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Aus der Univ.-Klinik ffir 0hren-, Nasen- u. Halskrankheiten Kiel. (Dir.: Prof. Dr. Zimmermann) Beitrag zur Theorie des kalorischen Nystagmus. Von Dr. Otto LeiBe, Assistenzarzt der Klinik. Mit einer Tabelle. In mehreren Arbeiten der letzten Zeit, welche sich Init der Theorie des kalorischen Nystaginus befassen, wird auf experiinentellein Wege versucht, dein bei der kalorischen Priifung iin Geh6rgang gesetzten K~lte- reiz auf seinein Ausbreitungswege im Felsenbein zu folgen, in dein Ge- danken, aus der genauen Kenntnis dieses Weges Schliisse auf den Er- regungsvorgang bei der kalorischen Labyrinthreizung iiberhaupt ziehen zu kOnnen. Man war sich bisher nicht dariiber klar, ob irgendeiner SteUe des Geh~rgangschlauches bzw. des Troininelfells besondere Bedeutung bei der Fortleitung des zur Priifung der Labyrinthfunktion angewandten K~ltereizes zukoinine. Nachdem man aber jetzt begonnen hat, intensiv die Bedingungen der kalorischen Reaktion zu untersuchen, hat man sich auch dieseIn Problem zugewandt, so daB, wenn wir die Frage stellen: Auf welchein Wege pflanzt sich eine iin Geh6rgang erzeugte W~rine- oder K~ltewelle nach dein Bogengangsapparat fort ? wir Antworten bei ver- schiedenen Autoren finden, so insbesondere bei B1 u me nt hal, Fr e n zel und Dohlinan. Dabei kainen Frenzel und Dohlinan einerseits und B1 u Ine n t h al andrerseits zu verschiedenen Ergebnissen, welche iin Fo]- genden kurz skizziert werden sollen 1). Frenzel fiihrte am Leichenfelsenbein ein Therinoeleinent in den horizontalen Bogengang ein und schrieb die nach Geh6rgangsspiilung am Sloiegelgalvanoineter abgelesenen therInoelektrischen Str6me in Kurven- 1) Die wertvollen Untersuchungeu von Schmaltz und VSlger fiber die Temperaturbewegungen im Felsenbein bei der kalorissen Reaktion ifihre ich in diesem Zusammenhange nicht an, well die Frage, ob die KAltefortleitung fiber die hintere Geh6rgangswand oder das Trommelfell vor sich gehe, in der Arbeit der genannten Autoren nicht zur Diskussion steht. Archiv f. Ohren-, Nasen- u. Kehlkopfheilkunde. Bd. xz6. I

Beitrag zur Theorie des kalorischen Nystagmus

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Page 1: Beitrag zur Theorie des kalorischen Nystagmus

Aus der Univ.-Klinik ffir 0hren-, Nasen- u. Halskrankheiten Kiel. (Dir.: Prof. Dr. Z i m m e r m a n n )

Beitrag zur Theorie des kalorischen Nystagmus. Von Dr. Otto LeiBe, Assistenzarzt der Klinik.

Mit einer Tabelle.

In mehreren Arbeiten der letzten Zeit, welche sich Init der Theorie des kalorischen Nystaginus befassen, wird auf experiinentellein Wege versucht, dein bei der kalorischen Priifung iin Geh6rgang gesetzten K~lte- reiz auf seinein Ausbreitungswege im Felsenbein zu folgen, in dein Ge- danken, aus der genauen Kenntnis dieses Weges Schliisse auf den Er- regungsvorgang bei der kalorischen Labyrinthreizung iiberhaupt ziehen zu kOnnen.

Man war sich bisher nicht dariiber klar, ob irgendeiner SteUe des Geh~rgangschlauches bzw. des Troininelfells besondere Bedeutung bei der Fortleitung des zur Priifung der Labyrinthfunktion angewandten K~ltereizes zukoinine. Nachdem man aber jetzt begonnen hat, intensiv die Bedingungen der kalorischen Reaktion zu untersuchen, hat man sich auch dieseIn Problem zugewandt, so daB, wenn wir die Frage stellen: Auf welchein Wege pflanzt sich eine iin Geh6rgang erzeugte W~rine- oder K~ltewelle nach dein Bogengangsapparat fort ? wir Antworten bei ver- schiedenen Autoren finden, so insbesondere bei B1 u me n t ha l , Fr e n zel und D o h l i n a n . Dabei kainen F r e n z e l und D o h l i n a n einerseits und B1 u Ine n t h al andrerseits zu verschiedenen Ergebnissen, welche iin Fo]- genden kurz skizziert werden sollen 1).

F r e n z e l fiihrte am Leichenfelsenbein ein Therinoeleinent in den horizontalen Bogengang ein und schrieb die nach Geh6rgangsspiilung am Sloiegelgalvanoineter abgelesenen therInoelektrischen Str6me in Kurven-

1) Die wer tvol len U n t e r s u c h u n g e u von S c h m a l t z u n d V S l g e r fiber die

T e m p e r a t u r b e w e g u n g e n i m Fe l senbe in bei der ka lor i ssen R e a k t i o n ifihre ich in d iesem Z u s a m m e n h a n g e n i ch t an, well die Frage , ob die KAl te fo r t l e i tung fiber die h in te re

G e h 6 r g a n g s w a n d oder das T rommel fe l l vor s ich gehe, in der Arbe i t der g e n a n n t e n

A u t o r e n n i c h t zu r Diskuss ion s t eh t . Archiv f. Ohren-, Nasen- u. Kehlkopfheilkunde. Bd. xz6. I

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form auf (Kurve a). Dann entfernte er, um die Trommelfell-Paukenluft- leitung zu unterbrechen, am Pr~iparat nach Fortnahme des Tegmen tym- pani den Amboll, ftillte die Pauke mit Watte, die in der das ganze Pr~i- parat umgebenden Fixationsfltissigkeit getr~inkt war, sptilte wieder den Geh6rgang und notierte ebenso wie vorher die Galvanometerausschliige (Kurve b). Er schlieBt dann aus der ,,~hnlichkeit der erhaltenen Kurven, die praktisch identisch sind, dab die Ausbreitung des Temperaturgef~illes auf dem Knochenwege und nicht via Trommelfell-Paukenh6hle erfolgt, da im letzten Falle, wo die sonst nur in Betracht kommende konvektive Ausbreitung durch die Paukenluft (oder tiber Hammer-Amboll ?) nicht m6glich ist, die Kurve b einen andern Verlauf zeigen, vor allem der zeit- liche Eintritt sich verz6gern miil3te". F r e n zel stellt somit lest, ,,dab ein dutch Geh6rgangsspiilung erzeugtes Temperaturgef~ille den Weg zum Labyrinth auf dem Knochenwege dutch die hintere Geh6rgangswand nimmt" . Diese Feststellungen sind -- woh!gemerkt -- nur am Leichen- pr~iparat, nicht a m Lebenden gemacht.

D o hl m a n befal3t sich in einer betreffs der technischen Fragen sehr ausftihrlichen Arbeit tiber die Theorie des kalorischen Nystagmus auch mit der Frage des Wiirmeleitungsvermfigens der den Geh6rgang und das Labyrinth trennenden Bestandteile, n~mlich einerseits Knochen, anderer- seits lufthaltige R~iume (Paukenh6hle, pneumatisches Zellsystem), und stellt zuNichst durch physikalische Untersuchungen lest, dab das W~rme- leitungsverm6gen des Knochens -- er nimmt zu seinen Versuchen aus technischen Grtinden eine Knochenscheibe aus dem Femur eines Ochsen

- - ungefiihr sechsmal gt6Ber ist als das der Luft unter gleichen experi- mentellen Bedingungen. Er schlieBt daraus, ,,dab bei W~irmeleitung durch ein unregelmiii3iges System yon kompaktem Knochen und luft- haltigen R~iumen, wie es der Weg vom ~iuBeren Geh6rgang zum Labyrinth ist, die Wiirmeleitung leichter durch den Knochen vor sich gehen wiirde als dutch die luftgeftillten R~iume, und daft dann an verschiedenen normalen Ohrpriiparaten die Wiirmeleitung vonder Verteilung zwischen Knochen und lufthaltigen Riiumen in diesem Abschnitte abNingig sein mull".

Beide Autoren, sowohl F r e n z e l wie D o h l m a n , zeigen dann, dall eine kompakte Knochenbriicke, welche als gleichm~iBig dichtes Medium eine W~irmeleitung besoriders begtinstigt, sich von der hinteren oberen GehSrgangswand zum Labyrinthmassiv, zur Kuppe des horizontalen Bogenganges bin erstreckt (Antrumschwelle), yon deren Existenz man sich auf einem frontalen Schl~ifenbeinschnitte gut iiberzeugen k6nne. Diese Stelle biete also optimale Bedingungen ftir die Uberleitung des im Gehfrgang einwirkenden K~ltereizes auf das Labyrinth.

D o hl m a n machte auch in der Weise Versuche am Leichenpr~iparat, dall er einmal die hintere obere Geh6rgangswand, ein anderes Mal das

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Trommelfell mit einem in eine Wachs-Fettmischung getauchten Watte- bausch abdeckte und die Wirkung auf die Labyrinthtemperatur bei Kalt- sptilung des Geh6rganges mit Hilfe thermoelektrischer Messungen be- obachtete. Er sah, dab bei Abdeckung des Trommelfells die vorher am normalen Priiparat erhaltene Kurve sich gar nicht veriinderte, won aber bei Abdeckung der hinteren oberen Geh6rgangswand. D o h l m a n er- kennt jedoch an, daft es unm6glich ist, ,,daraus einen exakten Ausdruck zu bekommen, der das wahre Verhfiltnis zwischen der W~irmeleitung in diesen beiden Ffillen darstellt. Die Abdeckung kann niimlich nicht die Wiirmeleitung verhindern, sondern nur erschweren, und auBerdem kann sie hie an zwei verschiedenen Stellen gleich dicht und gleich deckend angelegt werden".

In den beiden angeftihrten Arbeiten liegen die Ergebnisse yon Unter- suchungen am Leichenfelsenbein vor, also am nichtdurchbluteten Kno- chen; es handelt sich hier um rein physikalische Experimente, welche biologische Faktoren, wie Blutzirkulation und etwaige auf den K/iltereiz bin einsetzende, auf dem Wege der Nervenleitung wirkende Einfliisse bewul3t aul3er Acht lassen.

DaB diese Ergebnisse daher nicht ohne weiteres auf dieVorg~inge bei der am Lebenden angestellten kalorischen Priifung iibertragbar sind, ist sicher.

B 1 u m e n t ha l versuchte nun schon vorher in einer i m Jahre 1925 er- schienenen Arbeit die Frage im Gegensatz zu den genannten Autoren am Lebenden zu entscheiden und kam bei seinen Versuchen zu dem Ergebnis: ,,Bei indirekter Abkiihlungswirkung auf das Labyrinth vom Geh6rgang aus wird der K~iltereiz wahrscheinlich haupts~ichlich fiber das Trommel- fell weitergeleitet. Eine Weiterleitung fiber h~iutige Geh6rgangswand, knfcherne hintere Geh6rgangswand und Knochen des Warzenfortsatzes an das Labyrinth kommt kaum in Frage.". Er basiert diese SchluBfol- gerung auf einemVersuch beim Menschen, bei dem das gleiche Quantum kalte Fltissigkeit retroaurikuliir direkt auf die kn6cherne hintere Geh6r- gangswand aufgespritzt (wie das geschah, ist nicht beschrieben) keinen Nystagmus ergab, wohl aber bei Einspritzung in den Gehfrgang gegen das Trommelfell. Ferner beobachtete er bei mehreren Patienten einen erheblichen Mehrverbrauch an Sptilwasser bis zum Eintreten des kalo- rischen Nystagmus, wenn er vorher auf das Trommelfell einen paraffin- getriinkten Wattetampon aufgedriickt hatte, um dieses vor tier Ab- ktihlung zu schiitzen. B 1 u m e n t h a 1 machte auchExperimente amHunde, welche aber wegen der andersartigen anatomischen Verhii!tnisse fOx uns hier zum Verg!eich nicht in Betracht kommen.

Die genannten Autoren kamen also bei ihren verschiedenartigen Versuchen zu entgegengesetzten Resultaten. Da eine GegentibersteUung dieser Ergebnisse und neue Experimente bisher nicht erfolgt sind, ist

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also die Frage immer noch als often zu betrachten, auf welchem Wege die Weiterleitung einer Temperatur~nderungim Geh6rgang an das Labyrinth erfolgt, vor allem ist nicht entschieden, ob auch intra vitam bei der kalo- rischen Funktionspriifung des Innenohres der Vorgang der Wiirmeleitung derartig ist, wie F r e n z e l und D o h l m a n am Pr~parat feststellten. Es wiire also noch zu untersuchen, ob beim Lebenden eine Abkiihlung der hinteren oberen Geh6rgangswand einen st~irkeren labyrinthiixen Reiz darstellt als die gleichintensive Abkiihlung des Trommelfells. Eine Unter- suchung dieser Frage Nitte aber auBer ihrer Beantwortung noch den Reiz, weiterhin vielleicht Einblicke zu geben, welche in gewissen Grenzen entscheiden, ob wir iiberhaupt an der Theorie der physikalischen W~me- iibertragung (B ~r ~ny)festhalten k6nnen oder ob bei Erkl~rung des Zu- standekommens der kalorischen Reaktion physiologische oder, vielleicht richtiger, biologische VerNiltnisse mehr in den Vordergrund gestellt wet, den miissen, wie K o b r a k in. geistvoller Weise anregte. Denn wenn die Versuche am Lebenden nicht mit denen fiber W~rmeleitung am Pr~iparat iibereinsfimmen, k6nnte eine Theorie, welche einfache WXrmefortleitung zur Erkl~irung des kalorischen Nystagmus benutzt, nicht richtig sein und miiBte einer mehr physiologisch gerichteten Platz machen . . . . . .

Bei Inangriffnahme der bezeichneten Frage handelte es sich nun techniseh darum, eine Methodik anzuwenden, mit der es gelingt, is01iert einmal nur die hintere obere Geh6rgangswand, das andere Mal nur das Trommelfell der Abkiihlung auszusetzen. Meine Versuch% das Trommel, fell oder einzelne Teile des Geh6rgangs durch Bedeckung mit w/irme- isolierendem Material, z. B. Paraffin vor der abktihlenden Geh6rgang- spiilung zu schtitzen und dann die Einwirkung auf den entstehenden Nystagmus zu beobachten, gab ich bMd auf, da sich zeigte, dab man nie, reals sicher ist, den bedeckten Teil wirldich v611ig vor der Spiilfltissigkeit geschiitzt zu haben, andrerseits es sich praktiseh als unm6glich erweist, die isolierende Schicht anniihernd gleich dick und gleieh ausgebreitet anzulegen. Das stellte auch D ohl m a n bei seinen Versuchen am Pr/iparat fest; am Lebenden liegen die Verh~iltnisse natiirlich noch ungleich schwie- tiger. Ebenso erwies es sich wegen der Niufigen Gewundenheit des Geh6rganges und der mit den erforderlichen Manipulationen verbun- denen Bel~istigung des Patienten Ms undurchftihrbar, durch einen diinnen Schlauch das Trommelfell isoliert anzuspiilen.

Ich machte deshalb den Versuch, durch Andrficken eines feinen watteumwickelten Wattetriigers mit eisgektihltem Wasser unter Leitung des Auges einmal gegen die hintere obere Geh6rgangswand, ein anderes Mal gegen das Trommelfell eine kalorische Reizung zu erzielen. Es gelang tats~ichlich, mit diesem minimMen Reiz einen Nystagmus hervorzurufen.

Nachtr~iglich sah ich, dab schon U f f e n o r d e mit Ather beschickte

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Bei t rag zur Theor ie des ka lo r i schen lXlystagmus.

diinne WattetrSger benutzte, um zu versuchen, ob dutch Beriihren ver- schiedener Stellen vor und hinter dem Processus brevis ein verschieden gerichteter Nystagmus ausl6sbar set. Die Fragestellung war also bier eine andere. Ubrigens schlug der yon 15 f f e n o r d e auf diese Weise hervor- gerufene Nystagmus immer nach einer Seite und zwar nach der entgegen- gesetzten.

Uber die Ergebnisse meiner Versuche soll wetter unten berichtet werden. Zun~ichst muB noch die beobachtete Methodik genauer mit- geteilt und beurteilt werden. Ich benutzte kleine Wattetr~iger, welctle, wenn feucht auf eine Unterlage angedriickt, eine Fliiche von zirka 3 qmm bedeckten. Eine Wattewicke von dieser Gr6Be kann man gegen die hintere obere Geh6rgangswand andriicken und dabei alas ganze Trommelfell iibersehen, a ndrerseits kann man sie bet dem 9 mm betra- genden Durchmesser des Trommelfells gegen dieses andriicken und dabei sich genau davon iiberzeugen, dab die Geh6rgangswand unbertihrt bleibt. Das Beriihren geschah stets mit m6glichst gelindem gleichm~il3igen Druck; einen stSrkeren wiirde die Versuchsperson als schmerzhaft emp- finden. Die Wattewicke wurde vor dem Einfiihren leicht ausgedriickt, uln zu vermeiden, dab bet Beriihren yon Trommelfell oder Geh6rgang durctl herablaufendes Wasser eine K~iltewirkung in grOBerer Ausdehnung als beabsichtigt stattf~inde. Anfangs nahm ich die Versuche mit eisgekiihltem Wasser vor. Bald aber stellte sich heraus, dab die Temperatur des Lei- tungswassers zum Erfolg geniigte. Das hat te auch den weiteren Vorteil, dab eine etwaige Hemmung des Nystagmus durch zu starken sensiblen K~iltereiz vermindert wurde (siehe G r a h e , Passows Beitr. XV). Ich legte den watteumwickelten WattetrSger vor tier Benutzung fiir mehrere Minuten in flieBendes Leitungswasser, welches bet meinen Ver- suchen durchschnittlich eine Temperamr yon lO--I2 0 C hatte. Die Be- riihrungszeit war bet jeder Versuchsperson zuniichst IO". Trat dann so- wohl bet Beriihrung der hinteren oberen Geh6rgangswand wie bet tier des Trommelfells Nystagmus auf, so wurde in einer zweiten Sitzung die Ein- wirkungszeit verringert, his fiir eine der beiden Stellen der Reiz unter- schwellig blieb und nur bet Beriihrung der anderen Stelle Nystagmus auftrat. Das lieB sich ohne Schwierigkeit durchfiihren. Die Beriihrung des Trommelfells geschah oberhalb des Umbo, so dab der Processus brevis gerade noch mitbetroffen wurde. Die Beobachtung des Nystagmus geschah stets unter der B a r t e l s s c h e n Brille. Ms Versuchspersonen fun- gierten Patienten der Station, bet deren Auswahl Wert darauf gelegt wurde, nut ausgeruhte, l~ingere Zeit bekannte Leute zal bekommen, unter denen sich keine F~ille yon Neurasthenie oder traumatischer Neurose befanden (siehe G i i t t i c h , Passows Beitr. XI). Personen mit stark ge- wundenen Geh6rg~ingen oder solche mit erheblich retrahierten oder sonst-

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6 o. LEISSE,

wie ver~inderten Trommelfellen wurden zu den Versuchen nicht heran- gezogen. GroBen Wert legte ich auf solche Patienten, welche unter der B a r t e l s s c h e n Brille in den Endstellungen der Bulbi keinen Spontan- nystagmus zeigten. Waren Endstellungszuckungen vorhanden, so wur- den bei diesen Patientei1 die Bulbi nach der kalorischen Reizung nur in Nittelstellung beobachtet. Erwies sich der angewandte Reiz yon IO" Dauer als zu schwach, um einen Nystagmus in Mittelstellung der Bulbi hervorzurufen, so wurden die betreffenden Versuchspersonen ausge- schlossen. Bei mehreren aber war doch in Mittelstellung ein deutlicher Reizerfolg vorhanden, so dab sie mit in die Versuchsreihe aufgenommen werden konnten.

Eine Reaktion wurde falls nicht in Mittetstellung der Bulbi be- obachtet wurde -- immer erst dann als positiv angesprochen, wenn typische rhythmische Zuckungen auftraten, die beim Blick nach der entgegengesetzten Seite fehlten. Eine langsame Abweichung des Bulbus allein, die oft sehr deutlich war K o b r a k s 2. Stadium, Zone der lang- samen Komponente -- werteten wit nur dann, wenn sie yon typischen Zuckungen mit deutlich unterscheidbarer langsamer und schneller Kom- ponente gefolgt war - K o b r a k s 3- Stadium, Zone der Anfangszuckungen. Das geschah, um nur mit ganz einwandfreien Resultaten arbeiten zu k6nnen, bei denen eine T~tuschung mit Sicherheit auszuschlieBen war. Derartige Vorsicht ist bei solch Ieinen Beobachtungen dringend erforder- lich. Besondere Aufmerksamkeit wandten wit auch dem yon Uf t e n o r de beobachteten und mitgeteilten spontan auftretenden Sp~ttnystagmus zu, den er als Ermiidungssymptom deutet. Eine Verwechslung des bei un- seren Experimenten erwarteten vestibul~iren Nystagmus mit einem ledig- licit vom Muskelnervenapparat des Auges bedingten Ermiidungsnystag- mus muBte natiirlich unter allen Umst~inden vermieden werden. Vor- versuche lehrten die Methodik zweckentsprechend gestalten und gaben die n6tige Sicherheit in der Beurteilung. Es mag sofort gesagt sein, dab wir einen st6renden spontanen Sp~ttnystagmus, wie U f f e n o r d e ihn beschreibt, niemals gesehen haben, wenn wir folgenderweise vorgingen: Der Patient wurde nicht etwa aufgefordert, den auf geringe Entfernung hingehaltenen Finger zu fixiei en, bei wel cher Versuchsanordnung U f I e n- o r d e den Ermiidungsnystagmus beobachtete, sondern die gewiinschte Biickrichtung wurde nur durch die Aufforderung: ,,Nach rechts (links) sehen!" erreicht. Dann schaute der Untersuchte in der betreffenden Richtung sozusagen ins Leere. Man kann sich bei richtig sitzender 13 a r t e 1 s scher Brille iiberzeugen, daB die Versuchsperson wirldich prak- tisch so gut wie keine Fixationsm6glichkeit hat -- wenn n~tmlich die Brille nicht, wie es ja nahe liegt, ~hnlich einer gew6hnlichen Brille nahe den Aug~ipfeln sitzt, sondern durch das Brillengestell (Autobrille) mehrere

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Deitrag zur Theorie des kalorischen Nystagmus. 7

Zentimeter vom Auge entfernt gehalten wird. Wir haben also bei der- artigen VorsichtsmaBregeln einen spontan auftretenden Sp~itnystagmus so gut wie hie gesehen -- abgesehen davon, dab die kalorische Reaktion bei unseren Experimenten sich stets erheblich friiher einstellte, als der von U f f e n o r d e beschriebene Sp~itnystagmus, der nach etwa 4 o Sek. auftrat und sich dann allm~ihlich steigerte.

Zwischen den einzelnen u wurden bei jeder u IO Minuten Pause eingeschaltet. Erfahrungsgem~i~ genfigt dieser Zeit- raum in den meisten F~illen, um eine Reaktion abklingen zu lassen. K o b- r a k gibt sogar 5 Minuten als geniigend an. In vielen F~illen wurde auch nut ei ne Untersuchung am Tage vorgenommen. Alle Versuchspersonen wurden in mehreren Sitzungen untersucht, und alle in die Tabelle auf- genommenen Ergebni~se wurden an verschiedenen Tagen kontrolliert. Dabei ergaben sich an den verschiedenen Tagen wolff Unterschiede in der Beriihrungszeit, die erforderlich war, um einen Nystagmus auszu- 16sen -- nicht aber in dem beobachteten Verh~iltnis zwischen Trommelfell und hinterer oberer Geh6rgangswand in bezug auf die Erzielbarkeit einer kalorischen Reizung von einer dieser Stellen aus. Prinzipiell sei zur Frage der Methodik betont, dal3 eine grol3e Erfahrung und Ubung durch viele Vorversuche unbedingt erforderlich ist, um die Versuche, die ja ohne exakte Apparate nut vonder Hand ausgefiihrt werden miissen, in immer gleicher Weise vornehrnen und um das Gefiihl der Sicherheit bei der Beurteilung der Ergebnisse bekommen zu k6nnen.

Das Ergebnis meiner Experimente war nun -- kurz zusammen- gefal3t -- dieses : Bei der iiberwiegenden Mehrzahl der Versuchspersonen tritt der kalorische Nystagmus bei Einwirkung des K~iltereizes vonder hinteren oberen Geh6rgangswand aus eher auf als bei Einwirkung vom Trommelfell aus. Aus der beigeffigten Tabelle ist das Zahlenverh~iltnis genauer zu ersehen. Die verschiedenen Einwirkungszeiten des K~ilte- reizes wurden nicht nofiert, da sie bei ein und derselben Versuchsperson an den verschiedenen Priifungstagen schwankten, und besondere Ge- sichtspunkte aus ihnen sich nicht gewinnen lassen. Sie lagen zwischen 5 und IO Sek. Die Erregbarkeitsschwelle des Vestibularapparates schwankt offenbar; wie welt etwa auch nerv6se Einflfisse oder Gef~13fiillungs- schwankungen das Ergebnis beeinflussen, lieB sich nicht ermitteln.

Nystagmus durch Ab- Zahl der kfihlung der hinteren I

oberen Geh6rgangswand am leichtesten ausl6sbar

bei

2 0 I 8

Versuchs- personen

Nystagmus durch Ab- kfihlung des Trommel- fells am leichtesten

ausl6sbar

bei

Nystagmus an Trom- melfell und hinterer

oberer GehSrgangswand gleich gut ausl6sbar

bei

O P 2

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8 o. LEISSE~

Das mitgeteilte Ergebnis scheint in gewisser Weise den Unter- suchungen B e C k s zu widersprechen, der (P a s s o W s Beitr. II) eine er, schwerte Ausl6sung des kalorischen Nystagmus bei akuter Mittelohrent, ziindung feststellte und der in dieser Ver!iingerung der Ausl6sungszeit geradezu einen Gradmesser der Entziindung in der Paukenh6hle erbllcken zu k6nnen glaubte, der also, wie man ersieht, annimmt, die K~ltewelle pflanze sich iiber Trommelfell-PaukenhOhle fort. Aber es tritt natfirlich bei einer entztindliehen Ver~inderung in Pauke und Tommelfell auch eine entziindliche Hyper~imie, st~irkere ser6se Durchtriinkung und lokale Temperatursteigerung der benachbarten Geh6rgangswand -- und er- fahrungsgemiiB gerade der hinteren oberen -- auf und damit eine Er- schwerung des Eindringens von K~ilte in die Tiefe, wetche die Verz6gerung der AuslOsung des kalorischen Nystagmus durchaus erld~rt. So betrachtet ~'dersprechen die Untersuchungsergebnisse B e c ks unserer Feststellung, daB K~ilteiibertragung vom Geh6rgang auf das Labyrinth vorzugsweise auf dem Wege dutch die hintere Geh6rgangswand vor sich geht, durch- aus nicht

Lassen sich nun aus unseren Versuchsergebnissen prinzipielle Schliisse ziehen betreffs der Theorie des kalorischen Nystagmus ?

Offenbar ja. Es ist zun~chst festzustellen, dab unsere Ergebnisse mit den von F r e n z e l und D o h l m a n am Leichenfelsenbein erhaltenen Resultaten iibereinstimmen. Beide Autoren stellten fest, dab -- rein physikatisch betrachtet -- die hintere obere Gehfirgangswand geeigneter als das Trommelfell ist, Kiilte oder W~irme an das Labyrinth weiterzu- geben, und Fr e n zel wies einwandfrei durch thermoelektrische Versuche nach, daB faktisch dm-ch die hintere obere Geh6rgangswand am schne]l- sten Temperaturveriinderungen sich nach dem Labyrinth ausbreiten. Die beiden Autoren verwenden dies Faktum als ein Stiick in ihrer Beweis- kette ftir die Richtigkeit der BAr A n y schen Theorie, welche das Zustande- kommen der kalorischen Labyrinthreizung auf rein physikalischem Wege durch mechanische Temperaturtibertragung auf das Labyrinth erkl~t . Denn in der Tat gewinnt diese Theorie an Wahrscheinlichkeit, wenn nach. gewiesen wird, dab von der Stelle aus, welche, physikalisch betrachtet, das am besten w~irmeleitende Medium gegeniiber anderen benachbarten Punkten darstellt, auch wirklich am leichtesten Erw~rmung bew. Ab- kiihlung des Labyrinths sich erreichen liiBt. Wenn nun, wie durch unsere Versuche geschel~n, nachgewiesen ist, dal3 von dieser Stelle aus am 19ichtesten Nystagmus, also Labyrinthreizung zu erzeugen ist, so liegt nichts niiher als so zu schlie/3en: Wenn dutch Abkiihlung der hintelen oberen Geh6rgangswand am teichtesten K~lte auf das Labyrinth iiber- tragen wird, und wenn durch Abkiihlung der hinteren oberen Geh6rgangs- wand am leichtesten Nystagmu s zu erzeugen ist, so wird dieser Nystag-

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Beitrag zur Theorie des kalorischer~ b~ystagmus.

mus durch K~Itemitteilung an das Labyrinth, also auf rein physikalischem Wege zu erkl~ren sein. Man kann also mit guten Griinden in unseren Versuchsergebnissen eine Stfitze der physikalischen K~ltefortteitungs- hypothese B ~r ~nys zur Erkl~rung des kalorischen Nystagmus erblicken. Eine Theorie, welche auf physiologischem bezw. biologischem Wege, z. B. mit Hilfe yon reflektorischen Gef~13tonus~nderungen (K o b r a k) das Zu- standek0mmen der kalorischen Labyrinthreizung erkl~ren will, wird die gefundenen Tatsachen kaum zur Stiitze verwenden k6nnen. Denn fiir eine solche Theorie spielt die Kiirze des Weges und die Homogenit~t der Gewebsschichten eine untergeordnete Rolle, eine gr6Bere dagegen die Anordnung von Gef~13en und Nerven. Man mfil3te dann eine bevorzugte refiexogene Zone an d e r hinteren oberen Geh6rgangswand annehmen, fiir welche Annahme aber in den anatomischen Verh~iltnissen, in der Verteilung yon Nerven und Gefiil3en gegeniiber denen des Trommelfells keineVeranlassung vorliegt; eher w~re das Gegentei! der Fall in anbetracht der ausgiebigen Versorgung des Trommelfells mit Gef~13en und Nerven.

Z u s a m m e n f a s s e n d . l ~ 1 3 t s i c h a l s o s a g e n , daf3 d a s Er - g e b n i s u n s e r e r V e r s u c h e , w e l c h e e i n e l e i c h t e r e A u s l 6 s - b a r k e i t d e s k a l o r i s c h e n N y s t a g m u s y o n d e r h i n t e r e n o b e r e n G e h 6 r g a n g s w a n d a l s v o m T r o m m e l f e l l a u s e r - w i e s e n , f i i r d i e R i c h t i g k e i t d e r p h y s i k a l i s c h e n K ~ l t e - f o r t l e i t u n g s t h e o r i e B ~ r ~ n y s s p r i c h t .

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