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Universität Siegen Fakultät II: Bildung - Architektur - Künste Leitung: Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Exner Ulrich Master pbb_Modul 1 Wintersemester 2011/2012 urbaner raum als mittel psychosozialer durchsetzung Dipl. Ing. Michalopoulou Antigoni Master pbb_Modul 1 Wintersemester 2011/12

Urbaner Raum als Mittel Psychosozialer Durchsetzung

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Universität SiegenFakultät II: Bildung - Architektur - KünsteLeitung: Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Exner UlrichMaster pbb_Modul 1Wintersemester 2011/2012

urbaner raum als mittel

psychosozialerdurchsetzung

Dipl. Ing. Michalopoulou AntigoniMaster pbb_Modul 1Wintersemester 2011/12

Inhaltverzeichnis

Einleitung

Kapitel 1_ Raum und Macht

1.1 Der Raum und seine Produktionsweise1.2 Absoluter Raum - Abstrakter Raum1.3 Drei Aspekte der räumliche Wirkung1.4 Die symbolische Bedeutung des Raums

Kapitel 2_ Teilen und Herrschen

2.1 Die Verteilung der Ressourcen als Strategie der Macht2.2 Die Zonierung: Trennung und Ausschließung2.3 Stadterneurerung und Macht

Kapitel 3_ Kontrolle und Überwachung

3.1 Die Paradigmen der Lepra und der Pest3.2 Augen auf die Straße: Kontrollarchitektur / Kontrollstädtebau

Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

Raum, Macht, Durchsetzung, Überwachung –Seiten derselben Medaille und Begrif-fen, die das urbane Leben bestimmen. Der urbane Raum mit seinen Ressourcen, Gebäude, Verkehrsnetz, öffentlichen Plätze, wird von sozialen-politischen-ökonomi-schen Faktoren defi niert. Seine Entwicklung steht in Zusammenhang mit den exis-tierenden Umständen. Seine Qualitäten, seine städtebauliche Struktur, die archi-tektonische Form, die seine Gebäude prägt, refl ektieren die existierenden sozialen Normen. Darüber hinaus ist die Stadt dieser Ort, wo widersprüchliche Interesse und soziale Konfl ikte stattfi nden, wo die Macht der höheren Klassen auf den niedrigen Klassen ausgeübt wird. „Wer den Raum beherrscht, beherrscht die Menschen“; die-se Behauptung klingt absolut, aber die Struktur und Funktion des urbanen Raums bestätigen sie. Diese Struktur ist in der Geographie der Macht nicht nur Ort und Hülle, sondern auch Gegenstand und Instrument der jeweiligen Herrschaftsform.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird der urbane Raum als Mittel psychosozialer Durchsetzung geforscht. Die Forschung zielt darauf ab, diesen städtebaulichen und architektonischen Instrumenten, bei denen die Durchsetzung der Macht ausgeübt wird, darzustellen und zu analysieren. Die Forschung wird in drei Kapitel eingeteilt.

Der erste Kapitel stellt eine Herangehensweise des Begriffs des Raums und seiner Beziehung mit der Macht dar. Bevor jeder Bezeichnung des urbanes Raumes, soll der Begriff „Raum“ erarbeitet werden. Hier wird den Raum, seinen Qualitäten und Funktionen mit Hilfe hauptsächlich der theoretischen Thesen von Lefebvre, als sie in seinem Buch „The Production of Space“ erklärt wurden, untersucht. Lefebvre bes-chreibt Raum als gesellschaftliches Produkt, eine These, die die Begriffe Raum-Ge-sellschaft-Produktion verknüpft. Er benennt Raum als etwas, durch die Produktions-verhältnisse und die darin eingebundene Subjekte, Hergestelltes. Die Gesellschaft, die im Raum existiert, formt diesen Raum und wird von diesem geformt. Raum, beziehungsweise urbaner Raum, besitzt nicht nur den gleichen Status innerhalb des Produktionsprozess wie Kapital oder Arbeit, er beinhaltet auch eine Aktualisierung des marxistischen Projekts. Des Weiteren ist Raum sowohl ein Produkt als auch ein Me-dium, in dem andere Produkte hergestellt werden. Er wird gesellschaftlich produziert, gleichzeitig ist aber der Mittel, der soziale Verhältnisse strukturiert und reproduziert.

Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit diejenigen Mechanismen und Faktoren, die den urbanen Raum gestalten. Im Besonderen werden die Organisierung und Struk-turierung des Stadtgefüges in Zusammenhang mit der Struktur der sozialen Schichten

Einleitung

und Klassen untersucht. Anschließend werden die städtebaulichen, architektonischen und planerischen Instrumente, die von der Macht benutzt werden, um ihre Durchsetzung bei der Bevölkerung zu realisieren und sicherzustellen, behandelt. Eine solche Untersuchung beabsichtigt der urbane Raum zu der Macht und der Kräften, die sie besitzen, zu verbinden. Des Weiteren wird nicht nur der urbane Raum als Anwendungsbereich der Macht, sondern auch als Mittel ihrer Durchsetzung nachgewiesen wird. Die Abwertung und Zerstörung des öffentlichen, urbanen Raums ist die gemeinsame Basis aller Instru-mente, um auf dieser Weise die Widerstandsreaktionen zu kontrollieren. Zwei von diesen Mechanismen, die auch in Zusammenhang miteinander stehen, sind der Analysierung unterworfen: die Zonierung des Stadtgefüges und die Stadterneu-erung durch den Gentrifi zierungsprozess. Jeder Mechanismus wird hier im Rah-men der neoliberalen, globalisierten Großstadt skizziert und seine Funktion bei verschiedenen Beispielen dargestellt. Die Analyse beruht unter anderen auf Theo-rien und Arbeiten von Michel Foucault (Discipline and Punish, the Birth of the Pri-son), Neil Smith (The New Urban Frontier, gentrifi cation and the revanchist city), Mike Davis (Beyond Blade Runner/ Fortress L.A. The Militarization of Urban Space).

Im dritten Kapitel werden diejenigen Mechanismen, die kontrollieren und überwa-chen innerhalb der modernen Stadt, analysiert. Basiert auf den Buch “Discipline and Punish, the Birth of the Prison” von Michel Foucault, erarbeitet der erste Teil die Bedeutung der Ausschließung und Überwachung. Durch die Beispiele der Le-pra und der Pest, werden die zwei Regierungsformen der Ausschließung und Auf-teilung, die in Zusammenhang stehen und ihre Kombination gestaltet den Raum der Macht im Rahmen der Stadt. Anschließend werden die Rolle und die Entwick-lung einer Kontrollarchitektur und Kontrollstädtebau und ihren Instrumente analysiert

. Der „Plan Voisin“ von Le Corbusier wird erarbeitet als Ausdruck einer Kontroll-planung, wo der Architekt durch seinen Entwurf das Leben der Einwohner be-stimmt, und gleichzeitig die Macht der herrschenden Klasse dient. Danach werden verschiedene Mechanismen und Instrumente der Kontrolle und der Über-wachung dargestellt: Benthams Panoptikum, das heute Ausdruck in die transpa-rente Einkaufszentren fi ndet, die Zonen, als Kontrollinstrumente, die Aufteilung der Stadt für eine effektive Überwachung. Unter dem Titel Prävention, Sicherheit und Lebensqualität entwickeln sich neue Kontroll- und Überwachungsstrategien.

raum und macht

Raum und Macht

„The whole history remains to be written of spaces-

which would at the same time be the history of powers-

from the great strategies of geopolitics

to the little tactics of the habitat.”

Michel Foucault, The Eye of the Power (1974)

1.1 DER RAUM UND SEINE PRODUKTIONSWEISE

„In der gigantischen Stadt Metropolis leben zwei voneinander klar getrennte

Gesellschaften: Eine Oberschicht lebt in absolutem Luxus. Im „Klub der Söhne“ genießt

die Jugend der Elite in ihren Türmen und in „Ewigen Gärten“ paradiesische Verhältnisse

und lebt für Sportveranstaltungen und rauschhaftes Vergnügen, während die Arbe-

iterklasse, die an riesigen Maschinen für den Gewinn der Reichen schuftet, ebenso tief

unterhalb der Stadt haust wie die anderen darüber. Dazwischen, aber unter der Erde,

befi nden sich die für beide Klassen unentbehrlichen Maschinen.“ Metropolis, Fritz Lang

„…Ich werde die aktive – einsatzbereite oder instrumentelle – Rolle des Raums, als Wissen und Handlung in der existierenden Produktionsweise darstel-len. Ich werde zeigen, wie der Raum dient, und Hegemonie1 das benutzt…“, so erklärt Henry Lefebvre seine Absicht in „Die Produktion des Raums“. Raum, beziehungsweise urbaner Raum, ist kein neutrales Gebiet. Raum wird gesell-schaftlich produziert, gleichzeitig ist er aber das Medium, das gesellschaftli-che Verhältnisse produziert, konkret werden lässt und dadurch letztlich defi niert.

Niemand kann heute die Tatsache leugnen, dass Kapital und Kapital-ismus sich auf die Struktur und die Funktion des Raums auswirken. Aber es geht mehr als um einen Einfl uss. Kapitalismus hat einen deutli-chen und dominanten Aspekt: die Hegemonie der herrschenden Klasse.Hegemonie bedeutet mehr als einen Einfl uss, und mehr als eine perma-nente Durchsetzung. Sie wird auf die Gesellschaft allgemein und alle kul-turelle und politische Aspekte ausgeübt, des Weiteren auf Ideen und Institu-tionen. Die herrschende Klasse versucht ihre Dominanz bei allen Mitteln zu behalten. Raum ist also der hauptsächliche Anwendungsbereich dieser Handlung.

1 Lefebvre, The Production of Space, 1974 Lefebvre benutzt das Wort “Hegemonie” um die Handlungen der bürgerlichen Klasse zu beschreiben

Raum und Macht

Neil Brenner behauptet sogar, dass der Raum noch immer ein entscheiden-des Instrument zur Kontrolle der gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen In-dividuen, Gruppen, Klassenfraktionen und ganzen Klassen (Brenner 1997).

Lefebvre entwickelt analog zu Marx‘ Analyse der Warenproduktion eine Theorie der Produktion des Raums. Historische Beziehungen sind, nach Marxismus, Klassen-beziehungen. Räumliche Beziehungen sind, nach Lefebvre, soziale Beziehungen, eine Behauptung, die auf das Marxismusprinzip basiert1. Raum besitzt nicht nur den gleichen Status innerhalb der Produktionsweise wie Kapital oder Arbeit, eine Erforsc-hung von Raum beinhaltet auch eine Ausweitung und Aktualisierung des marxis-tischen Projekts. Raum ist im Gegensatz zu anderen Waren sowohl selbst Produkt als auch Medium, in dem andere Produkte hergestellt werden. Durch eine histo-rische Kategorisierung von Raum, macht Lefebvre deutlich, dass jede neue poli-tische und gesellschaftliche Macht ihren spezifi schen Raum erschafft. Des Weiteren jede Produktionsweise, d.h. jede Gesellschaft mit ihren Produktionsverhältnissen, impliziert (nicht immer auf einer absoluten Weise) die Produktion eines Raumes mit spezifi schen Charakteristiken. Die Klassifi kation beinhaltet ein Spektrum von Räu-

men, vom Absoluten/Natürlichen Raum bis zum Abstrakten/Kapitalistischen Raum.

1.2 ABSOLUTER RAUM – ABSTRAKTER RAUM

Der absolute Raum ist der Raum der Natur. Lefebvre setzt ihn mit dem Raum der archaischen Kulturen gleich. Absoluter Raum ist analoger Raum, es geht um die Projektion von Sinnbildern des Universums auf die urbane Struk-tur. Die Monumente sind so nebeneinander angeordnet, dass sie den Kosmos verkörpern, wie man ihn sich in dieser Zeit vorstellt. Die antike Stadt und häufi g ein eigenes Gebäude auch werden zum Abbild der Welt. Absoluter Raum ist ho-mogen, Mensch und Natur, Geist und Gesellschaft sind untrennbar verbunden.

Die mittelalterliche Stadt enthält eine andere Form des Raums: der symbolis-che Raum. Dieser urbane Raum und dessen Kathedralen sind Symbole religiös-er und gleichzeitig politischer Macht. Der sakrale Raum ist der Beginn der Ab-straktion. Er entfernt sich von der Einheit der Natur des absoluten Raums und

1 “Material zu Henry Lefebvre: Die Produktion des Raums”, www.anarchitektur.com

Raum und Macht

setzt der Unterscheid zwischen Mensch und Natur, Stadt und Land, er ist der Raum der ersten Stadt, die ihre ländliche Umgebung zu dominieren beginnt.

Der Übergang von der sakralen Macht zu einer weltlichen Ordnung entsteht beim his-torischen Raum, der von der Akkumulation des Kapitals und der Trennung der Produk-tion vom bloßen Überleben gekennzeichnet ist. Neue Räume des Handels entste-hen, die neuen darstellenden Techniken der Renaissance –Perspektive und exakte Darstellung- schaffen eine Dominanz des Visuellen und damit eine neue Konzeption des urbanen Raums. Der historische Raum, der einhergehend mit der Ausbreitung des Kapitalismus ist, führt zu der Entstehung des abstrakten/kapitalistischen Raums.

Abstrakter Raum ist kapitalistischer Raum. Kapitalismus und Neukapitalismus haben den abstrakten Raum hergestellt, der die Welt von Waren, dessen Logik und welt-weiten Strategien, so wie die ökonomische und politische Macht beinhaltet1. Der ab-strakte Raum ist hauptsächlich der Mittel der Macht und ihre Dominanz. Er ist gle-ichzeitig homogen und fragmentiert, zwei Tendenzen, die in der kapitalistischen Marktlogik inhärent sind. Er ist homogen, weil alles darin äquivalent ist, weil alles darin austauschbar und auswechselbar ist. Aber der abstrakte Raum ist ebenso zersplit-tert, weil er durch Grundstücke oder Parzellen gebildet wird. Und er wird Grundstück für Grundstück, Parzelle für Parzelle verkauft, er wird also fortwährend fragmentiert und zerstückelt. Aufgebaut auf der Warenwelt, in der alles auswechselbar und du-rch Staat und Polizei kontrolliert und kontrollierbar ist, ist dieser Raum homogen.

Aber er ist auch zersplittert, da er auf viel Grundstücke besteht, die nach den Gesetzen oder den Regeln der Grundrente und der Spekulation so teuer wie möglich verkauft werden. „Teilaspekte des Kapitals treten miteinander in Konf-likt, Wirtschaftskapital, Industriekapital, Investitionskapital, Finanzkapital- dennoch bleibt die Einheit des Kapitals bewahrt. Die Form bleibt bestehen und umfasst alle Bruchstücke2.“ Unterschiede tauchen in dieser homogenen Urbanität auf, entweder als Widerstand, oder als Heterotopie. Jeder solche Unterschied wird ausgeschlos-sen, zum Beispiel in Ghettos. Aber früher oder später wollen die Instrumente der Homogenität, die die kapitalistische Struktur dienen, diese Unterschiede absor-bieren, um die Kontrolle zu bewahren. Der kapitalistische Raum ist nicht nur ho-mogenisiert und fragmentiert, sondern auch hierarchisch und Grundlage der Macht3.

1 “Material zu Henry Lefebvre: Die Produktion des Raums”, www.anarchitektur.com2 Lefebvre, The Production of Space3 Mark Gottdiener, A Marx of our time, Henry Lefebvre and the Production of Space, 1993

Raum und Macht

1.3 DREI ASPEKTE DER RÄUMLICHE WIRKUNG Lefebvre konzeptionalisiert in seiner Theorie des Raums die unterschiedli-chen Ebenen, auf denen Raum wirksam wird. Es geht um die räumliche Praxis, die Repräsentation des Raums und die Räume der Repräsentation1. Diese ver-schiedenen Aspekte des Raums durchdringen sich wechselseitig, und sind im-mer gleichzeitig wirksam2. Diese Kategorisierung ist vor allem wichtig um die Wechselbeziehung zwischen den wahrgenommenen Raum des Alltags und den gedanklichen Raum der Vorstellungen und Ansprüchen besser zu verstehen.

• Räumliche Praxis Räumliche Praxis ist erfahrener Raum (perceived space) und ist von alle Wid-ersprüchlichkeiten des Alltags geprägt. Sie basiert auf die alltäglichen gesellschaftli-chen Verhältnisse und garantiert im Rahmen der urbanen Struktur gesellschaftliche Kontinuität. Anders gesagt produziert und reproduziert sie alltäglichen räumlichen Praktiken, die die Zusammenhang Stadtfunktion-Stadtleben bewahren. Sie reguli-ert den Raum. Räumliche Praxis produziert und reproduziert in zirkulärer Weise ihre eigenen Voraussetzungen. Abstrakter Raum wird mittels räumlicher Praxis hergestellt.

• Repräsentation des Raums Die Repräsentation des Raums ist erdachter Raum (conceived space). Dies-er Aspekt des Raums ist gekennzeichnet durch abstrakte Konzeptionen und Darstellungen von Raum. Er ist der Raum von Wissenschaften, Theorien, Planun-gen, d.h. von allen diesen Handlungen, die den erfahrenen und gelebten Raum defi nieren und bestimmen. Im Wesentlichen geht es um gedankliche Konstruk-tionen des Raums, die in enger Verbindung mit vorherrschender Produktions-weise stehen. Im abstrakten Raum beherrscht die Repräsentation des Raums, die die Anforderungen der kapitalistischen Produktionsweise besser verwirklicht.

• Räume der Repräsentation Räume der Repräsentation sind Räume des Ausdrucks, nämlich gelebter Raum und nicht erdachter Raum. Ihre Bedeutungen werden durch den Gebrauch herg-estellt. Sie sind die Räume, die von „Einwohnern“ und „Nutzern“ erlebt werden, Räume verbunden mit Bildern und Symbole. Dieser Aspekt des Raums überdeckt den physischen Raum, durch die symbolische Nutzung der Objekte des letzten.

1 Lefebvre, The Production of Space2 “Material zu Henry Lefebvre: Die Produktion des Raums”, www.anarchitektur.com

Raum und Macht

Räume der Repräsentation sind Räume möglichen Widerstands und möglicher Kämp-fe der Aneignung und verbergen eine starke Motivation zu utopischen Veränderungen.

1.4 DIE SYMBOLISCHE BEDEUTUNG DES RAUMS

Jeder von den früher erwähnten Aspekten des Raums benutzt die Sprache der Symbole um wahrnehmbar und sichtbar unter den Menschen zu sein. Die räumliche Handlungen, die Planungen, die Gebäude, die Strukturen werden als ein visueller Eindruck übersetzt, der auf das Unbewusste wirkt und das menschliche Verhalten teilweise reguliert. Die Wahrnehmung und Verständnis der Raum soll die symbolische Bedeutung des Raums und ihre komplizierte Auswirkung auf das menschliche Verhalten berücksichtigen.

Der Gestalt des Raums, der durch Architektur und Städtebau realisiert wird, ist sym-bolisch für die jeweilige Kultur, symbolisch für die existierende gesellschaftliche Ord-nung, ist nämlich die Abbildung der Anforderungen und Konzeptionen der herrschenden Kräften der Gesellschaft. Im Prinzip wird die räumliche Form auf verschiedenen Weisen so manipuliert um diverse symbolische Bedeutungen hervorzubringen. Die Innenausst-attung der Gebäude, zum Beispiel, bringen häufi g zum Ausdruck die soziale Ordnung und die verschiedene Prozesse, die drinnen laufen soll1. Außerdem besitzt die Stadt als Ganze, auch in ihrer modernen abstrakten Version, diese symbolische Qualität.

„Architekten beeinfl ussen durch die Gestaltung der Lebensräume unser Verh-alten und Empfi nden“ behauptet der Psychologe Daniel Leising2. Oder ist es mehr als einen Einfl uss? Im Wesentlichen geht es um eine Verhaltensregulierung. Archi-tektur und Städtebau defi nieren und ordnen die räumliche Teile hinsichtlich der ak-tuellen sozialen Verhältnisse, und dieser Prozess reguliert das urbane Leben. Der erdachter Raum, beziehungsweise die Repräsentation des Raums von Lefe-bvre, wird durch Architektur und Städtebau ausgedrückt und visualisiert. Und dies-er visuelle Raum beeinfl usst und defi niert das Verhalten. „Good design“ wird zu bedeutungslose Tautologie, ob wir berücksichtigen, dass man umgeformt wird um sich den Umwelt, der er schafft, anzupassen. Die langfristige Frage also hat nicht viel mit was für einen Umwelt wollen zu tun, aber mit was für ein Mensch3.

1 David Harvey, “Liberal Formulations: Conceptual Problems of Urban Planning”, Social Justice and the City, 19732 Daniel Leising, Die Macht der Räume, Artikel in Psychologie Heute, 1/20023 Sommer, Personal Space: the behavioral basis of design, 1969, in Harveys Social Justice and the City

teilen und herrschen

Teilen und Herrschen

„Wie bringe ich die Truppen über den Rhein?Man baue eine Brücke!“

NapoleonLucius Burckhardt, „Das Ende der Polytechnischen Lösbarkeit“ (1989)1

2.1 DIE VERTEILUNG DEN RESSOURCEN ALS RÄUMLICHE STRATEGIE DER MACHT

Die Territorialstrategien, die Raumplanung, die Staatsintervention, die Verteilung und Um-verteilung von Ressourcen und Waren sind Instrumente, die die Ansprüche und Interesse der herrschenden Klasse planen und realisieren. Die sind im Wesentlichen Herrschaftskonzepte um Einfl uss, um Repräsentation und um Gestaltung. Paul Virilio hat einen Colonel der Amerikanischen Landvermessung mit den folgenden aufschlussreichen Worten zitiert: „Die Landvermessung ist […] die Grundlage der Massenerziehung und ihrer Zivilisation, die unauslöschliche Markierung einer Besitznahme, die teilt, um zu herrschen2.“ Die Land-vermessung als sozialer Akt markierte eine bestimmte Raumaufteilung; gesellschaftliche Handlung gestaltet und strukturiert also den Raum. Des Weiteren ist die soziale Strukturi-erung des Raums vor allem ein Ausdruck der jeweiligen ökonomischen und politischen Ver-hältnisse und städtebauliche und territoriale Strategien sind die Mittel der Realisierung.

Die Umverteilung der Ressourcen und des Realeinkommens und ihre Mechanismen innerhalb des Stadtgefüges sind das fundamentale Instrument der politischen und ökonomischen Macht. Gruppen und Klassen streben nach der Kontrolle über Ressourcen und Waren, und die Stadt wird der Ort, wo widersprüchliche Interesse und gesellschaftliche Konfl ikte stattfi nden. Die Stadt ist ein riesiges Ressourcensystem, und diese Ressourcen sind am meisten künstlich3. Innerhalb der Stadt gibt es Mechanismen, die diesen Ressourcen beziehungsweise die hergestellten Waren verteilen. Das Verkehrs- und Transportnetz, die Zonierung, die Abgrenzung den Wohnungsge-bieten von den Industriezonen und Arbeitsplätze, so wie die Lagerung der staatlichen Dienstle-istungen wirken auf die Verteilung des Realeinkommens der verschiedenen sozialen Gruppen.

1 Lucious Burckhardt, Wer plant die Planung? Architektur, Politik und Mensch, 1980

2 Paul Virilio, Ästhetik des Verschwindens, 19803 David Harvey, “Redistribution of the real income in an urban system: The availability and prices of re-sources”, Social Justice and the City

Teilen und Herrschen

Im Prinzip werden die Ziele der Umverteilung vom Kapitalmarkt defi niert. Darüber hinaus ist eine solche Verteilung von Ressourcen und Einkommen von Ungleichheit geprägt, damit sie die gesellschaftliche Ungleichheit und die Herrschaft der höheren Klasse über den schwächeren sozialen Schichten refl ektiert. Die unausgeglichene Beziehung zwis-chen des Arbeitsort und des Wohnorts bedeutet die unterschiedliche Erreichbarkeit zu Ressourcen und Waren für jeden sozialen Schicht. Es ist unumstritten zu behaupten, dass die soziale Gruppen, die Macht und Kapital besitzen, haben nicht nur mehr Zugän-glichkeit zu allen Ressourcen als die niedrige soziale Gruppen, sondern auch können diese Ressourcen auch manipulieren und ausnutzen. In anderen Worten ist die Meh-rheit der Ressourcen in einer Stadt nicht verbreitet und verfügbar zu allen gesellschaftli-chen Gruppen. Die herrschende Klasse genießt die Vorteile einer „unfairen“ Verteilung der Ressourcen und durch territorialen und räumlichen Mechanismen versucht die Un-terschiede zu reproduzieren und verschärfen um ihre Durchsetzung sicherzustellen.

2.2 DIE ZONIERUNG: TRENNUNG UND AUSSCHLIESSUNG

Die Zonierung (zoning), nämlich die Organisierung und die Funktion der urbanen Struktur in Zonen, ist der wichtigste Mechanismus, den die herrschende Klasse be-nutzt um ihrer Macht auf den Stadtraum auszuüben und die Massen zu kontrollieren. Im 1943 wurde die Charta von Athen als Ergebnis des IV.CIAM Diskurses veröffen-tlicht, wo Le Corbusier der Model einer strengen Zonierung entwickelt hatte1. Die absolute Trennung der Nutzungen refl ektiert die mechanistische Zerstückelung der menschlichen Tätigkeiten. Der komplizierte soziale Raum wurde durch einen mono-funktionellen und abstrakten Städtebau in drei Funktionen vereinfacht. Die funktion-elle Zonenteilung wurde von die einzelnen Funktionen des Wohnens, Arbeitens uns Erholung zusammengesetzt. Diese drei Funktionsbereiche sollen durch weitläufi ge Grüngürtel gegliedert und durch Verkehrsachsen verbunden werden. In der Innen-stadt befi nden sich die Dienstleistung, der Handel und die Verwaltung, rund um das Zentrum und voneinander getrennt liegen die Industrie und die Wohnungen und in der Peripherie befi nden sich im Grüngürtel Satellitenstädte mit reiner Wohnfunktion.

1 Dimitris Karidis, “Viertes Buch, Aspekte der städtebaulichen Theorie und Praxis im Mittelkrieg”, Sieben Bücher der Städtebau

Teilen und Herrschen

Die Struktur dieser Stadt ist der Ausdruck der Anforderungen der neuen bürgerlichen Klasse, die ihre soziale, politische und ökonomische Durchsetzung über die Stadt ausü-ben wollte. Der Architekt, der der Vertreter der herrschenden Kräfte ist, organisiert und strukturiert die Stadt und das Leben der Einwohner bei riesigen Synthesen, die nur große Industrien und Baufi rmen durchführen können. Die Logik der Zonenteilung basiert auf zwei prinzipielle Ziele: die Beherrschung eines Hauptgeschäftszentrum (Central Busi-ness District)1, wo die zentrale kräftige Unternehmen und Geschäfte über die schwächere soziale Schichte, die im Zentrum leben und arbeiten, herrschen, und die Ausnutzung des Stadtzentrums vom Vorort, wo die heruntergekommene zentrale Stadtteile mit Einwoh-nern von niedrigen Klassen von der bürgerlichen Klasse der Vororten ausgebeutet werden.

Die Zonen sind Räume mit spezifi schen Nutzungen, die gleichzeitig Grenzen inner-halb der Stadt setzen. Sie defi nieren und organisieren den Alltag und das Leben der Einwohner, sie teilen das Stadtgefüge, fragmentieren den urbanen Raum und verteilen dessen Funktionen an diesen zersplitterten Stadtteilen. Die Trennung der Nutzungen im Rahmen der industriellen Stadt von Le Corbusier hat im Rahmen der modernen Großstadt zu einer Multiplikation der Zonen mit „speziellen“ oder „exklusiven“ Nut-zung entwickelt2. Diese Zonen, diese Räume mit ihren besonderen Nutzungen, oder mit „besonderen“ Teilen der Bevölkerung rufen bei der Zerstückelung des städtischen Raums einen Angriff auf den öffentlichen Raum hervor. Die Freiplätze und die freie Verkehrszonen werden mit Nutzungen ausgefüllt und auf dieser Weise wird der Ein-wohner von der wesentlichen Funktion des öffentlichen Raums ausgeschlossen.

Neben der Fragmentierung des urbanen Raums realisiert die Zonierungsstrategie die hauptsächliche Anforderung der herrschenden Klasse um ihre Herrschaft und Gewinne zu erhöhen: die Trennung und Abgrenzung der „heruntergekommenen“ Stadtteilen von dem Stadtgefüge. Zonen und Inseln innerhalb der Stadt werden diese abgegrenzten Orte, wo Bevölkerungsgruppen wegen sozialen, fi nanziellen, rassischen, klinischen Segregation ausgeschlossen werden. Orte, die einfacher zu kontrollieren sind, die mit eigenen Regeln funktionieren, die als Kriminalitätszonen angepeilt werden. Die Anschuldigung dieser Stadtgemeinde zielt auf die Gleichgül-tigkeit der anderen Einwohner und sogar auf ihren Konsens zu dieser Situation. Die Ghettos sind außerdem das typische Beispiel der „Zonen sozialer Kontrolle“3 . Diese Segregationszonen sind Bestandteile der kapitalistischen Funktion der Großstadt und vermehren sich parallel zu der Verschärfung der sozialen Polarisierung. Die räumliche Abgrenzung schafft die Ausschließung aus den Ressourcen, in anderen

1 David Harvey, “Political processes and the redistribution of real income, Liberal Formulations”, Social Justice and the City2 G. Koutoupis, Die Zone - Die biopolitische Tiefe der Grenze, www.greekarchitects.gr3 Mike Davis, Ecology of Fear, Los Angeles and the imagination of disaster

Teilen und Herrschen

Worten wird das Recht dieser Gruppen auf das Stadtle-ben eliminiert und ihre Reaktionen kontrolliert und unterdrückt.

Die Zonen sind Grenzen und funktionieren hauptsächlich als Instrumente der Macht. Sie kontrollieren die Verkehr, die Sicherheit, die Zugänglichkeit. Die disziplinäre Macht schließt Stadtbereiche aus, trennt und isoliert. Aber diese „Sicherheitsmaßnahmen“ führen gleichzeitig zu einer Homogenisierung, einer abstrakten Ordnung, die die glo-balisierte Kapitalverkehr und Ökonomie dient. Es geht um die antike Strategie des „Teilens und Herrschens“. Vom Gazastreifen bis die Ausschließliche Wirtschaftzonen (AWZ), von Ghettos bis Sicherheitszonen und Pufferzonen, von reinen Wohnung-szonen bis Einkaufszonen sind die Segregation und die Abtrennung der Bevölkerung und die Zerstückelung des Lebens und überdies der Gedankenweise ein Ziel. Gle-ichzeitig aber sind sie ein Mittel für die einwandfreie Funktion des Kapitalmarkts.

2.3 STADTERNEUERUNG UND MACHT

Die Stadterneuerung verändert den Raum. Aber diese Restrukturierung soll nicht nur als baulich-physische Veränderung angesehen werden. Überdies geht es um einen sozial-ökonomischen Wandel. Keine Stadterneuerungsmaßnahme ist ohne politische Entscheidungen und unabhängig von den ökonomischen Rahmenbedingungen den-kbar1. Jede Stadterneuerung wirkt sich zugleich direkt auf die Wohn- und Lebensver-hältnisse der Bevölkerung in den betreffenden Gebieten aus. Des Weiteren ist jedes Sanierungskonzept einen Versuch des Kapitals das Realeinkommen und den Res-sourcen umzuverteilen. Außerdem entwickelt die städtebauliche Planung der modernen Großstadt sich im Rahmen einer neoliberalen Freimarktpolitik. Daher dient der Staat und seinen Interventionen hauptsächlich das Privatkapital und manchmal überlässt ihm der Staat die Ausnutzung des städtischen Raums und die Durchführung der Projekte.

An diesem Punkt ist es wichtig die Systematik des „staatlichen Raums“ von Lefebvre zu erwähnen um die Zusammenhang Staat-Restrukturi-erung-Mensch besser zu verstehen. Lefebvre hat in dieser Systema-tik drei Ebenen des Zusammenhangs von Macht und Raum festgesetzt.Die staatliche Macht ist in einem dreifachen

1 Andrej Holm, “Raum, Macht und Stadterneuerung”, Die Restrukturierung des Raums - Stadterneuerung der 90er Jahren in Ost-Berlin: Interesse und Machtverhältnisse

Teilen und Herrschen

Sinne räumlich1: als territorialer, als sozialer und als mentaler Raum. Die territoriale Ebene charakterisiert die Herrschaftsfähigkeit eines zentralisierten Verwaltungsapparates über ein weit verstreutes Gebiet. Die soziale Ebene beschreibt die durch interne Hierarchien, politisch oder institutionell strukturierte Umwelten oder symbolische Monumente en-tstehenden territorialen Konfi gurationen innerhalb des Raums. Als mentale Ebene schließlich wird die staatliche Fähigkeit verstanden, das Alltagsbewusstsein der Men-schen zu durchdringen und einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens und somitUnterstützung für das staatliche Handeln zu sichern. Alle drei Ebenen des staatli-chen Raums bedingen sich dabei gegenseitig. Ohne die Fähigkeit zur Herrschaft über den urbanen Raum und ohne die allgemeine Akzeptanz des staatlichen Handelns keine staatliche gesteuerte institutionelle oder soziale Konfi guration erfolgreich sein kann. Und wie wird dieser Konsens und Loyalität der Einwohner gesichert, wenn die Stadterneuerung in ihrer Wohn- und Lebensbedingungen eingreift? Die Begründung der Verbesserung der Wohnverhältnisse und der Wiederaneignung der Raum (aber von wem wird er „wiederaneignet“?) bieten die ausreichende ideologische Unterstützung.

Die Erneuerung und Restrukturierung heruntergekommenen zentralen Stadtteilen, wo niedrige soziale Schichten wohnen, der sogenannte Gentrifi zierung, ist ein ökonomis-cher und politischer Prozess. Die Investitionen auf die verschlechterte Gemeinde der Stadt bringen hohe Gewinne zu Bauherren und Bauunternehmen, und die neue, gen-trifi zierte Gemeinde dienen den Bedarf des Kapitals an neue Investitionen, der bei der Kapitalbildung entsteht2. Hochpreisige Wohnungen entstehen und die Gentrifi ers zielen auf die höchsten Gewinne. “Die Verdrängung der bisherigen Einwohner, die zu niedrigen sozialen Schichten gehören, ist für die Gentrifi zierung keine Nebenwirkung, sondern ihr Zweck.” (P. Marcuse 1987) Die politische und ökonomische Macht „gentrifi ziert“ Ghet-tos und heruntergekommene Stadtquartiere, Orte, die sie selbst durch die Zonierung, die Segregation und die Ausschließung kreiert hat. Daher ist es auf keinen Fall denk-bar, dass diese Sanierung auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Einwoh-ner zielt. Die teure Wohnungen und die Kommerzialisierung der Lage beim Entstehen Einkaufszentren, Unterhaltungsmöglichkeiten und luxuriösen Bürogebäude richten sich ausschließlich an höhere Klassen. Die Gentrifi zierung und jede Stadterneuerung-skonzept sind markt- und gewinnorientierte Prozesse. Gleichzeitig aber realisieren sie die Ansprüche der Macht und der herrschenden Klasse, indem sie räumliche Aus-drücke der derzeitig politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen sind. Die sanierten und gentrifi zierten Gebiete sind strategische Ziele in der Geografi e der Macht.

1 Andrej Holm, “Raum, Macht und Stadterneuerung”, Die Restrukturierung des Raums - Stadterneuerung der 90er Jahren in Ost-Berlin: Interesse und Machtverhältnisse2 Neil Smith, The new urban Frontier, Gentrifi cation and the Revanchist City

kontrolle und überwachung

Kontrolle und Überwachung

„Ob man die Dichte einer Mauspopulation erhöhen will und gleichzeitig die Tiere in guten physischen Wohlbefi nden

zu bewahren, reicht es sie in unterschiedliche Kisten hinzulegen,damit sie einander nicht schauen können,

die Kisten sauberzumachen und ihnen Fressen geben. Auf dieser Weise kann man so viele Kisten er will stapeln.

Leider werden diese Tiere wegen dieser Gefängnisverhältnisse traurig,und hat dieses vollstopfende System furchtbare Kosten.“

Edward T. Hall, „The Hidden Dimension“, 19711

3.1 DIE PARADIGMEN DER LEPRA UND DER PEST

Nach Michel Foucault gibt es zwei wesentlichen Charakteristiken in Zusammenhang mit der Regierungsform. Foucault benutzt zwei Paradigmen um diese Charakteristiken darzustellen: die Lepra und die Pest. Das Beispiel der Lepra basiert auf die Auss-chließung; der Leprakranke wird aus der Stadt vertreibt. Nach diesem Modell haltet die „pure“ Stadt der Krank außer ihres Gebiets. Der Leprakranke verkörpert die „Rituale der Ausschließung“. Auf die andere Seite ist das Modell der Pest das komplette Ge-genteil. Wenn die Pest in einer Stadt ausgebrochen ist, ist es unmöglich die Kranken außer dem Stadtgebiet zu transportieren. In diesem Fall entsteht im Rahmen der Stadt eine sehr strenge räumliche Aufteilung (strict spatial partitioning). Jeder Einwohner hat ein Festplatz, um sicherzustellen, dass alle gesehen und überwacht werden können. Das Pest-Modell schafft einen disziplinären Mechanismus, der einen aufgeteilten und fragmentierten Raum mit ununterbrochener Überwachung voraussetzt. Der urbane Raum ist in Zonen und Bereiche aufgeteilt, jede Straße wird abgesperrt und überwacht.

Während der Leprakranke bei einem Ausschließungssystem abgelehnt wird, wird der Pestopfer eingeschlossen, überwacht und kontrolliert. „Der Leprakranke und seine Trennung; die Pest und ihre Aufteilung…Das Exil der ersten und die Verhaf-tung der zweiten Fall verkörpern unterschiedliche politische Träume. Der erste Traum ist von einer puren Gemeinde; der zweite von einer disziplinierten Gesellschaft.“2

Aber nach Foucault stehen diese zwei unterschiedli-

1 E. Hall, The Hidden Dimension, in Sieben Bücher der Stadtebau, Dimitris Karidis2 Michel Foucault, Discipline and Punish, the Birth of the Prison

Kontrolle und Überwachung

unterschiedlichen Fälle in Zusammenhang, ihre Kombination schafft sogar den Raum der Macht im Rahmen der Stadt. Irgendwann der Leprakranke wird als Pestopfer behandelt und umgekehrt1. Alle Mechanismen der Macht, die um das abnormale Individuum herum angeordnet werden, werden von diese zwei Regierungsformen zusammengesetzt. Dieser komplizierte Zusammenhang erklärt die Tatsache, dass die Zonen und die Grenzen innerhalb des urbanen Raums keine einseitige Bedeu-tung haben. Sie funktionieren als Ausschließung und Abtrennungsinstrumente aber gleichzeitig fragmentieren die Stadt und schaffen differenzierte, zersplitterte Bereiche.

3.2 AUGEN AUF DIE STRASSE2: KONTROLLARCHITEKTUR / KONTROLLSTÄDTE-BAUIn seinem Buch „Städtebau“ (1925) stellt Le Corbusier den Plan einer „zeitgenössis-chen“ Stadt vor, den „Plan Voisin“ auf Paris. Um die geforderte Restrukturierung der Stadt durchführen zu können, muss das historisch gewachsene Zentrum abgerissen werden, damit die Möglichkeit einer neuen, übersichtlichen Ordnung zu schaffen. Auf dieser neugeschaffenen Tabula Rasa sollte dann die „zeitgenössische“ Stadt errich-tet werden. Die Stadtstruktur wird von überdimensionalen Hauptstraßen und Hoch-hausbebauung geprägt. Durch den letzten steigt einerseits die Einwohnerdichte, und andererseits wird die „Versorgung“ mit Licht und Luft sichergestellt. Die Überwachung der Hochhäuser soll Tag und Nacht durchgeführt werden3. Der Verkehr soll über die großen Schnellstraßen, die rechtwinklig die Stadt durchziehen, geregelt werden. Was fehlt ist die öffentliche Räume, an denen sich soziale und politische Aktivitäten ent-wickeln können. „Wo früher ein zentraler Platz oder Markt gewesen wäre, befi ndet sich bei Le Corbusier das Verkehrszentrum, und auch die Zahlreichen Sport- und Erhol-ungsmöglichkeiten, die die Wohngebiete für die Freizeit bereit hielten, können den Ver-lust einer eigenen öffentlichen Sphäre nicht ausgleichen“, schreibt Norbert Huse. Im Wesentlichen geht es um eine kommunikationsfeindliche Architektur und Städtebau.

Die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Waren, die soziale und ökonomis-che Ausgrenzung, die ständige Wertminderung und Verschlechterung verschie-denen Stadtquartiere, die Verdrängung Bevölkerungsgruppen im Rahmen ein-er neoliberalen, marktorientierten Politik lösen Reaktionen und Widerstand aus.

1 Giorgio Agamben, Metropolis, www.voidmanufacturing.wordpress.com2 Jane Jakobs, The death and Life of Great American Cities, 19613 Leonardo Benevolo, Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts

Kontrolle und Überwachung

Weil, „wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr gerade deswe-gen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht1.“ (m.f. Der Wille zum Wis-sen) Die herrschende Klasse ergreift Maßnahmen um ihre Macht zu bewahren und zu vergrößern. Diese Maßnahmen überwachen, kontrollieren und bestrafen. Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass es um fast die Militarisierung des urbanen Raums geht. Die Pest, -in anderen Worten die Widerstand, der Protest, die Revolte- ist eine Form der Anarchie und ihr medizinisches und politisches Antidot ist die Disziplin. Die Proteste und die Demonstrationen, der Widerstand der Empörte und Unterge-drückte unterbrechen die Ordnung. Deswegen ist die weitere Organisierung der Überwachung und der sozialen Kontrolle eine Notwendigkeit. Benthams Panopti-kum ist heute mehr als aktuell. Seine Logik erstreckt sich über die ganze Stadt und seine Systematik sichert die Macht und verbessert ihre Durchsetzung. Der Einwoh-ner der Großstadt wird gesehen und beobachtet, aber er kann selbst nicht diese Macht sehen. Er setzt sich nur mit den Vertretern (Polizei) dieser Macht ausein-ander, aber das Netz der Kontrolle ist unsichtbar. Wie im Panoptikum ist er das Ob-jekt der Information und nie das Subjekt der Kommunikation. „Die Macht muss sich-tbar, aber uneinsehbar sein2“ –dadurch wird sie automatisiert und entindividualisiert.

Die „roten Zonen“, zum Beispiel, sind eine übliche Maßnahme und werden in wich-tige internationale Konferenzen benutzt, um die Sicherheit zu verstärken. Diese Zonen repräsentieren ein Modell der urbanen Sicherheit, typisches Charakteristikum einer Fort-Stadt, wo die Macht ihre Fähigkeit zu kontrollieren und überwachen zählt. Des Weiteren sind die roten Zonen der Leitbild der zukünftigen Großstadt, wo der wesentliche öffentli-che Raum fehlt und die materiellen und visuellen Hindernisse herrschen. Die roten Zonen haben die umgekehrte Funktion des Gefängnisses, indem sie den Eingang und nicht den Ausgang verhindern3. (Salvatore Verde, Massima sicurezza. Dal carcere speciale allo stato penale, 2002) Der öffentliche Raum wird im Wesentlichen ein Freiluftgefängnis.

Die Shopping Malls sind im Allgemeinen repräsentative Beispiele der Kontrollarchitektur. Innerhalb der riesigen Einkaufszentren in New York und Hong Kong zum Beispiel wird die ohne-Ziel-Wanderung und Halt verboten. Im Gegensatz wird der Halt nur für das Konsum-ieren erlaubt4. Die Transparenz dieser Gebäude funktioniert als ein neues Panoptikum: jeder Beobachter kann auf einen Blick so viele unterschiedliche Individuen beobachten.

1 Michel Foucault, Der Wille zum Wissen2 Michel Foucault, Discipline and Punish, the Birth of the Prison

3 Salvatore Verde, Massima sicurezza. Dal carcere speciale allo stato penale, 2002

4 Thanasis Tsitsas, Orange Alert, Eleftherotipia Zeitung, 17-11-2002

Kontrolle und Überwachung

Dieses transparente Panoptikum ermöglicht jeden Einwohner zu beobachten wie die Macht ausgeübt wird. Des Weiteren ist der Innenraum des Einkaufszentrum ein abstrak-ter, homogener Raum –fast ein Nicht-Ort. Das Panoptikum Mall überwacht und reguli-ert das Verhalten. Der Nutzer ist „frei“ zu konsumieren, das ist der Regel. Der Welt des Malls ist eine virtuelle, künstliche Realität, abgeschnitten von den Problemen des Alltags, eingeschlossen und strukturiert so, dass die Marktwirtschaft einwandfrei funktioniert.

Die sichere Stadt, die eine einwandfrei Funktion zu ihren –privilegierte- Einwohnern gewährt, besteht bestenfalls ausschließlich aus Glas und Licht1. Gebäude, Anlage, die Stadt im Allgemeinen sind von dem Panoptikonsprinzip geprägt. Foucault beze-ichnet das Panoptikum als eine wundersame Maschine, die von einer „Ordnung des Lichts“ und der Sichtbarkeit bestimmt wird. Das Panoptikum stellt eine direkte Beziehung zwischen Machtsteigerung und Produktionssteigerung her. Die Architek-tur der Panoptikum-Gebäude erspart Kosten, die entstehen, wenn man mehr Per-sonal, Material und Zeit bei der Überwachung aufwenden muss. Eine panoptische Machtarchitektur ist unsichtbar und diskret –d.h. sie verursacht verringer Widerstand-, intensiv und lückenlos. Sie beobachtet die Einwohner, kontrolliert die Kinder und überwacht den Arbeiter. Des Weiteren schleißt sie aus oder bestraft jedes Verhalten, das gegen die Normalisierungsmacht verstößt. Auf dieser Weise erleidet die Bev-ölkerung der Großstadt eine immer intensive Abgrenzung und natürlich Polarisierung.

Die Segregation und die Verdrängung der niedrigen sozialen Schichte vom öffentlichen Raum sind besonders offensichtlich auf die Straßen. William Whyte betont, dass die Qualität einer urbanen Umwelt gemessen werden kann, ob bequeme und angenehme Sitzplätze für Fußgänger vorhanden sind2. Der zersplitterte, kommerzialisierte und voller Nutzungen öffentliche Raum ist unfreundlich gegenüber die arme Einwohner oder Besucher. Dieser Raum ist im Wesentlichen ein Konsumsziel und gleichzeitig funktioniert als eine Zone, die die Verkehr begünstigt und die Aufenthalt ohne Konsumieren –nämlich ohne Geld- verhindert und des Weiteren verhindert die Kommunikation zwischen den Fußgänger.

Die Sicherheitsansprüche werden nicht nur durch die Polizeipräsenz, die For-tifi kationsstrategien und die audiovisuelle Überwachung erfüllt, sondern auch durch Gebäude und Raumplanung. Die Sicherheit der Stadt, nämlich die Ver-hinderung, oder Unterdrückung der Reaktionen gegen der Macht der herrschen-den Klasse, setzt die Zerstörung jeder demokratischen urbanen Raum voraus.

1 Zinganel Michael, Architecture of fear, zur Diffusion aggloamerikanischer Sicherheitsdiskurse durch

frauengerechte Stadtplanung, dérive - Zeitschrift für Stadtforschung- Ausgabe 45

2 William Whyte, The social life of small urban spaces, in Davis Fortress Los Angeles

Kontrolle und Überwachung

Der öffentliche Raum wird innerhalb und zwischen der neuen Megastrukturen und Malls verlagert. Die öffentlichen Aktivitäten werden von Bürogebäuden, transparenten Einkaufszentren und Kulturanlagen umschlossen, und in funk-tionellen Teilen sortiert, immer unter der Überwachung der Polizeipräsenz. Diese architektonische Privatisierung des öffentlichen, urbanen Raums wird auch von der Entstehung eines elektronisch überwacht Raums begleitet.

Das Zentrum der modernen Großstadt wird saniert und gentrifi ziert, um ein neuer homogener und gleichzeitig sicherer und ruhiger Bild zu präsentieren. Es geht um eine Neutralisierung der Räume. (Richard Sennett, Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds) „Räume, die die Bedrohung durch sozialen Kontakt auss-chalten: Straßenfronten aus Spiegelglas, Autobahnen, die arme Stadtviertel vom Rest der Stadt abtrennen, Siedlungen, die nur als Schlafstädte taugen1“. In einem Artikel des Magazins „Urban Land“ wird die Abbildung der sanierten Lage, un-terworfen der „gesichtslose“ Macht der Überwachung, vorgestellt2 (Mike Davis): „Ein Stadtzentrum kann konstruiert und entwickelt werden, so dass die Besucher sich davon angezogen fühlen und dieses als ein Ort für „respektable Menschen“ wie selbst be-trachten… Ein Stadtkern, der kompakt und besonders entwickelt und multifunktionell ist, mit Büros und Wohnungen für Einwohner mit mittleren und höheren Einkommen…kann ein hohes Prozent von „respektablen“ und Gesetze befolgenden Fußgänger sicherstellen.“

1 Richard Sennett, Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds, 19942 Mike Davis, Fortress L.A. The Militarization of Space

schluss

Schluss

Die Raumbeziehungen setzen das Existieren sozialer Beziehungen voraus und die sozialen Beziehungen sind im Wesentlichen Klassenbeziehungen im Rah-men des Kapitalismus. Die herrschenden Klassen manipulieren den gesicht-slosen und abstrakten Raum der Großstadt, um er ihre politischen und ökonomis-chen Interessen einwandfrei zu dienen. Dieser abstrakte Raum ist ein erdachter Raum, der den Alltag und das Leben der Einwohner ordnet und strukturiert, du-rch die Gestaltung der Stadtgefüge. Er ist der zwei-dimensional Instrument der Macht und ihre Durchsetzung, das plant, reguliert, kontrolliert, teilt und herrscht.

Die Struktur der modernen Metropolen ist ein globalisiertes Instrument des Kapital-markts. Durch eine Kontrollstädtebau und eine Kontrollarchitektur werden solche Mechanismen und Strategien sich entwickelt, die die Durchsetzung der Macht sich-erstellen und verbreiten innerhalb des Stadtgefüges. Die Zone funktioniert als eine biopolitische Grenze. Sie teilt, grenzt ab, schließt aus, kontrolliert den Ein- und Aus-gang. Sie setzt eine homogenisierte Ordnung über den Einwohner durch. Sie trennt die armen Stadtbereiche von der Stadt und diese Ausschließung ist der Beginn ihrer Verschlechterung. Sie teilt die Funktionen und die Nutzungen innerhalb der Stadt und fragmentiert selbst ihre homogenisierte Oberfl äche. Bestimmt klingt paradox, aber der kapitalistische, urbane Raum ist von dieser Dualität geprägt. Homogenisiert in sein-en Strategien, Mechanismen und Zielen, aber fragmentiert, wenn diese Mechanis-men umgesetzt werden muss. Eine Zerstückelung des erlebten, alltäglichen Raums kreiert eine fragmentierte Erfahrung der Stadt. Der Einwohner erfährt Fragmente der Stadtrealität und ist nicht in der Lage das ganze „Bild“ wahrzunehmen. Also die Problemen des Alltags, die Problemen dar Stadt werden auch zersplittert wahrgenom-men, d.h. es ist fast unmöglich zu verstehen, dass diese Problemen eng verknüpft miteinander sind, oder auseinander und aus einen homogenisierten Ziel stammen. Der Einwohner der modernen Stadt wohnt im Vorort und arbeitet im Zentrum. Jeden Tag fährt er die Ghettobereiche des Zentrums vorbei. Das Bild stört ihn. Aber sobald er am Wochenende in den Shopping Mall eintritt, vergisst er alles. Zurzeit verdient genug Geld um zu glauben, dass er zu dieser Konsumwelt gehört. Er hat keine Ah-nung, oder er ist daran gewöhnt, dass er wird beobachtet und überwacht. Außer-dem die Kontrolle und die Überwachung bieten Sicherheit, von Straßennomaden, von Migranten, von Dieben, von Terroristen. Vielleicht hat er auch fi nanzielle Prob-leme, oder persönliche Probleme wegen des Arbeitsaufwands, aber diese sind etwas Normales. Und wenn er sich empört fühlt, wird er blinder als er schon ist. Weil die Macht, die den Raum herrscht, unsichtbar ist, homogenisiert, aber auch zersplittert.

Literaturverzeichnis

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