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Ballistischer Schutz Beat P. Kneubuehl Dr. sc. forens., Dipl.-Math.

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Ballistischer Schutz

Beat P. Kneubuehl Dr. sc. forens., Dipl.-Math.

Beat P. Kneubuehl, CH-3603 Thun Juni 2000

berarbeitet: Mrz 2003 (Prfverfahren S. 25-26)

Inhaltsverzeichnis

III

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung .......................................................................................................................... 1 1.1 Schutz ist auch eine Waffe ....................................................................................... 1 1.2 Personenschutz und Sachwertschutz ....................................................................... 1

2 Die Bedrohung ................................................................................................................. 2

3 Materialklassen ................................................................................................................ 3

4 Bedrohungs- und Schutzwahrscheinlichkeit ................................................................ 4 4.1 Allgemeines .............................................................................................................. 4 4.2 Bedrohungswahrscheinlichkeit ................................................................................. 4 4.3 Festlegen des Angriffspotenzials .............................................................................. 9

4.3.1 Kurzwaffen .................................................................................................... 9 4.3.2 Langwaffen ................................................................................................. 10

4.4 Schutzwahrscheinlichkeit ........................................................................................ 12 4.4.1 Allgemeines ................................................................................................ 12 4.4.2 Schutzwahrscheinlichkeit und Angriffspotenzial ......................................... 14

5 Prfung von ballistischem Schutz ............................................................................... 19 5.1 Allgemeines ............................................................................................................ 19 5.2 Regelwerke ............................................................................................................. 20

5.2.1 Definition, Arten von Regelwerken .............................................................. 20 5.2.2 Angrifforientierte Regelwerke ...................................................................... 20 5.2.3 Schutzorientierte Regelwerke ..................................................................... 22

5.3 Prfmethoden ......................................................................................................... 22 5.3.1 Mglichkeiten von Prfmethoden ................................................................ 22 5.3.2 Bestimmung der mittleren Durchschussgeschwindigkeit und Streuung ..... 24 5.3.3 Bestimmung von Durchschusswahrscheinlichkeiten .................................. 26 5.3.4 Bestimmung von v50 und s bei gegebener Prfgeschwindigkeit ................. 26 5.3.5 Zuverlssigkeit der Prfung auf Nicht-Durchschuss ................................... 27 5.3.6 Zur notwendigen Schusszahl bei Prfung auf Nicht-Durchschuss ............. 29

5.4 Die wesentlichen Festlegung in angrifforientierten Regelwerken ........................... 31 5.4.1 Das Prfgeschoss ....................................................................................... 31 5.4.2 Die Prfgeschwindigkeit .............................................................................. 32 5.4.3 Zur Streuung der Prfgeschwindigkeit ........................................................ 33 5.4.4 Entscheidungskriterien bei Nichteinhalten der Prfgeschwindigkeit ........... 34

5.5 Weitere Festlegungen ............................................................................................. 35 5.5.1 Allgemeines ................................................................................................ 35 5.5.2 Schussdistanz ............................................................................................. 35

Inhaltsverzeichnis

IV

5.5.3 Schussrichtung ........................................................................................... 37 5.5.4 Schusszahl und Beschussmuster .............................................................. 38 5.5.5 Vorbehandlung des Prfobjektes ............................................................... 39

6 Wirkungen hinter dem ballistischen Schutz ............................................................... 40

7 Existierende Normen und Richtlinien .......................................................................... 40 7.1 Allgemeines ............................................................................................................ 40 7.2 ISO und CEN ......................................................................................................... 41 7.3 Normen fr ballistische Schutzkonstruktionen ....................................................... 41 7.4 Normen und Richtlinien fr ballistischen Krperschutz .......................................... 43

A Anhang ........................................................................................................................... 47 A.1 Berechnungsanleitung fr das Prfverfahren zur Bestimmung der mittleren

Durchschussgeschwindigkeit (v50) und der zugehrigen Streuung ........................ 47 A.2 Tabelle zur Berechnung der Durchschusswahrscheinlichkeit ................................ 48 A.3 Beispiele von v50 und zugehriger Standardabweichung ....................................... 48

Einleitung

1

1 Einleitung

1.1 Schutz ist auch eine Waffe

Es ist aufschlussreich, sich an dieser Stelle einmal Gedanken zum Sinn des Wortes Waffe zu machen. Waffe bedeutet ganz allgemein Kampfgert und gilt als Sammelbezeichnung fr alle Mittel, die der Verteidigung oder dem Angriff dienen.

Waffen lassen sich in zwei Kategorien einteilen. In der einen werden die Defen-siv- oder Schutzwaffen zusammengefasst. Mit ihrer Hilfe werden die empfindlichen Teile des Krpers gegen Angriffe geschtzt (z. B. Schutzwesten, Helme usw., in frheren Zeiten die Rstungen). Die andere Kategorie umfasst die Offensivwaffen. Diese werden dazu verwendet, den Angreifer oder Gegner zu schdigen. Sie lassen sich weiter in Hieb-, Sto- und Stichwaffen (sog. Blankwaffen) und in Wurfwaffen unterteilen. Schusswaffen gehren selbstverstndlich zu der Kategorie der Wurfwaffen.

Da die Grundgedanken der beiden Waffenkategorien einander diametral ge-genber stehen, wird eine Leistungsspirale unausweichlich. Ist einmal ein Schutz gegen die vorhandenen Offensivwaffen gefunden, so wird umgehend deren Lei-stung gesteigert, was wiederum neue Entwicklungen im Schutzbereich zur Folge hat.

Diese Leistungsspirale lsst sich bei den leichten Schutzwesten sehr gut beob-achten. Als die ersten einigermaen tragbaren Schutzwesten auf den Markt kamen, tauchte in kurzer Zeit eine ganze Reihe von Geschossen auf (KTW, Arcane, THV, Starkmantelgeschoss usw.) die den Durchschlag jener Westen zum Ziele hatten. Die Entwicklung besserer Schutzmaterialien lie allerdings nicht lange auf sich warten.

1.2 Personenschutz und Sachwertschutz

Durchschusshemmende Stoffe werden in erster Linie fr den Personenschutz ein-gesetzt, da das eingesetzte Angriffsmittel die Schuss- und auch die Stichwaffen in diesem Zusammenhang vor allem gegen den Menschen selbst gerichtet ist. We-niger hufig kommen gezielte Sachbeschdigungen durch Schusswaffen vor. Hier sind es vor allem wichtige und empfindliche Einrichtungen (Radaranlagen, Compu-ter, Energieanlagen, Steuerungen), die eines Schutzes bedrfen.

Der Personenschutz lsst sich in zwei Gebiete einteilen:

Schutz, der unmittelbar auf dem Krper getragen wird (Schutzwesten, Helme). Schutz des Raumes, in dem sich die Personen aufhalten.

Der Krperschutz ist blicherweise nur partiell, da einerseits die Beweglichkeit nicht zu stark beeintrchtigt werden darf und andererseits das Gewicht des Schutzes be-

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schrnkt sein muss. Geschtzte Rume werden in Gebuden und Gebudeteilen (Bank- und Postschalter) sowie bei Fahrzeugen eingerichtet. Die Materialien, die dabei verwendet werden, drfen in der Regel im Schutzbereich keine Splitter bilden. Ausgenommen davon ist der Schutz von Personen, die sich stets gengend weit von der Schutzkonstruktion aufhalten (beispielsweise in Schiestnden).

Beim Sachwertschutz ist Splitterfreiheit der Schutzkonstruktion nur dann gefor-dert, wenn die Splitter ebenfalls eine Bedrohung der Sachwerte darstellen.

2 Die Bedrohung

Gegen lebensbedrohende Einwirkung von auen sucht sich der Mensch stets zu schtzen. Die mglichen Bedrohungen sind jedoch so vielfltig, dass die Schutzvor-richtungen jeweils einem bestimmten Bedrohungsbild angepasst werden mssen. Eine hufig vorkommende Bedrohung bilden dabei Geschosse aus Kurz- und Lang-waffen, die mit hoher Geschwindigkeit auftreffen und deren Wirkungspotenzial in ihrer kinetischen Energie liegt.

Zu den Kurz- und Langwaffen (englisch: Small Arms) werden alle Waffen ge-zhlt, die ein- oder zweihndig bedienbar sind und die ein Kaliber kleiner als 13 mm aufweisen. Auerdem gehren die Flinten (glattlufige Gewehre) dazu, deren Kali-ber bis rund 20 mm (Kaliber 10) betragen kann.

Obwohl die Vielfalt der Gewehre, Pistolen und Revolver und der zugehrigen Munition auerordentlich gro ist, ist durch diese Abgrenzung das Angriffspotenzial recht eindeutig umschrieben, da aus Grnden der Handhabbarkeit sowohl die ma-ximale Mndungsenergie als auch der Mndungsimpuls (Rcksto) beschrnkt sein mssen. Dadurch ergeben sich Grenzen fr die Geschossmasse und die Mn-dungsgeschwindigkeit. Allgemein gelten etwa die folgenden Werte:

Mndungsenergie < 10 kJ (18 kJ) Mndungsimpuls < 25 Ns (40 Ns) Geschossmasse < 35 g (50 g) Mndungsgeschwindigkeit < 1200 m/s

Mit dem Aufkommen von Repetiergewehren und Halbautomaten in den Kalibern 12.7 99 mm (50 Browning) (USA) und 12.7108 mm (GUS) werden diese Gren-zen allerdings deutlich nach oben verschoben, wie die in Klammern angegebenen Werte zeigen.

Auf Grund unterschiedlicher Anwendungsgebiete haben sich im Laufe der Zeit Waffenkategorien mit einigen typischen Mndungsenergiebereichen herausgebildet (siehe Tabelle 1). Dies widerspiegelt sich in der Hufigkeit der vorkommenden Waf-fen, was sich wiederum auf die Bedrohungswahrscheinlichkeit auswirkt.

Materialklassen

3

Tabelle 1: Gebruchliche Waffenkategorien: Richtwerte fr die Mndungsenergie E0

Waffenkategorie Kaliberbereich mittlere E0 maximale E0

[mm] [J] [J]

Gebrauchskurzwaffen < 12 500 750

schwere Kurzwaffen < 12 1000 2500

Langwaffen (Armeen) < 6.5 1600 1800

> 6.5 3000 - 3500 4000

Langwaffen (Jagd) < 6.5 2000 3000

> 6.5 4000 - 5500 12000

12.799 mm 12.7 16000

Langwaffen (Flinten) 12/70 2500 3500

Auer Mndungsenergie und Mndungsimpuls ist auch die Geschosskonstruktion ins Bedrohungsbild einzubeziehen. Vollmantelgeschosse oder gar Geschosse mit einem gehrteten Stahlkern sind aus der Sicht des ballistischen Schutzes eine we-sentlich strkere Bedrohung als etwa Teilmantel- oder Vollbleigeschosse. Auch hier ist die Hufigkeit des Vorkommens derartiger Geschosse bei der Beurteilung der Bedrohung zu bercksichtigen.

3 Materialklassen

Unter durchschusshemmenden Materialien versteht man ganz allgemein jede Art von Stoffen, die geeignet sind, einem Beschuss durch Kurz- oder Langwaffen zu wi-derstehen. Die Materialien lassen sich dabei bezglich ihres Verhaltens beim Be-schuss grundstzlich in zwei Gruppen aufteilen:

Glser und glasartige Materialien (z.B. Keramik) alle brige Materialien (auch Kunststoffglser)

Diese auf den ersten Blick berraschende Einteilung hat ihre Ursache in der Reak-tion, mit der ein Material auf eine punktfrmige Belastung (Energiebertragung) antwortet. In Glas bilden sich Risse, die sich mit hoher Geschwindigkeit (> 5000 m/s) fortpflanzen. Sie eilen somit dem Geschoss voraus, das bei seiner Durchdrin-gung nur noch fragmentiertes Glas antrifft. In allen brigen Baustoffen bleibt die durch das Geschoss verursachte Zerstrung auf einen relativ kleinen Umkreis der Geschossbahn beschrnkt; dem Geschoss stellt sich auf seinem Weg immer wieder unzerstrtes Material entgegen.

Es zeigt sich, dass fr die Durchdringung dieser beiden Materialklassen nicht die gleichen physikalischen Geschossmerkmale magebend sind. Whrend bei

Ballistischer Schutz

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Glsern die Auftreffenergie eine zentrale Rolle spielt, ist die Eindringtiefe in den b-rigen Materialien in erster Linie von der Energiedichte (Energie pro Flche) am Auf-treffpunkt abhngig. Dies ist der Grund, weshalb fr Glser und brige Schutzmate-rialien unterschiedliche Normen existieren.

4 Bedrohungs- und Schutzwahrscheinlichkeit

4.1 Allgemeines

Es ergibt keinen Sinn, sich stets gegen die maximale Bedrohung schtzen zu wol-len. Beim Bedrohungsbild alle Kurz- und Langwaffen msste man einen derart schweren und unhandlichen Schutzanzug whlen, dass ein lngeres Tragen un-mglich wre. Im Bereich des Raumschutzes setzen oft die Kosten und die kon-struktiven Mglichkeiten die Grenze fr den mglichen Schutz.

Wird man mit dem Problem konfrontiert, sich selbst oder einen gewissen Raum schtzen zu mssen, so ist der erste wichtige Schritt die genaue Definition der Be-drohung, gegen die der Schutz zu wirken hat. Dabei muss man sich von der Wahr-scheinlichkeit der Bedrohung leiten lassen. So sind Gebrauchskurzwaffen (gem Tabelle 1) in Europa wesentlich hufiger anzutreffen als schwere Kurzwaffen. Dies hat zur Folge, dass die Bedrohungswahrscheinlichkeit durch beispielsweise Waffen im Kaliber 9 mm Luger grer ist als durch solche im Kaliber 44 Rem. Mag. Bei den Armeewaffen wird in Deutschland das Schweizer Kaliber GP 11 wegen der geringen Verbreitung eine ausgesprochen kleine Bedrohung darstellen, ganz im Gegensatz zur Schweiz, wo es die (noch) am meisten verwendete Munition ist.

Ist einmal das Bedrohungsbild festgelegt, so darf dennoch nicht damit gerech-net werden, dass der dazu gehrende Schutz absolut sicher ist. Jeder Schutz schtzt nur mit einer gewissen, wenn auch sehr hohen Wahrscheinlichkeit. Der Grund ist einerseits darin zu suchen, dass ein festgelegtes Bedrohungsbild stets statistischer Art ist und damit Streuungen unterworfen sein wird, andererseits kom-men auch bei den Schutzmaterialien geringe Qualittsschwankungen vor.

4.2 Bedrohungswahrscheinlichkeit

Die Bedrohung durch Kurz- und Langwaffen ist stets unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten: Die Bedrohung durch das Geschoss einerseits und die rtliche Verbrei-tung und Hufigkeit des Vorkommens der betrachteten Waffen (der betreffenden Bedrohungsstrke) andererseits.

Je nach dem bei der Schutzkonstruktion verwendeten Material ist das Ma fr die Bedrohung durch die Energie des Geschosses oder durch seine Energiedichte gegeben (siehe Kap. 3). Weil es nun Dutzende verschiedener Kaliber und Hunderte

Bedrohungs- und Schutzwahrscheinlichkeit

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von Patronenarten gibt, ist es sinnvoll, die verschiedenen Waffen nach ihrem An-griffspotenzial in Klassen einzuteilen. Dabei kann man sich entweder an der Energie oder an der Energiedichte orientieren. Trgt man die Nominalenergie von 26 bli-chen Kurzwaffenkalibern auf, so ergibt sich das in der Abb. 1 dargestellte Bild. Da-raus lassen sich recht deutlich Abstufungen ersehen, und zwar bei rund 250 J, 500 J und 750 J. Oberhalb 750 J sind nur noch wenige verschiedene Kaliber vorhanden, wobei die Energie von Kaliber zu Kaliber relativ stark zunimmt.

Werden dieselben Kaliber nach zunehmender Energiedichte geordnet, so lsst sich eine analoge Einteilung machen, wobei die Sprnge allerdings etwas weniger deutlich sind (siehe Abb. 2). Abstufungen lassen sich bei 5 J/mm2, 8 J/mm2 und 11 J/mm2 vertreten.

Abb. 1. Zusammenstellung der blichsten Kurzwaffenkaliber und deren nomineller Mndungsenergien

0 250 500 750 1000 1250 1500 1750

22 kurz

6.35 Browning

22 long

32 S.&W.

22 L.R.

32 S.&W. long

7.65 Browning

9 mm Brown.kurz

9 mm Makarov

38 Spl.

7.65 Parabellum

9 mm Brown. long

44 S.&W. Spl.

9 mm Luger

22 Win. Mag.

45 Auto

38 Super Auto

9 x 21

45 Colt

7.62 x 25 Tokarev

40 S.&W.

357 SIG

10 mm Auto

357 Magnum

41 Rem. Mag.

44 Rem. Mag.

Energie [J]

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Damit sind sowohl bezglich der Energie als auch bezglich der Energiedichte fr Kurzwaffen je 4 Bedrohungsklassen definiert. Die Einordnung der verschiedenen Kaliber zu den betreffenden Klassen kann der Tabelle 2 entnommen werden.

Es ist aus ballistischer Sicht durchaus klar, aber dennoch bemerkenswert, dass einige Kaliber unterschiedlichen Klassen zugeordnet werden, je nachdem welches Kriterium betrachtet wird. Beim bergang von der Energie zur Energiedichte fallen einige grokalibrige Waffen in eine tiefere Klasse, einige kleinkalibrige eine Klasse nach oben. Den krassesten Unterschied ergibt sich bei der 22 Win. Mag., die mit moderaten 500 J Energie mit Abstand die grte Energiedichte erzeugt.

0 2.5 5 7.5 10 12.5 15 17.5 20

32 S.&W.

22 kurz

6.35 Browning

9 mm Brown. kurz

32 S.&W. long

44 S.&W. Spl.

7.65 Browning

22 long

45 Auto

9 mm Makarov

38 Spl.

22 L.R.

45 Colt

9 mm Brown. long

9 mm Luger

40 S.&W.

38 Super Auto

9 x 21

7.65 Parabellum

10 mm Auto

357 SIG

7.62 x 25 Tokarev

357 Magnum

44 Rem. Mag.

41 Rem. Mag.

22 Win. Mag.

Energiedichte [J/mm2]

Abb. 2. Zusammenstellung der blichsten Kurzwaffenkaliber und deren nomineller Mndungsenergiedichten.

Bedrohungs- und Schutzwahrscheinlichkeit

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Tabelle 2. Einteilung in Bedrohungsklassen

Bedrohungs-klasse

bezglich Energie bezglich Energiedichte

gemeinsame Kaliber

I

bis 250 J

bzw.

bis 5 J/mm2

22 kurz 22 long 22 L.R. 32 S.&W. 32 S.&W. long 6.35 Browning 7.65 Browning 9 mm Brown. kurz

22 kurz 22 long 32 S.&W. 32 S.&W. long 44 S.&W. Spl. 6.35 Browning 7.65 Browning 9 mm Brown. kurz

22 kurz 22 long 32 S.&W. 32 S.&W. long 6.35 Browning 7.65 Browning 9 mm Brown. kurz

II

bis 500 J

bzw.

bis 8 J/mm2

22 Win. Mag. 38 Spl. 44 S.&W. Spl. 45 Auto 7.65 Parabellum 9 mm Brown. long 9 mm Luger 9 mm Makarov

22 L.R. 38 Spl. 40 S&W 45 Auto 45 Colt 9 mm Brown. long 9 mm Luger 9 mm Makarov

38 Spl. 45 Auto 9 mm Brown. long 9 mm Luger 9 mm Makarov

III

bis 750 J

bzw.

bis 11 J/mm2

10 mm Auto 357 SIG 38 Super Auto 40 S &W 45 Colt 7.62 x 25 Tokarev 9 x 21

10 mm Auto 357 SIG 38 Super Auto 7.65 Parabellum 9 x 21

10 mm Auto 357 SIG 38 Super Auto 9 x 21

IV ber 750 J

bzw.

ber 11 J/mm2

357 Magnum 41 Rem. Mag. 44 Rem. Mag.

357 Magnum 41 Rem. Mag. 44 Rem. Mag. 7.62 x 25 Tokarev 22 Win. Mag.

357 Magnum 41 Rem. Mag. 44 Rem. Mag.

Die drei am hufigsten vorkommenden Kaliber sind fett gedruckt, die drei folgenden kursiv.

Es sei an dieser Stelle nochmals daran erinnert, dass fr Schutzkonstruktionen aus Glas oder glasartigen Materialien grundstzlich die Energie magebend ist, fr alle brigen Materialien jedoch die Energiedichte.

In die Beurteilung der Bedrohungswahrscheinlichkeit ist aber auch die Hufigkeit des Vorkommens der verschiedenen Kaliber einzubeziehen. Diese Hu-figkeit ist allerdings recht schwierig abzuschtzen. Um dennoch einen Richtwert zu erhalten, wurden im Waffen Digest 1999 bei rund 500 Kurzwaffen festgestellt, in welchen Kalibern sie angeboten werden. Dabei ergab sich die in Abb. 3 dargestellte Statistik prozentualer Hufigkeiten. Nur 6 Kaliber (22 L.R., 357 Magnum, 9 mm Luger, 38 Spl., 40 S.&W. und 45 Auto) erreichen Werte ber 5 %. Insgesamt werden rund zwei Drittel der aufgelisteten Waffen in diesen 6 Kalibern angeboten. Die drei ersten der genannten Kaliber kommen gar mit einer Hufigkeit von ber

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10 % vor und machen zusammen rund 45 % aller angebotenen Waffen aus. Es ist interessant, dass in jeder der oben zusammengestellten Bedrohungsklassen min-destens eines dieser hufigen Kaliber vorkommt. (Diese drei hufigsten Kaliber sind in der Tabelle 2 fett, die drei folgenden kursiv hervorgehoben).

Es liegt nun auf der Hand, in jeder Bedrohungsklasse dasjenige Kaliber als wahrscheinlichste Bedrohung auszuwhlen, das zugleich am hufigsten vorkommt. In der Klasse bis 500 J betrifft dies beispielsweise das Kaliber 9 mm Luger.

0 5 10 15 20

22 kurz

22 long

22 L.R.

22 Win. Mag.

32 S.&W.

32 S.&W. long

357 Magnum

357 SIG

38 Spl.

38 Super Auto

40 S.&W.

41 Rem. Mag.

44 Rem. Mag.

44 S.&W. Spl.

45 Auto

45 Colt

6.35 Browning

7.62 x 25 Tokarev

7.65 Browning

7.65 Parabellum

9 mm Brown. kurz

9 mm Brown. long

9 mm Makarov

9 mm Luger

9 x 21

10 mm Auto

Hufigkeit [%]

Abb. 3. Hufigkeit des Vorkommens von Kurzwaffenkalibern, basierend auf dem Handelsangebot (1999).

Bedrohungs- und Schutzwahrscheinlichkeit

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4.3 Festlegen des Angriffspotenzials

4.3.1 Kurzwaffen

Ist einmal fr eine bestimmte Klasse das Kaliber der wahrscheinlichsten Bedrohung festgelegt, taucht bereits eine weitere Frage auf, die im Folgenden am Beispiel des Kalibers 9 mm Luger untersucht wird. In den Abb. 1 und 2 wurde auf die im jeweili-gen Kaliber blichste Mndungsenergie abgestellt. Diese stellt in der Regel einen Standardwert dar, der mit gebruchlichen Lauflngen und handelsblichen Patronen erreicht wird. Soll nun ein Schutz gegen die Bedrohung 9 mm Luger ausgelegt werden, ist zu bercksichtigen, dass mit greren Lauflngen (z. B. Maschinenpi-stolen) oder speziellen Patronen oft merklich hhere Energien erzielt werden. Es gilt deshalb herauszufinden, welche Mndungsenergien (bzw. Mndungsgeschwindig-keiten) bei einer solchen Patrone berhaupt vorkommen.

Dabei darf man sich nicht auf Firmenunterlagen absttzen, da deren Angaben zumeist mit Standardlauflngen (Messlufen) ermittelt werden und so kein Bild der Geschwindigkeitsverteilung wirklicher Waffen ergeben.

Beim Zusammentragen von ber 60 Messreihen (mit je mindestens 6 Schuss) ergab sich mit 18 Patronenfabrikaten und Lauflngen zwischen 90 und 225 mm die in der Abb. 4 dargestellte Geschwindigkeitsverteilung. Diese lsst sich berra-schend gut durch eine Normalverteilung approximieren (Mittelwert 363.4 m/s, Stan-

Abb. 4. Hufigkeit der Mndungsgeschwindigkeit beim Kaliber 9 mm Luger (bei Verwendung eines 8 g Geschosses). Die graue Linie stellt die zugehrige Normalverteilung dar.

0

5

10

15

300 325 350 375 400 425 450

Geschwindigkeit [m/s]

Hu

figke

it [%

]

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dardabweichung 24.2 m/s). Wird demnach beim Kaliber 9 mm Luger mit einer Ge-schwindigkeit von 360 m/s gerechnet (ca. 520 J bei einer Geschossmasse von 8 g), so werden dadurch hchstens 50 % der vorkommenden Angriffspotenziale dieses Waffenkalibers abgedeckt. Mit einer Geschwindigkeit von 395 m/s werden bereits 90 % und mit 420 m/s 99 % der mglichen Flle erfasst.

Ein ballistischer Schutz, der fr das Kaliber 9 mm Luger bei einer Geschwin-digkeit von 420 m/s (705 J) ausgelegt ist, deckt somit 99 % der mglichen Angriffs-potenziale der (in Europa) wohl am meisten verbreiteten Kurzwaffe ab.

Dabei stellt sich sofort die Frage, weshalb nicht ein praktisch vollstndiger Schutz (z. B. 99.99%) angestrebt wird. Dies liegt einerseits darin, dass die Schutz-konstruktion mit zunehmender Schutzwahrscheinlichkeit schwerer, unhandlicher und auch teurer wird. Es ist daher stets ein Gleichgewicht zwischen Handlichkeit, Aufwand und Schutzgrad anzustreben. (Bei Schutzwesten ntzt eine hohe Schutzwahrscheinlichkeit nichts, wenn die Weste derart unbequem wird, dass sie berhaupt nicht getragen wird.) Andererseits wird im oben erwhnten Beispiel mit 420 m/s eine Energie von 705 J und eine Energiedichte von 11 J/mm2 erreicht. Dies liegt bereits weit in der nchst hheren Klasse (nach Tabelle 2) und der Schutz knnte dort als 50 oder 60 % Sicherheit angeboten werden. Damit knnte bereits der Wunsch nach einem praktisch vollstndiger Schutz in dieser Klasse auftreten, was jedoch zu noch schwereren Konstruktionen fhren wrde.

Zusammenfassend kann aus diesen Darlegungen Folgendes geschlossen wer-den:

Standardgeschwindigkeiten von Faustfeuerwaffen eignen sich wohl fr eine Klasseneinteilung der Bedrohung, fr die Festlegung des effektiven Angriffs-potenzial sind sie ungeeignet.

Bei der Festlegung der Bedrohungswahrscheinlichkeit ist das Angriffspotenzial und die Hufigkeit des Vorkommens zu bercksichtigen.

Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz.

4.3.2 Langwaffen

Bei den Langwaffen empfiehlt sich ein analoges Vorgehen. Allerdings ist es bei die-ser Waffengattung von Vorteil, sich erst ber die Verbreitung und anschlieend ber eine mgliche Klasseneinteilung Gedanken zu machen. Der Grund dafr liegt in der klaren Dominanz der Verbreitung, die durch die groe Zahl der durch die Armeen beschafften Karabiner und Sturmgewehre gegeben ist.

Bei der Betrachtung der hufigsten Kaliber und der zugehrigen ballistischen Daten (siehe Tabelle 3) drngen sich bezglich der Energie zwei Bedrohungsklas-sen auf. In der einen knnen die beiden 5.56 45 Kaliber zusammengefasst wer-den (Mndungsenergie ca.1700 J), wobei zugleich auch die 5.45 39 Kalashnikov abgedeckt wird. Die andere umfasst die so genannten 30er-Kaliber (7.62 mm), de-

Bedrohungs- und Schutzwahrscheinlichkeit

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ren Mndungsenergie zwischen 3000 und 3500 J liegt und zu denen auch die Schweizer Patrone GP 11 gezhlt werden kann. Es ist bemerkenswert, dass bezg-lich der Energiedichte die beiden Klassen (5.56 mm und 7.62 mm) sogar zusam-mengelegt werden knnen. In beiden Fllen betrgt sie rund 70 J/mm2. Auf Grund der auerordentlich groen Hufigkeit dieser Waffen ist es nicht verwunderlich, dass sich zwei entsprechende Klassen im Bedrohungskatalog durchschusshem-mender Objekte etablieren konnten.

Nicht zuletzt aus historischen Grnden kommt dem Kaliber 7.62 39 Kalashni-kov spezielle Aufmerksamkeit zu. Einerseits stellt es bezglich Energie und Ener-giedichte innerhalb der Kaliber in Tabelle 3 einen Sonderfall dar. Andererseits war es bis vor kurzer Zeit in den westlichen Lndern vergleichsweise nur sehr wenig ver-treten, weshalb es in den entsprechenden Bedrohungslisten bisher nicht erschien. Da es aber mit geschtzten 100 Millionen Waffen das wohl verbreitetste Kaliber der Welt ist, hat sich dies in der Zwischenzeit gendert, und die Kalashnikov wird neu-erdings gebhrend bercksichtigt.

Fr eine allgemeine Analyse der Bedrohung durch Langwaffen gengt aller-dings die Hufigkeit des Auftretens nicht. Ein Blick auf die Zusammenstellung der entsprechenden ballistischen Mndungsdaten einiger Jagdkaliber (Tabelle 4) zeigt, dass wohl deren Vorkommen relativ selten, die Strke der Bedrohung jedoch umso grer ist.

In der Tat sind die Mndungsenergien im gleichen Kaliberbereich rund 50 % grer, was sich natrlich entsprechend auch auf die Energiedichten auswirkt. Es empfiehlt sich daher, zumindest eines der strkeren Jagdkaliber (z. B. 8 68 S oder 7 mm Rem. Mag.) in einem Bedrohungskatalog der Langwaffen zu bercksichtigen. Ein Blick auf die Zahlenwerte in den beiden Tabellen 3 und 4 macht jedoch sofort klar, dass dies nur mit einer eigenen Bedrohungsklasse erfolgen kann.

Tabelle 3. Energie und Energiedichte der hufigsten Armeewaffen.

Kaliber Energie Energiedichte

[J] [J/mm2]

5.4539 mm Kalaschnikow 1400 60.0

5.5645 mm Remington 1660 68.4

5.5645 mm NATO 1690 69.6

7.6239 mm Kalaschnikow 1960 43.0

7.6251 mm NATO 3270 71.7

7.5 mm GP 11 3180 71.9

30-06 (7.6263 mm) 3400 74.5

7.6254R 3840 84.2

7.92 mm Mauser 4010 81.4

Ballistischer Schutz

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4.4 Schutzwahrscheinlichkeit

4.4.1 Allgemeines

Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen mssen nicht nur bei der Bedrohung, sondern auch beim Schutz angestellt werden. Gemeinhin wird angenommen, dass ein Schutzaufbau einem bestimmten Angriff entweder standhlt oder nicht. In der Praxis zeigt sich jedoch ein anderes Bild.

Wird beispielsweise eine Schutzkonstruktion mit stetig steigender Geschwin-digkeit beschossen, so wird vorerst das Geschoss aufgehalten, dann aber einmal eine Geschwindigkeit erreicht, bei der das Material erstmals durchschossen wird. Bei noch hherer Auftreffgeschwindigkeit kann aber das Geschoss durchaus wieder gestoppt werden. Insgesamt ergibt sich stets ein Geschwindigkeitsbereich, in dem sich Nicht-Durchschsse und Durchschsse berlappen. Abb. 5 zeigt ein realisti-sches Bild einer Serie von 26 Schuss gegen ein leichtes Schutzwestenpaneel.

Tabelle 4. Energie und Energiedichte typischer Jagdwaffenkaliber.

Kaliber Energie Energiedichte

[J] [J/mm2]

5.657 mm 2600 105.4

6 mm Remington 3030 107.3

6.557R 3060 92.2

7 mm Remington 4800 124.8

868S 5690 113.3

350 360 370 380 390 400 410 420 430 440 450

Auftreffgeschwindigkeit [m/s]

Abb. 5. Resultat einer realistischen Prfung eines Schutzwestenpaneels mit 26 Schssen. Die Einteilung in Klassen der Breite 5 m/s ist bereits angedeutet.

durchschossen

gestoppt

Bedrohungs- und Schutzwahrscheinlichkeit

13

Unterhalb von 390 m/s wurden alle Schsse gestoppt, oberhalb von 430 m/s durchschlugen alle das Paneel. Werden die Geschwindigkeiten dazwischen in Ab-schnitte von beispielsweise 5 m/s eingeteilt (statistisch gesehen wird eine Klas-seneinteilung vorgenommen), so kann das Geschoss in jedem Abschnitt (Klasse) sowohl gestoppt werden, als auch einen Durchschuss erzeugen.

In jeder Klasse lsst sich nun die relative Durchschusshufigkeit berechnen und aufzeichnen. Dabei ergibt sich die in der Abb. 6 dargestellte Situation. Man kann nun zeigen, dass sich bei sehr viel mehr Schssen diese Durchschusshufigkeit nach und nach einer theoretischen Kurve nhert, die durch die so genannte Gausssche Normalverteilung vorgegeben ist (ausgezogene Linie in Abb. 6). Diese Kurve stellt die Durchschusswahrscheinlichkeit in Abhngigkeit der Auftreffge-schwindigkeit des betreffenden Paneels dar.

Da Durchschieen und Stoppen sich gegenseitig ausschlieen, kann aus der Durchschusswahrscheinlichkeit durch Ergnzung auf 1 (bzw. 100 %) die Stopp- oder Schutzwahrscheinlichkeit bestimmt werden. (Bei einer Durchschusswahr-scheinlichkeit von 0.15 bzw. 15 % ist die Schutzwahrscheinlichkeit entsprechend 0.85 bzw. 85 %). Die Kurve der Schutzwahrscheinlichkeit des betrachteten Schutz-westenpaneels ist in Abb. 7 dargestellt.

Jeder ballistische Schutz sei es ein durchschusshemmendes Glas, eine Schutzweste oder ein Stahlblech besitzt eine entsprechende Schutzwahrschein-lichkeit. Je nach Art und Beschaffenheit des Materials verluft die Kurve steiler oder flacher. Homogene und genau definierte Materialien (z. B. Stahl) weisen in der Re-gel steilere, stark strukturierte Materialien wie Gewebe eher flachere Verlufe auf.

Abb. 6. Relative Durchschusshufigkeiten gem den Resultaten von Abb. 5 (schwarze Punkte) und die Kurve der zugehrigen Durchschuss-wahrscheinlichkeit. Das Dreieck bezeichnet die v50.

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

360 380 400 420 440 460

Geschwindigkeit [m/s]

Dur

chsc

huw

ahrs

chei

nlic

hkei

t

Ballistischer Schutz

14

Da die Kurven der Durchschuss- und der Schutzwahrscheinlichkeit einer Normal-verteilung folgen, lassen sich ohne weiteres einige wichtige und interessante Daten berechnen und angeben. So ist die mittlere Durchschussgeschwindigkeit (die so ge-nannte v50) ein wichtige Zahl bei der Beurteilung einer Schutzvorrichtung. Es ist die-jenige Auftreffgeschwindigkeit, bei der noch mit 50 % Durchschssen gerechnet werden muss. Entsprechend knnen aber auch v1 oder v0.1 (Geschwindigkeiten, bei der 1 % bzw. 0.1% Durchschsse zu erwarten sind) angegeben werden. v0.1 be-deutet eine Schutzwahrscheinlichkeit von 99.9%, d. h. bei dieser Geschwindigkeit ist im Mittel auf 1000 Schuss mit einem Durchschuss zu rechnen.

4.4.2 Schutzwahrscheinlichkeit und Angriffspotenzial

In Abschnitt 4.3 wurde vom Angriffspotenzial gesprochen und am Beispiel des Kalibers 9 mm Luger gezeigt, dass bei Zusammenfassung aller Waffen- und Muni-tionsauslegungen in diesem Kaliber die Verteilung der Mndungsgeschwindigkeiten (und damit auch der Mndungsenergie und der Energiedichte) angenhert eine Normalverteilung darstellt. Daraus lsst sich eine Summenkurve konstruieren (siehe Abb. 8), aus der fr eine bestimmte Geschwindigkeit abgelesen werden kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit man mit einer hheren Energie noch bedroht werden kann (bei Verwendung eines 8 g Geschoss Vollmantelgeschosses). So werden bei-spielsweise mit einer Geschwindigkeit von 405 m/s (weier Kreis in Abb. 8) rund 95 % aller vorkommenden Geschwindigkeiten der 9 mm Luger erfasst. Dies bedeu-tet, dass etwa 5 % der vorkommenden Waffen-Munitionskombinationen in diesem Kaliber eine hhere Geschwindigkeit erzielen.

Abb. 7. Die zu Abb. 5 und 6 gehrende Kurve der Schutzwahrscheinlichkeit.

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

360 380 400 420 440 460

Geschwindigkeit [m/s]

Schu

tzw

ahrs

chei

nlic

hkei

t

Bedrohungs- und Schutzwahrscheinlichkeit

15

Dies lsst sich nun mit der Schutzwahrscheinlichkeit in Verbindung bringen. Zu diesem Zweck zeigt Abb. 9 die Schutzwahrscheinlichkeit eines ballistischen Schut-zes, dessen mittlere Durchschussgeschwindigkeit (v50) 430 m/s und die Streuung (Standardabweichung) 15 m/s betrgt. Eine 95 %-ige Sicherheit wird dabei bei einer Angriffsgeschwindigkeit von 405 m/s erzielt. Diese (oder kleinere) Geschwindigkei-

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

350 375 400 425 450 475 500

Geschwindigkeit [m/s]

Schu

tzw

ahrs

chei

nlic

hkei

t [%

]

Abb. 9. Schutzwahrscheinlichkeit eines ballistischen Schutzes mit v50 = 440 m/s und einer Streuung (Standardabweichung) von 15 m/s.

Abb. 8. Verteilung der Mndungsgeschwindigkeiten im Kaliber 9 mm Luger und die zugehrige Normalverteilungskurve.

0

5

10

15

300 325 350 375 400 425 450

Geschwindigkeit [m/s]

Hu

figke

it [%

]

0

0.1

0.2

0.3

0.4

0.5

0.6

0.7

0.8

0.9

1

Erfa

ssun

gsw

ahrs

chei

nlic

hkei

t

Ballistischer Schutz

16

ten erbringen jedoch gem Abb. 8 (gestrichelter Pfeil) hchstens 95 % der mgli-chen vorkommenden Waffen in diesem Kaliber. Gegen 5 % ist die erwartete Sicher-heit nicht gewhrleistet.

An dieser Stelle seien einige Bemerkungen zum Wahrscheinlichkeitsbegriff eingeschoben. Tritt bei einem Ereignis (z. B. Schuss auf eine Schutzplatte) ein bestimmtes Merkmal (z. B. das Durchschieen dieser Schutzplatte) nie ein, so ist die Wahrscheinlichkeit des Merkmales 0. Null bedeutet in diesem Fall wirklich nie. Wrde beispielsweise jene Plattenkonstruktion bei einer Million Schssen ein einziges Mal durchschossen, wre die Durchschusswahrscheinlichkeit bereits nicht mehr 0 sondern etwa ein Millionstel oder 0.000001. Tritt hingegen ein Merkmal immer ein, so ist seine Wahrscheinlichkeit 1 (oder auch 100 %).

Sind zwei Ereignisse voneinander unabhngig, so lassen sich die Wahrscheinlichkeiten ih-rer Merkmale miteinander multiplizieren. Bei zwei entgegengesetzten Merkmalen (z. B. durch-schieen und nicht-durchschieen) ergnzen sich die Wahrscheinlichkeiten zu 1 bzw. zu 100 %. Hat beispielsweise ein ballistischer Schutz eine Durchschusswahrscheinlichkeit von 8 % so ist die entsprechende Schutzwahrscheinlichkeit (NichtDurchschusswahrscheinlichkeit) 92 %.

Mit diesen Regeln lsst sich nun fr eine gegebene Angriffsgeschwindigkeit die allgemeine Durchschusswahrscheinlichkeit eines ballistischen Schutzes unter Bercksichtigung des An-griffspotenzials bestimmen. Sie ergibt sich nmlich aus dem Produkt der Durchschusswahr-scheinlichkeit des Schutzes und der Wahrscheinlichkeit, dass der Angriff mit einer hheren Ge-schwindigkeit als die betrachtete ausgefhrt wird. Ergnzt man die so erhaltene Durchschuss-wahrscheinlichkeit zu 1 (bzw. zu 100 %), so ergibt sich die dem ballistischen Schutz entspre-chende effektive Schutzwahrscheinlichkeit, die die ballistischen Mglichkeiten des zu Grunde gelegten Angriffskalibers bercksichtigt.

In der Abb. 10 sind die Schutzwahrscheinlichkeiten von zwei ballistischen Schutz-konstruktionen dargestellt, die bezglich des Kalibers 9 mm Luger (VMR) eine mitt-lere Durchschussgeschwindigkeit (v50) von 400 m/s bzw. 430 m/s bei einer Streuung von 15 m/s aufweisen. Daraus lassen sich zwei Dinge ersehen:

Abb. 10. Schutzwahrscheinlichkeit von ballistischem Schutz mit einer v50 von 400 m/s bzw. 430 m/s. Bei beiden betrgt die Standardabweichung 15 m/s.

95

96

97

98

99

100

300 350 400 450 500 Angriffsgeschwindigkeit [m/s]

Schu

tzw

ahrs

chei

nlic

hkei

t [%

]

v50 = 430 m/s

v50 = 400 m/s

Bedrohungs- und Schutzwahrscheinlichkeit

17

Die Schutzwahrscheinlichkeit hat ein Minimum bei einer Angriffsgeschwindig-keit, die etwas unterhalb der v50 liegt.

Die Schutzwahrscheinlichkeit steigt mit zunehmender v50 rasch an.

In dem dargestellten Beispiel betrgt die Schutzwahrscheinlichkeit bei einer v50 von 400 m/s rund 95.7 %, bei 430 m/s bereits rund 99.6 %. Dies bedeutet, dass bei 1000 Schuss gegen diese Schutzkonstruktion im ersten Fall im Mittel mit 43, im zweiten Fall mit 4 Durchschssen zu rechnen ist. Auch wenn im zweiten Fall der Schutz wesentlich besser ist als im Ersten, stellt sich sofort die Frage, ob man sich einem solchen Schutz wirklich anvertrauen knnte.

Damit sind wir bei dem fr Schutzfragen uerst wichtigen Problem angelangt, welche Schutzwahrscheinlichkeit berhaupt vorausgesetzt werden soll. Geht es um den Schutz von Menschen, sind Risikofaktoren von 1 zu 100000 (= 105) bis 1 zu 1'000000 (= 106) blich, was bedeutet, dass auf 100000 bzw. 1000'000 Ereig-nisse ein fatales Ereignis (d. h. ein Durchschuss des Schutzes) in Kauf genommen wird.

Da die Verteilung des Angriffspotenzials und bei gegebener mittlerer Durch-schusswahrscheinlichkeit und Streuung eines ballistischen Schutzes die Schutz-wahrscheinlichkeit bekannt sind, lsst sich fr die obigen Risikofaktoren der Zusam-menhang zwischen mittlerer Durchschussgeschwindigkeit und zulssiger Angriffs-geschwindigkeit berechnen. Die Ergebnisse einer solchen Rechnung sind in der Abb. 11 dargestellt. Aus dieser Grafik lassen sich Zusammenhnge ablesen, wie sie in den folgenden Beispielen illustriert sind:

Abb. 11. Beziehung zwischen mittlerer Durchschussgeschwindigkeit und Angriffsge-schwindigkeit fr verschiedene Schutzwahrscheinlichkeiten w. (s bedeutet die Standardabweichung des ballistischen Schutzes.)

200

250

300

350

400

450

300 350 400 450 500

v50, mittlere Durchschussgeschwindigkeit [m/s]

Ang

riffs

gesc

hwin

digk

eit [

m/s

]

w = 106

w = 105

w = 104 (s = 15 m/s)

(s = 22.5 m/s) w = 106

Ballistischer Schutz

18

Beispiel 1: Es liege ein ballistischer Schutz vor, dessen v50 440 m/s und die Streuung 15 m/s betrage). Aus Abb. 11 (gepunktete Linie) lsst sich herausle-sen, dass dieser Schutz bis zu einer Angriffsgeschwindigkeit von 380 m/s eine Schutzwahrscheinlichkeit w von 105 (100000 zu 1) oder mehr bietet. Fr h-here Geschwindigkeiten sinkt der Schutzgrad recht schnell ab (pro 10 m/s un-gefhr um das 10-fache).

Beispiel 2: Man mchte einen ballistischen Schutz, der bei einer Angriffsge-schwindigkeit von 410 m/s eine Schutzwahrscheinlichkeit von 106 (1'000'000 zu 1) bietet. Nach Abb. 11 (gestrichelte Linie) ist fr einen derartigen Schutz eine mittlere Durchschussgeschwindigkeit von rund 470 m/s (bei einer Streuung von 15 m/s) erforderlich.

Es bedarf noch einer Begrndung, weshalb bei allen Beispielen groen Wert auf die Standard-abweichung (Streuung) des ballistischen Schutzes bezglich der Durchschussgeschwindigkeit gelegt wurde. In der Tat spielt diese Streuung bei der Schutzwahrscheinlichkeit eine entschei-dende Rolle. Nimmt sie beispielsweise um 50 % auf 22.5 m/s zu, so wirkt der ballistische Schutz im Beispiel 1 bei gleich bleibender Schutzwahrscheinlichkeit nur noch bis rund 340 m/s. Im Beispiel 2 msste zum Erreichen des gleichen Schutzfaktors die mittlere Durchschussge-schwindigkeit auf ca. 500 m/s erhht werden.

Der Einfluss der Streuung (Standardabweichung) der Durchschussgeschwindigkeit lsst sich am besten anhand eines realen Beispiels darstellen. In der Abb. 12 sind die Schutzwahrscheinlichkeiten eines ballistischen Schutzes mit einer mittleren Durchschussgeschwindigkeit (v50) von 480 m/s fr die beiden Streuungen 15 m/s und 22.5 m/s dargestellt. Die massive Verschlechterung, die sich bei Vergrerung der Streuung ergibt, ist deutlich ersichtlich.

Abb. 12. Einfluss der Streuung (Standardabweichung) der Durchschussgeschwindig-keit auf die Schutzwahrscheinlichkeit. Die mittlere Durchschussgeschwin-digkeit (v50) betrgt 480 m/s.

99.993

99.994

99.995

99.996

99.997

99.998

99.999

100

300 350 400 450 500

Angriffsgeschwindigkeit [m/s]

Schu

tzw

ahrs

chei

nlic

hkei

t [%

]

s = 15 m/s

s = 22.5 m/s

Prfung von ballistischem Schutz

19

Zusammenfassend lsst sich Folgendes festhalten:

Die mittlere Durchschussgeschwindigkeit eines ballistischen Schutzes muss deutlich ber der zu erwartenden Angriffsgeschwindigkeit liegen, wenn eine hohe Schutzwahrscheinlichkeit erreicht werden soll.

Die Streuung der Durchschussgeschwindigkeit ist ein Qualittsmerkmal des Schutzes. Sie sollte so klein wie mglich sein.

Analoge Untersuchungen und berlegungen lassen sich selbstverstndlich fr alle Kaliber durchfhren.

5 Prfung von ballistischem Schutz

5.1 Allgemeines

Auf den ersten Blick scheint es nichts leichteres, als eine Schutzeinrichtung prak-tisch zu prfen: Man stellt sie auf, schiet darauf und schaut nach, ob das Geschoss den Schutz durchdrungen hat oder nicht. Doch so einfach geht es nicht, und ohne gewisse Vorschriften kann keine korrekte Prfung durchgefhrt werden. Eine Pr-fung gibt nmlich nur dann einen Sinn, wenn bei gleichem Prfobjekt jede Wieder-holung das gleiche Resultat liefert und wenn jedes Prfinstitut zum gleichen Schluss kommt.

Wird beispielsweise ein durchschusshemmendes Glas einmal hart und einmal weich im Rahmen eingespannt, so kann es das eine Mal das Geschoss stoppen, das andere Mal hingegen durchschossen werden.

Beschussprfungen finden daher stets unter idealisierten Bedingungen statt. Ge-schosstyp und Geschwindigkeit sind genau bekannt, das Prfobjekt ist auf einem definierten Zielaufbau aufgebaut, gewisse Umgebungsbedingungen wie Temperatur und Feuchtigkeit mssen gem den Vorgaben einer Norm oder Richtlinie einge-halten werden. Solche Festlegungen sind unbedingt ntig, damit eine der wichtigs-ten Forderungen an eine Prfung die Wiederholbarkeit erfllt ist.

Prfungen sind deshalb nicht in erster Linie dazu da, die Wirklichkeit nachzu-bilden, sondern verschiedene Produkte unter gleichen Bedingungen und gegenber einem vorgegebenen Standard zu vergleichen. Dass dieser Standard sich an der Wirklichkeit (d. h. am effektiven Angriffspotenzial) orientieren muss, ist selbstver-stndlich und im Kapitel 4 dargelegt worden. Eine direkte Umsetzung der Prfre-sultate auf die Wirklichkeit ist allerdings nur bedingt mglich.

Im Hinblick auf die reale Anwendung der Prfobjekte ist es hingegen wichtig, die so genannte Empfindlichkeit der Prfbedingungen genau zu kennen. Eine Prf-bedingung heit empfindlich (oder sensitiv), wenn sie durch eine geringfgigen n-derung bereits ein wesentlich anderes Prfresultat erzeugt.

Ballistischer Schutz

20

Wrde beispielsweise ein Kunststoffglas bei einer Temperatur von 15 C durchschusssicher sein, bei 12 C unter sonst gleichen Bedingungen bereits einen Durchschuss ergeben, so wre in diesem Falle die Temperatur eine sensitive Prfbedingung.

Geringfgige nderungen der Prfbedingungen sollten stets nur geringfgige nde-rungen im Testergebnis erwarten lassen. Die Reproduzierbarkeit von Prfungen knnte sonst sehr schwierig werden.

5.2 Regelwerke

5.2.1 Definition, Arten von Regelwerken

Unter dem Begriff Regelwerk werden Vorschriften zusammengefasst, die die Durchfhrung von Prfungen und die Beurteilung von Prfresultaten festlegen. Re-gelwerke lassen sich grundstzlich in zwei Gruppen einteilen:

Normen sind gesetzlich verankert und staatlich anerkannt. Sie werden von den staatlichen oder staatlich anerkannten Normeninstituten erlassen. Ihre Anwendung ist oft verbindlich.

Richtlinien sind nicht gesetzlich verankert. Es sind Prfanweisungen, die von ffentlichen oder privaten Institutionen aufgestellt werden, um eine einheitliche Prfung bestimmter Objekte zu erreichen.

Typische Beispiele von Normen sind die Regelwerke des Deutschen Instituts fr Normung (DIN), des sterreichischen Normungsinstitut (norm) oder der Schwei-zerischen Normenvereinigung (SNV). Richtlinien tauchen meist als Vorgaben fr die Beschaffung von Ausrstungen (z.B. fr Armee oder Polizei) auf. Als Beispiel lassen sich hier die STANAGRichtlinien der NATO oder die Richtlinien der deutschen Po-lizeifhrungsakademie (PFA) in Mnster (Westfalen) anfhren.

Ein Regelwerk kann nach zwei verschiedenen Grundprinzipien aufgestellt wer-den. Entweder orientiert es sich am Angriffspotenzial (angrifforientiertes Regelwerk) oder aber am mglichen Schutz (schutzorientiertes Regelwerk).

5.2.2 Angrifforientierte Regelwerke

In einem angrifforientierten Regelwerk wird blicherweise ein bestimmtes An-griffspotenzial spezifiziert, basierend auf berlegungen, wie sie im Kapitel 4 be-schrieben worden sind (Hufigkeit des Vorkommens gewisser Waffen usw.). Die zu prfenden Objekte werden dann mit der als Angriffspotenzial definierten Waffe und Munition geprft. Die Bemessung der Konstruktion richtet sich nur nach dem be-treffenden Kaliber (eingeschlossen die Geschossart), das auch die so genannte Schutzklasse festlegt.

Prfung von ballistischem Schutz

21

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass bei Glsern (und glasartigen Stoffen wie z. B. Keramik) primr die Energie eines Geschosses fr den Durchschuss ver-antwortlich ist, bei allen brigen Stoffen hingegen die Energiedichte. Ein Blick auf Tabelle 5 zeigt, dass dadurch in speziellen Fllen bei einem angrifforientierten Regelwerk uneinheitliche Konstruktionen entstehen.

Geschosse mit hnlicher Energie knnen groe Unterschiede bezglich der Energiedichte auf-weisen (vgl. 44 Rem. Mag. und 5.56 mm NATO). Umgekehrt gibt es Geschosse mit praktisch gleicher Energiedichte, deren Energie weit auseinander liegen (vgl. 9 mm Luger mit der Flinte im Kaliber 12/70 oder auch 5.56 mm NATO und 7.62 mm NATO).

Ein kombiniertes Bauelement (z. B. eine durchschusshemmende Tr mit Glas), die gegen das Kaliber 9 mm Luger ausgelegt wird, bentigt rund um das Fenster einen Aufbau, der zugleich auch gegen Flinten schtzen wrde. Das Fenster hlt jedoch dem Flintenlaufgeschoss nicht stand. Wird andererseits die Tr gegen das Flintenlaufgeschoss ausgelegt, so schtzt das Glas auch gegen die 357 Magnum und 44 Rem. Mag., die Konstruktion um das Fenster hingegen nur gegen 9 mm Lu-ger.

Objekte, die sowohl Glser als auch andere Materialien enthalten und die nach einem angrifforientierten Regelwerk geprft werden, sind stets in einem Teil berdi-mensioniert.

Dieses Problem kann mit dem Konzept der schutzorientieren Regelwerke ver-mieden werden.

Tabelle 5. bliche Kaliber fr Beschusstests.

Waffenart Kaliber Geschoss-masse

Energie Energiedichte

[g] [J] [J/mm2]

Kurzwaffen 9 mm Luger 8.0 670 10.5

357 Magnum 10.2 940 14.8

44 Rem. Mag. 15.5 1500 15.2

Langwaffen 5.56 mm NATO 4.0 1750 72.8

Armeen 7.62 mm NATO 9.5 3270 71.8

7.5 mm GP 11 11.3 3440 76.8

Langwaffen 7 mm Rem. Magnum 10.5 4840 125.7

Jagd 8 x 68S 12.7 5375 106.9

Flinten 12/70 31.4 2860 10.6

Ballistischer Schutz

22

5.2.3 Schutzorientierte Regelwerke

Mit dieser Art Regelwerk wird in erster Linie Homogenitt in der Schutzkonstruktion angestrebt. Die Bemessung erfolgt dabei im Grunde genommen fr eine bestimmte Energie und fr eine bestimmte Energiedichte, die in der Regel nicht beide mit dem gleichen Kaliber geprft werden knnen. Die Klasseneinteilung richtet sich in die-sem Falle nach dem Aufbau und dem Gewicht der Konstruktion. So knnen bei-spielsweise leichte, mittlere und schwere Konstruktionen unterschieden werden.

Schutzorientierte Regelwerke lassen sich daran erkennen, dass in den einzel-nen Schutzklassen (die einer bestimmten Konstruktion entsprechen) mehrere Kali-ber und Geschossarten aufgefhrt sind. Typische Vertreter dieser Art sind die ame-rikanischen NIJNormen fr die Prfung von Geschossschutzwesten und die fran-zsischen Normen fr durchschusshemmende Tren, Fenster und Fassaden.

Die meisten Regelwerke sind nach dem angrifforientierten Prinzip aufgebaut, da dieses wesent-lich einfachere Prfablufe erlaubt. Wegen der (wichtigen!) Forderung, dass jede Schutzklasse die darunter liegenden mit einzuschlieen hat, ergibt sich allerdings auch dabei gelegentlich die Notwendigkeit, in gewissen Schutzklassen mehr als ein Kaliber aufzufhren.

So fhrt beispielsweise die europische Glasnorm die beiden Kaliber 5.56 45 und 7.62 51 (zu recht) in unterschiedlichen Klassen (B 5 bzw. B 6), da sich die beiden in der Ener-gie deutlich unterscheiden (siehe Tabelle 5). In der Prfnorm fr Fensterrahmen hingegen muss die hhere Klasse (FB 6, die der Glasnorm Klasse B 6 entspricht) beide Kaliber enthalten, da das kleinere Kaliber (5.56 45) die grere Energiedichte aufweist (Tabelle 5) und somit fr den Rahmen das strkere Angriffspotenzial darstellt.

5.3 Prfmethoden

5.3.1 Mglichkeiten von Prfmethoden

Eine entscheidendes Problem bei der Festlegung von Normen und Richtlinien ist die Bestimmung der Prfmethode, mit der der entsprechende ballistische Schutz ge-prft werden soll. Auf Grund der frher bereits besprochenen Kurve der Durch-schusswahrscheinlichkeit (siehe Abb. 13) stehen fr die Prfmethode grundstzlich zwei Mglichkeiten offen:

1 Prfen einer festgelegten, minimalen mittleren Durchschussgeschwindigkeit (der so genannten v50, Punkt 1 in Abb. 13)

2 Prfen bei einer festgelegten Angriffsgeschwindigkeit, bei der von einer be-stimmten Anzahl Schssen keiner den Schutz durchdringen darf (Punkt 2 in Abbildung 1).

Bei der ersten Prfmethode wird eine Anzahl Schsse mit unterschiedlicher Ge-schwindigkeit gegen den Schutz geschossen (in der Regel zwischen 10 und 20) von denen ungefhr die Hlfte den Schutz zu durchdringen hat, die restlichen hingegen gestoppt werden mssen. Der gesamte Geschwindigkeitsbereich aller Schsse darf

Prfung von ballistischem Schutz

23

ein bestimmten Ma nicht berschreiten. Aus der Anzahl und der Geschwindigkeit der Durchschsse und der Anzahl und der Geschwindigkeit der gestoppten Schsse lsst sich durch eine statistischen Auswertung die mittlere Durchschussge-schwindigkeit (v50) und mit verbesserten Methoden auch die Standardabwei-chung (Streuung) der Durchschussgeschwindigkeit bestimmen. Eine derartige Pr-fung gibt in ausgezeichneter Weise Auskunft ber einen ballistischen Schutz, da sie nicht nur die Durchschusssicherheit, sondern auch die Fertigungsgte (Fabrikations-streuung) des Produktes offen legt.

Beim Anwender von Krperschutz ist diese Prfungsart und die entsprechende Angabe der v50 oft nicht sehr beliebt, da eben von Durchschuss und nicht von Schutz gesprochen wird. Sie ist mglicherweise aus diesem Grund (noch) nicht sehr verbreitet. Mit Hilfe der erwhnten verbesserten Auswertemethode lsst sich allerdings nicht nur die v50, sondern auch jene Geschwindigkeit bestimmen, die ei-ner allgemein tolerierten Durchschusswahrscheinlichkeit entspricht (105 bis 106).

Ein Regelwerk, das mit der mittleren Durchschussgeschwindigkeit v50 arbeitet, ist der NATO-Standard fr die Prfung von Splitterschutz (Westen und Helme).

Die zweite erwhnte Prfmethode verluft normalerweise so, dass eine bestimmte Anzahl Schsse (blich sind 5 bis 10) gegen den Schutz geschossen werden, wobei die Prfgeschwindigkeit mglichst genau einzuhalten ist. Werden alle Schsse ge-stoppt, hat der Schutz die Prfung bestanden, ergibt sich ein Durchschuss, so ist der Schutz durchgefallen. Diese Methode kann in erster Linie dort angewendet wer-

Abb. 13. Typischer Verlauf der Durchschusswahrscheinlichkeit eines ballistischen Schutzes. Mgliche Prfgeschwindigkeiten sind: die mittlere Durch-schussgeschwindigkeit (v50, Punkt 1) und eine Geschwindigkeit, die eine gengend hohe Schutzsicherheit verspricht (Punkt 2).

0

0.1

0.2

0.3

0.4

0.5

0.6

0.7

0.8

0.9

1

v50Geschwindigkeit [m/s]

Dur

chsc

huw

ahrs

chei

nlic

hkei

t [-]

1

2

Ballistischer Schutz

24

den, wo die Streuung der Durchschussgeschwindigkeiten sehr klein ist. Dies be-deutet, dass zwischen den Geschwindigkeiten bei denen mit groer Wahrschein-lichkeit kein Durchschuss erzielt wird, und den Geschwindigkeiten, bei denen der Schutz fast immer durchschossen wird, nur ein kleiner Unterschied besteht. Bei sol-chen Materialien kommt es praktisch nie vor, dass bei einer bestimmten Geschoss-geschwindigkeit sowohl Durchschsse als auch NichtDurchschsse auftreten.

Solche Eigenschaften besitzen vor allem physikalisch gut definierbare Werkstoffe, wie z. B. Stahl und Aluminium. Ein grenzgngiges Verhalten ist dabei sofort ersichtlich, sodass die Gte des Schutzes zumindest qualitativ beurteilt werden kann.

Geschossschutzwesten werden nach den geltenden Normen und Richtlinien wohl nicht zuletzt wegen den erwhnten psychologischen Grnden ebenfalls nach der zweiten Prfmethode getestet. Dabei werden je nach Regelwerk 5 bis 6 Schsse gegen das Schutzpaket geschossen. Allerdings ist es recht problematisch, aus die-ser geringen Schusszahl auf eine (bliche) Schutzsicherheit von etwa 105 bis 106 zu schlieen. Dieses Problem verschrft sich natrlich mit dem Trend, bei gleich blei-bender Testprozedur den Tragkomfort zu erhhen und entsprechend das Gewicht zu reduzieren. Es ist daher durchaus am Platz, bei Geschossschutzwesten von Zeit zu Zeit nach der ersten Methode eine Typenprfung durchzufhren.

5.3.2 Bestimmung der mittleren Durchschussgeschwindigkeit und Streuung

Fr die Bestimmung der mittleren Durchschussgeschwindigkeit (v50) existiert ein ge-normtes Verfahren (nach STANAG 2920), das allerdings zwei markante Nachteile besitzt:

Die Schtzung der v50 beruht auf einer Schtzung des Medians. Informationen ber die Streuung der Durchschussgeschwindigkeit (und damit ber die Qua-litt des getesteten Produktes) sind keine erhltlich.

Bei diesem Verfahren muss die Spannweite der Geschwindigkeit der Prf-schsse eingeschrnkt werden. Bei der Auswertung knnen dadurch oft nicht alle Prfschsse bercksichtigt werden, wodurch auch Information verloren geht.

Mit einem verbesserten statistischen Verfahren knnen hingegen ohne wesentlichen Mehraufwand die mittlere Durchschussgeschwindigkeit (v50 = vm) direkt und zugleich die Streuung (Standardabweichung) geschtzt werden.

Das Verfahren beruht auf der Tatsache, dass fr eine gegebene Wahrschein-lichkeitsfunktion p(v) die folgenden zwei Beziehungen gelten:

(5.1) dv)v(pvvm

Prfung von ballistischem Schutz

25

(5.2) dv)v(p)vv( 2m2

Dabei stellt die Wahrscheinlichkeitsfunktion p(v) die Ableitung der Durchschuss-wahrscheinlichkeitsfunktion (vgl. dazu Abb. 13) dar.

Prfungen werden stets mit einer endlichen Anzahl von Ereignissen (Schssen) durchgefhrt. Die beiden Beziehungen (5.1) und (5.2) sind daher zu diskretisieren und die Wahrscheinlichkeitsfunktion p(v) ist zu schtzen.

Dies geschieht durch Einteilen der Geschwindigkeit in Klassen, in denen die Wahrscheinlichkeitsfunktion durch die relative Hufigkeit fk geschtzt werden kann. Wird die Klassenmitte mit vk bezeichnet, so ergeben sich aus (5.1) und (5.2) die fol-genden Beziehungen (vm = v50):

(5.3) kkm fvv

(5.4) k2mk2 f)vv(s

In den einzelnen Klassen resultieren aus den Versuchsresultaten jedoch Durch-schusshufigkeiten, sodass zur Bestimmung von fk (als Schtzung der Wahrschein-lichkeitsfunktion) noch eine Differenzbildung erforderlich wird. Bezeichnet man die relative Durchschusshufigkeit in der k-ten Klasse mit Fk und die Klassenmitte mit v*k, so ergeben sich fr fk und vk die folgenden Beziehungen:

(5.5) k1kkk FFFf

(5.6) )vv(v k1k21

k

Der Bereich der Geschwindigkeitsklassen kann in drei Abschnitte eingeteilt werden:

Abschnitt 1: nur gestoppte Schsse (Fk = 0), Abschnitt 2: sowohl Durchschsse als auch gestoppte Schsse (0 Fk 1), Abschnitt 3: nur Durchschsse (Fk = 1).

Fr eine korrekte Auswertung mssen folgende Bedingungen eingehalten werden:

Die minimale Anzahl Schsse sollte 16 betragen (besser 20 bis 30) Keiner der drei Abschnitte darf leer sein.

Dies bedeutet, dass der Schuss mit der kleinsten Geschwindigkeit kein Durchschuss sein darf und der Schuss mit der hchsten Geschwindigkeit ein Durchschuss sein muss. Ist der mittlere Abschnitt leer, so ist keine Bestimmung der Streuung mglich.

Zwischen zwei benachbarten Abschnitten darf nicht mehr als eine leere Ge-schwindigkeitsklasse sein.

Ballistischer Schutz

26

In den Regionen 1 und 3 mssen innerhalb der vier an Region 2 anschlieen-den Klassen mindestens drei nicht-leer sein.

Eine Anleitung zur praktischen Auswertung mit Beispiel ist im Anhang A.1 beigefgt.

5.3.3 Bestimmung von Durchschusswahrscheinlichkeiten

Ist einmal die mittlere Durchschussgeschwindigkeit (v50) und die zugehrige Stan-dardabweichung bestimmt, so knnen zu einer gegebenen Durchschusswahr-scheinlichkeit p die zugehrige Schwellen- bzw. Prfgeschwindigkeit vp durch:

(5.7) svv p50p

bestimmt werden. Werte fr die Zahl p sind in Abhngigkeit der Durchschuss-wahrscheinlichkeit in der Tabelle 6 zusammengestellt. Sie entstammen der standar-disierten Normalverteilung.

Tabelle 6. Zahlen zur Bestimmung von Durchschusswahrscheinlichkeiten.

p [%] 0.0001 0.001 0.01 0.1 1 2 5 10

p 4.753 4.265 3.719 3.090 2.326 2.054 1.645 1.282

Umgekehrt lsst sich bei Kenntnis von vm und s zu einer gegebenen Geschwin-digkeit vp die zugehrige Durchschusswahrscheinlichkeit pv ermitteln. Dazu wird Gleichung (5.7) nach p aufgelst:

(5.8) s

vv 50pp

Mit Hilfe einer entsprechenden Tabelle (siehe Anhang A.2) lsst sich aus p die gesuchte Wahrscheinlichkeit pv bestimmen.

Rechnerisch ergibt sich pv aus der folgenden Gleichung:

(5.9) dxe21p

p 2

2x

v

5.3.4 Bestimmung von v50 und s bei gegebener Prfgeschwindigkeit

Aus den Erluterungen zum Angriffspotenzial ging hervor, dass in der Praxis fr ein gewisses Angriffspotenzial eine Prfgeschwindigkeit vorzugeben ist, bei der eine gewnschte Durchschusswahrscheinlichkeit nicht berschritten wird.

Prfung von ballistischem Schutz

27

Zwischen der Prfgeschwindigkeit, der v50 und der Standardabweichung s be-steht jedoch nach (5.7) ein linearer Zusammenhang, aus dem bei gegebener, ma-ximaler Durchschusswahrscheinlichkeit und gegebener Prfgeschwindigkeit Paare von v50 und s bestimmt werden knnen. Aus (5.7) und Tabelle 6 ergibt sich:

(5.10a) 234.0)vv(s p50 bei pv = 105 (also 1 zu 100000)

(5.10b) 210.0)vv(s p50 bei pv = 106 (also 1 zu 1000000)

Praktische Beispiele fr die Wahl von v50 und s knnen dem Anhang A.3 entnom-men werden.

5.3.5 Zuverlssigkeit der Prfung auf Nicht-Durchschuss

Die (nach Abschn. 5.3.1) zweite Prfmethode basiert auf einer gewissen Anzahl Schssen pro Prfobjekt. Durchschlgt ein Schuss, wird das Prfobjekt zurckge-wiesen, durchschlgt kein Schuss, wird es angenommen. Eine solche gut-schlecht-Prfung besitzt stets zwei Mglichkeiten, mit einer gewissen Wahrschein-lichkeit eine Fehlaussage zu machen:

1 Das Prfobjekt wird angenommen, obwohl es in Wirklichkeit die Anforderun-gen nicht erfllt,

2 Das Prfobjekt wird zurckgewiesen, obwohl es in Wirklichkeit die Anforderun-gen erfllt.

Es ist daher wichtig, sich ber die Zuverlssigkeit eines solchen Prfverfahrens im Klaren zu sein.

Zu Fall 1: Bei gegebener Schusszahl und gegebener (wahrer) Durchschuss-wahrscheinlichkeit ergibt sich die Wahrscheinlichkeit der Annahme des Prfobjektes mittels einer Binominalverteilung:

(5.11) knkA )p1(pkn

w

Darin bedeuten wA die Annahmewahrscheinlichkeit, n die Anzahl Prfschsse, p die Durch-schusswahrscheinlichkeit und k die Anzahl Durchschsse, wobei wegen der Voraussetzung der Annahme des Prfobjektes stets k = 0 einzusetzen ist.

Fr kleine Anzahlen von Prfschssen ist der Verlauf der Annahmewahrscheinlich-keit in der Abb. 14 dargestellt.

Aus der Grafik lsst sich ablesen, dass ein Prfobjekt mit einer Durchschusswahrscheinlichkeit von 1 % (1 Durchschuss pro 100 Schsse) bei einer 10-Schuss-Abnahmeprozedur in 90 % der Flle angenommen wird.

Ballistischer Schutz

28

Eine Erhhung der Schusszahl fhrt bei konstanter Durchschusswahrscheinlichkeit zu kleineren Annahmewahrscheinlichkeiten. Im Bereich praktikabler Prfschuss-zahlen bleibt die Annahmewahrscheinlichkeit jedoch stets hoch und es resultiert kaum eine Information ber den wirklichen Schutzgrad des geprften Objektes.

Zu Fall 2: Bei der zweiten mglichen Fehlaussage lassen sich zwei Flle unter-scheiden. Beim einen wird von einer (z. B. in technischen Anforderungen) vorgege-benen Durchschusswahrscheinlichkeit pv ausgegangen und die Frage gestellt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Prfobjekt zurckgewiesen wird, obwohl es die Vor-gabe erfllt. Diese Wahrscheinlichkeit ergibt sich aus der Beziehung:

(5.12) nvR p11w

n bedeutet die Anzahl der Prfschsse pro Prfobjekt.

Der zweite Fall tritt ein, wenn ein ballistischer Schutz (bei bekannter mittlerer Durchschussgeschwindigkeit und bekannter Standardabweichung) mit einer vorge-gebenen Prfgeschwindigkeit vp auf Nicht-Durchschuss geprft werden soll. Eine Fehlaussage (Rckweisung eines zu akzeptierenden Prfobjektes) ist dabei mit folgender Wahrscheinlichkeit zu erwarten:

(5.13) npR )v(P11w

0.4

0.5

0.6

0.7

0.8

0.9

1.0

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Anzahl Prfschsse

Ann

ahm

ewah

rsch

einl

ichk

eit

Dur

chsc

huss

wah

rsch

einl

ichk

eit

0.1 %

1 %

2.5 %

5 %

Abb. 14. Beziehung zwischen der Durchschusswahrscheinlichkeit eines Prfobjek-tes und der Wahrscheinlichkeit dessen Annahme in Funktion der Anzahl der Prfschsse.

Prfung von ballistischem Schutz

29

P(vp) stellt die Durchschusswahrscheinlichkeit bei der Geschwindigkeit vp und n die Anzahl der Prfschsse pro Prfobjekt dar. Sie kann aus der Tabelle A.2 im Anhang herausgelesen bzw. mit den Gleichungen (5.8) und (5.9) berechnet werden. Abb. 15 zeigt die entsprechende grafische Darstellung.

Dieser zweite Fall kommt beispielsweise dann vor, wenn die Evaluation eines ballistischen Schutzes auf Grund der Vorgabe von mittlerer Durchschussgeschwindigkeit vm und Streuung s durchgefhrt wird, die Abnahme der Produktion hingegen (z. B. aus Kostengrnden) mit einer Prfung auf Nicht-Durchschuss erfolgt.

5.3.6 Zur notwendigen Schusszahl bei Prfung auf Nicht-Durchschuss

Jeder ballistische Schutz besitzt bei einer bestimmten Angriffsgeschwindigkeit (bzw. -energie) eine gewisse Durchschusswahrscheinlichkeit. Damit ein Schutz die an ihn gestellten Erwartungen erfllt, darf diese Durchschusswahrscheinlichkeit einen vor-gegebenen Wert Pa nicht berschreiten.

Im Zusammenhang mit dem Schutz von menschlichem Leben wird sofern keine weiteren Randbedingungen zu bercksichtigen sind blicherweise mit Durchschusswahrscheinlichkei-ten von 105 bis 106 (1 zu 100'000 bis 1 zu 1'000'000) gerechnet.

Von einem Prfverfahren wird nun erwartet, dass es einen ballistischen Schutz, der die Forderung nicht erfllt (d. h. dessen Durchschusswahrscheinlichkeit den Wert Pa bersteigt), mit einer gewissen, mglichst hohen Rckweisungswahrscheinlichkeit QR entdeckt. Bei einer Prfung auf Nicht-Durchschuss bedeutet dies, dass minde-

Abb. 15. Wahrscheinlichkeit der ungerechtfertigten Rckweisung eines Prfobjektes bei vorgegebener Durchschusswahrscheinlichkeit in Abhngigkeit der Anzahl der Prfschsse.

1.0E-06

1.0E-05

1.0E-04

1.0E-03

1.0E-02

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Anzahl Prfschsse

Rc

kwei

sung

swah

rsch

einl

ichk

eit

Dur

chsc

huss

wah

rsch

einl

ichk

eit

104

105

106

Ballistischer Schutz

30

stens einer der Prfschsse den Schutz zu durchdringen hat. Dabei stellt sich die Frage, wie viel Prfschsse erforderlich sind, damit die Rckweisungswahrschein-lichkeit QR eingehalten werden kann.

Wird die Durchschusswahrscheinlichkeit eines ballistischen Schutzes mit P be-zeichnet und ist n die Anzahl der Prfschsse, so ergibt sich als Wahrscheinlichkeit wnp, dass kein Schuss durchdringt:

(5.14) nnp P1w

Mindestens ein Durchschuss entsteht mit der Gegenwahrscheinlichkeit:

(5.15) n1m P11w

Somit gilt unter der Bedingung P Pa die folgende Ungleichung:

(5.16) Rn Q)P1(1

Auflsung nach n fhrt zu der folgenden Bedingung fr die Anzahl Prfschsse:

(5.17) n QP

R

log( )log( )

11

(P Pa).

Die Beziehung (5.17) ist in der Abb. 16 grafisch dargestellt.

10

100

1000

10000

100000

1000000

10000000

0 0.2 0.4 0.6 0.8 1

Rckweisungswahrscheinlichkeit

Anz

ahl P

rfs

chs

se

Dur

chsc

huss

wah

rsch

einl

ichk

eit

103

104

105

106

Abb. 16. Anzahl Prfschsse, die mindestens erforderlich sind, um einen unge-ngenden ballistischen Schutz (mit zu hoher Durchschusswahrschein-lichkeit mit der vorgegebenen Rckweisungswahrscheinlichkeit zu entdecken.

Prfung von ballistischem Schutz

31

Beispiel: Ein Prfobjekt, das bei einer bestimmten Prfgeschwindigkeit eine geforderte maximale Durchschusswahrscheinlichkeit von 105 (1 zu 100000) gerade nicht erfllt, soll mit einer Rckweisungswahrscheinlichkeit von 0.5 (50 %) entdeckt werden. Die Fragestellung lautet demnach: Wie viel Prfschsse mit der Prfgeschwindigkeit sind erforderlich, damit mit einer 50%igen Wahrscheinlichkeit mindestens ein Durchschuss entsteht? Aus der Abb. 16 lsst sich als Resultat rund 70'000 Prfschsse ablesen.

Die Prfung auf Nicht-Durchschuss erfordert stets eine auerordentlich groe An-zahl von Prfschssen, wenn ein ungengender ballistischer Schutz einigermaen zuverlssig entdeckt werden soll. Es ist daher sehr zu empfehlen, zumindest peri-odisch die mittlere Durchschussgeschwindigkeit und ihre Streuung zu bestimmen. Daraus lsst sich die Durchschusswahrscheinlichkeit fr ein gegebenes Angriffspo-tenzial ohne weiteres bestimmen und mit der geforderten, maximalen Durch-schusswahrscheinlichkeit vergleichen.

5.4 Die wesentlichen Festlegungen in angrifforientierten Regelwerken

5.4.1 Das Prfgeschoss

Die am weitesten verbreitete Geschossart ist noch immer das Vollmantel-Bleikern-Geschoss (Weichkerngeschoss). Deshalb findet diese Geschosskonstruktion auch an ehesten Eingang in die verschiedenen Bedrohungsklassen der Regelwerke. Da die Dicke und das Material des Mantels (es handelt sich zumeist um Tombak oder plttierten Stahl) die Durchschussfhigkeit des Geschosses beeinflusst, ist der Aufbau der Prfgeschosse im Regelwerk genau zu definieren.

Mit dem Aufkommen von Vollgeschossen aus harten Metallen wie z. B. das KTW-Geschoss (Messing mit Teflonberzug) oder das Alpha-Geschoss (Stahlge-schoss mit Kunststofftreibspiegel), verstrkten Mantelgeschossen (z. B. von Bofors) sowie Geschossen mit Stahlkernen (z. B. 7.62 mm Tokarev) bei Kurzwaffen drngt sich eine Erweiterung der Regelwerke fr diese Geschossart auf.

Bei der Flintenmunition interessieren eigentlich nur die Flintenlaufgeschosse. Wegen ihrem groen Kaliber und der relativ geringen Energiedichte sind sie als Sonderfall zu betrachten, der allerdings oft berraschende Ergebnisse zeigen kann. Obwohl auch hier die verschiedensten Ausfhrungen mit sehr unterschiedlichen Durchschlagseigenschaften existieren, sind in den Regelwerken in erster Linie die am weitesten verbreiteten Konstruktionen zu bercksichtigen, da diese in der Regel das wahrscheinlichste Angriffspotenzial bilden.

In den Armeen kommen neben den Weichkerngeschossen auch recht verbreitet Geschosse mit gehrteten Stahlkernen (oft auch als Hartkerngeschosse bezeichnet) zum Einsatz, die speziell gegen harte Ziele gedacht sind. Es ist durchaus sinnvoll, diese Geschossart in Regelwerken ebenfalls zu bercksichtigen, da diese das strkste Angriffspotenzial im jeweiligen Kaliber darstellen.

Ballistischer Schutz

32

5.4.2 Die Prfgeschwindigkeit

Fr jede der auf der Basis von Abschnitt 4.2 gewhlten Bedrohungsklassen ist au-er dem Geschoss auch die zugehrige Prfgeschwindigkeit festzulegen. Wie diese Prfgeschwindigkeiten aus der Bedrohungswahrscheinlichkeit abgeleitet werden knnen, wurde im Abschnitt 4.3 am Beispiel des Kalibers 9 mm Luger beschrieben. Die endgltige Festlegung kann jedoch erst erfolgen, wenn zudem noch die erwar-tete Schutzsicherheit des ballistischen Schutzes vorgegeben wird.

Diese Schutzsicherheit ist nicht eine ballistische, sondern eine einsatztaktische Frage. Schutz und Beweglichkeit sind gegeneinander abzuwgen. bliche Werte fr die Schutzsicherheit (Schutzwahrscheinlichkeit) unter diesem Gesichtspunkt liegen zwischen 104 (10'000 zu 1) und 106 (1'000'000 zu 1).

In Abschnitt 4.3 wurde ebenfalls gezeigt, dass im Kaliber 9 mm Luger die Mn-dungsgeschwindigkeiten ber alle Munitionssorten (bei gleicher Geschossmasse!) und ber alle Lauflngen betrachtet ungefhr normalverteilt sind. Dasselbe lsst sich auch fr alle andern Prfkaliber voraussetzen. Ist der Mittelwert und die Stan-dardabweichung dieser Verteilung bekannt, so kann zu jeder Prfgeschwindigkeit angegeben werden, wie viel Prozent aller vorkommenden Mndungsgeschwindig-keiten dadurch abgedeckt sind.

Fr 9 mm Luger ergibt sich mit den Werten von Abschnitt 4.3 (vm = 363.4 m/s, s = 24.2 m/s) bei v(Prf) = 410 m/s eine Abdeckung von 97.3 %, bei v(Prf) = 420 m/s eine solche von 99.0 %.

Ist die Prfgeschwindigkeit und die gewnschte Schutzsicherheit festgelegt, so kann jeder entsprechende ballistische Schutz durch Bestimmung der mittleren Durch-schussgeschwindigkeit (v50) und der zugehrigen Streuung (Standardabweichung) zuverlssig geprft werden (siehe Abschnitt 5.3.4). Eine Festlegung der v50 ist nur in Verbindung mit einer maximal zulssigen Standardabweichung sinnvoll.

Tabelle 7. bliche Kaliber fr Beschusstests und mgliche Prfgeschwindigkeiten.

Waffenart Kaliber Geschossmasse Prfgeschwindigkeit Energie

[g] [m/s] [J]

Kurzwaffen 9 mm Luger 8.0 410 670

357 Magnum 10.2 430 940

44 Rem. Mag. 15.5 440 1500

Langwaffen 5.56 mm NATO 4.0 935 1750

Armeen 7.62 mm NATO 9.5 830 3270

Langwaffen 7 mm Rem. Mag. 10.5 960 4840

Jagd 8 x 68S 12.7 920 5375

Flinten 12/70 31.4 425 2860

Prfung von ballistischem Schutz

33

Eine gewnschte Schutzsicherheit bei einer bestimmten Prfgeschwindigkeit kann bei einer ge-ringen Streuung mit einer kleineren v50 genauso erreicht werden wie mit einer hheren v50 bei einer greren Streuung. Da aber die Streuung von der Fabrikationsstreuung des ballistischen Schutzes abhngig und daher wohl weniger beherrschbar ist als die v50, ist wohl die Angabe einer minimalen v50 empfehlenswert.

Soll beispielsweise im Kaliber 9 mm Luger bei 410 m/s eine Schutzsicherheit von 105 (100000 zu 1) erreicht werden, so sind bei den blichen Fabrikationsstreuungen Werte der mittleren Durchschussgeschwindigkeit von 470 bis 490 m/s erforderlich.

Fr eine Prfung auf Nicht-Durchschuss lsst sich aus der gewnschten Schutzsi-cherheit auf die Anzahl Prfschsse schlieen. ber die dabei auftretenden Pro-bleme wurde in den Abschnitten 5.3.5 und 5.3.6 hingewiesen.

5.4.3 Zur Streuung der Prfgeschwindigkeit

Aus praktischen Grnden lsst es sich nicht vermeiden, dass bei der Durchfhrung von Prfungen auf Nicht-Durchschuss die auf die Prfgeschwindigkeit eingestellte Munition selber auch in der Geschwindigkeit streut. Dies bedeutet, dass mit einer gewissen (von dieser Streuung abhngigen) Wahrscheinlichkeit einige Prfschsse mit zu geringer Geschwindigkeit, und entsprechend einige mit zu groer Ge-schwindigkeit auf den Prfling auftreffen (siehe Abb. 17). Dadurch werden aber Fehlentscheidungen provoziert: Bei zu geringer Geschwindigkeit wird der Prfling zu unrecht angenommen, bei zu groer Geschwindigkeit (im Falle eines Durchschus-ses) zu unrecht zurckgewiesen. Das Urteil ber eine Prfung ist demnach auch nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit richtig: Man spricht von der Aussagege-wissheit.

Abb. 17. Verteilung der Geschwindigkeit eines Prfkalibers und Verteilung der zugehrigen Prfgeschwindigkeit.

Geschwindigkeitsverteilung des Prfkalibers

Geschwindigkeitsverteilung der Prfmunition

Prfgeschwindigkeit

Ballistischer Schutz

34

Tabelle 8. Mittelwert und Standardabweichung fr Prfmunition

Abdeckung Prfgeschwindigkeit Standardabweichung bei Aussagegewissheit

Angriffspot.. 50 % 75 % 90 % 99 %

[%] [m/s] [m/s] [m/s] [m/s] [m/s]

75 379.7 2.5 1.5 1.0 0.7

80 383.8 2.9 1.7 1.2 0.8

85 388.5 3.5 2.0 1.4 0.9

90 394.4 4.7 2.7 1.9 1.2

95 403.2 6.4 3.7 2.6 1.7

99 419.7 12.4 7.3 5.1 3.3

Zwischen der Wahrscheinlichkeit der Abdeckung des Prfkalibers (Angriffspoten-zials), der Aussagegewissheit und der Streuung der Prfmunition besteht nun ein mathematisch-statistischer Zusammenhang, der anhand des Beispiels der 9 mm Luger in der Tabelle 8 dargestellt ist.

Aus der Tabelle lassen sich zwei bemerkenswerte Fakten entnehmen. Zum Ei-nen darf die Prfmunition mit zunehmender Prfgeschwindigkeit bei gleicher Aussa-gegewissheit mehr streuen. Dies folgt daraus, dass bei einer kleinen Prfgeschwin-digkeit (kleinere Abdeckung des Angriffpotenzials) die Angriffsgeschwindigkeiten all-gemein hufiger auftreten als bei groen Prfgeschwindigkeiten.

Zum andern kann man feststellen, dass fr eine hohe Aussagegewissheit die Streuung der Prfmunition sehr gering sein muss. Mit einer fabrikmigen Herstel-lung lassen sich derartige Werte kaum je erreichen. So drfte beispielsweise die ganze v-Streuung bei einer Abdeckung des Angriffpotenzials von 80% und einer Aussagegewissheit von 90 % 6 m/s ( 3 m/s) nicht berschreiten, eine Forderung, die nicht leicht einzuhalten ist. Prfmunition muss daher in jedem Fall sehr przise (von Hand) geladen werden.

In Normen und Technischen Richtlinien wird in der Regel anstelle einer Streu-ung fr die Prfmunition eine bestimmte Toleranzgrenze festgelegt (die so genannte ganze Streuung), die sich allerdings an den obigen berlegungen orientieren muss. Bei jedem Prfschuss ist dann die Auftreffgeschwindigkeit zu messen, sodass fr jeden Schuss entschieden werden kann, ob er gltig ist oder nicht.

5.4.4 Entscheidungskriterien bei Nichteinhalten der Prfgeschwindigkeit

Trotz sorgfltiger Arbeit ist es dennoch mglich, dass ab und zu ein Schuss auer-halb der festgelegten Geschwindigkeitsgrenzen auftritt, die auch hier eng gehalten werden mssen. Wird jedoch die Geschwindigkeit jedes einzelnen Schusses ge-messen, knnen die auerhalb der Toleranzgrenze liegenden Schsse gem der

Prfung von ballistischem Schutz

35

Entscheidungsmatrix nach Tabelle 9 behandelt werden. Diese ist natrlich nur dann relevant, wenn eine Prfung auf Nicht-Durchschuss vorgenommen wird.

Tabelle 9. Entscheidungskriterien

Ergebnis Geschwindigkeit zu klein Geschwindigkeit zu gro

Durchschuss nicht bestanden Prfschuss ungltig

kein Durchschuss Prfschuss ungltig bestanden

Eine Prfung ist somit nur dann ungltig, wenn mit einer zu groen Geschwindigkeit ein Durchschuss, oder wenn mit einer zu kleinen Geschwindigkeit kein Durchschuss erzielt worden ist. In den andern beiden Fllen (Durchschuss bei zu kleiner Ge-schwindigkeit oder kein Durchschuss bei zu groer Geschwindigkeit) kann der Prf-entscheid gefllt werden.

Die Entscheidungsmatrix gem Tabelle 9 lsst sich bei einer Prfung ohne Geschwindigkeits-messungen auch dann nicht anwenden, wenn nachgewiesen ist, dass die Prfmunition die For-derungen gem Tabelle 8 erfllt. Prfverfahren mit Angabe einer Toleranzgrenze anstelle ei-ner Streuung haben sich deshalb allgemein durchgesetzt.

5.5 Weitere Festlegungen

5.5.1 Allgemeines

Prfungen haben nicht primr den Zweck, die Wirklichkeit nachzubilden, sondern sie dienen in erster Linie dazu, Produkte an einem gewissen Standard zu messen und untereinander zu vergleichen. Der Standard darf natrlich nicht wirklichkeits-fremd sein; er muss sich wie in frheren Abschnitten dieser Arbeit erlutert am effektiven Angriffspotenzial orientieren.

Eine der wichtigsten Forderungen an derartigen Prfungen ist die Reproduzier-barkeit. Die (auch mehrfache) Wiederholung einer Prfung sollte also stets zum gleichen Ergebnis fhren. Nur mit gleichem Geschoss und gleicher Auftreffenergie ist dies allerdings nicht zu erreichen. Auch das Beschussmuster muss nachvollzo-gen werden knnen, wobei gleichzeitig auch eine mglichst hohe Bedrohung zu prfen ist.

5.5.2 Schussdistanz

Bisher wurde im Zusammenhang mit den Geschossgeschwindigkeiten stillschwei-gend vorausgesetzt, dass es sich dabei um Mndungsgeschwindigkeiten handelt. In der Tat beziehen sich die bisher erwhnten Angriffsgeschwindigkeiten im Kaliber

Ballistischer Schutz

36

9 mm Luger auf die Mndung. Geschwindigkeitsmessungen finden jedoch im Raum zwischen Mndung und Prfobjekt statt, wodurch eine gewisse, minimale Schussdi-stanz erforderlich wird. Da aber ein ballistischer Schutz auch beim aufgesetzten Schuss wirksam sein muss, hat sich die Prfgeschwindigkeit auf den Auftreffpunkt zu beziehen. Eine Geschwindigkeitsmessung in diesem Punkt ist allerdings nur mit groem Messaufwand mglich. In Prfvorschriften wird daher in der Regel eine Geschwindigkeit festgelegt, die eine bestimmte Strecke vor dem Prfobjekt (und nicht nach der Mndung!) eingehalten werden muss.

Die fr eine Prfung gewhlte Schussentfernung scheint daher beliebig gewhlt werden zu knnen (siehe Abbildung 18), wenn nur gengend Raum fr die Ge-schwindigkeitsmessung vorgesehen wird. Dennoch werden in den Regelwerken Schussdistanzen festgelegt. Dabei geht es in erster Linie darum dem Geschoss eine gewisse Beruhigungsstrecke zu gewhren, nachdem es an der Mndung durch die nachstrmenden Gase gestrt und in pendelnde Bewegungen versetzt worden ist.

Genau genommen msste nicht eine Schussdistanz, sondern neben der Auftreffgeschwindig-keit auch ein maximaler Anstellwinkel des Geschosses im Auftreffpunkt festgelegt werden. Da jedoch dessen Messung recht aufwndig ist, begngt man sich in der Regel mit der Festlegung einer minimalen Schussdistanz, die ein zumindest teilweises Abklingen der Geschosspende-lung erlaubt und damit eine Verkleinerung des Anstellwinkels mit sich bringt.

Andererseits darf die Schussdistanz auch nicht so gro gewhlt werden, dass die Treffgenauigkeit (an die bei Prfbeschssen besonders hohe Anforderungen gestellt werden) darunter leidet.

In lteren Normen und Richtlinien finden sich fr Prfungen mit Kurzwaffenmunition Schussdi-stanzen von 3 und 5 m, ab und zu auch 10 m. Bei sehr kurzen Entfernungen (5 m und krzer) ist eine Geschwindigkeitsmessung problematisch, da unverbrannte Pulverteilchen ber 1 m weit aus der Mndung geschleudert werden knnen und dabei das Geschoss berholen. Der Start der Zeitmessung kann dann durch das Pulverteilchen ausgelst werden, der Stopp jedoch durch das Geschoss. Solche Fehlmessungen lassen sich kaum erkennen, da sich der gemes-sene Wert nur wenig vom erwarteten unterscheidet.

Abb. 18. Schematische Darstellung der Prfanordnung fr ballistischen Schutz. Durch Fest-legung der Geschwindigkeit vor dem Prfobjekt kann die Prfdistanz auf Grund ballistischer Kriterien festgelegt werden.

Prfdistanz

v-Messstrecke feste Distanz

Prfobjekt

Prfung von ballistischem Schutz

37

Fr Prfungen mit Langwaffenmunition waren Prfentfernungen von 10 und 25 m blich. Gelegentlich kam auch 100 m vor. Ein przises Beschussmuster (im cm-Bereich) war bei die-sen Distanzen nicht mehr mglich.

Neue Normen und Richtlinien schreiben allgemein eine Prfdistanz von 5 und 10 m fr Kurzwaffenmunition und 10 m fr Langwaffenmunition vor. Die Treffpunkte kn-nen so gengend genau eingehalten werden, Geschwindigkeiten knnen zuverls-sig gemessen werden (zumindest bei 10 m) und die Strecke zum Auspendeln reicht bei beiden Munitionsarten einigermaen aus.

5.5.3 Schussrichtung

Bei Schutzmaterialien mit homogenem Aufbau (z. B. Stahlplatten) spielt die Durch-dringungsrichtung keine Rolle. Dies bedeutet, dass es keine spezielle Angriffs- und keine Schutzseite gibt. Bei schrgem Beschuss hat das Geschoss eine lngere Strecke zu durchschlagen als beim senkrechten Auftreffen (Abb.19 a). Die Schuss-richtung senkrecht zum Ziel stellt in diesen Fllen die hrteste Prfung dar.

Eine Verbesserung des Schutzes durch Schrgstellen tritt allerdings erst ein, wenn der Winkel grer ist als etwa 30. Dies lsst sich damit begrnden, dass das Geschoss den Schutz nicht geradlinig durchdringt, sondern (einem Lichtstrahl hnlich) gebrochen wird (siehe Abb. 19 a). Bei kleinen Neigungswinkeln bleibt daher die Durchdringungsstrecke praktisch gleich.

Werkstoffe, die aus mehreren geschichteten Lagen aufgebaut sind, besitzen oft eine definierte Angriffsseite (Abb. 19 b). Erfolgt der Angriff von dieser Seite, bieten sie Schutz, erfolgt er von der Gegenseite, werden sie durchschossen. Bei solchen Kon-struktionen ist die Angriffsseite eindeutig zu bezeichnen.

Geschichtete Werkstoffe knnen zudem die Eigenschaft haben, dass ein senk-rechter Schuss gestoppt wird, weil alle Schichten gleichzeitig auf ihn einwirken; ein

Abb. 19. a. Beim schrgen Auftreffen ergibt sich eine grere Durch-dringungsstrecke; b. Geschichtete Materialien sind oft auch bezglich des Durchschieens asymmetrisch; c. Ein geschich-tetes Schutzmaterial kann bei einem Beschuss unter flachem Auftreffwinkel durchschlagen werden, whrend der senkrecht auftreffende Schuss gestoppt wird.

a b c

Ballistischer Schutz

38

schrg auftreffender Schuss hingegen durchdringt unter Umstnden die Schichten einzeln und erzeugt so einen Durchschuss (Abb. 19 c). Derartige Schutzkonstruk-tionen mssen selbstverstndlich nicht nur senkrecht, sondern auch in geneigter Lage einer Prfung unterzogen werden.

Eine Sonderstellung bezglich der Prfschussrichtung nehmen verbundene Konstruktionen (wie z. B. Fensterrahmen, Tren) ein. Hier lassen sich die zu prfen-den Schwachstellen und die entsprechende Schussrichtung oft erst am Objekt sel-ber festlegen. Dies wird in der Regel dem Prfexperten berlassen, der auf Grund seiner Erfahrung bestimmt, welche Punkte unter welchem Winkel beschossen wer-den sollen.

5.5.4 Schusszahl und Beschussmuster

Jeder ballistische Schutz lsst sich durchschieen, wenn die Schusszahl gengend gro ist und die Treffpunkte gengend nahe beieinander liegen. Reproduzierbare Prfungen erfordern daher auch ein Festlegen der Schusszahl und des Beschuss-musters. Dabei sind zwei verschiedene Gesichtspunkte zu beachten:

Das Prfobjekt wird mit mehreren Schssen beschossen damit sich eine sta-tistische Aussage ber die Schutzsicherheit ergibt.

Das Prfobjekt muss auch dann noch einem Beschuss standhalten, wenn es bereits durch vorangegangene Schsse geschdigt worden ist.

Im ersten Fall (Mehrfachbeschuss aus statistischen Grnden) ist bei der Wahl des Beschussmusters darauf zu achten, dass jeder Schuss unter genau gleichen Bedin-gungen auf das Prfobjekt auftrifft wie der erste. Eine gegenseitige Beeinflussung der Treffpunkte (z. B. durch zu geringen Abstand voneinander oder durch Schdi-gen des gleichen Faserbndels) ist also zu vermeiden.

Auch im zweiten Fall werden mehrere Schsse auf das Prfobjekt abgegeben. Dies kann so aufgefasst werden, dass die ersten Schsse zur Vorschdigung des Prfobjektes dienen und erst der letzte Schuss den eigentlichen Prfschuss dar-stellt. Eine reproduzierbare Prfung wird auch hier nur mglich, wenn Schusszahl und Beschussmuster genau festgelegt worden sind. Allerdings gilt dabei ein ganzes Beschussmuster aus statistischer Sicht nur als ein einziger Angriff. Eine statisti-sche Auswertung erfordert deshalb den Beschuss mehrerer Prfobjekte, die alle nach demselben Beschussmuster zu prfen sind.

Die Frage, welche Schutzmaterialien mit Vorschdigung und welche ohne Vor-schdigung geprft werden sollen, fhrt einmal mehr auf die bereits in Kapitel 3 an-gesprochene Einteilung der Schutzmaterialien in glasartige Stoffe (z. B. Keramik und Glas) und in brige Stoffe. In den glasartigen Stoffen ergibt sich beim Beschuss ein erheblicher Schdigungsdurchmesser, sodass hier praktisch ausschlielich Prfung mit Vorschdigung zur Anwendung kommt. In allen brigen Materialien ist

Prfung von ballistischem Schutz

39

der Schdigungsdurchmesser in der Regel so klein, dass ohne weiteres mehrere Schsse auf ungestrtes Material abgegeben werden knnen. (Bei Stahl ist der Schdigungsdurchmesser oft nur 3 bis 5 Kaliber).

Einen Sonderfall bilden die gewobenen Schutzmaterialien, bei denen sich die durch einen Schuss verursachte Schdigung auf ein oder zwei Faserbndel auswirkt (berdehnung). Hier lassen sich beide Prfprozeduren vertreten. Im ersten Fall ist darauf zu achten, dass kein weite-rer Schuss bereits gedehnte Fasern trifft, im zweiten Fall mssen die weiteren Schsse auf be-reits getroffene Fasern abgegeben werden.

Wegen des groen Schdigungsdurchmessers spielt bei den Glsern auch die Probengre eine wichtige Rolle. Bei kleinen Abmessungen knnen die Risse des ersten Schusses bereits bis zum Rand laufen, bei greren Prfobjekten bleibt der Rand oft intakt. Die folgenden Schsse treffen daher je nach Gre des Prfobjek-tes unterschiedliche Auftreffbedingungen an, was einer reproduzierbaren Prfung widerspricht. Da die Rissbildung in den Glsern auch mit Eigenspannungen im Ma-terial zusammenhngt, muss auch auf eine definierte Einspannung des Prfkrpers an den Rndern geachtet werden.

Bei den Nicht-Glsern ist die Gre des Prfobjektes nicht von derart ent-scheidender Bedeutung. Sie wird hier in erster Linie durch die aus statistischer Sicht gewnschte Schusszahl bestimmt. Dies gilt insbesondere fr verbundene Konstruk-tionen (z. B. Fenster und Fensterrahmen), bei denen die zu prfenden Schwach-stellen oftmals nur kleine Ausdehnung aufweisen.

5.5