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Claudia Lietha - Snip und die Suche nach den magischen Schluesseln

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Leseprobe Klappentext: Felina Engel traut ihren Augen kaum, als während eines heftigen Sommergewitters am Himmel von Brockheim plötzlich eine rote Leiter erscheint und kurze Zeit darauf ein seltsam aussehender Junge namens Snip vor ihr steht. Dieser behauptet, 330 Jahre alt zu sein, aus Melasien zu stammen und von der Erde aus eine geheime Mission durchführen zu müssen: Er soll nämlich die vier magischen Schlüssel wiederbeschaffen, die sein Ururgroßvater Melony Snip vor sehr langer Zeit an vier geheimen Orten im Universum versteckt hatte ... Zusammen mit Snip, ihren Freunden Lena Blümle und Lian Klein sowie dem Kater Merlot begibt sich Felina Engel auf eine abenteuerlich-fantastische Reise, die sie nicht nur auf Engels Dachboden, sondern auch ins ferne Weltall führt ...

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lektorat: Hedda EsselbornSatz: Sandy PennerTitelbild: Heike Georgi

1. Auflage 2011ISBN: 978-3-86196-082-9

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge-schützt.

Copyright (©) 2011 by Papierfresserchens MTM-Verlag Heimholzer Straße 2, 88138 Sigmarszell, Deutschland

www.papierfresserchen.de [email protected]

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Snip und

die Suche nach den magischen Schlüsseln

Claudia Lietha

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Für meine Schwester Annina

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Inhalt

Ein heißer Sommertag 7Snip trifft in Brockheim ein 17Die Entführung des Melosofikons 26Das Geheimfach auf dem Dachboden 38Das große Planen 45Der Wolkenberg wartet 52Im Turmzimmer 70Die Reise im Großen Wagen 76Nächster Halt: Mars 83Leonido Pott und das Fliegende Marsmobil 89Henry Himmelsruh und seine farbigen Kinder 99Rätselhafte Rückkehr 110Das zweite große Planen 117Zum Fröhlichen Kasper 122In der Gruft 127Snip kehrt nach Melasien zurück 141Schon wieder ein Fliegendes Marsmobil? 146

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Irgendwann einmal hat auch diese Geschichte ihren Anfang genommen. Um ganz genau zu sein, war es der 10. Juli dieses Jahres. Und wenn mich mein Gedächtnis jetzt nicht im Stich lässt, war es ein Dienstag, an dem sich in Felina Engels Leben etwas wunderbar Unerwartetes ereig-nete, das ihre Welt grundlegend auf den Kopf stellen sollte.

Es war ein heißer Sommermorgen – und es war wirklich unglaublich heiß, denn obwohl es erst neun Uhr früh war, brannte bereits die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Das Wetter lud zum Nichtstun ein. Außerdem hatten so-eben die Sommerferien begonnen, was die Lust zum Fau-lenzen eindeutig noch erhöhte.

Alle Einwohner von Brockheim, die Ferien hatten – nun, vielleicht nicht gerade alle, denn einige schliefen be-stimmt noch – hielten sich im Garten auf, und wenn sie keinen hatten, dann befanden sie sich auf ihren Balkonen. Falls sie einen Swimmingpool oder zumindest ein kleines Schwimmbecken ihr Eigen nannten, planschten sie mit Si-cherheit darin herum. Und wer nichts von all dem zur Ver-fügung hatte, konnte sich immer noch mit der Badewanne behelfen oder das öffentliche Schwimmbad ansteuern.

Brockheim war ein Städtchen, wie man sie zahlreich in unserer Gegend findet. Eine breite Hauptgasse mit Kopf-steinpflaster wurde beidseitig von verschiedenfarbigen, eng aneinandergeschmiegten Fachwerkhäusern umsäumt. Am Ende der Gasse stand der alte Zeitturm mit Tordurch-gang, der über Brockheim wachte. Seine imposante Ge-

Ein heißer Sommertag

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stalt ragte hoch über das Städtchen hinaus, und sein Dach schimmerte blau-weiß. An der Vorderseite des Zeitturmes waren zwei Uhren angebracht: Die eine zeigte die Stunden und Minuten an; die andere – eine astronomische Uhr –Sternzeichen, Wochentage und Mondstand.

Außer dem Zeitturm, dem Schwimmbad und den üb-lichen Geschäften gab es in diesem Städtchen noch den Uhrmacher Horus Lampe, der sich um die Uhren des Zeit-turmes kümmerte, ein Spielzeugmuseum und einen Fabri-kanten für gestreifte Socken. Und, nicht zu vergessen, ein Rathaus sowie eine Schule mit einer viel benutzten Biblio-thek. Man kann sich deshalb vorstellen, dass Brockheim ein ausgesprochen vorteilhafter Ort war und die Menschen gerne hier lebten.

Felina Engel lag an jenem Dienstagmorgen bäuchlings im Gras hinter dem Haus, in dem sie mit ihren Eltern wohn-te. Im Moment war sie jedoch auf sich alleine gestellt. Weshalb, das werdet ihr in Kürze erfahren. Sie vertrieb sich die Zeit mit Lesen. Ihre Lektüre hieß „Die Geschichte der Philosophie für Kinder“. Den Aufdruck „für Kinder“ hätte sie allerdings am liebsten gestrichen. Schließlich war sie bereits elf Jahre alt, und in diesem Alter ist man kein Kind mehr, fand sie.

Felina Engel wohnte in der Pfirsichstraße Nummer 5. Die Pfirsichstraße befand sich in einem ruhigen Wohnquartier außerhalb der Altstadt. Weshalb die Straße so hieß, wuss-te niemand, denn es wuchsen nicht einmal Pfirsichbäume dort. Felina hatte immer geglaubt, es sei das Einfachste auf der Welt, sich diesen Straßennamen zu merken. Ein-mal jedoch erwarteten ihre Eltern Besuch von einem be-freundeten Professor. In Felsstadt, einem Nachbarort von Brockheim, hatte dieser ein Taxi bestellt und dem Fahrer die genaue Adresse angegeben.

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„Kein Problem“, hatte der Taxifahrer erwidert und ihn kurze Zeit später in der Aprikosenstraße in Brockheim ab-gesetzt.

Felina Engel war ein klein gewachsenes, zierliches Mäd-chen mit langen, zimtfarbenen Haaren, die sie meistens zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Aus ihrem Gesicht funkelten gewitzte, kornblumenblaue Augen, und auf ihrer Nase tummelten sich ein paar wenige Sommersprossen. Sie war bekannt für ihre übersprudelnde Fantasie und ihre skurrilen Ideen. Man wusste nie recht, was sie sich als Nächstes ausdenken würde.

Inzwischen hatte sich Merlot, ihr karamellfarbener Ka-ter, auf leisen Pfoten genähert. Er platzierte sich neben ihrem Buch, schloss die Augen und begann zufrieden zu schnurren. Dann hielt er plötzlich inne, neigte seinen Kopf nach links und schaute nachdenklich auf die Textzeilen, als ob er mit Felina mitlesen würde.

So lagen die beiden eine Weile da, bis es vom alten Zeit-turm Viertel vor zwölf schlug. Normalerweise wäre jetzt Fe-linas Mutter gekommen, um sie zu bitten, den Mittagstisch zu decken. Doch diesmal war alles anders, denn ihre Eltern waren am Montag für einige Tage auf einen Kongress ge-fahren und würden erst wieder am Samstag nach Hause zurückkehren.

Ihre Nachbarin, Frau Wintermantel, hatte sich bereit erklärt, während der Abwesenheit der Eltern für Felina zu sorgen. Sie war eine freundliche, ältere Dame, die in der Pfirsichstraße 7 wohnte und ab und zu auf Felina aufpass-te. Ihre grauen Haare trug sie stets zu einem Knoten zu-sammengebunden. Außerdem hatte sie die Angewohnheit, viel zu schwatzen. Wenn sich Felina bei Frau Wintermantel aufhielt, saß diese meistens in ihrem Lehnstuhl in der Ecke des Wohnzimmers, strickte Socken – fast immer gestreif-

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te, gelegentlich auch einfarbige – und unterhielt Felina mit ihren überaus spannenden Erzählungen. Felina saß dann mit einem Buch in der Hand im anderen Lehnstuhl und gab Bemerkungen wie „interessant“ oder „genau, das sehe ich auch so“ von sich, während sie in Gedanken in ihre Ge-schichte versunken war und von den Zimtäpfeln naschte, die Frau Wintermantel bereitgestellt hatte.

Es darf demnach zu Recht behauptet werden, dass sich die alte Dame um Felina kümmerte wie um ein eigenes En-kelkind. Zudem hatte Frau Engel ihrer Tochter eine lange Liste mit Anweisungen hinterlassen, sodass Felina bestens versorgt war.

Kaum waren die Engels abgereist, ereignete sich jedoch ein folgenschweres Unglück. Frau Wintermantel hatte am Montagabend noch Pfannkuchen mit selbst gemachtem Kompott und viel Zucker und Zimt für sich und Felina zu-bereitet. Ihr gemütliches Beisammensein wurde durch den altmodischen Klingelton des Telefons unterbrochen. Es war Felinas Mutter, die sich nach dem Wohlbefinden ihrer Tochter erkundigte. Frau Wintermantel versicherte ihr, dass alles in bester Ordnung sei und sie und ihr Mann ihren Kongress unbesorgt genießen könnten. Aus dem Hin-tergrund ertönte Felinas Stimme: „Merlot und ich werden ungemein verwöhnt!“

Nach dem Abwasch, bei dem Felina tatkräftig mithalf, wollte Frau Wintermantel noch den Abfall entsorgen. Sie öffnete die Terrassentür und stieg mit der Abfallschüssel in der Hand die Treppe zum Garten hinunter, während Merlot ihr um die Beine strich.

Ein gellender Schrei ließ Felina augenblicklich nach draußen eilen. Als sie auf die Terrasse hinaus trat, lag Frau Wintermantel regungslos am Ende der Gartentreppe, in-mitten von Eierschalen, Rhabarberstängeln und Apfel-

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kerngehäusen. Das sah schlimm aus! Geistesgegenwärtig wählte Felina den Notruf. Die Nummer kannte sie auswen-dig, genauso wie diejenige der Polizei und der Feuerwehr. Ungeduldig wartete sie auf das Eintreffen des Rettungswa-gens. Als dieser endlich in die Pfirsichstraße einbog, ging alles sehr schnell. Frau Wintermantel wurde fachmännisch untersucht.

„Die alte Dame ist bewusstlos, wahrscheinlich wegen einer schweren Gehirnerschütterung“, meinte einer der beiden Sanitäter. „Zudem hat sie sich einen Knöchelbruch am linken Fuß zugezogen. Ich vermute, dass sie auf einer Eierschale ausgerutscht ist, denn es kleben noch Schalen-reste an ihrem Schuh.“

„Das sieht tatsächlich nicht so gut aus, sie wird wohl einige Zeit in der Klinik verbringen müssen“, erwiderte der andere Sanitäter.

Frau Wintermantel wurde sorgfältig auf eine Bahre ge-legt, ins Auto verfrachtet und mit Blaulicht in die Klinik von Felsstadt gefahren.

Frau Rotapfel, die schräg gegenüber wohnte, kochte gerade Aprikosenkonfitüre ein, als ihr Blick zufällig zum Kü-chenfenster wanderte: Ein Krankenwagen schoss in hohem Tempo an ihrem Haus vorbei. Sie öffnete das Fenster und spähte neugierig hinaus. Was wohl geschehen war? „Das muss ich unbedingt Blanche Wintermantel erzählen, wenn ich sie morgen auf dem Markt treffe“, dachte sie sich. Was die anderen Nachbarn zu diesem Zeitpunkt taten, ist nicht bekannt.

In dem ganzen Durcheinander wurde Felina einfach vergessen. Sie war nicht unglücklich darüber, denn so konnte sie einige Tage tun und lassen, wonach ihr gerade der Sinn stand. Sie ging in das Haus von Frau Wintermantel zurück, um die Lichter zu löschen und die Türen abzuschlie-

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ßen. Selbstverständlich würde sie Frau Wintermantel bald in der Klinik besuchen, das war gar keine Frage. Sie würde ihr einen großen Blumenstrauß schenken. In ihrem Garten wuchsen nämlich viele Pflanzen. Da ließe sich bestimmt et-was Schönes zusammenstellen.

„Eigentlich könnte ich das jetzt noch vor dem Dunkel-werden erledigen“, dachte sie sich und machte sich auf die Suche. Zu Hause angekommen stellte sie die Blumen in eine Vase. Sie war stolz auf den bunt zusammengewür-felten Strauß. Ganz besonders freute sie sich über den tief-blauen Rittersporn, welchen sie im Garten von Frau Win-termantel gefunden hatte.

Noch am selben Abend rief Felina ihre Freundin Lena Blümle an und bat sie, ab Dienstag einige Tage bei ihr zu verbringen. Lena kam dies besonders gelegen, da ihre zwei jüngeren Brüder soeben ins Pfadfindersommerlager ge-fahren waren und ihre ältere Schwester in einem Sommer-sprachkurs weilte.

Nun war Felina also alleine. Na ja, nicht wirklich alleine, denn Merlot war schließlich noch bei ihr. Auch wenn man diesen nicht unbedingt als menschliches Wesen bezeich-nen konnte. Eigentlich war Felina kein ängstliches Mäd-chen, aber in dem großen, leeren Haus überkam sie auf einmal ein mulmiges Gefühl.

Sie schloss daher alle Fenster, überprüfte die Keller-, Terrassen- und Putzkammertüren und verriegelte die Haustür zweimal. Dann nahm sie Merlot auf den Arm und stieg mit ihm die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo ihr Zimmer lag. Sicherheitshalber legte sie ihren Regenschirm rechts neben das Kopfkissen, um sich gegen eventuelle Einbrecher verteidigen zu können. Müde von dem langen Tag kroch sie unter die Bettdecke und schlief bald ein. Mit halbem Ohr hörte sie noch das Schnurren von Merlot, der

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sich einen Schlafplatz links von ihrem Kopfkissen ausge-sucht hatte.

Wie schon erwähnt, lag also Felina am Dienstagmorgen zusammen mit Merlot in ihrem Garten in der Pfirsichstraße 5. Als es nun Viertel vor zwölf schlug, las sie zunächst in aller Ruhe das Kapitel fertig. Anschließend klemmte sie das Buch und Merlot unter den Arm.

„Hört ihr Leut’ und lasst euch sagen, uns’re Uhr hat zwölf geschlagen, ʼs knurrt ganz furchtbar, ʼs ist mein Ma-gen“, sang sie und stieg die Treppe zum Haus hinauf. Sie setzte Merlot in der Eingangsdiele ab, der sogleich ziel-gerichtet die Küche ansteuerte. Mit einem eindringlichen Miauen ließ er verlauten, dass er mächtig Hunger hatte.

„Jawohl, ich komme gleich!“, rief Felina und zog ihre Sandalen aus.

In der Küche angelangt, fasste sie den Entschluss, mit etwas Einfachem zu beginnen. „Also“, verkündete sie, „ha-ben Sie gehört, Mister Merlot, ich werde nun einen wah-ren Festschmaus für uns beide zubereiten, und zwar Spie-geleier mit Mayonnaise.“

Felina versuchte ihr Bestes. Doch trotz all ihrer Bemü-hungen waren die Spiegeleier mehr braun als weiß. Das erste Spiegelei legte sie in den Fressnapf des Katers, der neugierig näher kam, daran schnupperte und schließlich probierte. Nachdem er eine Weile darauf herumgekaut hatte, spuckte er es jedoch wieder aus. Vorwurfsvoll blick-te er Felina an und verließ schnurstracks die Küche. Felina verstand nicht, weshalb sich Merlot so aufregte. Deshalb zuckte sie ratlos mit den Schultern und beendete ihr Mit-tagessen. Nun ja, mal ganz ehrlich, die Mayonnaise war noch das Beste am Menu!

Felina hatte während des Essens beschlossen, am

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Nachmittag ins Schwimmbad zu fahren. Nun brauchte sie unbedingt noch Lesestoff. Warum sich nicht wieder einmal bei den Büchern ihrer Eltern umschauen? Schließlich hat-te sie ihre eigenen Bücher bereits mehrfach gelesen. Also ging sie mit der voll bepackten Badetasche in der Hand ins Wohnzimmer. Dort traf sie auf Merlot, der sich beleidigt in eine Ecke des Wohnzimmers zurückgezogen hatte und den Anschein erweckte, als sei ihm übel.

Sie stellte die Tasche vor der großen Bücherwand ab und nahm das erstbeste Buch aus dem Regal heraus. „Selbst-Bewusstsein“ von Prof. Dr. Philomen Dödl las sie auf dem Umschlag. Sie glaubte zu wissen, dass dieser Pro-fessor ein berühmter Philosoph war. Selbstbewusst, wie sie war, konnte es bestimmt nicht schaden, einen Blick hinein-zuwerfen. Beim Überfliegen des Textes wurde sie jedoch das unbestimmte Gefühl nicht los, dass dies nicht für ihre Alterskategorie bestimmt war. Uff! Was ihre Eltern nicht al-les für Sachen lasen!

Sie stellte das Buch wieder an seinen Platz zurück und fuhr fort, die Titel auf den Buchrücken zu mustern. Bei „Wunibald und Kunigunde“ blieb sie neugierig stehen. Sie erinnerte sich, dass ihr Vater, als sie noch klein war, ihr manchmal vor dem Schlafengehen vom Ritter Wunibald und seiner Frau Kunigunde erzählt hatte. Felina war bis-her der Überzeugung gewesen, dass Wunibald und Kuni-gunde der Fantasie ihres Vaters entstammten. Nun musste sie feststellen, dass es ein richtiges Buch von den beiden gab. Und der Autor war nicht ihr Vater! Sie steckte also den Band in ihre Badetasche und nahm sich vor, am Nachmit-tag im Schwimmbad darin zu lesen.

Kurz darauf holte sie ihr Fahrrad aus dem Keller und fuhr freihändig Richtung Schwimmbad „Zum Blauen Del-fin“. Als sie an der Ecke Nagelweg und Eisenstraße an einer

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Telefonzelle vorbeiradelte, bremste sie scharf. Sie musste unbedingt nachschauen, ob eine Telefonkarte liegen gelas-sen worden war, die sie noch nicht in ihrer Sammlung hat-te. Meistens war die Chance, eine brauchbare Telefonkarte zu finden, nicht allzu groß. Dafür fand sie umso häufiger unbrauchbaren Abfall. Anscheinend gab es Leute, die in einer Telefonzelle ganze Menus verspeisten.

Felina öffnete die Zellentür, griff vorsichtig auf den Telefonapparat – und erspürte eine Karte! Voller Vorfreu-de holte sie sie herunter und betrachtete sie gründlich. Es war eine Kundenkarte des Kinos Stadtfels in Felsstadt. Schade, sie hatte sich zu früh gefreut! Felina suchte nach einem Namen oder einer Adresse, konnte aber nur eine Nummer finden. Doch das Kino Stadtfels würde bestimmt wissen, wem diese Karte gehörte. Sie beschloss, diese nach dem Schwimmen auf die Post zu bringen und ans Kino zu schicken.

Das Schwimmbad lag direkt hinter der Schule von Brockheim. Im Schwimmbecken tummelten sich an diesem Nachmittag so viele Leute, dass an Schwimmen gar nicht mehr zu denken war. Der Sprungturm war ebenso begehrt, und die Sprungbretter bogen sich unter dem Gewicht der Menschen. Eigentlich war es nicht erlaubt, dass zehn Per-sonen gleichzeitig auf dem Sprungbrett herumturnten. Doch das Schwimmbad war dermaßen überfüllt, dass der Bademeister schon längst den Überblick verloren hatte.

Im Schwimmbecken traf Felina auf Isabelle und Anna-belle, zwei Mädchen aus ihrer Klasse, mit denen sie eifrig Neuigkeiten austauschte. Später kaufte sie am Badekiosk die neueste Eissorte – Marroni mit Banane - und setzte sich damit auf ihr blaues Badetuch, das sie ganz am Rande des Schwimmbades hinter einer Umkleidekabine platziert hatte. Denn mitten im Getümmel wäre die Gefahr zu groß

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gewesen, irgendwelche Bekannte anzutreffen, und Felina wollte möglichst ungestört in ihrem Buch über Wunibald und Kunigunde lesen.

Voller Spannung vertiefte sie sich in die Geschich-te: „Und so geschah es eines Dienstags im Juli des Jahres 1360, dass Kunigunde ein Fass Wein holen wollte und da-bei versehentlich vom Knappen Wolkenstein im Burgkeller eingeschlossen wurde. Als Kunigunde bemerkte, dass sie eingesperrt war, holte sie einen Besen aus der Ecke des Kellers, stieg auf das Weinfass und klopfte ununterbrochen an die Decke des Kellergewölbes, damit Wunibald sie aus der misslichen Lage befreien würde. Unglücklicherweise aber hatte Wunibald gerade Besuch vom Minnesänger Waldmut von Furchtwald bekommen, der ihm seine neu-en Kompositionen vorsang. Deshalb hörte Wunibald das Klopfen seiner geliebten Kunigunde nicht. Es waren bereits mehrere Stunden vergangen und Kunigunde stand noch immer klopfend im dunklen kalten Burgkeller, als ...“

Felina versuchte sich vorzustellen, wie Kunigunde im Burgkeller fror. Es gelang ihr jedoch nicht recht. Erstens war es an diesem Tag zu heiß, und zweitens war sie immer noch müde von den Aufregungen des gestrigen Abends und der unruhigen Nacht – sie war nämlich immer wieder aufge-wacht, weil sie mit ihrem Kopf entweder an Merlot oder den Regenschirm gestoßen war. Plötzlich schlief sie ein ...