten Merkmale eines spröden transkris -
tallinen Gewaltbruchs in Form von Spaltflächen über den ge-
samten Querschnitt festgestellt werden (Bild 74a). Ein metal-
lographischer Schliff durch den Bruchausgang ergab, dass
der Bruch in einem Bereich mit deutlich gestrecktem Korn er-
folgte (Bild 74b) und von mehreren Nebenrissen begleitet war.
Das Mikrogefüge besteht aus feinkörnigem Ferrit mit geringem
Anteil an lamellarem Perlit. Die Werkstoffanalyse ergab einen
Kohlenstoffgehalt von 0.09 Gew.-% und einen Stickstoffgehalt
von 0.017 Gew.-%.
Die Untersuchung zeigte, dass das Kupplungsstück als Folge
einer Werkstoffversprödung gebrochen war. Die Ursache für
diese Versprödung liegt in dem Umstand, dass der im
Bruchbereich liegende Radius durch Kaltbiegen geformt wur-
de und dann ein Feuerverzinkungsprozess folgte. Durch die
mit dem Feuerverzinken verbundene Wärmeeinwirkung tritt in
den kalt umgeformten Zonen ein künstlicher, durch die Wärme
beschleunigter Alterungsprozess (Reckalterung) ein, was sich
insbesondere bei Stählen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt gra-
vierend auswirkt. Als Abhilfemassnahme wird empfohlen, ent-
weder die Biegung des Radius durch Warmformgebung
durchzuführen oder nach der Kaltbiegung eine Normali -
sierungsglühung anzuschliessen. Der Alterungsprozess lässt
sich durch geeignete Materialwahl verringern bzw. verhindern.
Zu verwenden sind Stähle, die durch Zugabe von Elementen
mit grosser Affinität zu Stickstoff wie Al, Ti, Nb alterungsbe-
ständig sind. Die Alterung kann selten mikroskopisch nachge-
wiesen werden. Wichtige Merkmale für Reckalterung sind:
transkristalliner Sprödbruch, starker Abfall der Kerb schlag -
arbeit, verminderte Bruchdehnung, erhöhte Zugfestigkeit Rm
und erhöhtes Streckgrenzenverhältnis Re/Rm.
0,1 mm
66 67
Interkristalliner Bruch
Die Festigkeit der Korngrenzen ist bei homogenen Werk stoffen in der Regel grösser als die
Festigkeit der Matrix; deswegen sind interkristalline Brüche meist ein Zeichen von geschädigten
Korngrenzen. Dieser Zustand wird verursacht durch Anhäufung von Ausscheidungen (z.B.
Karbide im Stahl), Verunreinigungen (z.B. submikroskopische Korngrenzen beläge wie Phosphor
oder Arsen in Vergütungsstählen), Wasserstoff entlang den Korngrenzen (Beizen oder galvanische
Vorgänge) oder durch Einwirkung korrosiver Medien (z.B. Ammoniak auf Messing, Wasserstoff
auf hochfestem Stahl).
Wird bei der fraktographischen Untersuchung ein interkristalliner Bruch festgestellt, ist es wichtig
zu eruieren, ob korrosive Einwirkungen beteiligt waren. Die Beurteilung der Ober flächen be schaf -
fenheit im Bruchausgangsbereich ist dafür ein wichtiges Hilfsmittel. Oft ermöglicht aber erst die
Metallo graphie eine eindeutige Diagnose, da sie die Häufigkeit und den Verlauf der Anrisse dar-
legt.
Eine besondere Form von interkristallinen Brüchen stellen jene mit feinen Waben auf den
Kornflächen dar (Bild 75). Diese Bruchart lässt sich eindeutig auf die Gefügeausbildung
zurückführ en. So kann sich zum Beispiel in aushärtbaren Alu miniumlegierungen entlang den
Korn grenzen eine ausscheidungsfreie Zone bilden, die plastisch verformbar ist und somit eine
Schwachstelle im Gefüge darstellt. Der Bruch erfolgt interkristallin, aber unter Bildung von feinen
Waben in der schmalen ausscheidungsfreien Matrix. Ein ähnliches Bruch bild weisen niedrig le-
gierte Vergütungsstähle mit Zwischen stufengefüge auf [5]. Auch Widmanstättisches Gefüge, das
sich z.B. in Schweissverbindungen bilden kann, neigt zu derartigen Brüchen.
Bild 75:
Interkristalliner Bruch mit Waben auf den Kornflächen
100 µm
ME
TA
LLE
Interkristalliner Bruch
BEISPIEL: Leck in Brennstoffdüse
Während Revisionsarbeiten an einem Flugzeugtriebwerk wur-
de festgestellt, dass bei einer Düse Brennstoffverlust auftritt.
Es zeigte sich, dass ein Anriss in dieser Düse den Verlust be-
wirkte. Die Düse war aus Stahl X15Cr13 hergestellt. Der frei
gelegte Anriss wies einen rostfarbenen Belag auf und erstreck-
te sich über ca. drei Viertel des Umfangs. Die bei Öffnen des
Anrisses freigelegte Bruchfläche ist in allen Bereichen verfor-
mungslos und verläuft interkristallin (Bilder 76a, b, c). An ei-
nem Längsschliff wurde festgestellt, dass die Innenwände in-
terkristalline Nebenrisse zeigen (Bild 76d). Das Mikrogefüge
besteht aus Ferrit und angelassenem Martensit. Die Korn -
grenzen sind mit feinen Karbiden belegt, welche auf eine
Sensibilisierung des Werkstoffes hinweisen (Bild 76e). Der
verwendete Stahl war zugunsten einer erhöhten Festigkeit nur
auf 540°C (statt 700–750°C) angelassen worden. Er befand
Bild 76a:
Frei gelegter Anriss einer Brennstoffdüse. Matt-körniges Aussehen
20 µm
Bild 76c:
Interkristalliner Bruch. Detailaufnahme
Bild 76d:
Interkristalline Korrosion
Bild 76e:
Angelassener Martensit mit Karbidausscheidungen an den Korngrenzen
100 µm
Bild 76b:
Interkristalliner Bruchverlauf
sich somit wegen der Chromverarmung im Bereich der vor-
zugsweise an den Korngrenzen ausgeschiedenen Karbiden in
korrosionsanfälligem Zustand.
20 µm
20 µm
1.5 mm
68 69
BEISPIEL: Schrauben von Schalldämmplatten
In einem Hallenbad stürzten nach ca. zwei Jahren ihrer Montage die Schalldämmplatten von
der Deckenkonstruktion herunter. Als auslösender Faktor wurden gebrochene 40 mm lange
M6-Schrauben eruiert, die aus einer AlMgSi-Legierung gefertigt waren. Die rechnerische
Überprüfung ihrer Betriebs tragfähigkeit ergab, dass sie auf einem extrem niedrigen Niveau be-
lastet worden waren. Der visuelle Befund zeigte, dass die Mehrheit der Schrauben Merkmale
von Gewalt brüchen aufwies, die auf Torsion- oder Scherbeanspruchung zurückzuführen und
somit als Folgebrüche infolge mangelnder Redundanz im System zu bezeichnen sind. Nach
intensivem Suchen wurden einzelne Schrauben gefunden, die ein facettenförmiges Bruchbild
aufweisen (Bild 77a). Die einzelnen Facetten entsprechen singulären Anrissen, die mit Pfeilen
bezeichnet sind. Ein solches Bruchbild lässt immer an Vor schädigung durch Korrosion oder
Wasserstoff denken. Im vorliegenden Fall konnte mit dem REM ein vollständig interkristalliner
Verlauf innerhalb der Facetten festgestellt werden (Bild 77b), während der Restbruch
Merkmale eines duktilen Gewaltbruches in Form von Waben aufweist (Bild 77d).
1 mm
Bild 77a:
Facettenförmiger Bruch. Fünf Anrisse (siehe Pfeile)
100 µm
Bild 77b:
Interkristalliner Bruchverlauf
0.1 mm
Bild 77c:
Interkristalline Nebenrisse im Bruchbereich
ME
TA
LLE
Ein Längsschliff durch das Schadenobjekt zeigt zahlreiche in-
terkristallin verlaufende Korrosionsrisse im Bruchbereich (Bild
77c). Die Korngrenzen sind mit perlschnurartig angeordneten
Ausscheidungen belegt (Bild 77e). Diese Gefügeausbildung
ist für den vorliegenden Werkstoff nach Lösungsglühung mit
anschliessender Warmaushärtung als Anomalie anzusehen
und führt zu erhöhter Korrosionsempfindlichkeit. Eine derartige
Entmischung im Bereich der Korngrenzen tritt zum Beispiel
während langsamer Abkühlung nach dem Schmiedepressen
auf oder nach Überhärtung (Aushärtung über 180°C). Im
Gegensatz dazu zeigt richtig ausgebildetes Mikrogefüge
gleich mässig verteilte Ausscheidungen (Bild 77f).
Die Nebenrisse im Bruchbereich wurden einer mikroanalyti-
schen Prüfung mit der Elektronenstrahlmikrosonde (EMS)
unterzogen. Dabei liess sich Chlor in Lokalgehalten bis zu
1.5 Masse-% nachweisen. Als primäre Bruchursache muss
der anomale Gefügezustand der Schrauben angesehen wer-
den, der zu einer markanten Korrosionsempfindlichkeit des
Werk stoffes führte.
20 µm
10 µm
Bild 77e:
Mit Ausscheidungen besetzte Korngrenzen (Antikorodal 100)
10 µm
Bild 77f:
Gleichmässig verteilte Ausscheidungen entsprechen einer normalen
Gefügeausbildung
Bild 77d:
Wabenbildung als duktiles Bruchmerkmal im schräg verlaufenden
Restbruchbereich
Korrosion ist eine weitere, häufig vorkommende Quelle.
Korrodiert ein Bauteil unter Wasserstoffentwicklung, kann der
kathodisch abgeschiedene Wasserstoff ins Material diffundie-
ren und lokale Versprödung hervorrufen. Wasserstoff entsteht
entweder in sauerstofffreien Medien durch Reduktion des
Wassermoleküls oder als Folge der Hydrolyse von Korrosions -
produkten in Lochfrassstellen, engen Spalten usw. Die Wasser -
stoffatome konzentrieren sich dort, wo die höchste Schädigung
bzw. Spannung vorliegt, nämlich an Kerben, Rissen und ande-
ren spannungsüberhöhend wirkenden Material defekten. Ein be-
vorzugter Ort sind die Korngrenzen.
Der Bruch tritt nicht sofort nach der Wasserstoffbeladung auf,
weil es erst eine Anreicherung bis zu einem kritischen Gehalt
an den Störstellen braucht. In Verbindung mit äusseren Zug -
spannungen kommt es zu verformungsarmen Brüchen, die
vorwiegend interkristallin verlaufen. Charakteristisch für einen
durch Wasserstoff ausgelösten interkristallinen Bruch sind klaf-
fende Korngrenzen und duktile Markierungen an den
Korngrenzen in Form von Haarlinien und «Krähenfüssen» (Bild
78).
Diese Bruchmerkmale sind zwar notwendig, aber nicht ausrei-
chend, um eine eindeutige Diagnose der Wasserstoff ver -
sprödung zu stellen. Einen direkten Nachweis liefert die chemi-
sche Analyse des Wasserstoffs.
70 71
Wasserstoffversprödung
Unter Wasserstoffversprödung wird im Allgemeinen eine uner-
wünschte verzögerte Sprödigkeit des Werkstoffs verstanden,
die auf Anwesenheit von Wasserstoff im Materialinneren
zurückzuführen ist. Praktisch alle metallischen Werkstoffe kön-
nen durch ihn geschädigt werden, wenn er in genügend gros-
ser Menge einzudringen vermag. Die Quellen des Wasser -
stoffs, die Wege, auf welchen er in das Material gelangt, sowie
die Versprödungsmechanismen sind vielfältig. Die Vorgänge
müssen bei jedem Schadenfall nachvollzogen und verstanden
werden [6]. Drei Schädigungsmodi, die häufig anzutreffen und
fraktographisch eruierbar sind, werden hier erörtert.
Wasserstoff gelangt immer als exogene, d.h. von aussen ein-
gebrachte Kontamination ins Metall. Ein Bauteil oder eine
Anlage kann in verschiedenen Lebensphasen mit Wasserstoff
in Berührung kommen. Dies beginnt möglicherweise bereits
im metallurgischen Prozess, bei dem die Löslichkeit des
Wasserstoffs in der Schmelze grösser ist als im festen Zu -
stand. Sammelt er sich als Gas an Störstellen an, kann er bei
der Abkühlung nicht effundieren. Als Folge davon verringern
sich die Zugfestigkeit und Verformbarkeit des Materials. Diese
Art der Wasserstoffversprödung äussert sich durch Bildung so
genannter Fischaugen oder Unternahtrisse und ist für die
Giesserei- und Schweisstechnik von grosser Bedeutung.
Eine weitere Wasserstoffquelle innerhalb der Herstellungs -
prozesse stellt die galvanische Behandlung oder das
Säurebeizen dar. Der Wasserstoff entsteht dabei durch eine
kathodische Teilreaktion des elektrochemischen Prozesses
und diffundiert in atomarer Form in das Material, um dann in
Senken wie Korngrenzen, Leerstellen oder Zwischengitter -
plätzen gefangen zu werden. Bei relativ weichen Stählen oder
in Aluminiumlegierungen kann er an inneren Fehlstellen wie
nichtmetallischen Einschlüssen oder an der Grenze zwischen
der Matrix und der galvanischen Schicht zu Gasmolekülen re-
kombinieren. Im letzten Fall entstehen durch den hohen
Gasdruck Trennungen parallel zur Oberfläche, die mit
Wasserstoff gefüllt sind und Blasenbildung zur Folge haben.
Besonders gefährdet sind die hochfesten und kalt verformten
Stähle mit Streck grenzen über 650 N/mm2. Die Anfälligkeit zur
Versprödung nimmt mit der Härte und der Grösse des
Diffusions koeffizienten für Wasserstoff zu. So wirken sich schon
0.3 ppm Wasserstoff in Stählen mit einer Zugfestigkeit von
1'200 N/mm2 schädlich aus [7].
20 µm
Bild 78:
Duktile Markierungen an den Korngrenzen (Haarlinien und
«Krähenfüsse»)
ME
TA
LLE
Wasserstoffversprödung
Zur kritischen Wasserstoffkonzentration finden sich unter-
schiedliche Angaben. In einem hochfesten Stahl sind bereits
wenige ppm Wasserstoff zu viel, wenn dieser an kritischen
Stellen vorliegt, zum Beispiel in Bereichen hoher Spannungs -
konzentration. Als Grenzwert für die schädliche Wirkung von
Wasserstoff in Stählen mit einer Streckgrenze > 1'000 N/mm2
ist in [8, 9] eine Konzentration von mehr als 0.3 ppm angege-
ben. Es wird heute davon ausgegangen, dass der maximale
Normalverunreinigungsgrad an Wasserstoff 0.2 ppm beträgt.
Zum Zeitpunkt der Schadenanalyse ist jedoch ein Grossteil
wieder effundiert. In weichen Stählen hingegen haben 20 ppm
und mehr Wasserstoff nur einen geringen Einfluss auf die me-
chanischen Eigenschaften, wenn er nicht lokal aufkonzentriert
ist.
1 mm
Bild 79b:
Hochfester Spannstahl. Korrodierte Oberfläche mit Rissen, die parallel zur
Bruchkante verlaufen
Korrosiver Wasserstoff lässt sich analytisch nicht erfassen, da
er nur lokal unterhalb der Korrosionszone angereichert wird.
Deshalb müssen neben dem fraktographischen Befund (inter-
kristalline Zone am Bruchausgang, oft korrodiert, Bild 79a)
noch Korrosionsnarben mit Nebenrissen vorliegen, die parallel
zur normalflächigen Bruchkante verlaufen (Bild 79b). Auch bei
dieser Schädigung, die als wasserstoffinduzierte Spannungs -
risskorrosion bezeichnet wird, ist die Kenntnis der Bau teil -
konstruktion und ihrer Umgebungseinflüsse zwingend. Wasser -
stoff entwickelt sich durch eine kathodische Teilreaktion bei
Korrosion in einem Spalt oder Loch ohne Zutritt von Sauerstoff
oder eine genügend hohe H+-Konzentration (pH tief). Das ge-
schädigte Bauteil muss einer statischen oder dynamischen
Belastung mit Zugkomponente unterworfen gewesen sein und
die Oberfläche im Bruchbereich weist Korrosionsnarben auf.
Dieser Schädigung unterliegen aber nur hochfeste Stähle mit
einer Härte > 22 HRC (ca. 245 HV5) [10].
20 µm
Bild 79a:
Leicht korrodierter interkristalliner Anriss, verursacht durch korrosiven
Wasserstoff
BEISPIEL: Verminderte Zugfestigkeit
In einer Giesserei wurden bei Prüfung der Zugfestigkeit einer Charge von GS30Mn5 die genorm-
ten Mindestwerte von 540 N/mm2 nicht erreicht. Es konnten lediglich Zugfestigkeiten von 487 bis
529 N/mm2 festgestellt werden, wobei die Streck grenze höher lag als vorgeschrieben (322 an-
statt 250 N/mm2). Der Bruch erfolgte verformungslos und die Bruch fläche weist deutlich ausge-
bildete, glänzende Fischaugen auf, die für eine Wasserstoffaufnahme charakteristisch sind (Bild
80a). Die Fischaugen bilden sich um Inhomogenitäten im Gefüge wie nichtmetallische Ein -
schlüsse, Schlacken oder Poren, und die glänzende, hofförmige Zone ist auf einen Spaltbruch
zurückzuführen (Bild 80b). Die übrigen Bruch bereiche zeigen eine den duktilen Gewaltbruch cha-
rakterisierende Wabenstruktur (Bild 80c). Im vorliegenden Fall gelangte der Wasserstoff offenbar
aus feuchten Zuschlägen oder einer schlecht getrockneten Ofenauskleidung ins Metall.
72 73
20 µm
Bild 80c:
Wabenbruch des Grundmaterials
Bild 80a:
Hofförmige Fischaugen auf der verformungsarmen Bruchfläche
40 µm
Bild 80b:
Spaltbruchcharakter des Hofes eines Fischauges
2.5 mm
ME
TA
LLE
BEISPIEL: Verzinkte Unterlagsscheibe
In einem Transformator kamen verzinkte Unterlagsscheiben
mit Aussendurchmesser 30 mm zum Einsatz. Die Scheiben
waren aus einem niedrig legierten Vergütungsstahl gefertigt,
auf Zugfestigkeit von 1'150N/mm2 vergütet und hatten eine
verzinkte Oberfläche. Die Belastung dieser Scheiben war rela-
tiv gering, d.h. das Anzugsmoment bei der Montage betrug
7 mkg. Trotzdem entstanden nach relativ kurzer Betriebszeit
zahlreiche Risse, die zu Kurzschlüssen in der Anlage und zu
erheblichen Folgeschäden führten. Bild 81a zeigt eine der de-
fekten Scheiben. Die zahlreichen verformungslosen Risse las-
sen vermuten, dass Werkstoffversprödung die Ursache für ih-
re Entstehung war. Ausserdem fällt auf, dass der metallische
Überzug mit feinsten Bläschen durchsetzt ist (Bild 81b). Die
Blasen liessen sich mit einem leichten Fingerdruck öffnen, wo-
bei die locker aufsitzende Schicht abblätterte und der Grund -
werkstoff freigelegt wurde. Diese Erscheinung ist nur so zu
deuten, dass der Austritt eines Gases aus dem Werkstoff
nach der Beschichtung ein lokales Abheben der Zinkschicht
bewirkte. Die Bruchfläche lässt einen interkristallinen Verlauf
erkennen. Sie zeigt zahlreiche klaffende Korngrenzen und duk-
tile Markierungen (Krähenfüsse) auf den Kornflächen (Bild
81c). Dieses Bruchbild ist für eine Wasserstoffversprödung
charakteristisch. Um die Hypothese zu bekräftigen, wurde das
Material einer Analyse unterzogen. Die gefundenen Wasser -
stoffgehalte bis zu 1.5 ppm überschreiten massiv die kritische
Grenze. Der schädigende Wasserstoff kann in erster Linie
beim Beizen, aber auch beim Galvanisieren in den Stahl ein-
dringen. Eine optimale Einstellung der Bäder als auch eine
Aus gasung nach oder während der Beschichtung wirken da-
bei vorbeugend. In diesem Zusammenhang sei auf die ISO-
Norm 4042, Annex A (Hydrogen embrittlement relief after
elec troplating), verwiesen.
Bild 81a:
Verzinkte Unterlagsscheibe mit Rissen
Bild 81b:
Blasen auf der Oberfläche
Bild 81c:
Interkristalliner Bruch mit klaffenden Korngrenzen und «Krähenfüssen» auf
den Kornflächen
20 µm
1 mm
3 mm
Bei der mikroskopischen Betrachtung von Ermüdungsbrüchen
ist es notwendig, die in Bild 83 dargestellten drei Stadien der
Rissausbreitung zu unterscheiden. Ein Ermüdungsbruch ent-
wickelt sich an Stellen mit lokaler Spannungskonzentration,
die entweder durch die Konstruktion (Kerbwirkung, Steifig -
keitssprung) oder eine Verletzung der Oberfläche (Korrosion,
mechanische Verletzung) verursacht wurde.
Nach einer Inkubation entstehen mehrere Mikrorisse, von de-
nen nur wenige zu einem Riss zusammenwachsen. Die
Kleinrisse breiten sich entlang den entfestigten Gleitbändern
oder Korngrenzen aus, und zwar über eine Strecke, die eini-
gen Korndurchmessern entspricht. Dieses Stadium I der Riss -
ausbreitung verläuft in der Ebene der höchsten Schub span -
nungen (45° zur Oberfläche) und bildet eine facetten artige
Bruchstruktur. Bei Schadenfällen in der Praxis ist diese
Bruchausgangszone durch Reibung sehr oft beschädigt, und
daher ist Stadium I schlecht wahrnehmbar. In zahlreichen Al-
Legierungen sowie auch in Ni- und Co-Basis-Legierungen ist
es dagegen sehr gut zu erkennen, weil es ausgedehnter ver-
läuft.
Bild 82:
Intrusionen und Extrusionen innerhalb der Ermüdungsgleitbänder
Bild 83:
Mikroskopische Ausbildung der Ermüdungsbrüche in Abhängigkeit der
Rissausbreitungsgeschwindigkeit dl/dN [11]. l = Risslänge, N = Last spiel -
zahl, K = Spannungsintensitätsfaktor, LW = Lastwechsel
100 µm
74 75
Ermüdungsbruch
Ein Ermüdungsbruch – auch Dauer- oder Schwingbruch ge-
nannt – entsteht bei schwellender oder wechselnder Bean -
spruchung, die unterhalb der Streckgrenze des Materials liegt.
Bei Ermüdung tritt in gleicher Weise wie bei statischer
Beanspruchung ein Verformungsvorgang auf, den man als
Gleiten bezeichnet. Durch die Konzentration der irreversiblen
Abgleitungen in schmalen Zonen einzelner Kristallite entstehen
Ermüdungsgleitbänder, die ein mikroskopisches Aufrauen der
ursprünglich glatten Oberfläche zur Folge haben. Charak -
teristische Oberflächenerscheinungen, die vor allem bei höhe-
ren Schwingbreiten des Spannungsintensitätsfaktors ΔK auf-
treten, stellen die sog. Intrusionen (Materialeinstülpungen) und
Extrusionen (Materialauspressungen) dar. Damit werden die
dünnen Lamellen bezeichnet, die sich während der zyklischen
Beanspruchung aus den Gleitbändern heraus- bzw. in diese
hineinschieben. Bild 82 zeigt die Oberfläche einer ermüdeten
Probe aus Reinnickel. Diese Probe wurde metallographisch
poliert und anschliessend während 10'000 Zyklen mit einer
Dehnungsamplitude von ΔεP = 7 x 10-3 belastet. Bei der Beur -
teilung einer stark zerriebenen oder gehämmerten Bruchfläche
können Ermüdungsgleitbänder, d.h. Intrusionen und Extru -
sionen auf der Oberfläche ein Hilfsmittel sein, um zwischen
Gewaltbruch und Ermüdungsbruch zu unterscheiden. Diese
Möglichkeit besteht lediglich bei einer ursprünglich gut polier-
ten Oberfläche. Bei den technisch üblichen Ober flächen -
qualitäten sind diese Merkmale nicht sichtbar, da sie von der
Rauheit überdeckt sind.
III
II
I
Elemente desGewaltbruches
Ermüdungsstreifen
glatte Flächen
10 -10-3 -2
10 -10-5 -4
dl /
dN [m
m/LW]
ΔKth
ME
TA
LLE
Ermüdungsbruch
Legierte ferritische Stähle mit einem Vergütungsgefüge neigen
innerhalb des Schwellbereiches (in der Nähe von ΔKth) zu teil-
weise interkristallinem Bruchverlauf, wie es als Beispiel in Bild
84b gezeigt wird. Es handelt sich um einen 34CrMoNi6-Stahl,
vergütet auf eine Härte von 280HV1. In einem Ermüdungs -
versuch zur Bestimmung der Rissausbreitungsrate mit einer
Spannungsamplitude von ± 118 N/mm2 bildeten sich auf der
normalflächigen Ermüdungsbruchfläche unregelmässig ausge-
bildete Ermüdungsstreifen, wie sie in Bild 84a wiedergegeben
sind.
Wird die Lage des Ermüdungsbruchs durch Normalspannung
bestimmt, so verläuft der Hauptriss makroskopisch senkrecht
zur Beanspruchungsrichtung (Stadium II). Im mikroskopischen
Bereich können jedoch Abweichungen auftreten, die durch die
Gefügeausbildung bedingt sind. Charakteristisch für Stadium II
sind feine Streifen auf der Bruchfläche, die als Schwingungs -
streifen, Ermüdungsstreifen oder «striations» bezeichnet wer-
4 µm
Bild 84a:
Unregelmässig ausgebildete Ermüdungsstreifen
Bild 85a:
Relativ regelmässig ausgebildete Ermüdungsstreifen, angeordnet auf paral-
lelen Bahnen
100 µm
Bild 84b:
Vereinzelt interkristalliner Bruchverlauf in der Nähe des Bruchausgangs
20 µm
20 µm
Bild 85b:
Unregelmässig ausgebildete Bahnen mit Ermüdungsstreifen. Ferritischer
Stahl 1.4510
den (Bilder 84a, 85a, b). Sie entstehen bei Rissaus brei tungs -
geschwindigkeiten ab 0.1 µm/LW und lassen sich mit dem
REM erkennen. Sie sind auf parallelen, stufenartig ausgebilde-
ten Bahnen angeordnet und von Nebenrissen durchsetzt.
Diese Risse entstehen dann, wenn der Hauptriss lokale
Abweichungen von der generellen Rissausbreitungsrichtung
aufweist. Sie sind ein wichtiges Erkennungsmerkmal.
76 77
In Gusslegierungen kann die Orientierung der Ermüdungs -
streifen von der makroskopischen Rissausbreitungsrichtung
stark abweichen (Bild 86).
Es wird allgemein angenommen, dass der Abstand zwischen
zwei Ermüdungsstreifen jener Rissstrecke entspricht, die
während eines Lastwechsels entstanden ist. Verschiedene
Untersuchungen haben ergeben, dass bei aushärtbaren Al-
Knetlegierungen sowie bei verschiedenen Stählen eine gute
Übereinstimmung zwischen Abstand und Risslängenzunahme
pro Lastwechsel besteht. Diese Korrelation gilt aber nur im
Bereich von 0.1 µm/LW bis 1 µm/LW. Bei kleineren Riss aus -
brei tungsgeschwindigkeiten ist der Abstand der Streifen grös-
ser als die effektive Länge des Rissfortschrittes, was bedeutet,
dass nicht jeder Lastwechsel einen Ermüdungsstreifen hinter-
lässt. Rückschlüsse aus der Dichte der Ermüdungs streifen auf
die Ausbreitungsgeschwindigkeit sollten daher mit äusserster
Vorsicht gezogen werden. In der Praxis sind die Belastungs -
spektren oft heterogen und nicht homogen periodisch ausge-
bildet. Es kommen Amplitudenspitzen unbekannter Höhe vor,
die nicht nur zu einem schnelleren Riss wachstum, sondern
auch zu einer Verfestigung des Materials im Rissligament mit
nachfolgender Retardierung (Verlang samung) des Risswachs -
tums führen können [12]. Alle diese Änderungen der Vorgänge
hinterlassen deutliche Rastlinien (siehe Seiten 50–53), sind
aber aus der Dichte der Ermüdungsstreifen nicht abzuleiten.
Die Form der Ermüdungsstreifen gibt unter Umständen auch
einen Hinweis auf chemische bzw. korrosive Beeinflussung
beim Ermüdungsprozess. Während duktile Ermüdungsstreifen
nur durch mechanische Beanspruchung entstehen, sind sprö-
de Ermüdungsstreifen ein Zeichen für die Anwesenheit von
korrosiven Mitteln beim Bruchvorgang [13]. Bild 87a zeigt den
Ermüdungsbruch eines aus austenitischem Cr-Ni-Stahl herge-
stellten Heizrohres, welches von Warmwasser durchflossen
wurde. Die spröden Ermüdungsstreifen sind für Schwingungs -
risskorrosion charakteristisch. Auch der in Bild 87b ersichtli-
che Bruch ist durch Schwingungsrisskorrosion entstanden. Es
handelt sich um ein aus der Al-Legierung 7075 angefertigtes
Ven ti latorblatt einer Tunnelbelüftungsanlage. Rissinitiierung und
-ausbreitung wurden durch aggressive Chloride beschleunigt.
100 µm
Bild 86:
Ermüdungsbruch in AlMgSi 0.5.
Makroskopische Rissausbreitungsrichtung siehe Pfeil
40 µm
Bild 87a:
Spröde Ermüdungsstreifen an einem gebrochenen Heizrohr
8.6 µm
Bild 87b:
Spröde Ermüdungsstreifen an einem Ventilatorblatt
ME
TA
LLE
Gew
alt- oder Ermüdungsbruch
?
Bei Risswachstumsraten grösser als 10 µm/LW entstehen
Brüche, die als Low Cycle Fatigue (LCF), Plastoermüdung
oder Kurzzeitermüdung bezeichnet werden. Auf der Bruch -
fläche liegen neben den Ermüdungsstreifen auch Gewalt -
bruchmerkmale vor in Form von Waben oder Rosetten (Bilder
88a, b). Eine Zone mit LCF-Bruchstruktur lässt sich auch bei
HFC-Brüchen (High Cycle Fatigue) am Übergang zum
Restbruch finden.
20 µm
Bild 88a:
LCF in Al-Legierung 2014. Bahnen mit Ermüdungsstreifen wechseln ab mit
Wabenstruktur
5 µm
Bild 88b:
LCF in Stahl Ck45. Zonen mit Ermüdungsstreifen durchsetzt von Waben
Gewalt- oder Ermüdungsbruch?
Viele Brüche lassen sich auf den ersten Blick einer Bruchart
zuordnen, und die mikroskopische Untersuchung mit dem
REM dient nur zur Bestätigung der makroskopischen Bruch -
diagnose. Bei Ermüdungsbrüchen jedoch stellt die Mikro -
fraktographie oft die ausschlaggebende Untersuchung dar,
und dennoch ist sie manchmal mit Unsicherheiten verbunden.
Werden echte Ermüdungsstreifen gefunden, sind diese der
eindeutige Beweis für eine Ermüdungsbeanspruchung. Es gibt
aber Strukturen mit verschiedenen Streifen, welche Er müdungs -
linien vortäuschen können. Ausserdem werden während der
Risswachstumsphase bei Lasten mit R<0 (R= σmin/σmax) und
bei Mischmodus I+II (d.h. bei Wechselbiege- und Zug-Druck-
Beanspruchung oder bei Torsion) durch Rissschliessungs -
effekte Teile der Ermüdungsanrisszone nach träglich verrieben.
Die ursprüngliche Bruchstruktur liegt dann nur noch stellen-
weise vor. Im Folgenden werden einige Verwechslungs -
möglichkeiten erläutert und Tipps gegeben, die für die frakto-
graphische Untersuchung hilfreich sein können.
78 79
BEISPIEL: Gehämmerte Bruchfläche
Es war die Ursache zu ermitteln, die zum Bruch einer Zentrifugalpumpenwelle führte. Die aus
Stahl X30Cr13 gefertigte Welle sollte in vergütetem Zustand vorliegen. Die metallographische
Untersuchung ergab jedoch, dass sie in normalgeglühtem Zustand (257 HV10) verwendet
worden war. Der vorzeitige Bruch wies makroskopisch beurteilt einen normalflächigen Verlauf
auf, wie es ein Ermüdungsbruch erwarten lassen würde. Die Topographie der Bruchfläche war
durch eine starke sekundäre Verformung gekennzeichnet, die umso intensiver ausgebildet
war, je näher sie zum Bruchausgang lag. Die mikroskopische Untersuchung einer derartigen
Bruch fläche konzentriert sich auf die vertieften Bereiche, weil dort die Wahrscheinlichkeit einer
sekundären Beschädigung geringer ist. Bei mittlerer Vergrösserung (Bild 89a) wird eine ver-
tiefte Stelle gesucht, die von der nachträglichen Reibung verschont geblieben sein könnte. Die
Bilder 89b, c belegen diese An nahme. Nur die höher liegenden Bereiche lassen Reib spuren
erkennen, während in der vertieften Zone die für einen Er müdung sbruch typischen Bahnen mit
Ermüdungsstreifen sowie Nebenrissen deutlich zum Vorschein kommen. Somit konnte die
Vermutung des Ermüdungsbruches bestätigt werden.
2 µm
Bild 89b:
In der vertieften Zone kommt die ursprüngliche Struktur zum Vorschein
1 µm
Bild 89c:
Deutlich ausgebildete Ermüdungsstreifen, umgeben von Druck- und
Reibspuren
10 µm
Bild 89a:
Bei mittlerer Vergrösserung wird nach einer vertieften Zone gesucht, die
durch Reibung nicht zerstört wurde
ME
TA
LLE
Verwechslungsm
öglichkeiten
Verwechslungsmöglichkeiten
Reibspuren (Bilder 90a, b, c)
Bei einer Schar von parallel zueinander verlaufenden
Reibspuren fehlen die parallel zu den Streifen verlaufenden
Nebenrisse. Auch sind die Streifen nicht auf einzelnen Bahnen
angeordnet. Während die Bahnen bei Ermüdungsbrüchen ei-
ne gewisse Regelmässigkeit zeigen, sind die einzelnen durch
Reibung entstandenen Zonen durch Materialverschiebung
und -überlappungen am Rand gekennzeichnet.
10 µm
Bild 90a:
Reibspuren auf einer Zahnradbruchfläche
10 µm
Bild 90b:
Geriebene und korrodierte Bruchfläche
Falten bzw. aufgestauchtes Material durch wiederholtes
Reiben unter Druck (Bilder 90d, e)
Stauchfalten sind immer von ausgeprägten Druck- und
Reibspuren begleitet. Sie zeigen sich gleichmässig wellenför-
mig ausgebildet. Hinterlässt eine Bruchfläche auf der Gegen -
bruchfläche regelmässig verteilte Abdrücke, werden sie als
«tire tracks» bezeichnet.
5 µm
Bild 90c:
Reibspuren gut erkennbar an Überlappungen
4 µm
Bild 90d:
Durch Stauchung entstandene Struktur
Ermüdungsgleitbänder (Bild 90g)
Ihre Orientierung wechselt von Korn zu Korn und ist von der
Rissausbreitungsrichtung unabhängig. Sie sind relativ streng
linear ausgebildet und auf gut polierter Oberfläche sichtbar.
Sie entstehen nicht durch Risswachstum, sondern durch
Versetzungswanderung in der rissfreien Ermüdungsphase.
Beeinflussung der Bruchausbildung durch das Mikrogefüge
(Bilder 90h, i)
Die Gefügeausbildung beeinflusst immer das Bruchbild. Um
die Korrelation zwischen Bruchverlauf und Gefüge während
der fraktographischen Untersuchung herzustellen, ist es not-
wendig, das Gefügebild des Bruchstückes vorher untersucht
80 81
Gleitbänder (Bild 90f)
Gleitbänder entstehen bei Gewaltbrüchen duktiler Werkstoffe.
Im Prinzip sind sie an den Wänden von grossen Waben ange-
ordnet. Die Wabenstruktur ist jedoch nur bei relativ geringer
Vergrösserung gut erkennbar. Auf den Wabenwänden können
sich auch weitere kleine Waben bilden. Diese Brüche weisen
eine Einschnürung und eine Orangenhaut auf der Oberfläche
im Bruchbereich auf.
20 µm
Bild 90e:
Durch wiederholte Druck- und Schubbeanspruchung entstandene Falten
2 µm
Bild 90f:
Deutlich ausgebildete Gleitbänder an der Wand einer grossen Wabe.
Gewaltbruch (Zugbeanspruchung) in reinem Kupfer
10 µm
Bild 90g:
Zusammenhängende Ermüdungsgleitbänder auf der Bruch- und
Oberfläche
3 µm
Bild 90h:
Bruchverlauf in einem Perlitkorn widerspiegelt die Zementitlamellen (Pfeile).
Im Ferritkorn bilden sich Ermüdungsstreifen
Bruch
1
2
Schliff
Bruch
Bruchausbreitungsrichtung
Oberfläche
Bruchausbreitungsrichtung
Oberfläche
Bruch
ME
TA
LLE
zu haben. Kalt verformtes, zeiliges Gefüge kann Ermüdungs -
streifen vortäuschen. In lamellarem Perlit verläuft der Bruch
entlang den Lamellen, wie die Kante zwischen metallographi-
schem Schliff und Ermüdungsbruchfläche zeigt.
Korrosionsbelag oder andere Kontamination (Bild 90j)
Ein Korrosionsbelag oder eine andere Kontaminationsschicht
kann ebenfalls eine streifenartige Struktur aufweisen. Diese
Schichten zeigen oft unregelmässig verteilte Risse und die
Oberfläche hat ein glattes, zum Teil abgerundetes Aussehen.
Ein Bruch darf nicht anhand eines Fotos einer Bruchart zuge-
ordnet werden, denn seine Strukturen können zwar morpholo-
gische Ähnlichkeiten aufweisen, aber durch unterschiedliche
Mechanismen entstanden sein. Ein Beispiel ist in den Bildern
91a, b wiedergegeben. Auf den ersten Blick ist eine gewisse
Ähnlichkeit in der Topographie wahrnehmbar. Aber es handelt
sich um zwei sehr unterschiedliche Materialien und um zwei
unterschiedliche Bruchvorgänge. Bild 91a zeigt einen Gewalt -
bruch eines Saphir-Monokristalls. Der Bruch verläuft entlang
den Spaltebenen und die feinen Stufen bilden Streifen in der
Struktur. Bild 91b stammt dagegen von einem Ermüdungs -
versuch mit reinem Nickel, und die duktilen Ermüdungsstreifen
sind auf parallel zueinander verlaufenden Bahnen angeordnet.
5 µm
Bild 90i:
Zum Vergleich Ermüdungsstreifen im Ferritkorn (Pfeil)
10 µm
Bild 90j:
Korrosionsbelag mit unregelmässig verteilten Rissen.
10 µm
Bild 91a:
Gewaltbruch eines Saphir-Monokristalls
5 µm
Bild 91b:
Ermüdungsbruch in reinem Ni
Bruchfläche
MikroschliffMikroschliff
82 83
Kriechbrüche
Als Kriechbrüche werden Trennungen bezeichnet, die unter
Lang zeitbelastung bei Temperaturen oberhalb von 0.5 TS(Schmelz temperatur in Kelvin) entstehen. Die Zeitstand- oder
Relaxationsbrüche ereignen sich in einem Bereich, der durch
Porenbildung gekennzeichnet ist. Die Poren entstehen durch
thermisch aktivierte, diffusionsgesteuerte Vorgänge [14] und
sind auf zusammengewachsene Hohlräume, Versetzungs -
häufung und Abgleitungen im Bereich der Korngrenzen
zurück zuführen. Sind die Korngrenzen mit Ausscheidungen
belegt, blockieren diese die Versetzungen in ihrer Bewegung
und es entstehen Hohlräume. Die Zeitstandschädigung ist
nicht nur auf der Bruchfläche erkennbar, sondern bei grösse-
rem Volumen der Probe auch metallographisch entweder als
keilförmige Anrisse an Tripelpunkten oder als Poren an den
Korngrenzenflächen (Bild 92a). Bild 92b zeigt eine freigelegte
Korngrenze in Weicheisen, das bei 600°C mit einer Zug -
spannung von 25.9 MN/mm2 während acht Stunden belastet
worden war. Diese Probe wurde in flüssigem Stickstoff ab-
gekühlt und dann gebrochen. Das Anfangsstadium der
Kriech schädigung in Form von Poren ist an der freigelegten
Korngrenze gut sichtbar. Wird das Reineisen auf die vorge-
nannte Art bis zum Bruch belastet, so tritt ein interkristalliner
Bruch ein, der von hoher Porendichte gekennzeichnet ist (Bild
92c) [15].
Bild 92a:
Schematische Darstellung der Entstehung von Keilporen und
Korngrenzenporen
10 µm
Bild 92b:
Porenbildung in Weicheisen bei 600°C (Anfangsstadium)
25 µm
Bild 92c:
Kriechbruch. Freigelegte Poren im Bereich der Korngrenze
ME
TA
LLE
Kriechbrüche
BEISPIEL: Turbinenschaufel
Während eines Horizontalfluges einer Mirage brach beim Be -
schleunigen eine Schaufel im Turbinenrotor, was zu einem be-
trächtlichen Schaden am Triebwerk führte. Die letzte Inspek -
tion der Turbinenschaufeln lag nur 16 Betriebsstunden zurück.
Sie war nach insgesamt 1'680 Betriebsstunden vorgenom-
men worden und hatte auch eine zerstörungsfreie Eindring -
prüfung beinhaltet, die jedoch an der nun gebrochenen
Schaufel keinen Befund ergeben hatte. Die Schaufeln waren
aus Nimonic 100, einer NiCrCo-Legierung, hergestellt.
Der Bruch befindet sich auf halber Höhe der Schaufel und ver-
läuft normalflächig ohne Einschnürung. Die Bruchfläche lässt
weder Bruchfrontlinien noch Rissausbreitungsspuren erken-
nen (Bild 93a). Im mikroskopischen Bereich ist sie relativ zer-
klüftet und weitgehend interkristallin (Bild 93b). Die Korn -
grenzen sind mit feinen Waben bedeckt, was für einen Kriech -
schaden charakteristisch ist (Bild 93d). Die sporadischen
transkristallinen Bereiche weisen Ermüdungsstreifen auf (Bild
93c). Diese kleinen Ermüdungsbruchflächen erstrecken sich
nur auf wenige Zehntel Millimeter. Sie haben ihren Ursprung in
den Poren im Schaufelinneren. Es konnten keine Ermüdungs -
bereiche mit Rissausgang an der Schaufel ober fläche gefun-
den werden.
0.3 mm
Bild 93a:
Verformungsarme Bruchfläche ohne Rissausbreitungsspuren
400µm
Bild 93b:
Interkristalliner Bruchverlauf
50µm
Bild 93c:
Von Kriechbruch ausgehende Ermüdungsbrüche
10µm
Bild 93d:
Flache, eckig ausgebildete Waben, gebildet durch Kriechporen auf den
Korngrenzen
84 85
Der Kriechschaden liess sich metallographisch eindeutig nachweisen. Bild 93e zeigt die
Häufig keit und Anordnung der interkristallin verlaufenden und normalflächig angeordneten
Risse. Bild 93f lässt Poren bildung an den Ausscheidungen erkennen, welche an den
Korngrenzen vorliegen. Es fällt auf, dass die stark ausgeprägten Risse mit einer Ausbreitung
bis an die Schaufeloberfläche mit Oxidations produkten ausgefüllt waren.
Die primäre Ursache für den Schaufelbruch ist ein Kriech schaden. Die Ermüdung war durch
Kriechrisse im Material inneren aufgetreten und ist somit als sekundärer Schaden zu betrach-
ten. Eine Eindringprüfung, wie sie bei der letzten Inspektion der Turbinenschaufeln durchge-
führt worden war, kann durch Oxidationsprodukte verschlossene Risse nicht nachweisen.
0.2 mm
Bild 93e:
Längsschliff durch die Schaufel. Trennungen durch Kriechschaden
0.02µm
Bild 93f:
Poren an Korngrenzen, die senkrecht zur Beanspruchung liegen
ME
TA
LLE
Bruchschäden in einem redundanten System führen zu einer
grossen Anzahl von Brüchen in zahlreichen Einzelteilen. Der
Ausgangsschaden in Form von mikroskopischen Rissen be-
ginnt immer nur in einem Teil des Systems, die übrigen Teile
werden durch Folgebrüche beschädigt. Um die primäre
Schaden ursache ermitteln zu können, muss die fraktographi-
sche Untersuchung systematisch durchgeführt werden. Diese
Systematik wird im Folgenden anhand der Untersuchung von
Drahtseilbrüchen veranschaulicht.
Makroskopische Untersuchung
Für die Ursachenklärung von Seilbrüchen ist es erforderlich,
möglichst alle Drahtbrüche zu untersuchen. Denn oft lässt sich
die Bruchursache erst aus der Quantifizierung der einzelnen
Brucharten ableiten. Dazu muss das aus Sicherheitsgründen
an abgebundener Stelle durchtrennte Seil schrittweise zerlegt
werden, und die Lage der einzelnen Drahtbrüche ist in einem
Schema festzuhalten. Die Bezeichnung der Einzeldrähte er-
möglicht eine spätere Rekonstruktion des Seiles, insbesonde-
re der Umgebung der Drahtbrüche. Es geht vor allem um die
Charakterisierung der Bruchausgangsstellen und gleichzeitig
um deren Lokalisierung, ob sie an einer Berührungsstelle mit
benachbartem Draht liegen oder auf der Seiloberfläche. Über
jedes Seil müssen Konstruktion und Funktion bekannt sein,
damit die wirklich relevanten Drähte untersucht werden. Bei
Drahtseilen konzentriert sich die fraktographische Unter -
suchung ausschliesslich auf die Umfangsdrähte in den Einzel -
litzen, da diese die Hauptlast tragen. Die Kerndrähte sind hier
am wenigsten aussagekräftig, denn sie haben nur eine sin-
guläre stützende Funktion [16]. Bei vollverschlossenen
Tragseilen hingegen ist die 2. Lage von Interesse, weil sie zu-
erst bricht und somit die primäre Bruchursache am besten er-
kennen lässt [17].
Wird ein Seil durch Korrosion oder Ermüdung geschädigt, so
tritt ein Bruch in dem Moment ein, wenn der verbleibende
Querschnitt die angelegte Betriebslast nicht mehr tragen
kann. Dabei brechen zahlreiche Einzeldrähte infolge Überlas -
tung als Gewaltbrüche.
Bevor ein Seil auseinander genommen wird, muss der
Bruchbereich beurteilt werden. Es ist festzuhalten, ob der
Seilbruch in einem Querschnitt erfolgte (Bild 94a), oder ob
sich die Litzenbrüche bzw. Drahtbrüche auf unterschiedlichen
Längen befinden.
Die laterale Ausdehnung des Bruchbereichs ist von grosser
Bedeutung. Zum Beispiel erstreckt sich der Seilbruch von Bild
94b über eine Länge von 35 cm. Die Aus dehnung des
Seilbruchs gibt Auskunft über die Bruch ursache. Ein auf en-
gem Bereich lokalisierter Seilbruch tritt durch intensive
Querpressung ein, wie sie zum Beispiel beim Herausspringen
des Seils aus einer Führungsrolle und beim Einquetschen vor-
kommen kann. Ein ausgefranster Seilbruch hingegen, der sich
über eine längere Strecke erstreckt, entsteht auf einer freien
Länge unter reiner Zugkraft. Je mehr elastische Energie ein
Seil vor dem Bruch speichert, desto zerklüfteter ist der Bruch -
bereich. Ausserdem ziehen sich die zuletzt gebrochenen
Litzen zurück und bilden Schleifen (Bild 94c).
Bild 94a:
Seilbruch mit eng lokalisiertem Bruchbereich
Bild 94b:
Bruchbereich erstreckt sich auf 35 cm Länge
100 µm
Komplexe fraktographische Untersuchungen
Komplexe fraktographische Untersuchungen
Makroskopische Untersuchung
Im Weiteren interessiert die Seilumgebung, insbesondere im
Bereich der Bruchstelle. Seilbrüche treten bevorzugt in Zonen
mit Biegewechselbeanspruchung auf wie bei Umlenk- und Aus -
gleichsrollen, Trommeln oder Endbefestigungen. Die Flanke der
Rille, die das Seil stützt, lässt das Tragbild erkennen. Daraus
lassen sich Schlussfolgerungen über den Seil zustand ziehen.
Zur makroskopischen Untersuchung gehört auch die Be -
urteilung von Schmierung, Korrosion, Anschmelzungen sowie
von Verletzungen durch Abrieb oder Quetschungen auf der
Seil oberfläche. Einzeldrahtbrüche kommen besser zum Vor -
schein, wenn das Seil leicht gebogen wird. Sie müssen hinsicht-
lich ihrer Verteilung und ihres Ausmasses beurteilt werden. In
den Bildern 95a, b, c sind die häufigsten Fälle wieder gegeben.
Das in Bild 95a gezeigte Seil weist auf seiner ganzen
Oberfläche (in Bezug auf seinen Umfang) unregelmässig ver-
teilte Drahtbrüche auf. Diese befinden sich jedoch nur auf je-
ner Strecke, die über eine Umlenkrolle auf Biegung bean-
sprucht wird. Die Drahtbrüche in Bild 95b sind auffallend auf
einer Mantellinie der Seiloberfläche verteilt und liegen innerhalb
ellipsenförmiger Verletzungen. Im Gegensatz dazu zeigt die
Seiloberfläche in Bild 95c keine nennenswerten Verletzungen.
Die zahlreichen Drahtbrüche liegen dort im Seilinnern.
86 87
Bild 95a:
Unregelmässig verteilte Drahtbrüche
Bild 94c:
Zurückgezogene Litzen bilden Schleife
Bild 95b:
Verteilung der Drahtbrüche auf einer Mantellinie der Seiloberfläche. Die
Drahtbrüche liegen innerhalb ellipsenförmiger Verletzungen
Bild 95c:
Drahtbrüche im Seilinnern
5 mm
200µm
Bild 95d:
Korrosionsnarbe am Bruchausgang. Ermüdungsbruch
Beim Seil von Bild 95a fielen die schlechte Schmierung und
seine korrodierte Oberfläche auf. Die Untersuchung am
Einzeldraht zeigte, dass die Ermüdungsbrüche tatsächlich
durch Reibung in Kombination mit Korrosion eingeleitet wor-
den waren (Bild 95d).
1 cm
2 mm
ME
TA
LLE
Bild 96a:
Bruchstelle des Betätigungsseils einer Landeklappe. Seildurchmesser 3.5 mm
Bild 96b:
Relativ regelmässiges, einwandfreies Tragbild auf der Flanke einer Rille
Bild 96c:
Unregelmässiges Tragbild einer Rille, typisch für ein vorbeschädigtes Seil
BEISPIEL: Betätigungsseil einer Landeklappe
Bild 96a zeigt einen Riss am Betätigungsseil der Landeklappe
eines Flugzeugs. Ziel der fraktographischen Untersuchung war
es zu klären, ob es sich bei diesem Seilbruch um die Ursache
für den Flugzeugabsturz handelte oder um die Folge davon.
Das Seil hatte einen Durchmesser von 3.5 mm und bestand
aus sieben Litzen mit je 19 Drähten. Die verzinkten Einzel -
drähte wiesen einen Durchmesser von 0.18 mm auf. Es wurde
festgestellt, dass der Bruch am Übergang von dem in der Rille
einer Umlenkrolle liegenden Seilabschnitt zur freien Seillänge
eintrat. Dafür sind der gut erhaltene (Bild 96a, links) sowie
der ausgefranste Seilverbund (Bild 96a, rechts) des Bruch -
stücks charakteristisch. Untersucht wurde auch das Tragbild
dieser genannten Rille. Wie Bild 96b zeigt, hinterliess das Seil
auf den Flanken der Rille ein regelmässiges Tragbild, was auf
ein weitgehend intaktes Seil hindeutet. Wären in dem Seil
schon vor dem Seilbruch Litzen- und Drahtbrüche vorhanden
gewesen, so hätten deren abstehende Drähte unregelmässig
verteilte Abdrücke in der Rille verursacht, wie von einem ande-
rem Fall in Bild 96c zu sehen ist. Für die fraktographische
Untersuchung wurden die einzelnen Litzen abgebunden, der
Bruchbereich abgeschnitten und im REM untersucht. Die
Mehr heit der Drahtbrüche waren auf duktile Gewaltbrüche
zurückzuführen. Sie zeigten Trichterbrüche mit Einschnürung
im Bruchbereich und mit Wabenstruktur.
In dem aus 133 Drähten bestehenden Seil wurden an 33 Dräh -
ten normalflächige Ermüdungsanrisse festgestellt, die flächen -
mässig jeweils weniger als 1/3 des Drahtquerschnittes einnah-
men. Die Risse waren an den Berührungsstellen des Seiles mit
Umlenkrolle entstanden, und die meisten wurden erst beim
Seilriss freigelegt. Ausserdem waren die einzelnen Ermü -
dungs risse über eine Länge von 70 mm verteilt, was etwa der
5fachen Schlaglänge entspricht. Die Wirkung der Drahtbrüche
beschränkt sich wegen der inneren Reibung im Seilverbund
auf wenige Schlaglängen. Folglich ist die Rest bruchfestigkeit
des Seiles höher, als wenn die Brüche eng beieinander lägen,
z.B. in einem Querschnitt. Daraus ergab sich als fraktographi-
sches Resultat, dass es sich beim Seilbruch um eine Folge -
schädigung durch den Unfall gehandelt haben müsste.
Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass bei einem Seil mit
Drahtbrüchen die Beurteilung allein von Einzeldrähten kein zu-
verlässiges Resultat erbringen kann. Auch wenn Einzeldrähte
Ermüdungsbrüche aufweisen, heisst das nicht, dass der
Seilbruch auf Ermüdung zurückzuführen ist.
20 mm
1.5 cm
1 cm
88 89
BEISPIEL: Seilbruch nach Unterhaltsarbeit
Das Seil von Bild 95b musste während Unterhaltsarbeiten an
den Umlenkrollen entlastet werden, was durch eine Klemm -
vor richtung gewährleistet wurde. Die Verteilung der Draht -
brüche und die Quetschspuren entsprechen den Be rüh -
rungsstellen mit der Vierkant-Klemme. Das Seil rutschte
offensichtlich ruckartig in der Klemme, was die Ratterspuren in
den elliptischen Druckstellen belegen (Bild 97a). Ausserdem
führte die Reib- und Druckbeanspruchung zur Bildung von
Reibmartensit (Bild 97b), der durch seine Sprödigkeit die
Ermüdungsrissbildung begünstigte.
Ebenfalls auf Ermüdung lassen sich die im Seil von Bild 95c
entstandenen Brüche zurückführen (Bild 97c). Sie sind von in-
tensiven Druckstellen ausgegangen, die sich durch wiederhol-
te hohe Querpressung der benachbarten Drähte bildeten (Bild
97e). Eine derartige Bruchbildung ist für die Überbeanspru-
chung des Seiles charakteristisch. Im vorliegenden Fall haben
die Berechnungen der Betriebslast den fraktographischen
Befund bestätigt. Auch die unter der Druckstelle verlaufenden
Neben risse sind für hohe Querpressung charakteris tisch.
1 mm
Bild 97a:
Ratterspuren innerhalb einer Oberflächenverletzung (Druckspur) mit
Rissbildung (Pfeil)
200µm
Bild 97c:
Ermüdungsbruch, ausgehend von einer Druckspur mit benachbartem
Draht
100µm
Bild 97b:
Längsschliff durch eine Druckstelle mit Ratterspuren. Reibmartensitbildung
ME
TA
LLE
Mikroskopische Untersuchungen
5 mm
Bild 97e:
Intensive Druckspuren im Seilinnern auf einer Litzenoberfläche, verursacht
durch benachbarte Litzen
100µm
Bild 97 d:
Querschnitt durch eine Druckstelle. Nebenrisse
Mikroskopische Untersuchungen
Für die Beurteilung der Schadenursache liefert die fraktogra-
phische Untersuchung der Einzeldrahtbrüche sehr wichtige
Resultate. Dabei lassen sich alleine aus Bruchverlauf und
Bruch form oft die dominierenden bruchverursachenden Be -
lastungen festlegen. Entsprechend wie das Seil konstruiert ist,
resultiert in jedem Draht eine kombinierte Beanspruchung, die
aus Zug-, Biege-, Druck- und Torsionslast besteht. Dazu kom-
men noch die korrosiven Einwirkungen der Umgebung und die
Reibung. Im Fall eines Seilbruches gilt es, die dominierende
Beanspruchung zu eruieren. Die Bilder 50a, b, c, 51, 52, 53
(Seiten 46/47) zeigen Beispiele dazu. Werden Er müdungs -
brüche in den Drähten festgestellt, so lässt die Form des
Anrisses bzw. der Übergang zum Restbruch die Art der dyna-
mischen Beanspruchung erkennen. Der Drahtbruch in Bild
98a wurde durch schwellende Zugbeanspruchung hervorge-
rufen, wie es schematisch in Bild 98b dargestellt ist. Für den
Drahtbruch in Bild 98c lässt sich dagegen Biegung als domi-
nierende Beanspruchung gemäss schematischem Bild 98d
eruieren.
Bild 98b:
Zugbeanspruchnung
40µm
Bild 98a:
Ermüdungsbruch (E), Restbruch (R)
E
R
E
R
In vielen Fällen ist eine komplementäre metallographische
Untersuchung unentbehrlich, um zusätzliche Aussagen zu er-
halten. Diese Untersuchung ermöglicht es vor allem, Material -
fehler oder Verletzungen zu charakterisieren.
90 91
Bild 98d:
Einseitige Biegung
50µm
Bild 98c:
Ermüdungsbruch (E), Restbruch (R)
E
R
E
R
10µm
Bild 99
Regellos ausgebildete Ermüdungsstreifen. Charakteristisch für patentiertes
und kalt nachgezogenes Drahtmaterial
Der Ermüdungsbruch zeigt im mikroskopischen Be reich feine
Ermüdungsstreifen, die entsprechend dem stark kalt verform-
ten Drahtgefüge ziemlich unregelmässig ausgebildet sind
(Bild 99). Vor allem bilden sich keine einsinnig orientierten
Bahnen, sondern die Richtung der Ermüdungsstreifen ist re -
gel los. Ein wichtiges Erkennungsmerkmal sind Neben risse,
die parallel zu den Ermüdungsstreifen verlaufen. Besteht keine
Möglichkeit für eine quantimetrische Ausmessung, kann die
quantitative Ausdehnung der Ermüdungsbruchfläche mit gra-
vimetrischer Methode einfach und sehr genau ermittelt wer-
den. Aufnahmen der Einzeldrähte sind dabei hilfreich. Die
Fläche der Ermüdungsanrisse und die der Restbrüche werden
ausgeschnitten. Durch Wägen lässt sich der relative Anteil be-
stimmen.
ME
TA
LLE
BEISPIEL: Schrägseil einer Brücke
Sicherheitsrelevante Tragelemente müssen vor ihrem Einsatz
auf Ermüdungs- und Restfestigkeit geprüft werden. Während
einer derartigen Prüfung eines Kabels, das als Schrägseil in ei-
nem Hauptlängsträger einer Brücke verwendet werden sollte,
kamen mehr Drahtbrüche zum Vorschein, als von der Prüf -
norm erlaubt ist. Auch ergab die anschliessende statische
Zugprüfung eine niedrigere Restfestigkeit als erwartet. Die
Drähte waren aus hochfestem Stahl gefertigt und die Ober -
fläche galvanisch verzinkt.
Die einzelnen Drahtbrüche zeigen Ermüdungsanrisse, die ca.
50% des Drahtquerschnittes einnehmen. Der kreisförmige
Übergang zwischen Ermüdungsanriss und Restbruch ent-
spricht der zugschwellenden Beanspruchung während des
dynamischen Versuches. Die Bruchausgänge befinden sich
bei markant kegelförmig ausgebildeten, zum Teil dunkel ver-
färbten Inhomogenitäten (Bild 100a). Die benachbarte Draht -
oberfläche lässt eine Schar von v-förmigen Rissen erkennen,
die auf einer Mantellinie angeordnet sind (Bild 100b). Der -
artige Risse sind für einen Ziehfehler charakteristisch. Die me-
tallographische Prüfung ergab, dass diese Fehler tatsächlich
vor dem letzten Herstellungsgang, d.h. vor der Verzinkung, in
den Drähten vorhanden waren, denn sie verlaufen schräg und
sind mit Zink gefüllt (Bild 100c). Diese Ziehfehler haben die
Ermüdungsbrüche eingeleitet. Die niedrige Restfestigkeit lässt
sich einerseits mit der relativ hohen Zahl der Ermüdungs -
brüche begründen, andererseits ist sie aber auch auf das mit
Seigerungen durchsetzte Material zurückzuführen. Ein Draht,
der mit v-förmig angeordneten Seigerungen durchsetzt ist,
weist bei Zugbeanspruchung keine Einschnürung auf und bil-
det einen kegelförmigen Bruch (Bild 100d).
1 mm
Bild 100a:
Ermüdungsbruch, ausgehend von einer Inhomogenität
2 mm
Bild 100b:
Ansicht der Oberfläche im Bereich des Bruchausgangs: Ziehfehler (Pfeile)
10µm
Bild 100c:
Längsschliff durch den Bruchausgang (Pfeil 1):
Schräg verlaufende, mit Zink gefüllte Risse (Pfeil 2)
2 mm
Bild 100d:
Kegelförmiger Bruch, der für intensive Seigerungen im Material
charakteristisch ist
21
[1] Richtlinie VDI 3822, Blatt 1.
Schadensanalyse. Hrsg. Verein Deutscher Ingenieure.
Ausgabe Februar 1984
[2] Das Gesicht des Bruches metallischer Werkstoffe.
Allianz Versicherungs-AG, München und Berlin (1961)
[3] Hahn, G.T.; Rosenfield, A.R.:
Acta Met., 13, p. 293 (1965)
[4] Beachem, C.D.; Pelloux, R.M.N.:
Electron Fractography – A Tool for the Study of
Micromechanismus of Fracturing Processes. American
Society for Testing and Materials, Special Technical
Publication No. 381, Philadelphia (1965)
[5] Nürnberger, U.; Sauter, H.M.:
Gefügebedingte Erscheinungsformen von Brüchen.
Materialkundliche Technische Reihe 3. Gefüge und Bruch.
Hrsg. K.L.Maurer, H. Fischmeister (1977)
[6] Woodtli, J.; Kieselbach, R.:
Damage due to hydrogen embrittlement and stress corrosion
cracking. Engineering Failure Analysis 7, p.427-450 (2000)
[7] Muster, W.J.:
EMPA-Bericht F+E Nr. 10'848 zum Thema
Wasserstoffversprödung, p. 17 (1982)
[8] Raymond, L.:
Hydrogen Embrittlement: Prevention and Control. ASTM STP
962 (1988)
[9] Simon, H.; Thoma, M.:
Angewandte Oberflächentechnik für metallische Werkstoffe.
Carl Hanser Verlag München, Wien (1985)
92 93
ME
TA
LLE
Literatur
[10] Stellwag, B.; Kaesche, H.:
Kinetik der H-induzierten Spannungsrisskorrosion. Werkstoffe
und Korrosion 33, p. 274-280 (1982)
[11] Schwalbe, K.-H.:
Bruchmechanik metallischer Werkstoffe, Carl Hanser Verlag,
München, Wien (1980)
[12] Munz, D.; Schwalbe, K.-H.; Mayr, P.:
Dauerschwingverhalten metallischer Werkstoffe. Vieweg +
Sohn GmbH Verlag, Braunschweig (1971)
[13] ASTM Metals Handbook, Vol. 11 (1986)
[14] Ilschner, B.:
Hochtemperatur-Plastizität, Springer Verlag Berlin-Heidelberg-
New York (1973)
[15] Roth, M.:
Die Monkman-Grant-Beziehung und ihre Grundlagen.
Diplomarbeit, Universität Erlangen-Nürnberg (1978)
[16] Woodtli, J.: Fractographical Investigation of Breaks in
Steel Wire Ropes. OIPEEC Bulletin No. 69, June 1995
[17] Woodtli, J.; Kopanakis, G.:
Fractographical evaluation of fatigue damage in locked coil
wire ropes. Structural Failure, Product Liability and Technical
Insurance. Elsevier Amsterdam, London, New York, Tokyo
(1993)
PRAKTISCHEFRAKTOGRAPHIE
PR
AK
TIS
CH
EFR
AK
TO
GR
AP
HIE
Jarm
ila W
oo
dtl
i
Jarmila Woodtli
Brü
che
an m
etal
lisch
en u
nd k
eram
isch
en B
aute
ilen
sow
ie a
n O
bje
kten
aus
Gla
s
ISBN 3-905594-37-4
Die Autorin
In Prag, an der Chemisch-Technologischen Hochschule, absol-
viert Jarmila Woodtli ihr Studium der Metallurgie, das sie 1967
abschliesst. 1968 nimmt sie als Sachbearbeiterin für metallische
Schadenfälle ihre Tätigkeit an der Empa auf. Durch ihre Arbeit mit
dem Rasterelektronenmikroskop eignet sie sich in kurzer Zeit fun-
diertes Wissen in der Fraktographie der Metalle an. 1983 promo-
viert sie zum Dr. sc. techn. ETH. Das folgende Jahr verbringt sie
an der University of Michigan. Sie beschäftigt sich dort mit frakto-
graphischen Untersuchungen von Ermüdungsversuchen an io-
nenimplantierten Ni-Proben. Bald nach ihrer Rückkehr an die
Empa übernimmt sie die Leitung der Gruppe Schadenanalytik.
Untersuchungen zum Seilbahnunglück auf der Riederalp oder
zum Einsturz der Hallenbad-Decke in Uster gehören zu ihrer
Arbeit.
Als eine der Pionierinnen der Fraktographie in der Schweiz leitet
Jarmila Woodtli Anfang der 1980er-Jahre die Fachgruppe
"Fraktographie" des SVMT (Schweizerischer Verband für die
Materialtechnik). Ab 1992 ist sie Dozentin an der Technischen
Akademie Esslingen, wo sie Vorlesungen über Fraktographie in
Metallen und Keramik hält.