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Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik Prof. Dr. K. Wiemann / Dr. T. Jöllenbeck 6. korrigierte und erweiterte Auflage Bergische Universität Wuppertal, Wintersemester 1998/99 Vorbemerkungen Das folgende Arbeitsmaterial zur Vorlesung "Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik" wurde als begleitendes Skript zur Vorlesung „Grundlagen der Biomechanik und Bewegungslehre“ des Institutes für Sportwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum in den 70er Jahren entwickelt, sukzessiv erweitert und optimiert und zu Beginn der 80er Jahre als Begleitmaterial der entsprechenden Vorlesung an der Bergischen Universität Wuppertal übernommen Zum WS 1984/85 wurde das Arbeitsmaterial zur Vorlesung „Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik“ neu bearbeitet und an das Konzept der neuen Studienordnung angepasst, das sich auf die Ordnung der Ersten Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen vom 22.7.81 gründet. Das Arbeitsmaterial liefert Definitionen, Merksätze, Prinzipien und Gesetze, Abbildungen und Diagramme, Aufgaben und Thesensammlungen als Begleitmaterial zur Vorlesung „Grundlagen der Bewegungslehre“. Es steht somit im Dienst des Zieles dieser Lehrveranstaltung, dem Sportstudenten dasjenige bewegungstheoretische Wissen an die Hand zu geben, das notwendig ist, um den Lehrgegenstand des Sportunterrichtes, die sportmotorischen Fertigkeiten, so analysieren zu können, dass auf der Grundlage dieser Analyse - zusammen mit sportpädagogischen und sportpsychologischen Grundkenntnissen - eine effektive unterrichtsmethodische Arbeit (Planen von Lehranweisungen, Auswählen von methodischen Prinzipien, Begründen methodischer Hilfen, Evaluieren und Innovieren methodischer Strategien) ermöglicht wird. Die Vorlesung „Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik“ liefert zusammen mit den entsprechenden Lehrveranstaltungen der Sportmedizin, Sportpädagogik und Sportpsychologie die Voraussetzung und Basis für sämtliche methodisch-praktischen Veranstaltungen. Zusätzlich soll das bewegungstheoretische Fundament für die Trainingslehre und für vertiefende bewegungstheoretische Studien gelegt werden. Für die Vorlesung „Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik“ selbst erfüllt das Arbeitsmaterial die Aufgabe, ein Grundgerüst zum Inhalt der Vorlesung zu liefern, Orientierungshilfen zum Selbststudium zu geben und dem Hörer das Mitschreiben oder Mitzeichnen während der Vorlesung zu erleichtern. Teilweise sind Texte und Abbildungen nur im Kontext der Vorlesung zu verstehen. In diesen Fällen ist es empfehlenswert, während der Vorlesung die notwendigen Ergänzungen in die dafür offengelassenen Stellen einzufügen bzw. auf den freien Seiten nachzutragen. Aus diesem Grunde ist die jeweils rechte Seite für Notizen freigehalten. Das Arbeitsmaterial bringt neben den Grundlagen an einigen Stellen und im Anhang Vertiefungen, die nicht Inhalt der Vorlesung sind, aber u.U. für einige weiterführende Veranstaltungen und Fächer von Bedeutung sein können. Diese Vertiefungen sind teilweise schon als solche kenntlich gemacht oder werden im Laufe der

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A r b e i t s m a t e r i a l

zur Vorlesung

Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik Prof. Dr. K. Wiemann / Dr. T. Jöllenbeck

6. korrigierte und erweiterte Auflage

Bergische Universität Wuppertal, Wintersemester 1998/99 Vorbemerkungen Das folgende Arbeitsmaterial zur Vorlesung "Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik" wurde als begleitendes Skript zur Vorlesung „Grundlagen der Biomechanik und Bewegungslehre“ des Institutes für Sportwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum in den 70er Jahren entwickelt, sukzessiv erweitert und optimiert und zu Beginn der 80er Jahre als Begleitmaterial der entsprechenden Vorlesung an der Bergischen Universität Wuppertal übernommen

Zum WS 1984/85 wurde das Arbeitsmaterial zur Vorlesung „Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik“ neu bearbeitet und an das Konzept der neuen Studienordnung angepasst, das sich auf die Ordnung der Ersten Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen vom 22.7.81 gründet.

Das Arbeitsmaterial liefert Definitionen, Merksätze, Prinzipien und Gesetze, Abbildungen und Diagramme, Aufgaben und Thesensammlungen als Begleitmaterial zur Vorlesung „Grundlagen der Bewegungslehre“. Es steht somit im Dienst des Zieles dieser Lehrveranstaltung, dem Sportstudenten dasjenige bewegungstheoretische Wissen an die Hand zu geben, das notwendig ist, um den Lehrgegenstand des Sportunterrichtes, die sportmotorischen Fertigkeiten, so analysieren zu können, dass auf der Grundlage dieser Analyse - zusammen mit sportpädagogischen und sportpsychologischen Grundkenntnissen - eine effektive unterrichtsmethodische Arbeit (Planen von Lehranweisungen, Auswählen von methodischen Prinzipien, Begründen methodischer Hilfen, Evaluieren und Innovieren methodischer Strategien) ermöglicht wird. Die Vorlesung „Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik“ liefert zusammen mit den entsprechenden Lehrveranstaltungen der Sportmedizin, Sportpädagogik und Sportpsychologie die Voraussetzung und Basis für sämtliche methodisch-praktischen Veranstaltungen. Zusätzlich soll das bewegungstheoretische Fundament für die Trainingslehre und für vertiefende bewegungstheoretische Studien gelegt werden.

Für die Vorlesung „Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik“ selbst erfüllt das Arbeitsmaterial die Aufgabe, ein Grundgerüst zum Inhalt der Vorlesung zu liefern, Orientierungshilfen zum Selbststudium zu geben und dem Hörer das Mitschreiben oder Mitzeichnen während der Vorlesung zu erleichtern. Teilweise sind Texte und Abbildungen nur im Kontext der Vorlesung zu verstehen. In diesen Fällen ist es empfehlenswert, während der Vorlesung die notwendigen Ergänzungen in die dafür offengelassenen Stellen einzufügen bzw. auf den freien Seiten nachzutragen. Aus diesem Grunde ist die jeweils rechte Seite für Notizen freigehalten. Das Arbeitsmaterial bringt neben den Grundlagen an einigen Stellen und im Anhang Vertiefungen, die nicht Inhalt der Vorlesung sind, aber u.U. für einige weiterführende Veranstaltungen und Fächer von Bedeutung sein können. Diese Vertiefungen sind teilweise schon als solche kenntlich gemacht oder werden im Laufe der

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Vorlesung genauer abgegrenzt. Zur Nachbereitung und weiteren Vertiefung wird jeweils in einer Fußnote auf die am Ende stehende Literaturliste verwiesen.

Bochum, im September 1984 Prof. Dr. K. Wiemann

Nachdem zum WS 87/88 die Arbeitsmaterialien erneut überarbeitet und danach sukzessive ergänzt und korrigiert wurden, sind sie für das WS 95/96 auf EDV-Basis gestellt und dadurch im Schriftbild in eine wesentlich ansprechendere und übersichtlichere Form gebracht worden. Gleichzeitig wurden notwendige Korrekturen und neuerliche Überarbeitungen - besonders des physikalischen Teiles - vorgenommen.

Wuppertal, im September 1995 Prof. Dr. K. Wiemann

Die Reduktion des Studienumfanges bei der Neukonzeption der Studienordnung vom 17.2.98 brachte u.a. eine Konzentration der Grundausbildung in der Bewegungslehre von 4 auf 2 SWS mit sich. Für die Vorlesung „Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik“ erforderte dies eine Aufstockung der Themen und damit eine Verdichtung der Inhalte. Dem ist in der Neuauflage des „Arbeitsmaterials zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik“ Rechnung getragen.

Wuppertal, im Oktober 1998 Prof. Dr. K. Wiemann Dr. T. Jöllenbeck

Quellen- bzw. Urheberverzeichnis

Text und Abbildungen auf Seite

Text auf Seite

Abbildungen auf Seite

1. Bearbeitung:

Gerts, Daniela 118, 132

Jöllenbeck, PD Dr. Thomas 114-115, 117, 120, 129-131, 142-143, 151-153, 162-164, 174-175

121-127, 133-141, 144-150

Klee, PD Dr. Andreas 51-53

Wiemann, Prof. Dr. Klaus 1-50, 54-113, 119, 154-161, 165-173 51-53, 115, 121-127,

132-141,144-150, 154,

2. Quellen: (laut Literaturliste S. 176)

Faller, A. 1971, 25

Hochmuth, G., 1982 5 oben, 8 Mitte

Schmidt, R.F., 1983 85 unten

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Inhaltsverzeichnis

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

II

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen......................................................................................................................... I

Inhaltsverzeichnis....................................................................................................................... II

Definitionen............................................................................................. 1-14 Definitionen zum Begriff „Bewegung“ ......................................................................................... 1

Definitionen zum Begriff „Sportmotorik“ ...................................................................................... 2

Teilgebiete der Sportmotorik....................................................................................................... 3

Begriffe aus der Kybernetik ........................................................................................................ 4

Verhaltensweisen von Systemen................................................................................................ 5

Die sportmotorische Fertigkeit / die sportmotorische Technik ..................................................... 7

Biomechanik - Definition............................................................................................................. 9

Methoden der Bewegungsforschung ........................................................................................ 10

Richtungen, Bewegungen, Ebenen und Achsen beim menschlichen Körper ............................ 14

Biologischer Teil................................................................................... 15-82 Bauplan der menschlichen Zelle:.............................................................................................. 15

Kurze Phylogenese kontraktiler Strukturen............................................................................... 18

Stammesentwicklung des Bewegungsapparates und der Lokomotion der Wirbeltiere.............. 19

Bauprinzip des Bewegungsapparates ...................................................................................... 20

Knochen und Gelenke des Menschen ...................................................................................... 21

Funktionen der Wirbelsäule...................................................................................................... 24

Gelenke und Gelenktypen ........................................................................................................ 25

Bau des Muskels, Muskeltypen ................................................................................................ 31

Bau der Muskelfaser ................................................................................................................ 32

Muskelkontraktion .................................................................................................................... 33

Muskeln des Menschen............................................................................................................ 39

Bedingungen zur Bestimmung der Muskelfunktion ................................................................... 43

Kontraktionsformen der Muskeln .............................................................................................. 46

Muskelmechanik....................................................................................................................... 47

Übung zur Muskelmechanik ..................................................................................................... 49

Dehnungs- und Krafttraining nach funktionell-anatomischen Grundsätzen ............................... 51

Entwicklungsgeschichte der Informationsleitung im Organismus.............................................. 54

Bau und Funktion der Nerven- und Sinneszelle........................................................................ 55

Motorische Endplatte................................................................................................................ 63

Neuronenverschaltungen ......................................................................................................... 64

Das visuelle System ................................................................................................................. 65

Das vestibuläre System............................................................................................................ 69

Das somatosensorische System .............................................................................................. 74

Muskelspindel und Sehnenorgan ............................................................................................. 77

Analysatoren und Bewegungskontrolle..................................................................................... 79

Strukturspezifische Positionen und Bewegungen ..................................................................... 80

Biologisches Prinzip strukturspezifischer Arbeitsbewegungen.................................................. 82

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Inhaltsverzeichnis

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

III

Sportmotorik ....................................................................................... 83-113 Bau und Funktion des Zentralnervensystems........................................................................... 83

Rückenmarksmotorik / Spinalmotorik: ...................................................................................... 90

Stützmotorik ............................................................................................................................. 95

Zielmotorik / Handlungsmotorik .............................................................................................. 103

Bewegungswahrnehmung ...................................................................................................... 105

Bewegungsvorstellung ........................................................................................................... 112

Motorisches Lernen................................................................................................................ 113

Physikalischer Teil ............................................................................114-162 Physikalische Größen, ihre Symbole und Einheiten ............................................................... 114

Translation und Rotation ........................................................................................................ 116

Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung ........................................................................... 118

Masse, Schwere, Gewicht und Trägheit ................................................................................. 121

Kräfte ..................................................................................................................................... 122

Impuls und Impulserhaltung.................................................................................................... 125

Winkel, Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung.................................................... 128

Trägheitsmoment ................................................................................................................... 130

Drehmoment .......................................................................................................................... 132

Hebelgesetze ......................................................................................................................... 134

Drehimpuls ............................................................................................................................. 136

Drehimpulserhaltung .............................................................................................................. 137

Zentripetalkraft und Zentrifugalkraft ........................................................................................ 142

Körperschwerpunkt ................................................................................................................ 143

Gleichgewicht und Standfestigkeit .......................................................................................... 149

Arbeit...................................................................................................................................... 151

Leistung ................................................................................................................................. 152

Energie................................................................................................................................... 153

Pendelbewegung.................................................................................................................... 154

Kräftefreier Kreisel, Raumkonstanz und Präzession............................................................... 156

Mechanik der Flüssigkeiten und Gase.................................................................................... 158

Tabelle physikalischer Größen, ihrer Symbole und Einheiten ................................................. 162

Biomechanische Prinzipien ..............................................................163-175 Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges ....................................................................... 165

Prinzip der Anfangskraft ......................................................................................................... 168

Prinzip der optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf .................................................... 171

Prinzip der zeitlichen Koordination von Einzelimpulsen .......................................................... 174

Literatur.....................................................................................................176

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Definitionen zum Begriff „Bewegung“

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1

Definitionen zum Begriff „Bewegung“

Bewegung (allgemein): Bewegung ist die Veränderung eines Objektes, einer Erscheinung oder eines Zustandes bezüglich der Zeit.

Bewegung (physikalisch): Bewegung ist die Ortsveränderung eines Körpers mit fortschreitender Zeit bezüglich eines äußeren Körpersystems.

Organische Bewegung (biologisch-mechanischer Ansatz; WIEMANN: Manuskript): Eine Bewegung (eine motorische Fertigkeit) ist ein aktives Verhalten des Organismus, in des-sen Verlauf der Gesamtkörper durch zweckbestimmte Aktionen einzelner Körperabschnitte von einer Ausgangsstellung, -lage oder -bewegung in eine Zielstellung, -lage oder -bewegung gelangt.

Willkürbewegung (Begriff aus der Bewegungslehre des Menschen): Eine Willkürbewegung ist eine spontane oder auf eine Wahrnehmung hin willentlich und be-wusst ausgeführte Bewegung. Beispiel: Anlauf und Abschuss eines 11m-Strafstoßes.

Unwillkürliche Bewegung (unwillkürliche Reaktion, in der Psychologie auch Reflexbewegung bzw. bedingter Reflex): Unbewusst durch Sinnesmeldungen ausgelöste motorische Reaktion, die oft in Folge von Lern- bzw. Gewöhnungsprozessen auftritt. Beispiel: Reaktionsbewegung des Torwartes auf ein Täuschungsmanöver des 11m-Schützen.

Reflex (keine eindeutige Abgrenzung zur „unwillkürlichen Bewegung“ möglich): Direkte, angeborene (oder erworbene) Reaktion des Bewegunqsapparates auf eine Sinnesreizung. Beispiel: Kniesehnen-Reflex, Schutzreflexe.

Weitere Begriffe:

Alltagsbewegung: Bewegung der alltäglichen Beschäftigung (gehen, laufen, steigen, heben, schreiben, hantieren, usw. …)

Arbeitsbewegung: Bewegungen unter den Bedingungen des Arbeitsbereiches. Nach R. BODE natürliche Ganzkörperbewegungen im aufrechten Stand wie schwingen, sägen, schlagen, stoßen, schieben, usw. ….

Ausdrucksbewegung: Bewegungen mit Informationswert im nonverbalen Kommunikationsprozess (mimische Bewegungen, Gestik)

Sportliche Bewegung: Bewegungen aus dem Bedingungsfeld des Sports (sportliches Gehen, Sprinten, Weitsprung, Kugelstoßen …)

Lit.: 7, 12, 21, 23

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Definitionen zum Begriff „Sportmotorik“

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2

Definitionen zum Begriff „Sportmotorik“

Motorik des Menschen (A): Bezeichnung für die Gesamtheit der Bewegungen des Menschen sowie für die zugehörige Lehre.

Motorik des Menschen (B): Bezeichnung für die sensorischen, zentralnervösen und muskelphysiologischen Mechanismen (sowie für die psychischen Begleitphänomene) der menschlichen Bewegung sowie für die zugehörige Lehre.

Die zu A und B gehörigen Gegenstandsbereiche können je nach wissenschaftstheoretischem An-satz als isoliert, deckungsgleich oder sich überschneidend betrachtet werden.

Sensomotorik: Neurophysiologische Betrachtung der Regelungs- und Steuerungsprozesse der Bewegung (z.B. SCHMIDT, R. F.)

Sensomotorik: Behavioristisch - kybernetische Betrachtung der menschlichen Bewegung (UNGERER)

Sensumotorik: (Phänomenologische) Betrachtung der bewegungsbegleitenden und bewegungsverursachen-den psychischen Erscheinungen (KOHL, VOLPERT)

Psychomotorik: Betrachtung der Wechselwirkung psychischer Phänomene und „äußerer” Bewegungen (RÜS-

SEL)

Soziomotorik: Betrachtung der Wechselwirkung von „äußerer” Bewegung und Sozialisationsprozessen (EN-

GEL)

Lit.: 7, 12

z.B. SCHMIDT, R.F.

Motorik

Bewegung

z.B.: GÖHNER

Motorik

Bewegung

z.B.: SCHNABEL

Motorik

Bewegung

z.B.: FETZ

Motorik

=

Bewegung

z.B.: MEINEL

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Teilgebiete der Sportmotorik

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grund

3

Teilgebiete der Sportmotorik

1. Sensomotorik

3 Motorisches Lernen

5. Bewegungsanalyse

2. Bewegungswahrnehmung und -vorstellung

lagen der Bewegungslehre und Biom

4. Motorische En

.

twicklung

echanik, Wuppertal, 6, 1999

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Begriffe aus der Kybernetik

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4

Begriffe aus der Kybernetik

Begriff Definition Erläuterung / Beispiele

Kybernetik Kybernetik ist die allgemeine, formale Wissenschaft von der Struktur, den Beziehungen und dem Verhalten von Systemen

Menge Eine Menge ist die Zusammenfassung von bestimmten Objekten, die kein weiteres gemeinsames Merkmal haben, als dass sie Elemente einer Menge sind.

Die Objekte „Laufkippe“, „Medizin-ball“, „Schüler F. Meier“ seien Ele-mente der Menge M.

Klasse Eine Klasse ist eine Menge, deren E-lemente durch ein gemeinsames, nur für die Elemente dieser Menge zutref-fendes Merkmal gekennzeichnet sind.

Die bei der Abschlussprüfung des Gerätturn-Kurses zu beherrschen-den Turnelemente am Reck (Lauf-kippe, Felgumschwung vorlings vorwärts, Hocke) seien Elemente der Klasse K.

System Ein System ist eine Klasse von Elementen, die durch bestimmbare Beziehungen miteinander verbunden sind.

Die Elemente der Klasse K seien Elemente des Systems „Pflichtübung am Reck“: Laufkippe in den Stütz, gefolgt von Umschwung vorlings vorwärts, überleitend in Hocke in den Stand.

Struktur Die Struktur eines Systems ist die Menge der Beziehungen (der Verknüp-fungen) der Elemente des Systems.

Die Verknüpfungen „... gefolgt von“, „...überleitend in ...“ sind die Elemente der Struktur des Systems „Pflichtübung am Reck“.

Blockschaltbild Ein Blockschaltbild ist die graphische Darstellung der Struktur eines Systems

Blockschaltbild der Struktur des Systems „Pflichtübung am Reck“:

Die Blöcke symbolisieren die Elemente des Systems, die Richtungspfeile ihre Verknüpfungen im System.

E1 E2 E3 W1 W2

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Verhaltensweisen von Systemen

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5

Verhaltensweisen von Systemen

1. Auslösen:

Ein Signal setzt eine Reaktion in Gang, ohne Richtung und Intensität der Reaktion beeinflussen zu können.

Beispiel:

Der Startschuss (s) veranlasst im Sprinter (E) den Startvorgang (r), ohne die Laufgeschwindig-keit und die Laufrichtung beeinflussen zu können.

2. Steuern:

Ein Signal beeinflusst die Reaktion von Systemelementen nach Richtung und Intensität.

Beispiel:

Die Neigung des Geländes (s) bestimmt die „Vorlagehaltung“ (r) des Skiläufers (E).

3. Abfangen einer Störgröße - (Sonderfall des Steuerns):

Das Abfangen von Störgrößen setzt mindestens zwei parallelgeschaltete Steuerprozesse vor-aus. Die Reaktionen der beteiligten Systemelemente auf ein und dasselbe Signal (Störgröße) sind derart gekoppelt, dass sie sich gegenseitig aufheben. Auf diese Weise soll das Verhalten des Systems von der Störgröße unbeeinflusst bleiben.

Beispiel: der MITTELSTAEDTsche Seemann

Die Welle (s) lässt das Boot (E1) kippen (r1), sie veranlasst aber auch den Seemann (E2), sein rechtes Bein zu beugen (r2). Durch die Addition von r1 (Boot kippt) und r2 (rechtes Bein wird ge-beugt), wird gewährleistet, dass der Seemann sein angestrebtes Verhalten unbeeinflusst von der Welle (= Störgröße) beibehält.

s r E

s r = f (s) E

s s1

s2

r1=f (s1) E1

r=r1+r2

E2 r2=f(s2)

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Verhaltensweisen von Systemen

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

6

4. Regeln:

Das Regeln setzt zwei Steuerprozesse voraus, die kreisförmig verschaltet sind. Die Reaktion eines ersten Systemelementes auf ein Signal (Störgröße) wird von einem zweiten Systemelement als Signal für eine Reaktion benutzt, um die Wirkung der Störgröße zu beseiti-gen.

Beispiel: Der MITTELSTAEDTsche Seemann

Die Welle als Störgröße (s1) bringt Boot mit Seemann (E1) zum Kippen (r1). Das Kippen des Bootes bzw. die daraus resultierende Abweichung von der gewünschten senkrechten Position wirkt als Signal (s2) auf den Bewegungsapparat des Seemanns (E2), das rechte Bein zu beugen (r2). Auf diese Weise wird die von der Welle erzeugte Positionsabweichung beseitigt.

Begriffe zum Regelkreis:

Das Verhalten, dessen Wert (Sollwert) gegen die Wirkung von Störgrößen abgeändert werden soll, heißt Regelgröße. Sein momentaner Wert (Istwert) wird vom Fühler gemessen und die Abweichung vom Sollwert (Regelabweichung) festgestellt. Der Regler erstellt einen Befehl (Stellgröße) für den Korrekturmechanismus (Stellglied), die Regelabweichung zu beseitigen.

E2

s1 r1 = f (s1) E1

s2 r2 = f(s2) E2

s1 skorr r1 = f (skorr) E1

s2 r2 = f(s2)

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Die sportmotorische Fertigkeit / die sportmotorische Technik

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7

Die sportmotorische Fertigkeit / die sportmotorische Technik

Die sportmotorische Fertigkeit:

Sportliche Bewegungen stellen in der Regel gewisse Anforderungen an die Geschicklichkeit des Sportlers, sie sind Bewegungskunststücke bzw. sportmotorische Fertigkeiten

Beispiel: Weitsprung, Hochsprung, Kugelstoßen

Die sportmotorische Technik:

Sportmotorische Techniken sind Lösungsmöglichkeiten der den sportmotorischen Fertigkeiten immanenten Aufgabe.

Beispiel Kugelstoßen: a) O’BRIEN-Technik (Rückenstoßtechnik) b) BARYSCHNIKOW-Technik (Rotationstechnik)

Lit.: 7, 12, 21, 23

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Die sportmotorische Fertigkeit / die sportmotorische Technik

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8

Sportmotorische Fertigkeit: Weitsprung

Sportmotorische Technik: a) Schwebehang-Technik (linke Abb.) b) Hitch-Kick-Technik (rechte Abb.)

(to hitch: hochreißen, ruckartig bewegen; to kick: treten, stoßen)

Lit.: 7, 12

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Biomechanik - Definition

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9

Biomechanik - Definition

Die Biomechanik des Sports ist die wissenschaftliche Disziplin, die für den menschlichen Bewe-gungsapparat und für den Ablauf sportlicher Bewegungen und dessen Ursachen eine exakte Darstellung mit den Methoden und dem Begriffsapparat der Biologie und Physik liefert.

a - Objektbereich: 1. Der menschliche Bewegungsapparat 2. Die sportliche Bewegung 3. Die Bewegungsursachen (äußere und innere Kräfte) 4. Die Bewegungssteuerung (das sensomotorische System)

b - Problembereich: 1. Die Beschreibung sportlicher Bewegungsabläufe 2. Die Analyse und Optimierung sportlicher Techniken 3. Bewertung (Wichtung) biomechanischer Einflussgrößen 4. Aufstellung biomechanischer Normen, Gesetze und Prinzipien

c - Wissenschaftsmodell: Methoden und Begriffsapparat der Biologie und Physik

Beispiele zu b - Problembereich (anhand der Weitsprungtechnik):

b - 1.: Beschreibung des Absprungverhaltens zum Weitsprung

- nach Zeitmerkmalen: Wie groß ist die Kontaktzeit des Sprungfußes mit dem Absprungbalken?

- nach Lage- oder Raummerkmalen: Welche Neigung zeigt der Rumpf in bezug zur Umgebung im Zeitpunkt des Verlassens der Absprungstelle?

- nach Geschwindigkeitsmerkmalen: Wie groß ist die „Abfluggeschwindigkeit“?

- nach Kraftmerkmalen: Welche Richtung hat die Absprungkraft in bezug zum Körperschwerpunkt?

- nach Bewegungsqualitäten: Wie sind der Bewegungsfluss und die Bewegungsharmonie der Absprungbewegung zu beurteilen?

- nach systematischen Merkmalen: Welche gemeinsamen Merkmale hat der Absprung zum Weitsprung mit anderen Absprungbewegungen?

b - 2.: Analyse der Zweckmäßigkeit und Zielangepaßtheit verschiedener Weitsprungtechniken:

- Lässt sich mit dem Weitsprung in Hitch-Kick-Technik bei sonst gleichen übrigen Bedingungen eine größere Leistung erzielen als mit anderen Weitsprungtechniken?

- Wie lässt sich die Hitch-Kick-Technik weiter optimieren?

- Lassen sich optimalere Weitsprungtechniken entwickeln?

b - 3.: Abhängigkeit der Leistung von der Absprungschrittlänge:

- experimentell: Wie wirkt sich eine planmäßig variierte Schrittlänge auf die Leistung aus?

- quasi-experimentell: Welcher Zusammenhang besteht zwischen beobachtbaren Unterschieden in der Schrittlänge und unterschiedlichen Leistungen?

Lit.: 1, 4, 21, 23

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Methoden der Bewegungsforschung

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Methoden der Bewegungsforschung

Kinematografie:

1. Lichtspur-Photographie:

Lichtspuraufnahmen von der Stoßhand (punktförmige Lichtquelle) in der Angleit- und Abstoßphase beim Kugelstoß: a - normale Lichtspur b Lichtquelle wird entweder mit pulsierendem

Licht gespeist, oder im Strahlengang des Fotoapparates befindet sich eine rotieren-de Schlitzscheibe

2. Chronophotographie:

- Blitzfrequenz: 8/sec, - Kleinbildkamera, - 3-fache Vergrößerung des

Negatives

3. Serienphotographie:

- 16mm-Filmkamera, - Bildfrequenz: 24/sec, - 3-fache Vergrößerung

des Negatives

Lit.: 4, 21, 23

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Methoden der Bewegungsforschung

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11

Versuchen Sie, folgende Maßnahmen zur Technik der Serienfotographie in der Bewegungs-forschung zu begründen:

• Die Bewegungsachse sollte parallel zur Abbildungsebene verlaufen (bzw. die Objektivachse sollte senkrecht auf der Bewegungsebene stehen

• Die Kamera sollte unter Verwendung von Teleobjektiven einen möglichst großen Abstand vom Objekt haben (bzw. der Aufnahmewinkel sollte möglichst eng sein).

• Es sollten Markierungstafeln oder markante Punkte des Hintergrundes mitgefilmt werden. • Die Distanzen der mitgefilmten Markierungstafeln zueinander, zur Bewegungsebene und zur

Abbildungsebene sollten bekannt sein. • Die Markierungstafeln (bzw. Meßstrecken) sollten einen rechten Winkel bilden.

Lit.: 4, 6, 21, 23

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Methoden der Bewegungsforschung

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12

Kinematogramme

Umrissdarstellung

Punktspurdarstellung

Gliederachsendarstellung (Die Gliederachse ist die Verbindung der beiden den Körperabschnitt bzw. die Gliedmaße begrenzenden Gelenkmittel-punkte.)

Lit. : 21, 23

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Methoden der Bewegungsforschung

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13

Goniographie:

Aufzeichnen der Gelenkwinkel-änderung mit fortschreitender Zeit

Dynamographie:

Aufzeichnen der Änderung äußerer Kräfte mit fortschreitender Zeit

Dynamographischer Startklotz (nach ABALAKOW)

Elektromyographie:

Aufzeichnen der Muskelaktionspotentiale

Lit.: 4, 6, 21, 23

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Richtungen, Bewegungen, Ebenen und Achsen beim menschlichen Körper

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14

Richtungen, Bewegungen, Ebenen und Achsen beim menschlichen Körper

caudal: steißwärts (caud-: Schwanz) cranial: kopfwärts (crani-: Schädel) distal: zum Ende der Gliedmaßen hin

(dis-: auseinander) dorsal: rückenwärts (dors-: rücken) lateral: seitwärts (later-: seite) medial: mittelwärts (medi-: mitte) proximal: zum Rumpfansatz der Gliedmaßen

hin ventral: bauchwärts (vent(e)r-: bauch) zentral: zur Mittelachse des Körpers hin

Abduktion: Bewegung von der Mittelebene weg Adduktion: Bewegung zur Mittelebene hin Anteversion: Vorführbewegung Extension: Streckbewegung Flexion: Beugebewegung Retroversion: Rückführbewegung Rotation: Drehbewegung um die Längsachse Zirkumduktion: Umführbewegung Pronation: Innenrotation des Unterarmes und

der Hand und des Fußes Supination: Außenrotation des Unterarmes und

der Hand und des Fußes

Medianebene: Ebene, die den Körper in zwei spiegelbildliche Hälften teilt

Sagittalebene: Ebene parallel zur Medianebene (sagitta: Pfeil)

Frontalebene: Ebene parallel zur Schulter- bzw. Hüftachse

Transversalebene: horizontale Ebene (beim aufrechten Körper)

Längsachse: Achse in Längsrichtung des Körpers

Querachse: Achse parallel zur Schulter- bzw. Hüftachse

Tiefenachse (auch: Sagittalachse): Achse in Richtung von der Bauch- zur Rückenseite (wie ein eingedrungener Pfeil = sagitta)

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Bauplan der menschlichen Zelle:

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15

Bauplan der menschlichen Zelle:

1 - Zellkern; 2 - Kernplasma mit Chromatingerüst; 3 - Kernkörperchen (Nucleolus); 4 - Kernmembranen, (dazwischen Perinuclearzisternen); 5 - Kernporen; 6 - Grundplasma (Hyaloplasma); 7 - Zellmembran; 8 - Zwischenzellraum (Interstitium); 9 - Zellzotten (Microvilli); 10 - Stoffaufnahmebläschen (Mikropinozytose-Vesikel); 11 - Golgi-Apparat (Dictyosomen); 12 - Sekretionsbläschen; 13 - Fadenkorn (Mitochondrium); 14 - glattes endoplasmatisches Reticulum, Zisternentyp und Röhrentyp; 15 - „rauhes“ (ribosomenbesetztes) endoplasmatisches Reticulum; 16 - Ribosomen; 17 - Microtubuli; 18 - Zentralkörperchen (Centriolum); 19 - Tonofilamente

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Bauplan der menschlichen Zelle:

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16

Grundbauplan der Zelle im menschlichen Organismus und die Funktion der Zellorganellen

Die Zelle ist der Grundbaustein des Organismus. Sie zeigt prinzipiell alle Merkmale des Lebens bzw. besitzt die Fähigkeit, alle Lebensfunktionen (Stoffwechsel, Atmung, Bewegung ...) auszufüh-ren.

Größe: 5 bis 20 µm (1 micrometer = 1 millionstel Meter = 1 tausendstel Millimeter).

Aufbau und Funktion (s. auch Abb. vorherige Seite):

1. Membran (7):

Abschluss nach außen und gegen die Nachbarzelle. Dicke: 5-10 nm. Doppelte Schicht aus fetthaltigen Molekülen, eingelagerte Proteinmoleküle. (s.S.17)

2. Zellkern (1):

a. Kernhülle (4): Zweischichtige Membran mit Perinuclearzisternen und Kernporen zum Stoffaustausch.

b. Kernplasma mit Chromatin (Chromosomen) (2): enthalten in Form von DNS die gesamte genetische Information zur Steuerung der Lebensfunktionen der Zelle.

c. Kernkörperchen (Nucleolus) (3): Hilfestellung bei Informationsübermittlung.

3. Zellplasma (6):

a. Endoplasmatisches Reticulum (ER) (14, 15): Membranumhüllte sackfaltenartige Zisternen zum Stofftransport.

I. rauhes, ribosomenbesetztes ER (15): Ribosomen sind die Stätten der Eiweißsynthese.

II. glattes ER (ohne Ribosomen) (14): Stoffwechsel und Transportaufgaben.

b. Golgi-Apparat (11): mehrere tellerartig geschichtete Membranzisternen (Dictyosomen) mit sich abschnü-renden Bläschen: Ausscheiden von Enzymen und Sekreten, die von Ribosomen gebildet und vom ER zugeleitet werden.

c. Mitochondrien (13): 0,3 µm große Körper mit glatter Außenmembran und gefalteter Innenmembran: „Kraftwerke“ der Zelle: Speichern die Energie der Nährstoffe in ATP als chemische Bindungsenergie

d. Filamente (19): Stützfunktion und Bewegung (Tonofilamente).

e. Microvilli (9): Ausstülpungen der Zellmembran: Reizaufnahme, Bewegung

Mitropinocytose-Bläschen (10): Einstülpungen der Membran zum Stofftransport. Microtubuli (17): dünne Schläuche zu Stofftransport und Stützfunktion. Zentralkörperchen (18): Funktion bei Zellteilung

Lit.: 3, 8, 10, 13, 20

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Bauplan der menschlichen Zelle:

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17

Aufbau der Membran

Biologische Membranen sind keine bloßen Hüllen, sondern

- grundsätzlich eine Art Grenzkontrolle, die die Ordnung in der Zelle gegen die Unordnung außerhalb der Zelle schützt,

- zusätzlich ein hochspezialisierter Vermittler zwischen der Zelle und der Umgebung.

Grundstruktur der Membran:

a) Doppelschicht aus Lipidmolekülen. Jedes Lipidmolekül hat einen hydrophilen (wasserliebenden) Pol und einen hydrophoben (wassermeidenden) Pol. Die hydrophoben Pole sind einander zugewandt, während die hydrophilen Pole nach „außen“, mit dem wässerigen Milieu in Kontakt treten. Für Wasser und wasserlösliche Stoffe ist die Lipid-Doppelschicht unpassierbar. Dicke: ca. 4,5 nm (1 Nanometer = 1 milliardstel Meter = 1 millionstel Millimeter).

b) Makroproteine (Protein: Eiweißverbindung): Die Membran-Makroproteine bilden u.a.:

- Kanäle, die sich unter bestimmten Bedingungen öffnen oder schließen und spezifische Stoffe passieren lassen,

- Pumpen, die unter Energieverbrauch Stoffe gegen das Konzentrationsgefälle durch die Membran transportieren,

- Rezeptoren, die auf spezifische Hormone, Überträgerstoffe oder körperfremde Stoffe reagieren und ihre spezifische Botschaft an das Zellinnere weitergeben.

Lit.: 10, 13

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Kurze Phylogenese kontraktiler Strukturen

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18

Kurze Phylogenese kontraktiler Strukturen

Phylogenese: Stammesentwicklung (phyl-: Stamm; gen-: erzeug...)

kontraktil: Eigenschaft, die Selbstverkürzung betreffend (kontrahieren: zusammenziehen, verkürzen)

Syncytium: Verschmelzung mehrerer Zellen (syn-: zusammen; cyt-: zell)

Antagonisten: Gegenspieler (anti: gegen; agon-: Kampf, Anstrengung)

Prinzip der Antagonisten: Grundbedingung der strukturellen Entwicklung

Kontraktile Elemente können sich selbständig nur zusammenziehen, nicht aber selbständig wieder dehnen. Die Ausdehnung erfolgt durch die Kraft der sich verkürzenden Antagonisten. Die Kraft wird durch äußere Materie übertra-gen.

Entwicklungstendenz: Von der Einzelzelle, die alle Lebensfunktionen erledigt, zur spezialisierten Einzelmuskelzelle, zum Muskelgewebe, zum Syncytium im Muskelgewebe.

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Stammesentwicklung des Bewegungsapparates und der Lokomotion der Wirbeltiere

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19

Stammesentwicklung des Bewegungsapparates und der Lokomotion der Wirbeltiere

Die ursprüngliche Fortbewegungsweise der Fische im Wasser durch Bildung von Körperwellen, die in der Horizontalebene von vorn nach hinten über den Körper laufen, bleibt beim Übergang zum Landleben im Prinzip erhalten, wobei die Wellenmechanik durch „Hebel“ (=Gliedmaßen) auf die Unterlage übertragen werden: Diagonalgang

Weitere Entwicklungstendenzen:

Reduktion der Wellenamplituden und Erweiterung der Eigenbeweglichkeit der Gliedmaßen: Reduk-tion der Prozentanteile der Rumpfmuskulatur an der Gesamtmuskulatur, Vergrößerung des Pro-zentanteiles der Gliedmaßenmuskulatur.

Reduktion der Beweglichkeit der Wirbelsäule in lateraler Richtung, Erweiterung der Beweglichkeit der Wirbelsäule in dorsoventraler Richtung a) zur Förderung der Galoppbewegung beim Vierfüßer und b) zur Vergrößerung des Aktionsbereiches der oberen Gliedmaßen beim Menschen.

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Bauprinzip des Bewegungsapparates

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20

Bauprinzip des Bewegungsapparates

„Zug-Gurt“-Prinzip:

Biegekräfte werden zur Materialeinsparung in Zugkräfte und Druckkräfte zerlegt. Die Freiheitsgrade kinematischer Ketten werden durch Verspannungen reduziert. Aus labilen Gelenksystemen werden durch Zug-Gurtungen formstabile Körper.

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Knochen und Gelenke des Menschen

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21

Knochen und Gelenke des Menschen

Schädel, Wirbelsäule, Brustkorb und Becken

1 - Scheitelbein; 2 - Stirnbein; 3 - Keilbein; 4 - Schläfenbein; 5 - Gehörgang; 6 - Hinterhauptsbein; 7 - Jochbein; 8 - Nasenbein; 9 - Oberkiefer; 10 - Unterkiefer; 11 - Halswirbelsäule; 12 - Atlas (erster Halswirbel); 13 - Dreher (zweiter Halswirbel); 14 - Siebter Halswirbel; 15 - Brustbein (Schnitt); 16 - Handgriff des Brustbeins; 17 - Körper des Brustbeins; 18 - Schwertfortsatz des Brustbeins; 19 - Brustwirbelsäule; 20 - Erster Brustwirbel; 21 - Zwölfter Brustwirbel; 22 - Erste Rippe; 23 - Knorpelanteil der Rippen; 24 - freistellende Rippen; 25 - Lendenwirbelsäule; 26 - Erster Lendenwirbel; 27 - Fünfter Lendenwirbel; 28 - Kreuzbein; 29 - Steißbein; 30 - Darmbein; 31 - Darmbeinkamm; 32 - Vorderer oberer Darmbeinstachel; 33 - Vorderer unterer Darmbeinstachel; 34 - Hüftgelenkspfanne; 35 - Schambein; 36 - Schambeinfuge; 37 - Sitzbein.

Lit.: 3, 10, 20, 28

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Knochen und Gelenke des Menschen

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22

Brustwirbel von oben und von der Seite:

1 - Wirbelkörper 2 - Zwischenwirbelscheibe 3 - Wirbelbogen 4 - Wirbelloch 5 - Zwischenwirbelloch 6 - Querfortsatz 7 - Dornfortsatz 8 - Gelenkfläche für die

Rippe am Querfortsatz 9 - Gelenkflächen für die

Rippe am Wirbelkörper 10 - Rippe 11 - Gelenkfortsätze und

Gelenkflächen für die anliegenden Wirbel.

Schultergürtel und rechter Arm von vorn (mit Handfläche) und von hinten (mit Handrücken)

1 - Schlüsselbein; 2 - Handgriff des Brustbeins. 3 - Schlüsselbein-Brust-beingelenk; 4 - Schlüsselbein- Schulterhöhegelenk; 5 - Schulterblatt; 6 - Rabenschnabelfortsatz; 7 - Schulterhöhe; 8 - Oberer Schul-terblattwinkel; 9 - Unterer Schulter-blattwinkel; 10 - Innerer Rand des Schulterblattes; 11 - äußerer Rand des Schulterblattes; 12 - Gelenk-pfanne des Schulterblattes für das Schultergelenk; 13 - Schulterblattgrä-te; 14 - Obergrätengrube. 15 - Untergrätengrube; 16 - Ober-armknochen; 17 - Gelenkkopf des Oberarms für das Schultergelenk; 18 - Großer Höcker des Oberarm-knochens; 19 - Kleiner Hocker des Oberarmknochens; 20 - Äußerer Gelenkknorren; 21 - Innerer Gelenk-knorren; 22 - Rolle des Oberarm-knochens für das ElIbogengelenk; 23 - Grube für den Speichenkopf; 24 - Grube für den Kronenfortsatz der Elle; 25 - Grube für den Ellenbogen; 26 - Elle; 27 - Gelenkflä-che der EIle für das Ellenbogenge-lenk; 28 - Ellenbogen; 29 - Rauhigkeit der Elle (Ansatz des

Armbeugers); 30 - Ellenkopf; 31 - Griffelfortsatz der Elle; 32 - Speiche; 33 - Speichenkopf. 33a - Rauhigkeit der Speiche (Ansatz der Bizepssehne); 34 - Griffelfortsatz der Speiche; 35 - Handwurzelknochen; 36 - Mittelhandknochen des Daumens; 37 - Mittelhandknochen des 2.-5. Fingers. 38 - Fingerknochen (Fingergrundglied, Fingermittelglied, Fingerendglied) des Daumens; 39 - Fingerknochen (Fingergrundglied, Fingermittelglied, Finger-endglied) des 2.-5. Fingers.

Lit.: 3, 10, 28

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Knochen und Gelenke des Menschen

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Aufbau des Knochens und Gelenkes (s. rechts)

1 - Knochenhaut (Periost); 2 - Knochenschaft; 3 - Gelenkkörper (Epiphyse); 4 - Epiphysenfuge; 5 - Kompakte Knochenrinde 6 - Schwammiges Knochengewebe (Spongiosa); 7 - Knochenhöhle mit Knochenmark; 8 - Gelenkfläche aus hyalinem Knorpel; 9 - Gelenkkapsel; 10 - faserige Schicht der Gelenk-kapsel; 11 - Zum Gelenkband verstärkte faserige Schicht der Gelenkkapsel; 12 - generative Schicht der Gelenkkapsel; 13 - Gelenkraum; 14 Gelenkspalt; 15 - Meniskus

Becken und rechtes Bein von vorn und von der Seite (s. links)

1 - Darmbein; 2 - Darmbeinkamm; 3 - Vorderer oberer Darmbeinstachel; 4 - Vorderer unterer Darmbeinstachel; 5 - Sitzbeinstachel; 5 a - Kreuzbein; 6 - Gelenkpfanne für das Hüftgelenk; 7 - Schambein; 8 - Sitzbein; 9 - Ober-schenkelknochen; 10 - Gelenkkopf des Oberschenkelknochens für das Hüft-gelenk; 11 - Oberschenkelhals; 12 - Großer Rollhügel; 13 - Kleiner Roll-hügel; 14 - Innerer Obergelenkknorren des Oberschenkelknochens; 15 - Äuße-rer Obergelenkknorren des Oberschen-kelknochens; 16 - Gelenkfläche des O-berschenkelknochens für das Knie-gelenk; 17 - Innerer Gelenkknorren des Oberschenkelknochens; 18 - Äußerer Gelenkknorren des Oberschenkelkno-chens; 19 - Kniescheibe; 20 - Schien-bein; 21 - Äußerer Gelenkknorren des Schienbeines; 22 - Innerer Gelenkknor-ren des Schienbeines; 23 - Zwischen-knorrenerhebung; 24 - Schienbeinhö-cker; 25 - Schienbeinknöchel; 26 - Gelenkfläche des Schienbeins für das obere Sprunggelenk; 27 - Vordere Schienbeinkante; 28 - Wadenbein; 29 - Wadenbeinkopf; 30 - Wadenbein-knöchel; 31 - Fußwurzelknochen; 32 - Sprungbein; 33 - Sprungbeinrolle; 34 - Fersenbein; 35 - Mittelfußknochen der Großzehe; 36 - Mittelfußknochen der zweiten bis fünften Zehe; 37 - Zehenknochen (Zehengrundglied, Zehenmittelglied, Zehenendglied) der Großzehe; 38 - Zehenknochen (Zehen-grundglied, Zehenmittelglied, Zehen-endglied) der zweiten bis fünften Zehe

Lit.: 3, 10, 20, 28

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Funktionen der Wirbelsäule

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Funktionen der Wirbelsäule

a) Stützfunktion: Wirbelkörper b) Bewegungsfunktion: Bandscheiben, Wirbelgelenke c) Schutzfunktion für das Rückenmark: Wirbelbogen d) Hebelfunktion für die Rückenmuskeln: Quer- und Dornfortsätze e) Dämpfungsfunktion gegen vertikale Stöße: Doppel-S-Krümmung, Band-

scheiben, seitliches Neigen erfolgt vorwiegend in der Brustwirbelsäule

Lit.: 3, 8, 10, 28

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Gelenke und Gelenktypen

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Gelenke und Gelenktypen

Gelenk Gelenktyp

m = morphologisch f = funktionell

Bewegungsmöglichkeit

Schulterqelenk m+f Kugelgelenk 3 Gelenkachsen

Brustbein-Schlüsselbeingelenk m Flach-/ Sattelgelenk f Kugelgelenk

3 Gelenkachsen

Schlüsselbein-Schulterhöhegelenk

m+f Flächengleit-/ Ellipsoidgelenk

Verrutschen der Gelenkflächen und Drehung um eine senkrecht zu den Flächen stehende Achse

Oberarm-Ellegelenk m+f Scharniergelenk 1 Gelenkachse

Elle-Speichegelenk m+f Zapfengelenk 1 Gelenkachse

Handgelenk m+f Eigelenk (El-lipsoidgelenk)

2 Gelenkachsen

Wirbelgelenk m+f Flächengleitgelenk Verrutschen der Gelenkflächen

Hüftgelenk m+f Kugelgelenk 3 Gelenkachsen

Kniegelenk m+f Dreh-Scharniergelenk 2 Gelenkachsen

Oberes Sprunggelenk m+f Scharniergelenk 1 Gelenkachse

Unteres Sprunggelenk m nicht eindeutig f Ellipsoidgelenk

2 Gelenkachsen

Vereinfachte Gelenkmodelle mit Achsen und Hauptbewegungen:

A: Kugelgelenk. B: Eigelenk. C: Scharniergelenk. D: Zapfengelenk. E: Sattelgelenk. F: Flaches Gelenk.

Die Achsen, um welche die Bewegungen erfolgen, sind eingezeichnet. In jeder Bewegungsebene sind die beiden Hauptbewegungen mit Pfeilen eingetragen. (nach FALLER)

Lit.: 3, 10, 20, 28

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Gelenke und Gelenktypen

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Der „Adlerschwung“ am Reck:

extreme Anforderungen an Dehnfähigkeit und Gelenkigkeit im Hüft- und Schulterbereich

Der Kammgriff: Extrem auswärtsrotierter Oberarm und extreme Supination der Hand

Der Ellgriff: Extrem einwärtsrotierter Oberarm und extreme Pronation der Hand

Welche Gelenke sind beteiligt und welche Formen der Gelenkhemmung treten auf?

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Gelenke und Gelenktypen

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Das Kniegelenk - ein Drehscharniergelenk

1 - vierköpfiger Schenkelmuskel; 2 - Kniescheibe; 3 - Kniescheibenband; 4 - Oberschenkelknochen; 5 - Schienbein; 6 - Wadenbein; 7 - Äußerer Oberschenkelknorren; 8 - Innerer Oberschenkelknorren; 9 - Gelenkfläche des Oberschenkelknochens; 10 - Äußerer Meniskus; 11 - Innerer Meniskus; 12 - Kreuzbänder; 13 - Äußeres Seitenband; 14 - Inneres Seitenband.

Funktion:

Kreuzbänder: geben Führung bei Beuge- und Streckbe-wegung und hemmen eine Überstreckung.

Seitenbänder: spannen sich bei einer Streckung und ver-hindern eine Überstreckung; entspannen sich bei einer Beugung und ermöglichen eine Rotation des Unterschenkels (150 nach innen und 40 0 nach außen).

Menisken: gleichen die Inkongruenz der Gelenkknor-ren des Oberschenkelknochens und der Gelenkflächen des Schienbeins aus.

Kniescheibe: schützt den Gelenkspalt. Hebt die Streck-sehne vom Knochen ab und vergrößert dadurch den Kraftarm des Streckmuskels.

Lit.: 3, 10, 28

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Gelenke und Gelenktypen

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Schultergelenk - ein Kugelgelenk

1 - Schulterblatt; 2 - Rabenschnabelfortsatz; 3 - Schulterhöhe; 4 - Gelenkpfanne des

Schultergelenkes; 5 - Schlüsselbein; 6 - Oberarmknochen; 7 -

Kleiner Höcker des Ober-armknochens;

8 - Großer Höcker des Ober-armknochens;

9 - Kopf des Oberarmkno-chens;

10 - Sehne des langen Kopfes des Bizeps;

11 - Rabenschnabel-Oberarmband.

Vorhochheben:

im Schlüsselbein-Brustbein-gelenk bis zur knöchernen Hemmung

im Schultergelenk bis zur knöchernen Hemmung

Seithochheben:

im Schlüsselbein-Brustbein-gelenk bis zur knöchernen Hemmung

im Schultergelenk bis zur knöchernen Hemmung

Rückführen:

im Schultergelenk bis zur Muskel-/Bänderhemmung

Rotation:

im Schultergelenk bis zur Muskelhemmung / Knöchernen Hemmung

Lit.: 1, 10, 28

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Gelenke und Gelenktypen

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29

Einschränkung der Gelenkigkeit im Hüftgelenk

Massenhemmung:

Muskelhemmung:

Bänderhemmung:

Knochen- und / oder Muskelhemmung:

Lit.: 3, 10, 20, 28

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Gelenke und Gelenktypen

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Aktionsbereich von Gelenksystemen (kinematischen Ketten)

Kinematische Kette: ein über Gelenke verbundenes bewegliches System aus einzelnen Gliedern.

Die Extremitäten des Menschen stellen offene (an einem Ende freie) kinematische Ketten dar.

In kinematischen Ketten korrelieren Stabilität und Bewegungsfreiheit negativ. D.h. je größer die Bewegungsfreiheit, desto geringer die Stabilität!

Da die Bewegungsfreiheit kinematischer Ketten mit der Anzahl der Gelenke und mit der Bewe-gungsfreiheit der einzelnen Gelenke wächst, verringert sich die Stabilität kinematischer Ketten mit der Anzahl der Gelenke in der Kette und mit der Bewegungsfreiheit der einzelnen Gelenke.

Mit den Extremitäten des Menschen (zweigliedrig, proximal ein Kugelgelenk, distal ein Scharnier-gelenk) hat sich eine kinematische Kette entwickelt, die bei einem Minimum an Stabilitätsverlust ein Maximum an Bewegungsfreiheit garantiert.

Jede andere Gelenkkombination würde entweder eine Einbuße an Stabilität ohne weitere Effizienzmaximierung oder eine Einbuße an Effizienz bedeuten.)

erreicht alle Punkte auf einer Kreisbahn erreicht alle Punkte auf einer Kugeloberfläche und dreht den Punkt um sich selbst

erreicht alle Punkte auf einer Kreisfläche erreicht alle Punkte in einem Kugelraum und dreht den Punkt um sich selbst

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Bau des Muskels, Muskeltypen

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Bau des Muskels, Muskeltypen

a) spindelförmiger Muskel

b) zweiköpfiger Muskel

c) einseitig gefiederter Muskel

d) zweiseitig gefiederter Muskel

M - Muskelfasern

Die Maximalkraft des Muskels korreliert mit dem „physiologischen Querschnitt“ (ph.∅) des Muskels, multipliziert mit der Länge der Muskelfasern.

Bau des Skelettmuskels

1 - Muskelfaszie 2 - Gruppe von Primärbündeln 3 - Bindegewebshülle um Gruppen von

Primärbündeln (Epimysium) 4 - Primärbündel 5 - Bindegewebshülle um die

Primärbündel (Perimysium) 6 - Muskelfaser 7 - Nervenfaser mit Endverzweigung und

motorischen Endplatten 8 - Nerv 9 - Blutgefäße

Lit.: 3, 5, 8, 10, 20, 28

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Bau der Muskelfaser

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32

Bau der Muskelfaser

Schnittmodell einer Muskelfaser (halbschematisch)

1 - Basallamina mit Gitterfasern (kollagene Fasern), 2 - Muskelfasermembran (Plasmalemm), 3 - Transversale Tubuli, Einstülpungen des Sarkolemms in das Faserinnere, 4 - Öffnungen der transversalen Tubuli, 5 - Zellplasma der Muskelfaser (Sarkoplasma), 6 - Sarkoplasmatisches Reticulum (longitudinale Tubuli), 7 - Terminalcysternen des sarkoplasmatischen Reticulums, 8 - Myofibrillen, 9 - Myosinfilamente der Myofibrillen, 10 - Aktinfilamente der Myofibrillen, 11 - Myofibrillen, in Höhe der I-Banden geschnitten, (I für isotrop, einfach lichtbrechend) 12 - Myofibrillen, in Höhe der A-Banden geschnitten, (A für anisotrop, mehrfach lichtbrechend) 13 - Zellkerne der Muskelfaser, 14 - Mitochondrien.

Lit.: 13, 28

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Muskelkontraktion

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33

Muskelkontraktion

Bau der Myofibrille

A: A-Bande (anisotrop) AK: Aktinfilament H: H-Zone (Henson) I: I-Bande (isotrop) M: M-Scheibe (Mittel-) My: Myosinfilament Myk: Myosinkopf Mys: Myosinschaft S: Sarkomer,

mittlere Länge: 2,7µm Z: Z-Scheibe (Zwischen-) T: Titinfilamente

Gleittheorie der Muskelkontraktion:

Bei einer Muskelkontraktion gleiten die Aktin- und Myosinfila-mente teleskopartig ineinander, ohne sich selbst zu verkürzen. Dadurch verkürzen sich die Sarkomere um rund 40 %.

Querbrückentheorie:

Im aktivierten Zustand heften sich die Myosinköpfe des Myosinfila-mentes am Aktinfilament an (Querbrückenbildung), kippen um 45 0 um und ziehen dadurch die Aktinfilamente um 20nm aneinander vorbei. Dann lassen die Myosinköpfe das Aktinfilament wieder los, drehen sich in die senkrechte Stellung und greifen erneut zu. In 0,1 sec bei 50 „Greif-Loslass-Zyklen“ (Tauzieh-Prinzip“) ist das Sarkomer maximal verkürzt.

Lit.: 8, 13, 28

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Muskelkontraktion

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34

Elektromechanische Kopplung der Muskelkontraktion

1. Ein fortgeleitetes Aktionspotential ( ) des Motoneurons (M.n.) setzt an der motorischen Endplatte (m.E.) Neurotransmitter - Acetylcholin - frei.

2. Der Neurotransmitter erzeugt an der Muskelfaser-membran (F.m.)ein fortgeleitetes Aktionspotential ( ), das sich längs der Membran bis in die transversalen Tubuli (t.T.) ausbreitet. Durch das Aktionspotential werden die in den Terminalzisternen (T.z.) des sarkoplasmatischen Reticulums,(s.R.) gespeicherten Calcium-Ionen (Ca++) in das Sarkoplasma entlassen.

3. Die Ca++ Ionen entblocken die Kontaktstellen für die Myosinköpfchen (M.K.) am Aktinfilament (A.f.), so dass sich die Myosinköpfchen am Aktinfilament anheften (Querbrückenbildung, Q.b.). Die Ca-Ionen aktivieren ATP spaltende Enzyme. Die durch die ATP-Spaltung frei werdende Energie wird zum Kippen („Ruderschlag“) der angehefteten Myosinköpfchen und zum anschließenden Lösen der Querbrücken benötigt. Es laufen mehrere „Greif-Loslass-Zyklen“ ab, die Muskelfaser kontrahiert.

4. Durch eine „Calcium-Pumpe“ werden die Ca-Ionen wieder in die Terminalzisternen eingesammelt. Die Kontraktion wird eingestellt, die Muskelfaser erschlafft.

Lit.: 8, 13, 28

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Muskelkontraktion

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Molekularer Mechanismus der Muskelkontraktion:

Aufbau des Aktinfilamentes:

1 - gewundene Doppelkette 5 nm dicker Aktinmonomeren, 2 - Tropomyosinfäden, 3 - Troponinmoleküle, 4 - Myosinkopf des Myosinfilamentes.

Mechanismus:

Im inaktiven Zustand blockieren die Tropomyosinfäden die Kontaktstellen für die Myosinköpfe auf den Aktinfilamenten (s. Abb., linke Hälfte). Werden durch das Muskelaktionspotential Calcium-Ionen freigesetzt, werden diese an die Troponinmoleküle gebunden. Letztere verformen sich da-durch und schieben dabei die Troponinfäden in die Längsrinne im Aktindoppelstrang (s. Abb., rechte Hälfte). Dadurch wird der Haftpunkt für den Myosinkopf freigegeben, so dass sich die Quer-brücke bilden kann.

Weitere Daten:

Die Nickbewegung eines Köpfchens bei rein isotonischer Kontraktion kann zu einer Verkürzung des Sarkomers von 5-10 nm führen, das sind 1% der Sarkomerlänge. Das bedeutet, dass nach 50 Nickbewegungen in 0,1 sec (nach einer Verkürzung von rund 1 µm) das Sarkomer maximal kontrahiert ist.

Bei isometrischer Kontraktion dauert die Haftzeit 0,01 - 0,1 sec. Bei einer Pause zwischen den Haft-perioden von 0,1 - 0,01 sec ergibt das eine Frequenz der Nickbewegung eines Köpfchens von 5-50 Hz. 1 Milliarde Querbrücken in Parallelschaltung erzeugen eine Kraft von 0,001 N (≈ 0,1 gr).

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Muskelkontraktion

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36

Anordnung der kontraktilen und elastischen Elemente:

Aktionspotential

Spannungsentwicklung bei vorgespannter Muskelfaser („aktiver“ Zustand)

Spannungsentwicklung bei entspannter Muskelfaser

Spannungsentwicklung bei wiederholter Reizung:

a) Einzelzuckungen

b) Superposition

c) Tetanus

Kraftanstieg gegen unterschiedliche Lasten:

Schnellkraft: Die Fähigkeit, in mög-lichst kurzer Zeit eine möglichst hohe Kraft zu erzeugen.

Schnellkraftindex = F

tmax

max

Explosivkraft: Die Fähigkeit, den Kraftzuwachs möglichst schnell an-steigen zu lassen.

Explosivkraft = F F

t t

F

t2 1

2 1

−−

= ∆∆

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Muskelkontraktion

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Muskellänge und Muskelspannung

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Muskelkontraktion

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38

„Innere“ Muskelmechanik:

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Muskeln des Menschen

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39

Muskeln des Menschen

Oberflächendarstellung (zur Identifizierung von Ur-sprung und Ansatz der Mus-keln am Skelett, s.S.40)

Lit.: 3, 10, 20, 28

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Muskeln des Menschen

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40

Lit.: 3, 10, 20, 28

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Muskeln des Menschen

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Muskeln des Menschen Muskeln Ursprung Ansatz Funktion und Antagonist (A)

1 Gerader Bauchmuskel (M. rectus abdominis)

Vorderkante Brustkorb

Schambein Beugen (Ventralflexion) des Rumpfes. A zu 3

2 Äußerer schräger Bauchmuskel (M. obliquus externus abdominis)

Seite des Brustkorbes

Vorderkante Becken

Verwringen des Rumpfes

3 Rückenstrecker (M. erector spinae)

Darmbein (Rückseite), Dorn-, Querfortsätze, Rippen

Strecken und Überstrecken (Dorsalflexion) des Rumpfes. A zu 1

4 Großer Brustmuskel (M. pectoralis major)

Schlüsselbein, Brustbein

Oberarm, großer Höcker

Heranziehen (Adduktion) und Nach-vornführen (Anteversion) des Armes. A zu 5 und 8.

5 Breiter Rückenmuskel (M. latissimus dorsi)

Wirbelsäule, Darmbein

Oberarm, kleiner Höcker

Heranziehen (Adduktion), Rückführen (Retroversion) und Innenrotation des Armes. A zu 4 und 8.

6 Kapuzenmuskel (M. trapezius)

Hals- und Brustwirbel

Schulterblattgräte Zurücknehmen der Schulter, Feststellen des Schulterblattes. A zu 7.

7 Vorderer Sägemuskel (M. serratus anterior)

Rippen Schulterblatt, innerer Rand

Vorschieben der Schulter. A zu 6.

8 Deltamuskel (M. deltoideus)

Schlüsselbein, Schulterblattgräte

Außenseite Oberarm

Abspreizen (Abduktion) des Armes. A zu 4 und 5.

9 Armbeugemuskulatur (M. biceps brachii und M. brachialis)

Schulterblatt, O-berarm

Elle und Speiche Beugen des Ellbogengelenkes. A zu 10.

10 dreiköpfiger Armstrecker (M. triceps brachii)

Schulterblatt, O-berarm

Ellbogenfortsatz Strecken des Ellbogengelenkes. A zu 9.

11 Streckmuskeln der Finger und der Hand

Oberarm, äußerer Knorren

Fingerknochen, Handwurzel

Strecken der Finger und Überstrecken der Hand. A zu 12.

12 Beugemuskeln der Finger und der Hand

Oberarm, innerer Knorren

Fingerknochen, Handwurzel

Beugen der Finger und der Hand. A zu 11.

13 großer und mittlerer Gesäßmuskel (M. glutaeus maximus et medius)

Kreuzbein, hintere Darmbeinfläche

großer Rollhügel Strecken des Hüftgelenkes und Abspreizen (Abduktion) des Beines. A zu 14 und 15.

14 Lenden-Darmbeinmuskel (M. iliopsoas)

Lendenwirbel, Darmbein-innenfläche

kleiner Rollhügel Beugen des Hüftgelenkes. A zu 13 und 16.

15 Anzieher (M. adductor longus et magnus)

Schambein Oberschenkel Heranziehen (Adduktion)des Beines. A zu 13.

16 Schenkelbeuger (ischiocrurale Muskulatur)

Sitzbein, Oberschenkel

Wadenbein-köpfchen, Schienbein

Strecken des Hüftgelenkes und Beugen des Kniegelenkes. A zu 14 und 17.

17 Vierköpfiger Oberschenkelmuskel (M. quadriceps femoris)

Darmbein-vorderkante, Oberschenkel

Schienbein, Vorderkante

Beugen des Hüftgelenkes (nur langer Kopf) und Strecken des Kniegelenkes. A zu 13 und 16.

18 Schneidermuskel (M. sartorius)

Darmbein-vorderkante

Schienbein, Innenfläche

Beugen des Hüft- und Kniegelenkes, Außenrotation des Beines.

19 Zehenstrecker und vorderer Schienbeinmuskel

Schienbein, Wadenbein

Zehenknochen, Fußwurzel-innenkante

Strecken der Zehen und Heben (Extension) des Fußes. A zu 20 und 21.

20 Dreiköpfiger Wadenmuskel (M. triceps surae)

Oberschenkel, Schienbein

Fersenbein Senken (umgangssprachlich: Strecken; anatomisch: Flexion) des Fußes. A zu 19.

21 Wadenbeinmuskel (M. peronaeus)

Wadenbein Unter- und Innen-seite des Fußes

Aufbau Fußgewölbe. A zu 19 und 22.

22 Zehenbeuger und hinterer Schienbeinmuskel

Schienbein-rückseite

Zehen und Fußunterseite

Beugen der Zehen, Aufbau des Fußgewölbes. A zu 19 und 21.

Lit.: 3, 10, 28

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Muskeln des Menschen

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42

Aufgabe: Ordnen Sie den verschiedenen Bewegungsaufgaben die entsprechenden Muskeln zu:

Aufgabe Muskel

1. Arm abgespreizt halten

2. Schulter nach vorn schieben

3. Oberarm abgespreizt nach vorn bewegen (antevertieren)

Hand einwärts gedreht - proniert - halten

4. Ellbogengelenk strecken

5. Mit Hand und Fingern Kugel wegschnellen

Zusatz: Welcher Muskelgruppe kommt eine besondere Bedeutung zu, wenn man speziell das biomechanische Prinzip vom op-timalen Beschleunigungsverlauf berücksichtigt (s.S. 171)?

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Bedingungen zur Bestimmung der Muskelfunktion

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43

Bedingungen zur Bestimmung der Muskelfunktion

Über die auf S. 40 wiedergegebene Hauptfunktion hinaus, hängt die Arbeitsweise der Muskeln von verschiedenen Bedingungen ab, die nur aus der Kenntnis von Ursprung und Ansatz sowie Zug-richtung der Fasern abgeleitet werden kann.

1. Ausgangsstellung der Gliedmaßen:

Beispiel: In starker Hüftbeugestellung wirken die Adduktoren zusätzlich als kräftige Hüftstrecker.

Beispiel: Bei extrem rückgeführtem Arm bewirkt der breite Rückenmuskel eine Anteversion des Armes.

2. Funktion einzelner Muskelteile:

Beispiel: Das vordere (claviculare) Drittel des Deltamuskels wirkt isoliert als An-teversor, das hintere (spinale) Drittel als Retroversor.

Beispiel: Der obere (craniale) Teil des Kapuzenmuskels hebt das Schulterblatt, der untere (caudale) Teil senkt es.

Lit.: 20, 28

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Bedingungen zur Bestimmung der Muskelfunktion

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44

3. Zusammenspiel mehrerer Muskeln:

Beispiel: breiter Rückenmuskel und großer Brustmuskel wirken gemeinsam als Adduktor des Armes.

Beispiel: Eine vom Lendendarmbeinmuskel erzeugte Hüftbeugung wird in der Regel von einer Kontraktion des geraden Bauch-muskels begleitet, um ein Abkippen des Beckens nach vorn zu verhindern.

4. Äußere Widerstände:

Beispiel: Eine kräftige Aktion des Brustmuskels bei abduzier-tem Arm wirkt im Ellbogenge-lenk aufgrund der Trägheit des Unterarms streckend.

Beispiel: In der Stützphase des Laufes wirken die Schenkelbeuger aufgrund der Haftung des Fußes am Boden und der Trägheit des Körpers im Kniegelenk streckend.

5. Mehrgelenkigkeit einzelner Muskelteile:

Beispiel: Der lange Kopf des dreiköpfigen Armstreckers wirkt im Schultergelenk als Retroversor.

Beispiel: Der lange Kopf des vier-köpfigen Schenkelstreckers wirkt im Hüftgelenk beugend.

Lit.: 20, 28

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Bedingungen zur Bestimmung der Muskelfunktion

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45

Stütz-Stoß-Schlinge des Armes (Nummerierung der Muskeln s.S.40)

Lit.: 18, 28

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Kontraktionsformen der Muskeln

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46

Kontraktionsformen der Muskeln

1. Isometrische Kontraktion

Kontraktion bei konstanter Muskellänge aber sich ändernder Muskelkraft. Beispiel: Anwachsende Muskelkraft ge-gen einen unüberwindlichen Widerstand des Gegners beim Schiebekampf.

2. Isotonische Kontraktion

Kontraktion bei konstanter Muskelkraft aber sich ändernder Muskellänge. Beispiel: Gleichmäßige Bewegung des Tennisschlägers durch den Brustmuskel.

3. Auxotonische Kontraktion

Kontraktion bei Veränderung der Muskel-länge und Veränderung der Muskelkraft.

a) Konzentrische Form: Der Muskel verkürzt sich, während die Kraft steigt.

b) Exzentrische Form: Der Muskel wird durch äußere Kräfte verlängert, während seine Kraft steigt.

4. Anschlagkontraktion

Nach einer isotonischen oder auxotonischen Kontraktion Übergang zu einer isometrischen Kontraktion. Beispiel: Fixierung des Boxstoßes durch äußeren Widerstand.

5. Unterstützungskontraktion

Nach einer isometrischen Kontraktion, die den äußeren Widerstand überwindet, Übergang zu isotonischer bzw. auxotonischer Kontraktion. Beispiel: Heben eines Gewichtes.

Alle genannten Beispiele sind als Modellfälle zu betrachten, die in reiner Form nur gele-gentlich in der Bewegungspraxis auftreten. Den Kraft-Muskellänge-Verlauf bei einem Hochsprung mit federndem Ausholen zeigt annähernd nebenstehendes Diagramm: Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ)

Lit.: 8, 28

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Muskelmechanik

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47

Muskelmechanik

Siehe hierzu auch „Hebelgesetze“ auf S.134.

Ob ein Muskel eine Last halten bzw. heben kann, hängt vom Muskelkraftmoment und vom Last-moment ab.

Angenommenes Beispiel: Eine Last von 200 N soll in verschiedenen Winkelstellungen des Ellbogengelenkes mit Hilfe des Armbeugers, der (in diesem Beispiel) eine isometrische Maximalkraft von 2000 N aufbringen kann, gehalten werden.

Lastmoment = Last x Lastarm =

F rL L× = × =200 0 4 80N m Nm,

Soll das Gewicht gehalten werden, muss das Muskelkraftmoment gleich dem Last-moment sein:

F r F rM M L L× = × = 80Nm

Da in dieser Gelenkwinkelstellung der Kraftarm rM des Muskels 0,05m beträgt (angenommener Wert), ergibt sich:

FM × =0 05 80, m Nm

FM = =80

0 051600

Nm

, mN.

Folglich muss der Muskel 80% seiner isometrischen Maximalkraft einsetzen, um das Gewicht zu halten.

Lastmoment = Last x Lastarm =

F r

F rL L

M M

× =× =

80

80

Nm (s.o.)

Nm

Da in dieser Gelenkwinkelstellung der Kraftarm des Muskels nur 0,033 m beträgt, ergibt sich:

FM = =80

0 032 666

Nm

, mN.

Folglich kann der Muskel die zum Halten der Last notwendige Kraft nicht aufbringen.

Lit.: 4, 23, 28

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Muskelmechanik

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c) d) Berechne, vergleiche, diskutiere

Folgerungen:

• Ein Muskel kann in einer mittleren Gelenkwinkelstellung die größten Muskelkraftmomente erzeugen.

• Eine Last wird mit der über ein Gelenk zur Verfügung stehenden Muskelkraft am mühelosesten gehalten, wenn der Kraftvektor der Last möglichst in der Längsachse der zwischen Last und Ge-lenk befindlichen Gliedmaße verläuft (kleinstes Lastmoment).

• Ein Gewicht belastet einen über ein Gelenk wirkenden Muskel maximal, wenn der Kraftvektor der Last senkrecht zur Längsachse der zwischen Last und Gelenk befindlichen Gliedmaße gerichtet ist.

Diskutiere:

Lit.: 4, 23, 28

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Übung zur Muskelmechanik

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49

Übung zur Muskelmechanik

Aufgabe: Zeichnen Sie in die unten dargestellten statischen sportmotorischen Aktionen diejenigen Muskeln ein (und benennen Sie diese), die der jeweils eingezeichneten Last entgegen-wirken und auf diese Weise für das Einhalten der Position verantwortlich sind!

Beispiel:

Lit.: 4, 23, 28

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Übung zur Muskelmechanik

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Aufgabe: Zeichnen Sie in die unten dargestellten dynamischen sportmotorischen Abläufe diejeni-gen Muskeln ein (und benennen Sie diese), die zur Durchführung der geplanten Bewe-gung (�) der Trägheitskraft ( ) durch die Erzeugung der Kraft ( ) entgegenwirken müssen!

Lit.: 4, 23, 28

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Dehnungs- und Krafttraining nach funktionell-anatomischen Grundsätzen

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Dehnungs- und Krafttraining nach funktionell-anatomischen Grundsätzen

Für die Planung und Durchführung eines Dehnungs- und Krafttrainings nach funktionell-anatomischen Grundsätzen sind insbesondere folgende Kenntnisse Voraussetzung:

- Ursprung, Ansatz und Funktion der in diesem Zusammenhang wichtigsten Muskeln (S.39-40)

- Aufbau und Bewegungsmöglichkeiten der Gelenke und ihre Einschränkungen(S.25-29)

A. Funktionell-anatomischer Grundsatz des Dehnungstrainings

Zum Dehnungstraining werden solche Übungen absolviert, bei denen eine der Funktion des Muskels entgegengesetzte dynamisch federnde Bewegung ( = a, dynamisches Dehnungs-training) oder langsam ziehende Bewegung in der finalen Dehnungsstellung ( = b, statisches Dehnungstraining) durchgeführt wird, um so den Abstand zwischen Ursprung und Ansatz des Muskels zu vergrößern.

Beispiele:

1. Eingelenkiger Muskel: Die Schenkelanzieher (Mm. adductores). Ihre Funktion ist das Heran-ziehen des Beines. Dehnungsübungen müssen demnach ein Abspreizen des Beines zeigen:

2. Zweigelenkiger Muskel: Schenkelbeuger (Mm. ischiocrurales). Ihre Funktion ist ein Strecken des Hüftgelenks sowie ein Beugen des Kniegelenks. Dehnungsübungen müssen demnach ein Beugen des Hüftgelenks und ein Strecken des Kniegelenks enthalten.

Achtung: Bei allen Übungen zur Dehnung der Schenkelbeuger darf ein Unvermögen, das Becken nach vorn beugen zu können, nicht durch starkes Beugen der Wirbelsäule ausgeglichen werden! Also: Wirbelsäule gestreckt halten!

Lit.: 17, 19, 28

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Dehnungs- und Krafttraining nach funktionell-anatomischen Grundsätzen

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B. Funktionell-anatomischer Grundsatz des Krafttrainings

Zum Krafttraining werden solche Übungen absolviert, bei denen eine der Funktion des Muskels entsprechende Bewegung gegen einen äußeren Widerstand ( = a, dynamisches Krafttraining) bzw. Haltearbeit gegen einen unüberwindlichen Widerstand ( = b, statisches Krafttraining) durchgeführt wird.

Beispiele:

1. Eingelenkiger Muskel: Die Schenkelanzieher (Mm. adductores)

2. Zweigelenkiger Muskel: Die Schenkelbeuger (Mm. ischiocrurales)

3. Rumpfmuskel: Der gerade Bauchmuskel (M. rectus abdominis)

Achtung: übermäßige Hüftbeugebewegung gegen starke Widerstände kräftigen nicht den geraden Bauchmuskel, sondern den Lendendarmbeinmuskel. Bei fehlender Dehnung kann es zu einer Dauerverkürzung des Letzteren kommen und damit zu einer Hohlkreuzhaltung (s.S.24).

Lit.: 17, 19, 28

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Dehnungs- und Krafttraining nach funktionell-anatomischen Grundsätzen

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53

C. Die Wirkungen des Dehnungs- und Krafttrainings auf das arthro-muskuläre Gleichgewicht

• Die entlastende Mittelstellung eines Gelenks basiert auf einem Längen- und Kräftegleich-gewicht der dieses Gelenk bewegenden Muskeln (Antagonisten). Dehnungs- und Kraft-training stellt einen Eingriff in dieses Gleichgewicht dar.

• Dehnungstraining fährt durch die Beeinflussung der mechanischen Eigenschaften des Muskels durch biochemische bzw. strukturelle Veränderungen zu einer Muskel- verlängerung.

• Muskelkräftigung ohne entsprechende Dehnreize führt zu einer irreversiblen Muskel-verkürzung (Delta-Zustand).

• Werden die Antagonisten eines Gelenks einseitig einem Dehnungs- bzw. Krafttraining unterzogen, kann es zu einer arthro-muskulären Dysbalance kommen.

• Durch einseitige Muskelverkürzung kommt es zu einer Überlastung der Sehnen, des Gelenkknorpels (weil die entlastende Mittelstellung der Gelenke nicht mehr gehalten werden kann, zu einer Disposition zu Muskelzerrungen und Muskelfaserrissen und zu einer Störung der Statik (Haltung).

• Wenn der proportionale Anteil von Dehnreizen beim Training bestimmter Sportarten zu gering ist, kommt es zu disziplin-spezifischen Verkürzungsmustern.

D. Funktionell-anatomischer Grundsatz des Dehnungs- und Krafttrainings zur Erhaltung des arthro-muskulären Gleichgewichts

• Um arthro-muskuläre Dysbalancen zu vermeiden, müssen alle ein Gelenk bewegenden Antagonisten (= entgegenwirkende Muskeln) gleichermaßen durch ein Dehnungs- und Krafttraining nach funktionell-anatomischen Grundsätzen trainiert werden.

Beispiele:

a) Dies bedeutet für das obere Sprunggelenk(=Scharniergelenk), das nur Beugung und Streckung zulässt, dass nicht nur die Beuger (dreiköpfiger Wadenmuskel), sondern im selben Umfang auch die Strecker (spez. der vordere Schienbeinmuskel) einem Deh-nungs- und Krafttraining unterzogen werden müssen.

Beachte: Der Zwillingswadenmuskel (M. gastrocnemius) ist ein zweigelenkiger Muskel mit den Funktionen Beugen (umgangssprachlich Strecken) des oberen Sprunggelenks und Beugen des Kniegelenks. Der Zwillingswadenmuskel muss also bei gestrecktem (u.sp. gebeugtem) oberen Sprunggelenk und ge-strecktem Kniegelenk gedehnt werden.

b) Beim Hüftgelenk (=Kugelgelenk) müssen die Beuger (die ventralen Hüftmuskeln), die Strecker (die dorsalen Hüftmuskeln), die Anzieher (Adduktoren) und die Abspreizer (Ab-duktoren) trainiert werden.

• Bestehen schon arthro-muskuläre Dysbalancen (z.B. Haltungsschwächen), so können diese durch gezieltes Dehnungs- und Krafttraining korrigiert werden (vgl. S.24).

• Besondere Beachtung sollte den Muskeln mit Haltungsfunktion (den posturalen Muskeln) gegeben werden. Dies sind: Die Schenkelbeuger, die Hüftbeinmukulatur (insbesondere M. iliopsoas), der vierköpfige Oberschenkelstrecker, die Adduktoren, die Wadenmuskeln, die Bauchmuskulatur, die Rückenstreckmuskulatur und die Brustmuskulatur.

Lit.: 17, 19, 28

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Entwicklungsgeschichte der Informationsleitung im Organismus

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Entwicklungsgeschichte der Informationsleitung im Organismus

Entwicklungsprinzip: Die Ordnung des Organismus soweit wie möglich von der Unordnung der Umwelt abschließen!

Aber: Nur so viel Informationsaustausch wie gerade notwendig zulassen.

Die Zellmembran schließt den Organismus von der Umwelt ab und wählt die notwendige Information aus.

Informationsleitung durch Diffusion durch die Membran

Informationsleitung durch Diffusion durch das Plasma

Informationsleitung durch elektrische Impulse

1. Kurze Diffusionswege durch Membranen

2., 3. Lange Diffusionswege

4. Beschränkung der Informationsaufnahme auf Sinneszellen

5. Reduktion der Membrandiffusion durch Sinnesnervenzellen

6. Vergrößerung der Geschwindigkeit der Informations-leitung durch elektrische Impulse. Die Informations-leitung von Zelle zu Zelle geschieht nach wie vor durch Diffusion

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Bau und Funktion der Nerven- und Sinneszelle

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Bau und Funktion der Nerven- und Sinneszelle

Nervenzelle (Neuron): Übersicht und Ausschnittver-größerung

1 Zellkörper (Soma, Pericaryon)

2 Dendriten 3 Ursprungskegel des

Achsenfadens (Axonhügel) 4 Achsenfaden (Axon oder

Neurit) 5 Markscheide aus

Schwannschen Zellen 6 Ranvierscher Schnürring 7 Zellkern der Schwannschen

Zelle 8 Zellkern der Nervenzelle 9 Mitochondrium 10 Golgi-Apparat 11 rauhes endoplasmatisches

Retikulum 12 Neurotubuli und

Neurofibrillen 13 Endverzweigung des Axons 14 synaptische Endknöpfchen 15 Kollaterale

Sinneszellen

1 Primäre Sinneszelle, 2 Sinnesnervenzelle, 3 Sekundäre Sinneszelle,

mit nachgeschalteter Nervenzelle, 4 Körperperipherie, 5 Zentralnervensystem, 6 reizempfindlicher Teil (Rezeptor), 7 dentritischer Fortsatz, 8 neuritischer (axonaler) Fortsatz

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Bau und Funktion der Nerven- und Sinneszelle

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Funktion der Nervenzelle 1. Das Ruhepotential - die Voraussetzung für die

Erregungsleitung

Die Membran der Nervenzelle ist im Ruhezustand (= unerregter Zustand) elektrisch geladen, und zwar erweist sich die Membraninnenseite um ca. 90 mV negativer als die Membranaußenseite. Diese Spannungsdifferenz nennt man das Ruhepotential.

Bedingungen für das Ruhepotential: a) Ionenverteilung, b) Ionendurchlässigkeit der Membran, c) auf die Ionen wirkende Kräfte, d) Kalium-Natrium-Pumpe.

a) Ursache des Ruhepotentials ist eine ungleiche Verteilung elektrisch geladener Teilchen (Ionen) außerhalb und inner-halb der Membran der Nervenzelle. Die Zeichnung gibt die angenäherte Verteilung der Ionen wieder: A-: Eiweißanionen, Cl-: Chloranionen; K+ : Kalimkationen; Na+: Natriumkationen.

b) Die Membran enthält Kanäle (Poren) für Kaliumionen und Kanäle für Natriumionen, die an der unerregten Membran geschlossen sind. Trotz geschlossener Ionenkanäle ist die Membran für Kalium- und Natriumionen geringfügig durch-lässig (permeabel), für Kalium jedoch durchlässiger als für Natriumionen.

c) Eine Ungleichverteilung von Ionen lässt Kräfte entstehen, die eine Gleichverteilung anstreben.

1. Der Diffusionsdruck strebt eine gleiche Konzentration an.

2. Eine elektrostatische Kraft strebt eine Gleichverteilung e-lektrischer Ladungsträger an.

1. und 2. wirken für Natriumionen von außen nach innen. Folge: regelmäßig gelangen wenige Natriumionen trotz ge-ringer Membrandurchlässigkeit nach innen. Für Kaliumionen überwiegt 1.(nach außen gerichtet). 2.(nach innen gerichtet). Es gelangen regelmäßig wenige Kaliumionen nach außen.

d) Da die konstante unterschiedliche Verteilung von Kalium- und Natriumionen Voraussetzung für die Erregungsleitung ist, muss die Ionenkonzentration ständig aktiv aufrechterhal-ten werden: Eine Kalium-Natrium-Pumpe transportiert die durch die Membran gedrungenen Kalium- und Natriumionen wieder nach innen bzw. nach außen. Dieser Vorgang ver-braucht Energie, da die Ionen „bergauf“ bzw. entgegen den bestehenden Kräften gepumpt werden. Es ist der energie-verbrauchende Prozess, der die Erregungsleitung garantiert.

Modell der gekoppelten Kalium-Natrium-Pumpe

Vereinfachtes Modell. Es soll verdeutlichen, dass bei je einem Umlauf ein Kaliumion aus dem Zwischenzellraum (von der Außenseite der Membran) in die Zelle hinein- (an die Innenseite der Membran) und ein Natriumion aus der Zelle heraustranspor-tiert wird.

Lit.: 5, 13, 14, 16

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2. Das lokale und fortgeleitete Aktionspotential

Voraussetzung für das Entstehen eines lokalen und fortgeleiteten Aktionspotentials: a) elektrisch gesteuerte Ionenkanäle b) Reizung der Membran

a) Der Öffnungsgrad der Kalium- und Natriumkanäle ist abhängig von der Spannung des Ruhe-potentials. Bei einem Ruhepotential von -90 mV sind die Kanäle nahezu geschlossen. Sinkt das Ruhepotential auf -80 mV oder -70 mV usw., öffnen sich die Natriumkanäle graduell. Sinkt das Ruhepotential auf -50 mV, öffnen sich die Natriumkanäle total. Ein sehr starkes Depolarisieren der Membran bringt auch eine Öffnung der Kaliumkanäle mit sich.

b) Im lebenden Organismus wird die Membran von Nerven- und Sinneszellen elektrisch, chemisch oder mechanisch gereizt. All diese Reize führen zu einer Reduzierung des Ruhepotentials.

Zeitlicher Ablauf des lokalen und fortgeleiteten Aktionspotentials:

Erläuterung (Die Zahlen beziehen sich auf die in der Abbildung gekennzeichneten Zeitabschnitte):

1. Ruhepotential. Die Ionenkanäle sind geschlossen.

2. Die Membran wird gereizt. Die Natriumkanäle öffnen sich graduell. Es dringen Na-Ionen in die Zelle ein. Die Membran wird depolarisiert bis auf -70 bis -60 mV. Die Depolarisierung bleibt auf den Ort der Reizung begrenzt: lokales Potential (lokale Erregung).

3. Der Reiz verschwindet: Die Natriumkanäle schließen sich. Die Kalium-Natrium-Pumpe schafft die eingedrungenen Na-Ionen wieder nach außen: Das Ruhepotential ist wiederhergestellt.

4. Wie 2. Der Reiz ist jedoch so stark, dass die Membran bis zum Schwellenwert von -50 mV depolarisiert wird.

(Fortsetzung nächste Seite)

Lit.: 13, 14, 16

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5. Die Natriumkanäle öffnen sich total: Natriumionen ergießen sich in die Zelle: Die Membran wird umgepolt bis auf + 30 mV (= Spitzenpotential, Impuls). Die Kaliumkanäle beginnen sich zu öffnen: Kaliumionen dringen nach außen und beginnen, die Membran wieder rückzupolen (repolarisieren).

6. Die Repolarisation wird durch weiteres Öffnen der Kaliumkanäle fortgesetzt. Die Membran ist völlig unerregbar (totale Refraktärphase).

7. Die Kalium-Natrium-Pumpe transportiert die Ionen wieder auf die ursprüngliche Membranseite: Die Membran ist wieder schwach erregbar (partielle Refraktärphase).

8. Das Ruhepotential ist wiederhergestellt.

Die Umpolung eines Membranabschnittes be-deutet eine elektrische Reizung der benachbar-ten Membranabschnitte, die ihrerseits umgepolt werden usf.: Das Spitzenpotential „fegt“ mit ei-ner Geschwindigkeit von 10 m/s über die gesamte Membran der Nervenzelle (= fortgeleitetes Aktionspotential, fortgeleitete Erregung, Impuls).

Da die Myelinscheide die Membran elektrisch isoliert, überspringt bei „markhaltigen“ Nervenfa-sern die Erregung (der Impuls) die, Schwann-schen Zellen von Schnürring zu Schnürring (sal-tatorische Erregungsleitung). Dadurch wird die Leitungsgeschwindigkeit verzehnfacht.

Lit.: 13, 14, 16

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3. Das Synapsenpotential

Modell der Synapse, der Transmitterfreisetzung (schematisch) und der subsynaptischen Transmitterwirkung

1 Praesynaptische Membran des synaptischen Endknöpfchens;

2 Subsynaptische Membran 3 Synaptische Bläschen (Vesikel) mit Molekülen

der Überträgersubstanz (Neurotransmitter) 4 Synaptische Bläschen, den Überträgerstoff

in den synaptischen Spalt entlassend 5 Ionenkanal 6 Transmitterrezeptor 7 Ionenkanal geöffnet 8 Transmittermolekül, verbunden mit

Transmitterrezeptor des Ionenkanals als Schlüsselereignis zur Öffnung des Ionenkanals

9 Inaktivierende Enzymmoleküle 10-11 Aufnahme des inaktivierten Transmitters

durch Pinozytose.

Ablauf der synaptischen Übertragung eines Impulses:

1. Ein fortgeleitetes Aktionspotential (Impuls) läuft über die präsynaptische Membran und kommt an der Synapse an.

2. Der Impuls aktiviert die synaptischen Vesikel mit dem Überträgerstoff (Neuro-Transmitter). Diese wandern an die Membran, öffnen sich und entlassen den Transmitter in den synaptischen Spalt.

3. Die Transmittermoleküle verbinden sich mit den Rezeptoren der chemisch gesteuerten Natriumkanäle der subsynaptischen Membran. Diese öffnen sich.

4. Durch das Öffnen der Na-Kanäle dringen Na-Ionen in das Innere der postsynaptischen Nervenzelle und depo-larisieren die subsynaptische Membran: Synapsenpotential.

5. Erreicht die (lokale) Depolarisierung den Schwellenwert von -50 mV, entsteht an der postsynaptischen Membran ein fortgeleitetes Aktionspotential.

6. Im synaptischen Spalt inaktivieren Enzyme die Transmittermoleküle. Die Na-Kanäle schließen sich. Der inaktivierte Transmitter wird vom sy-naptischen Endknöpfchen resorbiert.

Das Nervensystem kann nur dann Informationen von einem Ursprungsort zu einem Zielort leiten (bzw. das Ausbreiten einer Information über das gesamte Nervensystem verhindern), wenn neben den oben beschriebenen „erregenden“ Synapsen auch „hemmende“ Synapsen in großer Zahl auf-treten. Diese funktionieren in ähnlicher Weise wie die erregenden Synapsen. Der von ihnen freige-setzte Transmitter öffnet an der subsynaptischen Membran chemisch gesteuerte Kaliumkanäle. Dadurch strömen Kaliumionen aus und erhöhen so das Ruhepotential von -90mV auf -95mv und mehr (= Hyperpolarisation). An hyperpolarisierten Membranen können durch erregende Synapsen weniger leicht oder keine fortgeleitete Aktionspotentiale ausgelöst werden.

Lit.: 13, 14, 16

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4. Beispiel einer Kette von lokalen Potentialen und fortgeleiteten Aktionspotentialen

Die Abbildung zeigt die Verbindung einer Sinneszelle über eine Schaltzelle mit einer motorischen Nervenzelle.

Sinneszelle: 1 - Rezeptor; 2 - myelinisiertes Axon; 3 - Perikaryon; 4 - Endverzweigung mit synaptischen Endknöpfchen

Schaltzelle: 5 - Perikaryon mit Dendriten; 6 - Axon; 7 - Endverzweigung mit synaptischen Endknöpfchen.

Motorische Nervenzelle:

8 - Perikaryon; 9 - Axon, myelinisiert; 10 - Endverzweigung; 11 - motorische Endplatte.

Potentiale:

RP Rezeptorpotential. AP fortgeleitetes

Aktionspotential. SP Synapsenpotential. EPP Endplattenpotential. MAP Muskelaktionspotential.

Lit.: 13, 14, 16

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Erregende und hemmende Synapse mit Stromkreisen

A) Erregende Synapse: Der durch er-regenden Neurotransmitter induzierte Einstrom der Natriumionen depolari-siert die Membran (RP) durch Aufbau eines lokalen erregenden Potentials (erregendes postsynaptisches Poten-tial, EPSP) bis zum Schwellenwert, so dass ein fortgeleitetes Aktionspo-tential (AP) entsteht.

B) Hemmende Synapse: Der durch den hemmenden Neurotransmitter induzierte Ausstrom von Kaliumionen hyperpolarisiert die Membran durch Aufbau eines lokalen hemmenden Potentials (hyperpolarisierendes in-hibitorisches postsynaptisches Po-tential, IPSP (HP)). Trifft auf die hy-perpolarisierte Membran ein EPSP mit der gleichen Amplitude wie in Abb. A) kann kein fortgeleitetes Akti-onspotential entstehen, da die kritische Schwelle nicht erreicht wird.

Impulsauslösung an der Nervenzelle AP - fortgeleitetes Aktionspotential (Impuls); IS - Initialsegment; PS - Potentialschwelle; RP - Ruhepotential; EPSP - erregendes Synapsenpotential; IPSP - hemmendes Synapsenpotential; HS - hemmende Synapse.

a) Auf ein präsynaptisches Aktionspotential wird ein erregendes postsynaptisches Potential (EPSP) unterschwelliger Ampli-tude ausgelöst.

b) Die Amplitude des EPSP ist überschwellig, so dass ein fortgeleitetes Aktionspotential entsteht.

c) Die jedes für sich unterschwelligen EPSPs zweier Synapsen, an denen gleichzeitig je ein präsynaptisches Potential ankommt, addieren sich, so dass die Schwelle überschritten und postsynaptisch ein fortgeleitetes Aktions-potential ausgelöst wird (räumliche Summation) .

d) An einer Synapse läuft ein zweites prä-synaptisches Aktionspotential ein, bevor das EPSP des vorhergehenden präsy-naptischen Aktionspotentials abgeklun-gen ist. Das daraufhin gebildete zweite EPSP addiert sich zum Rest des vorhe-rigen EPSP, so dass die Schwelle über-schritten und ein Impuls ausgelöst wird (zeitliche Summation).

e) Räumliche Summation erregender und hemmender Synapsenpotentiale

Lit.: 13, 14, 16

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Wirkung von Giften und Pharmaka

Hemmung

H1 - Blockieren der Fortleitung der Erregung bis in die präsynaptische Endigung: Lokalanaesthesie (Kokain u. Novokain verhindern das Öffnen der Na-Kanäle)

H2 - Behinderung der Transmitterfreisetzung durch Ca2+-Entzug: Botulinus-Toxin

H3 - Ersatz von Transmitter: Opiate, Morphin (→ Enkephalin) Sonderfall: Endorphin (→ körpereigenes „'Morphin“)

H4 - Blockade von Transmitterrezeptoren: Curare

Erregung

E1 - Begünstigung der Transmitterfreisetzung: Amphetamin (→ Dopamin)

E2 - Ersatz von Transmitter: Mescalin, LSD (→ Dopamin, Serotonin)

E3 - Behinderung der präsynaptischen Hemmung: Blockade der Transmitterrezeptoren: Strychnin; Behinderung der Transmitterfreisetzung: Tetanus-Toxin

E4 - Behinderung des Transmitterabbaues: Coffein

E5 - Behinderung der Resorption von Transmitter: Kokain

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Motorische Endplatte

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Motorische Endplatte

1 - Axon des Motoneurons mit Axonverzweigungen;

2 - Schwann'sche Zelle; 3 - Sohlenplatte; 4 - Muskelfasermembran; 5 - Präsynaptische Membran; 6 - subsynaptische Membran

mit Faltungen; 7 - synaptischer Spalt (über-

höht dargestellt); 8 - Mitochondrien; 9 - synaptische Vesikel; 10 - Myofibrillen.

Die Motorische Endplatte bildet eine Synapse zwischen einem Alpha-Motoneuron und der Membran der Muskelfaser. Sie ist die einzige Synapse im Kör-per des Menschen, bei der auf einen präsynaptischen Impuls immer auch ein postsynaptischer Impuls folgt. D.h. die Membran der Muskelfaser „feuert“ in der gleichen Frequenz wie die Membran der sie innervierenden motorischen Nervenzelle (Alpha-Motoneuron).

Mechanorezeptor und Rezep-torpotential

a) Mechanorezeptor R mit Initialsegment J und Schwann'schen Zellen S. Auf eine mechanische Reizung Rz wird die Membran depolarisiert. Das Rezeptor-potential breitet sich elektrotonisch aus und löst am Initialsegment ein fortgelei-tetes Aktionspotential aus.

b) Mechanische Reize unterschiedlicher Stärke.

c) Rezeptorpotentiale, deren Amplitude direkt proportional der Stärke der Reize sind.

d) Aktionspotentiale, deren Frequenz abhängig ist von der Amplitude des auslösenden Rezeptorpotentials.

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Neuronenverschaltungen

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Neuronenverschaltungen

d divergente Neuronenschaltung. k konvergente Neuronenschaltung. a-c Konsequenzen der Di-vergenz und Konvergenz im Neuronenverband. Es wird angenommen, dass die hellen Synapsen jede für sich die nachgeschalteten Neuronen überschwellig, die einzelne dunkle Synapse aber nur unterschwellig erregen. Zwei dunkle Sy-napsen, gleichzeitig aktiv, sollen ein nachge-schaltetes Neuron überschwellig erregen. Bei alleiniger Aktivität erregt Neuron a nur ein nach-geschaltetes Neuron überschwellig, nämlich Neuron 2, Neuron b erregt die Neurone 5 und 6 und Neuron c erregt die Neuronen 5, 6 und 7 überschwellig. Sind die Neurone a und b gleich-zeitig aktiv, werden mehr nachgeschaltete Neu-rone überschwellig erregt als die Summe der von a und b in Einzelaktivität erregten Neurone, näm-lich die Neurone 2, 3, 4, 5 und 6 (= 'räumliche Bahnung'). Werden die Neurone b und c gleich-zeitig aktiv, werden weniger nachgeschaltete Neurone überschwellig erregt, als die Summe der von b und c in Einzelaktivität erregten Neurone, nämlich die Neurone 5, 6 und 7 („Occlusion“).

Motorische Einheit, Beispiel einer Divergenz A Axon der motorischen Nervenzelle, ohne Markscheide dargestellt. mEP moto-rische Endplatte. Mf Muskelfaser. mN motorisches Neuron.

Eine „motorische Einheit“ ist die funktio-nelle Einheit, bestehend aus einem Moto-neuron und allen von dem Motoneuron erregten Muskelfasern. Da die motori-schen Endplatten jeden Nervenimpuls in einen Muskelfaserimpuls umformen, wer-den auf einen Impuls des Motoneurons alle vom Motoneuron innervierten Muskelfasern einen Muskelfaserimpuls und eine Kontraktionszuckung zeigen. Die Kraft eines Muskels lässt sich da-durch steigern, dass 1. die Frequenz der Impulse der Motoneurone steigt und 2. die Anzahl der „feuernden“ Motoneurone zunimmt (intramuskuläre Koordination).

Der zweiköpfige Armbeugemuskel besitzt rund 780 motorische Einheiten, wobei jede motorische Einheit rund 750 Muskel-fasern besitzt. Ein Augenmuskel besitzt rund 1700 motorische Einheiten mit je 13 Muskelfasern.

Neuronenverschaltung (schwarz: hemmende Neurone):

a) Vorwärtshemmung am Beispiel der antagonistischen Hemmung. b) Rückwärtshemmung (= negative Rück-koppelung bzw. Feedback-Hemmung).

c) Präsynaptische Rückwärtshemmung. d) laterale Hemmung. R Reiz. F Frequenzen der vorgeschalteten Neuro-ne als frequenzmoduliertes Abbild des Reizes. F' Frequenzen der nachgeschalteten Neurone, teilweise durch laterale Hemmung beeinflusst, R' durch laterale Hemmung kontrastiertes Abbild des Reizes R. Die laterale Hem-mung kann auch präsynaptisch erfolgen. In diesem Fall fehlen die hemmenden Interneurone.

Divergenz und Konvergenz:

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Das visuelle System

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Das visuelle System

rechtes Auge - Schnittbild, ohne Glaskörper dargestellt: 1 Lederhaut (Sclera). 2 Hornhaut (Cornea). 3 Aderhaut (Choroidea). 4 Netzhaut (Retina). 5 Ziliarkörper mit Ziliarmuskel. 6 Zonulafasern (Zonula ciliaris) zur Linsenaufhängung. 7 Linse. 8 Regenbogenhaut (Iris) mit Irismuskulatur. 9 Gelber Fleck (Macula) bzw. Zentralgrube (Povea centralis). 10 Blinder Fleck, Durchtritt des Sehnervs durch die Wand des Augapfels. 11 Sehnerv (Nervus opticus). 12 vordere Augenkammer. 13 hintere Augenkammer. 14 Augenmuskeln. 15 Achse des Augapfels (optische Achse). 16 Sehachse.

Pupillenreaktion und Akkomodation: 1 Hornhaut. 2 Vordere Augenkammer. 3 hintere Augenkammer. 4 Radialmuskel der Iris, kontrahiert: Pupille geweitet. 5 Radialmuskel der Iris, ent-spannt. 6 Ringmuskel der Iris, kontrahiert. Pupille verengt. 7 Ziliarmuskel, entspannt. 8 Ziliarmuskel, kontrahiert. 9 Zonulafaser gespannt. 10 Zonulafa-sern, entspannt. 11 Linse, abgeflacht, auf Ent-fernungssehen eingestellt. 12 Linse, gerundet, auf Nahsehen eingestellt. 13 Wirkungsrichtung des Innendruckes des Augapfels auf Ziliarkörper, Zonu-lafasern und Linse.

Pupillenreaktion: Bei hohem Lichteinfall kontra-hiert der Ringmuskel der Iris und verengt die Pupil-le. Bei geringem Lichteinfall kontrahiert der Radi-almuskel der Iris und öffnet die Pupille.

Akkomodation: Im „Ruhezustand' wirkt der Innen-druck des Augapfels als Zug über die Zonulafasern auf die Linse und flacht diese ab: Das Auge ist auf Entfernungssehen eingestellt. Für das Nahsehen kontrahiert der Ziliarmuskel gegen den Innendruck des Augapfels. Dadurch werden die Zonulafasern entspannt, und die Linse rundet sich aufgrund ihres Innendruckes ab.

Bildentstehung im Auge, dargestellt durch ein vereinfachtes optisches System: A Abbildungsfläche. B Bild.

F1 äußerer Brennpunkt. F2 innerer Brennpunkt. H Hauptpunkt (Schnitt-punkt der optischen Achse mit der Ü-bergangsfläche). O Objekt. Ü Übergangsfläche . K Knotenpunkt

Zur scharfen Bildentstehung müssen alle Strahlen, die von einem Punkt des Objektes ausgehen, durch den dioptrischen Apparat so gebrochen werden, dass sie in einem Punkt der Netzhaut gesammelt werden. (Der durch den Knotenpunkt verlaufen-de Strahl wird nicht gebrochen.)

Bau des Auges; Bildentstehung

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Das visuelle System

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Bau der Netzhaut; Verteilung der Sehzellen

Aufbau der Retina (schematisch); links: Retina der Sehgrube, rechts: Retina in der Peripherie

1 Pigmentepithel. 2 Schicht der Stäbchen und Zapfen. 3 Äußere Körnerschicht. 4 Äußere Netzschicht. 5 Innere Körnerschicht. 6 Innere Netzschicht. 7 Schicht der Sehner-venzellen. 8 Schicht der Sehnerven-fasern. 9 Innere Grenzmembran. 10 Pigmentepithelzelle. 11 wie 10, mit pigmenthaltigen Zellfortsätzen zwischen den Außengliedern der Rezeptoren, zur Abblendung der Rezeptoren bei hohem Lichteinfall. 12 Stäbchen (Hell-Dunkel-Sehen). 13 Zapfen (für Farbsehen; drei Zäpf-chentypen für die Wellenlängenbe-reiche blau, grün und gelb. Die jeweilige Farbwahrnehmung ergibt sich aus der unterschiedlich starken Reizung der drei Zäpfchentypen.) 14 Inneres Segment der Rezeptorzelle mit Mitochondrien. 15 Verbindungsstück. 16 Außenglied der Rezeptorzelle mit Membranscheib-chen. 17 bipolare Schaltzelle. 18 Horizontalzelle. 19 Amakrine Zelle. 20 Sehnervenzelle (Ganglien-zelle). 21 Sehnervenfasern. 22 Müllersche Stützzellen. L Richtung des Lichteinfalles.

Beachte: In der Sehgrube ist jeder Sehzelle eine Nervenzelle zugeord-net: große Sehschärfe. Im periphe-ren Retinabereich sind einer Nervenzelle bis über 100 Sehzellen zugeordnet: receptive Felder, Struktur- und Bewegungssehen.

Verteilung der Stäbchen und Zap-fen und die Sehschärfe - jeweils in Abhängigkeit vom Abstand von der Sehgrube

Abszisse: Abstand von der Sehgru-be (Fovea centralis) in Winkelgrad angegeben. (10 entspricht 0,29 mm auf der Netzhaut). Linke Ordinate: Dichte der Rezeptoren in 1000/mm2. Rechte Ordinate: Sehschärfe V in der Größe V = 1/Winkelminute. 1 - Verteilung der Zapfen. 2 - Verteilung der Stäbchen.

3 - Sehschärfe des Zapfensystems (phototopisches Sehen). 4 - Sehschärfe des Stäbchensystems (skotopisches Sehen). B: blinder Fleck. F: Sehgrube (Fovea centralis).

Bestimmung des blinden Flecks: Hält der Beobachter die Abbildung mit ausgestrecktem Arm vor den Körper und schaut mit dem linken Auge bei geschlossenem rechten Auge auf den Fußballspieler, während er die Abbildung langsam auf das Auge zubewegt, dann verschwindet in einer bestimmten Entfernung der Abbildung vom Auge der Ball im Tor, um dann, wenn die Abbildung dem Auge weiter genähert wird, wieder zu erscheinen. In gleicher Weise kann man bei geschlossenem linken Auge den Spieler verschwinden las-sen, wenn man mit rechts den Ball fixiert.

Lit.: 5, 13, 14, 16

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67

Blickmotorik Unterseite des Großhirns mit dem visuellen System (schematisch):

1 Sehnerv. 2 Sehnervenkreuzung; nur die Nervenfasern der nasen-seitigen Netzhauthälfte kreuzen auf die Gegenseite. 3 Sehstrang. 4 Seitlicher Kniehöcker des Thalamus. 5 Sehstrahlung. 6 Primäres Sehzentrum der Großhirnrinde; gewährleistet visu-elle Empfindungen. 7 Sekundäres Sehzentrum der Großhirnrinde; gewährleistet durch Verrechnung der Empfindungen mit gespeicher-ten Informationen den zur visuel-len Wahrnehmung führenden Er-kennungsprozess. 8 Verbindung mit dem sensorischen Sprachzent-rum; gewährleistet eine Zuordnung des Wahrgenommenen zu verba-len Zeichen. 9 Schläfenlappen des Großhirns. 10 Schnitt durch das Mittelhirn mit Augenmuskelkernen; Koordination der Blickmotorik (s. unten) 11 Bahnen der Sehrinde zu den Augenmuskelkernen. 12 Bahnen zu den Augenmuskeln. 13 Bahnen zu den Iris- und Ziliarmuskeln. 14 Balkenstrahlung.

Maßangaben auf der Netzha ut und bei den Sehleistungen werden in der Regel in Grad angegeben. Dabei bezieht man sich auf einen Winkel zwischen den durch den Knotenpunkt (s. vorn) des Auges laufenden (un-gebrochenen) Strahlen.

Blickmotorik

1. Blicksprünge und Fixationsperioden beim freien Umherblicken: Beim freien Umherblicken wechseln Blicksprünge (Saccaden) mit Fixationsperioden. Eine Saccade, die etwa 80 ms dauert und maximal eine Amplitude von 200 überstreicht, dient dazu, das Auge derart zu drehen, dass die von einem Objekt ausgehenden Lichtstrahlen in die Sehgrube, die Stelle des schärfsten Sehens, fallen. Kurz vor, während und nach der Saccade ist die visuelle Informationsauf-nahme für mindestens 150 ms stark eingeschränkt oder gar unterdrückt. Eine Fixationsperiode, in der die visuelle Informationsaufnahme erfolgt, dauert mindestens 150 ms.

2. Augenfolgebewegungen: Bewegte Objekte werden während der Fixationsperioden mit den Augen verfolgt, damit die vom Objekt aus-gehenden Lichtstrahlen während der Fixationsperioden stets in die Sehgrube fallen. Augenfolgebewegungen basieren auf einem Regelungsprozess mit den unausweichlichen Regelabweichungen, die zur Folge haben, dass Objekte, die sich schneller als 400/s in bezug zum Auge bewegen, nur noch unscharf abgebildet wer-

den (nur Objekte, die sich deutlich langsamer als 100/s in bezug zum Auge bewegen, werden scharf abgebildet).

3. Zu diesen Augenbewegungen addieren sich im Laufe einer sportmotorischen Tätigkeit (Beispiel: Crosslauf): - konjugierte Augendrehungen um die Breitenachse - konvergierende oder divergierende Augenbewegungen um eine

senkrechte Augenachse - vestibulär gesteuerte Augenbewegungen (s.S.70) im Laufe der

Aufwärts- und Abwärtsbeschleunigungen des Kopfes in Folge der Schrittbewegungen.

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Das visuelle System

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Auflösungsvermögen 1) Räumliches Auflösungsvermögen (Sehschärfe) ist die Fähigkeit, zwei räumlich dicht neben-

einander auf die Netzhaut treffende Lichtpunkte (noch) getrennt wahrnehmen zu können. Es ist abhängig vom Aufbau der Netzhaut und der Leistungsfähigkeit des dioptrischen Apparates. Man bestimmt die Sehschärfe durch einen Winkel mit dem Scheitelpunkt im Knotenpunkt des dioptrischen Apparates und den Schenkeln durch die beiden Lichtpunkte.

Die Sehschärfe im Zentrum der Sehgrube beträgt 1’ (eine Winkelminute). Das entspricht dem Abstand von zwei Lichtpunkten von 3 mm in 10 m Abstand vom Auge. Die Sehschärfe nimmt nach außen - zum Rand der Sehgrube (∅ 0,6 mm), zum Rand des gelben Flecks (∅ 1,5 mm) und weiter zur Peripherie der Netzhaut - ab. Die Sehschärfe beträgt 3 mm neben dem Mittel-punkt der Sehgrube noch 5’ (s.S.65).

2) Zeitliches Auflösungsvermögen ist die Fähigkeit, kurz hintereinander auf die Netzhaut tref-fende Lichtsignale (noch) getrennt wahrnehmen zu können. Diese Flimmerfusionsgrenze (die Grenze, bei der Einzelblitze verschmelzen) beträgt rund 20 Hz, bei optimaler Lichtstärke und optimaler Größe des Lichtpunktes 40 Hz in der Sehgrube und 70 Hz neben der Sehgrube. Die Werte gelten nur für informationsarme Lichtsignale. Komplexe Bilder können nur in einem Mini-malabstand von 180 ms (= „physiologischer Augenblick“) als getrennte Bilder wahrgenommen werden.

3) Bewegungssehen (dynamische Sehschärfe): Bewegungen können unter optimalen Bedin-gungen bei Winkelgeschwindigkeiten von l’/s und 400°/s (mit Erkennen der Bewegungsrichtung) bzw. 600°/s (ohne Richtungserkennung) erkannt werden. D.h. 10 m entfernte Objekte müssen eine Mindestgeschwindigkeit von 3 mm/s und dürfen eine Höchstgeschwindigkeit von 70 m/s (= 250 km/h) bzw. 100 m/s (= 380 km/h) besitzen, wenn die Bewegung visuell erkannt werden soll. Aber: Schon bei einer Geschwindigkeit von 10°/s nimmt die Sehschärfe erkennbar ab. D.h. Objekte, die in 10 m Entfernung eine Geschwindigkeit von 3 m/s haben, werden nicht mehr völlig scharf wahrgenommen.

Beispiele von Winkelgeschwindigkeiten von Objekten der Sportpraxis in 10 m Abstand vom Beobachter: - Weitspringer in der Flugphase: 42°/s - Sprinter: 45°/s - Füße des Reckturners bei der Riesenfelge: 60°/s - Hand des 80 m Speerwerfers: 700 /s

Darstellung der fovealen Abbildung der Umwelt am Beispiel eines Trainers, der einen Weitspringer a) aus 3 m und b) aus 10 m Entfernung beobachtet.

Die große punktierte Fläche wird auf den gelben Fleck projiziert, die kleinere schwarze Fläche wird in der Sehgrube (Fovea centralis) abgebildet, während der zentrale weiße Punkt auf die Stelle des schärfsten Sehens im Zentrum der Sehgrube fällt.

Winkelgeschwindigkeit des Springers in bezug zum Trainer: a) 72°/s, b) 42°/s

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Das vestibuläre System

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Das vestibuläre System

Das vestibuläre System besteht aus dem Labyrinth, das im Felsenbein (einem Teil des Schläfen-beines) eingeschlossen ist, dem Gleichgewichtsnerv (Nervus vestibularis, Teil des VIII. Hirnner-ven), den Gleichgewichtskernen im Hirnstamm (verarbeitende Stationen der Meldungen aus dem Labyrinth) und verschiedenen Nervenverbindungen zu anderen Hirnteilen (Augenmuskelkerne, Kleinhirn u.a.). Das Labyrinth ist ein System von knöchernen Gängen im Felsenbein, das wieder-um ein gleiches schmaleres System von häutigen Gängen beinhaltet:

Lage des Labyrinths im Schädel: Horizontalschnitt durch den Gehirn-schädel (rechte Hälfte) mit Blick auf die Schädelbasis.

1 Schnitt durch die Schädelknochen; 2 Stirnbein; 3 Keilbein; 4 Schläfenbein; 5 Felsenbein; 6 Scheitelbein; 7 Hinterhauptsbein; 8 Hinterhauptsloch; 9 Äußerer Gehörgang unterhalb des

Schläfenbeines; 10 Paukenhöhle mit Gehörknöchel-

chen im Felsenbein; 11 Labyrinth im Felsenbein.

Rechtes Labyrinth, von der Seite gesehen: Rechts: Ausguss des knöcher-

nen Labyrinths. Links: häutiges Labyrinth.

1 Vorhof (Vestibulum). 2 Oberer Bogengang des

knöchernen Labyrinths. 3 Seitlicher Bogengang des

knöchernen Labyrinths. 4 hinterer Bogengang. 5 Knöcherne Schnecke (Coch-

lea). 6 Ausschnitt des Felsenbeins. 7 Hohlraum des knöchernen

oberen Bogenganges mit Perilymphe und Bindegewebsfasern.

8 Häutiger oberer Bogengang mit Endolymphe.

9 Ampullen der Bogengänge mit Sinneskamm und Gallertkuppel.

10 Häutiger seitlicher Bogengang. 11 Häutiger hinterer Bogengang. 12 großes Vorhofsäckchen

(Utriculus) mit Sinnesfeld. 13 Kleines Vorhofsäckchen

(Sacculus) mit Sinnesfeld.

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Das vestibuläre System

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70

Maculaorgane Im großen und kleinen Vorhofsäckchen des Labyrinths befindet sich je ein Maculaorgan. Das Ma-culaorgan (Statolithenorgan ,Otolithenorgan) registriert lineare, auf den Kopf einwirkende Kräfte (Schwerkraft, Trägheitskräfte). Es ist somit das Gleichgewichtsorgan im engeren Sinn.

Maculaorgan des großen Vorhofsäckchens

1 - Sinnesepithel; 2 - Gallertige Deckmembran (Sta-

tolithenmembran). 3 - Kalkkörnchen (Statolithen). 4 - Sekundäre Sinneszellen. 5 - Sinneshärchen der Sinneszel-

len (Cilien; davon eine dicke Kinocilie und rund 60 Stereocilien).

6 - Nervenfaser mit synaptischem Kontakt an der Sinneszelle.

7 - Stützzellen des Sinnesepithels. 8 - Bindegewebe.

Mechanik der Maculaorgane (schematisch):

oben: Maculaorgan in Ruhe. unten links: horizontale Beschleunigung des Kopfes (und des Sinnesepithels) in Richtung F. unten rechts: Macula bei geneigtem Kopf.

1 - Sinnesepithel; 2 - Sinneszellen; 3 - Cilien; 4 - Nervenfasern; 5 - Deckmembran; 6 - Statolithen;

F - beschleunigende Kraft, F' - Träg-heitskraft der Statolithenmembran, Fg - Schwerkraft, auf die Statolithen wirkend, Fn - Normalkomponente der Schwerkraft. Ft - Tangentialkomponen-te der Schwerkraft.

Durch Kräfte (bzw. Kraftkomponenten), die parallel (tangential) zum Sinnes-epithel wirken, wird die Deckmembran auf dem Sinnesepithel verschoben. Das führt zu einem Abbiegen der Sinneshaare → die Sinneszellen werden gereizt.

Lit.: 5, 13, 14, 16

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1. Regelung der Körper-, Augen- und Kopfstellung

a) In der Normallage des Kopfes zeigen die Vestibulärrezeptoren eine mittlere Ruheentladung.

b) Bei Seitneigung des Kopfes steigt die Entladungsrate der Vestibulärrezeptoren der einen Körperseite, auf der Gegenseite nimmt sie ab. Das bedingt auf der „Innenseite“ eine Erhöhung der Aktivität der Streckmuskeln des Beines und eine Abnahme der Aktivität der Beugemuskeln des Beines, auf der Gegenseite eine Aktivierung der Beuger und eine Hemmung der Strecker, so dass der Körper in Normalstellung gelangt.

c) Die unterschiedliche Entladungsrate bedingt ein Gegenrollen der Augen, so dass ein aufrecht stehendes Bild gewährleistet ist und

d) eine Aktivierung der Halsmuskeln der „Außenseite“ und eine Hemmung der Halsmuskeln der Gegenseite, so dass der Kopf in Normalstellung gelangt:

2. Beeinflussung der Blickmotorik

Die Entladungsrate der Vestibulärrezeptoren wird durch Aufwärts- bzw. Abwärtsbeschleunigung des Kopfes erhöht bzw. gesenkt. Das bedingt ein Gegenrollen der Augen um eine Breitenach-se, so dass der Blick auf den fixierten Gegenstand gerichtet bleibt (s.S.67).

Lit.: 6, 11, 12

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Bau und Mechanik der Bogengangorgane

Die 3 Bogengänge stehen zwar aufeinander senkrecht, liegen aber bei aufrecht gehaltenem Kopf nicht in den Körperebenen.

Die Bogengangorgane registrieren Drehbeschleunigungen des Kopfes (Drehbeschleunigungssinn).

Ampulle eines Bogenganges (Teilschnitt):

1 Ampulle; 2 Bogengang; 3 Sinneskamm

Crista ampullaris); 4 Gallertkuppel (Cupula); 5 Sekundäre Sinneszellen; 6 Sinneshärchen (Cilien); 7 Nervenfasern mit synaptischen

Kontakten an den Sinneszellen.

Mechanik der Bogengangorgane: links: Bogengang in Ruhe. rechts: Bogengang unter Drehbeschleu-nigung. Ausgezogener Pfeil: Dreh-richtung der Bewegung in bezug zur Umwelt. Gestrichelte Pfeile: Bewegung der Endolymphe in bezug zur Bogengangwand. 1 Bogengangwände; 2 Endolymphe; 3 Ampulle; 4 Sinnesleiste mit Sinneszellen; 5 Cupula mit Cilien der

Sinneszellen.

Wird der Kopf - und damit die Wand des Bogenganges - in Drehung gesetzt, ist die Endo-lymphe bestrebt, aufgrund ihrer Trägheit am Ort zu verharren. Dadurch entsteht ein Strömen der Endolymphe in bezug zum Bogengang (entgegen der Drehrichtung), die Cupula wird ausgelenkt und die in ihr liegen-den Sinneshaare abgebogen → die Sinneszellen werden gereizt.

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Cupulaauslenkung und Entladungsfrequenz der vestibulären Neurone: links: kurze Kopfdrehung. rechts: Länger anhaltende Kopfdrehung.

a) Winkelbeschleuni-gung des Kopfes.

b) Winkelgeschwin-digkeit des Kopfes.

c) Cupulaauslenkung in Winkelgrad.

d) Darstellung der Scherrichtung der Cilien.

e) Rezeptorpotential. RP Ruhepotential. DP Depolarisation. HP Hyperpolarisation.

f) Entladungsfrequenz der vestibulären Neurone.

a) vestibulärer Nystagmus b) postrotatorischer Nystagmus

a) Dreht der Kopf zügig nach links, erfolgt eine Cupulaauslenkung in Gegenrichtung. Dies hat zur Folge, dass die Augen mehrmals sprunghaft (sakkadenartig) in Drehrichtung drehen und wieder langsam zurückdrehen (vestibulärer Nystagmus). Die Geschwindigkeit der langsamen Phase der Augendrehung ist abhängig vom Grad der Cupulaauslenkung. Da nur in der langsamen Phase eine visuelle Wahrnehmung erfolgt, ist gewährleistet, dass eine optische Orientierung durch ein auf der Netzhaut ruhendes Bild erfolgt.

b) Wird der Kopf nach einer lang anhaltenden Drehbewegung angehalten, strömt die Endolymphe im Bogengang aufgrund ihrer Trägheit in Drehrichtung weiter und biegt die Cupula mit ab. Auch diese Cupulaauslenkung erzeugt einen Nystagmus (= postrotatorischer N.), wobei die schnelle Phase entgegen, die langsame Phase in der vorangegangenen Drehrichtung erfolgt. Da der Kopf jetzt aber ruht, entsteht in der langsamen Phase eine Bildverschiebung auf der Netzhaut nach links und damit der Eindruck, die Umwelt drehe sich nach rechts (= Drehschwindel).

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Das somatosensorische System

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Das somatosensorische System

Das somatosensorische System (soma = Leib) besteht aus über das gesamte Körpergewebe ver-teilten Rezeptoren, aus afferenten Nervenfasern und aus den verarbeitenden Zentren des Gehirns. Die adäquaten Reize der Somatosensibilität sind mechanischer Natur (Mechanorezeptoren, Tast-sinn, Gelenkstellungssinn), thermischer Natur (Thermorezeptoren, Temperatursinn) und Schmerz-reize (Nozirezeptoren, Schmerzsinn). Im folgenden werden folgende Teilsysteme des somatosen-sorischen Systems behandelt:

1) Tastsinn (= Oberflächensensibilität) 2) Bewegungssinn, Gelenkstellungs- und Gelenkbewegungssinn (Tiefensensibilität) 3) Die Muskelspindel 4) Das Sehnenorgan

Der „Kraftsinn“, d.h. das Vermögen, die vom Körper erzeugte Kraft in bezug zu äußeren Kräften abzuschätzen, ist vorrangig eine Leistung des zentralen Nervensystems und ist stark ermüdungs-abhängig. Er wäre besser als „Anstrengungssinn“ zu bezeichnen.

Die Dichte der Mechanorezeptoren:

In der Haut der Fingerspitze liegen beispielsweise 30 Meißner-Körperchen pro mm2.

Die Fasern der Mechanorezeptoren konvergieren auf eine geringere Zahl Nervenfasern. Den Haut-bezirk, dessen Rezeptoren auf eine Nervenfaser konvergieren, nennt man rezeptives Feld. Größe der rezeptiven Felder: 1,5 mm 2 auf der Haut der Fingerkuppe; mehrere cm 2 auf der Haut des Rückens. Räumliches Auflösungsvermögen: 1-2 mm auf der Fingerspitze: 7 cm auf dem Rücken.

Beispiel unterschiedlich großer und unterschiedlich dicht gelagerter rezeptiver Felder mechanorezeptiver Nervenfasern.

Mechanorezeptoren der Haut:

Links: unbehaarte Haut Rechts: behaarte Haut

1 Hornschicht der Oberhaut (Epidermis).

2 Keimschicht - der Epidermis. 3 Lederhaut (Corium). 4 Unterhaut (Subkutis). 5 Freie Nervenendung. 6 Meißner-Körperchen. 7 Pacini-Körperchen. 8 Pacini-Körperchen,

Schnittbild. 9 Merkel-Zellen. 10 Pincus-Iggo-Tastscheibe

mit Merkelzellen. 11 Haarschaft. 12 Haarfollikel. 13 Haarwurzel. 14 Haarfollikel-Rezeptor. 15 Haarpapille.

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Das somatosensorische System

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Antworten der Mechanorezeptoren der Haut auf mechanische Reizung

1. Typ: Druckrezeptor bzw. Intensitätsdetektor (z. B. Merkelzellen). Die Entladungsra-te der Nervenfaser steigt proportional der Intensität des Reizes.

a) Intensität des Reizes

b) Amplitude des Rezeptorpotentials

c) Frequenz der Impulse der Nervenfaser (Entladungsrate)

Empfindlichkeit: Die Mindesteindrucktiefe, die ein Druck auf die Hautoberfläche zeigen muss, um eine Antwort der Rezeptoren zu bewirken, beträgt 10 µm.

Erzeugte Empfindung: Tiefe des mechanischen Eindruckes.

2. Typ: Berührungsrezeptor bzw. Geschwindigkeitsdetektor (z.B. Meißner-Körperchen, Haarfollikelrezeptoren). Die Entladungsrate steigt mit der Geschwindigkeit des Eindruckes.

a) Mechanische Reize mit unterschiedlich schnellem „Eindruck“

b) Amplitude des Rezeptorpotentials

c) Frequenz der Impulse der Nervenfaser (Entladungsrate)

Erzeugte Empfindung: Berührung

3. Typ: Vibrationsrezeptor bzw. Beschleunigungsdetektor (Pacini-Körperchen). Die Nervenfaser entlädt bei einem Druckanstieg 1-mal.

a) Unterschiedliche Frequenzen der Druckanstiege (Vibrationen)

b) Entsprechende Entladungsfrequenzen der Nervenfaser

Empfindlichkeit: Eindrucktiefe von nur 1 µm.

Erzeugte Empfindung: Vibration

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Das somatosensorische System

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Tiefensensibilität Die Rezeptoren des Gelenkstellungs- und Gelenkbewegungssinnes sind die Ruffini-Endorgane der Gelenkkapsel und die Gelenkbandrezeptoren vom Golgi-Typ (Golgirezeptoren).

1) Golgirezeptoren: Intensitätsrezeptoren. Sie messen demnach die Gelenkstellung.

2) Ruffini-Rezeptoren: Geschwindigkeitsrezeptoren. Sie messen sowohl die Richtung als auch die Geschwindigkeit der Gelenkbewegung. Der Wirkungsbereich der Gelenkrezeptoren überspannt nur wenige Winkel der Gelenkamplitude. Rezeptoren, die im gleichen Gelenkwinkel empfindlich sind, konvergieren auf eine Nervenfaser: rezeptive Winkel.

3) Nach neuesten Erkenntnissen beteiligen sich die Muskelspindeln (s.S.77-78) hauptverantwort-lich am Gelenkbewegungssinn!

Verdeutlichung rezeptiver Winkel. Die einzelnen Kurven zeigen das Antwortverhalten unterschiedlicher Fasern von Gelenkrezeptoren.

Leistung der Gelenkrezeptoren:

• In der Regel registrieren körpernahe Gelenke Winkeländerungen ab 0,2°; • körperentferntere Gelenke messen Winkeländerungen ab 1°.

Aber:

• Sehr schnelle und sehr langsame Gelenkbewegungen werden ungenauer gemessen als mit-telschnelle,

• langandauernde und sehr kurzdauernde werden ungenauer gemessen als mittellange, • Beugebewegungen werden genauer gemessen als Streckbewegungen, • Bewegungen in Körpernähe genauer als Bewegungen an der Peripherie der Reichweite, • aktive Bewegungen genauer als passive, • Bewegungen vor dem Rumpf genauer als neben oder hinter dem Rumpf.

Auch der „Kraftsinn“ ist eine Leistung der Gelenkrezeptoren. Es können Gewichte von 10% Unterschied „erkannt“ werden. Auch hier gilt: proximale Gelenke messen Kräfte genauer als distale Gelenke.

Lit.: 13, 14, 16

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Muskelspindel und Sehnenorgan

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Muskelspindel und Sehnenorgan

Die Muskelspindel ist ein Organ zur Bestimmung der Muskellänge (= Muskeldehnungsgrad). Sie enthält Rezeptoren, die auf Dehnung reagieren: Dehnungsrezeptor.

Muskelspindel:

a) Übersicht. b) Schema. c) Nervöse Versorgung. 1 bindegewebige Kapsel. 2 intrafusale Muskelfaser,

NB-Typ (nuclear-bag-Faser, Kernsackfaser).

3 intrafusale Muskelfaser, NC-Typ (nuclear-chain-Faser).

4 Nerv- und Gefäßbündel. 5 Perimysium des Primärbündels

der Arbeitsmuskelfaser. 6 Kontraktile Pole der NB-Faser. 7 äquatorialer Abschnitt der

NB-Faser mit Zellkernanhäufung. 8 Endomysium der NB-Faser. 9 kontraktile Pole der NC-Faser. 10 äquatorialer Abschnitt der

NC-Faser mit Zellkernketten. 11 Endomysium der NC-Faser. 12 myelinisierte Ia-Faser. 13 anulospiralige Endigung (Primär-

rezeptor) der Ia-Faser. 14 myelinisierte Gruppe-II-Faser. 15 spiralige Endigung (Sekundär-

rezeptor) der Gruppe-II-Faser. 16 blütendoldenartige Endigung der

Gruppe-II-Faser. 17 myelinisierte Gamma-Faser. 18 motorische Endplatten der

Gamma-Faser. 19 Endnetze der Gamma-Fasern.

Das Golgi-Sehnenorgan bestimmt die im Muskel erzeugte Spannung: Spannungsmesssystem. Es enthält Rezeptoren, die auf Dehnung der Sehnenfasern reagieren (neueste Befunde). Trotzdem werden die Rezeptoren vorläufig weiterhin „Spannungsrezeptoren“ genannt.

Golgi-Sehnenorgan: a) entspannter Muskel b) kontrahierter Muskel

1 Muskelfasern. 2 Sehnenfaszikel. 3 bindegewebige Hülle. 4 Ib-Faser, myelinisiert. 5 Ib-Rezeptor.

Lit.: 5, 13, 14, 16

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Muskelspindel und Sehnenorgan

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78

Antwortverhalten von Muskelspindel und Sehnenorgan auf unterschiedliche Dehnung und unterschiedliche Belastung der Arbeitsmuskelfaser:

a Arbeitsmuskelfaser in Ruhelänge

b mittlere und c starke äußere Belastung und

Dehnung der Arbeitsmuskel-faser

d Kontraktion der Arbeitsmuskel-faser bei starker äußerer Belastung

e Kontraktion der Spindelpole bei Ruhelänge der Arbeitsmuskel-faser

1 proximale Befestigung der Arbeitsmuskelfaser. 2 Arbeits-muskelfaser. 3 distale Befesti-gung der Arbeitsmuskelfaser und Darstellung der Belastung der Arbeitsmuskelfaser. 4 Alpha-Motoneuron mit motori-scher Endplatte. 5 kontraktiler Pol der intrafusalen Faser. 6 Gamma-Motoneuron mit mo-torischer Endplatte. 7 dehnba-res (äquatoriales) Mittelstück der intrafusalen Faser. 8 Spin-delrezeptor. 9 Ia-Faser. 10 Sehnenorgan mit Ib-Faser. 11 Antwortverhalten der Ia-Faser (Frequenz der afferen-ten Impulse). 12 Antwortverhal-ten der Ib-Faser (Frequenz der

afferenten Impulse).

Dehnungs- und Spannungsreflex:

1 Arbeitsmuskelfaser. 2 Muskelspindel. 3 Spindelfasern. 4 Alpha-Faser des Alpha-Motoneurons mit motorischer Endplatte. 5 Gamma-Fasern des Gamma-Motoneurons mit motorischer Endplatte. 6 Dehnungsrezeptor und sensible Faser (Ia-Faser). 7 Rückenmark. 8 Sehnenorgan. 9 sensible Faser (Ib-Faser) des Sehnenorgans. 10 hemmende Schaltzelle.

Dehnungsreflex: Dehnung der Arbeitsmuskelfaser → Dehnung der Spindelfaser → Anstieg der Nervenimpulsfrequenz der Ia-Faser → Anstieg der Nerven-impulsfrequenz der Alpha-Faser → Kontraktion des Muskels → Entdehnung der Spindelfaser → Abnahme Impulsfrequenz der Ia-Faser ...

Spannungsreflex: Zunahme der Muskel- u. Sehnenspannung → Erregung des Sehnenorgans → Zunahme der Impulsfrequenz der Ib-Faser → Zunahme der Impulsfrequenz der hemmenden Schaltzelle → Abnahme der Impulsfrequenz der Alpha-Faser → Abnahme der Muskelspannung ...

Lit.: 5, 8, 13, 14, 16

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Analysatoren und Bewegungskontrolle

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Analysatoren und Bewegungskontrolle

Ausmaß der Ausholbewegung: somatosensorischer Analysator (Gelenkstellungssinn, Schulter-, Ellbogen- und Handgelenk; Muskelsinn)

Stellung des Kopfes im Raum: Vestibuläranalysator (Gleichgewichtssinn)

Stellung des Rumpfes im Raum: somatosensorischer Analysator (Gelenkstellungssinn im Bereich des Halses) und Vestibuläranalysator (Gleichgewichtssinn)

Verteilung des Körpergewichts: somatosensorischer Analysator (Tastsinn Fußsohlen; Gelenkstellungssinn Rumpf, Hüft-, Knie- und Fußgelenke; „Muskelsinn“)

Bewegungsrichtung des Balles: somatosensorischer Analysator (Gelenkstellungssinn Schulter-, Ellbogen- und Handgelenk; Muskelsinn) in Abstimmung mit optischem Analysator

Beschleunigung des Balles: somatosensorischer Analysator (Tastsinn Hand; „Muskelsinn“; „Sehnensinn“)

Bewegung des Kopfes im Raum: Vestibuläranalysator (Gleichgewichtssinn und Drehbeschleunigungssinn)

Bewegung des gesamten Körpers im Raum: somatosensorischer Sinn (Gelenkstellungssinn; Tastsinn; „Muskelsinn“)

Modulation der Bewegung des Balles: somatosensorischer Sinn (Tastsinn Hand; Gelenkstellungssinn Ellbogen, Hand; „Muskelsinn“)

Kontrolle über Erfolg der Bewegung: optischer Sinn

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Strukturspezifische Positionen und Bewegungen

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Strukturspezifische Positionen und Bewegungen

Strukturspezifische Bewegungen:

Ergebnis der Stammesentwicklung:

Für jede Art gilt: Die Struktur des Bewegungsapparates, die Funktion des Bewegungsapparates und die mechanische Umwelt bil-den eine ökonomische Einheit.

Oder: In jede spezielle mechanische Umweltsituation gehört ei-ne bestimmte Körperstruktur mit einem spezifischen Volumen angepaßter Bewegungen, den strukturspezifischen Bewegungen.

Beispiel:

Hai: ursprünglich im Wasser heimisch; Fortbewegung durch horizontale Schlängelbewegung

Delphin: von landlebenden Vierfüßern abstammend, eroberte er sich das Wasser als Lebensraum zurück und musste zwecks Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit Kör-perstruktur und -funktion der dort heimischen Arten an-nehmen. Fortbewegung durch vertikale Schlängelbewe-gung.

zum Vergleich: Delphinschwimmer

Strukturspezifische Bewegungen des Menschen:

a) Lokomotionsbewegungen (stammesgeschichtlich alte Bewegungen, Erbmotorik)

b) Arbeitsbewegungen (stammesgeschichtlich junge Bewegungen, Zielmotorik)

c) Abgeleitete sportmotorische Fertigkeiten

Strukturspezifische Positionen des Menschen Lit.: 21, 23

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Strukturspezifische Positionen und Bewegungen

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81

Bewegungen starten stets aus Positionen und münden wieder in Positionen. Diese Wechselbezie-hung wird sowohl in der Anatomie des Bewegungsapparates (Haltungsmuskeln ↔ Bewegungsmuskeln), als auch in der Funktion des Nervensystems (Stützmo-torik ↔ Handlungsmotorik) evident.

Funktionen von Positionen:

a) Schaffen einer günstigen Startsituation für Lokomotions- oder Arbeitsbewegungen

b) Schaffen einer Situation zur Relaxation und Rekreation

aufrechte Ruheposition physiologisch günstige tiefe Ruheposition (maximale Beuge-stellung der Hüft- und Kniegelenke)

Lotossitz (maximale Beuge- und Abduktionsstellung der Gelenke; physiologisch günstige aufrechte Wirbelsäule)

Sitzposition (führt zu einer allmählichen Abnahme der Gelenkbeweglich-keit; Inaktivitäts- hypotrophie)

Bereitschafts-position

Startposition

Die Startposition zeigt diejenige Winkelstellung von Knie- und Hüftgelenk, in der die Kraft-momente der beteiligten Bewegungsmuskeln für den Start in alle Richtungen den günstigsten (größten) Wert annehmen.

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Biologisches Prinzip strukturspezifischer Arbeitsbewegungen

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82

Biologisches Prinzip strukturspezifischer Arbeitsbewegungen Bei motorischen Fertigkeiten auf der Basis strukturspezifischer Arbeitsbewegungen, bei denen mit den oberen Extremitäten (mit Sportgerät oder Werkzeug) eine hohe Bewegungspräzision erreicht werden soll, lässt sich eine Phasenverschiebung zwischen den Aktionen des Unter- und Oberkör-pers erkennen: Die Muskeln der Beine und Hüfte setzen den Gesamtkörper in Bewegung. Dann erst führen die Arme die Zielbewegung aus.

Begründung: Die Muskeln der Arme können a) aufgrund der großen Anzahl motorischer Einheiten (s.S.64) und b) aufgrund der großen Dichte von Muskelspindeln fein abgestimmte Bewegungen ausführen, a-

ber c) aufgrund des geringen physiologischen Querschnittes keine großen Muskelkräfte erzeugen.

Die Muskeln der Hüfte und der Beine zeigen dagegen große physiologische Querschnitte (gefiederte Muskeln) aber eine vergleichsweise niedrige Anzahl vielfaseriger motorischer Einheiten und eine geringe Dichte der Muskelspindeln. Die erzeugten Bewegungen charakterisieren sich durch große Energien, aber unpräzise Ausführung. Daraus resultiert das Prinzip zur Kinetion und Modulation von strukturspezifischen Ganzkörperbewegungen:

„Soll im Laufe einer sportmotorischen Fertigkeit (einer Arbeitsbewegung) eine möglichst hohe Zielgenauigkeit erreicht werden, müssen die Muskeln der Hüfte und der Beine die zur Ausführung der Bewegung notwendige kinetische Energie schaffen (Kinetion), während nach der Übertragung der Energie durch die Rumpfmuskeln auf die Schultern und Arme (Fixation) die Muskeln der Arme die Energie auf das zutreffende Maß und die Bewegung auf die zutreffende Richtung abstimmen müssen (Modulation).“

Arbeitsbewegung Ballzielwurf

Kinetion: Erzeugung der zur Bewegungsaus-führung notwendigen Energie durch Kontraktion der Agonisten (Kinetoren)

Fixation: Feststellen von Gelenken und Gelenk-systemen durch isometrische Kontrak-tion der Agonisten und Antagonisten (Fixatoren) zur Energieübertragung

Modulation: Feinabstimmung der Energie auf das notwendige Maß durch wechselnde Kontraktion der Agonisten und Antagonisten (Modulatoren)

Lit.: 21, 23

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Bau und Funktion des Zentralnervensystems

W

83

Bau und Funktion des Zentralnervensystems

Literatur: 5, 9, 13, 14, 15, 23, 25, 26

Entwicklung des Gehirns des Menschen Das Neuralrohr bildet am vorderen Ende drei Bläschen: • das Vorderhirnbläschen • das Mittelhirnbläschen und • das Hinterhirnbläschen.

Aus dem Vorderhirnbläschen stülpen sich die paarigen Großhirnbläschen aus, das dazwischen liegende Verbindungsstück wird zum Zwischenhirn. Das Mittelhirnbläschen wird zum Mittelhirn. Das Hinterhirnbläschen bildet das Kleinhirn, das die Kleinhirnhälften verbindende Brückenhirn (Kleinhirnbrücke) und das verlängerte Rückenmark (das Übergangsstück zum Rückenmark).

Zwischen-, Mittel-, Brückenhirn und verlängertes Rückenmark werden als Hirnstamm (sym.: Stammhirn) dem Großhirn und Kleinhirn gegenübergestellt.

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IEMANN, K.

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zur Vorlesung Grundlagen der

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99

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Bau und Funktion des Zentralnervensystems

84

Weiße und graue Substanz Gehirn und Rückenmark bestehen aus zwei unterschiedlichen Substanzen:

1. Die graue Substanz enthält vorwiegend die Zellkörper der Nervenzellen;

2. Die weiße Substanz besteht ausschließlich aus den Neuriten und Dendriten der in der grauen Substanz liegenden Nervenzell-Körper.

Verteilung von grauer und weißer Substanz im Gehirn:

Die graue Substanz befindet sich einerseits als oberflächliche rindenartige Abdeckung der Furchen und Windungen des Großhirns und des Kleinhirns in der

1. Großhirnrinde und in der 2. Kleinhirnrinde

Andererseits findet man im Inneren des Gehirns kugelförmige, strangförmige oder netzförmige Anhäufungen von grauer Substanz, die man als

3. Kerne oder Ganglien (Einzahl: Ganglion) bezeichnet (z.B. Basalganglien, Mandelkern, Thalamus, Hinterstrangkerne .... ),

Die weiße Substanz stellt die Nervenverbindungen zwischen der Hirnrinde, den Hirnkernen und der Peripherie (Sinnesorgane, Muskeln) dar, sie bildet die

Nervenbahnen bzw. Nervenstränge (z.B. Pyramidenbahn, Hinterstrangbahn, Schleifenbahn ....)

Lage des Gehirns im Schädel:

1611

4 1 7 6 8 2

W

04

1 5

IEMANN, K. / JÖLL

Stirnlappen; Zentralfurche Brückenhirn Thalamus; 1

ENBECK, T

2 Schei; 7 Vor; 11 Ve5 Man

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8 5 6

lehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

lappen; 5 Längsspalte; ng; 9 Kleinhirn; 3 Basalganglien; Sehnervkreuzung

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Bau und Funktion des Zentralnervensystems

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85

Großhirn: Lappen, Felder, Furchen, Windungen, Fasern

Die Großhirnrinde: Auf der Großhirnrinde lassen sich verschiedene Areale (syn.: Felder, Zentren) gemäß ihrer Funkti-on abgrenzen. Dabei zeigt sich eine unterschiedliche Differenzierung der linken Großhirnhälfte (der sogenannten dominanten; bei Linkshändern kann das die rechte Hirnhälfte sein) zur rechten Großhirnhälfte. Verschiedene Areale lassen sich weiter untergliedern in Felder, die bestimmte Körperabschnitte motorisch oder sensorisch versorgen (s. auch folgende Seiten).

Stirnlappen mit vorderer Zentralwindung

Scheitellappen mit hinterer Zentralwindung

Schläfenlappen

Hinterhauptslappen

lange Assoziationsfasern verbin-den benachbarte Hirnlappen

kurze Assoziationsfasern verbin-den benachbarte Windungen

Kommissurfasern, verbinden die beiden Großhirnhemisphären

Balken, Zusammenfassung aller Kommissurfasern

wichtige Fasern für die Motorik

Balken, Zusammenfassung aller Kommissurfasern

Selbstbildnis eines Malers vor - und 5 Wochen nach einem Schlaganfall im rechten Großhirn

(aus: SCHMIDT, R.F. 1983)

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Bau und Funktion des Zentralnervensystems

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik

86

Die Felder der Großhirnrinde Die verschiedenen Felder (Areale) der Großhirnrinde bilden zusammen mit den unter der Großhirnrinde (subkortikal) gelegenen Strukturen (Fasern, Ganglien) funktionellen Systeme mit spezifischen Aufgaben. Von diesen Aufgaben weiß man einerseits aus Beobachtungen von Fehl-funktionen nach Verletzungen oder nach Schlaganfällen und durch Untersuchungen mittels E-lektroenzephalographie (EEG) und Computertomographie (CT).

Die Felder vor der Zentralfurche haben Funktionen für das Planen und Durchführen von Handlungen.

Die Felder hinter der Zentralfurche haben Funktionen für das Wahrnehmen und Verstehen von Informationen aus der Umwelt

Das supplementär-motorische Areal (SMA) stellt das Bindeglied zwischen beiden Funktionskreisen dar.

Vorstellen SMA, s.o. Assoziationsrind

Wahrnehmen, Erkennen

S II / S III Sekundäre und

tertiäre sensorische Zentren

SMA, s.o.

subkortikale Strukturen

Empfinden S I:

primäre sensorische Zentren

M I

primäre motorische Rind

Rezipieren Sinnesorgane Muskeln

-

Z

Zentral

e Planen

Speichern

Informationsfluß:

entralfurche

, Wuppertal, 6, 1999

Vorstellen

Koordinieren

e Starten

Handeln

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Bau und Funktion des Zentralnervensystems

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87

Funktionen einiger Großhirnfelder: 1. Primäre sensorische Felder (vI, aI, SI): Bewusstwerden visueller, auditiver und

somatosensorischer Empfindungen.

2. Sekundäre und tertiäre sensorische Felder vII, aII, SII/III): Verknüpfen visueller, auditiver und somatosensorischer Meldungen mit gespeicherten Informationen zur Bildung der Wahrnehmung (einschließlich Erkennen).

3. Supplementäres motorisches Feld (SMA): Bilden von Bewegungsentwürfen bzw. Bewegungsvorstellun-gen. Höchste Instanz zur Kombination der Meldungen verschiedenster sensorischer Systeme zur Bewe-gungswahrnehmung

4. Assoziationsfeld (Ass): logisches Denken; Entwerfen motorischer Handlungsfolgen; strategische Entscheidungen

5. Primäres motorisches Feld (MI): schnelle Innervation der Muskulatur, Bewegungsexekution, geringfügi-ge Kurskorrektur der laufenden Bewegung

6 Lese- und Schreibzentrum (Lz): Erkennen geschriebener Wörter; das Sinnverständnis wird jedoch erst in Kombination mit dem sensorischen Sprachzentrum (sSp) gewährleistet.

7. Sensorisches Sprachzentrum (sSp): Sinnverständnis gehörter und gelesener Wörter und Sätze, Sprechen sinnvoller Wort- und Satzzusammenhänge.

8. Motorisches Sprachzentrum (mSp): Sprechen und Schreiben längerer Wortkombinationen und vollständiger, grammatikalisch richtiger Sätze.

Die Zentren Lz, sSp und mSp befinden sich in der Regel nur auf einer Großhirnhemisphäre (meist der linken). Da diese Hirnhälfte auch schwergewichtig logisches Denken, Rechnen, Kritikfähigkeit gewährleistet, wird sie „dominante“ Großhirnhemisphäre genannt. Auf der „nicht dominanten“ Hemisphäre werden Leistungen wie musikalisches Gedächtnis, Körperschema, emotionale Färbung von Wahrnehmungen und Vorstellungen gewährleistet.

ASS Assoziationsfeld

MI primäres motorisches Feld

PM prämotorisches Feld

SMA supplementäres motorisches Feld

mSP motorisches Sprachzentrum

SI primäres somatosensorisches Feld

SII/III sekundäres und tertiäres somatosensorisches Feld

VI/II Sehfelder

aI/II Hörfelder

Lz Lesezentrum

sSP sensorisches Sprachzentrum

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Bau und Funktion des Zentralnervensystems 88

Schematischer Aufbau des ZNS

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biome

sensomotorischer Homunculus

Kleinhirnbahn

Hinterstrang

Schleifenbahn

Kleinh

Thalamus

Bas

Hintere Zentralwindung

VoZe

Pyr

Hinterstrangkerne

motorischerHomunculus

chanik, Wuppertal, 6, 1999

bahn

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rdere ntralwindung

amidenbahn

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Bau und Funktion des Zentralnervensystems

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Sensomotorische Struktur des ZNS Im Laufe der Evolution entstand aus einem einfach strukturierten Nervenrohr durch schrittweise Überlagerung höher organisierter Schichten ein hierarchisch strukturiertes Gebilde. Dabei gaben die alten „untergeordneten“ Schichten Aufgaben teilweise oder ganz an übergeordnete Schichten ab und behielten andere Aufgaben in größtmöglicher Eigenkompetenz. Die neuen („jungen“) über-geordneten Schichten erhielten teils völlig neue Aufgaben (gemäß den Erfordernissen neu erschlossener Umweltsituationen) und übernahmen Aufgaben von untergeordneten Schichten ganz oder teilweise: Subsidiaritätsprinzip: Selbständigkeit soweit wie möglich für die alten Schichten, helfende Ergänzung so wenig wie gerade notwendig für die übergeordneten Schichten. (vergleiche: Gesellschaftsstrukturen)

Materialbeschaffung Bewegungsantrieb

VertriebRückenmark

Orientierung im Raum

Handwerker mit

KonstruktionHirnbläschen

Bewegungskorrektur

Produktioneinfache Bewegungs-grundmuster, Reflexe

Materialbeschaffung Bewegungsantrieb, Motorik

Meister Vertriebprimitives Großhirn, Hirnstamm, Kleinhirn

komplexe Bewegungs-grundmuster

KoordinationOrientierung im Raum, aufrechte Körperstellung

Handwerker Konstruktion Rückenmark Bewegungskorrektur

Produktioneinfache Bewegungs-grundmuster, Reflexe

Marktanalyse, Werbung

strategische Planung, neue Bewegungsentwürfe

Direktor Materialbeschaffung neue Großhirnrinde Bewegungsantrieb, Motorik

Vertriebkomplexe Bewegungs-grundmuster

Meisterprimitives Großhirn, Hirnstamm, Kleinhirn

KoordinationOrientierung im Raum, aufrechte Körperstellung

Handwerker Konstruktion Rückenmark Bewegungskorrektur

Produktioneinfache Bewegungs-grundmuster, Reflexe

1. Stufe

2. Stufe

3. Stufe

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Rückenmarksmotorik / Spinalmotorik:

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der

90

Rückenmarksmotorik / Spinalmotorik:

Literatur: 5, 9, 13, 14, 15, 23, 25, 26

Die Rückenmarksmotorik besteht in erster Linie aus angeborenen unbedingten Reflexen, die

a) das Basismaterial für alle motorischen Abläufe und für die Abstimmung der biomechanischen Eigenschaften der Muskeln an die mechanischen Widerstände (Stützreaktion, Trägheit) der Umwelt bilden.

b) den Bewegungsapparat vor Verletzungen schützen

Horizontale Geschwindigkeit: v = 5 m/s

Horizontaler Weg des Schwerpunktes vom Beginn des Bodenkontaktes bis zum Ende des Bodenkontaktes: s = 0,3 m

Kontaktzeit: t = ...... s

Zeit der Spannungsentwicklung bei entspannter Muskelfaser: ~ ......... s

Zeit der Spannungsentwicklung bei vorgespannter Muskelfaser: ~ ......... s

Laufzeit des Dehnungsreflexes der Wadenmuskulatur: ~ ......... s

Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus:

Zeitdauer der exzentrischen Phase: ........s

Zeitdauer der konzentrischen Phase: ......... s

Bestimmung der Laufzeit des Dehnungsreflexes:

Zeit vom Dehnungsreiz bis zum afferenten Impuls: ....

Laufzeit des afferenten Impulses (s = 0,80 m): ....

Synapsenzeit: ....

Laufzeit des efferenten Impulses (s = 0,80 m): ....

Endplattenzeit: ....

Zeit vom Muskelaktionspotential bis zum Kontraktionsmaximum (Kontraktionszeit): ....

Gesamtzeit: ....

Salto rückwärts am Boden

v = 5m/s

Bewegungslehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

.......... s

.......... s

.......... s

.......... s

.......... s

.......... s

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Rückenmarksmotorik / Spinalmotorik:

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

91

Aufbau des Rückenmarkes

weiße Substanz (enthält vor-wiegend markhaltige Neurite)

Hinterstrang (sensible, afferente Bahnen

Hinterhorn der grauen Substanz Seitenhorn der grauen Substanz Vorderhorn der grauen Substanz

graue Substanz (enthält vorwiegend Nervenzellen)

Spinalnerv

Hinterwurzel des Spinalnerven (sensible afferente Nervenfasern)

Spinalganglion (enthält die Zellen der sensiblen Nerven)

Vorderwurzel des Spinalnerven (motorische, efferente Nervenfasern)

Vorderstrang und Seitenstrang (motorische, efferente Bahnen)

afferente Bahn des Seitenstranges

Hinterhornzellen (sensibel)

spinale Schaltzellen (Interneurone)

vegetative Zellgruppen

Vorderhornzellen (motorisch)

motorische Bahn des Seitenstranges

Interneuron

γ-Motoneuron (motorische Innervation der Muskelspindel)

α- Motoneuron (motorische Innervation der Arbeitsmuskelfasern)

sensible Nervenzellen im Spinalganglion

Ia- Faser (sensible Innervation der Muskelspindel)

motorische Endplatte

Muskelspindel

Ib-Faser (sensible Innervation des Sehnenorgans)

Sehnenorgan (Golgi-Organ)

Arbeitsmuskelfasern

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Rückenmarksmotorik / Spinalmotorik:

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92

Dehnungsreflexe des Muskels

1. Reflex der autogenen Erregung (monosynaptischer Dehnungsreflex) (s. auch S.78)

2. Reflex der reziproken (antagonistischen) Hemmung

Vermehrte Dehnung der Muskelspindel (F) des Streckers (S) erzeugt eine erhöhte Ia-Afferenz (Ia-A).

Diese erregt ein α -Motoneuron (α), das auf dem Wege über die α-Efferenz (α-E) zu einer erhöhten Kontraktion der Arbeitsmuskelfasern des Streckers (S) führt.

Es wird die Länge des Muskels nach vorgegebenem Soll-Wert, geliefert durch die extrapyramidale Efferenz (exp.E) und die γ-Efferenz (γ-E), geregelt.

Da durch die γ-Efferenz der Soll-Wert verstellt werden kann, liegt eine Folgeregelung vor.

(mE: motorische Endplatte)

exp.-E

γγγγ-E

α-E

B S

F

Ia-A

Die Ia-Afferenz des Streckers (S) bewirkt auf dem Wege über ein hemmendes Interneuron (R) eine Hemmung des α-Motoneurons des Beugers (B).

Die dadurch abnehmende Aktivität des Beugers bewirkt auf dem Wege über eine nachlassende Ia-Afferenz den Beugers eine Ver-minderung der autogenen Erregung des Beugers und eine Verminderung der reziproken Hemmung des Streckers (s.o.). B

Ia-A

α-E mE

S

F

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Rückenmarksmotorik / Spinalmotorik:

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93

Spannungsreflexe des Muskels

1. Reflex der autogenen Hemmung (s. auch S.78)

2. Reflex der reziproken Erregung

Vermehrte Spannung des Streckers (S) erzeugt durch Reizung des Sehnenorgans (So) eine erhöhte Ib-Afferenz (Ib-A).

Diese erregt ein hemmendes Interneuron (R), was eine autogene Hemmung des α-Motoneurons und dadurch auf dem Wege über die α-Efferenz (α-E) eine verminderte Kontraktion der Arbeitsmuskelfaser den Streckers (S) bewirkt.

Zweck:

a) Überlastungsschutz für Muskel und Sehne

b) Regelung der Muskelspannung ohne Sollwert-Verstellung

α-E

B S

So

Ib-A

mE

Die Ib-Afferenz (1b-A) des Streckers bewirkt auf dem Wege über ein erregendes Interneuron (eI) eine Erregung des α-Motoneurons (α) des Beugers (B) und damit eine vermehrte Kontraktion der Arbeitsmuskelfasern des Beugers.

Ib-A

B S

So

α-E mE

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Stützmotorik 94

Beispiel zur Rückenmarksmotorik:

Gleichseitiger Beuge- und gegenseitiger Streckreflex

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Wirkungen auf die Beinmuskeln: (+: fördernd; -: hemmend)

Innervation beim normalen Laufschritt

Innervation durch oben genannte

Reflexe

Innervation durch vestibuläre Regelung

Stützbein Beugemuskeln -

(rechts) Streckmuskeln +

Spielbein Beugemuskeln +

(links) Streckmuskeln -

Verlauf der Vertikalkraft in der Stützphase

1 Schmerzafferenz 1a zum Gehirn aufsteigend 2 Erregende Schaltzellen 3 hemmende Schaltzellen 4 Alpha-Motoneurone 5 Beuger des Stützbeines 6 Strecker des Stützbeines 7 Strecker des Spielbeines 8 Beuger des Spielbeines

7 5 6

8

4

3 2

1

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Stützmotorik

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

95

Stützmotorik

Beispiel aus der Stütz- und Zielmotorik: Hocke über den Kasten

1. biomechanisches Problem 2. Problem der Stützmotorik 3. Problem der Zielmotorik 4. Problem der visuellen Wahrnehmung

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Stützmotorik

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung G

96

Stützmotorik

Literatur: 5, 9, 13, 14, 15, 23, 25, 26

Die Körperstellreflexe und ihre Bedeutung für das Gerätturnen (überarbeitete Veröffentlichung aus: Leibesübungen-Praxis, 8/1965, S.15-20)

Aus dem Komplex der Körperstellreflexe wird bei bewegungstechnischen Betrachtungen zum Gerätturnen vielfach eine Gruppe von Reflexen herausgenommen und ihnen eine besondere Bedeutung für das Gelingen von Turnübungen zugeschrieben: die Halsmuskel- und Halsreflexe. Betrachtet man diese Reflexgruppe isoliert ohne Beachtung ihrer Stellung in der Gesamtheit der Körperstellreflexe, so besteht die Gefahr, dass bei der Analyse von Turnübungen die Mitbewegung des Kopfes falsch gedeutet wird. Verallgemeinert man dazu die aus dieser einseitigen Betrach-tungsweise gewonnenen Ergebnisse, so sind Fehlgriffe bei der Aufstellung methodischer Forde-rungen unvermeidlich.

Um die Bedeutung der Körperstellreflexe und somit der Halstonusreflexe für das Gerätturnen richtig abgrenzen zu können, ist eine Beachtung der Biologie der Körperstellreflexe unbedingt erforderlich:

Ein Reflex oder Reflexbogen ist die Verbindung eines Sinnesorgans durch das Nervensystem mit einem Erfolgsorgan.

Unter dem Begriff „Körperstellreflexe“ soll nun die Gesamtheit derjenigen Reflexe zusammenge-fasst werden, die die Stellung des Kopfes und des Körpers im Raum regulieren. Zu den Sinnes-organen, die Ausgangspunkt der Körperstellreflexe sind, gehören das Auge, das Gleichgewichts-sinnesorgan (Labyrinth), die Muskelspindeln und Sehnenorgane sowie die Gelenkrezeptoren (vor-nehmlich der Halswirbelsäule). Erfolgsorgan der Körperstellreflexe ist die Skelettmuskulatur. Die nervösen Verbindungen laufen zum Teil über das verlängerte Rückenmark oder das Mittelhirn, zum Teil auch über die Großhirnrinde.

In der Tat ist die Stellung des Halses bzw. der Halswirbelsäule ein bedeutender Faktor innerhalb des Komplexes der Körperstellreflexe. Aber sie ist - im Laufe des natürlichen Bewegungsverhal-tens - nicht die auslösende Bedingung des Reflexgeschehens, sondern nur ein Bindeglied inner-halb der Reflexketten zur Regelung der Körperhaltung. Die Rezeptoren zur Analyse der Halsstel-lung sind Muskelspindeln, die die Länge der Halsmuskeln messen, Sehnenorgane, die die Span-nung der Halsmuskelsehnen bestimmen und Gelenkrezeptoren, die durch die unterschiedlichen mechanischen Drucke des Gewebes im Bereich der Wirbelgelenke die Stellung der Halswirbelsäu-le ermitteln. Bei Reizung dieser Rezeptoren werden reflektorisch charakteristische Muskelkontrak-tionen im Bereich des Rumpfes und der Gliedmaßen erzeugt, die die Körperstellung beeinflussen und im folgenden genauer zu besprechen sind.

Aber die Halsstellreflexe - isoliert betrachtet - können jedoch keine Erklärung für die Aufgabe der Körperstellreflexe liefern dazu bedarf es der Betrachtung des den Körperstellreflexen ebenfalls angeschlossenen optischen und statischen Sinnes. Vor allem die reflektorische Verbindung der Rezeptoren in der Augenmuskulatur mit der Muskulatur des Halses, des Rumpfes und der Gliedmaßen lässt eine der vernehmlichs-ten Bedeutungen der Körperstellreflexe klar erkennen:

Der Körper wird durch Reflexketten ge-zwungen, dem sich durch die Sinnesor-gane orientierenden Kopf zu folgen.

Diese Erscheinung lässt sich bei allen Wir-beltieren, vor allem aber bei denjenigen, die sich hauptsächlich durch den Gesichtssinn orientieren, feststellen: Richten sich die Au-gen nach oben (Abb. 1, Phase a),

rundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

Abb. 1

a)

b)

c)

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Stützmotorik

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Wird durch einen ersten Reflexbogen, der an den Propriorezeptoren der Augenmuskulatur beginnt, der Kopf durch Kontraktion der dorsalen (rückseitigen) Halsmuskulatur gehoben, um der Blickrich-tung folgen zu können (Abb. 1, Phase b). Durch die damit verbundene Veränderung des Spannungszustandes der Halsmuskulatur werden die in dieser Muskulatur liegenden Rezeptoren gereizt und dadurch weitere Reflexbögen ausgelöst, die bewirken, dass durch Kontraktion der Rü-ckenmuskulatur die Rumpfwirbelsäule ebenfalls dem Kopf folgt (Abb. 1, Phase c). Gleichzeitig be-stehen noch reflektorische Verbindungen zwischen den Rezeptoren der Augen- und Halsmuskula-tur einerseits und den motorischen Endplatten der Muskulatur der Gliedmaßen andererseits. Diese Reflexbögen rufen bei der Aufwärtsbewegung der Augen und des Kopfes ein Strecken besonders der vorderen Extremitäten hervor. Richten sich dagegen die Augen abwärts, lässt reflektorisch die Spannung der dorsalen Halsmuskulatur nach, so dass auch hier der Kopf der Bewegungsrichtung der Sinnesorgane folgen kann. Die damit verbundene Reizung der Hals-muskelrezeptoren bedingt eine Tonusverstärkung der ventralen (bauchseitigen) Rumpfmuskulatur und eine Abnahme der Spannung der Rückenmuskulatur und der Streckmuskeln der Extremitäten, die sich entsprechend beugen.

Ähnlich wirken die Reflexketten bei einer Seitwärtsdrehung der Augen. Durch Tätigkeit der ent-sprechenden Seite der Hals- und Rumpfmuskulatur folgen auch hier Kopf, Hals und Rumpf dem sich ausrichtenden Sinnesorgan.

All diese Reflexerscheinungen zur Körperstellung und -haltung zeigen folgende bedeutende Eigenschaften:

1. Entsprechend ihrer Aufgabe laufen die Körperstellreflexe von vorn nach hinten - in cranio-cau-daler Richtung (: vom Kopf bis zur Schwanzwirbelsäule) - über den Körper, gleichgültig, ob die Reflexbögen direkt in der Augenmuskulatur oder etwa erst durch willkürliches Bewegen des Kopfes in der Halsmuskulatur ausgelöst werden. In keinem Fall aber laufen die Reflexketten in umgekehrter Richtung. So hat zum Beispiel eine willkürliche Spannungsänderung der Rücken-muskulatur im Brust- und Lendenbereich keine reflektorische Wirkung auf die Halsmuskulatur.

2. Zur Auslösung der einzelnen Reflexbögen ist eine bestimmte Reizstärke nötig. Eine Augendre-hung hat nur dann eine Mitbewegung des Kopfes zur Folge, wenn eine bestimmte Reizschwelle für die Rezeptoren der Augenmuskulatur überschritten wird. Gleiches gilt auch für die übrigen Reflexbögen der Körperstellreflexe. Das bedeutet: je stärker der auslösende Reiz ist, um so weiter läuft die Auslösung des Reflexe nach hinten (in cranio-caudaler Richtung) über den Körper.

3. Die einzelnen Reflexbögen der Körperstellreflexe sind nicht unbedingter Natur, sondern können durch willkürliche Impulse unterdrückt oder abgeändert werden.

4. Beachtenswert ist eine ausgeprägte Kompensation bei Schädigung, Operation oder Fixierung. Allerdings tritt diese Kompensation nicht direkt auf, nachdem durch Schädigung oder Eingriff (meistens Hirnschnitt) Reflexbögen zerstört wurden, sondern sie entwickelt sich allmählich durch langsame Ausbildung neuer bedingter Reflexbögen. Die gleiche Erscheinung tritt bei Fixierung auf. Wird zum Beispiel durch eine Schiene Kopf und Hals festgestellt, werden die anfänglichen Bewegungsstörungen durch Ausbildung neuer Reflexbögen zunehmend ausgeglichen.

Diese in vielen Tierversuchen eingehend erforschten Körperstellreflexe wirken in entsprechender Weise auch beim Menschen. Allerdings erfahren sie eine - wenn auch geringe - Abänderung durch die Tatsache, dass der Mensch den Körper aufgerichtet hält. Aber auch hier haben die Körperstell-reflexe die Aufgabe, den Körper dem sich hauptsächlich durch den Gesichtssinn orientierenden Kopf folgen zu lassen. Auch hier wirken die Reflexe nur in cranio-caudaler Richtung - also von o-ben nach unten bzw. von der Halswirbelsäule bis zur Lendenwirbelsäule -, können durch bewusste Impulse beeinflusst werden, und die Stärke des auslösenden Reizes ist für den Grad der Reflex-ausbreitung caudalwärts von Bedeutung.

Entsprechend den Ergebnissen aus Versuchen mit Wirbeltieren muss auch beim Menschen eine Kompensationsmöglichkeit der Körperstellreflexe angenommen werden. Allerdings lässt sich diese Ausgleichsfähigkeit weniger leicht nachprüfen, da beim Menschen die Versuche durch Operatio-nen (Hirnschnitte) wegfallen. Ebenso ist es mit organisatorischen Schwierigkeiten verbunden, E-lemente der Körperstellreflexe des Menschen für eine ausreichend lange Zeit durch Fixierung aus-

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Stützmotorik

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zuschalten, um die zunehmende Kompensation verfolgen zu können. So leiden alle dem Verfasser bekannten Versuche unter dem Fehler, dass die Fixierung nur für kurze Zeit beibehalten wurde. KRESTOWNIKOW stellte zum Beispiel die Halswirbelsäule durch einen Kopfhalfter fest, ließ die Ver-suchspersonen zweimal eine Slalomstrecke durchfahren und verglich die Laufzeiten mit denen, die ohne Kopfhalfter gefahren wurden (nach NÖCKER). Auch KRESTOWNIKOWs Versuche mit Gerättur-nern (nach UKRAN) und JAZKOWSKIs Experimente mit Skispringern (nach NÖCKER) scheinen die-sem Nachteil zu unterliegen. Wenn man bedenkt, welch lange Zeit zur Bildung der dynamischen Stereotypen für die vollendete Ausführung solcher Bewegungen nötig war, muss man den Ver-suchspersonen bei Fixierung durch Kopfhalfter was im Endeffekt einer Unterbrechung der gebilde-ten Stereotypen gleichkommt - eine angemessene Zeit einräumen, in der durch dauerndes Üben die Unterbrechung durch Bildung neuer Stereotypen kompensiert werden kann. Erst in diesem Falle lassen sich schlüssige Untersuchungsergebnisse über den Grad der Kompensation und da-mit auch über die allgemeine Bedeutung der Körperstellreflexe für Bewegungsabläufe erzielen.

Die Körperstellreflexe haben bei allen Wirbeltieren eine zweite Aufgabe. Wird der Körper aus der Normallage gebracht, so sorgen die Körperstellreflexe dafür, dass zuerst der Kopf und anschlie-ßend der Körper wieder in die Normallage zurückgeführt werden. Maßgeblich für diese Leistung sind Reflexbögen zwischen dem Statolithenorgan und dem Bogenapparat einerseits und der Au-genmuskulatur andererseits. Verliert ein Tier also die normale Körperstellung, regulieren die Stato-lithen und Labyrinth-Augenreflexe durch entsprechende Gegendrehung der Augen und des Kopfes die Beibehaltung des Gesichtsfeldes. Im Anschluss daran wird durch die oben beschriebene reflektorische Verbindung der Augen- und Halsmuskulatur mit der Rumpfmuskulatur auch die Körperstellung reguliert. Wieweit diese Labyrinth- und Statolithenreflexe bei der menschlichen Bewegung von Bedeutung sind, lässt sich schwer entscheiden, da sie - wie auch bei verschiede-nen Affen - meistens von optischen Reflexen überdeckt sind.

Im folgenden soll nun die Bedeutung der Körperstellreflexe des Menschen für Bewegungen, die außerhalb des naturgegebenen Bewegungsvolumens liegen, nämlich für Gerätübungen, abge-grenzt werden. Bei allen Turnübungen handelt es sich um Bewegungen, bei denen durch vorher-bestimmte Bewegungsakte ein festgelegtes Bewegungsziel erreicht werden soll. Im Vordergrund steht in jedem Fall die geforderte Körperhaltung und Bewegungsform ohne Rücksicht auf das natürliche Orientierungsbedürfnis in den verschiedenen Körperlagen, die während der Übung ein-genommen werden müssen. So ist die Orientierung bei den meisten Gerätübungen auf den Laby-rinth- und „Gewebssinn“ (Somatosensorik) beschränkt, während der optische Sinn zum großen Teil den bewegungsführenden Einfluss einbüßt. Deutlich wird diese Tatsache bei ungeübten Turnern, die, sobald ihnen durch eine ungewohnte Körperstellung die Möglichkeit zur optisch regulierten Beibehaltung des Gesichtsfeldes genommen wird, die „Orientierung verlieren“.

Um zu zeigen, welchen Bedingungen die Körperstellreflexe bei den verschiedenen turnerischen Bewegungen unterliegen, werden die turnerischen Bewegungen in mehrere Gruppen zusammen-gefasst.

1. In einer ersten Gruppe finden wir Gerätübungen, bei denen die gesamte Kette der Körperstell-reflexe in ihrer natürlichen Form von der Augenmuskulatur caudalwärts zur Wirkung kommt. In diese Gruppe gehört z.B.: Hand-standüberschlag rückwärts und Salto rückwärts gestreckt am Bo-den, alle Vorwärtsrollen und die Übungen, die eine Vorwärtsdre-hung um die quere Schwerpunkt-achse zeigen.

Diese Übungen beginnen mit einer orientierenden Augen-drehung in Bewegungsrichtung, was nacheinander ein Folgen des Kopfes und der Hals- und Rumpf-wirbelsäule nach sich zieht (Abb. 2.). Außerdem werden teilweise die Arme in der für die Körperstellreflexe charakteristi-schen Weise beeinflusst (s.o.). Für diese Gruppe von Übungen muss die oben unter 2. ange-

Abb.2

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führte Bedingung methodisch angewendet werden: Je stärker der auslösende Reiz, desto intensiver die Reflexwirkung in caudaler Richtung. Soll nämlich eine Übung unter starker Extremstellung der Wirbelsäule im Sinne einer Dorsalflexion (Überstreckung bis zur Hohlkreuz-haltung) oder Ventralflexion (Einrollen des Rumpfes und Abwinkeln im Hüftgelenk) ausgeführt werden, muss diese Stellung durch einleitendes, möglichst intensives Bewegen des Kopfes dorsal- oder ventralwärts ausgelöst werden.

2. In einer zweiten Gruppe von Turnelementen kommen die Körperstellreflexe zwar auch zur An-wendung, dabei muss jedoch das natürliche Bedürfnis zur optischen Orientierung unterdrückt werden, so bei allen mit gestrecktem Körper geturnten Vorwärtsüberschlägen. Beim Handstand-überschlag vorwärts am Boden versucht der Anfänger, durch ein Einrollen des Kopfes in Bewe-gungsrichtung möglichst schnell ein senkrecht stehendes Bild zu gewinnen, um sich über die Lage des Körpers im Raum orientieren zu können (Abb. 3 a).

Diese reflektorische Bewegung muss so-wohl der Wirkung der Augen-, als auch der Labyrinthreflexe zugeschrieben wer-den. Durch das Einrollen des Kopfes wird aufgrund der Körperstellreflexe die für den Handstandüberschlag verlangte Bogen-spannung (Dorsalflexion) des Rumpfes aufgehoben. Dieser Orientierungsreflex wird am zweckmäßigsten unterbunden, wenn dem Übenden ein neuer Orientie-rungspunkt gegeben wird, der so lange wie möglich anzuschauen ist (Abb. 3). Diese methodische Hilfe ist erfolgreicher als die Forderung einer willkürlichen Aus-lösung der entsprechenden Reflexbögen in der Hals- und Rumpfmuskulatur. Ähnli-ches gilt für die Kopf- und Nackenüber-schläge und im entgegengesetzten Sinne für die Rolle rückwärts am Boden und für den gehockten Salto rückwärts.

Gerade bei der letztgenannten Übung nimmt auch manch fortgeschrittener Turner noch den Kopf auf Grund eines Orientierungsbedürfnisses in den Nacken. Sogar Methodiker fordern die-se Bewegung, obwohl sie eine schlechte Hockphase zur Folge hat. Bei exakter Ausführung des Salto rückwärts wird spätestens direkt nach Verlassen des Bodens der Kopf auf die Brust ge-nommen, um die gesamte Ventralflexion des Körpers reflektorisch zu unterstützen. Abbildung 4 zeigt sogar schon beim Absprung während des Aufrichtens aus der Radwende eine leichte Ventralbewegung des Kopfes.

Zur optischen Orientierung beim Salto rückwärts gehockt muss festgestellt werden, dass zwar ein Orientierungsbedürfnis besteht wie in allen un-gewohnten Körperlagen, dass aber die Möglich-keit einer durch optische Orientierung ausgelös-ten Bewegungskorrektur nicht gegeben ist. Die Zeit, die dem Turner zur Verfügung steht, reicht bei weitem nicht aus, die Lage im Raum optisch zu analysieren, eine Korrekturbewegung zu pla-nen und zu realisieren.

Abb. 3

b.

a.

Abb. 4

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3. In einer dritten Gruppe von turnerischen Fertigkeiten kann die Haltung des Kopfes auch die Stellung der Arme bzw. den Tonus der Armmuskeln beeinflussen. Beim Bauchwellaufschwung am Reck werden durch eine Ventralflexion der Halswirbelsäule nicht nur die ventrale Bauch-muskulatur, sondern auch die Beuger und Retraktoren der Arme durch die Körperstellreflexe angesprochen.

Sobald jedoch - etwa durch eine falsche Bewegungsvorstel-lung oder eine unzu-treffende methodische Maßnahme - der Kopf in den Nacken ge-nommen wird, ent-steht - vor allem beim Anfänger - ein reflek-torischer Einfluss auf die Armmuskeln, der zu einer Streckbewegung der Arme führen kann und die Übung misslingen lässt (Abb. 5).

Dieser Einfluss der Kopfhaltung auf die Spannung der Armmuskulatur scheint auch bei der Schwungstemme rückwärts am Barren ausgenutzt zu werden. Bei den Schwungstemmen rückwärts soll die Abschwungphase mit leicht gewinkeltem Hüftgelenk geturnt und sollen zu Beginn der Aufschwungphase die Beine nach hinten zur Hohlkreuzhaltung des Rumpfes geschwungen werden (Abb. 6).

Hier lässt sich beobachten, dass manche Turner nicht den Kopf in den Nacken neh-men, wie es die Überstreckung der Wirbel-säule eigentlich verlangt, sondern ihn ge-gen die Brust bewegen (ventral beugen). Möglicherweise wird auf diese Weise die Beuge- bzw. Zugbewegung der Arme re-flektorisch unterstützt.

4. Außer den bisher besprochenen Bewe-gungen gibt es noch eine große Gruppe bewegungsverwandter Übungen, bei denen nach einer mehr oder weniger starken Hüftbeugung der Körper heftig gestreckt wird: die Kippen und Fel-gen. Die Streckung beginnt bei diesen Übungen aus sehr ähnlichen Ausgangspositionen aus einer Kipplage, einem Sturzhang oder Sturzhang-schwung -, bei denen der Rü-cken zur Erde hinweist, wäh-rend sich die Beine oberhalb des Rumpfes be-finden (Abb. 7).

Abb.5

Abb. 7

Abb. 6

Mitsukuri

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Stützmotorik

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Von hier aus kann die Streckung einmal von vorn oben, zum anderen mehr oder weniger senk-recht nach oben oder gar nach hinten oben führen (Abb. 7). All diese Kipp- und Felgbewegun-gen beginnen, gleichgültig in welcher Richtung sie erfolgen, mit einer Streckung im Hüftgelenk. Erst im Laufe der weiteren Streckbewegung löst sich auch die durch die gesamte Körperbeu-gung bedingte Ventralflexion der Wirbelsäule auf. Je nach der Richtung der Übung wird die Streckbewegung noch bei einer schwachen Beugestellung des Körpers gebremst (Abb. 7 a, b), oder sie führt zur völligen Streckung des Körpers, wobei Rumpf und Beine annähernd mit der Längsachse zusammenfallen (Abb. 7 c). In Ausnahmefällen endet die Bewegung sogar in einer Hohlkreuzhaltung (Abb. 7 d). Da aber bei all diesen Übungen die Streckbewegung im Hüftge-lenk beginnen muss und sich in cranialer Richtung fortsetzt, kommen die Körperstellreflexe und somit auch die Halsreflexe, die nur in caudaler Richtung arbeiten, bei der Auslösung und Durch-führung dieses Bewegungsaktes nicht zur Wirkung. So wird im allgemeinen bei der Ausführung der Kipp- und Felgbewegungen der Kopf sowohl zu Beginn als auch im Laufe der Streckung entweder auf der Brust oder „locker“ in Verlängerung der Wirbelsäule gehalten (Abb. 8).

Selbst bei manchen Übungen, die eine Streckbewegung bis zum kreuzhohlen Körper zeigen, beobachtet man, dass der Kopf in Ventralhaltung verharrt (Abb. 9).

Wird bei einzelnen Übungen der Kopf doch in den Nacken genommen, sollte diese Bewegung von geringer Intensität sein, damit keine reflektorisch beding-ten Fehlbewegungen entstehen. Au-ßerdem lässt die Tatsache, dass die Dorsalflexion des Halses nicht zu Be-ginn, sondern erst im Laufe der Streck-bewegung einsetzt, erkennen, dass damit die Körperstellreflexe nicht betä-tigt werden. Der Sinn ist entweder eine optische Orientierung über die Lage des Körpers im Raum (nur bei An-fängern), oder ein Richten des Bli-ckes auf das Gerät zwecks Griff-wechsel (zum großen Teil auch nur bei Anfängern), oder ein abschlie-ßender Handstand verlangt eine leichte Dorsalhaltung des Kopfes. In diesen Fällen sollte man sich im Hinblick auf methodische Anweisungen davor hüten, die Kopfbewegung für die AuFelg- und Kippbewegungen verantwortlich zu machen.

5. Selbst bei einer noch zu besprechenden Gruppe von Übungen, die mit den FelgenBewegungsstrukturen zeigen, den freien Überschlägen rückwärts an Reck, Barrenbeginnt die Streckung im Hüftgelenk. Allerdings können hier zwei Ausführungsartewerden. Bei der ersten werden nach einem Anwinkeln des Hüftgelenks zu Beginn schwungphase die Hüfte und die Rumpfwirbelsäule heftig gestreckt - ohne Beteiligung der Körperstellre-flexe (Abb. 10 a).

Abb. 8

a.

b

Beier

Abb. 10 a

Köste

Abb. 9

uppertal, 6, 1999

slösung der

verwandte und Ringen, n beobachtet der Auf-

Mitsukuri

. Tippelt

Abb. 9

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Stützmotorik

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Der Kopf wird verhältnismäßig lange ventralwärts gehalten und erst in der letzten Phase der Übung, nach Vollendung der Körperstreckung, zwecks Orientierung schnell dorsalwärts bewegt. Bei der zweiten Ausführungsart wird der Kopf schon zu Beginn der Aufschwungphase in den Nacken genommen und damit die Körperstellreflexe ausgelöst, obwohl im Hüftgelenk noch eine Beugebewegung durchgeführt wird (Abb. 10 b).

Im Laufe des weiteren Aufschwun-ges überträgt sich aufgrund der Körperstellreflexe die Streckbewe-gung der Halswirbelsäule über die Brust- und Lendenwirbelsäule auch auf das Hüftgelenk. Welcher der beiden Bewegungsläufe der von biologischer und mechani-scher Sicht zweckmäßigere ist, bedarf noch einer empirischen Ü-berprüfung.

Rückblickend kann nun festgestellt werden, dass bei der Anwendung der Biologie der Körper-stellreflexe für methodische Überlegungen einige Grundsätze zu beachten sind. So ist es zu vermeiden, die Halsreflexe isoliert zu betrachten, da sie nur ein Glied in der Reflexkette zur Körperstellung- und Körperhaltung sind. Auch sollte nicht jede Veränderung im Spannungszu-stand der Hals-, Rumpf- und Gliedmaßenmuskulatur schlechthin dem Wirkungsbereich der Kör-perstellreflexe untergeordnet werden, sondern an Hand der Biologie, die etwas über die Wir-kungsweise der Körperstellreflexe aussagt, sind die Übungen, bei denen die Bewegungsakte durch Stellreflexketten ausgelöst werden, genau auszuwählen. Bei der Suche nach methodi-schen Maßnahmen für die Übungen zeigt wieder die Biologie, dass die Körperstellreflexe am sichersten am natürlichen Ausgangspunkt der Reflexkette, nämlich beim Augenstellreflex, und weniger zweckmäßig an einem Zwischenglied zu beeinflussen sind. Außerdem ist bei der me-thodischen Arbeit zu prüfen, wieweit das Bedürfnis nach optischer Orientierung bei bestimmten Übungen zu unterdrücken ist zum Wohle einer zweckmäßigen Körperhaltung oder Bewegungs-form. Ist aber eine optische Orientierung unerlässlich, muss die Intensität der damit verbunde-nen Kopfbewegung richtig bemessen werden, um ein unerwünschtes Auslösen der Körperstell-reflexe zu unterbinden oder zumindest die Spannungsänderung der entsprechenden Muskula-tur in den gewünschten Grenzen zu halten. Im Hinblick auf die bedingte Natur der Stellreflexe ist festzustellen, ob bei einer Bewegung die Auslösung einzelner Reflexbögen will-kürlich unterdrückt werden muss oder ob bei einer anderen Übung in caudalen Abschnitten des von den Körperstellreflexen beeinflussten Skelettmuskelsystems willkürlich eine andere Haltung oder Bewegung erzeugt werden muss, als der Spannungszustand im cranialen Abschnitt reflek-torisch anstrebt.

Diese und ähnliche Untersuchungen sollten den methodischen Überlegungen vorangehen und für Bewegungsanweisungen richtungsweisend sein. Dabei ist für eine sinnvolle Auswahl des Übungsgutes zu berücksichtigen, dass es dem Anfänger und vor allem dem Jugendlichen we-niger leicht gelingt, unter Wahrung der natürlichen Bewegungsabläufe Reflexbewegungen will-kürlich zu unterdrücken und zu steuern als dem geübten Kunstturner.

Abb. 10 b

Mitsukuri

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Zielmotorik / Handlungsmotorik

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Zielmotorik / Handlungsmotorik Literatur: 5, 9, 13, 14, 15, 23, 25, 26

Vergleichen Sie mit folgendem Schema (S. 30)

400 ms vorher

130 ms vorher

Beispiele aus der Zielmotorik:

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Fallstrecke s = 0,9 m

Fallzeit (s= 1/2·gt2): t = ........ s

Reaktionszeit: tR = ........ s

Gesamtzeit: tG = ........ s

Ballgeschwindigkeit: vB = 80 km/h

Zeit vom 11m-Punkt bis zum Tor: tB = .......... s

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Zielmotorik / Handlungsmotorik

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Auslösung und Steuerung einer Bewegung (s. Beispiel Fußball)

Struktur Neuronale Funktion

Begleitende bewusste Erlebnisse, mentale Prozesse

Limbisches System

Aktiviert weite Bereiche des Großhirns, speziell die Assoziationsfelder (Motivation)

bis spätestens 800 ms vor Bewegungsbeginn

„Lust“ zum Fußballspielen; „Willensentscheidung“, „Zielsetzung“, dem Gegner den Ball abzujagen

Assoziazions-feld (Ass)

Vielfältige Verknüpfung gespeicherter Informationen

Prüfung der möglichen Abwehrstrategien, Auswahl der zweckmäßigen Bewegung

Supplemen-täres motorisches Feld (SMA)

Aktiviert gespeicherte sensorische Bewegungs-konsequenzen (bildet „Bewegungsentwurf“)

bis spätestens 140 ms vor Bewegungsbeginn

Eigenmotorische Vorstel-lung von der geplanten Abwehrbewegung; visuelle Zielvorgabe

Basalganglien (Bg)

Programmerstellung gemäß dem vom SMA gelieferten „Muster“ (Entscheidung, welche Muskeln tätig sein sollen)

80-60 ms vor Bewegungsbeginn

Kleinhirn (Klh) Programmerstellung nach dem vom SMA vorgegebenen „Muster“ (Entscheidung über Intensität und Timing)

80-60 ms vor Bewegungsbeginn

Primäres mo-torisches Feld (MI)

Synthetisiert die von Bg und Klh über Thalamus (Tha) gelieferten Programme; star-tet die Innervation der Mus-keln

60-30 ms vor Bewegungsbeginn

Pyramiden-bahn

Innerviert die Motoneurone und diese die Muskeln

Keine bewusste (willentliche) Einflussnahme möglich

Ass

SMA

Tha

MI

SMA

MI

Kln

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Bewegungswahrnehmung

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Bewegungswahrnehmung

Literatur: 5, 9, 13, 14, 15, 23, 25, 26

Grundlagen der Wahrnehmung Wahrnehmung (Definitionen):

• Allgemeine und umfassende Bezeichnung für den Prozeß des Informationsgewinns aus Umwelt- und Körperreizen

• Bezeichnung für die Bewusstseinsphänomene, die den zentralnervösen Prozess der Informationsaufnahme und -verarbeitung begleiten

Beispiel:

Visuelle und somatosensorische Informationsaufnahme während eines Cross-Laufes

BewußtseinEmpfindung / Wahrnehmung

ZNSzentrale Verarbeitung

Körper-peripherie

Informations-aufnahme

Umwelt äußere Reize

interne (zentrale Rückmeldung

Rückmeldung (Reafferenz)

interne Meldung

(äußere) Meldung (Exafferenz)

Wahrnehmung visueller Reize

Wahrnehmung somatosensorischer Reize

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Bewegungswahrnehmung

WIEM

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Eigenmotorische Wahrnehmung Definitionen:

• Bewusstseinsphänomen, das die Aufnahme und Verarbeitung der im Laufe einer Bewegung einkommenden Informationen begleitet.

• Wahrnehmung der sensorischen Konsequenzen einer motorischen Aktion

Achtung: Eigenmotorische Wahrnehmung darf nicht mit der Wahrnehmung von Bewegung, d.h. der Wahrnehmung der Bewegung von Objekten, Bildern, Filmen, anderen Personen ... verwechselt werden. Im folgenden meint Bewegungswahrnehmung immer eigenmotorische Wahrnehmung. Im anderen Fall wird einfach nur von Wahrnehmung gesprochen.

Sensorische Systeme, Sinne und Rezeptoren der eigenmotorischen Wahrnehmung:

sensorisches System Sinn (Modalität) Organ / Rezeptor

Tastsinn Oberflächenrezeptoren, Merkelzellen, Meißner-Körperchen, Pacini-Körperchen

Gelenkstellungssinn Gelenkrezeptoren, Muskelspindeln (?)

Gelenkbewegungssinn Gelenkrezeptoren, Muskelspindeln, Sehnenorgane (?)

somatosensorisches System

Kraftsinn Oberflächenrezeptoren, Gelenkrezeptoren, Sehnenorgane, zentrale Rückmeldung

visuelles System Sehen Augen, Lichtrezeptoren

vestibuläres System Gleichgewichtssinn Drehbewegungssinn

Maculaorgane, Bogengangorgane

Eigenmotorische Wahrnehmung ist somit multisensorisch und multimodal.

Körperschema Körperschema - Komponente zur eigenmotorischen Wahrnehmung, Definition:

Bewusstheit, Bewusstsein (schematisches Bild) von den morphologischen und materialen Dimensionen des eigenen Körpers.

Komponenten des Körperschemas: räumliche Ausdehnung, Reichweiten, Gelenkamplituden, Tast- und Bewegungsmöglich-keiten, Schmerzempfindlichkeiten, Oberflächen- und Gewebsfestigkeiten.

Abgrenzen und Erweitern des Körperschemas: Kleidung normal ⇔ Kleidung nass; Ski an den Füßen des Anfängers ⇔ Ski als Teil des Körpers beim Könner

Beeinflussung (Täuschungen) durch Krankheit (Fieber), Drogen, Verwachsungen (Buckel), Gliedmaßenverlust (Phantomschmerz, Phantombewegungen)

ANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegung

slehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

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Bewegungswahrnehmung

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Bildung der Bewegungswahrnehmung

Struktur neuronale Funktion begleitende bewusste Phänomene

Hinterstrangbahn; Hin-terstrangkerne; Schlei-fenbahn; Thalamus

Leitung der Rückmeldungen zThalamus; Selektion der Meldungen und Kontrastschärfung;

ab 30 ms nach Bewegungsbeginn

Thalamus (Tha); primäres somatosen-sorisches Feld (SI); primäres motorisches Feld (MI)

Leitung direkt zu MI oder über SI zu MI (50 ms nach Bewegungsbeginn): grobe Kurzkorrektur länger anhal-tender Bewegungen (>100 ms: „geführte“ Bewegungen) möglich

Empfindungen sensorischer Natur (jedoch kein bewusster Zugriff zur Bewegungskorrektur)

Hinterstrangkerne (Hsk); Kleinhirn (Klh); Thalamus; primäres motorisches Feld

Korrektur von Intensität und Timing langsamer Bewegungen oder zyklischer Aktionen (nicht früher als 100 ms nach Bewegungsbeginn); Korrek-tur und Speicherung der Programme

Sensorische Felder; supplementäres mo-torisches Feld

Verarbeitung, Verknüpfung der Meldungen und Rück-meldungen, Verrechnung mit gespeicherten Informatio-nen; Vergleich mit Bewegungs-entwurf; Bewegungskorrektur, falls Bewegung noch nicht abgeschlossen ist.

ab 150 ms nach Bewegungsstart

Wahrnehmen der Bewegung; bei schnellen, kurz dauernden Aktionen nur Wahrnehmung des Bewegungsresultats; Vergleich mit der Bewegungsvorstellung (Bewegungsabsicht); bewusste Korrektur

Assoziationsfelder; Limbisches System (LS)

Bewertung und Speicherung der Meldungen

Emotionale Bewertung der Bewegung und des Resultats

ASS

SMA SI SII/III

MI

MI SI

Tha

Tha

Klh

Hsk

LS

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Bewegungswahrnehmung

W

108

Funktionsschema zur Wahrnehmungsbildung

Rezeption: Informationsaufnahme

Ad n und Nervenzellen an eine konstante Reizsituation

Zentrale Adaption:

Bewegungs-wahrnehmung

Bewegungs-vorstellung

10-50 bit/sendogene Faktoren, Motivation, Aufmerk-samkeit, Ermüdung

multi-sensorische Selektion, Synthese, Integration, Strukturierung

Reafferenz-Exafferenz-differenzierung

Efferenzkopie Efferenz

Erfahrung

intra-sensorische Selektion, Synthese

efferente Kontrolle

genetische Erfahrung

Kontrast-schärfung, Adaptation

109 bit/s

Rezeption Bewegung

1014 bit/s

aptation: Anpassung von Sinneszelle

Reiz N

IEMANN, K. / JÖ

Auch im ZNS gibt es Verarbeitungsstationen

mV

mV

(Rückenmark, Hinterstrangkerne, Thalamus), in denen konstante Impulsserien schnell (oft schon nach 20-30 ms) gedämpft oder gar vollständig unterdrückt werden.

Biologischer Sinn der Adaption: Meldungen von absoluten Intensitäten

s Rt

und konstanten Wirkungen haben einen geringeren Informationsgehalt als Meldungen von Intensitätsänderungen bzw. relativen Unterschieden. Aus diesem Grunde werden Nervenbahnen durch Adaptation freigehalten oder freigemacht, um für die Übermittlung von

s

LLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zu

Umweltänderungen bereit zu sein.

s

ezeptorpo-ential

Aktions- potentiale

r Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

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Bewegungswahrnehmung

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Selektion und Aufmerksamkeitslenkung Selektion:

Bezeichnung für die Fähigkeit des ZNS, aus dem Reizangebot diejenigen Meldungen zu för-dern, die für die augenblickliche endogene und exogene Situation den höheren Informations-wert besitzen, und die Übertragung momentan wertloser Informationen zu drosseln.

a) In einer konkreten Verhaltenssituation werden bestimmte Nervenbahnen „vorweg“ aktiviert, andere „vorweg“ blockiert, um das Einlaufen gewünschter Meldungen zu fördern.

Beispiel: Beim Skilaufen im schwierigen Gelände werden Tast- und Gelenkwahrnehmungen aus dem Bereich der Beine, sowie optische Meldungen gefördert, Gehör-, Geschmacks- und Geruchsmeldungen aber gedrosselt. Beim Verzehren des Mensaessen werden..... (?).

b) Die einlaufenden Meldungen werden auf ihren Neuigkeitswert geprüft. Bei großem Informati-onswert werden sie bevorzugt weiterverarbeitet, im anderen Fall gedrosselt.

Beispiel: Im Laufe eines Parallelschwunges hat die Meldung über das plötzliche Wegrut-schen der Innenkante des Talskis einen höheren Informationswert als die Meldungen über das Glitzern der Schneekristalle im Gegenlicht.

Aufmerksamkeit: Bezeichnung für die Erscheinung, dass das Bewusstsein einen gesteigerten Grad in der Klar-heit und Deutlichkeit des Erfassens von Reizen und Reizkonstellation annehmen kann.

Aufmerksamkeitslenkung (psychologischer Begriff, identisch mit dem physiologischen Begriff „Selektion“): Bezeichnung für den Vorgang der Auswahl der dem Bewusstsein zur Verfügung stehenden Meldungen bzw. für das Konzentrieren des Bewusstseins auf einen bestimmten Typ von Meldungen aus dem Gesamtangebot. Diese Bewusstseinsfokussierung ergibt sich notwendi-gerweise aus dem Unvermögen, in der Zeitspanne von rund 140 ms (= physiologischer Augenblick) mehr als einen Informationsklumpen (chunk; biologischer Informationsquant) zu bearbeiten.

Beispiele:

• Der Fußballer ist in der Lage, aus der Geräuschkulisse des vollbesetzten Stadions den Pfiff des Schiedsrichters „herauszufiltern“ und die Pfiffe der Zuschauer (obwohl um ein Vielfaches lauter) zu „überhören“.

• Der Student, der die O'BRIEN-Technik übt, kann dann, wenn er sich für die bewusste Kontrolle des Ausdrehens der Stoßbeinferse entschieden hat, nicht gleichzeitig auch die Stellung seines Stoßarm-Ellbogens kontrollieren.

• Die (ungeübte) Studentin wird in der ersten Flugphase durch die Situation (auch gegen ihren „Willen“) gezwungen, das Bewusstsein auf die kommende Stützaktion der Arme zu konzentrieren, so dass sie nicht in der Lage ist, ihre Beinhaltung zu kontrollieren.

Wichtige Konsequenzen für den Lehr- / Lernprozess sportmotorischer Fertigkeiten:

• Aufmerksamkeitslenkung durch Orientierungshilfen beeinflussen!

• Da Aufmerksamkeitslenkung als zentralnervöser Prozess „gelernt“ werden kann, unerwünschte Automatisierung in der Aufmerksamkeitslenkung vermeiden!

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Bewegungswahrnehmung

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110

Synthese und Integration im Wahrnehmungsprozess Synthese und Integration von Meldungen:

Bezeichnung für den Vorgang der Zusammenfassung und Verrechnung der Meldungen verschiedenster Genese zu einem komplexen Wahrnehmungsbild (multisensorische Wahrneh-mung, multimodale Wahrnehmung). Visuelle Wahrnehmungen enthalten nicht nur Meldungen aus der Netzhaut, sondern auch Meldungen über Augenmuskelaktionen und über Kopfwendungen u.a. Eigenmotorische Wahrnehmungen enthalten Tastmeldungen, Gelenkstellungsmeldungen, Afferenzen aus Muskelspindeln und Sehnenorganen, vestibuläre und visuelle Meldungen und zentrale Rückmeldungen.

Fehlleistungen und Täuschungen sind möglich:

Interpretation, Strukturierung und Klassifizierung Synthetisierte Meldungen werden in der Regel mit gespeicherten Informationen verglichen, die entweder durch das Einlaufen der Meldungen wachgerufen werden oder schon vor dem die Meldungen produzierenden Verhalten aktiviert sind.

Beispiele: Die visuelle Meldung über das Vorhandensein eines in Reichweite befindlichen Kaktus aktiviert zwangsläufig zurückliegende Erfahrungen über die „Handhabung“ eines Kaktus.

Die während des Ablaufes eines Weitsprunges in Hangtechnik einlaufenden Meldungen werden mit denjenigen Informationen verglichen, die - als Vorwegnahme der kommenden Meldungen in Form eines Sollwertes - vor der Ausführung des Weitsprunges aktiviert wurden (s.Kap.: Bewegungsvorstellung).

Der Vergleich von einlaufenden mit gespeicherten Informationen erlaubt eine Bewertung und Ein-ordnung der eingelaufenen Meldungen, in den „Erfahrungsschatz“. Auf diese Weise werden Wahr-nehmungen in „Gruppen“ mit gemeinsamen prägnanten Merkmalen strukturiert (siehe Invariantenbildung)! Es können Untergruppen gebildet und Gruppen zu Klassen zusammengefasst werden.

Fingerverwechslungstest (a) und aristotelische Täuschung (b) als Beispiel der Grenzen visuell-somatosensorischer Integration

a) Beim Fingerverwechslungstest fällt es der Vp schwer, einen Finger, auf den der Vl zeigt, zu bewegen, obwohl der Finger sich im Blickfeld der Vp befin-det. Erst wenn der VI den zu bewegenden Finger berührt o-der bei der Aufgabenstellung benennt (Beispiel: „Bewegen Sie den Mittelfinger der rechten Hand!“), kann die Vp die Aufga-be ohne große Schwierigkeiten erfüllen.

b) Das Berühren einer Kugel mit gekreuztem Mittel- und Zeige-finger vermittelt - trotz visueller Kontrolle - den Eindruck von zwei Kugeln.

a)

b)

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Bewegungswahrnehmung

WIEMANN, K. /

111

Invariantenbildung im Wahrnehmungsprozess Invarianten

sind solche Elemente der Wahrnehmung, die sich aufgrund unveränderbarer und unverwechselbarer, von unterschiedlichen Bedingungen der Projektion unabhängiger prägnanter Merkmale einer Wahrnehmungskategorie zuordnen lassen.

Beispiel für Invarianten der visuellen Wahrnehmung:

Wird die Reizkonstellation in 1 als „Läufer“ erkannt, wird das Symbol trotz Kontraständerung (2), Abstrahierung (3), Konturänderung (4), perspektivischer Verzerrung (5 und 8), Verdrehung (6), Verkleinerung (7) und Unvollständigkeit (9 und 10) anhand prägnanter invarianter Merkmale als „Läufer“ bewertet, im Gegensatz zu den Symbolen 11 (Geher) und 12 (Werfer), die im Vergleich zu Symbol 1 geringere objektive Änderungen der physikalischen Reizkonstellation aufweisen, als bei-spielsweise die Symbole 3, 5 und 8 bis 10, aber nicht deren prägnante Merkmale besitzen.

Motorische Invarianten sind dynamische Gestalten, die sich aufgrund prägnanter, räumlicher, zeitlicher und dynamischer Merkmale, die von Positions- und Zielbedingungen unabhängig sind, einer Kategorie des eigenmotorischen Bewusstseins zuweisen lassen.

Beispiel:

Räumliche u„stoßen“ (Miunterschiedlproximale G

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nd dynamische Charakteristika der motorischen Invarianten „schlagen“ (links), tte) und „schwingen“ (rechts), Modalwert von jeweils 120 Abläufen aus ichen Arm- und Beinpositionen. Z symbolisiert das Körperzentrum bzw. das elenk der bewegten Gliedmaße. Die Strichbreite symbolisiert die Beschleunigung.

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Bewegungsvorstellung

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Bewegungsvorstellung Literatur: 5, 9, 13, 14, 15, 23, 25, 26

Vorstellung: Bezeichnung für das absichtliche Wiederhervorrufen oder das unwillkürliche Wiederauftauchen von vergangenen Sinneseindrücken im Bewusstsein.

Bewegungsvorstellung (eigenmotorische Vorstellung): Bezeichnung für das absichtliche Wiederhervorrufen oder das unwillkürliche Wiederauftauchen derjenigen Sinneseindrücke und Wahrnehmungen im Bewusstsein, die während der Ausführung einer Bewegung registriert und gespeichert wurden.

Im Gegensatz zur Bewegungswahrnehmung ist die Bewegungsvorstellung unabhängig von den biomechanischen Zwängen, denen die Bewegung und somit die Bewegungswahrnehmung unter-liegen:

Bewegungen können in der Vorstellung:

a) zeitgedehnt werden (was bei einem realen Bewegungsablauf nicht möglich ist und deshalb in der Bewegungswahrnehmung nicht vorkommen kann),

b) angehalten werden,

c) müheloser erscheinen,

d) beliebig verändert und neu kombiniert werden.

Befunde zur Wirkung der Bewegungsvorstellung

e) Vor der Ausführung einer Bewegung, die nicht automatisiert ist, ist die Bildung einer Bewegungsvorstellung notwendig. Bewegungsvorstellung ist somit die bewusste Vorwegnahme der sensorischen Konsequenzen einer Bewegung.

f) An das Bilden der Bewegungsvorstellung ist gesetzmäßig die Tendenz gekoppelt, die vorgestellte Bewegung äußerlich zu realisieren, ohne dass dies bewusst gewollt wurde (CARPENTER-Effekt; ideomotorisches Gesetz).

g) Das Bilden der Bewegungsvorstellung löst somit die zentralnervöse Programmierung und E-xekution der vorgestellten Bewegung aus.

Modell des Zusammenhanges von Antizipation, ideomotorischem Effekt und Realisation: oben: „gekonnte“ Bewegung; unten: neu zu erwerbende Bewegung

Bewegungs-vorstellung

Antizipationideomotorischer

Effekt

Bewegungs-wahrnehmung

Bewegungs-realisation

Rezeption

Neukombination und Antizipation

Bewegungs-vorstellung

Bewegungs-vorstellung 1

ideomotorischer Effekt

Bewegungs-vorstellung 2

Bewegungs-wahrnehmung

Bewegungs-realisation

Rezeption

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Motorisches Lernen

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113

Motorisches Lernen

Literatur: 5, 9, 13, 14, 15, 23, 25, 26

Wenn einerseits a-d (vorherige Seite) und andererseits e-g (vorherige Seite) gelten, kann motorisches Lernen wie folgt definiert werden: motorisches Lernen ist eine Verhaltensänderung, bedingt durch Neukombination der Bewegungserfahrungen in der Vorstellung.

Funktionsmodell der Lehr-Lern-Situation als Neukombination der eigenmotorischen Vorstellung im Schüler auf der Basis von Lehrmaßnahmen, die sich aus der Analyse der eigenmotorischen Vor-stellung im Lehrer entwickeln.

Analyse der Bewegungs-vorstellung

Bewegungs-vorstellung

Bewegungs-vorstellung

Bewegungs-wahrnehmung

Bewegungs-realisation

Bewegungs-wahrnehmung

Bewegungs-realisation

Lehrer Schüler

Lehrmaßnahmen

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Physikalische Größen, ihre Symbole und Einheiten

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Physikalische Größen, ihre Symbole und Einheiten

Literatur zum physikalischen Teil (S.1-162): 2, 4, 6, 12, 24, 25

Mechanik Definition: Die Mechanik ist der Zweig der Physik, der sich mit der Bewegung oder

Ortsänderung von Körpern befasst.

Man unterteilt die Mechanik in:

• Kinematik, die die Bahn einer Bewegung beschreibt,

• Dynamik, die die physikalischen Ursachen einer Bewegung untersucht und

• Statik, die die Bedingungen angibt, unter denen keine Bewegungen auftreten.

Skalare und Vektoren Physikalische Größen treten in zwei verschiedenen Formen auf, ein Teil als Skalar, der andere Teil als Vektor.

Skalare: Viele Größen in der Physik, wie etwa die Länge, die Masse und die Zeit, benötigen zu ihrer Festlegung nur eine Maßzahl und eine Maßeinheit, man nennt sie Skalare.

Beispiel:

Physikalische Größe

Länge Fläche

Volumen Masse

Symbol

s A V m

Der Würfel hat ...

eine Breite von eine Oberfläche von ein Volumen von eine Masse von

Maßzahl

1 6 1 5

Maßeinheit

m m² m³ kg

Vektoren: Andere Größen in der Physik, wie etwa der Weg oder die Geschwindigkeit, benötigen zu ihrer Festlegung neben der Angabe ihrer Größe, also Maßzahl und Maßeinheit zusätzlich die Angabe ihrer Richtung, man nennt sie Vektoren. Die Kennzeichnung erfolgt durch einen Pfeil über dem Symbol, z.B.: Weg :

rs

Geometrisch, etwa in einem Koordinatensystem, stellt man einen Vektor durch einen Pfeil mit dem Anfangspunkt P und dem Endpunkt Q, festgelegt durch die Pfeilspitze, dar. Dabei gibt die Pfeilspitze die Richtung an, entlang derer z.B. die Kraft wirkt oder die Bewegung erfolgt.

Beispiel: Qa

Pa

a

y

x

Pc

Qc

cQb

Pb

b

Anmerkung: In der Literatur werden Vektoren im Text oft auch nur durch ein fettgedrucktes Symbol gekennzeichnet und auf Vektorpfeile und Betragstriche wird verzichtet,

z.B.: rs = S oder

rs = S .

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Physikalische Größen, ihre Symbole und Einheiten

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115

Vektorbetrag: Die Länge oder auch der Betrag eines Vektors ist durch seine Maßzahl und seine Maßeinheit gegeben. Zur Kennzeichnung setzt man das Symbol in Betragstriche, z.B.: Betrag des Weges =

rs .

Beispiel: Kraft rF : Das Beispiel soll verdeutlichen, dass zwei Kräfte gleichen Betrages je nach

Richtung ganz unterschiedliche Wirkung haben:

Fall 1: Eine Kraft von 100N (Newton) greift an einer Scheibe an und weist vom Mittelpunkt weg, d.h. ist parallel zum Radiusvektor

rr .

Wirkung: k e i n e sichtbare !

Fall 2: Eine Kraft von 100N greift an einer Scheibe an und steht senkrecht zum Radiusvektor

rr .

Wirkung: B e w e g u n g der Scheibe !

Vektoraddition: Zwei Vektoren können addiert werden, indem an die Spitze des einen Vektors der Anfang des anderen Vektors angefügt wird. Die Verbindung zwischen dem Anfang des ersten und der Spitze des zweiten Vektors ergibt einen resultierenden Vektor. Er ist die Addition der beiden Vektoren. Die Reihenfolge der Addition ist dabei egal.

Vektorzerlegung: Die Vektorzerlegung stellt die umgekehrte Reihenfolge der Vektoraddition dar. Sie besagt, dass jeder Vektor durch die Addition beliebig vieler Vektoren dargestellt werden kann. Wichtig ist hierbei, dass die Zerlegung am Anfang des zu zerlegenden Vektors beginnt und an dessen Spitze endet.

Beispiel:

BCA

B

A

B

A

B C+ = oder B +A A C=Vektoraddition:

BC += oder B +A AC =Vektorzerlegung:

In der Praxis kommt es häufig vor, dass man einen Vektor so in zwei Vektoren zerlegt, dass diese beiden senkrecht zueinander stehen. Dabei ist dann häufig die Richtung des einen Vektors durch äußere Umstände gegeben. Wenn z.B. eine Kraft am Unterarm ansetzt, so ist nur der Teil der Kraft relevant, der senkrecht zum Arm wirkt. Der Rest wird durch den Ellenbogen kompensiert.

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Translation und Rotation

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116

Translation und Rotation

Die bei Bewegungen bzw. Ortsveränderungen von einzelnen Körperpunkten zurückgelegten Wege lassen sich grundsätzlich in zwei Klassen unterteilen, in Translation und Rotation.

Definitionen:

Translation: Die von den einzelnen Körperpunkten zurückgelegten Wege sind parallel und deckungsgleich.

Rotation: Die von den einzelnen Körperpunkten zurückgelegten Wege stellen konzentrische Kreise dar.

Achtung: Sind die zurückgelegten Wege der einzelnen Körperteile weder parallel und deckungsgleich noch konzentrische Kreise, liegt eine aus Translation und Rotation zusammengesetzte Bewegung vor (dies entspricht dem Normalfall einer Bewegung).

Beispiele:

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Translation und Rotation

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Analogien zwischen Translation und Rotation:

Translation Rotation

Weg s Winkel ϕϕϕϕ

Geschwindigkeit v Winkelgeschwindigkeit ωωωω

Beschleunigung a Winkelbeschleunigung αααα

Masse m Trägheitsmoment J

Kraft F Drehmoment M

Impuls p Drehimpuls L

Die in der sportlichen Praxis dominierenden Mischformen aus Translation und Rotation lassen sich hinsichtlich dieser beiden Grundbewegungsformen häufig sinnvoll zergliedern:

• Der translatorische Anteil ergibt sich aus der Beobachtung der Bewegung des Schwerpunktes oder von Teilschwerpunkten des sich bewegenden Systems (häufig der Sportler).

• Der rotatorische Anteil ergibt sich aus der Erfassung der Bewegung des Systems oder von Systemteilen um den Schwerpunkt oder um Teilschwerpunkte.

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Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung

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118

Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung

Der Weg s ist die Verbindung oder Strecke zwischen zwei definierten Punkten. Der Weg s ist ein Vektor. Gemessen wird der Weg in Metern [m]. Die Maßeinheiten werden im folgenden immer in eckige Klammern [ ] gesetzt, um Verwechslungen auszuschließen.

Unter der Geschwindigkeit v versteht man den Quotienten aus dem zurückgelegten Weg s und der dazu benötigten Zeit t. Auch die Geschwindigkeit v ist ein Vektor:

Geschwindigkeit = Weg

Zeit oder

rr

v =s

t

m

s

, gemessen in Metern pro Sekunde

Beispiel: Es wird ein Läufer betrachtet, der zu zwei verschiedenen Zeitpunkten die Wegdifferen-zen s1 bzw. s2 in den Zeiten t1 bzw. t2 zurücklegt.

Setzt man Weg- und Zeitwerte ein,

s1 = 0,24 [ m ] , t1 = 1

16 [ s ] = 0,0625 [ s ]

so ergibt sich:

vs

tmittel11

1

0 24

0 0625

3 84

13 84,

,

,

,,= =

=

=

m

s

m

s

m

s

Beziehungsweise für die zweite Wegstrecke:

s2 = 0,28 [ m ] t2 = 1

16[ s ] = 0,0625 [ s ]

vs

tmittel22

2

0 28

0 0625

4 48

14 48,

,

,

,,= =

=

=

m

s

m

s

m

s

Unter der Beschleunigung a versteht man die Änderung der Geschwindigkeit v in einer be-stimmten Zeit t. Auch die Beschleunigung a ist ein Vektor:

= a = v v

t

2 1−

m

s2 gemessen in Meter pro Sekunde zum Quadrat.

Beispiel: Für den Läufer ergibt sich die Zeitdifferenz zwischen den beiden Geschwindigkeiten v1 und v2 zu t = 0,0625 [ s ]. Die Beschleunigung beträgt somit:

[ ] [ ]av v

tmittel = − =

=

=

=

2 1

4 48 3 84

0 0625

0 64

0 0625

0 64

0 062510 24

, ,

,

,,

,,

m

s

m

ss

m

s, s

m

s

m

s2 2

Wichtig:

• Die Beschleunigung ist Null, wenn sich die Geschwindigkeit nicht ändert,

• die Beschleunigung ist positiv, wenn die Geschwindigkeit zunimmt (ugs.: Beschleunigung),

• die Beschleunigung ist negativ, wenn die Geschwindigkeit abnimmt (ugs.: Abbremsung).

Geschwindigkeitsänderung Zeit

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Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung

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119

Diagramme für Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung in Abhängigkeit von der Zeit

a) Das Weg-Zeit-Diagramm verdeutlicht, welche Wegstrecke vom Start aus nach den einzelnen Zeitabschnitten zurückgelegt ist.

b) Das Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm verdeutlicht den pro Zeitabschnitt erreichten Gewinn an Wegstrecke (s2-s1).

c) Das Beschleunigungs-Zeit-Diagramm verdeutlicht die pro Zeitabschnitt auftretende Geschwindigkeitszu- bzw. -abnahme (v2-v1).

Anmerkung:

Die Diagramme a) bis c) zeigen keine Momentanwerte, sondern nur die Durchschnittswerte für die untersuchten Zeitabschnitte. Die Aussagen über das Kurvenverhalten werden umso exakter, je kleiner die Zeitintervalle zur Untersuchung gewählt werden.

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Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung

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120

0123456789

101112131415161718192021222324

0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5 1,75 2 2,25 2,5 2,75 3 3,25 3,5 3,75 4 4

t [s]

Aufgabe: Ein Weitspringer hat bei seinem 24m langen Anlauf nach je 0,25s folgende Strecken des Anlaufes zurückgelegt:0,2 m; 0,4 m; 0,6 m; 0,8 m; 1,2 m; 1,8 m; 2,8 m; 4,4 m; 6,6 m; 9,0 m; 11,6 m; 14,2 m;16,8 m; 19,4 m; 21,8 m; 24,0 m.

Zeichnen Sie untereinander ein Weg-Zeit-Diagramm,ein Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm und ein Beschleunigungs-Zeit-Diagramm! Beschreiben Sie den Zusammenhang von Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung! Diskutieren Sie das Anlaufverhalten des Weitspringers!

s [m]

0123456789

10

0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5 1,75 2 2,25 2,5 2,75 3 3,25 3,5 3,75 4 4

t [s]

v [m/s]

-4-3-2-10123456789

10

0 0,25 0,5 0,75 1 1,25 1,5 1,75 2 2,25 2,5 2,75 3 3,25 3,5 3,75 4 4

t [s]

a [m/s²]

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Masse, Schwere, Gewicht und Trägheit

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Masse, Schwere, Gewicht und Trägheit

Die physikalische Größe Masse m umfaßt die Eigenschaften der Materie, schwer und träge zu sein. Diese Eigenschaften sind umso ausgeprägter, je größer die Masse ist. Die Masse wird in Kilogramm [kg] gemessen.

Die Eigenschaft der Schwere besagt, dass ein Körper mit einer gewissen Masse m unter dem Einfluss der Schwerkraft zum Boden (zum Erdmittelpunkt) hin angezogen wird, man sagt, er wiegt etwas.

Die Eigenschaft der Schwere resultiert aus der Naturerscheinung, dass sich Materie gegenseitig anzieht: Gravitation = Schwerkraft.

Die Gravitation zwischen der Erde und den Körpern auf ihr (z.B. Menschen, Steine, etc.) äußert sich als Fallbeschleunigung g. Diese in der Physik als Gravitations-konstante g bezeichnete Naturkonstante

beträgt an der Erdoberfläche rg =

9 81, m

s2.

Das Gewicht eines Körpers ist die Kraft FG, mit der seine Masse zum Erdmittelpunkt hin angezogen, d.h. beschleunigt wird.

Das Gewicht ist der Masse des Körpers proportional:

[ ]r rF m g NG = ⋅ .

Gleiche Massen sind am gleichen Ort gleich schwer.

Die Trägheit bezeichnet die Eigenschaft materieller Körper, d.h. jeder Masse, sich beschleuni-genden bzw. abbremsenden Kräften zu widersetzen:

Der Zustand der Ruhe oder der geradlinig-gleichförmigen Bewegung eines Kör-pers ändert sich nicht von selbst, man sagt, der Körper ist „träge“.

Diese Eigenschaft wird in der Physik auch als das Trägheitsprinzip oder als das 1. Newton’sche Axiom (Axiom = Richtlinie, Grundsatz, Regel) bezeichnet.

Beispiel:

Jedem ist die Erscheinung der Trägheit aus dem Alltag sicherlich bekannt. Nehmen wir einmal den Fall, dass wir in einem Bus stehen. Sobald dieser anfährt (= beschleunigt), müssen wir aufpassen, dass wir nicht nach hinten, d.h. entgegen der Fahrtrichtung umfallen. Bremst er dagegen ab, müs-sen wir uns wiederum festhalten, um diesmal nicht nach vorn, d.h. in Fahrtrichtung zu kippen. In beiden Fällen ist unser Körper bestrebt, seinen ursprünglichen Bewegungszustand der Ruhe (vor dem Anfahren des Busses) bzw. der geradlinig gleichförmigen Bewegung (vor dem Abbremsen des Busses) beizubehalten.

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Kräfte

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Kräfte

Um einen Körper beschleunigen zu können, muss eine Kraft F auf ihn wirken. Die aufzuwendende Kraft F ist proportional zu der Masse m des Körpers und der Beschleunigung a. Dieses ist in der Physik das sogenannte Aktionsprinzip oder auch das 2. Newton’sche Axiom. Genauer ist die Kraft das Produkt aus Masse m mal Beschleunigung a, man schreibt:

r rF m a= ⋅ .

Die Einheit der Kraft ist das Newton [N]. 1 [N] = 1kg m

s

2

Hieraus resultieren mehrere Merksätze:

• Kräfte sind vektorielle Größen. Ihre Wirkung hängt von Betrag und Richtung ab.

• Die gleiche Kraft beschleunigt Körper unterschiedlicher Massen unterschiedlich stark.

• Je größer die Masse eines Körpers, desto mehr Kraft muss aufgewendet werden, um diesen zu beschleunigen.

• Kräfte können Körper verformen und in Bewegung setzen (beschleunigen).

Wichtig:

Die Kraft ist wie die Geschwindigkeit und die Beschleunigung richtungsbezogen. Das heißt, diese Größen wirken in eine Richtung. Eine negative Beschleunigung wirkt gegen eine positive Bewe-gungsrichtung und benötigt eine negative Kraft. Diese negative Kraft ist so zu verstehen, dass hier der Betrag der Kraft, also die positive Kraft, aufgewendet werden muss, jedoch in die entgegenge-setzte Richtung wie die positive Kraft wirkend.

Beispiel:

Um einen schweren Wagen gleich stark zu beschleunigen wie einen leichteren, bedarf es einer größeren Kraft!

Um ihn aus der Bewegung in der gleichen Zeit anhalten zu können (Abbremsung = negative Beschleunigung) wie einen leichteren, bedarf es ebenfalls einer größeren Kraft!

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Kräfte

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Zusammensetzung und Zerlegung von Kräften:

Zwei in einem Punkt angreifende Kräfte FS und FL lassen sich durch eine einzige resultierende Kraft FR im Vektoren- parallelogramm ersetzen.

Entsprechend lässt sich eine Kraft im Vektorenparallelogramm auch in Komponenten zerlegen.

Innere und äußere Kräfte:

äußere Kräfte:

Körper können auf sich selbst keine Kräfte ausüben. Kräfte rühren immer von außen, d.h. von anderen Körpern her, man nennt sie daher auch äußere Kräfte.

innere Kräfte:

Kräfte, die innerhalb eines Körpers A erzeugt werden, können, sofern sie nicht auf einen außerhalb des Körpers A gelegenen zweiten Körper B treffen, den Körper A nicht be-schleunigen, sondern nur Massenverlagerun-gen in ihm erzeugen, man nennt sie daher auch innere Kräfte.

Merke: Wirkt ein Körper A auf einen Körper B mit einer Kraft F, dann wirkt gleichzeitig auch B auf A mit der gleichgroßen, aber entgegen gerichteten Kraft (-F), man nennt diesen Sachverhalt

„aktio = reaktio“ .

Diesen Sachverhalt nennt man in der Physik das Reaktionsprinzip oder auch das 3. Newton’sche Axiom.

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Kräfte

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124

Aufgaben

Springt der Flop-Springer richtig ?

Wer trägt mehr ?

Bei einem Laufschritt treten am Boden nachein-ander bremsende Horizon-talkräfte Fa und beschleu-nigende Horizontalkräfte Fb auf, die sich in Kraft-Zeit-Diagrammen (Dynamogrammen) darstellen lassen.

Welche Aussagen lassen sich in den Fällen a), b) und c) über das Geschwindigkeitsverhalten des Läufers machen ?

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Impuls und Impulserhaltung

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125

Impuls und Impulserhaltung

Der Impuls beschreibt die Größe einer Bewegung und ist vereinfacht auf zweierlei Weise definiert:

• der Impuls p ist das Produkt aus Masse m mal Geschwindigkeit v, oder auch:

• der Impuls p ist das Produkt aus Kraft F mal Zeit t.

Man schreibt: r r rp m v F t= ⋅ = ⋅ .

Der Impuls p wird gemessen in den identischen Einheiten Newton mal Sekunde [N·s] oder Masse mal Geschwindigkeit [kg·m/s]. Impulse sind vektorielle Größen und den sie bewirkenden Kräften bzw. Geschwindigkeiten gleichgerichtet.:

Beispiele:

Von zwei Körpern verschiedener Massen m1 und m2, aber gleicher Geschwindigkeit v, hat der mit der größeren Masse (m1) auch den größeren Impuls (p1 > p2<).

Wirkt auf beide Boxer für die gleiche Zeit t eine gleich große Kraft F - dies nennt man auch einen Kraftstoß - so erhalten sie jeweils einen gleich großen Impuls (p1 = p2) - und das, obwohl der des Körpers mit kleinerer Masse (m2) aufgrund seiner größeren Geschwindig-keit v2 auch größer erscheinen mag!

Aufgabe:

Welchen Impuls haben die Läufer und die Katze?

• m1 = 80 [kg], v1 = 10 [m/s] p1 = m1·v1 = 80 [kg] * 10 [m/s] = p1 = 800 [kg·m/s]

• m2 = 70 [kg], v2 = 10 [m/s] p2 = .......... [kg·m/s]

• m3 = 1,5 [kg], v3 = 16 [m/s] p3 = .......... [kg·m/s]

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Impuls und Impulserhaltung

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126

Impulserhaltung:

In einem abgeschlossenen, d.h. kräftefreien System (d.h. es wirken keinerlei äußere Kräfte) bleibt der Gesamtimpuls nach Größe und Richtung konstant. Dies nennt man auch den Im-pulssatz.

Weiter gilt: Der Gesamtimpuls eines Systems ist gleich dem Impuls seines Schwerpunktes.

Daraus folgt der Impulserhaltungssatz, auch Schwerpunktsatz genannt:

In einem abgeschlossenen (kräftefreien) System bleibt der Impuls des Schwerpunktes nach Größe und Richtung konstant, oder wenn die Summe aller auf ein System wirkenden (äußeren) Kräfte Null ist, bleibt der Gesamtimpuls des Systems konstant, d.h. erhalten. In diesem Fall be-findet sich der Schwerpunkt in Ruhe oder bewegt sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit.

Beispiele:

Bild 1: Solange unser Schwimmer auf dem Heck seines Bootes steht, ist nicht nur er in Ruhe (SM), sondern gleichzeitig auch das Boot (SB) und damit der Gesamtschwerpunkt (SG). (Wir nehmen an, das Boot im Wasser sei ein abgeschlossenes kräftefreies System.)

Bild 2: Sobald der Schwimmer sich dann mit der (inneren) Kraft FM von seinem Boot abstößt, wirkt auch auf dieses die gleich große aber entgegengesetzte Kraft FB (FB = -FM ; s.o.: aktio = reaktio).

Bild 3: Schwimmer und Boot bewegen sich nun mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten von-einander weg. Da jedoch beide aufgrund der jeweils gleich großen Kraft einen gleich großen Impuls erhalten haben, ist trotz der Bewegung aller Teile des System der Gesamtschwerpunkt weiterhin in Ruhe.

Auch der Turner, der in einer Hocke über einen Kasten springt, um sich danach wieder zu strecken, stellt wäh-rend der Flugphase seines Sprunges ein abgeschlosse-nes System dar. Egal welche Bewegungen er auch durchführt, er kann nur innere Kräfte erzeugen. Sein Schwerpunkt bewegt sich davon unbeirrt mit konstanter Geschwindigkeit und damit mit konstantem Impuls weiter.

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Impuls und Impulserhaltung

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127

Änderung der Bewegungsrichtung durch Rückstoß:

Der Raumfahrer hat sich unglücklicherweise zu kräftig von seinem Raumschiff abgestoßen. Kann er trotzdem noch zur Kapsel zurückgelangen? Antwort: Ja! Er muss den Hammer so fest nach hinten wegwerfen, dass dessen Impuls pH danach zumindest etwas größer ist als der konstante Gesamtimpuls pG, mit dem er sich von der Kapsel weg bewegt. Aufgrund der Impulserhaltung bewegt sich der Raum-fahrer danach mit dem Impuls pR wieder auf die Kapsel zu. Diesen Effekt nennt man auch „Rückstoß“.

Aufgaben:

Wer der beiden Basketballer wirft weiter? r rv v1 2=

(Geschwindigkeit des Balles in Bezug zur Hand):

Welcher der beiden Germanen springt weiter?

m1 = m2 ; r rv v1 2= :

Angenommenen, das Eis des Tei-ches ist absolut reibungsfrei, so dass es unmöglich ist, auf ihm Schritte auszuführen.

Wie kann der Junge dennoch bequem ans Ufer gelangen?

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Winkel, Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung

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128

Winkel, Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung

Der Winkel ϕϕϕϕ („Phi“) beschreibt das Maß der Drehung eines Körpers um eine Drehachse und wird in Bogenmaß gemessen (bei Berechnungen ohne Dimension), häufig auch in Grad (°).

In einem Vollkreis beschreibt der Radiusvektor r einen Winkel von 360°[Grad], was einem Bogenmaß sB von 2ππππ entspricht (π = 3,1415...).

Der auf der Kreisbahn zurückgelegte Weg sB beträgt:

r rs rB = ⋅ϕ (! mit ϕ in Bogenmaß !).

Die Winkelgeschwindigkeit ωωωω („Omega“) beschreibt die Geschwindigkeit der Drehung eines Körpers um eine Drehachse in einer gewissen Zeit t, ist ein Vektor und wird in Winkeleinheiten (Bogenmaß oder Grad) pro Sekunde, Maßeinheit [1/s] gemessen:

Winkelgeschwindigkeit Winkel

Zeit oder == ω ϕ

t

Die auf der Kreisbahn meßbare Geschwindigkeit, die sogenannte Bahngeschwindigkeit vB, beträgt:

r r rv rB = ⋅ω (! mit ω in Bogenmaß pro Sekunde !).

und steht als Vektor immer senkrecht zum Radiusvektor r.

Beispiel:

Für eine vollständige Riesenfelge am Reck benötigt ein Turner eine Zeit t von einer Sekunde. Der gemessene Drehwinkel ϕ beträgt natürlich 360°[Grad], dies entspricht einem Bogenmaß von 2π. Die durchschnittliche Winkelgeschwindigkeit ω beträgt:

rω ϕ π= = °

=

t

360

12

1

s

1

s.

Anmerkung: Die Winkelgeschwindigkeit ändert sich jedoch während des „Riesen“ aufgrund der ständig variierenden Wirkung der Gravitationskraft, d.h. die Momentan-Winkelgeschwindigkeit ist in den meisten Augenblicken von der berechneten Durchschnitts-Winkelgeschwindigkeit verschieden. Um sie berechnen zu können, muss der „Riese“ in kleine Teildrehungen (= kleine durchlaufene Winkel) unterteilt und müssen die dafür benötigten Zeiten gemessen werden. Hieraus lässt sich dann die momentane Winkelgeschwindigkeit berechnen.

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Winkel, Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung

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129

Die Winkelbeschleunigung αααα („Alpha“) beschreibt die Beschleunigung der Drehung (d.h. die Änderung der Winkelgeschwindigkeit) eines Körpers um eine Drehachse in einer gewissen Zeit t, ist ebenfalls ein Vektor und wird in Winkeleinheiten (Bogenmaß oder Grad) pro Sekunde-Quadrat, Maßeinheit [1/s²] gemessen:

Winkelgeschwindigkeitsänderung

ZeitWinkelbeschleunigung = oder α ω ω

= 2 1−t

Die auf der Kreisbahn meßbare Beschleunigung, die sogenannte Bahnbeschleunigung aB, hängt im wesentlichen von der aktuellen Winkelbeschleunigung αααα ab und beträgt:

r r ra rB = ⋅α (! mit α in Bogenmaß pro Sekunde-Quadrat !).

und steht als Vektor immer senkrecht zum Radiusvektor r.

Wichtig:

• Die Winkelbeschleunigung ist Null, wenn sich die Winkelgeschwindigkeit nicht ändert!

• Die Winkelbeschleunigung ist positiv, wenn die Winkelgeschwindigkeit zunimmt!

• Die Winkelbeschleunigung ist negativ (= Abbremsung), wenn die Winkelgeschwindigkeit abnimmt!

Beispiel:

Ein Radfahrer startet und beschleunigt innerhalb der ersten vier Sekunden die Rotation der Räder von anfangs Null (0 Grad) pro Sekunde auf 4π (= 720 Grad oder zwei volle Umdrehungen) pro Sekunde. Die mittlere Winkelbeschleunigung α beträgt dabei:

r

r r

αω ω π π=

−=

=

=

2 1 4

4

11

180t

ss

s

Grad

s2 2.

In Worten: Im Mittel wird die Winkelgeschwindigkeit ω der Räder in jeder der ersten vier Sekunden um einen Betrag von einer halben Umdrehung pro Sekunde gesteigert.

Anmerkung:

Um jedoch auch hier präzisere Aussagen über den Zeitverlauf der Winkelbeschleunigung α machen zu können, muss man die Änderung der Winkelgeschwindigkeit ω in kleineren Zeiteinheiten ermitteln.

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Trägheitsmoment

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130

Trägheitsmoment

Aus der Eigenschaft der Masse, träge zu sein, resultiert auch das sogenannte Trägheitsmoment:

Die physikalische Größe Trägheitsmoment J ( = Drehmasse) eines Körpers ist das Maß bzw. der Widerstand, mit dem sich ein Körper drehbeschleunigenden Kräften widersetzt und spielt bei der Beschreibung von Drehbewegungen eine wichtige Rolle.

Erklärung: Von der Eigenschaft der Trägheit (s.S.121) wissen wir, dass jeder Körper (bzw. jede Masse) seinen augenblicklichen Zustand der Ruhe oder der geradlinig gleichförmigen Bewegung nicht ändert, solange er nicht durch äußere Kräfte dazu gezwungen wird. Bei jeder Drehbewegung jedoch wird der drehende Körper permanent gezwungen, seine geradlinige Bewegung zu einer Bewegung auf einer Kurvenbahn zu ändern, so dass sich der Körper auch in jedem Augenblick der Drehung aufgrund seiner Trägheit dieser Bewegung zu widersetzen versucht. Andersherum muss, um einen Körper auf einer Kreisbahn halten zu können, permanent eine äußere Kraft aufgebracht werden. Sobald die Wirkung dieser äußeren Kraft endet, bewegt sich der Körper geradeaus.

Das Trägheitsmoment ist der Masse m und dem Quadrat des Abstandes r² der Masse von der Drehachse direkt proportional und wird gemessen in Kilogramm mal Meter zum Quadrat [kg·m²]:

J m r= ⋅ r 2.

Beispiel:

a) Um ein und denselben Körper (Masse verändert sich nicht) auf unterschiedlich großen Kreisbahnen (r verändert sich) gleich stark beschleunigen zu können, bedarf es umso größerer Drehkräfte (= Drehmomente), je größer der Bahnradius ist, da sich (trotz gleichbleibender Masse) das Trägheitsmoment, d.h. der „Drehwiderstand“ verändert.

b) Das Trägheitsmoment eines Körpers um eine beliebige Achse kann auch verändert werden, wenn Teilsysteme des Körpers (trotz gleichbleibender Masse) an die Drehachse angenähert (= Verkleinerung) oder von ihr entfernt (= Vergrößerung) werden.

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Trägheitsmoment

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Hauptträgheitsachsen und Steiner’scher Satz:

Jeder Körper besitzt drei durch den Körperschwerpunkt verlaufende Hauptträgheitsachsen. Beim menschlichen Körper sind dies beispielsweise die Körperlängsachse, die Körpertiefenachse und die Körperquerachse (s.S.14).

Ist das Trägheitsmoment eines Körpers bzgl. einer Hauptträgheitsachse A bekannt, so liefert der Steiner'sche Satz das Trägheitsmoment JA’ in Bezug auf eine dazu parallele Achse A':

J J m aA A′ = + ⋅ 2

Hierbei ist a der Abstand der beiden Achsen. Das Trägheitsmoment um A' ist also gleich dem um A, vermehrt um das Trägheitsmoment, das die ganze in A vereinigte Masse haben würde.

Aufgabe:

Ordnen Sie nach der Größe der Trägheitsmomente (JA, JB, JC, JD):

mA = mD

mB = mC

mA, mD < mB, mC

J... > J... > J... > J...

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Drehmoment

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Drehmoment

Es gibt Kräfte, die bewirken, dass sich ein Körper um eine feste Achse dreht. Diese Kräfte bezeichnet man als Drehkräfte, physikalisch korrekt sagt man, dass hier ein Drehmoment wirkt.

Wenn eine Kraft nicht direkt an der Drehachse ansetzt, sondern an einem anderen Punkt des Körpers, dann wird die Verbindung zwischen Drehachse und Kraftansatzpunkt als Kraftarm bezeichnet und es gibt zwei Möglichkeiten für die nun folgende Bewegung des Körpers:

• Die erste ist, dass sich der Körper gar nicht bewegt.

Dieser Fall tritt ein, wenn die Kraft in die gleiche Richtung zeigt, wie der Kraftarm, das heißt, wenn der Winkel zwischen Kraftarm und Kraft gleich Null ist.

Ist die Drehachse fest, so wird die Kraft in der Be-festigung kompensiert, ist die Drehachse frei (dann ist die Drehachse der Schwerpunkt des Körpers), so bewegt sich der gesamte Körper mit der Dreh-achse in Kraftrichtung.

• Die zweite Bewegungsmöglichkeit für einen Körper ist, dass der Körper in eine Drehung kommt.

Diese Möglichkeit tritt ein, wenn die Kraft nicht genau in der Richtung an einem Punkt ansetzt, in der der Punkt mit der Drehachse verbunden ist. Der Winkel zwischen Kraftarm und Kraft ist also ungleich Null. Dann zerlegt man die Kraft in die Komponenten senkrecht und parallel zum Kraftarm. Die Komponente parallel zum Kraftarm wirkt wie im ersten Fall bereits beschrieben. Die Komponente senkrecht zum Kraftarm bewirkt eine Drehung des Körpers. In diesem Fall sagt man, es wirkt ein Drehmoment auf den Körper.

Das Drehmoment M ist auf zweierlei Weise definiert:

• das Drehmoment M ist das (Vektor-)Produkt aus Kraft F mal Abstand r von der Drehachse, man sagt auch Kraft mal Kraftarm, oder auch

• das Drehmoment M ist das Produkt aus Drehmasse J mal Drehbeschleunigung αααα, man schreibt:

r r r rM r F J= × = ⋅( ) α .

Das Drehmoment M wird gemessen in der Einheit Newton mal Meter [Nm].

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Drehmoment

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133

Wichtig:

• Das Vektorprodukt, d.h. die Multiplikation zweier Vektoren miteinander, ist Null, wenn die beiden Vektoren parallel zueinander sind,

• das Vektorprodukt ist das rechnerische Produkt aus den Beträgen beider Vektoren, wenn diese senkrecht aufeinander stehen und

• das Vektorprodukt zweier Vektoren, die weder parallel noch senkrecht zueinander stehen, ist ... schwierig zu berechnen. Daher zerlegt man einen der beiden Vektoren zuvor in seine senkrechte und parallele Komponente dem anderen Vektor gegenüber, dann gilt s.o.. Wel-cher der beiden Vektoren zerlegt wird, ist hierbei egal.

Exzentrische und konzentrische Kräfte:

rF1 = zentral (konzentrisch)

gerichtete Kraft rF2 = exzentrisch gerichtete Kraft rF3= exzentrisch gerichtete Kraft

1. Das Entstehen einer Drehkraft (eines Drehmomentes M) setzt das Vorhandensein einer Drehachse D voraus.

2. Kräfte bilden dann Drehkräfte, wenn ihr Vektor nicht auf die Drehachse gerichtet ist (exzentrische Kraft).

3. Der senkrechte Abstand r einer exzentrischen Kraft von der Drehachse ist der Hebelarm der Kraft bzw. der Kraft-arm.

4. Von zwei dem Betrag nach gleich großen exzentrischen Kräften hat diejenige die größere drehende Wirkung, die den größeren Kraftarm hat.

Beispiel:

Bei Kippbewegungen müssen Turner mit langen, schweren Beinen aufgrund deren großer Trägheitsmomente für die selbe Bewegungsgeschwindigkeit größere Drehmomente erzeugen als Turner mit leichteren und kürzeren Beinen.

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Hebelgesetze

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134

Hebelgesetze

Am Hebel herrscht Gleichgewicht, wenn das im Uhrzeigersinn wirkende Drehmoment so groß ist wie das im Gegenuhrzeigersinn wirkende:

r r r r r r r

r

r

rM M r F r Fr

r

F

F1 2 1 1 2 2

1

2

2

1

= ⇔ ⋅ = ⋅ = oder .

d.h. am Hebelarm mit n-facher Länge braucht man nur 1/n-tel der Kraft. (Die Gleichung ist für den Fall vereinfacht, dass die Kräfte senkrecht am Hebelarm angreifen.)

einseitiger Hebel zweiseitiger Hebel

Gleichgewicht, wenn: Kraftarm · Kraft = Lastarm · Last

rrK ·

rFK =

rrL ·

rFL

Die Last wird gehoben, wenn: Kraftarm · Kraft > Lastarm · Last

rrK ·

rFK >

rrL ·

rFL

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Hebelgesetze

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135

Hebel am Bewegungsapparat des Menschen:

einseitiger Hebel zweiseitiger Hebel

Aufgaben:

Notiere: Zentral gerichtete Kräfte sind:

.....................................................

Drehmomente ( )MFn ; n = 1,...,7 in der

Reihenfolge „größer als“:

.............. > ............. > ................

Schiebewettkampf am Felsen, der um D kippt:

Wer gewinnt? ( )r rF F1 2=

Zeichne die Richtung der Absprungkraft beim Salto vorwärts!

Wer springt mit Drehabstoß?

KSP: Körperschwerpunkt

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Drehimpuls

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136

Drehimpuls

Der Drehimpuls beschreibt die Größe einer Drehbewegung und ist vereinfacht auf zweierlei Weise definiert:

• der Drehimpuls L ist das Produkt aus Trägheitsmoment J mal Winkelgeschwindigkeit ωωωω, oder

• der Drehimpuls L ist das Produkt aus Drehmoment M mal Zeit t.

Man schreibt: r r rL J M t= ⋅ = ⋅ω .

Der Drehimpuls L wird in Newton mal Meter mal Sekunde [N·m·s] gemessen. Drehimpulse sind vektorielle Größen und den sie bewirkenden Drehmomenten bzw. Winkelgeschwindigkeiten gleichgerichtet.

Mit Hilfe der „Rechte-Hand-Regel“ kann man sehr leicht die Richtung des Drehimpulsvektors bestimmen:

Zeigen die gekrümmten Finger der rechten Hand in Richtung der Drehbewegung, so zeigt der ausgestreckte Daumen in Richtung des zugehörigen Drehimpulsvektors. (Das gleiche gilt übrigens auch für die Richtung des Vektors der Winkelgeschwindigkeit)

Wirkt auf einen Körper über eine gewisse Zeit ein Drehmoment - man nennt dies auch einen Drehkraftstoß - so erhält der Körper einen Drehimpuls, bzw. wird der bestehende Drehimpuls geändert. Bei gleich großem Drehkraftstoß, also gleich großem Drehimpuls, erhält ein Körper mit einem kleineren (größeren) Trägheitsmoment eine größere (kleinere) Winkelgeschwindigkeit.

Beispiele:

• Der Drehimpuls beispielsweise eines Riesenfelgen-turnenden Sportlers steigt mit zunehmender Winkelgeschwindigkeit.

• Rotiert ein zweiter Sportler mit größerer Drehmasse genauso schnell, so hat er einen größeren Drehimpuls.

• Ferner kann ein Sportler durch Verkleinerung (Vergrößerung) des Trägheitsmomentes, d.h. durch Annäherung einiger Körperteile an die Drehachse seine Winkel-/Drehgeschwindigkeit vergrößern (verkleinern).

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Drehimpulserhaltung

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Drehimpulserhaltung

In einem abgeschlossenen, d.h. kräftefreien System (d.h. es wirken keinerlei äußere Kräfte) bleibt der Gesamtdrehimpuls nach Größe und Richtung konstant. Dies nennt man auch den Drehimpulssatz.

Weiter gilt: Der Gesamtdrehimpuls eines Systems ist gleich dem Drehimpuls seines Schwerpunktes.

Daraus folgt der Drehimpulserhaltungssatz:

In einem abgeschlossenen (kräftefreien) System bleibt der Drehimpuls des Schwerpunktes nach Größe und Richtung konstant, oder wenn die Summe aller auf ein System wirkenden (äußeren) Drehmomente Null ist, bleibt der Gesamtdrehimpuls des Systems konstant, d.h. erhalten. In diesem Fall dreht sich der Schwerpunkt nicht oder mit konstanter Geschwindigkeit.

Hieraus folgt: Wird innerhalb eines abgeschlossenen, d.h. kräftefreien Systems in einem Systemteil ein Drehimpuls (L1) erzeugt, entsteht in einem anderen Systemteil ein Drehimpuls von gleicher Größe, aber entgegengesetzter Richtung (L2). Beide Drehimpulse addieren sich im Schwerpunkt des Gesamtsystems zu Null, so dass der Drehimpuls des Gesamtsystems unverändert bleibt:

r r r r r rL L L L L L1 2 1 2 2 10+ = = − = − bzw. d.h.

Aufgrund der Drehimpulserhaltung muss ferner in einem abgeschlossenen, d.h. kräftefreien Sys-tem bei einer Veränderung des Trägheitsmomentes eine zwangsläufige Veränderung der Drehge-schwindigkeit auftreten. Es gilt:

r r rL J J= = ⋅ = ⋅ konst 1 1 2 2ω ω ,

d.h., vergrößert sich das Trägheitsmoment, so verringert sich die Drehgeschwindigkeit und umgekehrt.

Beispiel: 1. Beim Salto vorwärts beginnt der Turner die Flugphase,

d.h. die kräftefreie Phase, in einer gestreckten Körper-haltung mit einem hohen Trägheitsmoment und einer niedrigen Drehgeschwindigkeit.

2. Durch das starke Anhocken in der mittleren Phase des Saltos verringert er sein Trägheitsmoment auf etwa 1/3-tel, so dass aufgrund der Drehimpulserhaltung gleichzeitig seine Drehgeschwindigkeit auf das 3-fache erhöht wird.

3. Kurz vor der Landung streckt der Turner sich wieder, erhöht damit sein Trägheitsmoment auf Werte wie zu Beginn des Saltos und bremst gleichzeitig die Dreh-bewegung so stark ab, dass eine sichere Landung möglich wird.

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Drehimpulserhaltung

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Anwendungen des Drehimpulssatzes, der „Drehrückstoß“:

1. Der Fußballer verwendet den Drehrückstoß beim Hüftdrehstoß. Durch Verwringen des Oberkörpers rechts herum wird die Drehbe-wegung des Schussbeines links herum ermög-licht bzw. verstärkt.

2. Der Hochspringer verdreht beim Überqueren der Hochsprunglatte den Oberkörper rechts herum, um so als Reaktion durch den Dreh-rückstoß die Beine links herum drehen zu können. Hierdurch kommt das linke Knie und damit auch der Springer zu einer größeren

Sprunghöhe.

3. Bei der Landung zum Weit-

sprung gilt als Folgerung für den Fall, dass die Flug-bahn (Wurfparabel) des KSP in allen Fällen gleich ist:

a. Die gemessene Sprungweite ist bei rückwärts geneigter Körperlängsachse größer als bei senkrechter Körperlängsachse.

b. Die gemessene Sprungweite ist bei eingewinkel-tem Körper größer als bei gestrecktem Körper.

Aus diesem Grund rotiert bei der Hitch-Kick-Technik der Weitspringer mit Armen wie Beinen in Vorwärtsrichtung, um so eine Rückwärtsdrehung des Restkörpers zu erzeugen.

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Drehimpulserhaltung

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139

Anwendungen des Drehimpulssatzes, die „Scheinrotation“:

Die Scheinrotation beschreibt die Möglichkeit von Mensch oder Tier, durch Drehbewegungen einzelner Körperteile, den restlichen Körper in die entgegengesetzte Richtung zu drehen, auch wenn sich der Körper vorher scheinbar in völliger Ruhe befand, d.h. keinerlei Drehung vollführte.

Scheinrotation bei fehlendem Gesamtdrehimpuls: LA - Teildrehimpuls „Arme“, LR - Teildrehimpuls „Restkörper“, LS - Teildrehimpuls „Schwanz“

Scheinrotation bei Teilkörpern von annähernd gleichem Trägheits- moment: „Katzenschraube“.

LH - Teildrehimpuls „Hinterteil“ LO - Teildrehimpuls „Oberkörper“ LU - Teildrehimpuls „Unterkörper“ LV - Teildrehimpuls „Vorderteil“

Scheinrotation um die Längsachse bei Teilkörpern unterschiedlicher Trägheitsmomente:

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Drehimpulserhaltung

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Scheinrotation um die Tiefenachse beim Balancieren

Scheinrotation um die Breitenachse

LA - Teildrehimpuls „Hinterteil“ LG - Gesamtdrehimpuls LR - Teildrehimpuls „Restkörper“

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Drehimpulserhaltung

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141

Aufgaben:

1. Wie wirkt das Armkreisen auf die Körperlage?

2. Warum nimmt der Hochseilartist eine lange und schwere Balancierstange?

3. Wie muss die Turnerin die Arme kreisen, um nicht nach rechts vom Gerät zu stürzen?

4. Wie muss der Turner die Arme kreisen, um nicht nach vorn zu stürzen?

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Zentripetalkraft und Zentrifugalkraft

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Zentripetalkraft und Zentrifugalkraft

Impuls und Geschwindigkeit sind gerichtete Größen, d.h. sie können auch Änderungen erfahren, ohne dass sich dabei unbedingt ihr Betrag verändern muss.

So ändert auch ein auf einer Kreisbahn mit dem Radius r mit konstanter Winkelgeschwindig-keit ωωωω, bzw. Bahngeschwindigkeit vB umlaufender Körper fortwährend seinen Bewegungs-zustand, d.h. die Richtung seiner Bewegung. Dies kann jedoch nur unter Einwirkung einer zur Kreismitte gerichteten Kraft, der sogenannten Zentripetalkraft FZP erfolgen:

Zentripetalkraft MasseBahngeschwindigkeit zum Quadrat

Radius Masse Winkelgeschwindigkeit zum Quadrat Radius

= ⋅

= ⋅ ⋅

rr

rr r

F mv

rm rZP

B= ⋅ = ⋅ ⋅2

Die Zentripetalkraft FZP ist ein Vektor und wird wie die Kraft F in Newton [N] gemessen.

Nach dem Reaktionsprinzip (s.S.123) bedingt eine Kraft immer eine entgegengesetzt gerichtete gleich große Gegenkraft, in unserem Fall der Zentripetalkraft eine vom Kreismittelpunkt weg gerichtete Kraft, die Zentrifugalkraft FZF:

r rF FZF ZP= −

Beispiele:

1. Während der Beschleunigungsphase muss ein Hammerwerfer durch seine Muskelkräfte die Zentripetalkraft aufbringen, um den Hammer in der Hand halten, d.h. um die Zentrifugalkraft des Hammers kompensieren zu können. Sobald er den Hammer loslässt, wirken Zentripetal- und Zentrifugalkraft nicht mehr, d.h. der Hammer bewegt sich jetzt nicht mehr auf einer Kreisbahn, sondern geradlinig durch die Luft.

In der Praxis sind Reibungskräfte in der „Rolle“ von Zentripetalkräften von ausschlaggebender Be-deutung. Fehlen sie oder sind sie für die angestrebte Kreisbewegung unzureichend, so ist eine Kreisbewegung häufig nicht möglich!

2. Fahren wir mit einem Auto, so sorgt normalerweise die Reibung zwischen Reifen und Straße dafür, dass wir auch Kurven fahren können. Wird die Zentrifugalkraft zu groß (durch eine zu große Fahrt- bzw. Winkelgeschwindigkeit) oder die Reibung zu klein (durch Eis auf der Straße), so sieht das Ergebnis folgendermaßen aus:

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Körperschwerpunkt

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Körperschwerpunkt

Der Massenmittelpunkt oder auch der Schwerpunkt eines Körpers - der Körperschwerpunkt (KSP) - ist der (häufig nur gedachte) Punkt, in dem sich (in jeder beliebigen Stellung des Körpers im Erdschwerefeld) die durch die Gewichtskräfte aller Massenpunkte (Körperteile) bedingten (Schwerkraft-) Drehmomente zu Null addieren. „Spießt“ man den Körper folglich in seinem Körperschwerpunkt auf, so verbleibt er stets in der Stellung, in der er angehalten wird (indifferentes Gleichgewicht, s.S.149), da alle linksdrehenden Schwerkraftmomente insgesamt den selben Betrag haben wie die Summe der rechtsdrehenden Drehmomente. Das durch das im KSP vereinigt scheinende Gesamtgewicht bedingte Drehmoment entspricht der Summe der einzelnen Schwerkraftmomente der Körperteilsysteme.

Beispiel:

Der KSP des abgebildeten Körpersystems aus zwei Massenpunkten liegt auf ihrer Verbindungsli-nie, wobei aus der o.a. Definition folgt:

r rM Mlinksdrehend rechtsdrehend=

m g r m g r1 1 2 2⋅ ⋅ = ⋅ ⋅r r r r

m F m F1 1 2 2⋅ = ⋅r r

oder

r

rr

r

m

m1

2

2

1

=

D.h. der Massenmittelpunkt teilt den Abstand beider Massen im umgekehrten Verhältnis der Massen.

Schwerpunktbedingung:

Im Schwerpunkt eines Körpers addieren sich die durch die Gewichtskraft aller Massenpunkte be-dingten Drehmomente zu Null. Das nennt man die Schwerpunktbedingung und bedeutet: Die Bewegung eines quasi kräftefreien, d.h. nur unter dem Einfluss der Schwerkraft stehenden Systems von Massepunkten (Körperteilen) kann beschrieben werden als die Bewegung der im Körperschwerpunkt vereinigten Gesamtmasse.

Beziehung zwischen Schwerpunkt, Translation und Rotation:

• Physikalische Größen der Translation beschreiben die Bewegung des (Körper-)Schwerpunktes eines Systems bzw. Körpers.

• Physikalische Größen der Rotation beschreiben im Gegensatz dazu die Bewegung von System- bzw. Körperteilen um den (Körper-)Schwerpunkt, ohne jedoch die Schwerpunktsbahn verändern zu können.

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Körperschwerpunkt

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144

Anwendung - Der Schwerpunkt des Menschen

Der menschliche Körper lässt sich grob in 14 verschiedene Körperteile unterteilen, die über Gelenke miteinander verbunden sind.

Die Teilschwerpunkte (TSP) des menschlichen Körpers sind die Schwerpunkte derjenigen Körperabschnitte, die nicht durch weitere Gelenke unterteilt sind. Sie liegen in der Regel auf den Gliedmaßenachsen und teilen letztere in einem für die jeweiligen Glieder charakteristi-schen Verhältnis.

Der Schwerpunktradius (sr) gibt den Abstand des Teil-schwerpunktes eines Körperabschnittes vom proximalen Gelenkmittelpunkt (GMP) in % der Gesamtlänge der Gliedmaßenachse (ga) an.

Der Gewichtsanteil der Körperabschnitte am Gesamt-gewicht ist interindividuell annähernd konstant:

Das relative Gewicht der Körperteile gibt das Verhältnis des Körperteilgewichts zum Körpergesamtgewicht an:

Körperteil relatives Gewicht δG

Gesamtkörper 1,00

Kopf 0,07

Rumpf 0,43

ein Oberschenkel 0,12

ein Unterschenkel 0,05

ein Fuß 0,02

ein Oberarm 0,03

ein Unterarm 0,02

eine Hand 0,01

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Körperschwerpunkt

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145

Bestimmung der Gelenkmittelpunkte des Menschen

Definition „Gelenkmittelpunkt“: a) Kugelgelenk: Zentrum des Gelenkkopfes b) Scharniergelenk: Mittelpunkt der Gelenkachse c) Ellipsoidgelenk: Schnittpunkt der Gelenkachsen

Beispiele:

Gelenkmittelpunkt, Gliedmaßenachse, Hilfslinie

Aufgabe: Bestimme die Gelenkmittelpunkte!

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Körperschwerpunkt

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Analytische Schwerpunktbestimmung an Umrissdarstellungen

Verfahren:

1. Äußeres Koordinatensystem zeichnen.

2. Gelenkmittelpunkte bestimmen.

3. Gliederachsen zeichnen.

4. Teilschwerpunkte bestimmen, indem die Gliederachsen im Verhältnis der Schwerpunktradien geteilt werden.

5. x-Koordinaten aller Teilschwerpunkte bestimmen und mit den zugehörigen relativen Gewichten (δG) multiplizieren. (siehe Tabelle) Summe bilden = x-Koordinate des Kör-perschwerpunktes.

6. Mit den y-Koordinaten entsprechend verfahren.

7. Körperschwerpunkt bestimmen.

Körperteil x x·δG y y·δG

Kopf Rumpf Oberarm links Unterarm links 23 0,46 Hand links 9 0,09 Oberarm rechts Unterarm rechts Hand rechts Oberschenkel, l + r Unterschenkel, l + r 37 3,70 Fuß, l + r 11 0,44

Gesamtkörper - Σ

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Körperschwerpunkt

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147

Aufgaben:

relative Gewichte der Körperteile: Schwerpunktradien:

Körperteil relatives Gewicht δG

Kopf 0,07

Rumpf 0,43

ein Oberschenkel 0,12

ein Unterschenkel 0,05

ein Fuß 0,02

ein Oberarm 0,03

ein Unterarm 0,02

eine Hand 0,01

Wo liegt der Körperschwerpunkt ?

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Körperschwerpunkt

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148

Bestimme analytisch jeweils den Körperschwerpunkt der Springer und entscheide, welcher Springer bei gleich hoher überquerter Sprunglatte „am höchsten“ springt! (Benutze transparentes Millimeterpapier!)

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Gleichgewicht und Standfestigkeit

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149

Gleichgewicht und Standfestigkeit

Man unterscheidet drei verschiedene Arten des Gleichgewichts:

1. das indifferente Gleichgewicht:

Ein im (Körper-)Schwerpunkt aufgehängter Körper ist in jeder Lage im Gleichgewicht, d.h. im indifferenten Gleichgewicht (A).

2. das stabile Gleichgewicht:

Liegt der Aufhängepunkt senkrecht über dem (Körper-)Schwerpunkt, dann ist der Körper im stabilen Gleichgewicht. Jedes kleine Herausdrehen aus dieser Lage erzeugt ein Drehmo-ment, das wieder zum Gleichgewicht hinführt (B).

3. das labile Gleichgewicht:

Liegt der Aufhängepunkt senkrecht unter dem (Körper-)Schwerpunkt, dann befindet sich der Körper im labilen Gleichgewicht. Eine kleine Auslenkung löst ein Drehmoment aus, das wei-ter vom Gleichgewicht wegführt (C).

Ist ein Körper nicht in einem Punkt aufgehängt, sondern befindet er sich auf einer Aufstandfläche, so wird das Gleichgewicht durch die Standfestigkeit beschrieben:

Standfestigkeit: Ein Körper steht auf einer waagerechten Ebene stabil, wenn das Schwerpunktslot (S-S') auf die Standfläche weist. Die Standfestigkeit wächst mit dem Verhält-nis f/h (= Standfläche / Schwerpunktshöhe).

Je höher der Schwerpunkt umso kleiner muss bei gleicher Aufstandfläche das Drehmoment sein, um den Körper um die Kante K zu kippen.

Umgekehrt je größer die Aufstandsfläche umso größer muss auch das Drehmoment sein, um einen Körper bei gleicher Schwerpunkthöhe um die Kante K zu kippen.

Abb. rechts: Darstellung der Standfestigkeit (f/h) in verschiedenen Körperstellungen

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Gleichgewicht und Standfestigkeit

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Beispiele:

Extrem niedrige Standfestigkeit (labiles Gleichgewicht) beim Radfahren und Eislaufen

Aufgaben:

„Superman“-chen und stabiles Gleichgewicht.

Wo stimmt's?

„Superman“-chen und Standfestigkeit.

Wo stimmt's?

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Arbeit

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Arbeit

Der physikalische Begriff der „Arbeit“ wird so gebildet, dass er dem im Alltag üblichen Arbeitsbeg-riff möglichst weitgehend entspricht. Dort urteilen wir über die Größe einer von uns verrichteten Arbeit auf Grund der Ermüdung, die wir spüren. Da macht es keinen Unterschied, ob wir z.B. eine leichte Aktentasche tragen oder einen prall gefüllten Urlaubskoffer. Die Arbeit ist also umso größer, je größer die Kraft ist, die wir aufwenden. Ferner ermüden wir mehr, wenn wir den Koffer in das vierte Stockwerk schleppen müssen, als wenn wir ihn nur ins Erdgeschoss zu tragen brauchen. Eine Arbeit wird immer einem Körper durch eine äußere Kraft zugeführt. Tragen wir einen Koffer, so verrichten wir Arbeit an ihm.

Vereinfacht ist die Arbeit W das Produkt aus Kraft F mal Weg s:

Arbeit = Kraft · Weg oder W F s= ⋅r r

Die Arbeit W wird in Joule [J] gemessen: 1 Joule = 1 Newton mal Meter oder 1 [J] = 1[N·m] .

Die Arbeit W ist eine skalare Größe, das Produkt aus Kraft mal Weg ein Skalarprodukt, so dass zur vollständigen Beschreibung der Arbeit W noch der Winkel αααα fehlt zwischen Kraft F und Weg s (s. Abb.). Ziehen wir den Karren mit einer Kraft F, die den Winkel α mit der Straße einschließt, so ist allein die Komponente der Kraft F in Richtung des Weges (F·cosα) maßgebend für die Wirkung, die wir am Karren vollbringen. Damit ist die am Karren verrichtete Arbeit:

Arbeit = Kraft · cos(Winkel α) · Weg oder W = F·cosα·s .

Da aber im Normalfall weder die Kraft konstant noch der Weg geradlinig ist, muss der Gesamtweg s in möglichst viele möglichst geradlinige Anteile δs unterteilt werden, auf denen die Änderung der Kraft F unwesentlich ist, soll die Arbeit möglichst genau ermittelt werden. Auf jedem dieser Weg-elemente δs fällt dann der

Arbeitsanteil = Kraft mal Weganteil oder δW = F·δs

an. Für den Gesamtweg s addieren sich diese Anteile δW zur geleisteten

Arbeit = Summe aller (Kraft mal Weganteile) oder W F s= ⋅∑r rδ .

Dieses Verfahren wird i.a. umso genauer, je feiner die Unterteilung ist. Ist die Unterteilung unend-lich fein, so entspricht das dem (man sagt) „Integral aus Kraft mal Weganteil“:

Arbeit ist das Integral der Kraft längs des Weges oder W F s= ⋅∫r rδ

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Leistung

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Leistung

Interessiert nicht der Betrag der Arbeit allein, sondern zugleich die Zeit, in der sie ausgeführt wur-de, so ist die Leistung anzugeben. Die Leistung ist also umso größer, je kleiner die Zeit für die gleiche verrichtete Arbeit ist, und ist umso kleiner, je kleiner die verrichtete Arbeit in der gleichen Zeit ist.

Ebenso ist die Leistung umso größer, je größer die Geschwindigkeit ist, mit der eine bestimmte Kraft aufgebracht wird.

Vereinfacht ist die Leistung P der Quotient aus der Arbeit W und der dazu benötigten Zeit t

Leistung = Arbeit

Zeitdauer der Arbeit oder P

W

t=

oder anders ausgedrückt ist die Leistung P das Produkt aus Kraft F mal Geschwindigkeit v

Leistung = Kraft mal Geschwindigkeit oder P F v= ⋅r r

Die Leistung P wird in Watt [W] gemessen:

1 Watt = 1 Newton mal Meter pro Sekunde = 1 Joule pro Sekunde oder

1[W] = 1 [N·m/s] = 1[J/s]

Beispiel:

niedrige Geschwindigkeit, gleiche Kraft ⇒ niedrige Leistung

hohe Geschwindigkeit, gleiche Kraft ⇒ hohe Leistung

Da im Normalfall jedoch weder Arbeit noch Kraft noch Geschwindigkeit konstant sind, muss, um die momentane Leistung möglichst genau ermitteln zu können, die in kleinsten Zeiteinheiten δt erbrachte Arbeit δW bestimmt werden:

momentane Leistung = momentane Arbeit

benötigte Zeit oder P =

W

t

δδ

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Energie

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Energie

Auch der physikalische Begriff der Energie wird so gebildet, dass er dem im Alltag gebräuchlichen Energiebegriff möglichst genau entspricht. Um eine Arbeit verrichten zu können, brauchen wir eine gewisse Energie. Energie ist also die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. Aus diesem Grund wird die Energie auch ebenso wie die Arbeit in Joule [J] gemessen:

1 Joule = 1 Newton mal Meter oder 1 [J] = 1[N·m] .

Man unterscheidet zwei Arten der Energie:

1. Die potentielle Energie:

Hebt man einen Körper der Masse m in die Höhe h, so leistet man gegen die Schwerkraft m·g eine Arbeit

W = m·g·h .

Diese Arbeit steckt ebenfalls als Energie in dem Körper, anders ausgedrückt: er hat einen Arbeitsvorrat, man sagt, der Körper hat jetzt eine potentielle (= mögliche) Energie,

Epot = m·g·h .

2. Die kinetische Energie:

Lassen wir jetzt den Körper wieder los, so fällt er gleichmäßig beschleunigend zurück auf den Boden. Hierbei setzt er jetzt die ihm vorher zugeführte potentielle Energie wieder in Bewegungsarbeit um. Je schneller er wird, desto größer wird sein Arbeitsvorrat durch Bewegung, der kinetische (= Bewegungs-) Energie genannt wird:

Ekin = ½·m·v² .

Trifft der Körper auf den Boden, so überträgt er diese kinetische Energie als Arbeit auf die-sen. Das Ergebnis lässt sich aus der Abbildung entnehmen.

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Pendelbewegung

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Pendelbewegung

Die Schwingungsdauer T, d.h. die Zeit für einen Hin- und Hergang eines Pendels der Länge r beträgt:

PendellängeErdbeschleunigung

2πSchwingungsdauer = oderr

Tr

g= 2π r

Im abschwingenden Teil (P1 bis P2) der Pendelbewe-gung wird der Massepunkt P durch das Drehmoment der Schwerkraft (d x FG) in Bewegung gesetzt.

Im aufschwingenden Teil (P2 bis P4) wird die Bewegung des Massepunktes P durch das Drehmoment der Schwerkraft verzögert.

Aufgabe:

• Welches Pendel hat die größte (kleinste) Schwingungsdauer? • Die Schwingungsdauer welcher Pendel ist gleich?

Masse des Pendels:

m1 = 1 kg m2 = 2 kg

Pendellänge:

r1 = 3 m r2 = 2 m r3 = 1 m

Schwingungsweite:

a1 = 30° a2 = 60° a3 = 120°

Prüfe nach, in welchem Punkt der Bahn des Pendels durch Zug am Faden Kraft zuge-führt werden muss, um die Schwingungs-weite des Pendels zu vergrößern!

In welchem Punkt ist die Kraftzufuhr wirkungslos?

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Pendelbewegung

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155

Pendelschwünge im Gerätturnen:

Regel für das Schwungturnen (Setze richtig ein!):

Soll im abschwingenden Teil des Pendelschwunges der Körper des Turners einen möglichst gro-ßen Drehimpuls bekommen, muss die Masse des Turners bzw. sein KSP ............................................... (zu Beginn des Pendelschwunges / während der gesamten Abschwungphase / senkrecht unter dem Drehpunkt) in Bezug zur Drehachse möglichst .......................... (weit entfernt / nah gelagert) sein, um für ein möglichst ................. (großes / kleines) Schwerkraftmoment zu sorgen.

Soll die Schwingungsweite des Turners im aufschwingenden Teil des Pendelschwun-ges möglichst stark vergrößert werden, muss der Turner ....................................................... (senkrecht unter der Drehachse / im Laufe des Aufschwunges / am Ende des Auf-schwunges) seine Masse bzw. seinen KSP in Bezug zur Drehachse möglichst ................... ................. (weit entfernen/ stark annähern).

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Kräftefreier Kreisel, Raumkonstanz und Präzession

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Kräftefreier Kreisel, Raumkonstanz und Präzession

Kräftefreier Kreisel:

Ein kräftefreier Kreisel ist ein rotierender Körper, dessen Drehachse keinen äußeren Kräften unterworfen ist (bzw. dessen Achse nicht fest gelagert ist).

Ein Kreisel dreht sich immer um eine Achse, die durch den Schwerpunkt verläuft, das bedeutet:

Die Drehimpulsachse eines Kreisels ist immer auch eine Schwerpunktachse.

Ist der Kreiselkörper symmetrisch, kann die Drehimpulsach-se mit einer Figurenachse des Kreisels zusammenfallen.

Figurenachsen bzw. Symmetrieachsen teilen Kreisel symmetrisch.

A1: Achse des größten Trägheitsmomentes

A2: Achse des mittleren Trägheitsmomentes

A3: Achse des kleinsten Trägheitsmomentes

Aufgabe:

Bestimme an den nebenstehenden Figuren die Achse des größten und des kleinsten Trägheitsmomentes!

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Kräftefreier Kreisel, Raumkonstanz und Präzession

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Raumkonstanz:

Rotierende Körper behalten - sofern die Drehbewegung stark genug ist - die Lage (Richtung) ihrer Drehimpulsachse über längere Zeit bei, bzw. die Achse ihrer Drehimpulsachse ist im Raum stabil (konstant). Man nennt dies die Raumkonstanz rotierender Körper. Ursache dazu ist die Trägheit der rotierenden Massen.

Folglich: Je größer das Trägheitsmoment, desto größer ist die Raumkonstanz der Impulsach-se.

Oder: Ein rotierender Körper ist besonders raumkonstant, wenn er sich um die Achse des größten Trägheitsmomentes dreht.

Aufgabe: Wie fliegt der rotierende Diskus?

so? oder so?

Präzession:

Die Drehimpulsachse (L1) folgt nicht einem von außen angreifenden Drehmoment (M), sondern weicht ihm senkrecht aus (L2).

Erfolg: Freihändig radfahren.

Aufgabe:

Kippt der wie ein Diskus rotierende Bierdeckel unter der Wirkung der Luftreibung, die ihn aufrichten will, nach links oder rechts?

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Mechanik der Flüssigkeiten und Gase

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158

Mechanik der Flüssigkeiten und Gase

Flüssigkeiten und Gase unterscheiden sich von festen Stoffen durch die freie Verschiebbarkeit der Moleküle.

Gase unterscheiden sich von Flüssigkeiten durch die wesentlich geringere Dichte.

Beispiele für verschiedene Dichten: Eisen: 7,86 g/cm³ , Wasser: 1,00 g/cm³ , Luft: 0,0013 g/cm³ .

Der statische Auftrieb eines Körpers in einer Flüssigkeit ist gleich der von ihm verdrängten Flüssigkeitsmenge (Prinzip des Archimedes).

Wer kann schneller tauchen? (Wer hat den geringeren Auf-trieb?)

Schwimmer A (ausgeatmet): Gewicht: 800 N Volumen: 78,5 dm³ Auftrieb: .......... N

Schwimmer B (5 dm³ Luft eingeatmet): Gewicht: 800 N + 5¨0,013 N Volumen: 78,5 dm³ + 5 dm³ Auftrieb: .......... N

Das Verhältnis Gewicht des SchwimmersGewicht des verdrängten Wassers

entscheidet, ob ein Schwimmer auftreibt, schwebt oder sinkt.

Die Auftriebskraft FA greift im Schwerpunkt der verdrängten Wassermenge (Volumenmittelpunkt M) an. Die Gewichtskraft FG greift im Schwerpunkt S des Körpers an.

Ein Heben der Arme in die Hochhalte verlagert den Volumenmittelpunkt M wenig, den Schwerpunkt S aber deut-lich kopfwärts.

Welche Konsequenzen ergeben sich für die Gleitlage?

Wie verändert tiefes Einatmen die Lage von M und S, und wie wirkt sich das auf die Gleitlage aus?

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Mechanik der Flüssigkeiten und Gase

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159

Vertiefende Beispiele:

A: Wie groß ist der Druck in 10m (30m) Wassertiefe?

Druck in Flüssigkeiten: p = p0 + ρ · g · h

Oberflächendruck: p0 = 101.325 Pa ( = 1 atm = 101.325 kg/(m·s²) ) Dichte des Wassers: ρ = 1.000 kg/m³ Erdbeschleunigung: g = 9,81 m/s² Wassertiefe: h = 10 m ; = 30 m ⇒ p = 199.425 Pa (≈ 2 atm) ; = 395.625 Pa (≈ 4 atm)

In 10m (30m) Wassertiefe ist der Druck doppelt (viermal) so hoch wie an der Wasseroberfläche.

B: Wie groß ist das Gasvolumen der Lunge in 10m (30m) Wassertiefe?

Allgemeine Gasgleichung: Druck Volumen

Temperatur

p V

T konstant

⋅ = ⋅ = .

Daraus ergibt sich bei konstanter Temperatur: Druck · Volumen = p · V = konstant (Boyle-Mariottsches Gesetz).

Für 10 m (30 m) Wassertiefe, d.h. einen Druck von 2 p (4 p), gilt daher: 2 p · ½ V = konstant = 4 p · ¼ V .

In 10m (30m) Wassertiefe hat sich das Gasvolumen der Lunge auf die Hälfte (auf ein Viertel) komprimiert.

C: Wie wird die durch Blutgefäße fließende Blutmenge determiniert?

Es gilt: ir p p= ⋅ ⋅ −1

8 1

41 2π

η (Hagen-Poiseuillesches Gesetz)

i = Stromstärke (Volumen der pro Sekunde strömenden Flüssigkeit) r = Radius der Röhre η = Zähigkeitskonstante (Viskosität) in [Pa·s] p p1 2

1

− = Strömungswiderstand in [Pa/m]

Verengt sich ein Blutgefäß auf die Hälfte seines Durchmessers, verringert sich bei glei-chem Druck die durchströmende Blutmenge auf 1/16-tel der ursprünglichen Menge.

D: Wie ist der Druck in strömenden Flüssigkeiten oder Gasen (Blut, Luft in den Bronchien) determiniert?

Es gilt ρ ρ⋅ ⋅ + ⋅ +g h v p2

2 = konstant (Bernoullische Gleichung)

ρ, g, h : s.o. v = Geschwindigkeit der Flüssigkeit p = Gesamtdruck

Folgerung: Je größer die Fließgeschwindigkeit, desto kleiner der Druck!

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Mechanik der Flüssigkeiten und Gase

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160

Strömungsmechanik:

In Gebieten zusammengedrängter Stromlinien (= größerer Strömungsgeschwindigkeit) ist der Druck in der Flüssigkeit stets niedriger als in der Umgebung.

Das heißt: In Gebieten zusammengedrängter Stromlinien wirkt auf den umströmten Körper eine Sogkraft (FS) senkrecht zur Stromrichtung.

Laminare Strömung: Ungestörte Strömung mit glatten Stromlinien.

Die an der schräg stehenden Platte angreifenden Drehmomente (r x FS) stellen die Platte senkrecht zur Stromrichtung.

(Beispiele: fallendes Papier, Handfläche des Schwimmers, Ruderblatt)

Turbulente Strömung: Gestörte Strömung mit Turbulenzen (Verwirbelungen).

Bei größer werdender Stromgeschwindigkeit geht laminare Strömung in turbulente Strömung über, wobei sich meistens die Wirbel alternierend ablösen und damit alternierend unterschiedliche Stromliniendichten mit sich bringen.

Welche Konsequenzen hat die unterschiedliche, alternierende Stromliniendichte an den Kanten der Platte?

Beobachte am fallenden Papier, am Ruderblatt!

Erläutere den „Flatterball“ beim Volleyballaufschlag!

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Mechanik der Flüssigkeiten und Gase

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161

Tragflügelprinzip:

Ein Tragflügel ist ein umströmter Körper, der nur an der Oberseite ein Gebiet zusammengedrängter Stromlinien (= größerer Strömungsgeschwindigkeit) besitzt. Die dadurch entstehende Sogkraft (= Auftriebskraft FA) ist der Schwerkraft entgegen gerichtet.

FW = Luftwiderstand

FT = Trägheitskraft

Erkläre die Kräfte am fliegenden Diskus!

Magnus-Effekt:

Der Strömungsverlauf an einem rotierenden Körper ergibt eine Sogkraft FS senkrecht zur Strömungs-richtung. Dadurch ergibt sich eine Auslenkung (FR) aus der ursprünglichen Bewegungsrichtung (FT).

Welchen Weg nimmt der Volleyball in Bezug zur Wurfparabel, a oder b ?

Wie wurde der Fußball angeschnitten? Wie rotiert er?

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Tabelle physikalischer Größen, ihrer Symbole und Einheiten

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162

Tabelle physikalischer Größen, ihrer Symbole und Einheiten

Bezeichnung der Größe Symbol Einheit Gruppierung

Masse Zeit Weg Winkel

m t s ϕ

kg s m °, (Bogenmaß)

Grundgrößen

Geschwindigkeit Beschleunigung Erdbeschleunigung Kraft Impuls / Kraftstoß

v a g F p

m/s m/s² = 9,81 m/s² N = kg·m/s² N·s = kg·m/s

Größen der Translation

Winkelgeschwindigkeit Winkelbeschleunigung Trägheitsmoment Drehmoment Drehimpuls Zentripetalkraft Zentrifugalkraft

ω α J M L

FZP FZF

1/s 1/s² kg·m² N·m = kg·m²/s² N·m·s = kg·m²/s N N

Größen der Rotation

Arbeit Leistung Energie, potentielle Energie, kinetische Dichte Volumen Druck Temperatur

W P

Epot Ekin ρ V p T

J W J J kg/m³ m³ Pa K, °C

sonstige Größen

Physikalische Einheiten, mögliche Umschreibungen und Erklärungen:

Abkürzung und Bezeichnung mögliche Umschrei-bung

Erklärung

kg Kilogramm keine

m Meter keine

s Sekunde keine

N N N = kg·m/s² 1N ist die Kraft, die einem Körper der Masse 1kg die Beschleunigung 1m/s² erteilt

° Grad, (Bogenmaß) dimensionslos, 1° = 2π/360, 2π = 360°

Ein Vollkreis von 360° (Grad) entspricht einem Bogenmaß von 2·π

Pa Pascal Pa = kg/(m·s²) = N/m² 1Pa Druck übt eine Kraft von 1N auf eine Fläche von 1m² aus

J Joule J = kg·m²/s² = N·m 1J ist die geleistete Arbeit einer Kraft von 1N längs eines Weges von 1m

W Watt W = kg·m²/s³ = N·m/s 1W ist die Leistung einer Arbeit von 1J pro Sekunde

K Kelvin 1K = 1°C 0 K entspricht einer Temperatur von -273,2°C

°C Celsius 1°C = 1K 0°C entspricht einer Temperatur von +273,2 K

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Biomechanische Prinzipien

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163

Biomechanische Prinzipien

Literatur zum Teil „biomechanische Prinzipien“ (S.163-175): 1, 2, 4, 6, 12, 23, 24, 25

Die Hauptaufgaben der Biomechanik (Def.: S.9) sportlicher Bewegungen bestehen darin:

- zweckmäßigere Bewegungsabläufe zu entwickeln, - theoretische Begründungen zu liefern, - Bewegungsabläufe mit Hilfe von Kennlinien und anderen Hilfsmitteln objektiv darzustellen, und

darüber hinaus - eine technische Vervollkommnung der Sportler zu ermöglichen durch - Messen maßgeblicher Parameter der Bewegungsabläufe und durch - direkte Weitergabe als Sofortinformation an Sportler und Trainer

Zur Bewältigung dieser Aufgabe ist es erforderlich:

- objektive Kriterien zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit von Bewegungsabläufen verfügbar zu haben; diese entstammen dem großen Erfahrungsschatz der Sportpraxis und werden nachträg-lich begründet.

Aufgrund der Übereinstimmung mehrerer, auch verschiedenartiger Sportarten bezüglich ihrer Struktur und Zielsetzung werden verallgemeinerte Kriterien zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit sportlicher Bewegungen erarbeitet, man nennt sie auch biomechanische Prinzipien.

Die wichtigsten biomechanischen Prinzipien sind:

• das Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges,

• das Prinzip der Anfangskraft,

• das Prinzip der optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf und

• das Prinzip der zeitlichen Koordination von Einzelimpulsen.

Wichtig ist hier der Hinweis, dass es sich um Prinzipien handelt, nicht um Gesetze. Nicht jedes Prinzip ist auf jede Sportart anwendbar, woraus sich ableitet, dass biomechanische Prinzipien keine umfassende Allgemeingültigkeit besitzen, sondern nur spezifische Kriterien aufzeigen. Es besteht also die Notwendigkeit zu prüfen, inwieweit der Inhalt der Aussagen eines biomechani-schen Prinzips mit der objektiven Realität der Bewegungsabläufe übereinstimmt, von denen sie abgeleitet wurden. Ansonsten besteht die Gefahr der fehlerhaften Aussage über die Zweckmäßigkeit von Bewegungsabläufen und damit die Gefahr der falschen Anwendung.

Hilfe zur richtigen Anwendung leistet die Bildung strukturverwandter Bewegungsabläufe mit gleicher oder ähnlicher Zielsetzung. Aufgrund dessen kann aus Sicht der Biomechanik eine ausreichende Grobeinteilung sportlicher Bewegungen in sieben Gruppen vorgenommen werden:

1. Absprung, Abdruck, Abwurf, Abstoß vom starren Widerlager:

Ziel A: maximale Endgeschwindigkeit

Beispiel: Horizontale oder vertikale (Ab)Sprünge vom Boden/von der Wand aus, Kugelstoßen, Speerwerfen, Wende beim Schwimmen

Ziel B: minimale Zeitdauer

Beispiel: gerader Boxschlag, Fechtstoß

2. Absprung, Abdruck vom elastischen Widerlager:

Ziel: maximale Endgeschwindigkeit

Beispiel: Absprung von federnder Sprunghilfe/vom Sprungbrett im Turnen, Wasserspringen

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Biomechanische Prinzipien

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3. Drehungen im freien Flug:

Ziel A: optimale zeitliche Veränderung der (Massen-) Trägheitsmomente

Beispiel: Salti, Schrauben, Eiskunstlauf

Ziel B: optimale Körperhaltung während oder am Ende einer Flugphase

Beispiel: Flugphase beim Skispringen, Stab-/Hochsprung, Landung beim Weitsprung

4. Drehungen um feste und elastische Achsen in Ebenen, in denen die Schwerkraftwir-kung vorhanden ist:

Ziel: optimale Energiezuführung und -umwandlung

Beispiel: Turnen an Reck, Ringen und Stufen-/Barren

5. Abstoß vom Wasser bei zyklischen Bewegungen:

Ziel: maximaler Wirkungsgrad der Vortriebsleistung bei minimaler Start-Ziel-Zeit

Beispiel: vortriebswirksame Schwimmbewegungen der Arme und Beine, Kanu- und Rudersport

6. Vorder- und Hinterstütz mit anschließender Flug- oder Gleitphase bei zyklischen Bewe-gungen:

Ziel: maximaler Wirkungsgrad der Vortriebsleistung bei minimaler Start-Ziel-Zeit

Beispiel: Laufdisziplinen in der Leichtathletik, Skilanglauf, Eisschnelllauf

7. Kontinuierlicher Antrieb durch Pedaltreten:

Ziel: maximaler Wirkungsgrad der Vortriebsleistung bei minimaler Start-Ziel-Zeit

Beispiel: Straßen- und Bahnradsport

Anmerkung: Wie jedes Ordnungsschema so ist auch dieses nicht auf alle vorhandenen Fälle voll zutreffend und nicht völlig widerspruchsfrei. Aufgrund der Spezifika der einzelnen sportlichen Be-wegungsabläufe wird man auf Fälle stoßen, die sich nur schlecht oder gar nicht einordnen lassen.

In Parametern einer Bewegung kommen immer zwei Dinge zum Ausdruck:

1. die Zweckmäßigkeit des Bewegungsablaufes und

2. das vorhandene Niveau des menschlichen Bewegungsapparates für eine Bewegung, insbesondere die Kraftfähigkeit.

Das bedeutet, dass ein Bewegungsablauf mit gutem Ergebnis nicht zwangsläufig auch der zweckmäßigste ist. Erst wenn eine genügend große Zahl von Bewegungsabläufen verschiedener Sportler mit guten bis sehr guten Ergebnissen untersucht wird und übereinstimmende Charakteris-tika festgestellt sind, drückt sich darin wahrscheinlich die Zweckmäßigkeit eines Bewegungsablau-fes aus. Erst hieraus ergeben sich die biomechanischen Prinzipien.

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Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges

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Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges

„Soll im Laufe einer sportmotorischen Fertigkeit dem Sportlerkörper oder dem Sportgerät eine möglichst hohe Endgeschwindigkeit vermittelt werden, sollte der Beschleunigungsweg eine optimale Länge haben und entweder geradlinig oder stetig gekrümmt sein.“

Eine Variante der Rückenstoßtechnik zeigt vor Beginn des Angleitens eine Bewegung durch eine Stand-waagenposition. Dadurch wird der horizontale Be-schleunigungsweg gegenüber einer Variante, bei der das Angleiten direkt aus der Standhocke beginnt, deut-lich verlängert (vgl. sl und s2)

es gilt: F sm

v v⋅ = ⋅ −2 2

212( )

(Arbeit gleich Energiezuwachs)

Folge: Die Abfluggeschwindigkeit der Kugel ist im ersten Fall größer.

Ein Squat-jump aus einer tiefen Hocke (b) zeigt einen wesentlich größeren Beschleunigungsweg als ein Squat-jump aus einer mittleren Position (a).

Vermutung: Gemäß der Gleichung F sm

v v⋅ = ⋅ −2 2

212( ) müßte die

Absprunggeschwindigkeit im Fall b) größer sein als im Fall a). Die tägliche Erfahrung lehrt jedoch das Gegenteil.

Begründung: Der menschliche Muskel kann pro Zeiteinheit nur eine begrenzte Energie ausschöpfen. D.h. die maximale Beschleuni-gungsleistung Pmax = m a v⋅ ⋅ ist begrenzt. Wird Pmax erreicht, fällt die Beschleunigung sehr schnell ab.

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Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges

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Erläuterung: Im Fall a) des angenommenen (theoretischen) Zahlenbeispiels sind der Beschleunigungsweg s und der beschleunigende Kraftstoß F t⋅ (a, ➁) so aufeinander abgestimmt, dass Pmax (a, ➀) gegen Ende des Beschleunigungsweges erreicht ist. Im Fall b) beginnt der Sprung in einer Position, in der die größten Anteile der Muskelenergie für die Über-windung der ungünstigen Gelenkwinkel verbraucht wird. D.h. es treten hohe Muskelkräfte (b, ➀) zu Beginn der Bewe-gung auf. Dadurch wird Pmax (b, ➀) schon erreicht, bevor die Beinstreckbewegung abgeschlossen ist: Der Beschleunigungsvorgang muss abgebrochen werden.

Folgerung: Bei vielen sportmotorischen Techniken darf der Beschleunigungsweg eine optimale Länge nicht überschreiten, soll der Körper oder das Sportgerät maximale Geschwindigkeiten erreichen.

Beispiel: zweckmäßige (a) und unzweckmäßige (b) Ausholbewegung.

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Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges

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Warum sollte der Beschleunigungsweg entweder geradlinig oder stetig gekrümmt sein?

Benutzen Sie zur Erläuterung nebenstehende Abbildung!

Vergleichen Sie den Beschleunigungsweg beim Kugelstoß in O'Brien-Technik (a), beim Kugelstoß in Drehtechnik (b) und beim Hammerwurf (c) und diskutieren Sie die Vor- und Nachteile der gerad-linigen und gekrümmten Beschleunigungswege.

Beispiel:

Ein Hammerwerfer beschleunigt das Gerät durch Drehung bis zu einer maximalen Bahn-geschwindigkeit vB. Er nutzt in diesem Fall die Möglichkeit, den Beschleunigungsweg so groß wie möglich werden zu lassen. Hierbei ist die maximale Bahngeschwindigkeit jedoch abhängig von seinem Kraft- und Leistungs-vermögen. Denn je schneller er den Hammer rotieren lässt, umso größer wird auch die Zentripetalkraft FZP, die er aufbringen muss, damit der Hammer ihm nicht frühzeitig aus der Hand reißt. Lässt er den Hammer dann los, so fliegt dieser geradlinig mit der durch die rotatorische Beschleunigung erhaltenen Bahngeschwindigkeit vB aus dem Ring.

Weicht der Hammerwerfer bei der rotatorischen Beschleunigung jedoch von der Kreisbahn ab, so kostet ihn dies zusätzlich zur aufzubringenden Zentripetalkraft weitere unnütze Kräfte, die keinen Beitrag zur erreichten Bahn-/Endgeschwindigkeit leisten, sondern nur sein Leistungsvermögen herabsetzen. Daher gilt in diesem Fall das Prinzip, dass der Beschleunigungsweg stetig gekrümmt sein, d.h. auf einer Kreisbahn liegen soll.

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Prinzip der Anfangskraft

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Prinzip der Anfangskraft

„Soll im Laufe einer sportmotorischen Fertigkeit dem Sportlerkörper oder dem Sportgerät eine hohe Geschwindigkeit vermittelt werden, muss durch einen die Ausholbewegung ab-fangenden Bremskraftstoß, der in einem optimalen Größenverhältnis zum Beschleuni-gungskraftstoß steht und fließend in diesen übergeht, die Anfangskraft des Beschleuni-gungskraftstoß maximal gestaltet werden.“

Demonstration der Wirkung der Schwerkraft und vertikaler Muskelkräfte auf den Boden

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Prinzip der Anfangskraft

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Squat-jump ohne Armschwung

A1: Beschleunigungskraftstoß zur Erzeugung der Ausholbewegung

Counter- movement- jump ohne Armschwung

vertikale Absprungkraft

Kniewinkel

EMG des M. vastus medialis

vertikale Absprungkraft

Kniewinkel

Komplexe kinesiologische Untersuchung eines Vertikalsprunges. a) Elektromyogramm des 4-köpfigen Schenkelmuskels, b) Verlauf der vertikalen, zwischen Fuß und Absprungstelle auftretenden Kraft, c) Verlauf der Kniewinkel-Änderung, d) Zeitmarkierungen der Filmbelichtungen und e) Filmphotos aus dem Bewegungsablauf.

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Prinzip der Anfangskraft

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170

Physikalische Voraussetzung: Die Geschwindigkeit, die ein Körper am Ende eines Beschleunigungsvorganges besitzt, ist von der Größe des Beschleunigungs-Kraftstoßes abhängig:

F t m v v⋅ = ⋅ −( )2 1 genauer: F t m v vt

t

( ) ( )2

1

2 1∫ = ⋅ − dt

(Kraftstoß = Impulszuwachs)

Physiologische Bedingung: Ein Muskel kann bei einem Beschleunigungsvorgang aus ruhender Position nicht sofort die maximale Kontraktionskraft einsetzen. Statt dessen dauert es etwa 300 ms, bis die maximale Kontraktionskraft erreicht ist.

physikalisch idealer Kraftstoß:

physiologisch möglicher Kraftstoß: (s. auch vorausgehende Seite, Abb. ➀)

Der Beschleunigungskraftstoß lässt sich dadurch vergrößern (s. vorausgehende Seite, Abb. ➁, die mit (+) gekennzeichnete Fläche), dass dem Beschleunigungsvorgang eine Ausholbewegung in entgegengesetzter Richtung vorangestellt und der Kraftstoß (A2) zum Abbremsen der Aushol-bewegung fließend in den Beschleunigungskraftstoß übergeleitet wird. Durch die höhere Beschleunigungsleistung zu Beginn des Beschleunigungskraftstoßes ist der Beschleunigungs-vorgang jedoch auch früher beendet, so dass ein (geringer) Kraftstoßanteil (-) verloren geht.

Durch Einsetzen eines Armschwunges lässt sich ein Beschleunigungskraftstoß zusätzlich verlängern (Abb.➂).

Aufgrund der begrenzten Energiereserven der Muskulatur darf das Verhältnis von Bremskraftstoß A2 zu Beschleunigungskraftstoß A3 ein optimales Maß nicht überschreiten. Bei beidbeinigen Vertikalsprüngen liegt dieses Maß bei:

κ („Kappa“) =A

A2

3

= 0,33 .

Beurteilen Sie die nebenstehenden Kraft-Zeit-Kurven nach dem κ-Verhältnis und nach den Regeln des Prinzips des optimalen Beschleunigungsweges!

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Prinzip der optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf

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Prinzip der optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf

1. „Soll ein bestimmter Beschleunigungsweg in kürzester Zeit zurückgelegt werden, so müssen zu Anfang der Beschleunigungsphase die größten Beschleunigungskräfte wirksam sein (abfallende Tendenz des Beschleunigungsverlaufs).“

2. „Soll bei einem vorgegebenen Beschleunigungsweg die größtmögliche Endgeschwindig-keit erreicht werden, so müssen die größten Beschleunigungskräfte erst gegen Ende der Beschleunigungsphase wirken (ansteigende Tendenz des Beschleunigungsverlaufs).“

Voraussetzung: a) Die Leistung (P = m a v⋅ ⋅ ) eines Individuums ist begrenzt.

b) Die Maximalkraft (Fmax) eines Individuums ist begrenzt.

Bedeutung: Ein Sportler kann seine Maximalkraft nicht in einem beliebig langen Zeitabschnitt einsetzen, da er schnell an seine Leistungsgrenze stößt.

Daraus resultiert die Frage - ob ein Sportler (ein Sprinter, ein Kugelstoßer) seine maximale Kraft eher am Beginn eines Beschleunigungsvorganges produzieren soll (etwa zu Beginn des 100m-Sprints oder zu Beginn der Angleitbewegung beim Kugelstoß) - oder ob er seine maximale Kraft eher am Ende des Beschleunigungsvorganges (etwa im Schlussspurt der 100m-Sprints oder ge-gen Ende der Ausstoßbewegung beim Kugelstoß) einsetzen soll - oder ob er den gesamten Be-schleunigungsvorgang mit einer konstanten mittleren Kraft erledigen soll.

Lösung:

Die Abbildung auf der nächsten Seite gibt die physikalischen Daten von drei Beschleunigungs-vorgängen wieder, die in 6 sec den Körper auf eine Geschwindigkeit von 9,9 m/s bringen.

In dem dargestellten Beispiel wird die maximale mögliche Beschleunigungsleistung mit Pmax = 2,47 kW, die maximale beschleunigende Kraft mit Fmax = 336 N, die zu beschleunigende Masse mit m = 80 kg und der Beschleunigungskraftstoß in allen drei Beschleunigungsvorgängen mit F t⋅ = 800 N s⋅ angenommen.

Die Art des Beschleunigungsverlaufs zeigt das Kraft-Zeit-Diagramm bzw. die darunter dargestellten Figuren.

Ergebnis I:

Beschleuni-gungszeit

Endgeschwin-digkeit

zurückgelegter Weg

benötigter Kraftstoß

verbrauchte Energie

Fall a 6 s 9,9 m/s 42,3 m 800 Ns 5,5 kW s

Fall b 6 s 9,9 m/s 34,65 m 800 Ns 5,1 kW s

Fall c 6 s 9,9 m/s 27 m 800 Ns 5,5 kW s

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Prinzip der optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf

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Prinzip der optimalen Tendenz im Beschleunigungsverlauf

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173

Resultierende Regeln:

Um in einer vorgegebenen Zeit einen möglichst großen Weg zurückzulegen, sollten maximale Kräfte zu Beginn des Beschleunigungsvorganges erzeugt werden.

Um im Laufe eines Beschleunigungsvorganges möglichst energiesparend den Körper auf eine vorgegebene Geschwindigkeit zu bringen, sollte der Beschleunigungsvorgang mit konstanten submaximalen Kräften erzeugt werden.

Ergebnis II:

Zeit, in der eine Wegstrecke von 27 m zurückgelegt wird

Geschwindigkeit nach einer Wegstrecke von 27 m

Fall a 4,5 s 9,6 m/s

Fall b 5,2 s 9,75 m/s

Fall c 6 s 9,9 m/s

Resultierende Regeln:

Um eine gegebene Wegstrecke in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen, sollten maximale Beschleunigungskräfte zu Beginn des Beschleunigungsvorganges auftreten.

Um am Ende einer gegebenen Wegstrecke eine möglichst hohe Geschwindigkeit zu erreichen, sollten maximale beschleunigende Kräfte erst gegen Ende des Beschleunigungsvorganges auftreten.

Folgerungen für die Sportpraxis:

Da beim Kugelstoß in O’Brien-Technik der Beschleunigungsweg begrenzt ist, am Ende des Beschleunigungsweges aber die Kugel eine möglichst große Abfluggeschwindigkeit erhalten soll, müssten die größten beschleunigenden Kräfte erst gegen Ende der Ausstoßbewegung auftreten. Für die Trainingspraxis bedeutet diese Forderung eine besonders intensives Krafttraining für die-jenigen Muskeln, die am Ende der Beschleunigungsaktion eingesetzt werden, nämlich die Beuge-muskulatur der Hand und der Finger.

Gleiche Forderungen werden an alle Würfe und Sprünge gestellt, bei denen der Beschleunigungsweg begrenzt ist.

Bei sportlichen Disziplinen, bei denen vorgegebene Wege in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen sind, speziell beim 100m-Sprint, 50m-Freistilschwimmen u.ä. und bei Disziplinen, in denen in einer vorgegebenen Zeit ein möglichst großer Weg zurückzulegen ist (Stunden-Rennen beim Radfahren), sollten die maximalen Beschleunigungskräfte zu Beginn des Beschleunigungs-vorganges auftreten, um dann die erreichte (maximale) Geschwindigkeit beizubehalten. Bei Sportarten, bei denen das Haushalten mit der verfügbaren Energie im Vordergrund steht, speziell bei Ausdauersportarten, sollte das Erzeugen kurzfristiger maximaler Beschleunigungskräfte mög-lichst vermieden werden.

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Prinzip der zeitlichen Koordination von Einzelimpulsen

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174

Prinzip der zeitlichen Koordination von Einzelimpulsen

„Soll im Laufe einer sportmotorischen Fertigkeit dem Sportlerkörper oder dem Sportgerät durch mehrere Teilbewegungen eine möglichst hohe Endgeschwindigkeit vermittelt werden, so müssen die Geschwindigkeitsmaxima der Teilimpulse zeitlich zusammenfallen, und die Geschwindigkeitsvektoren der Teilimpulse in die gleiche Richtung zeigen.“

Bei den meisten sportlichen Handlungen wird der Sportlerkörper oder das Sportgerät nicht nur durch die Aktion eines Gelenksystems in Bewegung gesetzt. Beim Kugelstoßen z.B. erzeugt sowohl die Streckbewegung der Beine als auch die Stoßbewegung des Armes einen Impuls in Bewegungsrichtung der Kugel. Es ist einleuchtend, dass nur die Komponenten der Impulse, die in Richtung der beabsichtigten Bewegung zeigen, einen Beitrag zur Endgeschwindigkeit leisten können. Die Addition dieser Impulse ergibt den resultierenden Gesamtimpuls der Kugel und ist damit für deren Endgeschwindigkeit maßgeblich. Dieser Gesamtimpuls ist gerade dann am größten, wenn die Teilimpulse gleichzeitig ihr Maximum erreichen.

Erklärung:

Auch dieses Prinzip lässt sich recht einfach an einem Geschwindigkeit-(oder Impuls-)-Zeit-Diagramm nachweisen. Hierbei unterscheiden wir drei Fälle, bei denen die Teilimpulse jeweils gleich sind, sich aber im Maximum, nur teilweise oder gar nicht überlagern.

Der Gesamtimpuls ist nur dann maximal, wenn die Maxima der Teilimpulse zeitlich zusammentreffen.

Absprungbewegungen stellen einen Sonderfall bei der Beschreibung dieses Prinzips dar. Hier zeigt die Erfahrung, dass durch Arm- bzw. Beinschwung der Absprungkraftstoß vergrößert werden kann. Nun stellt die Schwungbewegung aber eine innere Kraft dar und setzt sich aus folgenden Teilen zusammen:

- einleitende Ausholbewegung, d.h. negative Beschleunigung (Kraftrichtung), auch Konterbewegung genannt,

- in Bewegungsrichtung verlaufende Beschleunigung (Kraft),

- Abbremsen (= negative Beschleunigung) der in Bewegungsrichtung verlaufenden Beschleunigung und eventuell

- bei stärkerer Abbremsung unter das Geschwindigkeitsniveau des Gesamtkörpers eine negative Relativbeschleunigung, ebenfalls eine Konterbewegung.

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Prinzip der zeitlichen Koordination von Einzelimpulsen

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Durch das Hintereinanderschalten von zwei Kraftwirkungen ist eine gegenseitige Beeinflussung vorhanden, so dass das Prinzip der zeitlichen Koordination von Einzelimpulsen für diesen Fall umformuliert werden muss:

„Soll im Laufe einer sportmotorischen Fertigkeit dem Sportlerkörper eine möglichst große Endgeschwindigkeit erteilt werden, so müssen Beginn und Ende der Schwungbewegung zeitlich zwischen Beginn und Ende der Streckbewegung liegen, zudem darf das Abbremsen der schwungholenden Körperteile die relative Geschwindigkeit des Gesamtkörpers nicht unterschreiten, ebenso wie eine ausholende Schwungbewegung mit Beginn des Beschleunigungskraftstoßes der streckenden Körperteile beendet sein muss.“

Erklärung:

Betrachten wir hierzu einmal ein Modell. Im Fall A beschleu-nigt eine vorgespannte Feder eine Kugel unter Vernachläs-sigung der Reibung auf einer horizontalen Ebene. Da die Federkraft während des Entspannungsvorgangs auf dem Beschleunigungsweg s linear abnimmt, ergibt sich als Be-schleunigungsarbeit im Kraft-Zeit-Diagramm die gezeichnete Dreiecksfläche.

Im Fall B wird eine zweite, genau gleiche Feder hinzugenommen und beide Federn werden hintereinander angeordnet. Da beide Federn, wenn sie gleich stark gespannt sind, gleich große Kräfte entwickeln, wirkt sowohl auf das Widerlager als auch auf die Kugel die gleich große Kraft wie im Fall A. Aufgrund des Reaktions-prinzips (s.S.123) wirkt die zweite Fe-der wie eine innere Kraft. Jedoch ist jetzt der Beschleunigungsweg doppelt so lang und die Beschleunigungsarbeit doppelt so groß. Der Vorteil von hintereinandergeschalteten Kraftwirkungen besteht also in der Verlängerung des Be-schleunigungsweges und damit in der Verlängerung der Zeitdauer des Beschleunigungsvorgan-ges, steht also im Einklang mit dem Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges.

Auf den menschlichen Körper übertragen, werden bei Sprungbewegungen die Beinkräfte als äuße-re und die Schwungbewegung als innere Kraft hintereinandergeschaltet. Hierbei ist es auch uner-heblich, dass der Sportler eine größere Arbeit zu leisten hat, da diese nicht zu Lasten der Beinkraft geht und damit die äußere Kraft unverändert lässt. Entscheidend ist allerdings, dass die inneren Schwung-Kräfte nicht gegen die äußeren Kräfte arbeiten. Das bedeutet, dass während der Be-schleunigung die Geschwindigkeit der schwungholenden Körperteile in Bewegungsrichtung relativ zum Restkörper immer mindestens gleich oder größer sein muss, aber nie kleiner werden darf, was einer sogenannten Konterbewegung durch einen Gegenimpuls entsprechen würde. Für die Teile der Schwungbewegung an sich hat das zur Folge, dass die Ausholbewegung vor dem Be-ginn der Beschleunigung und dass die Abbremsung der Schwungbewegung mit dem Ende der Beschleunigung spätestens beendet sein muss.

Beschleunigungsarbeit bei Hintereinanderschaltung von zwei gleichen Federn

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Literatur

WIEMANN, K. / JÖLLENBECK, T.: Arbeitsmaterial zur Vorlesung Grundlagen der Bewegungslehre und Biomechanik, Wuppertal, 6, 1999

176

Literatur = Grundlagen für die Bewegungslehre und Biomechanik

= geeignet für Studenten, die nicht naturwissenschaftlich spezialisiert sind

= besonders zu empfehlen

1. BALLREICH / KUHLOW: Begriffsbestimmung, Objekt- und Problembereich der Biomechanik. In: Sportwissenschaft, 4, 4, 1974.

2. BERGMANN / SCHAEFER: Lehrbuch der Experimentalphysik. Band 1, 199811.

3. FALLER, A.: Der Körper des Menschen. dtv 1970.

4. HOCHMUTH, G: Biomechanik sportlicher Bewegungen. Berlin 1982.

5. KAHLE u.a.: dtv-Atlas Anatomie, Band 3, Nervensystem und Sinnesorgane. dtv 1973.

6. KASSAT, G.: Biomechanik für Nicht-Biomechaniker - Alltägliche Biomechanik der Sport-praxis, Fitness-Contur, 1993.

7. KENT, M.: Wörterbuch Sport und Sportmedizin. Limpert, Wiesbaden .

8. DE MAREES, H.: Sportphysiologie, 19948.

9. MEINEL, K. / SCHNABEL, G.: Bewegungslehre – Sportmotorik Abriss einer Theorie der sportlichen Motorik unter pädagogischem Aspekt, Sportverlag Berlin, 19989.

10. PLATZER, W.: dtv-Atlas Anatomie. Band 1, Bewegungsapparat. dtv .

11. RÖTHIG (Hrsg.): Sportwissenschaftliches Lexikon. Schorndorf, 19926.

12. RUPRECHT, E.: Physik 1, Mechanik. München 1975.

13. SCHMIDT, R.F.: Medizinische Biologie des Menschen. München 19832, Kap. 9-11, 13, 14, 16, 17.

14. SCHMIDT, R.F. (Hrsg.): Grundriß der Neurophysiologie. Berlin 19835.

15. SCHMIDT, R.F. (Hrsg.): Grundriß der Sinnesphysiologie. Berlin 19855, Kap. 1-3, 5, 7.

16. SILBERNAGL, S / DESPOPOULOS, A.: dtv-Atlas Physiologie, Tafeln und Texte zu den Funktionen des menschlichen Körpers, dtv 1979.

17. SPRING, H. u.a.: Dehn- und Kräftigungsgymnastik. Thieme 1986.

18. TITTEL, K.: Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen. Jena, 199412.

19. WEINECK, J.: Optimales Training - Leistungsphysiologische Trainingslehre unter besonderer Berücksichtigung des Kinder- und Jugendtrainings Spitta, .

20. WEINECK, J.: Sportanatomie, Spitta, 199712.

21. WIEMANN, K.: Zur biomechanischen Betrachtungsweise sportlicher Bewegungen. In: KOCH (Hrsg.): Sportkunde. Schorndorf 1976.

22. WIEMANN, K.: Vom Kippen zum Überschlagen - vom Schwingen zum Felgen. Schorndorf 1978.

23. WIEMANN, K.: Analysen sportlicher Bewegungen. Thema: Sport - Formen und Probleme des Sports in unserer Welt, Band 8, Cornelsen, 1985.

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