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1 PD Dr. Dirk Solte (Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissenverarbeitung/neu, FAW/n Ulm) Einblicke in das Weltfinanzsystem - den „Heiligen Gral“ der Globalisierung 35 Vorlesung „Für Bürger von Heute und Morgen: Elemente eines zukunfstauglichen Welt- und Menschenbildes“ vom 22.2.2008 Bitte sammeln Sie diese Resümees. So wird Ihnen der Gesamtzusammenhang aller Vorlesungen deutlich, auch wenn Sie nicht immer dabei sein können. Gemeinsam mit dem Publikum möchte der WZFG e.V. nach der voraussichtlich mehrjähri- gen Vorlesungsreihe versuchen, in einer oder mehreren „Bucher Zukunftswerkstätten“ die erarbeiteten Wissensbausteine zu einem modernen Welt- und Menschenbild zusammen zu fügen, das den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird. WZF G e. V. Berlin-Buch ausgearbeitet von Hans-Volker Pürschel Vorbemerkung des Bearbeiters: Der Vortrag enthält erschreckende Erkenntnisse über Funktionsweise und Konsequenzen des jetzigen, selbst für Eingeweihte schwer durchschaubaren Weltfinanzsystems. Wie im Vortrag dargestellt, muss es im Interes- se großer Mehrheiten liegen, dass auf diesem Gebiet die Spielregeln entscheidend verändert werden. Das wird nur passieren, wenn eine große Mehrheit das von Politik und Wirtschaft ernsthaft einfordert. Willige Politiker werden diese Mehrheit brauchen, um überhaupt handeln zu können. Damit sie zustande kommt, kann jeder etwas beitra- gen, indem er versucht, das Folgende bestmöglich zu verstehen und das, was er ver- standen hat, möglichst vielen anderen Personen zu vermitteln und ihnen nahezulegen, es ihm gleich zu tun. Um diesen Prozess zu unterstützen, stellt der WZFG e.V. diesen Text auf seine Homepage www.zukunfts-werkstatt.org. Bei der Ausarbeitung wurde zweckentsprechend Wert gelegt auf eine besonders klare und pointierte Darstellung der wesentlichen Inhalte. Der hier wiedergegebene Text ist deshalb einerseits konzen- triert, andererseits erweitert und nicht die wörtliche Rede des Referenten: Der folgende Vortrag zum Weltfinanzsystem konzentriert sich auf die Basics, die natürlich eingebettet sind in eine Gesamtsicht, wie sie vom FAW/n vertreten wird, auf die in der Diskussion noch eingegangen werden kann. Es geht uns heute um Geld und Geldansprüche: Was ist Geld? Wo kommt es her? Wie entsteht es? Wie kann es verschwinden? – Das soll auf ganz elementare Weise demonstriert werden. Wie Geld entsteht und verschwindet und welche Rechtsansprüche mit dem Besitz verschiedener Geldarten verbunden sind Herr Pürschel, könnten Sie mir bitte einen Euro geben? Danke, Sie bekommen dafür einen von mir unterschriebenen Zettel. Da steht drauf: Dirk Solte zahlt dem Überbrin- ger diese Zettels - wenn möglich - einen Euro. - Könnte mir jemand anders vielleicht einen Kugelschreiber überlassen? Besten Dank, auch Sie bekommen so einen von mir unterzeichneten Zettel dafür. In beiden Fällen ist der Zettel gerade in diesem Augenblick neu entstandenes, von mir „geschöpftes“ Geld. Wir werden hinterher noch den genauen Unterschied zwischen diesem „Solte-Geld“ und anderem Geld sehen. Einmal habe ich einen Sachwert und einmal einen Euro erhalten und mit neu ge- schöpftem Solte-Geld dafür bezahlt.

c i es Zs u ra e r eo sv r e d h c n u n e g n ... · Wie Geld entsteht und verschwindet und welche Rechtsansprüche mit dem ... Abb. 1.1-1.8:Geldarten 1.1 und 1.2 goldgedecktesZentralbankgeld

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PD Dr. Dirk Solte(Forschungsinstitut für anwendungsorientierteWissenverarbeitung/neu, FAW/n Ulm)

Einblicke in das

Weltfinanzsystem -den „Heiligen Gral“ der Globalisierung

35

Vorlesung „Für Bürger von Heute und Morgen:Elemente eines zukunfstauglichen Welt- und Menschenbildes“

vom 22.2.2008

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WZFGe.V.Berlin-Buch

ausgearbeitet von Hans-Volker Pürschel

Vorbemerkung des Bearbeiters: Der Vortrag enthält erschreckende Erkenntnisseüber Funktionsweise und Konsequenzen des jetzigen, selbst für Eingeweihte schwerdurchschaubaren Weltfinanzsystems. Wie im Vortrag dargestellt, muss es im Interes-se großer Mehrheiten liegen, dass auf diesem Gebiet die Spielregeln entscheidendverändert werden. Das wird nur passieren, wenn eine große Mehrheit das von Politikund Wirtschaft ernsthaft einfordert. Willige Politiker werden diese Mehrheit brauchen,um überhaupt handeln zu können. Damit sie zustande kommt, kann jeder etwas beitra-gen, indem er versucht, das Folgende bestmöglich zu verstehen und das, was er ver-standen hat, möglichst vielen anderen Personen zu vermitteln und ihnen nahezulegen,es ihm gleich zu tun. Um diesen Prozess zu unterstützen, stellt der WZFG e.V. diesenText auf seine Homepage www.zukunfts-werkstatt.org. Bei der Ausarbeitung wurdezweckentsprechend Wert gelegt auf eine besonders klare und pointierte Darstellungder wesentlichen Inhalte. Der hier wiedergegebene Text ist deshalb einerseits konzen-triert, andererseits erweitert und nicht die wörtliche Rede des Referenten:

Der folgende Vortrag zum Weltfinanzsystem konzentriert sich auf die Basics, dienatürlich eingebettet sind in eine Gesamtsicht, wie sie vom FAW/n vertreten wird, aufdie in der Diskussion noch eingegangen werden kann. Es geht uns heute um Geldund Geldansprüche: Was ist Geld? Wo kommt es her? Wie entsteht es? Wie kannes verschwinden? – Das soll auf ganz elementare Weise demonstriert werden.

Wie Geld entsteht und verschwindet und welche Rechtsansprüche mit demBesitz verschiedener Geldarten verbunden sindHerr Pürschel, könnten Sie mir bitte einen Euro geben? Danke, Sie bekommen dafüreinen von mir unterschriebenen Zettel. Da steht drauf: Dirk Solte zahlt dem Überbrin-ger diese Zettels - wenn möglich - einen Euro. - Könnte mir jemand anders vielleichteinen Kugelschreiber überlassen? Besten Dank, auch Sie bekommen so einen vonmir unterzeichneten Zettel dafür. In beiden Fällen ist der Zettel gerade in diesemAugenblick neu entstandenes, von mir „geschöpftes“ Geld. Wir werden hinterher nochden genauen Unterschied zwischen diesem „Solte-Geld“ und anderem Geld sehen.Einmal habe ich einen Sachwert und einmal einen Euro erhalten und mit neu ge-schöpftem Solte-Geld dafür bezahlt.

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Jetzt kann ich Ihnen den Euro zurückgeben, nehme den Zettel zurück und zerreißeihn. Jetzt ist Geld verschwunden - Geld, das ich erzeugt hatte. Ich habe Herrn Pürschelden Euro zurückgegeben - nämlich ein gesetzliches Zahlungsmittel - einen Zentral-bank-Euro. Und mein Solte-Geld, was ich vorher erzeugt hatte, um von ihm den Zen-tralbank-Euro zu erhalten, den habe ich zerrissen. Das Solte-Geld ist wieder ver-schwunden. Natürlich kann ich auch gegen mein Zettel-Geld den Kugelschreiber wie-der zurückgeben und den Zettel vernichten. So einfach (im Prinzip) entsteht und ver-schwindet Geld - heutzutage.AmAnfang der Geschichte des Geldes war das noch anders. Geld wurde erfunden,weil es sehr unbequem war, mit halben Schweinen irgendwo hinzugehen, um Brotgegen Schweinehälften zu tauschen.Man hat dann angefangen, statt Schweinehälften etwas Wertvolles, Haltbares undbeliebig Teilbares - z.B. Gold - als Zahlungsmittel zu verwenden, und hat es zu jeman-dem gebracht, der eine dicke Truhe hatte, mit einem richtig guten Schloss versehen,und der es gegen Diebe sicher verwahren konnte - das war der Schmied. Wenn nunder Herr Pürschel ein Stückchen Gold - gewissermaßen gesetzliches Zahlungsmittel- brachte, hat der Schmied einen Zettel ausgestellt, auf dem stand: „Ich schulde demÜberbringer ein Stückchen Gold“ und hat das Gold in die Truhe gesteckt. Und wennPürschel das Gold irgendwann einmal wieder brauchte, kam er mit dem Zettel, hatdas Gold wieder geholt und konnte es nutzen, um irgend etwas damit einzukaufen.Natürlich konnte auch mit den Zetteln des Schmieds eingekauft werden, wenn diesvom Handelspartner akzeptiert wurde. Wenn nötig, konnte schließlich jedermann beimSchmied die Zettel in Gold zurücktauschen.Nach 1948 hatte man beschlossen, das weltweite Geldsystem in dieser Weise zuorganisieren. Als Superschmied der Welt wurden die USA auserkoren. Die habenZettel herausgegeben, da stand drauf: United States Note. Die USA versprechendemjenigen, der diesen Zettel bringt, 1/35 Feinunze Gold (Abb. 1.1). Und das ist1 Dollar (Abb. 1.2). Jeder, der so einen Dollar-Zettel bei den USA einreichte, bekam1/35 Feinunze Gold dafür.Dieses System hat eigentlich ganz gut funktioniert - bis zu den kostenintensivenAkti-vitäten der USA in Korea und Vietnam. Da hat der Superschmied nämlich viele Dol-lar-Zettel ausgegeben, ohne sich darum zu kümmern, wie viel Gold tatsächlich in derTruhe ist. Und als dann zu viele mit ihren gesamten Zetteln kamen und auf einenSchlag Gold dafür haben wollten, war der Superschmied in Verlegenheit und hat sei-ne Rolle als Goldhüter einfach aufgekündigt: Vergessen wir das mit dem Gold, wurdegesagt. Ab sofort machen wir auch so das Geld. Die neuen „Zettelchen“ heißen jetztFederal Reserve Note (Abb. 1.3) und da steht drauf: Die Fed verspricht - bekräftigtdurch Unterschrift des Finanzministers - dem Überbringer des Zettels, falls der zer-knittert oder zerrissen ist, einen frischen Zettel. D.h., das Recht, das jemand hat,wenn er solches Geld besitzt, beschränkt sich seither darauf, beschädigtes Geld inunbeschädigtes umzutauschen. Und das ist der „innere“ Wert solcher Scheine oderMünzen (außer dass es gesetzliches Zahlungsmittel ist - s.u.).Nun ist es nicht nur die Federal Reserve, die solche „Zettelchen“ ausstellt. Sondernes gibt z.B. auch Europäisches Zentralbankgeld (Abb. 1.4). Das sind z.B. solcheMünzen oder Zettelchen, die man als Bargeld in seinem Portemonnaie mit sich führt.Im Prinzip steht da drauf: Die Europäische Zentralbank verspricht demjenigen, derdieses Zettelchen bringt, ein frisch gedrucktes Zettelchen.

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Abb. 1.1-1.8:Geldarten1.1 und 1.2 goldgedecktes Zentralbankgeld1.3 und 1.4 ungedecktes Zentralbankgeld

(Fiat Money mit good-faith-Deckung)1.5 und 1.6 Geschäftsbankengeld1.7 Schuldverschreibung (z.B. Kreditvertrag)1.8 Derivat

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Es sind aber nicht nur Zentralbanken, wie die Europäische Zentralbank, die Zettelausgeben. Sondern es gibt auch Geschäftsbanken, wie z.B. die Deutsche Bank,Commerzbank usw. Die versprechen auch demjenigen, der eines ihrer Zettelchen(Abb. 1.5) besitzt, dafür Euro - nämlich Zentralbankgeld-Euro - frühestens ab sofort,oder frühesten in drei Monaten - das hängt immer davon ab, in welcher Form Sie dasZettelchen bekommen haben. Eine Form des Zettelchens ist Ihr wöchentlicher odermonatlicher Kontoauszug - auf dem Zettelchen steht „ab morgen“. Das Euro-versprechen auf dem Zettel können Sie morgen haben - tägliche Kündigungsfrist.Wenn Sie Sparkonten haben und bekommen Ihren Sparkontoauszug, dann kann essein, dass Sie frühestens in drei Monaten an Zentralbankgeld kommen. Aber auchimmer nur, solange die Bank, bei der Sie das Sparkonto haben, das kann. Man nenntdiese Geldform Giralgeld.

Ein Unterschied zwischen Geschäftsbank-Zettelchen (Geschäftsbankengeld,Giralgeld) und Europäischen-Zentralbank-Zettelchen (Zentralbankgeld) ist der: Siekönnen jederzeit mit einem zerrissenen Zentralbank-Zettelchen zur Zentralbank ge-hen und bekommen dafür einen neuen, d. h. Sie haben immer ein gesetzliches Zah-lungsmittel in der Hand. Eine Geschäftsbank hat Ihnen etwas anderes versprochen:Wenn möglich, gibt sie Ihnen dafür Europäische-Zentralbank-Zettelchen, d. h. ge-setzliche Zahlungsmittel. Es kann aber sein, dass die Bank nicht so viele davon hat.Und dann passiert das, was beispielsweise 1912 in den USA passiert ist, als dieBanken überrannt wurden, weil alle die damals noch goldgedeckten Zentralbank-Zettelchen haben wollten. Da haben die Banken die Türen zugemacht und gesagt, wirhaben sowieso nicht so viele. - Wir kommen darauf noch zu sprechen.Nun gibt es nicht nur Geschäftsbank-Euros, also beispielsweise Deutsche-Bank-Euros. Sondern die Deutsche Bank kann Ihnen auch Dollar versprechen (Abb. 1.6).Das sind sog. Fremdwährungskonten. Da haben Sie dann einfach ein Dollarkonto.Sie können natürlich genauso bei der City-Bank in den USA ein Euro-Konto haben.Das hat gewisse Vorteile für die City-Bank.Es kann aber auch einen Dirk-Solte-Euro geben. Der entsteht, wenn ich z.B. einenKredit aufnehme. Ich gehe dann zu einer (Geschäfts)Bank und sage: Ich hätte gernso hunderttausend Deutsche-Bank-Euros und gebe dafür hunderttausend Dirk-SolteEuros. Sie erinnern sich? Herr Pürschel (stellvertretend für die Bank) gab mir einenEuro (bares Zentralbankgeld) und bekam dafür einen von mir unterschriebenen Zet-tel (Abb. 1.7). - Die Deutsche Bank kann mir dann entweder Hunderttausend sorichtige Zentralbank-Euros geben (Bargeld). Oder sie gibt mir Deutsche-Bank-Euro-Zettelchen, d.h., sie schreibt mir hunderttausend Deutsche-Bank-Euro auf meinemDeutsche-Bank-Konto gut. Und dann ist Geld entstanden - im zweiten Fall sogar aufzweifache Weise:Die Deutsche Bank gibt mir (im zweiten Fall) nicht irgendwelches Geld, was irgend-jemand da mal hingetragen hat. Das war mal früher einmal so. Sondern die DeutscheBank erzeugt mit der Gutschrift von Deutsche-Bank-Euro neues Geld aus dem Nichts- genau so, wie auch ich aus dem Nichts Geld erzeugt habe: Ich habe ein Zettelchenausgefüllt und habe unterschrieben. Dieses Zettelchen nennt sich Kreditvertrag. Dasist genauso wie bei den Deutsche-Bank-Zettelchen: Ich habe auf dem Kreditvertragnichts anderes gemacht als das Versprechen unterzeichnet, sofern es mir möglichist, hunderttausend Euro Zentralbankgeld stückchenweise mit Zinsen zurückzuzah-

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len - wenn nicht, dann ist das eben Pech. Und die Deutsche Bank hat mir hunderttau-send Deutsche-Bank-Euros gegeben und gesagt: Du kannst von mir Zentralbank-Euros dafür bekommen - falls wir genug davon haben.Es gibt aber einen wichtigen Unterschied: Zentralbankgelder sind gesetzliches Zah-lungsmittel. D.h., z. B. wann immer irgend jemand von mir ein Kreditzettelchen (alsomein Dirk-Solte-Geld) in den Händen hält, und ich komme mit Zentralbankgeld undsage, ich möchte meinen Kredit zurückzahlen damit, dann ist derjenige gezwungen,dieses Geld dafür anzunehmen und den Kreditvertrag als beendet anzuerkennen.Wenn ich aber mit Deutsche-Bank-Euros komme, kann der sagen: Nein, die möchteich nicht haben, ich will Zentralbankgeld (Überweisung vom Konto? Nein - bitte umBarzahlung!).Nun wissen wir also, wie Geld entsteht. Und wie verschwindet es? - Geld verschwin-det immer dann, wenn jemand seine Schuld zurückzahlt. Wichtig ist jetzt noch folgen-des: Eine Schuld, die ich (als Schuldner) habe, besitzt immer jemand anderes (alsGläubiger). D.h., etwas, was ich als Schuld habe, ist immer gleichzeitig ein Finanz-vermögensgegenstand eines anderen. Die Beziehung kann man sich anschaulich-machen, indem man für konkrete Fälle die Bilanzen von Handelspartnern gegenüberstellt. Wir wollen das jetzt verwenden, um darzustellen, wie Zentralbank-Geld in Um-lauf kommt.

Bilanzen: Aktiva und PassivaDie Bilanz eines Wirtschaftssubjekts (Bank, Staat, Unternehmen, Privatperson - wirsagen jetzt einfach Unternehmen dazu) bildet dessen bewertete Wirtschaftsgüterab.Sie enthält vereinbarungsgemäß links die sog. Aktiva: Umlaufvermögen undAnlage-vermögen (letzeres sind Ansprüche oder Forderungen, die das Unternehmen alsGläubiger anderen Unternehmen gegenüber besitzt).Rechts werden die Passiva eingetragen: Eigenkapital und Fremdkapital (beidessind Verbindlichkeiten bzw. Schulden, die das Unternehmen anderen Unternehmengegenüber „besitzt“, d.h., ihnen zu zahlen hat - wobei Eigenkapitalschulden den Ei-gentümern oder Miteigentümern (z.B. Aktionären) eines Unternehmens in Wirklich-keit nie zurückgezahlt werden müssen. Passiva (Schulden, Verbindlichkeiten) in ei-ner Bilanz sind immer Ansprüche, Forderungen in einer anderen Bilanz als Aktiva:

Bilanz eines Unternehmens(Abbild der bewerteten Wirtschaftsgüter eines Betriebes)

linke Seite: Aktiva rechte Seite: Passiva(Forderungen, Ansprüche) (Verbindlichkeiten, Schulden)

Umlaufvermögen Eigenkapital = „Schulden“gegenüber Eigentümern

Anlagevermögen Fremdkapital = Schuldengegenüber Gläubigern

Wie Zentralbank-Geld in Umlauf kommtDieses Instrument verwendenwir jetzt, umdarzustellen, wieZentralbank-Geld in Umlauf

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kommt. Das geschieht über die Geschäftsbanken. Die Konto-Guthaben xider Kun-

den einer Geschäftsbank (Aktiva der Kunden in Form von Giralgeld) sind für die BankPassiva, also Verbindlichkeiten bzw. Schulden, die sie - wenn verlangt und möglich -ihren Kunden mit barem Zentralbankgeld auszahlen muss.Auch für Mindestreservenzur Risikoabdeckung braucht eine Geschäftsbank Zentralbankgeld. Hat sie nicht ge-nugdavon, muss siez.B. einen in ihrem Besitz anAnlagevermögenbefindlichen Finanz-vermögensgegenstand hinreichender Qualität (so dass er von der Zentralbank alsZahlungsmittel akzeptiert wird) - z.B. einen Jumbo-Hypotheken-Pfandbrief - an dieZentralbank abgeben und erhält dafür bei dieser eine Gutschrift neugeschöpftenZentralbankgeldes, das sie sich bei Bedarf in Bar auszahlen lassen kann, um mitdiesem Umlaufvermögen ihre Kunden zufriedenzustellen. Das ist eine Möglichkeit,wie zunächst als Zentralbankgeld-Kontogutschrift neu geschöpftes Zentralbankgeldals Bargeld in Umlauf kommt.

Eine Variante dieser Möglichkeit, wie neugeschöpftes Zentralbank-Geld in Umlaufkommen kann, besteht darin dass die Zentralbank dafür nicht irgendeine hochwertigeSchuldverschreibung akzeptiert sondern Sachwerte erwirbt - z.B. Grundstücke mitBürogebäuden für ihre Mitarbeiter, die sie mit Zentralbank-Geld bezahlt.Die im Umlauf befindliche Zentralbank-Geldmenge wird durch Beschluss des Ratesder EZB festgelegt und den Teilnehmern des Euroraumes quotiert zugeteilt. Die Ge-schäftsbanken können der Zentralbank beiAuktionen Kreditbedingungen anbieten -z.B. für 10 Mrd. Zentralbank-Euro 3,2 % Kreditzinsen. Die Gewinner solcher Auktio-nen schließen dann mit der EZB Kreditverträge ab (das sindAktiva der Zentralbankund gleichzeitig Passiva der Geschäftsbanken) und bekommen dafür bei der EZBeine Zentralbankgeld-Konto-Gutschrift - z.B. über 10 Mrd. Euro - (Aktiva der Ge-schäftsbanken = Passiva der Zentralbank) und erhalten für das Guthaben von derEZB einen Basiszinsatz von z.B. 219 %. Die Kosten des Zentralbankgeldes für dieGeschäftsbanken ergeben sich aus der Differenz zwischen Kredit- und Guthaben-zins. Im Beispiel bedeutet das: Das geliehene Zentralbank-Geld im Besitz der Ge-

Aktiva Gesch.bk.-Bilanz Passiva

Jumbo-Hypotheken-Pfandbrief

+

Jumbo-Hypotheken-Pfandbrief

-

Aktiva EZB-Bilanz Passiva

Jumbo-Hypotheken-Pfandbrief

+

+Kunde

2- Bilanz

A Px

2

-x2

bares Zentralbank-Geldim Umlauf

Zentralbank-Geld-Konto-Gutschrift

Zentralbank-Geld-Bar-Abhebung

+

Zentralbank-Geld-Konto-Gutschrift

+

Zentralbank-Geld imUmlauf

+

Zentralbank-Geld-Bar-Abhebung

-

Zentralbank-Geld-Bar-Einzahlung

Kunden-Kredite

Kunde1- Bilanz

A Px

1

-x1

Kredit-Kunden-BilanzA P

Kunden-Kredite

-

***

* Passiv-Tausch

** Aktiv-Tausch

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schäftsbank schrumpft mit einer Rate von 1,3 % pro Jahr - ein Anreiz, es möglichstgewinnbringend einzusetzen oder zurückzuzahlen, falls das nicht möglich sein sollte.Dieses sog. Tender-Verfahren ist neben dem Erwerb hochwertiger Schuldverschrei-bungen oder Sachwerte durch die Zentralbank eine zweite Möglichkeit, wieZentralbankgeld in Umlauf gebracht wird. Eine dritte Möglichkeit sind sog. OvernightRepo Facilities.Über die Zentralbank-Geld-Konten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank wer-den auch Überweisungen zwischen den Geschäftsbanken abgewickelt: WennPürschel von seinem Sparkassen-Konto (Giralgeld) einen Betrag auf SoltesCommerzbank-Konto (auch Giraldgeld) überweist, wird dieser Betrag im Hintergundbei der Zentralbank vom Zentralbank-Geld-Konto der Sparkasse auf das derCommerzbank umgebucht. So wird abgesichert, dass durch Kundenüberweisungenunter den Geschäftsbanken deren Fähigkeit, ihren Kunden für ihre GiralgeldguthabenZentralbankgeld zu geben, nicht verändert.

Was sind Zertifikate und Derivate? Welchen Zweck erfüllen sie?Jetzt wollten Sie noch wissen: Was sind Zertifikate? - Das sind bestimmte Geldan-sprüche, Schuldverschreibungen. Schuldverschreibungen werden auch in Eng-lisch als „debt securities“ (zu Deutsch Schuld-Sicherheiten) bezeichnet. Das hörtsich dann so an, als würde da richtig etwas dahinterstecken. Das muss aber nichtsein, ist meistens auch nicht so. Der bloße Zettel ist die Sicherheit für die Schuld bzw.den Geldanspruch. Sie können sich nur sicher sein, das jemand eine Schuld hat.Aber es ist nicht notwendigerweise ein realer Wert dahinter, der diese Schuld absi-chert. Sondern Geld heutzutage ist sog. Fiat-Money - Fiat Lux - es werde Licht - FiatMoney - es werde Geld. Ich habe Ihnen erläutert, wie es erzeugt wird. Es hat nur nocheine good-faith-Deckung, die auf Treu und Glauben beruht, dass derjenige, derIhnen verspricht, Ihnen für so einen Zettel irgendwann einmal Zentralbankgeld zugeben, das auch wirklich kann. Das ist der entscheidende Punkt dabei.

Nun wollen wir noch klären, was Zertifikate / Derivate sind. Ein Derivat ist eine spe-zielle Schuldverschreibung, deren Wert sich aus einem darüber referenziertenso genannten Basiswert ableitet. Diesen Satz muss man nicht so genau nachvollzie-hen, sondern es reicht, wenn man weiß, was dahinter steckt. Ein Beispiel für einDerivat ist folgendes: (Abb. 1.8) - ein rotes Zettelchen, ein Zertifikat - Super-gewinngarantie: „Die Casinobank gibt, wenn möglich, 2 Euro Zentralbankgeld für die-sen Zettel frühestens am 2.3. 2008“. Und kleingedruckt - man kann es kaum lesen:„Diese 2 Euro bekommen Sie, wenn am 1.3.2008 am Roulettisch 1 im Mirage-Spiel-kasino in Las Vegas die Kugel um 8 Uhr abends auf Rot fällt“. Das Roulett-Spiel aneinem bestimmten Tisch ist der Basiswert, der verantwortlich dafür ist, welchen nomi-nalen Wert dieses Zettelchen hat ab den 2.3., und Sie können dieses Zettelchen vonmir heute - wir haben jetzt den 22.2. - für 1 Euro kaufen. Sie erfahren dann von mir, obSie einen Supergewinn haben und 2 Euro bekommen. Wenn Schwarz fällt, ist dasZettelchen natürlich wertlos. Der zum Basiswert „Roulett-Spiel“ gehörige Nominal-wert ist also entweder 2 oder 0 Euro – je nachdem, wie das Spiel ausgeht.Nun wird die Casinobank nicht nur solche roten Zettelchen emittieren, sondern -wenigstens im Prinzip - auch noch schwarze Zettelchen, die sich mit den roten immerso in etwa die Waage halten.

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Praktisch werden dafür keine schwarzen sondern nur rote Zettel ausgeben. Im Ein-zelnen funktioniert das „Spiel“ wie folgt: Sie können jetzt heute von der Casinobankeinen roten Zettel für 1 Euro kaufen. Tatsächlich nimmt die Bank etwas mehr - näm-lich 1,10 Euro (das muss bei Roulett eigentlich nicht sein, weil die Kugel ja auch aufNull fallen kann). Diejenigen, die meinen, es sei besser, auf Schwarz zu setzen, ver-kaufen der Casinobank heute für 1 Euro einen roten Zettel, den sie derzeit eigentlichgar nicht besitzen. Aber sie verkaufen ihn trotzdem und die Casinobank kauft Ihnenden für 1 Euro ab. Sie tätigen einen „Leerverkauf“: Die Casinobank sagt: Ich gebeihnen jetzt 0,90 Euro dafür und Sie gehen damit die Verpflichtung ein, mir dafür nachdem Spiel am 2.3. einen roten Zettel zu liefern – egal, wie das Spiel ausgeht. Dasnennt sich „Shortposition“ - Sie gehen eine Shortposition ein. Sie verkaufen heuteetwas, was Sie nicht besitzen, sondern sich erst dann besorgen, wenn sie „liefern“müssen.Mit dem Verkauf der roten Zettel für 1,10 Euro und etwa gleich vielen, in der Zukunftliegenden Käufen über Leerverkäufe zu 0,90 Euro ist für die Casinobank das Ge-schäft gelaufen: Egal wie das Spiel ausgeht – sie streicht pro Zettel in etwa die Diffe-renz von 0,20 Euro ein. Sie gewinnt immer. Den Rest erledigen die Kunden unterein-ander – und zwar dadurch, dass diejenigen die Schwarz favorisiert haben, sich injedem Fall rote Zettel besorgen und bei der Casinobank abgeben müssen. Ist Rotgefallen, müssen sie den Besitzern nämlich dafür 2 Euro bezahlen, haben aber nur0,90 Euro aus dem Leerverkauf erhalten und demnach pro Zettel 1,10 Euro verloren.Wenn Schwarz gefallen ist, bekommen sie die in dem Fall wertlosen roten Zettelumsonst und haben so 0,90 Euro gewonnen. Wer auf Rot getippt und für seinen rotenZettel 1,10 Euro bezahlt hat, bekommt bei Rot seine versprochenen 2 Euro von de-nen, die auf Schwarz gesetzt haben und verdient effektiv 0,90 Euro oder er verliertseinen Einsatz von 1,10 Euro, wenn Schwarz gefallen ist, weil er seinen wertlosenZettel dann nur noch verschenken kann.

Praktisch geht es im Weltfinanzsystem natürlich nicht um Roulett sondern z.B. umAktienkurse: Wenn die Aktien steigen, wird ein Gewinn ausgezahlt, und wenn siefallen, ist der Einsatz verloren. Diese Zettel heißen Contract for Difference (CfD).Damit umgeht man jedwede Form gesetzlich geregelter Geldschöpfung. Eigentlichsind diese Zettel ein Geldsurrogat. Aber die ganzen Bankenaufsichtsregularien fürGeldschöpfung spielen dabei keine Rolle. Damit kann man sog. gehebelte Aktien-spekulation machen (zur mathematischen Darstellung s. Anmerkungen1,2): Ange-nommen Sie wollen darauf setzen, dass der DAX (der aktuell bei ca. 7000 Punktenliegt) steigen wird. Sie wollen maximal 7.000 Euro riskieren und kaufen 1000 „DAX –1 Promille – CFDs“. Das bedeutet, Sie bezahlen 7 Euro für einen „Zettel“, der auf denvollen Dax-Wert (z. B. 7.000 Punkte) referenziert, d. h. insgesamt zahlen Sie nur7.000 Euro für eine Referenz auf 7.000.000 Euro. Und wenn der Dax 5 Punkte steigt,dann bekommen Sie gleich 5000 Euro, weil sie insgesamt 1.000 solcher Zettel besit-zen.Allerdings, wenn der DAX 7 Punkte fällt, dann ist Ihr gesamter Einsatz weg, denn1000 x 7 sind 7000). CFDs sind Derivate. Derivate hängen von irgendeinem Basis-wert ab, was auch immer das sei.Vor ca. 2 Jahren gab es schon einmal besondere „Wett-Zertifikate“, da konnte mandarauf setzen, dass Bayern-München gewinnt. Das wurde dann verboten, weil es zuoffensichtlich ein Glücksspiel war. Man sagte, Fußballwetten gehörten nicht an die

neu

neu

neu

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Börse. Heutzutage ist „Wetten“ an der Börse wieder ganz normal.Bruttoinlandsprodukt, Geldumlaufgeschwindigkeit, InflationWeil wir nun die Frage klären wollen, wie dies alles mit Inflation zusammenhängt,müssen wir uns zunächst mit den Begriffen Bruttoinlandsprodukt und Geldum-laufgeschwindigkeit befassen. Das Bruttoinlandsprodukt umfasst alle Güter undDienstleistungen, die konsumiert werden - also z.B. Tanzstunden, Gartenarbeit undVermögensberatung. Dabei ist die Frage: Wieviel Geld braucht man in einer Ökono-mie für das ganze Bruttoinlandsprodukt bzw. für die gesamten Bezahlvorgänge, die ineiner Ökonomie in einem bestimmten Zeitraum - üblicherweise 1 Jahr – stattfinden?Dazu folgendes Beispiel: Meine Tochter nimmt für 100 Euro pro Monat Tanzstunden.Diese 100 Euro verdient sie bei mir, weil sie meiner Frau und mir im Garten und in derKüche hilft. Der Tanzstundenlehrer bezahlt mir 100 Euro, damit ich ihm bei seinerVermögensanlage helfe. Dann ist das Bruttoinlandsprodukt 100 Euro Tanzschule +

1 DAX = Deutscher Aktienindex

Der DAX ist im Prinzip der in Euro bemessene aktuelle Preis eines kompletten - gewichteten -Satzes von Aktien aus dem „Warenkorb“ aller 30 DAX-Unternehmen. DAX = 7000 Punkte bedeu-tet demnach, man muss an der Börse 7000 Euro bezahlen, um von jedem der 30 Unternehmeneinen Anteil in sein Portfolio aufzunehmen. Steigt oder fällt dann der DAX um einen Punkt, so hatman mit seinem Portfolio 1 Euro Gewinn oder Verlust gemacht. Hat man ein Vielfaches oder einenBruchteil des „vollen DAX“ erworben, so bedeutet ein Punkt entsprechend das Vielfache oder denBruchteil eines Euro.Der Index wird zur Handelszeit der Börse alle 15 Sekunden berechnet und veröffentlicht. Er ist soetwas wie ein „Stimmungsbarometer“, das aus den Anlageentscheidungen der Marktteilnehmerresultiert und auf diese zurückwirkt. Über ihn wird unter den Teilnehmern die „Marktstimmung“kommuniziert.

2 DAX-Beteiligung und CfD (Contract for Difference)

Im folgenden wird eine DAX-Beteilung an der Börse mit dem Erwerb eines CfD verglichen:Der DAX möge variieren von DAX

1zu DAX

2= DAX

1+ x Punkte (Euro). Der Einsatz sei in beiden

Fällen E = f DAX1. f gibt den Bruchteil des Einsatzes von einem vollen DAX an (Beispiel: Einsatz

700 Euro, DAX1

= 7000 Punkte, f = 7/70 Euro/Punkt).Wertentwicklung der DAX-Beteiligung: W

DAX= E + f x immer

Wertentwicklung des erworbenen CfD, bei dem Einsatz E und Hebel H unabhängig voneinandergewählt werden können: E + H f x wenn x> - DAX

1/H

WCFD

= [0 sonst.

Diskussion:Wenn bei einer DAX-Beteiligung der DAX um beliebig viele Punkte steigt oder fällt, so gewinntoder verliert man mit jedem Punkt entsprechend seiner Beteiligung an einem vollen DAX. BeiPunktverlust behält man den größeren Teil seines Einsatzes (Beispiel mit obigen Zahlenwertenund x = +/- 7 (das bedeutet Steigen des DAX von 7000 auf 7007 oder Fallen auf 6993, also umjeweils 1 Promill): W

DAX= 700 +/- 7/10. -

Ganz anders beim CFD mit z.B. dem Hebel H = 1000: Der Wertzuwachs bei DAX-Anstieg um einPromill ist das Tausendfache wie bei der DAX-Beteiligung: W

CFD= 700 + 1000X7/10. Fällt er aber

um die gleiche Punktzahl oder mehr, ist der ganze Einsatz für immer weg. Das Prinzip des CfDbesteht darin, dass man bei Punktzuwachs einen Gewinn macht, als hätte man mit seinem Ein-satz nicht den Anteil f eines „vollen DAX“ erworben, sondern den gleichen Anteil f vom H-fachenDAX (die Referenz). Mit wachsendem Hebel erhöht sich der mögliche Gewinn, aber gleichzeitigveringert sich die Gewinnwahrscheinlichkeit, weil die Toleranzgrenze für Punktverluste, die zurEinbuße des gesamten Einsatzes führen, enger wird.

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100 Euro Garten- und Küchenarbeit + 100 Euro Finanzberatung = 300 Euro proMonat - also 3600 Euro im Jahr. In dieser kleinen Ökonomie wäre das Bruttoinlands-produkt 3600 Euro. Welche Geldmenge brauchen wir, um alle Bezahlvorgänge abzu-wickeln? - Das hängt ab vom Zahlungsverhalten: Nehmen wir ein monatlichesZahlungsverhalten an, dann gebe ich 100 Euro meiner Tochter, die gibt die 100 Euroan den Tanzlehrer weiter und von dem bekomme ich sie zurück. Die 100 Euro sindalso bei 3 monatlichen Transaktionen einmal herumgewandert, und dieselben 100Euro können in jedem weiteren Monat genauso wieder genutzt werden, um die Zah-lungen abzuwickeln, und sie werden dabei pro Jahr 36 mal von Hand zu Hand ge-reicht. 36 Transaktionen pro Jahr - das ist die Umlaufgeschwindigkeit „u“. D.h.,man braucht in dieser kleinen Ökonomie lediglich eine Geldmenge M von 100 Euro,um das Bruttoinlandsprodukt GDP von 3600 Euro monetär abzubilden. Wenn aberalle Ratenzahlung vereinbaren, also z. B. 10 mal im Monat 10 Euro, dann würden nur10 Euro in dieser Ökonomie gebraucht, und die müssten aber 360 mal im Jahr wei-tergereicht werden - also mit wesentlich höherer Umlaufgeschwindigkeit3.Nun stellen Sie sich einmal vor, es gäbe in der Ökonomie plötzlich mehr Geld als dieoben angenommenen 100 Euro. Dann sagt meine Tochter: Ich brauche mehr fürdiese Gartenarbeit. Papa, du hast doch 1000 Euro in der Tasche. Da möchte ich jawenigstens 500 Euro haben. Ich sage, die muss ich ja verdienen und werde darumdem Tanzlehrer 500 Euro abverlangen. Und der sagt, alles wird teurer - dann mussich für meine Tanzstunden 500 Euro in Rechnung stellen. D.h., wenn mehr Geld inden Kreislauf kommt, ist die Gefahr da, dass die Preise steigen - das ist Inflation.Und deshalb ist es so wichtig nachzusehen, wie viel Geld ist im Umlauf im Verhältniszum Bruttoinlandsprodukt.

Geldmenge und BruttoinlandsproduktSehen wir uns einmal an, wie sich die Relationen entwickelt haben zwischenZentralbankgeld (also dem gesetzlichen Zahlungsmittel), dem Bruttoinlandsprodukt(das die konsumierten und damit tatsächlich produzierten realen Güter und Dienstlei-stungen repräsentiert) und der Gesamtheit der übrigen Geldformen, die einen enor-men Zuwachs zu verzeichnen haben (Abb. 2). Man muss sich das einmal vorstellen:

3 Hier wird der Aussagegehalt einer Form der Tauschgleichung nach Fisher beschrieben:

n

i in ni 1

real notw i i i ni 1 i 1

ii 1

qp

u M q p T q Q P GDP

q

Die Produkte qimal p

isind die Mengeneinheiten mal Preis aller n im Laufe eines Jahres in einer

Ökonomie gehandelten Waren und Leistungen i. Ihre Summe ist das sog. TransaktionsvolumenT. Q - die Summe aller Mengeneinheiten - wird als mengenmäßiges Transaktionsvolumen be-zeichnet. Dann ist P das Preisniveau - der mittlere Preis aller gehandelten Mengeneinheiten. DasTransaktionsvolumen entspricht einerseits dem Produkt aus der Geldmenge M

notw, die bei einem

realen Zahlungsverhalten entsprechend der Umlaufgeschwindigkeit ureal

notwengig ist, um alleBezahlvorgänge abzuwickeln, und ist andererseite in guter Näherung mit dem Bruttoinlands-produkt GDP gleichzusetzen (Beispiel: In einem Jahr werden q

1= 41.200 Porzellan-Geschirr-

sätze zu p1

= 798 Euro gehandelt, q2

= 253 Millionen mal Haareschneiden zu p2

= 10 Euro, ...).

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Es gibt ca. 160 Währungen, also 160 Formen von „Zentralbank-Zetteln“. Es gibt ca.14.000 Institute - Geschäftsbanken wie die Deutsche Bank - die können Euros, Dol-lars, alle möglichen Währungen als Geschäftsbanken-Geld herausgeben und 45.000Unternehmen, Fondgesellschaften und dergleichen, die sich wiederum als Emitten-ten von mittlerweile über 9 Millionen verschiedener Formen von Schuldverschreibun-gen betätigen - also von Zetteln, die auf gewissen Märkten wie Geld verwendbar sind,aber lediglich eine Schuld, einen Anspruch auf „richtiges“, also Zentralbank-Gelddokumentieren. 1970 betrug derAnteil des Zentralbankgeldes an allen diesen Geld-formen 3,4 %. Das bedeutet, es gab rund 30-mal soviel Geldversprechungen wieZentralbankgeld (genau: (100 % - 3,4 %)/3,4 % = 28,4). Hätten alle ihre Zettelchengegen Zentralbankgeld tauschen wollen, hätte es gerade für 1/30 von ihnen gereicht.2005 betrug der Faktor rund 50 und 2007 (bis September) das 53,5-fache. Dieseausufernden Geldansprüche sind Vermögensgegenstände, die zunehmend genau-so als Zahlungsmittel benutzt werden können wie unser gewohntes Bargeld(Zentralbankgeld) und Giralgeld (Geschäftsbankengeld auf dem Konto) im normalenAlltagsleben. Sie haben sicherlich schon davon gehört, dass Firmenkäufe nicht mehrmit Bargeld sondern durchAktientausch bezahlt werden. Man bezahlt also einfach mitirgendwelchen Zetteln (in dem Fall mit Aktien).Und das wird heute sehr einfach mit sog. Security Settlement Systemen abgewickelt.Denn diese Zettel sind in Wahrheit natürlich keine Zettel, sondern es sind Datenbank-einträge über die Besitzer der jeweiligen „Zettel“. Eigentumsübertragungen und Be-zahlungen lassen sich mit wenigen Mausklicks abwickeln.An den Kreisumfängen in Abb.2 ist das Verhältnis allen Geldes zum weltweiten Brutto-inlandsprodukt abzulesen (Gross Domestic Product). Das GDP-Volumen war 1970etwa 3/4 so groß wie das Geldvolumen. Also gab es rund 1,3-mal soviel Finanz-vermögen wie das Angebot an realen Gütern und Leistungen eines Jahres. Inzwi-schen (2007) gibt es das 4-fache an Geld in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Dasreale Zahlungsverhalten ist aber vermutlich, da vieles monatlich bezahlt wird, so, dassfür alle Transaktionen, in denen reale Güter und Leistungen gehandelt werden, viel-leicht etwa 1/10 des BIP’s tatsächlich an Geld gebraucht wird

4. Die große Frage ist:

Was wird eigentlich mit dem ganzen anderen Geld gemacht?

Globalisierung: Bevölkerungswachstum und globale KapazitätsgrenzenNun kommen wir zu einem anderen Begriff, der in diesem Zusammenhang relevantist: Globalisierung. Das ist, wie wir es betrachten, maßgeblich auch die EntwicklungderAnzahl der Menschen - eine Entwicklung, die vor etwa 4 Mio. Jahren begann. Dawar der erste Homo auf dieser Erde. Dann hat es etwa 4 Mio. Jahre gedauert, bis zuChristi Geburt, dass etwa 100...200 Mio. Menschen auf der Erde lebten. Als Natur-wissenschaftler kennen Sie diese atemberaubende exponentielle Entwicklung. Wirsind heute etwa 6,8 Milliarden Menschen, und man geht davon aus, dass in nur 43Jahren, also 2050, etwa 10 Mrd. Menschen auf dem Erdball leben werden. Und damitergibt sich ein Problem. Es besteht darin, dass heute etwa 1,2 Mrd. Wohlhabendeunter nachhaltigen Nutzungsgesichtspunkten des Globus etwa 1,2 Planeten benöti-

4 Verwendung der gegebenen Daten: Zentralbankgeld = 0,0185 Gesamtgeldmenge; Gesamt-

geldmenge = 4 GDP - eingesetzt: Zentralbankgeld = 4 X 0,0185 GDP = 0,074 GDP. 2007 hätteallein das Zentralbankgeld für alle realwirtschaftlichen Bezahlvorgänge in etwa ausgereicht.

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Abb. 2: Globale Entwicklung der Anteile der Geldartenund des Bruttosozialprodukts

Abb. 3: Doppelte Herausforderung für Balancezehnfaches Bruttosozialprodukt bei20% geringerem „ökologischem Fußabdruck“

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gen würden. Man nennt das den Ökologischen Fußabdruck. Das geht derzeit nur,weil wir Ressourcen wie fossile Brennstoffe aufbrauchen, die über Jahrmillionenentstanden sind, und weil wir z.B. dieAtmosphäre so mit Schadstoffen belasten, dasses Jahrmillionen brauchen würde, das wieder rückgängig zu machen. Und das verur-sachen maßgeblich gerade mal 1,2 Md. wohlhabende Menschen, die den größtenTeil der Waren und Dienstleistungen konsumieren. Es gibt aber noch 5,6 Md. Arme,die weder an diesem Konsum, noch am Zustandekommen des Bruttoinlandsproduktsnennenswert beteiligt sind, in diesem Sinne also praktisch arbeitslos sind. - Wie wirddas 2050 aussehen? Dafür gibt es nur drei Alternativen:Im Wesentlichen stellt sich die Frage: Wie kommen wir mit den begrenzten Kapazitä-ten der Erde zurecht? Sie wurde bereits vor 35 Jahren mit dem Buch des Club ofRome „Grenzen des Wachstums“ aufgeworfen. Wenn wir die ökologischen Grenzennicht beachten, dann können wir alle zusammen noch eine letzte Party feiern, unddann ist Schluss. Das heißt natürlich nicht, dass dann die Umwelt verschwunden ist.Es ist nur das Biotop verschwunden, in dem die Menschen überleben können. DerPlanet ist natürlich dann noch vorhanden - nur die Menschheit nicht mehr. Vielleichtüberleben noch ein paar. Aber dass 10 Md. Menschen den Planeten derart über-nutzen, wie wir es bisher tun, das ist schlichtweg unmöglich. Es lohnt sich, dazu z.B.das Buch „Kollaps“ von Jared Diamond zu lesen. Er zeigt u. a. am Beispiel der Oster-inseln auf, was passiert, wenn man sich über die Ressourcenbegrenzung nicht imKlaren ist. Dann kann es zum Kollaps kommen. Das ist die eine Alternative.Die andere wäre, dass wir die nötige Begrenzung der Ressourcennutzung hin-bekommen. Und dafür gibt es wiederum zwei Lösungsoptionen: Entweder es bleibtdabei, dass nur etwa 1 Md. ein hohes Lebensniveau haben, während 9 Md. inPapphütten wohnen und Fahrrad fahren (als Bild dafür, dass diese 9 Mrd. arm sindund im Wesentlichen keine knappen Ressourcen nutzen dürfen). Diese Lösung wäresozial ungerecht. Oder alternativ dazu wäre eine andere Option sozial gerecht -nämlich eine Balance herzustellen, so dass Menschenwürde überall auf der Weltgeachtet wird und wir viel mehr aus den begrenzten Ressourcen herausholen, sodass jeder von den 10 Md. seinenAnteil an der Nutzung des Planeten bekommt - dieLösung, die vermutlich alle hier favorisieren würden.Überlegen wir: Wir möchten den künftig 10 Mrd. Menschen einen durchschnittlichenLebensstandard zugestehen, wie ihn heute 1,2 Mrd. Wohlhabender mit einem Ver-brauch von 1,2 Planeten erlangen. Mit einem Planeten könnten wir bei heutigerRessourcennutzung diese Forderung nur für 1 Mrd. Menschen erfüllen.Um die gerechte Lösung hinzubekommen, müssen wir demnach eine doppelte Her-ausforderung meistern: Es muss nämlich das 10-fache an Waren und Dienstleistun-gen produziert werden – mit nur einem Planenten, also bei gleichzeitig mindestens10-fachter Ressourceneffizienz, denn es ist dabei noch zu berücksichtigen, dass dieheute Wohlhabenden sich auch noch verbessern möchten.In Abb. 3 ist aufgezeigt, was diese doppelte Herausforderung für das Wachstum desweltweiten Bruttoinlandsprodukts bedeutet: Hat es in den letzten 37 Jahren real durch-schnittlich um 3,5 % pro Jahr zugenommen, so müsste es in den folgenden 43 Jahrenreal um 6 % pro Jahr wachsen - fast doppelt so schnell - und das bei abnehmendemRessourcenverbrauch! Und noch ein „kleines“ Problem ist damit verbunden: Glaubtirgend jemand hier, dass 10-mal so viele Menschen als Erwerbstätige gebrauchtwerden als heute, um das 10-fache zu produzieren. Menschen, die damit in Lohn und

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Arbeit kommen könnten?Nun wollen wir auf diese Problematik heute nicht weiter eingehen. Dies wäre eineigener Vortrag.

Weltfinanzsystem: Geldwachstum und monetäre GrenzenWir hatten über Geld und Geldansprüche geredet und festgestellt, dass ungeheuerviele Vermögenswerte „produziert“ worden sind, die letztlich SchuldenAnderer sind.Irgendjemand schuldet es den Besitzern dieser „Vermögensgegenstände“. Damitnicht genug - auf diese „Vermögensgegenstände“ (aus dem Nichts geschöpftes Geld,dem kein entsprechend erhöhtes Bruttosozialprodukt gegenüber steht) erwarten dieBesitzer zunehmend hohe Renditen. Das resultiert u. a. aus der weltweiten Konkur-renz um die renditeträchtigstenAnlagen. Wer momentan in China investiert, kann mitteils abenteuerlichen Renditen rechnen, und wer Finanzprodukte verkaufen will, mussdiese Konkurrenz in Rechnung stellen.Wir möchten jetzt abschätzen, wie hoch weltweit derAnteil dieses Renditeeinkommensaus Finanzvermögensgegenständen ist (noch einmal: die für andere Schulden sind)- im Vergleich zu Renditen aus Realvermögen (z.B.Ackerland, Schürfrechte, Paten-te,...) und Einkommen aus unternehmerischem Engagement sowie nichtselbständi-gerArbeit - also produktiver Tätigkeit. Das gesamte Einkommen ist gleich dem Brutto-inlandsprodukt. Wir kennen zudem die Größe des gesamten Finanzvermögens (Abb.4) und nehmen – als Abschätzung - für alle Renditen einen Wert von 5 % an. Bezie-hen wir die Rendite aus Finanzvermögen auf das GDP, so ergeben sich die blauen„Tortenstücke“ in Abb. 4, nehmen wir die (ebenfalls im Sinne von menschlicher Ar-beitskraft leistungslos erzielbaren) Renditen aus Realvermögen hinzu, ergeben sichdie gestrichelten „Tortenstücke“.Man erkennt: Weil sich die Finanzvermögen derart aufgebläht haben, sind schonallein deshalb auch die Renditen daraus gewachsen - von rund 7 % des GDP 1970auf 16,7 % 2005 (20 % in 2007). Es gibt eine Studie, die das weltweite Realvermögenabschätzt und so kommt man für die Rendite aus Realvermögen auf etwa noch ein-mal den gleichen Betrag. Das heißt, 2005 wurden ca. 34 % aller Einkommen leistungs-los (im Sinne von verausgabterArbeitskraft

5) allein aus Vermögen erworben (Finanz-

+ Realvermögen). Die Werte von 2007 zeigen, dass dieser Anteil noch einmal ge-wachsen ist und sich die Entwicklung beschleunigt hat.Anhand der Graphik kann man sich nun einiges überlegen. Das erste ist: Wenn esso weiterginge, wie die letzten 37 Jahre, dann wäre im Jahr 2046 die Rendite ausFinanzvermögen größer als das gesamte Einkommen. Nimmt man die Rendite ausRealvermögen hinzu, wird der Punkt schon 2030 erreicht. Dass Gesamtrenditengrößer als Gesamteinkommen werden kann natürlich überhaupt nicht sein. Dasgesamte Welteinkommen müsste dann verwendet werden, um Schuldenzinsen zu

5Es gibtArgumentationen, nach denen solche allein aus Vermögen erworbenen Ren-

diten als Vergütung für in der Vergangenheit geleistete Arbeit deklariert werden. Ineiner Gesellschaft, die angeblich nach dem Leistungsprinzip funktioniert, wäre dasaber eine Logik, die das Leistungsprinzip außer Kraft setzt: VergangeneArbeit wur-de bereits nach dem Leistungsprinzip honoriert - warum sollte sie doppelt vergütetwerden?

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Abb. 5: Anteil der Schuldenkosten amGesamteinkommen der Öffentlichen HändeMonetäre Wachstumsgrenze: Alle öffentlichen Einnahmenmüssen fürSchuldenzinsen ausgegeben werden - unmöglich.

Abb. 4: Anteil der Einkommen aus Renditeam weltweiten Gesamteinkommenblau: Einkommen aus Finanzvermögengestrichelt: Einkommen aus RealvermögenMonetäre Wachstumsgrenze: Es gibt nur nochleistungslose Einkommen aus Rendite - unmöglich.

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begleichen und Rendite auf Realvermögen zu bedienen. Das Einkommen ausunselbstständiger Arbeit wäre Null. Die Welt müsste in Konkurs gehen wegen Insol-venz. Die Frage ist daher: Wie lange kann das noch gut gehen?Weiter kann man sich anhand der Abb. 4 noch überlegen: Wenn ein immer größererAnteil an Einkommen auf dem bloßen Besitz von Finanz- und Realvermögen beruht,bedeutet das, dass der Anteil sinkt, der auf unternehmerisches Engagement undunselbstständigeArbeit zurückgeht. Es gäbe immer weniger Einkommen auf pro-duktive Tätigkeiten mehr, die reale Werte erzeugen. Da wird weniger zu verteilensein. Das bedeutet konkret, dass entweder mehr Leute arbeitslos werden, damit die,die dann noch in Arbeit sind, gleich viel verdienen können wie bisher. Oder alle wer-den weniger verdienen, die unselbstständige Arbeit verrichten. Genau das erlebenwir seit mehreren Jahren. Das ist das eine.Dasandere:Nehmenwireinmalan, die realgezahltenSteuernundAbgaben fürSozialesaufErträgeausFinanz-undRealvermögen liegenweltweit zwischen10und20%undfürdieübrigenEinkommen beietwa30%.Was passiert,wenndergeringerbesteuerteAnteilaller Einkommen wächst? - Dann werden die öffentlichen Staatseinnahmen aus Steu-ern undSozialabgaben in Relation zumBIP unweigerlich sinken.Nun sehen wir uns einmal die Situation der Staaten an. Es verschuldet sich ja nichtnur die gesamte Welt. Ich habe mir die Mühe gemacht, in globaler Perspektive wirk-lich einmal genau hinzusehen (Abb. 5): Die öffentlichen Hände haben sich in denletzten 37 Jahren kontinuierlich neu verschuldet. Und wenn das so im Durchschnittweitergeht wie in den letzten 37 Jahren, sind im Jahr 2042 die öffentlichen Händeinsgesamt Konkurs, weil dann weltweit die gesamten öffentlichen Einnahmen fürdie Zinszahlungen auf öffentliche Schulden verwendet werden müssten (von Rück-zahlung der Schulden ist dabei noch überhaupt nicht die Rede). Für die USA würdeder Konkurs bereits 2027 eintreten, für Europa erst 2049. Es ist elementare Mathe-matik: So geht das nicht. Irgendetwas muss passieren - aber mit globalem Wachstumin der Form wie bisher ist es nicht zu machen - wir verbrauchen jetzt schon 1,2 Pla-neten.

Entwicklung der globalen VermögensverteilungSehen wir uns noch an: Wo sind die größten Vermögen und wie viel ist das? - Es gibtheute weltweit etwa 9 Millionen Millionäre. Die besitzen etwa 45 Billionen Dollar anFinanzvermögen, besitzen also 1/4 des gesamten Finanzvermögens auf dieser Welt.Eine schon erwähnte Studie sagt, dass das reale Vermögen dieser Personen (wieSchürfrechte, Grundstücke, Häuser, nicht an der Börse gehandelte Unternehmenetc.) noch einmal in der gleichen Größenordung liegt. D.h., diese 9 Millionen Millionä-re besitzen zusammen etwas weniger als 100 Billionen Dollar Gesamtvermögen -das sind 100 000 Milliarden Dollar (10

14). Wenn man darauf - sehr konventionell

geschätzt - nur 5 % Rendite rechnet, dann bedeutet das einen Vermögenszuflussvon 5000 Milliarden Dollar in jedem Jahr.Betrachten wir jetzt, was der Weltfinanzmarkt momentan hergibt an der Erzeugungneuer Zettelchen für kreditfinanzierte „gehebelte“ Käufe - das nennt sich „Leveragebuy out“. Heute sind „Hebel“ von 62,5 und sogar noch mehr möglich. Das heißt ein-fach, wenn jemand (z.B. eine Investment Company) 1 Milliarde Euro hat, dann kannsie damit für 62,5 Milliarden Firmen kaufen. Wie funktioniert das? Dazu ein Beispiel:Nehmen wir an, man versucht, sich die knappen Ressourcen zu sichern - z.B. Erze.

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Es gibt derzeit drei Firmen auf dieser Welt, die bereits 70% der gesamten Erzvor-kommen beherrschen. Wenn man jetzt eine davon z.B. für 145 Mrd. Dollar kaufenkönnte, dann braucht man bei „intimem“ Zugriff auf Banken und bester Bonität (d. h.einem geeigneten Rating) nur 2,3 Md. Dollar Cash, um diesen „Deal“ hinzubekommen:Man nimmt 2,3 Md. „richtiges“ (Zentralbank-)Geld und stellt dies als Eigenkapital ei-ner Bank zur Verfügung, um dann 62,5-mal soviel an Krediten aufzunehmen (ausdem Nichts geschöpftes „Zettelgeld“), deren Abzahlung man dann wahrscheinlichdem gekauften Unternehmen noch aufbürdet.Man überlege einmal: Die Millionäre weltweit haben einen Rendite-Zufluss von 5000Milliarden Dollar an neuem Geld pro Jahr und könnten daraus das 62,5-fache anneuem „Zettelchen-Geld“ erzeugen. Das ist mehr, als es an realem Vermögen, anSachwerten auf diesem Globus überhaupt gibt. Was machen die damit? Was würdeich machen?Ich würde versuchen, reale Werte zu kaufen. Tatsächlich gibt es einen unübersehba-ren Trend zum Kauf realer Werte. Die großen Unternehmen sind aber mittlerweilealle weggekauft und darum strecken derzeit dieAkteure auf dem Weltmarkt die Hän-de nach mittelständischen Unternehmen aus - Größenordnung 50 ... 250 Mio. EuroKaufpreis.Probleme entstehen insbesondere dann, wenn das viele Geld, das momentan imVermögensmarkt umläuft, in den Waren- und Dienstleistungsmarkt kommt. Erinnernwir uns daran, was wir zur Geldumlaufgeschwindigkeit gesagt hatten. Der Waren-und Dienstleistungsmarkt braucht für seine Transaktionen weit weniger Geld. Kommtsoviel hinzu, hat das Folgen: Man kann mit dem vielen Geld nicht mehr kaufen alsproduziert werden kann oder als Vermögen zum Verkauf angeboten wird. Was ma-chen dann die Investoren, wenn nichts attraktives mehr angeboten wird? Was ma-chen „gesättigte“ Millionäre, die nichts mehr kaufen können? Früher gingen sie insCasino - heute kaufen sie „Contracts for Difference“, die ich eingangs beschriebenhabe. Das sind diese Schuldverschreibungen, die mit enormen Hebeln (und damitentsprechenden Risiken) operieren: Man kann z.B. mit 7000 Euro eine Referenz auf7 Millionen Aktienwerte kaufen und auf einenAnstieg des Dax wetten. Fällt der Daxdann um 1‰ , sind die 7000 Euro weg. Wer genug hat, kann das locker verschmer-zen. Steigt er aber, so hat man - durch seine Referenz auf 7 Millionen Aktienwerte -je1 Euro werten DAX-Punkt das Tausendfache davon an Gewinn: 1000 Euro

6. Das

ist eine Form von Roulettspiel. Was soll man auch sonst mit Geld, für das man nichtskaufen kann oder will, machen? Die Wände tapezieren? Das Kopfkissen damit fül-len? Es gibt also auch einen Trend zum Zocken auf hohem Niveau.Ich habe einmal ausgerechnet, wenn das Geldvolumen, das sich derzeit nicht imWaren- und Dienstleistungsmarkt befindet sondern sich irgendwo im Finanzsektorherumtummelt, in den Waren- und Dienstleistungsmarkt hineingeht, dann droht einegigantische Inflationsrate von ca. 1350 %, d.h., 1 Euro ist dann nur noch 7 Centwert – um den Faktor 14,5 weniger. Üblicherweise liegen Inflationsraten bei nur 3 %.Das bedeutet: Preis

neu= (1+3%/100%) Preis

alt= 1,03 Preis

alt.

Nun würde gelten: Preisneu

= (1+1350%/100%) Preisalt

= 14,5 Preisalt

. Das würde füralle, die z.B. Fonds besitzen oder eine kapitalbasierte Lebensversicherung oder eine

6Das kann man mit Hilfe der Formeln in Anmerkung

2nachvollziehen.

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Rentenversicherung, einen Kaufkraftverlust um den Faktor 14,5 bedeuten. Wird eineLebensversicherung von 100.000 Euro ausgezahlt, hat man nur noch etwa 7.000Euro Kaufkraft.

Was ist zu erwarten, was passiert? Wichtig ist: Warum wächst diese Geldmenge soirrsinnig? Wir hatten zu Anfang diskutiert, dass es zwei Möglichkeiten der Geld-schöpfung gibt: Ich bekam gegen ein von mir unterschriebenes Zettelchen (nämlicheinen Kreditvertrag) von der Bank (Pürschel) einen „richtigen“ Euro (Zentralbank-Euro). Den kann eine Bank mir geben, wenn sie genug davon hat. Dabei wird Geld nurauf einer Seite erzeugt - von mir. Hat die Bank aber wenig Zentralbank-Geld, gibt siemir auf meinen Kreditvertrag-Zettel Giralgeld - eine andere Form von Zettel-Geld -und dabei wird dann das Doppelte an Geld aus dem Nichts erzeugt. Genug Zentral-bank-Geld haben die Banken, wenn die Bürger viel sparen. Dann braucht nur halbsoviel Geld erzeugt zu werden, wenn jemand Schulden aufnimmt, als wenn weniggespart wird. Das bedeutet: Wenn die Öffentliche Hand sich immer mehr verschul-det, die Leute aber noch genügend sparen, dann wächst die Gesamtmenge neuerZettelchen nicht ganz so schlimm, wie sie wachsen würde, wenn weniger gespartwird.Die weltweite Neuverschuldung im Jahr 2005 war aber in etwa 4-5mal so groß wiedie gesparten Gelder im optimistischsten Fall, dass man nämlich die Sparquote vonDeutschland auf die ganze Welt übertragen kann. Die Deutschen sind darin „Welt-meister“ und sparen ca. 10% ihrer Einkommen. DieAmerikaner haben eine Sparquo-te von -0,4%. Weltweit betrug also die Sparquote 2005 allerbestenfalls etwa 1/4 bis1/5 der Neuverschuldung. Im September 2007 war es nur noch 1/6 bis 1/7. Die Neu-verschuldung der Öffentlichen Hände der entwickelten Länder in den ersten neunMonaten 2007 entsprach dem, was die Hälfte der Erdbevölkerung, 3,4 MilliardenMenschen, in einem Jahr zum Leben zur Verfügung hat - 2200 Milliarden Dollar. Dasist genau der Vermögenszuwachs der 8,5 Millionen Millionäre im Jahr 2005.Weil die verschuldete Öffentliche Hand ohne eine signifikante Änderung ihre Schul-den nie zurückzahlen kann, verschuldet sie sich immer wieder neu. Wenn also so einZettel fällig wird, dann stellt man auch dafür einen neuen Zettel aus (zusätzlich zu denneuen Zetteln der Neuverschuldung) und muss hoffen, dass der auch noch gekauftwird gegen „richtiges“ Geld. Dabei konkurrieren die Öffentlichen Hände jeden Tag mitdem Vierfachen an Verschuldungszettelchen, die andere verkaufen möchten.Um sicher zu stellen, dass die Öffentliche Hand ihre Zettel auch los wird, müssen dieRegularien oder besser „Deregularien“ des Weltfinanzsystems es zulassen, dassneue Zettel erzeugt werden können, um damit die Zettel der öffentlichen Hand zukaufen - damit Schulden durch Neuverschuldung finanziert werden können.Die Geldmenge wächst unter anderem deshalb, weil die Öffentliche Hand sich immerweiter verschuldet. Die Frage ist: Warum verschuldet sich die öffentliche Hand? Ei-nen der Gründe möchte ich gerne abschließend erläutern. Er hängt mit den Regelnder Weltwirtschaft zusammen, die nämlich andere sind als in den wohlhabenden na-tionalen Ökonomien. Wir z.B. haben eine Kartellbehörde. Die Welt als Ganzes kenntso etwas nicht. Welche Konsequenzen das hat, mache ich gerne an folgendem Bei-spiel klar: Stellen Sie sich eine ganz kleine Welt mit nur ganz wenigen Menschen vor.Der eine ist Großgrundbesitzer, dem gehört das ganze Land. Der betreibt Garten-bau, Ackerbewirtschaftung und als „Hobby“ noch eine Bank, ein Kreditinstitut. Der

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zweite ist eine Bäckerin. Die kauft vom Landwirt Gemüse zum Essen und Getreide,um Brot zu backen, das sie dem Landwirt verkauft und auch noch an einen Dritten imBunde - einen Erfinder. Wir können auch annehmen: Wir haben tausend Erfinder.Die sind alle kluge Köpfe, haben z. B. ihr Erbe genutzt, um Brotbackautomaten zuerfinden. Einer davon ist der beste: Da können Sie „Brezel“ eintippen oder „Schrippe“.Man muss oben nur Getreide einfüllen, dann kommt das Gewünschte unten heraus.Auf welche Idee könnte nun der Landwirt kommen? - Er produziert Geld (über seineBank), einen „Zettel“, kauft damit den besten Brotbackautomaten und verkauft nundie Brötchen, die vorher die Erfinder bei der Bäckerin gekauft haben. Seine eigenenBrötchen backt er auch noch selber. Und die Bäckerin? – Sie muss sich nun etwasanderes einfallen lassen. Sie könnte ja dem Landwirt anbieten, ihm die Kaffeetassehinterher zu tragen oder für ihn zu tanzen. In einer gesättigten Ökonomie wird esnämlich schwierig für die Bäckerin, ein neues, ertragreiches Betätigungsfeld zu fin-den. Im Beispiel muss sie den Konsum des Landwirts oder des erfolgreichen Erfin-ders steigern, um erwerbstätig sein zu können. Es besteht für sie ein Zwang, denKonsum weiter anzuheizen.Für einen gewissen Zeitraum ist von dem einen Erfinder was zu holen, aber von denanderen 999 nichts. Stattdessen hat der Landwirt jetzt zusätzliche Einkünfte. Der hataber in einer „gesättigten“ Ökonomie keinen erhöhten Konsumbedarf. Der hat jaschon alles und isst jetzt noch seine eigenen Brötchen. Die Bäckerin bekommt HarzIV und die 999 Verlierer wahrscheinlich auch. Der erfolgreiche Erfinder tut sich ersteinmal mit dem Landwirt zusammen. Die spielen dann Golf auf dem Grundstück vomLandwirt. Aber irgendwann ist auch das Geld dieses Erfinders aufgebraucht.Was bedeutet das für diese Ökonomie? Es bedeutet, dass das Bruttoinlandsproduktsinkt, weil nämlich jetzt der Landwirt autark geworden ist. Das heißt, die Steuerein-nahmen sinken während gleichzeitig die Belastungen der öffentlichen Handsteigen. Um wieder Gleichgewicht herzustellen, müsste z. B. Vermögen besteuertwerden. Das wird aber nicht gemacht - im Gegenteil: Wir wollen jetzt sogar die Erb-schaftssteuer abschaffen. Was könnte der verschuldete Staat tun, wenn er die Steu-ern nicht erhöhen will? Er könnte z.B. an derAusbildung der Kinder sparen, indem erLehrerinnen entlässt - Harz IV ist weniger als deren Gehalt. Und das erleben wirgerade.Was man eigentlich erreichen müsste ist, auf weltweiter Ebene die Regeln so zusetzen, dass die Ökonomie auf dem Globus wieder in eine Balance kommt. Dazu gibtes natürlich Ideen. Und wenn ich nächstes Mal in Berlin bin, werde ich gerne darübersprechen.

DiskussionPüschel: Man liest davon, dass diese Derivate, die ja eine ziemlich katastrophaleAngelegenheit zu sein scheinen, angeblich auch einen sehr nützlichen Zweck haben,weil siebenutzt werden können, zur seriösenAbsicherung von Risiken, zur Separierungvon Risiken. Wie funktioniert das eigentlich und wo ist die Grenze, wo man sagenkann, das ist eine seriöse Verwendung dieser Möglichkeiten oder eine rücksichtslo-seAusnutzung von Risiken?Solte: Ich weiß gar nicht, ob man in diesem Zusammenhang überhaupt über Serio-sität reden muss. Der Punkt ist der: Risiko bedeutet bei diesen Zetteln, dass jemanddas Versprechen, das er gibt, nicht halten kann. Das ist erst einmal sehr trivial. Und

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jetzt ist die Frage: Wer trägt dieses Risiko? Früher wurde das Risiko von den Bankengetragen, wenn sie Kredite vergeben haben. Für diese Risikoübernahme erhaltendie Banken Zinsen. Deswegen hat man Verabredungen getroffen (die sog. Basel-und Basel-II-Verabredungen). Sie besagen, dass die sog. Risikoaktiva einer Bank -das sind letztlich die vermuteten Risiken - mit 8% Eigenkapital hinterlegt werden müs-sen, also haftendes Kapital. Wenn nun eine Bank ein Risiko übernimmt, indem sieeinen Zettel über z.B. 1 Mio. Euro Schulden akzeptiert, dann müsste sie 8% davon -also 80.000 Euro Eigenkapital hinterlegen - wenn es ein „normaler Schuldner“ ist.Wenn es ein „bester Schuldner“ ist, dann darf sie vorher diese Million mit 0,2 multipli-zieren. Dann ist das Risiko nur noch 200.000 Euro und davon 8% bedeuten nur noch16.000 Euro Eigenkapital. Wie erreicht man, dass die Schuldverschreibungen derÖffentlichen Hand immer gekauft werden? Risiken der Öffentlichen Hand „guter Staa-ten“ dürfen mit Null multipliziert werden. Da braucht man also „nicht ganz soviel“ Ei-genkapital. - Weil aber diese Eigenkapitalanforderungen auf jeden Fall „unbequem“(weil teuer

7) sind, haben die Banken nach Möglichkeiten gesucht, ihre Risikoaktiva

einfach loszuwerden. Die geniale Idee: Die Risiken werden gewinnbringend ver-kauft. Da kommt die sog. Verbriefung ins Spiel. Wenn jemand einen Kredit bei einerBank hat, ist das gewissermaßen ein Zettel, und diese Zettel können die Bankenmittlerweile handeln. Sind die Kredite weiterverkauft, dann sind sie aus der eigenenBilanz der Bank verschwunden. Die Juristen haben viele Möglichkeiten ausgetüftelt,wie selbst windige Kredite als Finanzprodukte von den Banken verkauft werden kön-nen. Darauf kommen wir zurück nach einem kurzen Blick auf die Historie:Weil viele Leute, als alles in den USA so schön aufwärts ging, Aktien mit Kreditengekauft hatten und man damit schlechte Erfahrungen gemacht hatte, durften seit1934 Emission, Kreditvergabe und Versicherungsgeschäft nicht mehr in einem Kon-zern vereint sein. Diese Regelung haben die Amerikaner 1999 wieder aufgehoben.Deshalb konnte die große City Bank die Traveler-Corporation kaufen. In der so ent-standenen City Group sind nun wieder Bank, Investmentbank und Versiche-rungsgeschäft in einem Haus. Ein Vorteil: Für Versicherungen gibt es die Forderungder Eigenkapitalabdeckung von Risiken nicht, wenn sie ihr Vermögen inAktivpostenanlegen. Das diskutiert man jetzt zwar unter dem Stichwort „Solvency II“ - aber daskommt vielleicht in 10-15 Jahren - wenn alles gut geht.Der einfachste Fall, wie eine Bank einen fraglichen Kredit loswerden kann, geht so:Sie fragt eine Rentenversicherung oder irgendeinen Fonds, ob er ihr den Kredit ab-kauft.Wenn es weniger offensichtlich sein soll, dann wird ein Kredit-Derivat daraus ge-macht – z. B. ein Credit Default Swap, mit dem das Ausfallrisiko gehandelt werdenkann. Wer einen solchen „Zettel“ kauft, bekommt darauf regelmäßig etwas Geld aus-gezahlt und kann das spezielle Wertpapier jederzeit weiterverkaufen. Wenn aber derdahinterstehende Kredit ausfällt, muss er dafür zahlen. Sog. Anleiheversicherer ha-ben jede Menge Kredit-Risiken erworben und betreiben damit dieseArt von Geschäftin großem Stil. Sie haben momentan den “Schwarzen Peter“ und müssen vermutlichvon der Öffentlichen Hand gerettet werden. Denn die potenziellen Käufer von Schuld-verschreibungen haben spitz bekommen, was in diesen Produkten für Risiken stek-ken. Deshalb bricht der Markt für Schuldverschreibungen gerade ein und so bleiben

7Eigner verlangen auf ihr Eigenkapital höhere Renditen als Fremdkapitalgeber.

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auch Banken und andere Finanzinstitute auf den übernommenen Risiken sitzen.Es gibt zur Risikoverbergung noch andere „Tricks“, z.B. einen, den die IKB

8benutzt

hat. Sie konnte erworbene Risiken nicht in einen Rentenversicherungsfonds abschie-ben und war dann so leichtsinnig, die Risiken lediglich in ein sog. Conduit, ein SpecialPurpose Vehikel (SPV) auszulagern. Das ist eine außerbilanzielle Gesellschaft, fürderen Verluste man aber haftet. Das Prinzip von SPV’s ist wie folgt:Mit Geld, das man mit der Ausgabe eigener Schuldverschreibungen unterschiedli-cher Art einnimmt, kauft man z. B. riskante Kredite.Angenommen, ein SPV hat für 10 Milliarden Kredite eingekauft. Die kommen bei demSPV als Aktiva gewissermaßen „in einen Topf“ und bleiben dort bis zu ihrer erhofftenvollständigenAblösung. Darunter sind Kredite von Häuslebauern, die darauf speku-liert haben, dass ihr Haus in 10 Jahren soviel wert ist, dass sie Kredit plus Zinsenzurückzahlen können und die in Schwierigkeiten stecken, weil die Hauspreise sinken.Ganz unabhängig davon verkauft das SPV für ebenfalls 10 Milliarden eigene Schuld-verschreibungen. Dafür nimmt es Geld ein, mit dem es seinen Kredite-Einkauf finan-ziert. Die eigenen Schuldverschreibungen werden in Tranchen für unterschiedlichrisikofreudigeAnleger eingeteilt: Für eine Milliarde gibt das SPV eine „Junior-Tranche“mit verlockend hohem Zinsversprechen heraus, für 5 Milliarden eine „Mezzanin-Tranche“ mit weniger Zinsen und eine „Senior-Tranche“ mit dem geringsten Zinssatz.Der entscheidende Punkt ist nun folgende Spielregel: Wenn von dem 10-Millarden-Kredit-Paket, das alsAktivposten den auf der Passivseite befindlichen Tranchen ge-genübersteht, nacheinander irgendwelche Kredite ausfallen, betrifft das die Tran-chen in der Rangfolge Junior-Mezzanin-Senior-Tranche. Man nennt das„Diversifizierung des Risikos“ – man kann auch „Aufhübschen“ dafür sagen. Ent-sprechend sind die Tranchen geratet: Da z.B. unterstellt wird, dass von den 10 Milli-arden Krediten kaum für mehr als 6 Milliarden Kredite ausfallen werden, ist die 4-Milliarden Senior-Tranche AAA-geratet. Sie kann von Versicherungen und Bankenerworben werden. Letztere müssen nur 1,6 % Eigenkapital dafür hinterlegen, wennsie das kaufen. Wegen der Rangfolge, mit der Kreditausfälle die Tranchen betreffen,ist die 5-Milliarden Mezzanin-Tranche schon eher gefährdet, aber immer noch so gutgeratet und mit Zinsen bedacht, dass sie von vielen Investorgruppen erworben wird.Die 1 Milliarde Junior-Tranche trägt das höchste Risiko und wird von Leuten mit„Zockermentalität“ bevorzugt. Wenn etwa jemand 100 Mio. besitzt und besondersmutig ist, dann nimmt er noch einmal 900 Mio. Kredit dazu und kauft mit „hohemHebel“ dem SPV diese 1 Milliarde von den Junior-Tranches ab. Wenn er großesGlück hat und alle Kredite bedient werden, kann er kräftig Kasse machen. Er hat aberals Anleger das höchste Risiko zu tragen. Das SPV und die Vorbesitzer der Kreditesind diesen Teil des Risikos los. Wenn jemand Pleite geht, dann ist es der Anleger.So kann ein SPV seine Tranchen bei Pensionskassen, Rentenversicherungen,Anle-gern oder Zockern an den Mann bringen

9.

8IKB = Deutsche Industriebank - hat sich auf langfristige Finanzierung von Unternehmen spezia-

lisiert.9

Die Riskoverbergung funktioniert noch perfekter, wenn solche Tranchen von anderen Instituten

gekauft werden, die auf ähnliche Weise dann wieder eigene Wertpapiere herausbrigen, denenman überhaupt nicht mehr ansehen kann, welche ursprünglichen Risiken darin stecken.

22

In dem Spiel verliert natürlich immer irgendjemand Geld.Aber Geld - hatten wir gese-hen - verschwindet nur, wenn einer seine Schuld zurückzahlt. Was einer an Geldverliert, ist also niemals weg - es ist nur woanders.Die IKB ist nun in der Klemme, weil sie die Risiken im Conduit behalten hat und dieAnleger die Produkte des Conduit nicht kaufen wollen. Das Conduit hat ein Liquidi-tätsproblem.Es ginge aber noch schlimmer. Die Wahrscheinlichkeit, dass „reiche“ Staaten pleitegehen, ist so klein, das man dies wie folgt ausnutzen könnte: Nehmen wir an, jemandmöchte reale Werte kaufen und nimmt dafür bei einer Bank einen Kredit auf, produ-ziert also Geld aus dem Nichts in Form eines Kreditvertrages. Das muss er irgend-wann mit Zinsen zurückzahlen. Da er aber von exzellenter Bonität ist, zahlt er nurwenig Zinsen, weniger als die öffentliche Hand. Mit der Hälfte des von der Bankausgezahlten Kredits („richtiges“ Geschäftsbankengeld) erwirbt er Staatstitel, d.h.,er gibt dem darbenden Staat das Geld. Mit der anderen Hälfte des Kredits geht er aufEinkaufstour. Nun sind die Staatstitel Schulden des Staates gegenüber dem Erwer-ber, die zwar wegen der Staatsverschuldung kaum je zurückgezahlt werden, für dieaber der Erwerber vom Staat laufend Zinsen erhält. Mit diesen Zinsen aus den Staats-titeln bedient er davon - wenn es auch lange dauert - seinen gesamten Kredit, d.h., erzahlt ihn samt Zinsen nach und nach an die Bank zurück. Am Ende besitzt er realeWerte. Seine einzige „Leistung“ dafür war: Er musste als vertrauenswürdig genugerscheinen, um den Kredit zu günstigen Konditionen zu erhalten. Und kreditwürdig istgerade der, der schon genug besitzt. Es ist also eine Realisierung des „Matthäus-Prinzips“: „Wer hat, dem wird gegeben“. Das Regelwerk für Finanzgeschäfte er-laubt dieses Vorgehen. - Noch ein Blick auf das Resultat: Bezahlt hat den Deal derverschuldete Staat. Das vom Erwerber geschöpfte Geld ist am Schluss wieder weg -er hat seine Schuld zurückgezahlt. Sein handfester Neubesitz ist letztendlich ein un-freiwilliges Geschenk der Steuerzahler.

Man kann aber auch „Geld“ fürAkquisitionen in Form vonAktien schöpfen. Betrach-ten wir hier beispielsweise konkret die Firma PetroChina, bei der unter anderem derGroßinvestor Warren Buffet beteiligt war, der wohl auch einen Anteil an dem Mutter-konzern von PetroChina, der CNPC, hält.Eine große Konzerngesellschaft kann z. B. Geld schöpfen, indem sie einen Teil ihresAktiva-Besitzes in eine eigenständige Tochtergesellschaft auslagert (in diesem Fallhat dies die CNPC mit der PetroChina getan). Was auch immer hier als Aktiva indiese neue Tochtergesellschaft eingebracht wurde, wird über das Geschäftsmodell„veredelt“

10. Gerade, wenn auch in einem neuen Markt immer mehr Privatpersonen

eine Anlage in Form von Aktien suchen, ist es dann attraktiv, dem Tochterunterneh-men entsprechend seinem behaupteten Wert so ein immenses Eigenkapital zu ver-schaffen. Das Eigenkapital ist letztendlich die Bewertung der eingebrachten Sachmittel,multipliziert mit der Veredelung durch das Geschäftsmodell. Im Falle von PetroChinahat man den Unternehmenswert zunächst mit ca. 400 Mrd. Dollar angesetzt undentsprechend vieleAktien „erzeugt“. Wenn es nun gelingt, bei einerAktienemission,dem so genannten „Initial privat offering“, zu einer vielfachen Überzeichnung derüberhaupt am Markt verfügbar gemachtenAktien zu kommen und es so in Folge auchnoch zu einem weiteren Kaufwunsch nach den Aktien von PetroChina kommt, wirdnicht nur der behauptete Unternehmenswert von der Börse akzeptiert, sondern auchnoch, weil derAktienkurs steigt, der gesamte Marktwert des Unternehmens größer.

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Im Falle von PetroChina hatte sich der Marktwert gegenüber dem für die Erstemissionangesetzten 400 Mrd. Dollar verdreifacht auf 1,2 Billionen Dollar. Ein entscheidenderPunkt dabei ist, dass lediglich 1,75 % aller Aktien in den freien Markt gebracht wur-den, d. h. PetroChina, das Unternehmen selbst, verfügte über 98,25 % der eigenenAktien, die das Unternehmen für denAufkauf von anderen Unternehmen oder ande-ren Sachwerten „wie Geld“ benutzten könnte. Angenommen ein Unternehmen wieExxonMobil hätte sich auf eine Offerte von PetroChina eingelassen, die wie folgtlautet: Der nach Marktkapitalisierung bemessene Wert von Exxon liegt bei ca. 400Mrd. US Dollar. Der Wert von PetroChina liegt bei 1,2 Billionen US Dollar. Dannkönnte PetroChina eine Minderheitsbeteiligung, d. h. 24,9 % seines eigenenAktien-paketes anbieten im Tausch gegen eine Mehrheitsbeteiligung von 75 % an der FirmaExxon. In beiden Fällen würden die entsprechenden „Geldsurrogate“ mit jeweils ca.300 Mrd. US Dollar bewertet. Faktisch wäre ein solcher Merger eine Übernahme vonExxon durch PetroChina. Dies ist natürlich nur ein Gedankenexperiment, d. h. auf soetwas hat sich natürlich Exxon in keinster Weise eingelassen. Welche KäufePetroChina überAktien vorgenommen hat, entzieht sich meiner Kenntnis.Das Beispiel steht also nur plakativ für die Möglichkeit der Geldschöpfung bzw. derSchöpfung von Geldsurrogaten und insbesondere in dem FalleAktien.Das geht mittlerweile soweit, dass Firmen gegründet werden auf Kaiman Islands, dieheißen Spac’s, und sind nichts anderes alsAktiengesellschaften, die Geld sammeln,um damit auf Einkaufstour zu gehen.

10Veredelung, Überzeichnung und Firmenkauf - konstruiertes Beispiel:

Jemand bringt in eine Firma ein:(a) einen 30-jährigen Trabi im Wert von 1000 Euro und (b) die zündende Geschäftsidee, dass sichviele Leute für je 100 Euro in dem Trabi werden fotografieren lassen für einen geschätztenGesamtwert von 1 Million Euro. Das würde eine Veredelung der 1-Trabi-Firma durch das Geschäfts-modell um den Faktor 1000 bedeuten.Für den behaupteten Wert der Firma von 1 Million werden nun 1 Million Stammaktien je 1 Eurokreiert, und es wird prognostiziert, dass das Geschäft in 10 Jahren 100 Millionen wert sein wird,weil alle möglichen Oldtimer zugekauft und die Geschäfte weltweit ausgedehnt werden. Nunbringt man ein knappes Angebot von 100 Stammaktien zu je 1 Euro an die Börse, um dass sichviel mehr als hundert Interessenten reißen, weil alle das Geschäftsmodell für überzeugend hal-ten. Darum sind sie bereit, die Aktien für 10 Euro pro Stück zu erwerben. Die hundert Aktien sinddann um den Faktor 10 überzeichnet. Die 1-Euro-Aktien werden ab jetzt zu 10 Euro gehandelt unddas ursprünglich 1 Million Euro werte Unternehmen gilt nun am Markt als 10 Millionen Euro wert.Da die Firma nur 100 von der einen Million Aktien verkauft hat, besitzt sie selber noch 999.900Aktien - nun mit einem Handelswert von 9,999 Millionen Euro. Damit kann die Firma auf Einkaufs-tour gehen und gegen Zahlung mit eigenen Aktien im Wert von 3 Millionen Euro eine weltweitagierende 3 Millionen Euro werte Firma übernehmen, die Doubles berühmter Persönlichkeitenausleiht, damit sich die Kunden mit Prominenten ihrer Wahl in den Odtimern ablichten lassenkönnen - was wieder mehr Geld einbringen und den Marktwert der Aktien weiter steigern wird.Das gekünstelte Beispiel lässt die Prinzipien klar erkennen:(1) Ein pfiffige Geschäftsidee, die vorhandene oder weckbare Kundenbedürfnisse richtig ein-schätzt, erlaubt es, aus vorhandenem Sachkapital mehr Geld zu erwirtschften, als das Sachkapitalwert ist.(2) Künstliche Verknappung ausgegebener, vielen Anlegern als attraktiv erscheinender Aktien,führt zur Überzeichnung und damit zu einer gewollten Überbewertung aller Aktien des Unterneh-mens und damit auch des Unternehmens selbst.(3) Mit den überbewerteten Aktien kann Verfügungsgewalt über weiteres Sachkapital erworbenwerden.

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Pürschel: Was sind die möglichen Zukünfte?Solte: Wir hatten gesehen: Der Kuchen für mögliche Einnahmen der ÖffentlichenHand schrumpft, weil die gering besteuerten oder sogar steuerflüchtigen Finanz-vermögen wachsen. Auf welche Idee könnte ein Finanzminister kommen? Er suchteine Möglichkeit, seinen Teil des Kuchens, sein „Steuersubstrat“, am Abwandernzu hindern oder sogar zurück zu holen. Also setzt er dafür einen Anreiz: Erversucht zu locken mit Steuersenkung. Das mag in einem gewissen Grade natio-nal funktionieren, genügend Steuersubstrat kommt aus demAusland nach Deutsch-land zurück, so dass bei niedrigen Steuern trotzdem die Steuereinnahmen in Deutsch-land höher sind. Sie fehlen dann aber im Ausland. D. h. dort wird eine höhere Ver-schuldung nötig. Was passiert, wenn dieses Prinzip weltweit angewendet wird?Wenn weltweit mit verringerten Steuern „gelockt“ wird, dann sinken einfach die Ge-samteinnahmen aller Öffentlichen Hände - die weltweite Verschuldung wächst.

Eine andere Form von Steuersubstrat sind Sachwerte. Am besten kauft man gleichdie großen Investmenthäuser, denen nämlich mittlerweile viele attraktive Firmen ge-hören. Staatsfonds wie China, Singapur, Dubai haben begonnen, Ressourcen undProduktionskapazitäten einzukaufen - nachdem die Amerikaner und Engländer dasschon seit Jahrzehnten tun. Russland ist in dieser Hinsicht z. B. mit Gasprom aktiv.Was passiert, wenn alle einkaufen? - Dann rückt der absehbare Konkurs derÖffentlichen Hände, der Kollaps näher - eine keineswegs unwahrscheinliche Al-ternative für das zukünftige Geschehen. Um das abzuwenden, müsste weltweit dieSteuerflucht unterbunden und die Einnahmenquote des Staates wieder auf eine aus-reichende Höhe gebracht werden - eigentlich trivial. Das Problem dabei: Entwederalle machen das oder niemandem gelingt es.Alle versuchen immerzu, sich gegensei-tig alles wegzunehmen, und dann kann es eben kollabieren.Oder aber - das wäre die zweite Möglichkeit zukünftigen Geschehens - es gewinneneiner oder zwei und erringen das Monopol: Käme z. B. irgendein „starker Staat“ aufdie Idee, zum Einen soviel wie möglich der weltweiten Ressourcen und Produk-tionskapazitäten aufzukaufen, ist dabei erfolgreich und würde zum anderen einedann begehrte Dienstleistung bereitstellen - Terrorabwehr und Eigentums-sicherung; das wäre eine „begehrte“ Dienstleistung, auch für die anderen Besitzerder knappen Ressourcen und Produktionskapazitäten, die erhöhte Staatseinnah-men einbringt. Das wäre eineAlternative, wohin die Entwicklung steuern könnte - diesog. „Brasilianisierung“: Wenige haben monopolartigen Besitz an Ressourcenund Produktionskapazitäten, ein Staat sichert das Eigentum und der Rest der Mensch-heit wird außen vor gelassen. Wir halten das leider für das wahrscheinlichste Szena-rio, weil die Entwicklung gerade genau dorthin läuft.Aber es gibt – als dritte Möglichkeit - auch noch die Hoffnung, dass man die balan-cierte Lösung einer ökosozialen Marktwirtschaft erreicht, mit einer konsisten-ten Weltfinanzordnung.

Oswald: Ich habe verstanden, dass jedes Mal, wenn sich jemand verschuldet, ima-ginäres Geld geschaffen wird und ich bezeichne es als imaginär, weil ja keine realeRessource oder Produktionskapazität dahinter steht.Solte: Das steht meines Wissens hinter keinem Geld der Welt seit 1971.Oswald: Ich habe nicht verstanden den Bezug zu den realen Ressourcen und Pro-

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duktionsabläufen. Wir müssten doch diese imaginäre Geldblase mit den sinkendenRessourcen und der digitalisierten Produktion irgendwie in Zusammenhang bringen -vielleicht über den Begriff Inflation?Solte: Wir können uns überlegen: Die Sachwerte haben einen inneren Wert. Das istder Nutzen z.B. einer Ressource wie Öl - und zwar für die, die es verwenden. Dieserinnere Wert hat mit dem Geld zunächst nichts zu tun. Geld ist nur eine Form, dieseninneren Wert mit einer nominalen Zahl zu versehen. Es kann sein, dass der innereWert einer Ressource auf Null fällt - nämlich dann, wenn niemand mehr irgendeineVerwendung dafür hat. Dann geht auch diese nominale Zahl auf Null. Aber diesenominale Zahl hängt auch zusammen mit dem Gesamtvolumen an Geld, was es gibt.Zunächst haben wir diese Trennung: Die realen Werte haben einen inneren Wert,und den behalten sie auch, selbst wenn die Geldmenge ohne Ende wächst. Das istdas erste.Das zweite: Die marktfundamentalistische Deregulierung führt dazu, dass dieAllge-meinheit, repräsentiert durch den Staat, sich immer höher verschuldet. Und zwaraufgrund der Tatsache, dass die Nationen im Wettbewerb miteinander stehen und esnicht geschafft haben, die aufgrund der Globalisierung auf nationaler Ebene weg-brechenden Steuereinnahmen z. B. über Steuereinnahmen für globale Transaktio-nen auszugleichen. Das hat über die letzten 40 Jahre dazu geführt, dass es mittler-weile nicht mehr ohne eine ständige Ausdehnung der Geldmenge in einem weitenSinne geht. Das Geld sind Schulden und gleichzeitig Vermögen von jemand anderem.Das wäre an sich kein Problem - die Öffentliche Hand könnte sich beliebigverschulden, ohne nachfolgenden Generationen damit zu schaden. Denndiese Generationen sind ja auch diejenigen, die die Vermögenswerte besitzen, dieden Schulden entsprechen. Schulden, die der Staat eingeht, bedeuten, dassdie Kinder und Enkel unheimlich viel Vermögen haben - eine Art privaterGrundsicherung. Das wäre nichts Schlimmes. Schlimm ist nur: Marktfundament-alismus und fehlende globale Regelungen sorgen dafür, dass die Vermögennicht vernünftig verteilt sind, sondern sich systemisch bedingt bündeln.Und weil die Geldmenge einerseits wächst und wachsen muss, und weil ihr ande-rerseits begrenzte reale Werte (Ressourcen, Produktionskapzitäten) gegen-über stehen, verliert das Geld an Kaufkraft, so dass diejenigen, bei denen sichVermögen bündelt, dies nicht mehr in Form von Geld haben wollen, sondern lieberversuchen, an die knappen realen Werte heranzukommen.Das versuchen mittlerweile alle, teilweise auch die politische Ebene. Das sagt mo-mentan zwar keiner, aber langsam beginnt man, darüber zu reden - weil nämlichChina beispielsweise große Flächen in Afrika aufkauft. Warum? Die kaufen es, weilda Lebensmittel produziert werden können. Sie müssen sich auch noch folgendesvorstellen - ich sage diese Zahlen immer nur sehr ungern: Die Menschheit entwickeltsich nur deswegen von 6,5 Milliarden auf lediglich geschätzte 10 Milliarden, weil jähr-lich 10,6 Mio. Kinder an Hunger, 530.000 Mütter im Wochenbett und weitere 3,5 Mio.pro Jahr anAids und anderen Infektionskrankheiten sterben. Dazu gibt es jedes Jahr46 Mio. Schwangerschaftsabbrüche. Das sind zusammen 60 Mio. vorzeitig abge-brochene und verhinderte Menschenleben pro Jahr, und es ist vollkommenklar, wo die wirklich relevanten Probleme liegen, wenn es hier zu Verbesserungenkäme und heute schon ca. 1,2 Milliarden Menschen auf unseren Kontinenten allein1,2 Planeten verbrauchen. Das alles führt dazu, dass das viele Geld gegen Realwer-

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te getauscht werden will. Irgendeiner hat hinterher natürlich den „Schwarzen Peter“,weil er das Geld in den Händen hält. Und ich habe versucht anzudeuten, wer dies seinkann. Das Geld geht in die Pensions- und Rentenversicherungen, in dieAnlagefonds.Das heißt, in dem Augenblick, wo die Inflation greift, bleiben zwar die inneren Wertegleich, aber die Kaufkraft des so angelegten Geldes schwindet. Wenn Rentner vonihrem Kapital leben wollen, sollten sie zumindest auch in etwas anderes als Schuld-verschreibungen investiert haben.In so einer Gesellschaft besitzt dann letztlich ein Klub von vielleicht 1 Milliarde Leutendie Realwerte.Die zahlen sich dann 10.000 oder auch 100.000 Euro für den Liter Benzin. Ein Dach-stuhl aus Holz kostet dann eben 20 Millionen. Der eine besitzt alle Wälder, der anderedie ganzen Ölfelder, noch einer produziert die Autos, ...Teilnehmer: So war es in den 20er Jahren.Solte: Und jetzt stehen wir vor der Gefahr, diese Verhältnisse auf globaler Ebene zubekommen.Teilnehmer: Wie wurde das früher gelöst?Solte: Es wurde nicht gelöst. Es hatte nur bislang noch nicht diese Dimension. Siehaben das Problem in Nationen gehabt und nicht die Überschreitung der ökologi-schen Grenzen. Jetzt ist die Lage daher ein neue. Um es auf den Punkt zu bringen -„Brasilianisierung“ bedeutet das Durchsetzen eines Neofeudalistischen Gesell-schaftmodells auf der ganzen Welt. Mit strikten Sicherheitsmaßnahmen könnte esüber 40 Jahre durchaus gelingen, die ganze Bildungselite zum Aussterben zu brin-gen. Das Horrorszenario sieht so aus: Im linken Arm ein Chip, der den psychischenZustand scannt, über drahtlose Kommunikation angeschlossen am Zentralcomputer,rechts ein Chip mit angeschlossenem Beruhigungsmittel-Depot. Wenn einer psychi-sche Instabilität aufweist, wird das Beruhigungsmittel aktiviert. Es ginge aber auchsubversiver. Man müsste die besten Public Relation Agenturen beauftragen, einLifestyle-Modell zu entwickeln, das die 9 Milliarden Menschen in einen Glücks-taumel versetzt, wenn sie in Papphütten wohnen und Fahrrad fahren „dürfen“ und nurgesunde Kartoffeln essen, während die Elite alles andere für sich beansprucht. DieMasse wird dann auf die Elite zeigen und rufen: Die leben ja sooo ungesund, diebekommen Bluthochdruck oder sterben bei einem Unfall. So etwas erscheint mach-bar.Teilnehmer: Das passiert doch auch.Sollte: Deshalb meinen wir auch, dass die „Brasilianisierung“ mit 50 % Wahr-scheinlichkeit kommt. Und wenn man das 40 Jahre durchhält, dann ist das endgül-tig. Es gibt dann keinen Grund mehr, in breite in Bildung zu investieren, weil es keineKonkurrenz mehr gibt. Wir hatten vor 150..200 Jahren z.B. in Deutschland in Bildunginvestiert, weil die Engländer da waren und wir aufholen wollten. Diese Lage wärenicht gegeben.Teilnehmer: Was empfehlen Sie dem einfachen Bürger, der fassungslos und machtlosvor dieser Entwicklung steht und oft unwissend ist, für Maßnahmen zu ergreifen inden nächsten Monaten und Jahren?Solte: Der Global Marshall Plan Initiative beizutreten. Das ist ein wichtiger An-satz. Der Punkt ist: Wir sind an Grenzen angelangt (wir könnten es Grenzen desökologischen, realen und monetären Wachstums nennen) und es geht darum,Ansät-ze zu vermitteln, Bewusstsein zu schaffen, worum es geht. Wir sind - aus der

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Entscheidungstheorie und Systemtheorie her betrachtet - in der Nähe eines sog.„tipping points“, eines „Bifurkationspunktes“, in dem es sich entscheidet, in wel-che Richtung sich ein System weiterentwickelt. In einem solchen Punkt reagiert einSystem (Chaosthoerie) empfindlich auf selbst kleinste Einflüsse - wie z.B. eine ein-zelne Stimme für oder gegen eine der möglichen Richtungen. Das bedeutet, es kommtentscheidend darauf an, möglichst viele Stimmen zu haben, die das balan-cierte Modell fordern. Jeder Einzelne sollte versuchen, wenn er die Kraft aufbrin-gen kann, die wichtigsten Zusammenhänge so weit zu verstehen, dass er eine weite-re Person pro Jahr gewinnen kann, die das auch so macht. Wir wissen 2

32sind 8

Milliarden. Also spätestens in 33 Jahren haben wir die gesamte Welt hinter uns. Unddas ist auf jeden Fall etwas, was man tun kann.Die Globale Marshall Plan Initiative gibt es seit 2003. Sie entwickelt Ideen wieVermögensbesteuerung, Mehrgeldsteuer, politische Umsetzungstrategien.In Berlin gibt es schon eine Regionalgruppe der Global-Marshall-Plan-Initiative. Undda mitzumachen wäre eine tolle Sache.Unter www.globalmarshallplan.org kann man sich informieren und einbringen. Hier inBerlin ist auch der Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft(BWA), dessen Ökonom ich bin, wo ich die Kommission Steuern/Finanzmarkt leite.Der BWA koordiniert die wirtschaftliche Seite.Teilnehmer: Grundvoraussetzung wäre doch, dass Leute die etwas haben, bereitsind, weniger zu haben. Mehr haben zu wollen ist doch ganz normal die menschlicheNatur.Solte: Es muss nicht sein, dass man absolut weniger hat, nur relativ. Wie gehen wiran die Sache heran? Wir fragen uns: Wie haben wir wohlhabenden Nationen unse-ren Wohlstand erzeugt? Wie sieht das Gesellschaftsmodell für einen wohlha-benden Staat aus? - Der Schlüssel war zum einen eine breite Bildung. Wennman dies dann z. B. rein ökonomisch betrachtet, leitet sich der zweiteAspekt ab. Die„Alfred-Herrhausen-Gesellschaft“ hat 2004 einmal den mittleren Wert eines deut-schen Gehirns berechnet -Ausbildung, Fortbildung etc., aber abzüglich derAbschrei-bungen. Sie kommen auf 230.000 Euro. Wenn nun da der Wert einer Gesellschaftdrinsteckt - was muss man dann erreichen? Dass dieses Gehirn gesund und lei-stungsfähig bleibt. Sonst wäre das ein ökonomisches Desaster. Also muss man einvernünftiges Gesundheitssystem haben. Und wenn die Leute gebildet und gesundsind, dann werden sie alt. Das heißt, die Gesellschaft muss das Thema Demogra-phie und Altersabsicherung lösen. Und dann muss sie die Gehirne nochvernetzen. Dazu braucht sie eine vernünftige Infrastruktur. Dann kann man Maxi-males erwarten. Man muss aber auch dafür sorgen, dass die wertvollen Gehirnenicht abwandern. Dafür braucht man Kunst und Kultur. Und das alles muss finan-ziert werden. Deswegen wird ein vernünftiges Steuer-, Abgaben- und Finanz-system gebraucht. Und weil dann alle Leute gebildet sind, wollen sie bei gesellschaft-lichen Entscheidungen mitreden. Das verlangt eine soziale Demokratie. Wenn alldas erfüllt ist, können die so vernetzten Gehirne das Maximale erbringen. Die Ab-schätzung dessen, was man auf dem Globus erreichen kann, ist größenordnungs-mäßig durch dieAnzahl der Gehirne bzw. Menschen gegeben. Wir holen momentanaus 1,2 Milliarden Gehirnen sicher noch nicht das Optimum heraus. Wir hätten dieChance, wenn wir Bildung für alle erreichen, künftig aus 10 Milliarden Gehirnen dasMaximum herauszuholen. Ich hatte aufgezeigt: Damit keiner verzichten muss, haben

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wir eine mehrfache Herausforderung zu meistern: Wir brauchen das 10fache Brut-tosozialprodukt bei zehnfacher Ressourceneffizienz. Und dann muss diesesWachstum - 6%real pro Jahr - asymmetrisch verteilt werden - etwa im Verhältnis4 zu 34: Der reiche Norden hat ein sehr geringes, der arme Süden ein sehr vielgrößeres Wachstum, holt dabei aber kontinuierlich auf. Da muss keiner zurückstek-ken – dies als Antwort auf ihre Frage. Alle bekommen mehr. Man muss nur hin-bekommen, dass möglichst alle Gehirne in den Prozess eingebunden werden. Umdas zu erreichen, müssen wir auf globaler Ebene so etwas wie eine ÖkosozialeMarktwirtschaft haben - es dürfen ja die Ressourcen nicht übernutzt werden, esmuss ökologisch gewirtschaftet werden - Bildung, Gesundheit, die ganzen sozialenElemente müssen da sein und finanziert werden. Und das muss auf globaler Ebeneerreicht werden.Und dafür wiederum gibt es einen vergleichsweise einfachen Ansatz: Für Sozial-standards und Ökostandards gibt es schon Verabredungen auf UN-Ebene, z. Büber die internationaleArbeitsorganisation (etwa das Verbot von Kinderarbeit). Manmuss nichts anderes tun, als diese Standards in der WTO, der Internationalen Han-delsorganisation, zu gültigen Verfahrensstandards zu erklären (zur Erinnerung:das bedeutet, nur was unter Einhaltung dieser Standards produziert wurde, darf ge-handelt werden). Dann ist man schon einen riesigen Schritt weiter. Für dieMilleniumsziele der UN (z.B. Grundschulbildung für alle Kinder dieser Welt) gibt esverschiedene Finanzierungsvorschläge: Besteuerung globaler Transaktionen, eineSteuer auf Flug- oder Schiffsbenzin oder eine Mehrgeldsteuer, wie ich sie in meinemBuch entwickelt habe. Um eineAkzeptanz der Verfahrensstandards in der WTO ge-rade auch im Süden zu erreichen, wird das Instrument der Kofinanzierung vorge-schlagen: Mittel zur Unterstützung seiner eigenen Entwicklung erhält ein Land dann,wenn es die genannten Verfahrensstandards umsetzt und in der WTO akzeptiert.Das ist der Schritt zur Ökosozialen Marktwirtschaft. So könnte es gehen, ohne dassirgendeiner zurück muss. Das machen wir auch in der EU so, Co-Finanzierung(Strukturfonds) für dieAkzeptanz und Umsetzung der Standards.Wir glauben, dass die Brasilianisierung mit 50% Wahrscheinlichkeit kommt,der Kollaps mit 15 % - der ist auch nicht unwahrscheinlich. In dem Zusammenhagmacht es für jeden Einzelnen sehr viel Sinn, sich über eine Rest-Autarkie im per-sönlichen Umfeld Gedanken zu machen. Also, ganz einfach - diejenigen, die 1920zumindest noch genug Kartoffeln anbauen konnten, hatten es noch ein bisschenbesser, als die anderen. Man kann deshalb darüber nachdenken, wenn man nochGeld übrig hat, zu versuchen, irgendwo am Rande eines Zentrums landwirtschaftli-che Nutzflächen zu erwerben. Der Nutzen wäre zweifach: Kartoffelanbau für denNotfall, den Kollaps. Falls die balancierte Lösung kommt, ist es eine Wertanlage -dann werden wieder mehr Leute Einfamilienhäuser bauen und suchen Baugrund. Ichvermute nur, es ist alles schon weg.Ostwald: Was Sie als Ideallösung anbieten, das haben wir ja gehabt. Sie befindensich auf ostdeutschem Boden. Wir hatten Bildung, wir hatten Gesundheit. Ich vermis-se in Ihrer Lösung die materielle Basis.Solte: Sie haben völlig Recht - gerade auch im Osten - aber auch in allen wohlhaben-den Nationen hat man Elemente wie Bildung und Gesundheit, Verbot von Kinderar-beit, Schulpflicht, Kindergeld. Nur haben diese Elemente auf globaler Ebene keineGültigkeit. Die WTO, die Welthandelsorganisation, die mit Strafzöllen über wirkungs-

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volle Sanktionsmechanismen verfügt, verbietet z.B. nicht, dass Gurken, die von Kin-derhand gerade gebogen werden, in unsere Regale kommen. Das ist ein Verfahrens-standard. In der der WTO gelten derzeit aber nur Qualitätsstandards - die Gurke darfnicht mehr als 10 Grad gebogen sein. Wenn Kinder die gerade biegen, darf niemandsagen, die kommen mir nicht in die Regale. Diese Form von Boykott ist verbotenund dafür gibt es Strafen. Das muss verändert werden.Zur materiellen Basis: Wir müssen auf weltweiter Ebene - das ist ein Gebot derMenschenwürde - allen Menschen Zugang zu den knappen Gütern, zu denAllmendeneinräumen - gleiche Nutzungsrechte für jeden Bürger auf diesem Globus. Nurist das nicht die Position z.B. der Amerikaner. Sie fordern: Alle müssen mit CO2prozentual runter. Da sagen die Chinesen: Wir machen doch fast keinen Dreck.Aberihr seid so viele, sagen wieder dieAmerikaner. Sie stellen sich auf den Standpunkt:Es gibt welche, die haben von Geburt her das Recht, mehr Dreck zu machen alsandere. Und das kann natürlich nie eine tragfähige Lösung sein. Es muss also jedemdas gleiche Recht, Dreck zu machen, zugestanden werden und das Gesamtvolumenbegrenzt werden. Und dann kann man anfangen, mit Verschmutzungsrechten zuhandeln: Jemand, der mehr Dreck machen will, muss dafür bezahlen, dass ein an-derer bereit ist, weniger Dreck zu verursachen (Cap and Trade). Das muss in dasModell eingebaut werden. Dann haben Sie den Zugriff auf die Ressourcen geregelt.Das Problem ist dann noch die Ressourceneffizienz. Die Industrie fährt nicht amLimit. Wir könnten Schlag heute das Vierfache oder Fünffache von dem produzieren,was wir bisher erzeugen. Nur haben wir nicht die Ressourcen.Teilnehmer: Wer soll das denn kaufen?Solte: Z.B. die Chinesen, Inder, alle wollen doch so konsumieren, wie wir es vorma-chen.Teilnehmer: Vielleicht zum halben Preis.Solte: Da spielt doch der Preis letztlich gar keine Rolle. Die Frage ist doch, was manüberhaupt könnte. Können wir jedem diesen Konsum ermöglichen? Das ist im Kernein Verteilungs- und Begrenzungsproblem. - Von dem Gedanken an Geld soll-ten wir uns dabei verabschieden. Wir müssen uns einfach sagen, mit unseren Tech-nologien, mit unseren Fähigkeiten können wir so und so viel Güter, Waren und Lei-stungen produzieren -undzwarunterBerücksichtigungdessen, was derGlobus hergibt.Und dann ist das Problem, wie es verteilt wird? Und wir wissen heute, dass im Ostendie Lösung, alles homogen zu verteilen, nicht funktioniert hat - da fehlen die Anreizefür Leistung. Aber auch die fundamentalistische Position „the winner takes it all“ hatnicht funktioniert, sondern immer zu Terror, Bürgerkriegen und Revolutionen geführt.Feudalherrentum konnte sich bislang nicht dauerhaft halten.Zur Messung der Einkommensverteilung gibt es ein Konzept - die sog. Equity-Theo-rie.Die skandinavischen Länder sind sehr wohlhabend, haben mit einer Equity von 0,65eine sehr hohe Verteilungsgleichheit realisiert: Die bestgestellten 20% der Bürgererhalten 35% vom Kuchen, die restlichen 80% bekommen 65%. Bei den Amerika-nern (Equity 0,5) geht die Hälfte an die oberen 20%.Weltweit haben wir eine ganz andere Equity: Da erhält das obere Fünftel mehr als80%, und die 80% schlechter Gestellten bekommen weniger als 20% vom Kuchen(Equity < 0,2). Wenn wir die wohlhabenden Nationen betrachten, haben alle eineVerteilung, bei der die oberen 20% höchstens 35..50% des Kuchens, die ande-

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ren aber mindestens 50..65% bekommen. So haben die Bürger einen Anreiz aufLeistung. So kommt man zur maximalen Wertschöpfungsfähigkeit und Effizi-enz. Das erreicht man über den Markt, wenn dazu die richtigen Regeln ge-setzt werden, um die Ziele zu erreichen. Zu den Regeln gehören Abgabesysteme,die Vermögenden und Vielverdienern mehr abverlangen als Ärmeren und Gering-verdienern. Und das muss insgesamt so bemessen sein, dass davon die gesamteBasis für Wertschöpfung und Wohlstand für alle bezahlt werden kann (Bildung, Ge-sundheit etc.). - Noch einmal: Jede Ökonomie, die wir als wohlhabend betrachten, hatdas für sich in irgendeiner Form hinbekommen. Jetzt müssen wir das auf dem Globusschaffen.Teinehmer: Was wäre, wenn die Weltbevölkerung stagniert oder sogar zurück geht?Solte: Das wäre ungemein hilfreich - das Problem ist nur: Das kann gar nicht vor demJahr 2050/60 passieren, denn die Kinder, die in den kommenden Jahren die Kinderbekommen, sind bereits geboren. Unter Beachtung der Menschwürde kann man darangar nichts ändern.Teinehmer: Sie haben gesagt, es kommen pro Jahr 135 Mio. dazu. Genaugenom-men kommen 135 Mio. dazu und 55 Mio. gehen ab. Die Chinesen haben ein ganzgroßes demographisches Problem und betreiben deswegen eine Einkindpolitik.Solte: Die haben sie brachial durchgesetzt – wo ist da die Menschenwürde?Aber wogibt es sonst noch vergleichbare Programme? Die Wahrscheinlichkeit, dass es welt-weit im notwendigen Zeitraum gelingt, zu einer Stagnation der Bevölkerungsdichte zukommen, ohne die Menschwürde auszuhebeln, ist sehr gering. Es würde natürlichdas Problem verringern. Aber dann landet man eben nicht bei 10 sondern vielleichtbei 8 oder 9 Milliarden - die geschätzte Bandbreite bis 2050 liegt zwischen 8,5 bis 12Milliarden. Aber noch einmal: Wir verbrauchen jetzt schon 1,2 Planeten mit 1,2 Milli-arden Menschen. 1,2 Planeten ist zuviel – wir haben nur einen.Es gibt Viele, die glauben, Technik sei die Lösung. Von Prof. Kapitza, einem bekann-ten russischen Wissenschaftler, ist kürzlich das Buch „Global Population Blow-Upand After“ erschienen. Der hat das „quadratische Prinzip“ herausgefunden. Esbesagt, dass in den vergangenen vier Millionen Jahren menschlicher Existenz jedesMal eine Verdopplung der Menschheit eine Vervierfachung des Innovationstemposerfordert hat, damit die Gesellschaft überleben konnte. Jetzt sollten wir uns einmalüberlegen, was das bedeutet. Es sind heute zwei Grenzen erreicht: Die eine istdas Gehirn - unsere Hardware. Was wir lernen wird in Hardware übersetzt - nicht inleicht änderbare Software. In der Vergangenheit war das Innovationstempo gera-de noch so, dass die lebende Generation die Änderung vorbereiten konnte, mit derdie nachfolgende Generation leben musste. Wenn sich unser Innovationstempo jetztnoch vervierfacht, bedeutet das, sich viermal im eigenen Leben verändern zu müs-sen. Wir erleben in Teilen schon, wie hart das ist. Wer von uns ist noch in der Lage,seine richtigen Strom- undTelefontarife heraus zu suchen? Können wir unsere Wasch-maschine ordentlich bedienen? - Wir verbringen mittlerweile schon viel Zeit, um mitallem klar zu kommen. Und jetzt stellen Sie sich eine Vervierfachung des Innovations-tempos vor! - Die zweite Grenze ist eine ökonomische: Wir haben jetzt Ab-schreibungszyklen von drei bis vier Jahren. Dann sind unsere Maschinen undGerätschaften auszutauschen, weil veraltet. Jetzt nehmen wir eine Vervierfachungdes Innovationstempos an - dann kommen bereits in einem Jahr die neuen Maschi-nen. Das ist schon ökonomisch nicht machbar! - Das sind zwei gute Gründe, nicht

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auf Technologie als hauptsächliches Lösungskonzept zu setzen - ganz unabhängigvon dem Bumerangeffekt (eine neue technische Lösung erzeugt ein neues, nochgrößeres Problem).Wir brauchen daher eine Revolution in Governance - so die Aussage des Club ofRome. Meine Interpretation des zentralen Problems dabei: Wir Menschen sind ge-netisch so veranlagt, dass wir immer nur etwas „mögen“ wollen, niemals aber „müs-sen“. Wir müssen uns aber - gegen unsere genetischen Veranlagungen - Grenzensetzen, wir müssen uns zum Müssen zwingen; das heißt, Gesetze beschließenund durchsetzen, die wir nicht wirklich mögen.Teilnehmer: Wenn wir weniger Auto fahren, fehlen doch öffentliche Einnahmen.Solte: Wir müssen die Einnahmensysteme so gestalten, dass sie damit konformgehen. Wir dürfen nicht weiterhin das Falsche tun, nur weil das alle machen. DasFalsche bleibt falsch, auch wenn es alle tun. Das Richtige ist richtig, selbst wenn eskeiner tut. Wir dürfen nicht - nur weil sonst Staatseinnahmen fehlen - die Leute imbetrunkenen Zustand durch die Gegend fahren lassen, nur weil wir die Steuern aufAlkohol und Benzin brauchen, sondern wir müssen ein anderesAbgabensystem ein-richten, indem wir z. B. auch Flug- und Schiffsbenzin besteuern. Dann werden diePreise für italienischen Parmaschinken aus Schweinehälften, die aus Südamerikakommen, und für Zucker aus Brasilien endlich die ökologische Wahrheit sagen.Teilnehmer: Da deutsche Staatsbürger weltweit gesehen zur Oberschicht gehören,haben wir - die Bundesrepublik - vielleicht einen gewissen Einfluss und Mitsprache-recht. Aber bei den paar einflussreichen Millionären und Multimillionären dürften sol-che Ideen wohl nicht so wahnsinnig gut ankommen.Solte: Das würde man auf den ersten Blick annehmen. Wir finden aber z. B. beieigentümergeführten Unternehmen sehr viel Unterstützung. Es sind nicht not-wendigerweise die Multimillionäre selbst, die die Probleme unmittelbar verursachen.Die sind kein verschworener Clan, der zusammenkommt, um sich die Welt unter denNagel zu reißen. Wenn jemand viel Geld hat, gibt er das z.B. in eine Stiftung und setzteinen Vermögensverwalter ein, der sich zum Ziel macht, damit die Stiftung z. B. mög-lichst viel Geld in die Bekämpfung vonAids investieren kann, die Rendite zu maximie-ren.Alle Beteiligten haben dabei das nicht unberechtigte Gefühl, dass sie etwas Gutestun. Das ungenügend erkannte Problem dabei ist: Die Regeln müssen so gesetztwerden, dass aus dem auf Effizienz ausgerichteten Tun nicht schädliche Wirkungenresultieren. Wir haben ja nichts gegen den Markt. Der ist ein Effizienzmechanismus,wenn die Regeln für die Effektivität, für das Inkorporieren unserer ethischen Werteund Ziele sorgen.Sie haben aber recht, Deutschland und insbesondere Europa können von der ökono-mischen Stärke aus jetzt noch mitreden. Wenn die Brasilianisierung aber weitergeht,wird das nicht so bleiben. Man kann eine einfache Rechnung aufmachen: Momentansitzen von den 1,2 Milliarden Wohlsituierter und damit Einflussreicher im Wesentli-chen 1 Milliarde in den OECD-Staaten, etwa 85 Millionen davon in Deutschland (Ein-wohnerzahl der BRD). Wenn es nicht für mehr als 1 Milliarde Wohlsituierter reichtund bis 2050 zusammengenommen Chinesen und Inder 3,5 Milliarden sind, dannwerden von der 1 Milliarde Wohlsituierter ein paar hundert Millionen davon in Chinaund Indien sitzen und nicht mehr in Europa oder in den USA.Unser Einflussgewicht auf der Weltbühne schwindet mit unserem Mittelstand, derimmer noch nicht recht gemerkt hat, dass er der absolute Verlierer ist. Wie die Ver-

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armung funktioniert, hatte ich Ihnen erklärt. DasAufkaufen der attraktiven Sachwertegeschieht heute sogar so: Ich habe jemanden gesprochen, der hatte ein gut gehen-des Unternehmen mit 400 Mitarbeitern mit bestem Rating und ist selber vergleichs-weise reich. Er wurde von einem Interessenten an seinem Unternehmen vor folgen-de Alternative gestellt: „Ich kaufe dein Unternehmen für 55 Millionen Euro, oder ichnehme ein Vielfaches davon und sorge für eine Konkurrenz, die dich ökonomischfertig macht.“ Nach 16 Monaten hat er sein Unternehmen verkauft - für 55 Millionenin Bar. Er ist weiterhin Geschäftsführer, darf sein Lebenswerk zu Ende führen, aberdas Unternehmen gehört ihm nicht mehr.Viele, die normale Einfamilienhäuser und vielleicht noch irgendwelche Fondsanteilebesitzen, meinen, sie hätten ausgesorgt. Wenn aber die wahrscheinlichste Entwick-lungsalternative - die Brasilianisierung - eintritt, sind diese Anteile wertlos, und fürnormale Einfamilienhäuser gibt es keine Kaufkraft mehr.Das ist es, was wir jetzt erleben. Der Markt reißt auseinander. Es gibt dann das High-End-Segment, wo die Leute die größtenAutomobile fahren und sich sogar das Par-füm von irgendwelchen zauberhaften Frauen zu Hause zusammen mischen lassen.Und die anderen kaufen beiAldi. Die Mittelschicht verschwindet zunehmend. Genau-so wird es mit der Bildung: Teure Eliteschulen - für den großen Rest muss Minimal-bildung reichen. In einer brasilianisierten Welt ist es für die Elite besser, wenn diearmen 9 Milliarden Menschen ungebildet sind, da kommen sie nicht auf dumme Ge-danken.Teilnehmer: Ich sehe einen Widerspruch: Zu den stabilen realen Werten, nach de-nen Finanzkräftige jagen, gehören natürlich auch Immobilien, Eigentumswohnungen,das Häuschen im Grünen. Trotzdem wird das Einfamilienhaus wertlos?Solte: Es gibt einen inneren Wert von realen Objekten

11. Das war unsere Diskussion

vorhin. Dieser innere Wert hängt im Prinzip von der Nachfrage nach solchen Objek-ten ab. Und selbstverständlich ist die Nachfrage steuerbar über die Kaufkraft. Ineiner brasilianisierten Welt ist die monetäre Kaufkraft ungleich verteilt. Die 9 Milliar-den haben wenig Kaufkraft und die 1 Milliarde hat eine sehr hohe Kaufkraft. Damitverbunden ist die Nachfrage nach realen Werten unterschiedlicher Art. In einer

11Das Verständnisproblem: Es müssen nicht zwei sondern wenigstens drei Arten von Wert

unterschieden werden. - Beispiel: Mit einem Rechenschieber lassen sich jederzeit bestimmteRechenoperationen mit einer gewissen Genauigkeit durchführen. Darin besteht sein Gebrauchs-wert. Mit einem Taschenrechner sind jederzeit mehr und genauere Operationen ausführbar. Dasist dessen Gebrauchswert. Egal welche Entwicklungen es noch geben wird - diese unterschied-lichen Gebrauchswerte beider Gegenstände bleiben unverändert für alle Zeiten erhalten und sindunabhängig davon, ob die Gegenstände tatsächlich benutzt werden oder nicht - sie könntenbenutzt werden und würden dabei jeweils dasselbe leisten wie schon immer. Nachdem es aberTaschenrechner gab, waren die Rechenschieber - wie die Ökonomen sagen - „moralisch ver-schlissen“: Kaum jemand will heute noch einen Rechenschieber haben, weil Taschenrechnereinfach mehr können. Der „moralische“ Wert eines Gegenstandes bemisst sich an der gebrauchs-wertabhängigen Nachfrage nach dieserArt von Gegenständen - wobei die tatsächliche Nachfra-ge darüber hinaus auch noch von Kaufkraft und Angebot in gewissem Maße abhängt, wasoffenbar mit dem hier diskutierten „inneren Wert“ gemeint ist. Der nominale Wert (Preis, Handels-wert) wird außer durchAngebot und ungleichmäßig verteilte kaufkräftige Nachfrage noch von derumlaufenden Geldmenge in Relation zum Bruttoinlandsprodukt bestimmt und damit von den kom-munikativen Mechanismen, nach denen sich das Preisniveau herausbildet. Ihre Wirkung wird vonder Fishergleichung erfasst, ohne dass sie damit inhaltlich erklärt werden.

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brasilianisierten Welt gibt es Nachfrage nach erstklassigen Grundstücken, nach Vil-len - wie in Feudalherrenzeiten mit großen Ländereien. Für diese Objekte steigt soauch der innere Wert. Demgegenüber wird aber auch die Nachfrage nach billigenWohnungen größer - auch der innere Wert von solchen Immobilien wird daher stei-gen. Also z. B. Einkaufszentren, bei denen man nicht mehr das Auto braucht, son-dern die eine großeAnzahl von Menschen zu Fuß erreichen kann. Das mittlere Seg-ment wird dabei verlieren. Das ist der Grund, weshalb heute die Investoren erstklas-sige Lagen und in den Randsegmenten kaufen - nicht im Mittelsegment. Innerer Wertund nominaler Wert hängen von der Nachfrage und Kaufkraft ab.Pürschel: Einen Gedanken möchte ich noch anreißen: Sie haben explizit nicht überSuffizienz-Strategien gesprochen - nur in der eher spöttisch diskutierten Möglichkeiteiner Life-Style-Gestaltung. Wenn das aber tatsächlich überhaupt möglich sein sollte- würde darin nicht ein positives Potential zur Entschärfung der genannten doppeltenHerausforderung bestehen? Freilich wäre das ein äußerst sensibler Punkt: Bei denmeisten Menschen fällt ganz schnell die Klappe, wenn man ihnen etwas von Suffizienzerzählt. Wenn man darüber irgendwie hinweg kommen könnte, wäre das gut. Waskönnten die anthropologischen und systemischen Grundlagen für Suffizienz sein?Da scheint es mir eine Lücke zu geben und eine Aufgabe für unseren Verein.Solte: Im Hinblick auf Suffizienz sprechen wir von einer doppelten Zurückhaltung -insbesondere der reichen Gesellschaft. Die erste weltweite Zurückhaltung bestehtdarin, mit den Ressourcen auszukommen und die Umwelt intakt zu halten. Hierzumuss der reichere Teil der Welt in einer zweiten Zurückhaltung bereit sein, in Relationzu den bisher armen Mehrheiten abzugeben und insofern Aufholprozesse zuzulas-sen. D.h., diese Form der Suffizienz vermindert den relativenAbstand von Reich undArm. Die Frage, ob darüber hinaus auch noch eine dritte From der Suffizienz, alsoein gegenüber dem Sataus Quo zurückgehender Konsum der Reichen gelebt oderverfolgt wird, lassen wir bewusst außen vor. Natürlich wäre dies im Prinzip denkbar.Es wird aber als Herausforderung noch schwer genug sein, die bisher sehr material-intensive Konsumform durch eine um den Faktor 10 verminderte Ressourcenintensitätzu ersetzen.

LiteraturDirk SolteWeltifinanzssystem am Limit. Einblicke in den „Heiligen Gral“ der GlobalisierungTerra Media Verlag, Berlin 2007

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Geschäftsstelle, PF, 13092 Berlin, od. Robert-Rössle-S. 10, 13125 Berlin, T=030/4241718, F=42085416 (Vorsitzender p.)www.zukunfts-werkstatt.org / [email protected]

WZFG e.V.Berlin-Buch

Forschung für zukunftstaugliches VerhaltenFörderung regenerativer Energien

zukunftsorientierte KulturarbeitÖffentlichkeitsarbeit

WERKSTATT FÜR ZUKUNFTS-FORSCHUNG UND -GESTALTUNG (WZFG e.V.) auf dem Biomedizinischen Forschungscampus Berlin-Buch

Vorstand: Dr. Hans-Volker Pürschel (Vorsitzender - Physiker/Zukunftsforscher/Kulturarbeiter), Uwe Frömberg (Vorstandsmitglied - Informatikingenieuer),Nobert Oswald (Vorstandsmitglied - Dipl.Ing für EDVA). Bankverbindung: Kto. 397 2629 005, Berliner Volksbank, BLZ 100 900 00. Gemeinnützigkeit: FürWissenschaft, Kultur, Bildung wurde dem Verein am 19.10.00 die Gemeinnützigkeit und die Berechtigung,Spendenquittungen auszustellen, durchdas Finanzamt Für Körperschaften I , Gerichtstr. 27, 13347 Berl in, zuerkannt .