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Weltbilder im Mittelalter Perceptions of the World in the Middle Ages

Philipp Billion, Nathanael Busch, Dagmar Schlüter, Xenia Stolzenburg (Hg.): Weltbilder im Mittelalter – Perceptions of the World in the Middle Ages, Bonn 2009

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Weltbilder im Mittelalter•

Perceptions of the World in the Middle Ages

Weltbilder im Mittelalter

Perceptions of the World in the Middle Ages

Im Namen der Jungen Marburger Mediävisten herausgegeben von

Philipp Billion, Nathanael Busch, Dagmar Schlüter und Xenia Stolzenburg

Bernstein

Publiziert mit Unterstützung durch das Promotionskolleg für Geistes- und Sozialwissenschaften

der Philipps-Universität Marburgund den Marburger Universitätsbund e.V.

Bibliografi sche Information Der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Datensind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Bernstein-Verlag, Gebr. Remmel • Bonn 2009Postfach 1968, D-53009 Bonn • www.bernstein-verlag.de

Umschlaggestaltung: Philipp BillionUmschlagabbildung: Portulankarte des Battista Beccarius aus dem Jahr 1426

(Bayerische Staatsbibliothek München, Cod.icon. 130)Druckvorlage: Nathanael Busch

Alle Rechte vorbehalten,insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortags

sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen,auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotographie, Mikrofi lm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesreproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Druck: Hubert & Co., GöttingenPrinted in Germany

ISBN 978-3-939431-19-0

Inhalt

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Peter BellRegent unter dem Himmel. Die Sala dei Mesi des Palazzo Schifanoia in Ferrara als Modell eines astrologischen Weltbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Christian Nikolaus OpitzWeltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder. Enzyklopädische Freskenzyklen in Repräsentationsräumen des 13.–15. Jahrhunderts . . . . . . . 29

David AlbertsonMapping the Space of God. Mystical Weltbilder in Nicholas of Cusa and the Structure of ›De ludo globi‹ (1463) . . . . . . . . . . . 61

Christiane HilleApollo off the Track. England in Transgression of a Kinetic World-Picture . 83

Josef BordatMorus, Campanella, Bacon. Utopien im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Regina JuckniesDie Welt in einer Handschrift. Zeitenrechnung und Zeitberechnung auf Island am Beispiel der Sammelhandschrift AM 415, 4to . . . . . . . . . . . . . 123

Meike PfefferkornDie Natur als Gradmesser. Natur- und Wunderberichte in der ›Sächsischen Weltchronik‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Gesine MierkeDie Konstruktion der Welt in der ›Weltchronik‹ des Jans Enikel . . . . . . . . . . 149

Thomas HorstThe Voyage of the Bavarian Explorer Balthasar Sprenger to India (1505/1506) at the Turning Point between the Middle Ages and the Early Modern Times: His Travelogue and the Contemporary Cartography as Historical Sources . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Einleitung

»Weltbilder im Mittelalter/Perceptions of the World in the Middle Ages« standen im Zentrum eines Kolloquiums internationaler Nachwuchswissenschaftler, das vom 9. bis 11. März 2007 in Marburg an der Lahn stattfand. Der Fokus des Kollo-quiums orientierte sich an Notker dem Deutschen, der das lateinische Begriffspaar imago ideaque mundi mit »Weltbild« (uuérlte gescáft únde bílde) übertrug.1 Die Beiträge des Kolloquiums thematisieren sowohl die Visualisierung der Welt, etwa in italienischen astrologischen Freskenprogrammen, als auch die Wahrnehmung der Welt, beispielsweise in einer isländischen Miszellanhandschrift des Hochmit-telalters. Dabei geht es nicht alleine um die Frage, wie die Welt rezipiert wurde, sondern wie durch Verwendung antiker, mythischer und religiöser Symbole die eigene Welt konstituiert wurde. Die Erforschung von Weltbildern muss naturge-mäß die Grenzen der eignen Teildisziplin und der eigenen Forschungstradition überschreiten. Das Thema der Tagung ist deshalb in einer Schnittmenge zwischen Literaturwissenschaften, Kunstgeschichte, Kartographiegeschichte, Geographie, allgemeiner Geschichte und Semiotik zu lokalisieren und eröffnet Forschern un-terschiedlicher Fachgebiete die Möglichkeit des wechselseitigen Austauschs. Ein-gedenk der ohnehin durchlässigen Epochengrenzen beschränken sich die Beiträge dieses Bandes nicht auf das Mittelalter, sondern schließen auch die Frühe Neuzeit ein.

Der Schwerpunkt der den Band eröffnenden Abhandlungen liegt auf der vi-suellen Darstellung von Weltbildern vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. Peter Bell untersucht das astrologische Weltbild eines Freskenprogramms aus dem 15. Jahrhundert in der Sala dei Mesi des Palazzo Schifanoia in Ferrara. Es wird verdeutlicht, wie sich der Auftraggeber dieses Bildprogramms mithilfe der Plane-tendarstellungen, Zodiakus und Monatsarbeiten zu verherrlichen und zu legiti-mieren vermag. Zudem werden in dem gemalten »Einjahreskalender« Werke des antiken Dichters und Astrologen Manilius verarbeitet und möglicherweise durch erneuerbare Inschriften immer auf den aktuellen Stand gebracht. Bislang rätsel-haft gebliebene Unstimmigkeiten des Programms können nun durch Planänderun-

1 Notker der Deutsche, Martianus Capella, ›De nuptiis Philologiae et Mercurii‹, hg, von James C. King (Die Werke Notkers des Deutschen 4; Altdeutsche Textbibliothek 87), Tübingen 1979. Zum Begriff vgl. allgemein die Beiträge in den Sammelbänden: Hans Gebhardt, Helmuth Kiesel (Hg.), Weltbilder (Heidelberger Jahrbücher 47), Berlin/Hei-delberg 2004; Heinz-Dieter Heimann, Martin M. Langner, Mario Müller, Birgit Zacke (Hg.), Weltbilder des mittelalterlichen Menschen (Studium Litterarum 12), Berlin 2007.

VIII Einführung

gen während der Ausmalung erklärt werden. Um enzyklopädische Freskenzyklen in Repräsentationsräumen des 13.-15. Jahrhunderts geht es in dem Beitrag von Christian Opitz. Überlieferte und aus Texten rekonstruierte Freskenzyklen ste-hen im Zentrum der Untersuchung von Weltbildern, Bildräumen und Gedächtnis-bildern. Hier wird interdisziplinär zwischen Schriftquellen wie der Weltchronik ›Livre de la Mutacion de Fortune‹ von Christine de Pizan und enzyklopädischer Raumausmalung wie den Wandmalereien des mittelenglischen Longthorpe Tower die Frage nach der Funktion enzyklopädischer Bildprogramme in dieser Zeitspan-ne gestellt.

Visualisierungsstrategien von Weltbildern stehen auch im Zentrum des Bei-trags von David Albertson. Er analysiert den mystischen Traktat ›De ludo globi‹ des Nikolaus von Kues von 1463, der die Beziehung der Menschen zu Christus durch die Position eines Balls auf einem komplexen Spielfeld symbolisiert.

Die beiden folgenden Beiträge thematisieren den engen Zusammenklang eines Gegenwartsbezugs und der konkreten Darstellung von Weltbildern in künstleri-schen oder utopischen Kontexten: Christiane Hille befasst sich mit der räum-lichen Veranschaulichung von Weltbildern im England des 16. und frühen 17. Jahrhunderts in Form des höfi schen Maskenspiels. Durch die Maskenspiel-Ins-zenierungen, in deren Mittelpunkt der König stand, wurden gleichermaßen kos-mische, politische und soziale Ordnungen präsentiert und propagiert. Unter die-sem Aspekt wird in dem Beitrag eine Veränderung der Weltanschauung und des Herrscherkonzepts zwischen den Regierungen James’ I. und Charles’ I. aufgezeigt. Der Umschlagspunkt zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem Denken, wie er sich in den utopischen Gesellschaftsentwürfen von Thomas Morus, Tomma-so Campanella und Francis Bacon zeigt, steht im Zentrum der Untersuchungen von Josef Bordat. Diese seien nicht nur als bloße Phantasiegebilde zu verstehen, sondern in Bezug auf ihre jeweilige Gegenwart. Dem Individuum, das gern als Paradigma der neuen Zeit gesehen wird, komme dabei allerdings eine nur un-tergeordnete Rolle zu, da »die ganzheitlich gedachte Nutzenmaximierung« nicht von diesem her, »sondern als nicht-hinterfragbares Werk eines Gründungsvaters konzipiert« werde (S. 120).

Vom Weltbild der Utopien zum Weltbild einer Handschrift führt der Beitrag von Regina Jucknies, der eine Perspektive aus dem hohen Norden bietet. Es wird eine isländische Miszellanhandschrift aus dem 14. Jahrhundert vorgestellt, die an-nalistische, komputistische, genealogische und weitere enzyklopädische Texte auf Altnordisch und Latein enthält. Sie bildet – in ihrer Gesamtheit betrachtet – einen Ausschnitt der gelehrten isländischen Weltsicht.

Mit Chroniken und Reiseberichten erschließen die drei letzten Beiträge einen weiteren Quellenbereich der Weltbilder. Zunächst setzt sich Meike Pfefferkorn mit den Natur- und Wunderberichten der Rezension C der ›Sächsischen Welt-chronik‹ auseinander. Es kann gezeigt werden, wie durch diese Berichte politische Geschichte ausgedeutet und in Heilsgeschichte eingeordnet wird. Dies erreicht der Text auch durch die Einordnung der Darstellung der Bildtradition der ›Apokalyp-

IXEinführung

se‹. Ebenfalls um Erschütterungen der Gegenwart geht es im Aufsatz von Gesine Mierke über die außergewöhnliche ›Weltchronik‹ des Jans Enikel. Diese sei ein Raum, »in welchem Ordnungsmuster und Weltvorstellungen neu verhandelt wer-den« (S. 152). Anders als bei der ›Sächsischen Weltchronik‹ werden die Ereignisse nicht übertragen als Elemente einer Heilsgeschichte verstanden, vielmehr weise die Thematisierung von Laster- und Sündhaftigkeit auf eine gestörte Ordnung hin. Durch seine überraschend bizarren und doch unterhaltsamen Geschichten gelinge es Jans Enikel, auf die verworrenen Verhältnisse seiner Zeit aufmerksam zu ma-chen. Der Band schließt mit einem Blick auf das Bild fremder Welten von Thomas Horst: Er wirft ein Schlaglicht auf den bayerischen Indienreisenden Balthasar Sprenger, der 1505 bis 1506 auf einem Schiff in der Flotte des portugiesischen Ad-mirals Francisco de Almeida segelte. Die Reisebeschreibung Sprengers gilt als eine der ersten ihrer Gattung, die in deutscher Sprache über Afrika und Indien berich-tet. Sprengers Bericht und sein Nachwirken auf die zeitgenössische Kartographie stehen im Zentrum der Untersuchung.

Stellvertretend für die Jungen Marburger Mediävisten, den Organisatoren der Tagung, sind wir verschiedenen Personen und Institutionen zu Dank verpfl ichtet: Für die fi nanzielle und ideelle Unterstützung sowohl des Kolloquiums als auch des daraus entstandenen Tagungsbandes danken wir dem Promotionskolleg für Geistes- und Sozialwissenschaften der Philipps-Universität Marburg, insbesonde-re Herrn Professor Dr. Ulrich Winter, der ehemaligen Geschäftsführerin, Frau Dr. Susanne Igler, sowie der jetzigen, Frau Nadine Chmura. Der Marburger Univer-sitätsbund steuerte freundlicherweise einen Teil zur Finanzierung dieses Bandes bei.

Bei der Redaktion war uns die tatkräftige und umsichtige Mitarbeit von Dagmar Bronner eine sehr große Hilfe. Ihr sei dafür von Herzen gedankt. Die praktische Durchführung des Kolloquiums unterstützten Franziska Schröder und Christian Schlüter. Schließlich danken wir dem Bernstein-Verlag, Bonn, für die Aufnahme des Bandes in sein Verlagsprogramm.

Marburg, im September 2008 Die Herausgeber

Regent unter dem Himmel Die Sala dei Mesi des Palazzo Schifanoia in Ferrara

als Modell eines astrologischen Weltbildes*

Peter Bell

Ein astrologisches Weltbild kann sich anschaulicher als jede abstrakte Theologie als himmlische Ordnung ausgeben. Sterne werden zum interpretierbaren Stern-bild verbunden. Als berechenbare, reale Bildpunkte bilden sie einen Anker für das Netz an Konstruktionen, das über ihnen aufgespannt wird. Für den Astrologie-gläubigen erscheint der Sternenhimmel selbst als Weltbild im Sinne einer Refl ekti-on:1 Das Sternzeichen Widder teilt mit dem irdischen Widder den Charakter. Der Widder wird in den Himmel projiziert und spiegelt nun von dort sein Wesen in bestimmten Positionen auf die Erde zurück, so dass der Astrologe vom Einfl uss des Widders auf Ereignisse und Menschen spricht. Ob dieses direkt am Himmel montierte Weltbild für seine Anhänger nur metaphorische Analogie, zwischenge-schaltete Emmanation oder Gottheit selbst ist, kann hier selbst für den konkreten Zusammenhang nicht gezeigt werden. Das Weltbild der d’Este lässt sich ebenso wenig aus der Sala dei Mesi ableiten. Das Freskenprogramm der sala grande des Palazzo Schifanoia soll hingegen im Folgenden als modellhafte Repräsentation des zugrundeliegenden astrologischen Weltbildes untersucht werden. Dieses Pro-gramm können wir ohne tautologisch zu werden als ein Weltbildbild bezeichnen und damit als ein Modell.

Neben der Frage nach der Funktion dieses Modells ist zu prüfen, ob die Visu-alisierung des Weltbildes in den Raum hinein überhaupt als gelungen betrachtet werden kann. Auch wenn uns einige Gelehrte oder Quellen, die das Konzept bil-deten, identifi zierbar scheinen und dessen beschädigtes Modell auf uns gekom-men ist, bleibt das Weltbild selbst eine schwer rekonstruierbare Leerstelle. Dabei mag die Suche danach trotzdem ein probater Zugriff auf ein derart komplexes Programm sein, da so weniger die Gefahr besteht, sich in Detailuntersuchungen

* Für Anregung und Rat danke ich besonders Marcus Kiefer, Ingo Herklotz, Lutz Heusinger, Wolfgang Hübner.

1 Eine solche Repräsentation trifft nach Heidegger nicht den Wortsinn von Weltbild: »Welt-bild wesentlich verstanden, meint daher nicht ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild begriffen.« Martin Heidegger, Holzwege, Frankfurt a. M. 1963, S. 82.

2 Bell

zu verlieren und der von Warburg in seinem Vortrag über den Palazzo Schifanoia geforderte »Rundumblick« angestrebt werden kann.

1 Enigma Schifanoia. Wiedereintritt bei Aby Warburg

1466 beauftragte Borso d’Este, Fürst von Ferrara und Herzog von Modena und Reggio, seinen Hofbaumeister Pietro Benvenuti dagli Ordine, den 1385 errichte-ten Palazzo Schifanoia aufzustocken. Innerhalb des neuen Geschosses entstand eine sala grande, die von einer Gruppe Ferrareser Künstler2 im Rahmen der Reno-vierungsarbeiten vollständig ausgemalt wurde (Abb. 1). Die Umbauten scheinen Ende 1469 abgeschlossen worden zu sein,3 so dass dem zwei Jahre später verstor-benen Herzog nur noch kurze Zeit zur Nutzung des Palazzo blieben und damit uns nur wenig über dessen Funktion während dessen Regentschaft bekannt ist. Danach sank der Bau wieder in den Status eines Gästehauses. Im 18. Jahrhundert wurde er zur Tabakfabrik umfunktioniert, die Fresken übertüncht und erst im 19. Jahrhundert aus historistischen Motiven – man benötigte Kostümvorlagen für den Karneval – wieder freigelegt.

Mit einer Fläche von 24 × 11 m und der Höhe von 7,5 m bietet der Saal Raum für die zwölf Felder mit den Tierkreiszeichen sowie für auf Illusionismus angelegte Stadtansichten (Abb. 2) und ritterliche Szenen (Abb. 3), die mit den klar struk-turierten Zodiakusfeldern keinerlei kompositorischen oder thematischen Bezug erkennen lassen. Von den zwölf Zodiakusfeldern sind lediglich sieben erhalten

2 Die Zuschreibung zu einzelnen Händen konnte bis heute nicht vollständig geklärt werden. Hierzu Fritz Harck, Die Fresken im Palazzo Schifanoia in Ferrara, in: Jahrbuch der preussischen Kunstsammlungen 5 (1884), S. 99–127; Roberto Longhi, Offi cina ferra-rese, Rom 1934; Kristen Lippincott, Gli affreschi del Salone dei Mesi e il problema dell’attribuzione, in: Ranieri Varese (Hg.), Atlante di Schifanoia, Modena 1989 als wichti-ge Etappen der langen Diskussion, in der Cosmé Tura von Ercole Roberti verdrängt wur-de. Siehe auch Cesare Gnudi, Il Salone dei Mesi del Palazzo di Schifanoia, in: Eugenio Riccòmini (Hg.), Affreschi Ferraresi, Restauri e acquisizioni per la Pinacoteca Nazionale di Ferrara, Bologna 1973; Salvatore Settis, Walter Cupperi (Hg.), Il Palazzo Schifa-noia a Ferrara. The Palazzo Schifanoia in Ferrara, Modena 2007.

3 Die Entstehungszeit des Freskos ist nach dem Beginn der Aufstockung des Palazzos 1466, dem Einzug Borsos am 17.10.1469 und einem Brief Cossas vom 25.03.1470 als terminus ad quem recht exakt zu datieren. Charles M. Rosenberg, Art in Ferrara during the reign of Borso d’Estes. 1450–1471. A study in court patronage, Michigan 1981, S. 174 geht davon aus, dass der Fürst nicht unter laufenden Arbeiten einziehen würde. Zum Brief Cossas, der als eine Inkunabel künstlerischer Emanzipation verstanden wird, siehe u.a. Charles M. Rosenberg, Francesco Del Cossa’s Letter Reconsidered, in: Musei Ferrare-si 5 (1975), S. 11–15.

3Regent unter dem Himmel

Abb. 1: Obergeschoss des Palazzo Schifanoia und Schema der Sala dei Mesi

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Abb. 3: Nordwand (Detail) TurnierszeneAbb. 2: Südwand (Detail) Stadtansicht

(Abb. 4 und 5),4 von denen sich jedes in drei Register teilt: Im obersten thront ein olympischer Gott auf einem Triumphwagen. Im mittleren Register erscheint je ein Tierkreiszeichen mit den ihm zugehörigen Dekanen5 und der untere, meist stark beschädigte Bereich, ist von höfi schen und ländlichen Szenen geprägt, deren Mittelpunkt die Erscheinung und Handlungen des Herzogs bilden. Im Gegensatz zur Übersichtlichkeit der beiden anderen Register erscheint hier eine verwirrende Fülle an Akteuren, Handlungen und eigenwilligen Raumbrüchen.

Schon Jakob Burckhardt charakterisierte die Sala dei Mesi kurz im Cicerone: »Das Ganze ist wieder eine von jenen astrologisch-sinnbildlichen Encyclopädien [...], in deren Geheimnisse zu sein das Glück der damaligen Gebildeten war.«6

Aby Warburg konnte sich hingegen nicht mit einer derart allgemeinen Einord-nung abfi nden und investierte mehrere Jahre in seine ikonologische Analyse des Freskenprogramms, deren Ergebnisse er 1912 auf dem internationalen Kunsthis-

4 Die fünf anderen Felder sind noch in situ erahnbar und auch im Katalog Mauro Na-tale (Hg.), Cosme Tura e Francesco del Cossa, L’arte a Ferrara nell’età di Borso d’Este, Ferrara 2007 und im Atlante (wie Anm. 2) abgebildet.

5 Dekane gliedern jedes Sternzeichen in drei Teile, wodurch jeder der 36 Dekane 10° des Zodiakus beansprucht. Siehe Wilhelm Gundel, Dekane und Dekansternbilder. Ein Bei-trag zur Geschichte der Sternbilder der Kulturvölker, Hamburg/Glückstadt 1936.

6 Jacob Burckhardt, Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens, 3. Aufl ., Ea. 1860, Leipzig 1874, S. 891.

5Regent unter dem Himmel

Abb. 4: Ostwand (von rechts nach links) Athene, Venus, Apoll

torikertag in Rom vorstellte.7 Sein Vortrag skizzierte zum einen eine Entwicklungs- und Ausbreitungsgeschichte der Astrologie seit der Antike8 am konkreten Beispiel der Dekane, die er in der Mittelzone des Zyklus erkannte. Zum anderen konnte Warburg auch die obere Zone mit den olympischen Göttern durch die ungewöhn-liche Verwendung des astrologischen Lehrgedichts des Marcus Manilius – den »Astronomica« – erklären. Denn nur diese Quelle stellt nicht die Planetengötter über den Tierkreis, sondern lässt die zwölf römischen Hauptgötter über die Stern-zeichen herrschen.

7 Aby Warburg, Die Erneuerung der heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance, Reprint der von Gertrud Bing editierten Ausgabe von 1932, hg. von Horst Bredekamp und Michael Diers, Berlin 1998. Die Genese des Textes erfolgte in drei Schritten: der Vortrag 1912, in dem Warburg erstmals seine Me-thode als ›ikonologisch‹ bezeichnet, der Aufsatz 1922 und die Edition von Bing 1932 mit den umfangreichen Anmerkungen von Jaffé; zur weiteren Verbreitung und Übersetzung siehe die Warburgbibliographie von Dieter Wuttke, Aby M. Warburg-Bibliographie 1866 bis 1995. Werk und Wirkung, mit Annotationen, Baden Baden 1998 und die zahlrei-chen Arbeiten von Marco Bertozzi v. a. La tirannia degli astri, gli affreschi astrologici di Palazzo Schifanoia, Livorno 1999.

8 Warburg konnte dabei besonders auf die Arbeiten von Franz Boll zurückgreifen, der die Astrologieforschung um die Jahrhundertwende belebte und stand zu ihm in persönlichem Kontakt, »um ein üppiges astrologisches ›Kohlfeld‹ zu bebauen«; zitiert nach Dorothea McEwan, Ausreiten der Ecken. Die Aby Warburg – Fritz Saxl Korrespondenz 1910 bis 1919, hg. von Nicolas Mann und Martin Warnke, Hamburg 1998, S. 19; Franz Boll, Sphaera. Neue griechische Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Sternbilder, Leipzig 1903.

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7Regent unter dem Himmel

Gleichzeitig begründete er damit ein Interesse für astrologische Weltbilder, welches seine Kollegen Fritz Saxl, Erwin Panofsky und Edgar Wind9 teilten und das noch heute in den Publikationen des Warburg Institute nachwirkt. Trotz aller berechtigter Kritik an der Ikonologie weist sie sich in Warburgs Vortrag als ein gutes Werkzeug zur wechselseitigen Annäherung an ein Weltbild zwischen Quelle und Bildmedium aus.

Umfangreiche Arbeiten zur Regierungszeit und Patronage Borso d’Estes ergeben einen deutlich verbesserten Ausgangspunkt, als er von Warburg vorgefunden wurde. Zum Programm selbst ist die zu Unrecht wenig beachtete Dissertation von Lippincott, die genaue Aufnahme des Raumes im Atlante di Schifanoia und schließlich Dieter Blumes Beitrag über Planetendarstellungen des Mittelalters zu nennen.10

Trotzdem beschreiben neuere Einzeluntersuchungen die Sala dei Mesi immer noch als rätselhaft.11 Diese Unsicherheit ist aufgrund der großen Verluste inner-halb der Fresken und der wenigen Quellen, die über das Umbauprojekt und die Nutzung des Palazzo vorliegen, verständlich. Hinzu kommen jedoch auch Zweifel an Warburgs Entdeckung, die auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Iko-nologiekritik stehen mögen, und schließlich Schwierigkeiten, das hier repräsen-tierte Weltbild nachzuvollziehen. Symptomatisch dafür scheint der immer wieder auftretende Versuch, die von Warburg klar zugeordneten Figuren zusätzlich oder neu als Allegorien zu interpretieren. Das unsichere Terrain eines fremden Welt-

9 »Scholars such as Saxl, Panofsky, Seznec, Wittkower and Wind all owe an enormous debt to Warburg, but what it was – exactly – about Warburg or his work that led these men into a particular line of academic inquiry is hard to uncover.« Kristen Lippin-cott, Urania redux. A View of Aby Warburg’s Writings on Astrology and Art, in: Rich-ard Woodfi eld (Hg.), Art history as cultural history. Warburg’s projects, Amsterdam 2001, S. 151. Siehe auch Roland Kany, Die religionsgeschichtliche Forschung an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, Bamberg 1989, S. 36.

10 Werner L. Gundersheimer, Ferrara. The style of a renaissance despotism, Princeton 1973; Rosenberg, Ferrara (wie Anm. 3); Kristen Lippincott, The Frescoes of the Salone dei Mesi in the Palazzo Schifanoia in Ferrara. Style, Iconography and Cultural Context, (Ph.D. diss., University of Chicago) 1987; Ranieri Varese (Hg.), Atlante di Schifanoia, Modena 1989; Dieter Blume, Regenten des Himmels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance, Berlin 2000; obwohl Blume die Sala dei Mesi durch den Fokus seiner Arbeit auf die Planetenikonographie ausspart, ergeben sich daraus aufschlussreiche Vergleiche.

11 Von ›l’enigma di Schifanoia‹ sprach man in Italien spätestens seit Righinis gleichnamiger Warburgrezension; Giulio Righini, L’enigma di Schifanoia, in: Atti e Memorie della se-zione di Ferrara della Dep. di Storia Patria per l’Emilia e la Romagna, II (1944), S. 67–82; jener benutzte den Begriff jedoch schon während er »einen aufreibenden Kampf führ[t]e zu ihrer Enträtselung.« Carl Georg Heise, Persönliche Erinnerungen an Aby Warburg, hg. von Björn Biester, Hans-Michael Schäfer, Wiesbaden 2005. Dagegen Lippincott, Frescoes (wie Anm. 10), S. 57.

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bildes wird durch eine solche konventionelle kunsthistorische Deutung bewusst umgangen.

Zu diesen gegenwärtigen Schwierigkeiten bei der Dechiffrierung der Bilder tritt auch eine weitere bewusste oder unbewusste Erschwerung der Lesbarkeit innerhalb der Umsetzung vom Programm in den Raum. Schon Warburg erkannte den selbstbewussten Künstler als mögliche Störgröße12 zwischen Programm und Ausführung, wohingegen Burckhardt die Vorstellung einer bewussten Chiffrierung suggeriert: Die Idee einer intellektuelle Elite, die sich mit Hilfe des Geheimnisses zusammenschließt. Diese Auffassung kann schon an dieser Stelle ausgeschlossen werden. Die Fresken verhehlen zwar nicht ihre hohe Komplexität, präsentieren jedoch das Wissen unterhaltsam und in beinahe didaktischer Klarheit.13 Das Pro-gramm empfi ehlt sich geradezu, – dem Namen ›Schifa-noia‹ folgend – die Lange-weile zu vertreiben und zur Konversation und Ekphrasis anzuregen.

Um nicht schon an dieser Stelle dem »Enigma Schifanoia« zu erliegen, sollen drei Annahmen aufgestellt werden: Die Sala dei Mesi soll erstens als Modell ei-nes astrologischen Systems mit universalem Anspruch, aber lokaler Ausrichtung untersucht werden, als ein auf Ferrara zentriertes Weltbild. Wir gehen zweitens davon aus, dass dieses astrologische System aus den von Warburg ermittelten Quellen konzipiert wurde. Hinter dem Fresko ein astrologisches Weltbild zu ver-muten und es nicht nur als ›Collage‹14 zum Selbstzweck, bzw. ausschließlich als Teil höfi scher Panegyrik15 zu begreifen, ermöglicht es, einige kaum beachtete De-tails nicht als Zufall, sondern als Element der dem System inhärenten Logik zu se-hen. Schließlich wollen wir drittens den rätselhaften Charakter nicht mystifi zieren, sondern nur konstatieren, dass diverse Irritationen die Lesbarkeit des Program-mes behindern. Damit kann der Vergleich des aus den Quellen rekonstruierten astrologischen Systems mit den erhaltenen Teilen des Modells Hinweise auf bei der Visualisierung entstandene Schwierigkeiten geben.

12 Warburg bildet hierfür den Begriff der Auseinandersetzungsenergie – »a term he could use in contrast to the concept of genius« zitiert nach Ernst H. Gombrich, Aby Warburg. His Aims and Methods. An Anniversary Lecture, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes LXII (1999), S. 268–282; hier S. 276.

13 Zum Verhältnis von Schifanoia und der Didaktik Guarino da Veronas siehe Kristen Lip-pincott, The Iconography of the Salone dei Mesi and the Study of Latin Grammar in Fifteenth-century Ferrara, in: Marianne Pade, Lene Waage Petersen, Daniela Quarta (Hg.), La corte di Ferrara e il Suo Mecenatismo. 1441–1598, Kopenhagen 1990 und Katja Conradi, Malerei am Hofe der Este. Cosmè Tura. Francesco del Cossa, Ercole de’ Rober-ti, Hildesheim 1997, S. 111ff.

14 Als Collage oder Palimpsest verstanden von Werner Hoffmann, Die Menschenrechte des Auges, in: Ders., Georg Syamken, Martin Warnke (Hg.): Die Menschenrechte des Auges. Über Aby Warburg, Frankfurt a. M. 1980, S. 92f.

15 Eberhard Ruhmer, Francesco del Cossa, München 1959, S. 75.

9Regent unter dem Himmel

2 Dekane. Eine Szene für zehn Tage

Schauen wir jedoch zuerst, wie das Weltbild konstruiert ist. Statt des Raumes – wie in topographischen Darstellungen – ist in der Sala dei Mesi die Zeit die struk-turierende Größe; genauer ist es der Jahreslauf, der auch in den aufwendigen Stundenbüchern oder den preisgünstigeren gedruckten Hausbüchern dieser Zeit illustriert wird.16 Dazu gehören die Monatsarbeiten, die im Palazzo Schifanoia in der unteren Zone neben den Darstellungen des höfi schen Lebens erscheinen. Am Ferrareser Dom waren sie noch einzig Sinnbild göttlicher Ordnung, im Pa-lazzo Schifanoia unterstreichen sie zusätzlich den buon governo des Fürsten. Da-bei werden nicht nur die kanonischen Monatsarbeiten gezeigt, sondern offenbar auch die für Ferrara so wichtigen Arbeiten an Kanal- und Dammsystemen17 des Po (Abb. 6). Im oberen Feld ist die Planetenkinderikonographie auf die Manilius-Götter umgeformt. Nicht nur durch die Veränderung des Bildformats vom Hoch- zum Querformat, sondern auch als Refl exion des höfi schen Festwesens fahren die Wagen hier auf der Erde bzw. im Venusfeld auf dem Wasser.

Neben den ›trionfi ‹ und Monatsarbeiten weist der Mittelstreifen durch das Band des Zodiakus auf die zyklische Struktur des Jahres hin. Deutlicher als es im Medium Buch möglich wäre, bildet der Raum das kosmische Phänomen des Jahreslaufes als geschlossenen Kreis ab.18

Im Palazzo Schifanoia strukturieren nicht die geläufi gen Kalendermonate das Programm. Es gliedert sich durch die zeitlich davon versetzten Tierkreiszeichen. Wer diese mit den Monaten, in denen sie aufsteigen, gleichsetzt,19 verliert die zeitli-che Positionierung der ihnen untergeordneten Dekane aus den Augen, denn sie tei-len im mittleren Streifen das Jahr in 36 Abschnitte. Diese feinere Gliederung wäre überfl üssig, wenn sie nicht in einer der beiden anderen Zonen ihren Niederschlag fände. In der oberen Zone der Götter ist dies unwahrscheinlich, da sie hierarchisch höher ist. Dem Gott untersteht das Tierkreiszeichen, diesem die drei Dekane.20 So kann sich die zeitliche Differenzierung eher in der unteren Zone spiegeln. Tatsäch-

16 Siehe Blume, Regenten (wie Anm. 10).17 Die omnipräsenten para-duro- und Einhornimpresen, deren symbolische Bedeutung Treue

und Reinheit ist, zeigen zudem als versinnbildlichtes Versprechen die fürstlichen Bemü-hungen um Wasserwirtschaft und -schutz.

18 Siehe Conradi, Malerei (wie Anm. 13), S. 138: »Auf den Wänden sind gleichzeitige Be-ziehungen zwischen den olympischen Göttern, den Sternzeichen mit den Dekanen und den irdischen Hofszenen in verschiedene Richtung zu konstruieren, die die schriftliche Kompilation in dieser Komplexität nicht aufbauen könnte. Das zugrundeliegende Thema des Programmes ist gerade diese Vielschichtigkeit der Kosmosvorstellung, nach der Göt-terglaube und Sternenwissen mit der Ferrareser Wirklichkeit zusammenfl ießen.«

19 Diese Fehlbezeichnung der Felder durchzieht einen Großteil der Literatur, so dass sie ebenfalls zu einer der Störungen bei der Lesbarkeit des Programms gezählt werden muss.

20 Diese kompositorische und astrologische Hierarchie wird konterkariert durch die Nähe der trionfi zu realen Umzügen der Zeit und Borsos Regentschaft. Der Fürst, der sich ei-

10 Bell

lich fällt auf, dass in jedem Bild Landschaft und eine offene Loggienarchitektur, die etwa ein Bilddrittel einnimmt, erscheinen. Bei Jupiter und Kybele (Abb. 7) teilt ein zentral gesetztes Gebäude das Bildfeld genau in drei Teile, die etwa den durch senkrechte Linien geteilte Partien in den Dekanzonen entsprechen. In jedem Drit-tel erscheint der Fürst einmal.

Bereits Kirsten Lippincott beschrieb das jeweils dreimalige Auftauchen Borsos in der unteren Zone, ohne es zu begründen.21 Diese Beobachtung kann durch den schlechten Zustand der unteren Zone nicht für jedes Bildfeld nachgewiesen werden. Sie kann jedoch durch eine Abrechnung von 1473 mit dem Bildnismaler Baldassa-re d’Este gestützt werden, die auf »36 teste de Schivenoio del duca Borso et parte de busti et altre teste, de commissione del Duca Borso [...] Ducati 36« lautet.22

nerseits unter den Einfl uss der Sternengötter stellt, ist anderseits auch Auftraggeber eines gemalten Triumphzuges und somit Kopf einer genau umgekehrten Hierarchie. Siehe auch Philine Helas, Lebende Bilder in der italienischen Festkultur des 15. Jahrhunderts, Ber-lin 1997.

21 Lippincott, Frescoes (wie Anm. 10), S. 206.22 Zitiert nach Adriano Franceschini (Hg.), Artisti a Ferrara in età umanistica e rinasci-

mentale. Testimonianze archivistiche Parte II, Tomo I. dal 1472 al 1493, Ferrara/Rom

Abb. 6: Venusbildfeld (Detail) Monatsbild April

Abb. 7: Jupiter-Kybelbildfeld, Nordwand

11Regent unter dem Himmel

Offenbar scheint es der heterogenen Malerwerkstatt nicht gelungen zu sein, den Fürsten einheitlich darzustellen, so dass der Bildnismaler zur nachträglichen Verbesserung oder schon im Vorfeld vorgesehenen Standardisierung herbeigerufen wurde. Die Zahlung von 36 Dukaten für 36 Köpfe stimmt mit den 36 unteren Bildfelddritteln auffällig überein. Der Rechnungssteller berechnete anscheinend nur die Borsoporträts, während er die Büsten und anderen Köpfe vernachlässigte, oder er kalkulierte einen Fixpreis von einer Dukate für jedes der auszubessernden 36 Felder unabhängig davon, ob darin neben dem Kopf des Fürsten noch andere Elemente überarbeitet wurden.

Um die Wiedererkennbarkeit des Fürsten an jeder Stelle zu gewährleisten ist Borso immer gleich gekleidet: ein stark ornamentierter Brokatrock, weiße Hand-schuhe und Stiefel, roter Hut und rote Strümpfe. Zum Reiten nutzt er stets einen Schimmel mit goldenem Zaumzeug. Durch diese Standardisierung, die sich eben-falls in anderen Aufträgen des Fürsten zeigt, lässt sich der Herzog auch in kleinem Maßstab wiedererkennen. Sein mehrfaches Auftreten ist nie wirklich gewürdigt worden. Teilweise sah man darin lediglich ein Beispiel für Borsos Narzissmus.23 Die oft winzigen Darstellungen sind allerdings kaum schmeichelhaft. Durch die variierende Größe, aber auch besonders durch die großen Verluste, gerade an den in secco ausgeführten Borsoporträts von Baldassare d’Este, blieb die Kohärenz zwischen Dekanen und Fürstenbild lange verborgen.

Wenn jedem Dekan ein Bildnis Borsos zugerechnet werden kann, bedeutet dies zunächst, dass sich die zeitlichen Etappen des Mittelbandes in der unteren Zone fortsetzen. Damit entsteht auch ein stärkerer astrologischer Bezug zwischen den Dekanen und dem Fürsten: Von Assistenzfi guren der Tierkreiszeichen werden sie selbst zur bestimmenden Größe mit eigenem Wirkungsbereich. Das Programm wird zum astronomischen Gerüst, in dem das Jahr, der Zodiakus und die Dekan-abschnitte ein logisches Ordnungssystem generieren. Auch ohne astrologische Ausdeutung und rein durch die Jahreszeiten, Tierkreis und Dekanabschnitte, kann dieser Kalender eine große Menge an Informationen übersichtlich gliedern. Eine astrologische Ausdeutung ist problematisch, da bis heute keine Klarheit herrscht, welche Quellen für die Dekandarstellung kombiniert wurden, und die Sternendä-mone je nach Überlieferung nicht nur in Aussehen, sondern auch in ihrer Wirkung variieren. Dieser zweite Teil der Dekanbeschreibungen wurde auf der Suche nach ihrer richtigen Identifi kation gänzlich vernachlässigt. In der Wirkungsmächtigkeit ihres Charakters liegt jedoch ihre eigentliche astrologische Bedeutung. Da die un-teren Bildfelder meist zu zwei Dritteln aus Jagdszenen und einem Drittel aus Epi-

1995, S. 34, Nr. 28. Mehrere Posten dieser Abrechnung beziehen sich explizit auf Aufträge in Borsos Lebzeit, so dass auch hier eine Ausführung um 1470 vermutet werden kann – vergleichbar mit dem auf 1469–1471 datierten Porträt des Fürsten (Mailand, Civica Pi-nacoteca del Castello Sforzesco, inv. P. 546). Siehe auch Ruhmer, Cossa (wie Anm. 15), S. 74; Steffi Roettgen, Wandmalerei der Frührenaissance in Italien, Band I Anfänge und Entfaltung. 1400–1470, München 1996, S. 411.

23 Unter anderen Rosenberg, Ferrara (wie Anm. 3), S. 27.

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soden im höfi schen Kontext bestehen, kann schon diese wechselnde Anordnung im Bild als Empfehlung für die entsprechenden Zeitabschnitte gedeutet werden.24 Leider gibt nur der palio ein festes Datum innerhalb des gesamten Programmes. Die einzige Szene, die man als sicheres Ereignis erkannt haben wollte, die Hochzeit von Galeotto Pico de Mirandola und Bianca Maria d’Este, befi ndet sich interes-santerweise in der oberen Zone. Keines der großen Ereignisse in Borsos Regie-rungszeit oder der Geschichte der d’Este scheint dargestellt zu sein. Weder die häufi gen Kaiser- und Papstbesuche noch die Verleihung der Herzogswürde wer-den illustriert. Die Sala dei Mesi ist demnach keine Chronik höfi scher Ereignisse, sondern beschreibt den immer wiederkehrenden jährlichen Zyklus.

3 Planeten. Leerstellen im Zyklus für das Azyklische

Die unübersichtliche Vielfalt des Freskos durchzieht also bis in die unteren Regis-ter eine innere Ordnung. Ebenso wie sich im oberen Register fast alle Elemente und Personen mythologisch ausdeuten lassen, verlieren auch die unteren Szenen ihre Beliebigkeit vor dem Hintergrund, Dekanetappen zu sein und die verschie-densten Jagdformen und Staatsgeschäfte zu repräsentieren. Ordnung, Signifi kanz und Fülle zeichnen das bis ins Detail durchdachte Weltbildmodell aus. Der Saal wird dabei zur reinen Projektionsfl äche, in dem sich der Kosmos abbildet. Um diese Illusion zu verstärken, wurden beidseitig bemalte Fensterläden auf vertiefte Wandfl ächen installiert (Abb. 8). Wenn die Läden die Fenster von innen verschlos-sen, gab es keine äußere Ablenkung vom dreizonigen Kosmosmodell. Doch auch wenn wir uns diese Geschlossenheit vorstellen, bleiben Unstimmigkeiten. Von den Irritationen im Saal in Form der Nebenszenen, des Kamins und der daraus resul-tierenden Asymmetrien handeln die folgenden Abschnitte. Eine viel enger mit den Bildfeldern verbundene Auffälligkeit sind die gemalten Tafeln, die vor den illusi-onistischen Pfeilern montiert sind und mit der Säulenordnung variieren. Für ein reines Schmuckmotiv wirken sie zu schematisch, eher bieten sie sich durch ihre Größe, Form und Anbringung in gut lesbarer Höhe als Inschriftentafeln an. Es gibt jedoch keinerlei Spuren einer fresco Beschriftung. Als große Leerstellen ste-hen die Tafeln im Kontrast zur Informationsfülle der Bildfelder. Sie werfen selbst die Frage auf: Was fehlt?

24 Eine Kohärenz zwischen textlicher und bildlicher Dekanwirkung soll hier als Anfangs-punkt einer genaueren Untersuchung gegeben werden: Unter dem dritten Dekan des Wid-ders diskutieren Rechtsgelehrte mit Borso unter seinem Tondo mit der Inschrift »JUSTI-TIA«, das »Picatrix«. Das Ziel des Weisen von Pseudo-Mağīţī, übersetzt von Helmut Ritter, Martin Plessner, London 1962, S. 141, empfi ehlt in diesem Dekan, Talismane herzustellen: zum Verkehr mit Richtern und Rechtsgelehrten und um Eintracht und Einigkeit unter ihnen herzustellen, wenn sie uneins sind.

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Richten wir diese Frage an ein universelles astrologisches Weltbild, fällt schnell auf, dass die Planeten im Zyklus keinerlei Rolle spielen. Obgleich gerade die Dynamik der Planetenbewegungen den Jahresvorhersagen, die zum Ende des 15. Jahrhunderts eine beständig wachsende Popularität und Verbreitung fanden, ihren theatralischen Reiz verschaffte. Da sich jedoch durch die verschiedenen Um-laufzeiten der Planeten in jedem Jahr andere Konstellationen ergeben, lassen sie sich im »Einjahreskalender« Schifanoia nicht bildlich integrieren. Dazu bedarf es jährlicher astronomischer Berechnungen, wie sie von Pietro Bono Avogaro, der als Professor für Astrologie an der ferraresischen Universität wirkte, in seinen jährli-chen Prognostika für die d’Este erstellt und später auch im Druck herausgegeben wurden (Abb. 9).25 Die astronomischen Ereignisse und ihre Konsequenzen sind dort für jeden Monat aufgeschlüsselt.

Verärgert berichtet uns Papst Pius II., dass Borso sich auf derartige Auskünfte tatsächlich berief. Wohl eher aus politischem Kalkül als aus Aberglaube sagte er dem Papst seine Teilnahme an der Kreuzzugskonferenz in Mantua ab, da eine Vorhersage aus dem März – also zum Jahresanfang – vor Reisen im August ein-dringlich warnte:

Promiserat, ut rettulimus, Borsius Mutinensium dux, qui pro Romana Ecclesia Ferra-riam gubernabat, iturum se Mantuam cum Pius vocaret.

25 Stefano Caroti, L’astrologia in Italia. Profezie, oroscopi e segreti celesti, dagli zodiaci romani alla tradizione islamica, dalle corti rinascimentali alle scuole moderne. Storia, do-cumenti, personaggi, Rom 1983, S. 234.

Abb. 8: Nordwandfenster mit Eintiefung und Scharnier für Fensterladen

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Abb. 9: Prognostika von Pietro Bono Avogaro für 1505

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Vocatus, rescripsit paucos intra dies venturum. Iterum vocatus, mutato consilio, re-nuit, astronomorum iudicia causatus, qui sibi mortem portendere astra confi rmarent, Mantuam petituro. Increpavit eum Pontifex, qui Gentilium sequeretur ineptias et per astrorum inspec-tionem futuri se conscium diceret; excogitata haec ne Conventum accederet; vereri inter bonos viros apparere; malle cum bestiis quam cum hominibus vivere; ingratum Deo atque indignum qui tot bonis affl ueret, quando in causa fi dei nolet unius diei navigatione fatigari; nec religiosum nec christianum esse qui Conventum pro tuendo Christi nomine indictum effugeret; astrologorum iudicia, mense martio edita, prius sibi nota fuisse quam Pontifi ci promisisset adventum; nihil principem minus decere quam promissa rescindere. […]Verum, egressus Ferraria, per Aemiliam profectus, medios inter aestus venaticas se-quebatur aves, non sine irrisione omnium qui eam fabulam novere. [...]Ceterum Borsius, crebris nunciis ac litteris ex venatione ad Conventum accersitus, confusus tandem, venturum se Augusto exacto rescripsit, quod is esset fatalis mensis, non minus quam antea mentitus.26

An dieser Stelle geraten die leeren Inschriftentafeln in den Blick. Hier hätten, im durch die Pfeiler vorgegebenen Raster des Tierkreises, die Planeten kon stellationen und andere kosmische Ereignisse für das entsprechende Jahr monatlich notiert werden können. Die Größe der Tafeln erlaubt einen ausführlichen Text zu Kon-junktionen und Empfehlungen. Der Astrologe könnte also durch Secco-Neuan-strich der Tafeln oder durch einfaches Anbringen von Texten die Ereignisse des neuen Jahres in zwölf Etappen beschreiben. Dieses jährliche »Update« gäbe dem Fresko immer neue Aktualität. Auch wenn die Hypothese auf den ersten Blick anachronistisch modern wirkt, muss bedacht werden, dass wir uns in einer Zeit befi nden, wo sich Uhren mit Tierkreis und astronomische Apparate großer Be-liebtheit erfreuten. Avogaros Prognostika, die später durch den Druck eine große Verbreitung fi nden sollten, mögen in der Sala dei Mesi schon eine höfi sche Bühne erhalten haben.

Durch die wie auch immer gearteten Zusatzinformationen auf den Inschriften-tafeln und die starke Ausrichtung auf die Dekane ist die untere Zone vielmehr normativ als deskriptiv zu verstehen. Die drei Szenen geben also grob an, wel-che Tätigkeiten sich für Fürst und Bevölkerung alljährlich empfehlen und würden durch den Text genauer spezifi ziert. Der Raum würde unterhalten und zugleich über aktuelle und zukünftige Ereignisse informieren.

26 Enea Silvio Piccolomini (Papa Pio II), I Commentarii, hg. von Luigi Totaro, Mailand 1984, 21. De Borsii instabilitate insulsa atque mendaci, S. 510–514, Bd. 1.

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4 Aspekte. Das alternative Modell

Wenden wir uns nun der zweiten Annahme, der Gültigkeit der von Warburg er-mittelten Quellen, zu. Durch die beschriebene Struktur lässt sich auch eine Hier-archie der herangezogenen Texte erkennen. Marcus Manilius stellt das universale Konzept, indem er sowohl den Tierkreiszeichen die Götter zuordnet als auch die Dekane in seinem System vorsieht. Darüber hinaus sind seine Astronomica als Weltgedicht die Orientierung für das ebenfalls als umfassend gedachte Fresko. Die anderen Quellen werden hingegen weniger konzeptionell als illustrativ umgesetzt. So wurde bei den Dekanen Manilius umgangen, da seine Monatsdrittel lediglich wieder Tierkreiszeichen sind und nicht die pittoresken Gestalten, welche durch die arabische Überlieferung auf uns gekommen sind. Schließlich wurde das astrono-mische Gerüst mit Attributen und Szenen aus Mythographien und Mythologien enzyklopädisch angereichert und mit so viel Personal versehen, dass der strenge Aufbau des Systems überzeichnet wird. Diese Vielfalt lockert das Programm auf und hebt seinen künstlerischen Wert, in Bezug auf die Lesbarkeit stellt sie hinge-gen eine weitere Störung dar.

Wenn wir das astrologische Weltbild als logisch durchdacht und besonders Ma-nilius als verbindliche Quelle ansehen, irritiert jedoch, dass im Palazzo Schifanoia die in der Kunst prominenteste Einteilung des Jahres in die vier Jahreszeiten kaum eine Bedeutung zu haben scheint.27 Während wir für die Binnenstruktur eine kla-re Gliederung ausmachen konnten, gruppieren sich die Felder selbst ungeordnet im Raum und variieren zudem in ihrer Breite. Hinzu kommen die architektoni-schen und höfi schen Nebenszenen, die weder kontextuell noch kompositionell an das Programm anschließen. Dabei sprechen die wechselnden Schmuckformen der Scheinarchitektur an den unterschiedlichen Wänden durchaus für eine inhaltliche Differenz, zumal die durch reichen Vasenschmuck kostbarste Pilasterordnung den Sommermonaten auf der Nordwand vorbehalten ist, während die Stirnwände mit kannelierten Pilastern gegliedert werden.28

Das führt zur dritten Annahme: den Irritationen bei der Umsetzung des Welt-bildes in den Raum. Astrologie ist der Versuch, aus Geometrie Sinn zu deduzieren.

27 Manilius teilt die Jahreszeiten mit lakonischer Kürze: Quattuor aequali caelum discrimine signant, in quibus articulos anni deus ipse creavit, ver Aries, Cererem Cancer Bacchumque minstrans, Libra caper brumam genitusque ad frigora piscis. Marcus Manilius, Astronomicon. Libri V. Die Astrologie des M. Manilius in 5 Büchern,

Stuttgart 1990. 28 Neben den Sommermonaten fi ndet sich auch das herbstliche Vulkanfeld auf der Nordwand.

Durch die Verluste der Südwand ist nicht klar zu erkennen, welche Schmuckform vorlag. Heute wirken die Pilaster schlichter als die der anderen Wände, doch auch eine Wiederho-lung der Binnenstruktur der Nordwandpilaster erscheint möglich.

17Regent unter dem Himmel

Manilius beschreibt ausführlich die vielen Gegenüberstellungen und Symmetrien, die den Tierkreis in räumliche und im zweiten Schritt emotionale Verhältnisse bringen. Zeichnet man diese Linien in den Grundriss des Saales ein, entsteht nicht die kosmische Harmonie, durch deren Faszination die Astrologie so lange in ihren Bann zu ziehen verstand. Sie hätte sich jedoch eingestellt, wenn auf jeder Wand drei Bildfelder untergebracht worden wären. Dadurch hätte jede Jahreszeit eine Seite für sich erhalten, die Tierkreiszeichen hätten die richtige Konjunktion und die Götterpaare würden einander anblicken. Die durch den astrologischen Sys-temzwang bedingten geometrischen Aspekte, die gemeinhin im als Kreis gedach-ten Zodiakus durch Verbindungslinien konstruiert werden und die von Manilius in Verse gefasst wurden, lassen sich folglich ebenso anschaulich in einem nur mar-ginal anders arrangierten Raum visualisieren (Abb. 10).

Sollte die Anordnung der Fresken im Saal jedoch ganz umgestellt worden sein, könnte es auch weitere Fehler bei der Neuorganisation gegeben haben. Damit ist auch die Reihenfolge der Bildfelder fraglich. Untersuchen wir dazu, wie der Betrachter des Freskos die gegenwärtige Anordnung rezipiert. Beginnt er mit dem ersten Tierkreiszeichen, dem Widder (Abb. 11), sieht er zuerst auf Warburgs ›vir niger‹, den ersten Dekan des Widders, um dann von rechts nach links über die

Abb. 10: Idealraum zur Visualisierung der Astronomica des Manilius

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Abb. 11: Athenebildfeld

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beiden folgenden zu streifen. Parallel dazu erblickt er im unteren Feld zuerst die Monatsarbeit und Entenjagd, dann den zweiten Borso, weit im Hintergrund ja-gend, und schließlich den Fürsten unter dem Justitia-Tondo. Der Blick folgt also der gewohnten Leserichtung. Am Ende des Feldes darf der Betrachter jedoch nicht in diese Richtung weiterschauen, sonst landet er beim ersten Dekan der Fische, springt also fast zwei Monate in die Vergangenheit. Er muss der Richtung folgen, in welche die Sternzeichen laufen und die Wagen fahren: zwar innerhalb des Bil-des von rechts nach links, von Bildfeld zu Bildfeld jedoch in die Gegenrichtung. Die Blickführung gleicht aneinander gereihten Schleifen (vgl. Abb. 1).

Obgleich es bei der Darstellung des Zodiakus sowohl Anordnungen mit dem und gegen den Uhrzeigersinn gibt, scheint hier durch die Logik der Binnenstruk-tur eine umgekehrte Reihenfolge der Felder sinnvoll. Der Betrachter auf der Erde erlebt den Aufgang der Gestirne von Osten nach Westen. Dies entspricht im Saal einer Richtung von links nach rechts. Das Fresko könnte also links an der West-wand beginnen und dann über Sommer im Norden und Herbst im Osten mit den Fischen rechts an der Südwand enden (Abb. 12). Dafür sprechen der dann gerade verlaufende Zeitstrahl, auf dem die Dekane in langer Reihe angeordnet wären und die Tierkreiszeichen sich durch die Pfeiler nacheinander reihen würden. So wie der Blick dadurch über die kalendarische Ordnung der Mittelzone gleiten könnte, ergäbe sich auch für den Triumphzug eine natürlichere Abfolge. Der Betrachter sähe nun die Wagen entgegenkommen und vorbeiziehen. Interessanterweise hat

Abb. 12: alternatives Schema der Anbringung der Bildfelder

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Abb. 13: »Schema der Freskenanordnung im Palazzo Schifanoja zu Ferrara« (nach Warburg)

Warburg diese Reihenfolge ohne ersichtlichen Grund in seiner systematischen Zeichnung abgebildet (Abb. 13).

Schließlich fi nden sich Hinweise im Bild, die für eine solche Anordnung spre-chen. So neigt der Widder im Palazzo Schifanoia seinen Blick zurück ins alte Jahr zu den Fischen, während es bei Manilus heißt:

Aurato princeps Aries in vellere fulgens respicit admirans aversum surgere Taurum.29

29 Manilius, Astronomicon V (wie Anm. 27), S. 263–264.

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Der in Schrift und Bild überlieferte Typ des zum Stier zurückblickenden Widders hat sich hier offenbar ikonographisch richtig überliefert, während der Kopf le-diglich durch die Anordnung der Felder in die falsche Richtung schaut. Auch auf der mythologischen Ebene erweist sich die neue Anordnung als stringenter: In der oberen rechten Ecke des Ceresfeldes fahren Proserpina und Pluto auf einem von Drachen gezogenen Leiterwagen aus dem Bild (Abb. 14). Durch die ganz routi-niert scheinende Entführung wird der alljährliche Wechsel der Jahreszeiten ange-deutet und nur in der neuen Richtung würde das Gefährt wirklich zum Herbst hinausfahren. Genauso schließt das Bildfeld des Mars in dieser Reihenfolge direkt an seinen Ehebruch mit Venus im Vulkanfeld an. Die Tat aber kann dadurch di-rekt vom gegenüber fahrenden Sol Apoll aufgedeckt werden.

Dieser angenommene Idealraum ist kein Beleg dafür, dass die Anordnung in dieser Ausrichtung und mit Jahreszeiten in den Entwürfen ursprünglich intendiert war. Es wird daran jedoch deutlich, wie wenig im heutigen Aufbau von Manilius’ Weltgedicht bleibt. Es ist schwer verständlich, warum ein Astrologe gerade auf das Wichtigste, nämlich die kosmische Ordnung mit ihren wechselseitigen Bezü-gen, verzichten sollte. Allerdings kann nicht jedes System innerhalb der gegebenen Bedingungen visualisiert werden.

Abb. 14: Ceresbildfeld (Detail) Triumph der Ceres mit Raub der Proserpina

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30 Die Teilung von Astronomie und Astrologie vollzog sich erst in der Folge, so dass der Entwickler des Freskenprogramms beide in Personalunion praktizierte.

31 Charles M. Rosenberg, The Este Monuments and Urban Development in Renaissance Ferrara, Cambridge 1997, S. 86.

5 Bauplan contra Weltbild

Die heutige räumliche Situation im Palazzo Schifanoia steht dem idealen Modell entgegen. In einem Stadium, wo der Aufbau der Felder schon durchgeplant war, möglicherweise bereits als Karton vorlag, scheint die logische Reihenfolge und Anordnung verstellt worden zu sein. Am Grundriss der Sala dei Mesi liegt es nicht. Auch wenn der oben beschriebene ideale Raum quadratisch oder gar kreisförmig gedacht werden mag, um die geometrische Harmonie voll zu entfalten, würde das Modell durchaus im rechteckigen Saal mit einer Durchfensterung wie auf der Südseite der Sala dei Mesi funktionieren (Abb. 15).

Auf der Nordwand sind hingegen nur drei Fenster vorhanden. Zwischen ihnen drängen sich jedoch vier Bildfelder. Die gesamte Front erscheint als eine Notlö-sung, wenn man die Breitenausdehnung der Bildfelder mit den Maßen der anderen vergleicht. Der Grund für den Missstand könnte sich im gegenüberliegenden mit-tig angeordneten Kamin (Abb. 16) fi nden. Er verhindert ein mittleres Bildfeld und bedingt ein Ausweichen desselben auf die Nordwand. Um das dort zugeschlagene Feld überhaupt unterbringen zu können, musste auf eines der vier Fenster verzich-tet werden. Das Missverhältnis lässt sich leicht aus den Breiten der Bildfelder der sich gegenüberliegenden Wände ablesen. Gerade in der unteren Zone, in der Borso dreimal mit Gefolge gezeigt werden muss, scheint die Verkürzung auch komposi-torisch durch die abrupten räumlichen Brüche erkennbar zu werden. Da sich diese jedoch auch in den Feldern Francesco del Cossas auf den Stirnseiten ergeben und gemeinhin als Ausdruck des eigenwilligen ferraresischen Malstils gelten, stellen sie nur einen schwachen Beleg dar. Die schwankenden Maße bei Strecken, die als ekliptische Länge per Defi nition einheitlich sein müssten, weisen jedoch deutlich auf eine Umstellung des Konzepts, wie es nicht im Sinne des mathematisch arbei-tenden Astronom30 sein kann, hin.

Ein durch den Kamin bedingter architektonischer Neuentwurf ergäbe ein Pro-blem für die Malerwerkstatt, da sie ihre Bildfelder nun nicht mehr unterbringen könnte, was rückkoppelnd nur durch eine weitere Änderung des Grundrisses – eine abweichende Fensterfront – gelöst werden könnte. Beim Bau scheint also eine simultane Planung bestanden zu haben, die durch die starke Interdependenz der Gewerke ständig miteinander abgestimmt werden musste. Wenn der Kamin erst während des Umbaus in die Planung einbezogen wurde, weist dies auf ein verändertes Verständnis des Palastes hin. Dass Borso Schifanoia viel Bedeutung zumaß, zeigt sich auch darin, dass er den Platz davor anlegen ließ und andere ad-lige Familie in die Nachbarschaft zogen.31 Er wird damit auch für große Anlässe

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Abb. 15: Rekonstruktion des Autors vom Obergeschoss des Palazzo Schifanoia und Rekonstruktion der Sala dei Mesi

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ganzjährlich nutzbar und somit eine echte Alternative zur alten Stadtresidenz. Das Fresko, in welchem Borso sowohl bei der Regierung als auch beim Jagen gezeigt wird, scheint die Ambivalenz des ganzen Gebäudes als Lust- und Regierungsort zu refl ektieren.

Das Kräfteparallelogramm zwischen Auftraggeber, gelehrtem Programmsteller, Künstler und Rezipienten scheint sich in diesem Fall klar zu Gunsten der Wohn- und Repräsentationsbedürfnisse Borsos geneigt zu haben, so dass ästhetische und inhaltliche Defi zite in Kauf genommen wurden. Die vorgeschlagene Rekonstruk-tion (wiederum Abb. 15) zeigt hingegen einen Raum, der vollständig dem astro-logischen Weltbild gewidmet ist und es in nahezu idealer Weise repräsentiert. Erst in diesem Saal ohne die beschriebenen Irritationen würden die bemalten Fenster-läden sinnvoll, um die reale Außenwelt aus dem illusionistischen Kosmosmodell auszuschließen und damit die Stringenz und die räumlichen Bezüge des Systems ganz auf den »Betrachter im Bild« wirken zu lassen.

Abb. 16: Südwand (Detail), Spuren des Kamins

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32 Rosenberg, Ferrara (wie Anm. 3), S. 160.33 So macht sich Pisanello mit einem Porträt des Feldherrn bei Leonello beliebt (1435); Mar-

tin Warnke, Hofkünstler. Eine Sozialgeschichte des modernen Künstlers, 2. Aufl ., Köln 1996, S. 125. Dagegen ist fraglich, ob Niccolo III. im berühmten Wettstreit das »caesaren-hafte« Porträt vorzog, um die Legitimation seines Sohnes zu stützen, wie Andreas Beyer, Das Porträt in der Malerei, München 2002, S. 77 behauptet. Ronald Lightbown, Man-tegna. With a complete Catalogue of the Paintings, Drawings and Prints, Oxford 1986, S. 142 sieht die Anziehungskraft von Cäsar für Leonello besonders in der Kombination von kriegerischer und literarischer Größe.

34 Siehe Simonetta Terio, der Steinbock als Herrschaftszeichen des Augustus, Münster 2006; Hans Georg Gundel, Zodiakos. Tierkreisbilder im Altertum. Kosmische Bezüge und Jenseitsvorstellung im antiken Alltagsleben, Mainz 1992, S. 155 und vgl. auch mit der repräsentativen Darstellung auf der »Gemma Augustea«; sowie Kocku von Stuckrad, Geschichte der Astrologie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2003, S. 101.

6 Das astrologische Weltbild als eine Legitimationsstrategie

Innerhalb der Rekonstruktion steht das Fresko nun noch deutlicher in Analogie zu den ›Astronomica‹ des Manilius, die als astrologisches Lehrgedicht konzipiert wurden und gleichzeitig Panegyrik auf Augustus waren. Für Borsos Image war einerseits die Charakterisierung als gerechter Herrscher, andererseits die Identi-fi kation mit Kaiser Augustus wichtig.32 Denn nach Leonello, der Julius Caesar vor allen Römern favorisierte,33 ergab sich für Borso als erstem Herzog der erste Kaiser als gutes Vorbild. Augustus und Borso teilten das politische Ziel eines äu-ßeren und inneren Friedens, nachdem sie die Macht geschickt an sich gezogen hatten. Der Kaiser nutzte die Astrologiebegeisterung seiner Zeit als Teil seiner po-litischen Propaganda, indem er sein Horoskop veröffentlichen ließ. Eine Praktik, die im Quattrocento wieder aufgenommen wurde. Darüberhinaus ließ Augustus den Ziegenfi sch des Steinbocks als Zeichen seiner Empfängnis auf Münzen prä-gen34 und provozierte vielleicht mit dieser Haltung zur Sternkunde Manilius, sein Lehrgedicht für den Kaiser zu verfassen.

Borso, der schon in Tito Strozzi seinen Vergil gefunden hatte, ist nicht mit astrologischer Panegyrik nach der Art des Manilius, wie sie beispielsweise Basini für Sigismondo Malatesta schrieb, geehrt worden. In Ferrara liegt das Lehrge-dicht in bildlicher Form als Sala dei Mesi vor. Es ist Bekenntnis zur Astrologie und Verherrlichung durch sie in einem. Die Astrologen präsentieren ihre Lehren durch nachvollziehbare bildliche Didaktik. Sie lassen sich einen Teil ihres Wissens entlocken, um sich damit gleichzeitig für weitere Aufgaben zu empfehlen. Eine davon könnte die oben vorgestellte jährliche Anbringung der Prognostika sein, die am ehesten von Pietro Bono Avogaro ausgeführt worden sein mag. Er bietet sich durch die neugewonnen Erkenntnisse und durch seine Reputation eher als Entwickler des Gesamtprogramms an als der von Warburg präferierte Prisciani.

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35 Lynn Thorndike, A History of Magic and experimental Science. Fourteenth and Fif-teenth Centuries, 2. Aufl . (Band IV), New York 1953, S. 464: Avogaro verlor seinen Vater und einen Sohn durch die Pest. Es gelang ihm nicht mit der Universität nach Rovigo aus-zuweichen. Seine Geldnot lässt ihn eine Bittschrift an den Fürsten verfassen.

36 Rotondò, der eine kurze Biographie Priscianis verfasst, sieht ihn im Gegensatz zu War-burg ebenfalls nur als Teil eines Expertenteams. Antonio Rotondò, Pellegrino Prisciani (ca. 1435–1518), in: Rinascimento XI,1 (1960), S. 70; Caroti, L’astrologia (wie Anm. 25) betont, dass er nie Professor für Astrologie war (im Gegensatz zu Avogaro).

37 Borso umging nach dem Tod seines Halbbruders Leonello d’Este die rechtmäßigen Nach-folger, Brüder und Neffen. Dazu muss erwähnt werden, dass seine Initiative nicht mit einem Staatsstreich vergleichbar ist. Da er zum Markgraf gewählt worden war und sich auch das Vikariat vom Papst bestätigen ließ, brach er nur mit der dynastischen Tradition (Rosenberg, Ferrara [wie Anm. 3], S. 14). Die neuere Forschung erkannte trotzdem darin die Triebfeder für viele Entscheidungen des Fürsten. Er zog neue Familien an den Hof, um dankbare Verbündete zu fi nden und belehnte seine eigenen Verwandten mit Ländereien (Richard Michael Tristano, Ferrara in the Fifteenth Century. Borso d’Este an the De-velopment of an new Nobility, Ann Arbor 1983). Was oft als Verschwendungssucht ge-deutet wurde, war geschickte Geschenkpolitik. Auch sein Bemühen, neue Titel zu erlangen und das Volk für sich einzunehmen, kann dadurch erklärt werden. Neben dem Palazzo Schifanoia konstruiert auch die Borsiade Tito Strozzis eine direkte Legitimation durch die olympischen Götter.

38 Lippincott, Frescoes (wie Anm. 10), S. 216.

Avogaro war jedoch 1468 mit erheblichen persönlichen Problemen35 konfrontiert, so dass dadurch die Aufsicht an Pellegrino Prisciani übergegangen sein kann, der erst im September 1469 entscheidende Bücher aus der fürstlichen Sammlung ent-leiht und den Francesco del Cossa in seiner Beschwerde erwähnt. Möglicherweise waren auch beide Mitglieder einer Gruppe von Gelehrten, die das aufwändige Vorhaben betreuten.36 Dies kann hier nur als Hinweis dienen, wie wenig über die Konstellationen im Inneren des ferraresischen Gelehrtenmilieu bisher bekannt ist.

Der Palazzo Schifanoia soll hier aber lediglich als Beispiel dienen, wie ein Welt-bild schon durch seine Umsetzung in ein Modell, als auch durch den heutigen Befund und dessen Interpretationen nachhaltig verstellt werden kann. Doch auch das Modell in situ konnte sowohl die zyklische Wiederkehr des immer Gleichen wie auch die aktuellen und zukünftigen Ereignisse – möglicherweise auch durch die Inschriftentafeln – abbilden. Dem Besucher des Palazzo Schifanoia wurde so auf eindrucksvolle Weise gezeigt, wie harmonisch der Fürst im Einklang mit den Sternen stand. Neben seinem funktionalen Charakter als astrologisch und mytho-graphisch, mnemetisches System schafft das Programm für Borsos buon governo eine himmlische Ordnung und Berechtigung, welche der Fürst aufgrund seiner dynastisch vagen Legitimation37 durchaus bedurfte.

Die Einordnung in philosophische Systeme fällt schwer: Das Modell mit sei-ner Stufenleiter himmlischer Einwirkung über Götter, Tierkreiszeichen und De-kanen erinnert, wie von Lippincott38 vorgeschlagen, an eine pythagoreische Kos-

27Regent unter dem Himmel

mosvostellung. Es kann jedoch genauso von einem neuplatonischen Weltbild39 inspiriert sein oder Anregung durch den Determinismus Gemmisto Plethons40 empfangen haben, der während des Konzils 1438/1439 in Ferrara weilte. Eine Zuschreibung zu einem einzigen philosophischen System wird erschwert durch den bereits eklektischen Charakter der zugrundeliegenden Quellen und dem eben-so unrefl ektierten Zusammenziehen durch den das Programm erstellenden Ge-lehrten. Um hier Klarheit zu schaffen bedarf es grundlegenderer Arbeiten zur Re-naissanceastrologie in Italien und Untersuchungen zu den geistigen Strömungen in Ferrara während Borsos Regentschaft.

So universell das astrologische Weltbild in der Sala dei Mesi wirkt, im folgen-den Raum – der Sala degli Stucchi – wird seine Regierung mit den Tugendalle-gorien bereits wieder durch ein anderes System repräsentiert. Gänzlich konträr dazu inszeniert sich Borso in den Miniaturen seiner berühmten Bibel und in der bescheidenen Zelle, die er sich in seiner Karthäuserstiftung einrichten lässt. Die Repräsentationen von heidnischen, christlichen oder humanistischen Weltbildern scheinen den Fürsten auf kein Bekenntnis zu verpfl ichten. Die eigentlich irratio-nale Koexistenz der Weltbilder ermöglicht ihm ein facettenreiches Repertoire an seine Regierung und Person idealisierenden Repräsentationsformen.

39 Siehe dazu Ernst Cassirer, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, in: Birgit Recki (Hg.), Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe, (Bd. 14) Hamburg 2002, S. 10: »Die Welt scheidet sich in eine niedere und höhere, eine sinnliche und intelligible Welt, [...] Von dem einen Pol zum anderen, von dem Über-Sein und Über-Einen, von dem Reich der absoluten Form bis hinab zur Materie als dem absolut Formlosen, führt ein ste-tiger Weg der Vermittlung.« Die Vermittlung erfolgt hier über die Sternbilder der mittleren Zone.

40 Das Problem dieses Vergleichs liegt schon grundsätzlich darin, dass beide Werke stark fragmentarisch sind. Im Palazzo Schifanoia fehlen z.B. gerade die Felder von Poseidon und Hera, die eine wichtige Bedeutung in der Philosophie Plethons haben, während die Hauptschrift – Nomoi – des Helenen bis auf wenige Kapitel verloren ist. Der Einfl uss muss jedoch nicht direkt sein. Als Mittelsmann böte sich zum Beispiel Theodoros von Gaza an, der zwischen 1446 und 1450 in Ferrara als Professor lehrte und sich um 1470 ausführlich mit kalendarischen Problemen beschäftigte, bei denen er oft auf die Ideen seines Landsmanns zurückgriff, obwohl er sich im Streit zwischen Platonikern und Aris-totelikern gegen Plethon positionierte. Siehe Milton V. Anastos, Pletho’s Calendar and Liturgy, in: Dumbarton Oaks Papers IV (1948), S. 190; zu Gazas Aristotelesrezeption John Monfasani, L’insegnamento di Teodoro Gaza a Ferrara, in: Marco Bertozzi (Hg.), Alla corte degli estensi. Filosofi a, arte e cultura a Ferrara nei secoli XV e XVI, Ferrara 1994, S. 5.

Weltbild – Bildräume – GedächtnisbilderEnzyklopädische Freskenzyklen in Repräsentationsräumen

des 13.–15. Jahrhunderts

Christian Nikolaus Opitz

1 Einleitung

Enzyklopädische Bildprogramme in der Monumentalkunst des Mittelalters bilden nicht gerade ein neues Forschungsthema: Schon 1896 hatte Julius von Schlosser ihnen einen bahnbrechenden Aufsatz gewidmet, den er mit ›Giustos Fresken in Padua und die Vorläufer der Stanza della Segnatura‹ überschrieb.1 Die in den Jah-ren 1508–1511 von Raffael ausgeführte Freskierung der ›Stanza della Segnatura‹ im Vatikanpalast führt bekanntlich in geradezu idealtypischer Weise die geistigen Grundlagen der italienischen Renaissance vor Augen. Auf engstem Raum drän-gen sich hier die Darstellungen antiker Philosophen und christlicher Kirchenlehrer, antiker Musen und christlicher Tugenden, die in berühmten Kompositionen wie der Disputa oder der ›Schule von Athen‹ systematisch angeordnet erscheinen.2 In seinem materialreichen Beitrag konnte Schlosser aufzeigen, dass Raumausmalun-gen wie diese keine reine Neuerfi ndung der Renaissance darstellen, sondern eine weit ins Mittelalter zurückreichende Vorgeschichte aufweisen. Er erinnert an die Wandgemälde im Palazzo della Ragione von Padua (um 1310, mit Ergänzungen von 1370–1380; großteils nach einem Brand 1420 erneuert), im Sienesischen Pa-lazzo Pubblico (1337–1340) und in der Spanischen Kapelle von Santa Maria No-vella in Florenz (1366–1368) sowie an die Reliefs am Campanile des Florentiner Doms (um 1340–1360, mit Ergänzungen von 1437). Das Programm der genann-ten Bildfolgen besteht, wenn auch in jeweils unterschiedlicher Zusammensetzung,

1 Julius von Schlosser, Giustos Fresken in Padua und die Vorläufer der Stanza della Se-gnatura, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 17 (1896), S. 13–100.

2 Zuletzt zu diesem Zyklus: James E. Callaghan, Image as Dialogue and Illumination: Raphael’s Stanza della Segnatura, in: John Casey (Hg.), Imaging Humanity, Lafayette 2000, S. 149–164; Andrea Emiliani, Michela Scolaro, Raffaello: La Stanza della Seg-natura, Mailand 2002; Christiane L. Joost-Gaugier, Raphael’s Stanza della Segnatura. Meaning and Invention, Cambridge 2002.

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stets aus den mehr oder weniger gleichen Bausteinen: Planetenbilder, Darstellun-gen der Monatsarbeiten und Jahreszeiten, Tugendfi guren, christlichen Allegorien und Personifi kationen der Freien und der Mechanischen Künste. In Bildzyklen wie diesen fand »das seit der Scholastik in immer wieder neuen Varianten artikulierte [mittelalterliche] Weltbild […] seine adäquate Ausdrucksform.«3

Der von Julius von Schlosser zusammengestellte Werkkomplex bildet nach wie vor den Grundstock so gut wie aller Arbeiten zu dem Thema.4 Lediglich einige wenige Beispiele konnten der Liste noch hinzugefügt werden, wobei vor allem an die Kapitellplastiken am Dogenpalast von Venedig (um 1350) zu erinnern ist. Ein ganz wesentlicher Punkt, in dem die neuere Forschung über von Schlosser hinausgeht, ist allerdings die Frage nach den konkreten räumlich-funktionalen Zusammenhängen enzyklopädischer Bildprogramme.5 Macht man sich diese be-wusst, fällt rasch auf, dass alle der genannten Zyklen sich entweder im Kontext von Sakralbauten oder von städtischen Amtsgebäuden befi nden. So gesehen lassen sie sich also nur sehr bedingt als Vorläufer der ›Stanza della Segnatura‹ betrach-ten, handelt es sich bei jener doch um den Wohn- und Repräsentationsraum eines (Kirchen-) Fürsten: Sie wurde von Papst Julius II. als Studierzimmer, aber auch als Ort von Gerichtsverhandlungen genutzt.6 Allerdings sind enzyklopädisch ange-legte Raumausmalungen tatsächlich bereits in höfi schen Repräsentationsbauten des Mittelalters erhalten, auch wenn sie in der bisherigen Forschung zum Teil wenig beachtet wurden. Deutlich mehr Aufmerksamkeit wurde interessanterweise den Beschreibungen derartiger Bildräume in der mittelalterlichen Literatur zu-teil. Diese intensivere Beschäftigung erfuhren sie wahrscheinlich auch, weil die tatsächlich noch erhaltenen Beispiele erst aus dem 13.–15. Jahrhundert stammen, während die Schilderungen der Dichter schon um das Jahr 1100 einsetzen. Ich will im Folgenden daher zunächst auf enzyklopädische Bildräume in Texten der Zeit eingehen und nach deren Gestaltungsprinzipien und Wirkabsichten fragen. Erst im Anschluss daran werde ich mich den realen Freskenzyklen zuwenden. Dabei geht es mir zum einen um die Vorstellung dieses bislang noch nicht zusammenhän-

3 Ehrenfried Kluckert, Das mittelalterliche Wissenschaftssystem im Spiegel der Kunst, in: Rolf Toman (Hg.), Die Kunst der Gotik. Architektur – Skulptur – Malerei, Köln 1998, S. 484–485, hier S. 485.

4 Vgl. Diana Norman, Astrology, Antiquity and Empiricism: Art and Learning, in: Dies. (Hg.), Siena, Florence and Padua: Art, Society and Religion 1280–1400. Volume I: Inter-pretative Essays, New Haven/London 1995, S. 197–215; Dies., The Art of Knowledge: Two Artistic Schemes in Florence, in: Dies. (Hg.), Siena, Florence and Padua: Art, Society and Religion 1280–1400. Volume II: Case Studies, New Haven/London 1995, S. 217–241; Kluckert, Wissenschaftssystem (wie Anm. 3); Dieter Blume, Regenten des Him-mels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance, Berlin 2000; Michael Stolz, Artes-liberales-Zyklen. Formationen des Wissens im Mittelalter, 2 Bde., Tübingen/Basel 2004 (Bibliotheca Germanica 47).

5 Vgl. exemplarisch Norman, Art (wie Anm. 4).6 John Shearman, The Vatican Stanze. Functions and Decorations, Oxford 1972.

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gend untersuchten Materials. Zum anderen wird aber auch nach dem Verhältnis zwischen realen und nur literarisch überlieferten Raumausmalungen zu fragen sein, vor allem danach, inwieweit sich in Inhalt und Struktur Gemeinsamkeiten oder aber Unterschiede feststellen lassen. Zum dritten wird es darum gehen, die Funktion derartiger Bildprogramme herauszuarbeiten, also darum, wie sie von den zeitgenössischen Betrachtern wahrgenommen und gedeutet wurden.

2 Ekphrasis und Enzyklopädie

2.1 Mittelalterliche Enzyklopädien als ›Bild der Welt‹

Die Behandlung mittelalterlicher Bildprogramme unter dem Schlagwort des En-zyklopädischen, wie sie im Titel des vorliegenden Beitrags angekündigt wird, mag auf den ersten Blick problematisch erscheinen, ist der Enzyklopädie-Begriff doch als eine neuzeitliche Schöpfung anzusehen. Als Zusammensetzung aus dem grie-chischen enkýklos (kreisförmig) und padeía (Lehre, Wissen), somit als ein Kreis des Wissens beziehungsweise der Wissenschaften, taucht der Terminus erst um 1490 im Umkreis des Florentiner Humanisten Politian auf, um eine umfassende, systematische Darstellung aller bekannten Wissensgebiete zu bezeichnen.7 Den-noch erscheint es gerechtfertigt, ja nahe liegend, den Begriff auf das Mittelalter anzuwenden, da das heute als Enzyklopädik geläufi ge Phänomen auch in dieser Epoche schon eine bedeutende Rolle spielt.8 Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen, die Enzyklopädie zähle zu den wichtigsten Textgattungen der mittelalter-lichen Literatur, wenn auch die Bezeichnungen andere waren.9 Auffällig ist, dass sich die Autoren häufi g visueller Metaphern bedienten, um ihre Wissenskompila-tionen zu benennen. Neben einschlägigen Titeln wie ›Imago mundi‹ oder ›Image du monde‹ war es vor allem das Bild des Spiegels, das sich ausgesprochen großer Beliebtheit erfreute und etwa auch in der wohl wichtigsten Enzyklopädie des spä-ten Mittelalters, dem ›Speculum maius‹ des Vinzenz von Beauvais, Verwendung fand.10 Worauf es dabei ankam, war offenbar die Idee, dass die Enzyklopädie Wis-sensinhalte für den Leser gleichsam sichtbar und damit leicht erfassbar machte.

7 Zu Entstehung und Geschichte des Begriffs vgl. Jürgen Henningsen, ›Enzyklopädie‹. Zur Sprach- und Bedeutungsgeschichte eines pädagogischen Begriffs, in: Archiv für Be-griffsgeschichte 10 (1966), S. 271–362.

8 Zur mittelalterlichen Enzyklopädie jetzt grundlegend: Christel Meier (Hg.), Die Enzy-klopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit, München 2002 (Müns-tersche Mittelalter-Schriften 78).

9 Vgl. dazu Peter Binkley (Hg.), Pre-Modern Encyclopaedic Texts, Leiden/New York/ Köln 1997 (Brill’s Studies in Intellectual History 79).

10 Vgl. Herbert Grabes, Speculum, Mirror and Looking-Glass. Kontinuität und Origina-lität der Spiegelmetapher in Buchtiteln des Mittelalters und der englischen Literatur des 13. – 17. Jahrhunderts, Tübingen 1973; Einar Már Jónsson, Speculum. Recherches sur le symbolisme du miroir et la naissance d’un genre litteraire, Paris 1985.

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2.2 Christine de Pizans ›Mutacion de Fortune‹

Dem Variantenreichtum in der Benennung mittelalterlicher Enzyklopädien ent-spricht freilich auch eine gewisse Offenheit der Gattung. So kommt es etwa im 14. und 15. Jahrhundert zu einer stärkeren Betonung von Geschichte und Mytho-logie, weshalb die Grenzen zwischen Enzyklopädie und Weltchronik oft fl ießend sind.11 Als paradigmatisches Beispiel lässt sich hier Christine de Pizans 1403 voll-endeter ›Livre de la Mutacion de Fortune‹ anführen, der in einer umfangreichen Zusammenstellung das Wirken Fortunas in der Welt von der Schöpfung bis ins 14. Jahrhundert hinein nachzeichnet.12 Dieser mit rund 24000 Versen längste Text Christines lässt sich grob in vier Abschnitte gliedern: Erstens die allegorisch um-geformte Autobiographie der Verfasserin, in der sie sich selbst als ein Opfer der launischen Fortuna vorstellt (Buch I). Zweitens die Beschreibung des Schlosses der Fortuna und jener, die darin Einlass gefunden haben. Wiederum in allegorischer Aufmachung gibt dieser Teil im Grunde die irdische Ständeordnung – von Papst und Kaiser bis zu Landmännern und Bauern – wieder (Buch II–III). Drittens eine Schilderung der Philosophie und ihrer Töchter,13 also eine Klassifi kation der Wis-senschaften, welche die Autorin auf Wandgemälden im Großen Saal des Schlosses erblickt (Buch IV). Viertens die Geschichte der Welt, die ebenfalls auf Fresken im Palast Fortunas dargestellt ist und dem Leser in Form einer langen Ekphrasis ver-mittelt wird (Ende Buch IV–Buch VII).

Der letzte, historisch-chronikalische Abschnitt der ›Mutacion de Fortune‹ ist der bei weitem umfangreichste,14 so dass der Text als Ganzes in der Forschung meist unter dem Schlagwort Geschichtsschreibung behandelt wird.15 Diese Gat-

11 Vgl. Art. Enzyklopädie, Enzyklopädik, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, München/Zü-rich 1986, Sp. 2031–2039, hier Sp. 2033.

12 Christine de Pizan, Le Livre de la Mutacion de Fortune, hg. von Suzanne Solente, 4 Bde., Paris 1959–1966. Einen guten Überblick zu Entstehung und Inhalt des Textes bietet: Marie-Josèphe Pinet, Christine de Pizan (1364–1430). Étude biographique et littéraire, Paris 1927 (Nachdruck Genf 1974), S. 306–325.

13 Beschrieben werden außer Philosophie und den kanonischen Sieben Freien Künsten (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) auch die Theologie, die Physik, die Metaphysik, die Praktik, die Ethik, die Ökonomie und die Politik. Vgl. Christine de Pizan, Mutacion de Fortune (wie Anm. 12), Bd. 2, S. 103–134 (vv. 7173–8070).

14 Der historische Teil beginnt mit Vers 8071 und läuft dann bis zum Ende des etwa 24000 Verse umfassenden Werkes, macht also rund zwei Drittel des Gesamttextes aus.

15 Vgl. etwa Nadia Margolis, The Poetics of History. An Analysis of Christine de Pizan’s ›Livre de la mutacion de Fortune‹, (Ph. D. diss. Stanford 1977); Kevin Brownlee, The Image of History in Christine de Pizan’s ›Livre de la Mutacion de Fortune‹, in: Daniel Poirion, Nancy Freeman Regalado (Hg.), Contexts. Style and Value in Medieval Art and Literature, Yale 1991, S. 44–56; Earl Jeffrey Richards, Christine de Pizan and Sacred History, in: Margarete Zimmermann, Dina De Rentiis (Hg.), The City of Scholars. New Approaches to Christine de Pizan, Berlin/New York 1994, S. 15–30.

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tungszuordnung wird dem Werk jedoch nur bedingt gerecht, da auf inhaltlicher Ebene, wie bereits angedeutet, die Nähe zur Enzyklopädie betont werden muss,16 während im Formalen eine deutliche Bezugnahme auf die Tradition des allego-rischen Romans zu konstatieren ist.17 Letztere zeigt sich in der Verwendung von Stilmitteln wie der Personifi kation und der Ekphrasis, wie sie für die mittelalter-liche Allegorik charakteristisch sind. Dabei handelt es sich um Formen der Kon-kretisierung respektive der Visualisierung, die Christine dazu einsetzt, das relativ abstrakte historische und enzyklopädische Wissen für den Leser anschaulich und damit klarer fassbar zu machen.18 Diese Absicht wird im Text auch ausdrücklich festgehalten, wenn die Autorin in der Schilderung der historischen Wandbilder ihre Leser wissen lässt: Vous diray, si com j’ay appris / En la sale, dont je raconte, / De trestous les aages le compte, / Affi n que vous sachiés le voir (vv. 8346–8349).19 Was hier angesprochen wird, ist die schon in der antiken Rhetoriktheorie refl ek-tierte Fähigkeit der Ekphrasis, den Hörer oder Leser eines Textes gleichsam in einen Zuschauer zu verwandeln und ihn so unmittelbarer am beschriebenen Ge-schehen teilhaben zu lassen.20

Damit erweist sich die ›Mutacion de Fortune‹ nun aber auch formal als der Enzyklopädik nahe stehend, spielen doch vergleichbare Visualisierungsstrategien nicht nur in der allegorischen Dichtung, sondern gerade auch im enzyklopädi-schen Schrifttum des Mittelalters eine bedeutende Rolle. Dazu zählt – abgesehen von der bereits angesprochenen Wahl von Werktiteln, die auf Bildhaftigkeit ab-zielen – vor allem die Übersetzung von Bildungswissen in mentale Bildkunstwer-ke und deren Anordnung in einem imaginierten Raum, wie auch Christine sie anhand von Fortunas Palast präsentiert. Das Medium der (fi ktiven) Wandmale-

16 Bernard Ribémont etwa spricht bezüglich der ›Mutacion de Fortune‹ von einer »écriture proche de l’encyclopédisme«. Bernard Ribémont, Christine de Pizan et l’encyclopédisme scientifi que, in: Margarete Zimmermann, Dina De Rentiis (Hg.), The City of Scholars. New Approaches to Christine de Pizan, Berlin/New York 1994, S. 174–185, hier S. 174.

17 Vgl. Pinet, Christine (wie Anm. 12), S. 310–311. Konkret lässt sich für das erste Buch von Christines Dichtung eine Bezugnahme auf den ›Ovide moralisé‹ feststellen (vgl. ebd., S. 309), für die Beschreibung von Fortunas Schloss hingegen eine direkte Abhängigkeit vom ›Roman de la Rose‹ (vgl. ebd., S. 315, Anm. 2).

18 Einschränkend ist allerdings anzumerken, dass diese Visualisierungsstrategien in Christi-nes Text im Grunde nur angedacht werden, ohne dass ihr volles Potential ausgeschöpft würde. So weist die Autorin zwar am Beginn des historischen Teils mehrmals darauf hin, dass sie im Folgenden eine Serie von Wandbildern beschreibt (vgl. vv. 7104–7172; 8071–8075), doch wird die Medialität der Darstellung in den Büchern V–VII nicht weiter re-fl ektiert, so dass sich der Text letztendlich doch wieder als konventionelle chronikalische Erzählung präsentiert. Vgl. Pinet, Christine (wie Anm. 12), S. 315.

19 Christine de Pizan, Mutacion de Fortune (wie Anm. 12), Bd. 2, 142. »Ich werde euch – so wie ich sie im Saal, von dem ich erzählt habe, wahrgenommen habe – die Geschichte aller Zeitalter berichten, damit ihr sie sehen könnt.«

20 Vgl. Haiko Wandhoff, Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Lite-ratur des Mittelalters (Trends in medieval philology 3), Berlin/New York 2003, S. 20–23.

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rei wird von ihr eingesetzt, um die historischen Ereignisse in ein architektonisch strukturiertes allegorisches System einordnen zu können. Die jüngere Forschung hat deutlich gemacht, »daß die Grundlagen dieser Form des Denkens, das en-zyklopädisches [Wissen] mit Hilfe von Bauwerken sowie anderen picturae und formae räumlich-visuell inszeniert, um es kognitiv besser weiterverarbeiten zu können, in der monastischen Kultur des Frühmittelalters zu fi nden sind und daß darin wesentliche Elemente der antiken ars memorativa aufgehoben und weiter-entwickelt werden.«21 Zu erinnernde Bildungsinhalte mussten nämlich, so die Grundlage der antiken ebenso wie der mittelalterlichen Gedächtniskunst, durch möglichst prägnante imagines dargestellt werden. Damit sind freilich nicht reale, sondern bloß mentale Bilder gemeint, die lediglich in der Vorstellung existieren. Diese Bilder mussten dann bestimmten loci, klar defi nierten Orten, zugewiesen werden, die eine systematische und logisch nachvollziehbare Struktur (ordo) auf-zuweisen hatten. Erst dadurch war gewährleistet, dass die verschiedenen imagines nicht nur im Gedächtnis gespeichert, sondern jederzeit auch wieder aufgefunden werden konnten.22 Dieses von Mary Carruthers als »locational memory system«23 bezeichnete Modell erfreute sich besonders seit dem 12. Jahrhundert einer großen Beliebtheit in der Bibelexegese und in weiterer Folge auch in der Enzyklopädik.24 Die verschiedenen Wissensgebiete wurden dabei eben durch imaginäre Kunstwer-ke dargestellt, die wiederum in einem imaginierten Gebäude sinnfällig angeord-net waren. So erhielt das Wissen eine dreidimensionale Struktur; ein umfassendes Welt-Bild wurde dem Leser auf eindringliche Weise ›vor Augen geführt‹ und war damit in seinem Gedächtnis leichter speicher- bzw. abrufbar.

21 Ebd., S. 107. Vgl. allgemein zu diesem Thema ebd., S. 106–115, sowie vor allem die Arbei-ten von Mary Carruthers: Mary Carruthers, The Poet as Master Builder. Composition and Locational Memory in the Middle Ages, in: New Literary History 24 (1993), S. 881–904; Dies., The Craft of Thought. Meditation, Rhetoric, and the Making of Images 400–1200, Cambridge 1998 (Cambridge Studies in Medieval Literature 34).

22 Zur mittelalterlichen Gedächtniskunst grundlegend: Frances A. Yates, The Art of Me-mory, London 1994 (Erstaufl age London 1966), S. 63–113; Mary Carruthers, The Book of Memory. A Study of Memory in Medieval Culture, Cambridge 1990.

23 Carruthers, Poet (wie Anm. 21), S. 882.24 Als Schlüsselwerke gelten dabei Hugo von St. Viktors um 1120/1130 verfasste Schriften

›De arca Noe morali‹ und ›De arca Noe mystica‹: »Hugo bietet dem Leser seine virtuelle Arche als ein räumlich-visuelles Hilfsmittel an, mit dem dieser die Vielzahl der biblischen und heilsgeschichtlich relevanten Wissenspartitionen in seinem Gedächtnis organisieren kann« (Wandhoff, Ekphrasis [wie Anm 20], S. 107). Zur ›Arca‹ Hugos von St. Viktor und ihren kognitiven Dimension vgl. auch Friedrich Ohly, Die Kathedrale als Zeiten-raum. Zum Dom von Siena, in: Ders., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 171–273, bes. S. 171–191; Carruthers, Memory (wie Anm. 22), S. 229–242; Michael Evans, Fictive Painting in twelfth-century Paris, in: John Onians (Hg.), Sight and Insight. Essays on Art and Culture in Honour of E. H. Gombrich at 85, London 1994, S. 73–87; Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 115–119.

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Die große Bedeutung, die den fi ktiven picturae in der mittelalterlichen Mne-motechnik zugesprochen wurde, erklärt sich aus der grundlegenden Überzeugung, dass das menschliche Gedächtnis bildhaft organisiert sei, dass also alle Gedächt-nisinhalte in Form innerer Bilder gespeichert würden.25 Daher rührt wohl auch die mindestens ab dem 13. Jahrhundert weit verbreitete Vorstellung, dass Bilder den Geist stärker zu bewegen vermochten als Worte.26 Zwar wurden Augen und Ohren gleichermaßen als Türen zum ›Schatzhaus der Erinnerung‹ betrachtet, fand sowohl Gesehenes als auch Gehörtes/Gelesenes Eingang ins Gedächtnis,27 doch musste nur durch Hören oder Lesen eines Textes Erfasstes dazu erst noch vom Geist in Bilder übersetzt werden.28 Schon von den äußeren Sinnen in Bildform

25 Vgl. Wandhoff, Ekphrasis (wie Anm. 20), S. 24–30. Vgl. auch Lina Bolzoni, Gedächt-niskunst und allegorische Bilder. Theorie und Praxis der ars memorativa in Literatur und Bildender Kunst Italiens zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert, in: Aleida Assmann, Dietrich Harth (Hg.), Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt a. M. 1991, S. 147–176; Carruthers, Book (wie Anm. 22) S. 229–242; Mario Klarer, Ekphrasis, or the Archeology of Historical Theories of Representation: Medieval Brain Anatomy in Wernher der Gartnaere’s Helmbrecht, in: Word and Image 15 (1999), S. 34–40; Ders., Die mentale imago im Mittelalter: Geoffrey Chaucers Ekphrasen, in: Christine Ratkowitsch (Hg.), Die poetische Ekphrasis von Kunstwerken. Eine literari-sche Tradition der Großdichtung in Antike, Mittelalter und früher Neuzeit, Wien 2006, S. 77–96; Mary Carruthers, Moving Images in the Mind’s Eye, in: Jeffrey F. Hamburger, Anne-Marie Bouché (Hg.), The Mind’s Eye. Art and Theological Argument in the Middle Ages, Princeton 2006, S. 287–305.

26 Vgl. Horst Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995, S. 298; Frank Büttner, Vergegenwärtigung und Affekte in der Bildauffassung des späten 13. Jahrhunderts, in: Dietmar Peil, Michael Schilling, Pe-ter Strohschneider in Verbindung m. Wolfgang Frühwald (Hg.), Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur, Kolloquium Reisenburg 1996, Tübingen 1998, S. 195–213, bes. S. 200–204; Donat de Chapeaurouge, »Das Auge ist ein Herr, das Ohr ein Knecht«. Der Weg von der mittelalterlichen zur abstrakten Malerei, Wiesbaden 1983.

27 Zur mittelalterlichen Vorstellung vom Gedächtnis als ›Schatzhaus der Erinnerung‹ und Augen und Ohren als dessen Türen vgl. Carruthers, Book (wie Anm. 22), S. 33–45; Wenzel, Hören (wie Anm. 26), S. 326–334. Bezüglich der Ausdifferenzierung zwischen visueller und auditiver Wahrnehmung darf im Übrigen nicht übersehen werden, dass auch das stille Lesen eines Textes, obwohl es mit den Augen erfolgt, nicht dem Bereich des Sehens, sondern dem des Hörens zugeschlagen wurde. Denn in der großteils mündlichen Kultur der Zeit wurde auch im geschriebenen noch das gesprochene Wort wahrgenom-men und im Akt des Lesens, heißt es etwa im 13. Jahrhundert bei Richart de Fornival, erhielten die geschriebenen Worte ihre ›natürliche‹ Form, eben die gesprochene, gleichsam zurück. Vgl. Il ›Bestiaire d’amours‹ di Richart de Fornival, in: Luigina Morini (Hg.), Bestiari medievali, Turin 1996, S. 363–424, hier S. 372: …ke toute escripture si est faite pour parole monstrer et pour che ke on le lise; et quant on le list, si revient elle a nature de parole (»…dass alle Schrift gemacht ist, um die Worte darzustellen und um sie zu lesen; und wenn man sie liest, erhalten sie die natürliche Form des Wortes zurück.« Übersetzung nach Wenzel, Hören [wie Anm. 26], S. 226).

28 Vgl. dazu Wandhoff, Ekphrasis (wie Anm. 20), S. 24–28. Schon bei Alcuin etwa heißt es: Et adhunc mirabilius est, quod incognitarum rerum, si lectae vel auditae erunt in auribus,

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Wahrgenommenes hingegen konnte unmittelbar, oder doch zumindest unmittelba-rer, im Gedächtnis abgelegt werden, da die Umwandlung in ein inneres Bild ohne zusätzlichen Medienwechsel erfolgen konnte.

Der hier nur grob skizzierte enge Zusammenhang, der im Mittelalter zwischen der Leistung des Gedächtnisses und dem Anfertigen von Bildern gesehen wur-de, kommt in Christine de Pizans ›Mutacion de Fortune‹ nicht nur implizit zum Tragen, sondern auch explizit zur Sprache. Denn das Schloss der Fortuna mit seinen Wandmalereien präsentiert sich nicht nur dem Leser als ein imaginärer Gedächtnisbau, sondern erfüllt genau diese Funktion auch innerhalb des Textes. Fortuna habe nämlich, so heißt es, die Taten der ruhmreichen Helden pour me-moire, zur Erinnerung, an die Wände ihres Saales malen lassen.29 Der Bildersaal wird damit zum Erinnerungsraum, in dem das kulturelle Gedächtnis von Fortunas Reich – und somit der Menschheit an sich – bewahrt wird.30

2.3 Ein enzyklopädisches Lehrgedicht: ›L’Intelligenza‹

Noch deutlicher formuliert wird die Verbindung zwischen Bildraum und Gedächt-nisbildern in einem Text, der zwar in einiger zeitlicher und räumlicher Distanz zur ›Mutacion de Fortune‹ entstand und sich davon auch formal wie inhaltlich merklich unterscheidet, der Christines Werk aber dennoch in mancherlei Hinsicht ausgesprochen nahe steht. Die Rede ist von dem heute allgemein unter dem Titel ›L’Intelligenza‹ bekannten Lehrgedicht, das an der Wende vom 13. zum 14. Jahr-hundert von einem nicht mehr namentlich greifbaren, toskanischen Dichter ver-fasst wurde.31 Was den Text mit der ›Mutacion de Fortune‹ verbindet, ist vor allem

anima statim fi guram ignotae rei (»Immer wenn uns beim Hören oder Lesen [unbekannte Dinge] zu Ohren kommen, fertigt der Geist sofort eine Figur des unbekannten Dings an.« Übersetzung nach Wandhoff, Ekphrasis [wie Anm. 20], S. 26–27). Alcuin, Liber de animae ratione, in: Jean-Paul Migne (Hg.), Patrologia Latina, Bd. 101, S. 639–647, hier S. 642 A–B.

29 Christine de Pizan, Mutacion de Fortune (wie Anm. 12), Bd. 2, S. 102, vv. 7141–7145: Et, quant les princes, qui la servent / Et par elle servir s’asservent, / Sont trespassez, lors, pour memoire, / Elle fait pourtraire l’istoire / D’eulz, s’ilz sont digne de renom (»Und wenn die Fürsten, die ihr dienen und die sich, um ihr zu dienen, unterwerfen, dahingeschieden sind, dann lässt sie zur Erinnerung deren Geschichte darstellen, wenn sie des Nachruhms würdig sind«).

30 Zu ›Erinnerungsräumen‹ als Speicherorten kulturellen Gedächtnisses vgl. Assmann, Erin-nerungsräume (wie Anm. 24), bes. S. 33–48.

31 L’Intelligenza. Poemetto anonimo del secolo XIII, hg. von Marco Berisso, Parma 2000. Vgl. auch Marcello Ciccuto, Il restauro de »L’Intelligenza« e altri studi dugenteschi, Pisa 1985, sowie ders., Icone della parola. Immagine e scrittura nella letteratura delle origini, Modena 1995, S. 53–93. Die in der älteren Literatur öfter anzutreffende Zuschrei-bung des Werks an Dino Compagni kann beim heutigen Stand der Forschung als wider-legt gelten. Zur Datierungs- und Zuschreibungsfrage vgl. zusammenfassend die Einleitung in der Edition Berissos, bes. S. XVII–XXXV.

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seine merkwürdige Hybridität, die es unmöglich macht, ihn eindeutig einer be-stimmten literarischen Gattung zuzuweisen: Wie auch die ›Mutacion de Fortune‹ changiert die ›Intelligenza‹ zwischen allegorischem (Kurz-) Epos einerseits und Enzyklopädie mit Schwerpunkt auf der historischen Materie andererseits. In 309 (in ›nona rima‹ abgefassten) Strophen beschreibt der Autor eine von ihm geliebte Dame, ihr Aussehen, ihre Kleidung, aber auch ihren prächtigen Palast und ihren Hofstaat. In die Beschreibung eingefl ochten sind jedoch zahlreiche Exkurse, die enzyklopädisches Wissen darlegen und die in Summe dermaßen umfangreich aus-fallen, dass man sie als den eigentlichen Inhalt des Textes ansehen kann. So wird etwa die Krone der Geliebten von 60 Edelsteinen geschmückt, die nicht bloß pe-nibel aufgezählt, sondern auch über beinahe 400 Verse in all ihren Eigenschaften erläutert werden (Str. 16–58). Die Passage nimmt deutlich den Charakter eines Lapidariums, also einer lehrhaften Abhandlung über die magischen Wirkungen der Steine, an – deutlich deshalb, weil sie bis in Details dem ›De speciebus lapi-dum‹ des Marbod von Rennes folgt, also einem Schlüsselwerk dieser Gattung, das Anfang des 12. Jahrhunderts entstanden war.32

Die Schilderung der Krone bildet indes keineswegs den einzigen wissenschaft-lichen Exkurs in der ›Intelligenza‹ und auch nicht den längsten. Denn nachdem damit erst einmal Aussehen, Kleidung und Schmuck der Dame abgehandelt sind, liefert der Dichter eine umfangreiche Beschreibung ihres prächtigen Palastes. In knapp einhundert Versen vermittelt er zunächst ein Bild von dessen baulicher Ge-stalt, von dessen verschiedenen Räumen und deren Funktion (Str. 60–70). Darauf widmet er seine Aufmerksamkeit den Deckengemälden, welche die Räume des Palastes zieren, und führt diese dem Leser ausführlichst vor Augen: Die an dieser Stelle folgende Ekphrasis nimmt über 200 der 309 Strophen ein (Str. 71–288) und bildet somit das eigentlichen Kernstück der ›Intelligenza‹.33 Dargestellt ist

32 John M. Riddle, Marbode’s De Lapidibus. Considered as a Medical Treatise with Text, Comment and C. W. King’s Translation, Wiesbaden 1977 (Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Beiheft 20). Zu den Übernahmen aus Mar-bods Text in der ›Intelligenza‹ vgl. Ciccuto, Restauro (wie Anm. 31), S. 287–295, sowie die ausführlichen Stellenkommentare zu den Strophen 16 bis 58 in der Edition Berissos: L’Intelligenza (wie Anm. 31), S. 172–232.

33 Nicht restlos klar wird aus dem Text, wo im Palast die Bilder sich befi nden und in wel-chem Medium sie eigentlich dargestellt sind. Genau genommen wird einzig vom Bild des Liebesgottes Amor ausdrücklich gesagt, es befi nde sich nel mezzo de la volta, also an der Decke, doch argumentiert Marco Berisso anhand verschiedener anderer Hinweise im Text m. E. überzeugend, dass auch die übrigen Szenen als dort angebracht zu denken sind. Vgl. Berissos Stellenkommentar zu Str. 62, v. 9, in: L’Intelligenza (wie Anm. 31), S. 243–244.

Zur Technik der Bilder fi nden sich im Text widersprüchliche Angaben: Mehrmals ist von intagli e pinture oder von intagli e fi gure die Rede (Str. 70, v. 7; Str. 303, v. 1), also ei-gentlich von ›Schnitzereien und Malereien‹. In Strophe 77 (vv. 1–2) werden jedoch intagli erwähnt, die in feinstem Mosaik gearbeitet seien, und noch an zwei anderen Stellen liest man von Mosaiken (Str. 198, v. 3; Str. 242, v. 8). Der nahe liegende Schluss daraus ist, dass tatsächlich Mosaiken gemeint sind, während Ausdrücke wie intagli oder pinture nur im

38 Opitz

ein weitläufi ger historischer Zyklus, der mit einer Darstellung Fortunas als der die Geschichte bestimmenden Wirkmacht beginnt (Str. 70, vv. 8–9). Ihr zur Seite gestellt ist der Liebesgott Amor, der auf ähnlich unvorhersehbare Weise die Ge-schicke der Menschen durcheinander wirbelt und von einer großen Schar seiner berühmtesten Opfer umgeben ist (Str. 71–76):34 Um ihn herum erblickt man rund zwanzig Liebespaare aus Geschichte und Literatur, deren Reihe sowohl Gestalten aus Antike und Altem Testament, als auch aus der Artusdichtung enthält. Die hier bereits anklingende historische Dimension35 fi ndet ihre konsequente Fortsetzung in den übrigen Bildern: Es folgen die Geschichte Julius Caesars (Str. 77–215), die Taten Alexanders des Großen (Str. 216–239), der Trojanische Krieg (Str. 240–286) und schließlich Episoden aus dem Leben der wichtigsten Helden von König Artus’ Tafelrunde (Str. 287–288).

Mit der Behandlung der Artuswelt endet die Ekphrase, und der Dichter wendet sich erneut der Schönheit seiner Dame (Str. 289–290) und daraufhin dem sie umge-benden Hofstaat (Str. 291–298) zu. Die wenigen danach noch folgenden Strophen liefern dem Leser dann unversehens den allegorischen Schlüssel zu dem Ganzen: Bei der geliebten Dame handle es sich um ›Madonna Intelligenza‹ (Str. 299–300), bei ihrem Palast um den menschlichen Körper, der sie beherbergt (Str. 301). Der Große Saal stehe dabei für ein weites Herz, die Küche für den Magen, die Wände meinten das Knochengerüst, Türen und Fenster die Sinneswahrnehmung – auf diese Art wird nun Raum um Raum, Bauteil für Bauteil allegorisch ausgedeutet (Str. 301–305). Von den Deckengemälden aber heißt es: E li noboli ’ntagli e le fi -gure / si posson dir le belle rimembranze (Str. 303, vv.1–2).36 Mit anderen Worten:

weiteren Wortsinn – nämlich als Bezeichnung für fi gürliche Darstellungen im allgemei-nen – gebraucht sind. Vgl. Berissos Stellenkommentar zu Str. 77, vv. 1–2, in: L’Intelligenza (wie Anm. 31), S. 269.

34 Diese Parallelsetzung zwischen Amor und Fortuna als geschichtliche Wirkmächte bemerkt bereits Marco Berisso in seinem Kommentar zu der Textstelle: »La prima delle immagini che decorano la volta […]è una rota fortunae […]. E non sarà casuale né che proprio ques-to monito alla volubilità delle sorti umane (che è, come si vedrà, il principale leit-motiv del prossimo ciclo di pitture dedicate alle vicende di Cesare) sia il primo ad illustrare il pa-lazzo dell’Intelligenza, né […] che l’immagini della ruota della fortuna sia messa in im-mediata connessione con il trionfo del dio Amore e l’elenco degli amanti celebri, quasi a voler sottolineare, appunto, l’instabilità delle sorti amorose« (L’Intelligenza [wie Anm. 31], S. 258). Vgl. auch Ciccuto, Restauro (wie Anm. 31), S. 72–73.

35 Zwar werden die Liebespaare nicht in chronologischer Ordnung aufgelistet, doch mani-festiert sich die historische Dimension zum einen schon darin, dass die Reihe von anti-ken Figuren bis zu den im 13. Jahrhundert als gegenwartsnah empfundenen Helden der Artuswelt reicht, zum anderen darin, dass die Reihe ausgerechnet mit Paris und Helena einsetzt – galt doch der Trojanische Krieg im Mittelalter als Beginn der Profangeschichte und als Gründungsereignis des Rittertums, die Paris-Helena-Beziehung als Ursprung der höfi schen Liebe. Vgl. dazu Wandhoff, Ekphrasis (wie Anm. 20), S. 183–196.

36 L’Intelligenza (wie Anm. 31), S. 124. »Und die edlen Schnitzereien und Gestalten / können als die schönen Erinnerungen bezeichnet werden.« Zur Wendung intagli e le fi gure vgl. Anm. 33.

39Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

Die Decke repräsentiert hier die memoria, die an der Decke angebrachten Male-reien die mentalen Gedächtnisbilder.

2.4 Das Carmen 134 des Baudri de Bourgueil

Trotz der Gemeinsamkeiten, die sich in den Ekphrasen bildlicher Erinnerungs-räume aufzeigen ließen, wäre es verfehlt, von einer direkten Verbindung zwischen der ›Intelligenza‹ und der ›Mutacion de Fortune‹ auszugehen. Eine Abhängigkeit von Christine de Pizans Text von dem ein Jahrhundert älteren italienischen Werk kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.37 Die Ähnlichkeiten erklären sich vielmehr daraus, dass beide Autoren respektive Autorinnen, auf dieselben memotechnischen Verfahren zurückgriffen; aber auch daraus, dass sie sich beide auf dieselbe breite literarische Tradition stützen konn-ten. Denn sowohl der Gebrauch der Ekphrasis an sich als auch die Beschreibung enzyklopädischer Bildräume war bereits in der Literatur des Hochmittelalters fest etabliert.38 Das bekannteste Beispiel dafür bildet sicher das Carmen 134, ›Adelae Comitissae‹ des Baudri de Bourgueil, das schon Marcello Ciccuto als entfernten Vorfahr der ›Intelligenza‹ genannt hat.39

Bei dem genannten Text handelt es sich um ein Lobgedicht, das Baudri um 1100 auf die Gräfi n Adele von Blois verfasste.40 Die rund 1400 lateinische Verse

37 Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand dürfte die nur in zwei Florentiner Handschrif-ten überlieferte ›Intelligenza‹ kaum außerhalb der Stadtmauern von Florenz bekannt ge-wesen sein – und auch in Florenz, ihrem wahrscheinlichen Entstehungsort, scheint sie nur geringe Verbreitung und Resonanz gefunden zu haben. Vgl. dazu die Einleitung in: L’Intelligenza (wie Anm. 31), bes. S. XXXV–XXXVI. Die in Venedig geborene Christine de Pizan hingegen kam bereits im Alter von vier Jahren nach Paris und blieb bis zu ihrem Tod in Frankreich. Vgl. zu ihrer Biographie: Pinet, Christine (wie Anm. 12), passim; Cha-rity Cannon Willard, Christine de Pizan. Her Life and Works, New York 1984. Es gab also offenbar keine Gelegenheit, bei der Christine die ›Intelligenza‹ hätte kennen lernen können.

38 Vgl. Christine Ratkowitsch, Descriptio Picturae. Die literarische Funktion der Be-schreibung von Kunstwerken in der lateinischen Großdichtung des 12. Jahrhunderts, Wien 1991 (Wiener Studien, Beiheft 15); Wandhoff, Ekphrasis (wie Anm. 20); Ratko-witsch, Ekphrasis (wie Anm. 25).

39 Ciccuto, Icone (wie Anm. 31), bes. S. 53–67.40 Baldricus Burgulianus, Carmina, hg. von Karlheinz Hilbert, Heidelberg 1979, S. 149–187;

vgl. auch Baudri of Bourgueil, To Countess Adela. Introduction, Translation and Com-mentary by Monika Otter, in: The Journal of Medieval Latin 11 (2001), S. 61–141. Zur Person Baudris, aber auch spezifi sch zum Carmen 134, existiert eine umfangreiche Literatur, auf deren vollständige Wiedergabe ich an dieser Stelle aus Platzgründen ver-zichten muss. Für die in meinem Beitrag behandelten Aspekte grundlegend: Jean-Yves Tilliette, La chambre de la comtesse Adèle. Savoir scientifi que et technique littéraire dans le c. CXCVI de Baudri de Bourgueil, in: Romania 102 (1981), S. 145–171; Ratko-witsch, Descriptio (wie Anm. 38), S. 16–123 (mit Zusammenfassung der älteren Lite-

40 Opitz

umfassende Dichtung beginnt mit einem Lob der Tugenden Adeles und ihrer Eltern, Mathildes von Flandern und Wilhelms, Herzog der Normandie und spä-terer König von England, der als »Wilhelm der Eroberer« in die Geschichte eingehen sollte. Danach schildert Baudri einen Besuch im Gemach Adeles, des-sen Beschreibung sich über mehr als 1200 Verse erstreckt – wie bei Christine de Pizan und in der ›Intelligenza‹ macht die Ekphrasis also auch den Hauptteil des Gedichts aus. An den Wänden von Adeles Gemach, so heißt es, zeigen Bild-teppiche einen historischen Zyklus der vom Anbeginn der Welt über die jüdisch-alttestamentarische und die römisch-antike Geschichte bis in die Gegenwart des 12. Jahrhunderts reicht – eine ganze Wand ist den Heldentaten von Adeles Vater, insbesondere seiner Eroberung Englands im Jahr 1066 vorbehalten. Das von Baudri beschriebene Bildprogramm beschränkt sich jedoch keineswegs auf Dar-stellungen aus der Geschichte. Auf dem Fußboden ist nämlich, so Baudri weiter, eine Weltkarte dargestellt, an der Decke der Himmel, auf dem sowohl die sie-ben Planeten als auch die Tierkreiszeichen auszumachen sind. In einem Alkoven befi ndet sich schließlich das Bett Adeles, das ebenfalls mit Bildwerken, nämlich mit Skulpturen, geschmückt ist. Dabei handelt es sich um Personifi kationen der Sieben Freien Künste und ihrer Meisterin der Philosophie sowie der Medizin, die von ihren Lieblingsschülern Galen und Hippokrates begleitet wird. Insgesamt erweist sich das Gemach Adeles somit nicht nur als »ein Abbild des Kosmos«41, sondern auch als eine regelrechte »Enzyklopädie der damals bekannten Wis-sensgebiete«42.

Wie Mary Carruthers und, ihr folgend, Haiko Wandhoff betont haben, ist auch Baudris Enzyklopädie in Form eines nach memotechnischen Prinzipien angeord-neten mentalen Bauwerks ausgeführt, das dem Leser die verschiedenen Wissens-gebiete bildhaft vor Augen führt.43 Die Nachvollziehbarkeit dieser dreidimensio-nalen fi gurativen Ordnung – mit der Darstellung des Himmels an der Decke, der Erde auf dem Fußboden, der historischen Ereignisse schließlich an den Wänden, gleichsam zwischen Erdboden und Himmelszelt – ist dabei in so hohem Maß gewährleistet, dass man beinahe geneigt ist, sie als platt zu bezeichnen. Das hohe Maß an Anschaulichkeit, mit dem Baudris Text Bildungswissen in Szene setzt, legt nahe, dass das Gedicht nicht zuletzt eine didaktische Absicht verfolgte.44 Zugleich

ratur). Vgl. auch Carruthers, Craft (wie Anm. 21), S. 213–219; Wandhoff, Ekphrasis (wie Anm. 20), S. 64–66, 203–208.

41 Ratkowitsch, Descriptio (wie Anm. 38), S. 28.42 Ebd., S. 121.43 Carruthers, Craft (wie Anm. 21), S. 216–217; Wandhoff, Ekphrasis (wie Anm. 20),

S. 205–207.44 Diesen didaktischen Aspekt hat zuletzt vor allem Mary Carruthers betont. Sie geht so-

weit, zu vermuten, dass Baudris Text sich gar nicht exklusiv an Gräfi n Adele richtete, sondern von vornherein als ein Lehrgedicht für ein breiteres Publikum gedacht war. Vgl. Carruthers, Craft (wie Anm. 21), S. 213–219.

41Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

aber wird dadurch natürlich auch die Bildung Adeles herausgestrichen, lässt der Autor doch keinen Zweifel daran, dass sie die Urheberin der Raumausstattung ist.45 Der panegyrische Gehalt, der hier deutlich wird, zeigt sich aber vor allem in dem Umstand, dass die Bilder und Skulpturen im Gemach Adeles ja, so Christi-ne Ratkowitsch, »die im gesamten Kosmos herrschende gottgewollte Ordnung«46 manifestieren, in die Adele und ihre Familie auf besonders prominente Weise in-tegriert werden.47

3 Enzyklopädie im Bild

3.1 ›Dichtung und Wahrheit‹

Baudris Carmen 134 hat schon früh die Aufmerksamkeit nicht nur der litera-turwissenschaftlichen, sondern auch der kunst- und der kulturhistorischen For-schung auf sich gezogen. So nahm etwa Julius von Schlosser den Text in sein 1896 erschienenes ›Quellenbuch zur Kunstgeschichte des Abendländischen Mittelalters‹ auf.48 Für ihn stand außer Zweifel, dass der Dichter in seinen Bildbeschreibungen ein getreues Abbild der ihn umgebenden Realität lieferte und dass der Text daher dem modernen Kunsthistoriker als Quellenschrift dienen konnte, wenn es darum ging, die Ausstattung von Palästen des Hochmittelalters zu rekonstruieren.49 Nur wenig vorsichtiger äußert sich noch Joachim Bumke in seinem 1986 erschienenen Standardwerk zur Höfi schen Kultur: »Die Beschreibung Baudris de Bourgueil war kein Protokoll dessen, was der Dichter in Blois gesehen hatte. […] Aber das ganze Huldigungsgedicht hätte kaum einen Sinn, wenn es nicht tatsächlich ein solches Prunkzimmer gegeben hätte.«50

Skeptischer zeigt sich hingegen die jüngste Forschung zu dem Thema; betont werden nun vor allem die oben von mir skizzierten »kognitiven Dimensionen

45 Vgl. Ratkowitsch, Descriptio (wie Anm. 38), S. 27–29.46 Ebd., S. 28–29.47 Ebd., S. 123: »Das c. 134 erfüllt […] seinen eigentlichen Zweck, die von Adele erwartete

Panegyrik, indem die Widmungsträgerin in jedem der drei Großabschnitte an den zentra-len Stellen gepriesen wird: im ersten durch die Gestalt ihres Vaters, im zweiten durch die Lieblichkeit der Loire, an der die Fürstin lebt, im dritten durch ihre besondere Nähe zur Philosophie. Da jedoch der Herrscher im MA [sic!] nur gemeinsam mit Gott gepriesen werden kann, erfolgt der Preis Adeles vor dem Hintergrund der göttlichen Ordnung.«

48 Julius von Schlosser, Quellenbuch zur Kunstgeschichte des abendländischen Mittelal-ters, Wien 1896, S. 218–231.

49 Vgl. Ebd., S. XIV: »An der Realität des Geschilderten kann der ganzen Haltung des Poems nach kein Zweifel aufkommen, wenn auch im Detail manches dichterisch ausgeschmückt sein mag.«

50 Joachim Bumke, Höfi sche Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Mün-chen 1997 (Erstausgabe München 1986), S. 157.

42 Opitz

mentaler Bauwerke«51. Worum es in Raumbeschreibungen wie jener Baudris ei-gentlich gehe, sei nicht, äußere Wirklichkeit wiederzugeben, sondern dem Leser eine systematische Anordnung von Wissen, ein umfassendes Welt-Bild auf ein-dringliche Weise vor Augen zu führen.52 Die in mittelalterlichen Ekphrasen ge-schilderten Bilder bezögen sich auf die inneren Bilder und die mentalen Bauwerke der ars memorativa, allenfalls noch auf ältere ekphrastische Dichtungen, nicht je-doch auf außerhalb des Textes liegende Bezugspunkte wie real existierende Räume oder, allgemeiner gesagt, künstlerische Artefakte.53 Haiko Wandhoff, der vielleicht am nachdrücklichsten auf diesen Umstand hingewiesen hat, unterstreicht auch, dass dies nicht bloß für Ekphrasen gilt, die profane Raumausmalungen behandeln. Vielmehr treffe dasselbe auch auf Beschreibungen von Kirchenbauten und deren Bildausstattung zu,54 selbst wenn sich hier einwenden ließe, dass es sich »schon deshalb wahrscheinlich um Abbildungen realer Kirchen handelt, weil man ver-gleichbare Bildprogramme auch in anderen, erhaltenen Sakralbauten noch heu-te betrachten kann.«55 Diese Übereinstimmung beruhe nun aber nicht auf einer Abhängigkeit der literarischen Schilderungen von tatsächlich existenten Bauten, sondern schlichtweg darauf, dass auch realiter ausgeführte Kirchenarchitekturen »im Prinzip nach denselben […] Bauplänen konstruiert [seien] wie die mentalen Gebäude der Texte.«56 Daher sei, »wenn man die verbale Repräsentation eines christlichen Sakralbaus vor sich hat, in der Regel nicht zu unterscheiden […], ob es sich um die nachträgliche Beschreibung eines bereits bestehenden Bauwerks, den Bauplan einer erst noch zu realisierenden Kirche, eine von jeglicher konkre-ten Realisation absehende Meditation oder aber um eine Mischung aus all dem« handle.57 Erst recht gelte das für Beschreibungen enzyklopädischer Ausmalungen in höfi schen Wohn- und Repräsentationsräumen, wie Baudri oder die ›Intelligen-za‹ sie bieten, da sich hier vermeintlich keine vergleichbaren realen Bildprogram-me erhalten haben.58

Ein erst vor wenigen Jahren aufgedeckter Freskenzyklus in einer römischen Kardinalsresidenz belegt jedoch eindrucksvoll, dass umfangreiche enzyklopädi-sche Bildprogramme in Wohn- und Repräsentationsräumen mindestens ab dem 13. Jahrhundert auch realiter ausgeführt wurden. Dieser Zyklus stellt allerdings keineswegs ein Unikat dar, wie sich anhand einer ganzen Reihe vergleichbarer Freskenausstattungen des späten Mittelalters aufzeigen lässt. Diese bislang noch nicht zusammenhängend betrachteten Raumausmalungen sollen im Folgenden in-

51 Wandhoff, Ekphrasis (wie Anm. 20), S. 206.52 Vgl. dazu vor allem Carruthers, Craft (wie Anm. 21) und Wandhoff, Ekphrasis (wie

Anm. 20).53 Vgl. die in Anm. 38 genannte Literatur.54 Vgl. Wandhoff, Ekphrasis (wie Anm. 20), bes. S. 203–214.55 Ebd., S. 211.56 Ebd., S. 211.57 Ebd., S. 211–212.58 Ebd., S. 213–214.

43Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

nerhalb des nun abgesteckten theoretischen Rahmens vorgestellt werden. Dabei wird zu sehen sein – soviel sei vorweggenommen –, dass diese realen Bildprogram-me tatsächlich nach ähnlichen Prinzipien organisiert sind wie die bloß erfundenen der Dichter. Die einstmals so zentrale Frage nach einer möglichen Vorbildwirkung realer Raumausmalungen für die literarischen Kunstbeschreibungen des Mittelal-ters erweist sich vor diesem Hintergrund als obsolet.

3.2 Eine Kardinalsresidenz in Rom: Santi Quattro Coronati

Dem Benediktinerkonvent von Santi Quattro Coronati in Rom war im Mittelalter eine Kardinalsresidenz angeschlossen, die möglicherweise auch von den Päpsten zu repräsentativen Zwecken genutzt wurde.59 In einem zweijochigen, kreuzgrat-gewölbten Saal60 im ersten Obergeschoß wurden bei Restaurierungsarbeiten Ende der 1990er Jahre unter einer neuzeitlichen Putzschicht Wandmalereien aus der Mitte des 13. Jahrhunderts freigelegt.61 Der repräsentative Charakter der Raum-ausmalung wird von der reichen, intensiven Farbigkeit der Malereien, die ihre Wirkung vor allem aus dem Zusammenspiel von Grün-, Blau- und Rottönen be-zieht, unterstrichen.62 Einen nicht minder hohen Anspruch verrät auch das Bild-programm: Die Wandfelder des südlichen Jochs sind in zwei übereinander liegende Register gegliedert (Abb. 1). Im unteren erblickt man zwischen scheinarchitekto-nischen Bogenstellungen Darstellungen der zwölf Monate, die zum Teil durch die entsprechenden Monatsarbeiten, zum Teil durch Personifi kationen repräsentiert werden. Im Register über den Monatsbildern sind beziehungsweise waren Perso-nifi kationen der Freien Künste angebracht; nur Fragmente sind davon erhalten. Im Gewölbe darüber erblickt man schließlich verschiedene Himmelsphänomene, namentlich die Planeten und die Tierkreiszeichen. Die Anordnung ist also ähnlich wie in Baudris Gedicht. Als den Monaten übergeordnete Sinneinheiten wurden zudem auch Personifi kationen der vier Jahreszeiten im Gewölbe dargestellt, dazu kommen als weiteres atmosphärisches Phänomen die vier Winde.

Während die südliche Raumhälfte also von einem stringenten kosmologischen Programm eingenommen wird, schmücken den Nordteil des Saales Bilder religi-

59 Andreina Draghi, Il ciclo di affreschi rinvenuto nel Convento dei SS. Quattro Coronati a Roma. Un capitolo inedito della pittura romana del Duecento, in: Rivista dell’Istituto Nazionale d’Archeologia e Storia dell’Arte 54 (1999), S. 115–166; Dies., Gli affreschi dell‘Aula gotica del Monastero dei Santi Quattro Coronati. Una storia ritrovata, Mailand 2006; siehe auch Andreas Sohn, Bilder als Zeichen der Herrschaft. Die Silvesterkapelle in SS. Quattro Coronati (Rom), in: Archivum historiae pontifi ciae 35 (1997), S. 7–47.

60 Insgesamt ist der Raum etwa 17 Meter lang, 9 Meter breit und 11 Meter hoch.61 Draghi, Ciclo (wie Anm. 59); Dies., L’Aula gotica nel complesso dei Santi Quattro Coro-

nati: considerazioni sul ciclo dei mesi, in: Alessio Monciatti (Hg.), Domus et splendida palatia. Residenze papali e cardinalizie a Roma fra XII e XV secolo, Pisa 2004, S. 43–58; Alessio Monciatti, Il Palazzo Vaticano nel Medioevo, Florenz 2005, S. 76–84.

62 Draghi, Ciclo (wie Anm. 59).

44 Opitz

Abb. 1: Rom, Kardinalsresidenz bei Santi Quattro Coronati: Schema der Wanddekoration

öser Gegenstände. Im Zentrum der Nordwand thront König Salomo, umgeben von Gestalten aus dem Alten Testament und Vertretern des Neuen Bundes, welche die christliche Ecclesia symbolisieren.63 An den übrigen Wänden schließen sich Personifi kationen der Tugenden an, die Heilige und Propheten auf ihren Schul-tern tragen. Indem diese Figuren von den Propheten des Alten Testaments bis zu zeitgenössischen Heiligen wie Franziskus und Dominikus reichen, ist dem Zyklus überdies auch eine historische Dimension eingeschrieben.

Im Ganzen betrachtet, veranschaulicht das Bildprogramm also die kosmologi-schen und die geistlichen Grundlagen des christlichen Weltbilds. Völlig zu Recht hat man die Fresken in der Forschung als einen Mikrokosmos bezeichnet, der die Ordnung der göttlichen Schöpfung widerspiegelt.64 Die zentrale Position, die in

63 Draghi, Aula (wie Anm. 61), S. 45.64 Draghi, Ciclo (wie Anm. 59), S. 145: »È la rappresentazione di un microcosmo che rifl et-

te l’ordine della creazione divina.«

45Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

diesem Programm der Figur des Salomon zukommt, lässt sich möglicherweise als der Schlüssel zu dem Ganzen deuten: Als Auftraggeber der Freskierung ist nämlich Kardinal Stefano dei Conti, der Neffe von Papst Innozenz III., anzuneh-men, der nicht nur eine richterliche Stellung in der päpstlichen Kurie bekleidete, sondern während der Abwesenheit des Papstes von Rom auch als ›vicarius urbis‹ fungierte.65 Salomon, als exemplarische Gestalt des ›Guten Richters‹ schlechthin, dient in der Bildfolge somit wohl als Stellvertreter- oder Identifi kationsfi gur für den Auftraggeber, der in der Residenz bei Santi Quattro Coronati nachweislich Rechtsakte vollzog.66 Durch die prominente visuelle Einbindung in die göttliche Heilsordnung wird die Legitimität Salomons und damit gewissermaßen auch jene des Auftraggebers als Richter betont. Zugleich aber erscheint Salomon – und mit ihm der Auftraggeber – auch als der Garant göttlicher Ordnung auf Erden.

Nicht nur dem Inhalt, auch der Funktion nach erweist sich die Saalausma-lung in der Residenz bei Santi Quattro Coronati damit als dem Bildprogramm im Schlafgemach der Adele von Blois in der Beschreibung des Baudri de Bourgueil vergleichbar. In beiden Fällen wird dem Auftraggeber ein prominenter Platz in einem enzyklopädisch ausgebreiteten Weltbild zugewiesen, in beiden Fällen wird die Bildausstattung eines Repräsentationsraumes zur Inszenierung einer heraus-ragenden gesellschaftlichen Stellung eingesetzt. Im Fall des römischen Beispiels dürfte diese repräsentative Funktion auch dann gegeben gewesen sein, wenn dort nicht gerade Recht gesprochen wurde – sie lief dann allerdings vermutlich weniger über die Gleichsetzung des Auftraggebers mit Salomon als über dessen durch die Bilder inszenierte Teilhabe am Bildungswissen seiner Zeit. Tatsächlich scheint es, als seien derartige Freskenzyklen in der – meist klerikal gebildeten – römischen Oberschicht des 13. und frühen 14. Jahrhunderts keine Seltenheit gewesen. Na-türlich ist der Bestand an erhaltenem Material zu gering, um hier wirklich ein defi nitives Urteil fällen zu können, aber es zeichnet sich doch ab, dass Wandmale-reien zur Standardausstattung in den Palästen römischer Adeliger und Kardinäle zählten67 und dass zumindest ein Teil davon enzyklopädische Elemente enthielt.68

65 Monciatti, Palazzo (wie Anm. 61), S. 77–80.66 Ebd., S. 79.67 Vgl. Paolo Delogu, Castelli e Palazzi. La nobiltà duecentesca nel territorio Laziale, in:

Angiola Maria Romanini (Hg.), Roma anno 1300, Rom 1983, S. 705–717; Melinda Mihályi, I cistercensi a Roma e la decorazione pittorica dell’ala dei monaci nell’abbazia delle Tre Fontane, in: Arte medievale n.s. V/1 (1991), S. 155–189, hier S. 174 (Abb. 43–44); Dies., Pittura profana a Roma al tempo del primo Giubileo, in: Marina Righetti Tosti-Croce (Hg.), Bonifacio VIII e il suo tempo, Mailand 2000, S. 65–68; Monciatti, Domus (wie Anm. 61); Monciatti, Palazzo (wie Anm. 61), S. 57–89.

68 Da er sich in einem sakralen Kontext befi ndet, sei der berühmteste enzyklopädische Fres-kenzyklus des mittelalterlichen Roms, die Außenbemalung am Dormitorium der Zister-zienserabtei ›Tre Fontane‹, hier nur am Rande erwähnt. Um 1300 entstanden zeigt sie verschiedene allegorische Szenen und Personifi kationen, die sich zum Teil auf die ›Summa de naturis rerum‹ des Thomas von Cantimpré zurückführen lassen und in der Forschung

46 Opitz

So existieren im Senatorenpalast Reste von Fresken, die möglicherweise im Zu-sammenhang mit Umbauten im Jahr 1299 ausgeführt wurden und die sich als Fragmente eines Monatsbilderzyklus identifi zieren lassen.69 In einem Repräsen-tationsraum der Torre Colonna in Tivoli, knapp außerhalb Roms, wurden hin-gegen in etwa zur selben Zeit verschiedene Fabel- und Exempelszenen dargestellt, die wohl als Allegorien der Weisheit, der Gerechtigkeit und anderer Tugenden zu interpretieren sind. Dazu kommen das Rad der Fortuna mit der (inschriftlich gekennzeichneten) Figur des Pompeius sowie die Wappen der Colonna und ande-rer, mit diesen befreundeter Adelsfamilien.70 Sowohl durch die Wappen als auch durch Pompeius, der als Vorfahre der Colonna angesehen wurden, wird auch in diesem Fall der Auftraggeber dem Bildprogramm gleichsam eingeschrieben, wird die Familie der Colonna mit den Tugendallegorien der Fresken in unmittelbare Beziehung gesetzt.71

3.3 Die Wandmalereien in Longthorpe Tower

Eine Raumausmalung, der ein ähnlich enzyklopädischer Charakter wie jener von Santi Quattro Coronati zuzusprechen ist, entstand ein knappes Jahrhundert spä-ter, um 1330, im mittelenglischen Longthorpe Tower.72 Anders als im römischen Beispiel war der Auftraggeber mit Robert of Thorpe kein Kirchenmann, sondern ein Mitglied des weltlichen Adels. Allerdings fungierte er als Verwalter der nahe gelegenen Abtei von Peterborough, stand dem klerikalen und somit dem gebil-deten Milieu also zumindest nahe.73 Anders als im römischen Beispiel handelt es sich hier auch nicht um einen repräsentativen Saal, sondern um einen kleinen, annähernd quadratischen Raum, der vermutlich zu Wohnzwecken diente. Diese Funktion wird nicht nur durch die geringen Ausmaße – gerade einmal 6 mal 5 Me-ter – nahe gelegt, sondern auch dadurch, dass der Raum über eine Heizmöglich-

immer wieder als ›Enzyklopädie des menschlichen Erdenlebens‹ apostrophiert werden. Vgl. Carlo Bertelli, L’enciclopedia delle Tre Fontane, in: Paragone XX, 235 (1969), S. 24–49; Mihályi, Cistercensi (wie Anm. 67); Serena Romano, Eclissi di Roma. Pit-tura murale a Roma e nel Lazio da Bonifacio VII a Martino V (1295–1431), Rom 1992, S. 83–94; Mihályi, Pittura (wie Anm. 67) S. 65–68 u. Kat. Nr. 187 Ebd., S. 235–238.

69 Romano, Eclissi (wie Anm. 68), S. 47–49.70 Ebd., S. 159–164; Mihályi, Pittura (wie Anm. 67), S. 67.71 Vgl. Romano, Eclissi (wie Anm. 68), S. 163–164.72 E. Clive Rouse, Audrey Baker, The Wall-Paintings at Longthorpe Tower near Peter-

borough, Northants., in: Archaeologia 96 (1955), S. 1–57; E. Clive Rouse, Longthorpe Tower, Peterborough 1964; Jonathan Alexander, Paul Binski (Hg.), Ausstellungskata-log Age of Chivalry. Art in Plantagenet England 1200–1400, London 1987, S. 249–250; Caroline Babington, Tracy Manning, Sophie Stewart, Our Painted Past. Wall Paint-ings of English Heritage, London 1999, S. 8, 58–59.

73 Rouse/Baker, Wall-Painting (wie Anm. 72), S. 6–7.

47Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

Abb. 2: Longthorpe Tower: Schematische Darstellung von West- und Nordwand

Abb. 3: Longthorpe Tower: Schematische Darstellung von Ost- und Südwand

48 Opitz

keit verfügt. Dabei sollte man freilich nicht übersehen, dass im Mittelalter auch eigentlich sehr intime Räume zu Repräsentationszwecken genutzt wurden, etwa zum Empfang besonders prominenter Gäste.74

Das Gesamtprogramm der Freskierung lässt sich auch hier am besten anhand einer graphischen Umsetzung erfassen (Abb. 2–3). In den Gewölbezwickeln er-blickt man den Harfe spielenden König David sowie weitere musizierende Figuren. Darüber, in den Gewölbekappen, nur fragmentarisch erhaltene Medaillons mit den Evangelistensymbolen. In der Hauptzone der Nordwand sowie in den Fens-terlaibungen von Ost- und Westwand ist das Apostelcredo dargestellt, also die Figuren der zwölf Apostel, denen jeweils ein Spruchband mit einem Vers aus dem christlichen Glaubensbekenntnis beigegeben ist. Diesen Grundlagen des christ-lichen Glaubens, die sich im Gewölbe und an der Nordwand manifestieren, ist an der Südwand die irdische Autorität gegenübergestellt: Auf zwei Thronbänken sieht man hier Edward III. von England und dessen Onkel Edmund Woodstock, der als Vormund des jungen Königs wesentlichen Anteil an der Regierung des Lan-des hatte. Beide sind anhand der ihnen beigegebenen Wappen zu identifi zieren.75

In diesen Rahmen geistlicher und weltlicher Ordnung eingebettet sind wieder-um Darstellungen der zwölf Monate. In Form schlichter Personifi kationen sind sie halbkreisartig im oberen Giebelfeld der Westwand angebracht. In ähnlicher Anordnung folgen an der Nordwand die Lebensalter des Menschen als Reihe von sieben Einzelfi guren; sie beginnt links unten mit dem Neugeborenen, steigt dann an bis zum reifen Mannesalter, das im Scheitelpunkt des Bogenfeldes, gleichsam als der Höhepunkt des menschlichen Lebens, dargestellt ist; danach geht es buch-stäblich abwärts bis zum Greisenalter, mit dem die Reihe rechts unten endet.76 An der Ostwand wird der Betrachter schließlich mit einer weiteren Darstellung konfrontiert, die Grundlegendes über die ›conditio humana‹ aussagt: dem Rad der fünf Sinne. Als Vertreter des Menschengeschlechts erscheint hier die Gestalt eines Königs, der ein Rad in Händen hält, auf dem in gleichmäßigem Abstand fünf Tie-re angebracht sind. Einer im Mittelalter allgemein verbreiteten Tradition folgend symbolisiert jedes dieser Tiere einen der fünf Sinne: Der links unten dargestellte Affe steht für den Geschmackssinn, der im Uhrzeigersinn darauf folgende Adler für den Sehsinn, die Spinne für den Tastsinn, das Wildschwein für den Gehör-, der Geier schließlich für den Geruchssinn.77

74 Dazu exemplarisch anhand des Papstpalastes in Avignon: Gottfried Kerscher, Archi-tektur als Repräsentation, Tübingen/Berlin 2000, S. 123–126, 145–151.

75 Zur Identifi zierung der beiden Thronfi guren vgl. Rouse/Baker, Wall-Paintings (wie Anm. 72), S. 35.

76 Vgl. Elizabeth Sears, The Ages of Man. Medieval Interpretations of the Life Cycle, Prin-ceton 1986, S. 137–138.

77 Vgl. Carl Nordenfalk, Les cinq sens dans l’art du Moyen Age, in: Revue de l’Art 34 (1976), S. 24–25; Gino Casagrande, Christopher Kleinhenz, Literary and Philoso-phical Perspectives on the Wheel of the Five Senses in Longthorpe Tower, in: Traditio 41 (1985), S. 311–328.

49Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

Ergänzt wird die Ausmalung in Longthorpe noch durch eine Reihe weiterer geistlicher und allegorischer Darstellungen, auf die weiter unten noch zurückzu-kommen sein wird. Insgesamt erweist sich das Programm als weniger stringent als jenes in der Kardinalsresidenz von Santi Quattro Coronati, doch liegt dies sicher auch daran, dass die Wände des Raums durch zahlreiche Nischen, Fenster- und Türöffnungen durchbrochen werden. Eine wirklich regelmäßige Anordnung der Bildgegenstände war dadurch von vornherein unmöglich. Was die Auswahl und die Zusammenstellung der Motive anbelangt, wird in der Forschung schon seit langem auf die Ausmalungsprogramme der englischen Königsschlösser verwiesen, die eventuell als Vorbilder in Frage kämen.78 So sind für die Burgen von Clarendon, Kennington und Windsor Monatsdarstellungen aus dem 13. Jahrhundert belegt oder erhalten, während in den Palästen von Westminster und Winchester aus der-selben Zeit monumentale Weltkarten sowie das Rad der Fortuna als Bildthemen nachgewiesen sind.79 Mit all der ob des geringen Materialbestands angebrachten Vorsicht kann also auch hier möglicherweise von einer lokalen Tradition gespro-chen werden, in die sich die Fresken von Longthorpe Tower einordnen lassen.

3.4 Weltgeschichtliche Zyklen

Vergleicht man die Raumausmalungen in Longthorpe Tower und in der Kardi-nalsresidenz bei Santi Quattro Coronati mit den eingangs behandelten fi ktiven Bildprogrammen der Literatur, so fällt auf, dass in den realen Beispielen die aus-führlichen historischen Zyklen, die in den Texten eine so zentrale Rolle einnehmen, fehlen. Zwar wird, wie oben bereits erwähnt, immerhin in der Propheten- und Heiligenreihe der römischen Kardinalsresidenz eine geschichtliche Chronologie angedeutet, doch wird diese nicht zum eigentlichen Darstellungsthema erhoben. Es existieren indes sehr wohl auch real ausgeführte Freskenzyklen, in denen histo-rische Ereignisbilder mit enzyklopädischem Bildmaterial kombiniert werden. Der bekannteste davon ist wohl jener auf der Rocca di Angera in der Lombardei. Er entstand um 1300 im Auftrag des Mailänder Stadtherren, des Bischofs Ottone Visconti, um an dessen Sieg über Napoleone della Torre und dessen Anhänger zu erinnern.80 Die Ereignisse rund um diese Auseinandersetzung bilden auch das

78 Rouse/Baker, Wall-Paintings (wie Anm. 72), S. 54.79 Vgl. Tancred Borenius, The Cycles of Images in the Palaces and Castles of Henry III., in:

Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 6 (1943), S. 40–50; David Park, Robyn Pender, Henry III’s Wall Paintings of the Zodiac in the Lower Ward of Windsor Castle, in: Laurence Keen, Eileen Scarff (Hg.), Windsor. Medieval Archaeology, Art and Architec-ture of the Thames Valley, Leeds 2002, S. 125–131.

80 Zu diesem Zyklus vgl. Dieter Blume, Planetengötter und ein christlicher Friedensbringer als Legitimation eines Machtwechsels: Die Ausmalung der Rocca di Angera, in: Europä-ische Kunst um 1300, Wien 1986, S. 175–187; Elena Bellantoni, Gli affreschi della Sala di Giustizia nella Rocca di Angera, in: Arte Cristiana 75 (1987), S. 283–294; Albert

50 Opitz

Hauptthema der Raumausmalung: In einem zweijochigen, kreuzrippengewölbten Saal der Rocca ist in der Hauptzone von Süd-, Ost-, und Westwand dargestellt, wie Ottone seinen Widersacher in der Schlacht bei Desio besiegt, gefangen setzt und danach triumphal in Mailand einzieht. An der nördlichen Schmalwand hingegen ist Fortuna mit ihrem Rad zu sehen, mithin jenes übergeordnete Prinzip, welches das Weltgeschehen und damit auch die Geschicke des Ottone Visconti lenkt. Ob neben dieser Figur, wie Dieter Blume vermutet, auch noch Tugendallegorien dar-gestellt waren,81 muss dahingestellt bleiben. Tatsache ist jedoch, dass in den vom Gewölbe gebildeten Lünetten über der eigentlichen Bildzone Personifi kationen der Sieben Planeten und der Tierkreiszeichen angebracht waren, die dem darun-ter liegenden historischen Zyklus seinen Platz in einem größeren kosmologischen Rahmen zuweisen. Diese Anordnung enthält natürlich einen »legitimatorischen

Dietl, Der Triumph des Ottone Visconti: Zu Datierung und Programm des Freskenzyklus in der Rocca von Angera, in: Sitzungsberichte der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft zu Berlin 41–42 (1992–1994), S. 41–44; Dieter Blume, Regenten des Himmels. Astrologi-sche Bilder in Mittelalter und Renaissance, Berlin 2000, S. 64–69, 205–206.

81 Blume, Regenten (wie Anm. 80), S. 66.

Abb. 4: Burg Runkelstein: Sommerhaus, Fassade zum Hof

51Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

Effekt«, suggeriert sie doch, dass die Machtübernahme durch Ottone Visconti »aus den Gesetzen der Sterne abzuleiten« wäre.82

Dem Prinzip nach vergleichbar ist die Freskendekoration eines Saals im Cas-tell d’Alcanyis bei Teruel in Spanien.83 Diese Wandmalereien aus dem ersten Drit-tel des 14. Jahrhunderts zeigen verschiedene Episoden aus dem Kampf um das Königreich Navarra zwischen Jakob I. von Aragon und dessen Schwiegersohn Alfons X. von Kastilien. Ergänzt werden diese Darstellungen ebenfalls durch das Rad der Fortuna an der Stirnwand und durch Monatsarbeiten an der Unterseite eines den Raum überspannenden Schwibbogens. Auch hier werden also histori-sche Ereignisse in ein enzyklopädisches Rahmenwerk eingebettet. Auch hier wird allerdings – wie schon in Angera – bloß eine in sich abgeschlossene Folge histo-rischer Geschehnisse geschildert und nicht etwa – wie in den eingangs behandel-ten Textbeispielen – ein vollständiger weltgeschichtlicher Zyklus präsentiert. Ein solcher fi ndet sich indes in der vielleicht bekanntesten ›freskierten Enzyklopädie‹ des Mittelalters: der Außenbemalung am Sommerhaus der Burg Runkelstein bei Bozen.

Um 1400 im Auftrag der neureichen Bozner Kaufl eute Franz und Nikolaus Vintler ausgeführt, umfasst der Zyklus am Runkelsteiner Sommerhaus drei große inhaltliche Einheiten (Abb. 4).84 Im Untergeschoß öffnet sich der Bau durch vier weite Bogenstellungen zum Burghof: In den beiden westlichen der dadurch entste-henden Arkaden sind an den Laibungen in Terraverde-Malerei Personifi kationen der Philosophie und der Sieben Freien Künste angebracht;85 die Bemalung der

82 Ebd., S. 68. Dazu ausführlicher Blume, Planetengötter (wie Anm. 80), bes. S. 179–181.83 Zu diesem Zyklus und seinem Programm vgl. Walter William Spencer Cook, José

Gudiol Ricart, Pintura e Imaginería Románicas (Ars Hispaniae – Historia Universal del Arte Hispánico VI), Madrid 1950, S. 137; José Gudiol Ricart, Pintura Gótica (Ars His-paniae – Historia Universal del Arte Hispánico IX), Madrid 1955, S. 29–30; Carlos Cid Prego, Las Pinturas Murales del Castillo de Alcañiz, in: Goya 46 (1962), S. 274–277.

84 Grundlegend zum Bildprogramm des Runkelsteiner Sommerhauses: Walter Haug u.a., Runkelstein. Die Wandmalereien des Sommerhauses, Wiesbaden 1982; Kristina Domanski, Margit Krenn, Die profanen Wandmalereien im Sommerhaus, in: Schloss Runkelstein. Die Bilderburg, Bozen 2000, S. 99–154; René Wetzel, Runkelsteiner Kai-serreihe (Burghof), in: Schloss Runkelstein. Die Bilderburg, Bozen 2000, S.173–184.

85 Vgl. Michael Stolz, Wege des Wissens. Zur Konventionalität mittelalterlicher Artes-Bildlichkeit, in: Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali, René Wetzel (Hg.), Literatur und Wandmalerei II. Konventionalität und Konversation, Tübingen 2005, S. 273–301, bes. S. 296–298. Gutes Bildmaterial fi ndet man bei: René Wetzel, Quis dicet originis annos? Die Runkelsteiner Vintler – Konstruktion einer adligen Identität, in: Schloss Runkelstein. Die Bilderburg, Bozen 2000, S. 291–310, hier S. 304–305 (Abb. 497–500); Anja Grebe, G. Ulrich Grossmann, Armin Torggler, Burg Runkelstein (Burgen, Schlösser und Wehrbauten in Mitteleuropa Bd. 20), Regensburg 2005, S. 46.

Beachtung verdient der Versuch Cord Mecksepers, die Freskenzyklen in Sommerhaus, Westpalas und Burgkapelle von Burg Runkelstein als ein ›Gesamtprogramm‹ zu deuten: Cord Meckseper, Wandmalerei im funktionalen Zusammenhang ihres architektonisch-

52 Opitz

beiden östlichen Arkaden ist hingegen verloren, doch dürfte hier ein Tugendzy-klus dargestellt gewesen sein.86 An der zum Hof weisenden Außenwand dieser Arkaden befi ndet sich die zweite Bildeinheit, die so genannte ›Runkelsteiner Kai-serreihe‹.87 Die Wandfl äche ist hier aufgeteilt in ein Netz aus Vierpassmedaillons, in denen jeweils – abermals in Terraverde – die Büste eines römisch-deutschen Kaisers zu sehen ist. Die heute noch erkennbaren zweiunddreißig Kaiserbildnisse stellen allerdings nur einen Bruchteil des ursprünglich genau hundert Medaillons umfassenden Programms, das sich östlich und westlich des Sommerhauses an der Wehrmauer der Burg fortsetzte, dar.88 Jedem der Bilder waren eine fortlaufende Nummer, der Name des abgebildeten Herrschers sowie dessen Regierungsjahre inschriftlich beigefügt. Durch einen Söller von diesen Darstellungen getrennt, ist an der Außenwand des Obergeschoßes als dritte Einheit eine Folge vorbildhafter Gestalten aus Geschichte und Literatur freskiert.89 Diese buntfarbig ausgeführten Figuren sind zu insgesamt neun Dreiergruppen zusammengefasst und beginnen im Westen mit der kanonischen Gruppe der Neun Helden, also den besten Helden aus Antike (Hektor, Alexander, Julius Cäsar), Altem Testament (Josua, David, Judas Makkabäus) und Christentum (Artus, Karl der Große, Gottfried von Bouillon). Es folgen die drei besten Ritter der Tafelrunde (Parzival, Gawain, Iwein), die drei berühmtesten Liebespaare (Aglie und Wilhelm von Österreich, Isolde und Tris-tan, Amelie und Wilhelm von Orlens), die drei kühnsten Recken der Heldensage (Dietrich von Bern, Siegfried, Dietleib), die drei stärksten Riesen (Waltram, Ortnit, Schrautan), die drei schrecklichsten Riesenweiber (Ruel, Frau Ritsch, Rachin) so-wie zuletzt die drei besten Zwerge (Goldemar [?], Bibunch [?], Alberich).90

räumlichen Orts, in: Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali, René Wetzel (Hg.), Literatur und Wandmalerei I. Erscheinungsformen höfi scher Kultur und ihre Träger im Mittelalter, Tübingen 2002, S. 255–282. Trotz einiger guter Einzelbeobachtungen ist das von ihm postulierte ›Gesamtprogramm‹ letztendlich aber zu konstruiert, um wirklich überzeugen zu können. Meines Erachtens völlig zu Recht wird es daher von G. Ulrich Großmann als unhaltbar zurückgewiesen: G. Ulrich Grossmann, Von Rodenegg nach Runkelstein. Raumkunst und Raumfunktionen im mittelalterlichen Burgenbau Tirols, in: Raumkunst in Burg und Schloss. Zeugnis und Gesamtkunstwerk, Regensburg 2005 (Jahrbuch der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten 8 [2004]), S. 15–24, bes. S. 22.

86 René Wetzel, Runkelsteiner Kaiserreihe und Runkelsteiner ›Weltchronik‹-Handschrift im Trialog von Bild, Text und Kontext, in: Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali, René Wetzel (Hg.), Literatur und Wandmalerei I. Erscheinungsformen höfi scher Kultur und ihre Träger im Mittelalter, Tübingen 2002, S. 405–433, hier S. 423; Stolz, Wege (wie Anm. 85) S. 297.

87 Vgl. Wetzel, Kaiserreihe (wie Anm. 84); Wetzel, Weltchronik (wie Anm. 86).88 Wetzel, Weltchronik (wie Anm. 86) S. 412–413.89 Vgl. Joachim Heinzle, Die Triaden auf Runkelstein und die mittelhochdeutsche Hel-

dendichtung, in: Haug u. a., Runkelstein (wie Anm. 84), S. 63–93; Domanski/Krenn, Wandmalereien (wie Anm. 84) S. 99–109.

90 Vor allem bei den Gruppen der Riesinnen und der Zwerge ist die Identifi zierung der Dar-gestellten zum Teil umstritten; vgl. dazu Heinzle, Triaden (wie Anm. 89).

53Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

Ebenso wie der Kaiserreihe ist auch dieser oberen Bildreihe eine historische Chronologie eingeschrieben.91 Offensichtlich ist sie natürlich in der Neun-Helden-Reihe mit der Abfolge von heidnischer Antike, Altem Testament und christlichem Rittertum. Letzteres wird dann durch die Gruppe der Artusritter zum besonderen Schwerpunkt ausgebaut und fi ndet in der Darstellung der höfi sch Liebenden mit ihrer verfeinerten Lebensart genau an der Mitte der Wand seine höchste Vollen-dung. Von rechts gelesen zeigt die Bildreihe dagegen die historischen Entwick-lungsabschnitte, wie sie in der germanischen Heldensage geschildert werden: Auf die Zwerge als den Begründern von Handwerk und Kunst folgen die Riesen als Vorläufer der Adelsschicht, um schließlich von den menschlichen Helden abgelöst zu werden. Auch diese Reihe fi ndet ihre Erfüllung »in den rein höfi schen Ideal-fi guren, den waffenlosen Liebespaaren im Zentrum der Wand«.92

Anders als in Angera oder Alcanyis geht es hier also nicht um die Darstel-lung eines einzelnen historischen Ereignisses beziehungsweise einer in sich abge-schlossenen, zeitlich klar begrenzten Kette von Ereignissen, sondern tatsächlich um eine Art Abriss der gesamten Weltgeschichte, wie er uns auch schon in den eingangs behandelten Texten begegnet ist. Dass – wie René Wetzel zeigen konn-te – zumindest bei der Konzeption der Kaiserreihe offensichtlich auf Weltchronik-Handschriften zurückgegriffen wurde,93 unterstreicht diesen Aspekt. Wie in den eingangs behandelten Texten wird der historische Zyklus am Runkelsteiner Som-merhaus durch Darstellungen der Freien Künste (und möglicherweise auch von Tugenden) ergänzt, ja aufgrund der räumlichen Anordnung sogar im wörtlichen Sinn ›getragen‹. Damit repräsentieren die Bilder, so Wetzel, »in ihrem Summen-charakter gewiß aktuelles ›Weltwissen‹, konservieren, tradieren und aktualisie-ren andererseits aber auch das kulturelle Gedächtnis einer Schicht [nämlich des Adels], zu welcher die [bürgerlichen] Vintler Anschluß fi nden wollten.«94 Es sei auch, so Wetzel weiter, bestimmt kein Zufall, dass diese visuelle »Verankerung in Vergangenheit, Tradition und Kultur ihren prägnantesten Ausdruck […] gleich nach dem Betreten des Schloßhofes« fi nde; die Bemalung der Sommerhaus-Au-ßenwand sei daher »vergleichbar in der Funktion dem bildgeschmückten Portal mittelalterlicher Kirchen.«95 Dem ist, so fi nde ich, voll und ganz zuzustimmen, und meines Erachtens zu Recht konkludiert Wetzel: »Durch die Kaiserreihe, die ihn [den Besucher] von beiden Seiten umfängt, wird er wie von selbst auf Arkaden-

91 René Wetzel, L’image du monde dans un monde d’images. Les fresques littéraires et courtoises de Castelroncolo dans leur contexte socioculturel et historique (Haute Adige, XIV–XVe siècles), in: L’histoire dans la littérature. Etudes réunies et présentées par Lau-rent Ader et Eric Eigenmann, Genf 2000, S. 139–150, bes. S. 146–149; Wetzel, Weltchro-nik (wie Anm. 86) S. 426–427.

92 Wetzel, Vintler (wie Anm. 84) S. 303.93 Wetzel, Weltchronik (wie Anm. 86) S. 413–414.94 Ebd., S. 427–428.95 Ebd., S. 428.

54 Opitz

und Söllerwand des Sommerhauses hingeführt, wo ihn in Form exemplarischer Gestalten eine Summa adelig-höfi scher Traditionen, Werte und Bildungsinhalte in den Bann zieht und vom entsprechenden Anspruch und dem geistigen Horizont des Schloßherrn kündet.«96

3.5 Ein Vorläufer des Studiolo: Der Palazzo Trinci in Foligno

Mit dem Runkelsteiner Sommerhaus bin ich nun, chronologisch betrachtet, wie-der dort angekommen, wo ich mit Christine de Pizans ›Mutacion de Fortune‹ be-gonnen hatte: in der Zeit um 1400. Es bietet sich an, die Betrachtung enzyklopädi-scher Freskenzyklen in Profanräumen mit diesem Zeitpunkt enden zu lassen, auch wenn aus den darauf folgenden Jahrzehnten durchaus ebenfalls noch einschlä-giges Material vorhanden wäre.97 Dies zum einen, weil der vorliegende Beitrag ansonsten Gefahr liefe, aus allen Nähten zu bersten. Zum anderen aber, weil sich der bisher verfolgte gesamteuropäische Ansatz für das 15. Jahrhundert nur noch sehr bedingt weiter verwenden ließe. Denn im weiteren Verlauf dieses Säkulums entwickelt sich in Italien der Raumtyp des Studiolo, der herrschaftlichen Studier-stube, auf deren Ausstattung sich enzyklopädische Bildprogramme dann so gut wie ausschließlich beschränken.98 Hier entstehen rasch eigene ikonographische Konventionen und Traditionen, die sich in anderen europäischen Ländern nicht in vergleichbarer Form fi nden und die ein Forschungsgebiet für sich darstellen. Nur in aller Kürze will ich daher noch ein letztes Beispiel vorstellen, das sich einerseits bereits als ›Ahnherr‹ solcher Studiolo-Dekorationen defi nieren lässt, das aber an-dererseits noch stark der mittelalterlichen Tradition enzyklopädischer Raumaus-malungen verpfl ichtet ist: den Palazzo Trinci in Foligno.99

Auftraggeber der Freskenausstattung war der Stadtherr von Foligno, Ugoli-no Trinci, der um 1410 im repräsentativen zweiten Obergeschoß seines Palasts ein Bildprogramm ausführen ließ, in dem sich der Anspruch manifestiert, an die Größe des antiken Rom anzuschließen.100 Dementsprechend erblickt man beim

96 Ebd., S. 428.97 Etwa eine Raumausmalung im Turm zur Gilgen in Luzern, wo bald nach 1500 ein Le-

bensalter- und Planetenzyklus zur Darstellung gelangte. Vgl. dazu Johanna Thali, Insze-nierung in Text und Bild. Festkultur, Theater und Malerei in Patrizierhäusern am Beispiel der Stadt Luzern im 16. Jahrhundert, in: Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali, René Wetzel (Hg.), Literatur und Wandmalerei II. Konventionalität und Konversation, Tübingen 2005, S. 539–572, bes. S. 545–561.

98 Zum Studiolo nach wie vor grundlegend: Wolfgang Liebenwein, Studiolo. Die Ent-stehung eines Raumtyps und seine Entwicklung bis um 1600, Berlin 1977.

99 Zum Palast und seiner Ausstattung jetzt grundlegend: Giordana Benazzi, Francesco Federico Mancini (Hg.), Il Palazzo Trinci di Foligno, Perugia 2001.

100 Vgl. Luigi Sensi, Aurea quondam Roma, in: Benazzi/Mancini, Palazzo (wie Anm. 99), S. 217–228; Cristina Galassi, Un signore e il suo palazzo: iconografi a, cronologia e

55Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

Betreten des zweiten Stockes in der Loggia am oberen Treppenabsatz als erstes die Geschichte von Romulus und Remus, also den Gründungsmythos des alten Rom. Im daran anschließenden, für die Regierungsgeschäfte vorgesehenen Großen Saal wird das Programm nahtlos fortgesetzt: Hier schmücken die überlebensgroßen Bildnisse von Herrschern der römischen Antike die Wände. Diese historischen Bildthemen werden in der so genannten ›Camera delle Stelle‹ (Abb. 5) wiederum durch Darstellungen enzyklopädischen Charakters ergänzt.101

In der nördlichen Raumhälfte sind in aufwendigen Thronarchitekturen die Sie-ben Freien Künste und ihre Meisterin, die Philosophie, dargestellt. Daran schließt sich im südlichen Teil des Raumes ein Planetenzyklus an; die Reihe der Plane-

commitenza dei cicli pittorici nelle ›case nuove‹ di Ugolino Trinci, in: Benazzi/Mancini, Palazzo (wie Anm. 99), S. 269–298.

101 Zum Bildprogramm der ›Camera delle Stelle‹ vgl. Blume, Regenten (wie Anm. 80), S. 118–125.

Abb. 5: Foligno, Palazzo Trinci: Camera delle Stelle, Einblick

56 Opitz

ten beginnt in der Mitte der Westwand neben dem dort angebrachten Kamin mit Luna, dem Mond, und endet an der gegenüberliegenden Wand, über der Eingangs-tür, mit Sol, dem Sonnengott. Neben jedem dieser Planetenbilder befi ndet sich eine kreisrunde Scheibe, in deren Mitte eine menschliche Figur ihren Platz hat. Dabei handelt es sich um Personifi kationen der Sieben Lebensalter des Menschen, wie sie uns schon in Longthorpe Tower begegnet sind. Direkt unterhalb der Bildzone erläutern Inschriften des Humanisten Francesco da Fiano das Programm. Wäh-rend unter den Planetenbildern lateinische Zweizeiler angebracht sind, sind den Lebensaltern und den Künsten je vier Verszeilen umfassende italienische Texte zugeordnet.102

Nicht nur das Freskenprogramm, auch erhaltene Schriftquellen legen nahe, dass die ›Camera delle Stelle‹ tatsächlich als Bibliotheksraum und/oder Studier-zimmer konzipiert war und genutzt wurde.103 Somit ist Dieter Blume wohl beizu-pfl ichten, wenn er schreibt: » Auch wenn dem Zimmer in Foligno die Kleinheit der späteren Studioli noch fehlt, so können wir darin doch – nicht zuletzt aufgrund des Bildprogramms – eine Art Vorläufer dieses später so verbreiteten Raumtypus sehen.«104

4 Didaktik und Repräsentation: Funktionen

Als ›Vorläufer der Stanza della Segnatura‹ behandelte Julius von Schlosser enzyk-lopädische Raumausmalungen des Mittelalters im Jahr 1896, und als ›Vorläufer‹ des Renaissance-Studiolo betrachtet Dieter Blume wenigstens eine davon noch mehr als hundert Jahre danach. Tatsächlich weisen fast alle der zuvor besproche-nen mittelalterlichen Bildprogramme deutliche Übereinstimmungen mit den en-zyklopädischen Ausstattungskonzepten in Studierstuben der Renaissance auf, so dass in der Forschung immer wieder auch eine vergleichbare Raumnutzung pos-tuliert wurde.105 Solche Gleichsetzungen erweisen sich bei genauerem Hinsehen allerdings als problematisch, da sie das Phänomen enzyklopädischer Raumaus-

102 Zu den Inschriften vgl. Marilena Caciorgna, ›Sanguinus et belli fusor‹. Contributo all’esegesi dei tituli di Palazzo Trinci (Loggia di Romolo e Remo, Sala delle Arte e dei Pianeti, Corridoio), in: Benazzi/Mancini, Palazzo (wie Anm. 99), S. 401–426.

103 In einem Inventar des Jahres 1458 werden zwei Schreibtische und ein Lesepult in dem Raum erwähnt. Vgl. Cinzia Cardinali, Stefano Felicetti, La fabbrica del palazzo. Tes-timonianze archivistiche (secc. XV–XIX), in: Benazzi/Mancini, Palazzo (wie Anm. 99), S. 647–694, hier S. 654. Überdies lässt die außergewöhnlich große Höhe der Sockelzone darauf schließen, dass hier »Schränke für Bücher, wissenschaftliche Instrumente oder Karten« aufgestellt waren. Vgl. Blume, Regenten (wie Anm. 80), S. 121.

104 Ebd., S. 121.105 Vgl. etwa Rouse/Baker, Wall-Paintings (wie Anm. 72), S. 55.

57Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

malungen vom 13. bis zum frühen 15. Jahrhunderten nicht aus den Bedingungen dieser Zeit heraus erfassen, sondern es bloß über die Beziehung zu einem späteren Phänomen defi nieren. Demgegenüber ist festzuhalten, dass eigens ausgewiesene Studierzimmer mindestens noch das ganze 14. Jahrhundert hindurch eine aus-gesprochene Seltenheit darstellten.106 Zwar kam es gerade in dieser Epoche zu einer immer stärkeren Raumdifferenzierung innerhalb der Residenzarchitektur,107 doch waren die Räume in den meisten Fällen nach wie vor multifunktional und in der Regel wurde einer der Wohnräume als ›studium‹, Kanzlei und Archiv mit-genutzt.108 Umgekehrt lassen sich in den wenigen Fällen, wo in fürstlichen Wohn-bauten schon vor etwa 1400 Studierzimmer belegt sind, keine ›enzyklopädischen‹ Bildprogramme nachweisen: Das ›studium‹ im Papstpalast von Avignon, die be-rühmte ›camera cervi‹, war mit Jagdszenen in einer Landschaft ausgemalt,109 die Gelehrtenzimmer des Humanisten Petrarca, aber auch der französischen Könige waren zwar aufwendig mit Holz getäfelt, jedoch nicht mit einem fi gürlichen Bild-programm versehen.110

So müssen wir wohl davon ausgehen, dass die zuvor behandelten Räume mit enzyklopädischen Bilderzyklen in erster Linie als Wohn- und gegebenenfalls Re-präsentationsräume und nur gelegentlich als Studierzimmer genutzt wurden.111 Allenfalls lässt sich vermuten, dass der Inhalt der Freskenzyklen diese gelehrte Zweitfunktion hervorheben sollte, denn immerhin sind ähnliche Bildprogramme für mittelalterliche Bibliotheken und Schulgebäude überliefert. So zeichnete der Humanist Hartmann Schedel im Jahr 1466 die Inschriften auf, welche den Wand-malereien in der Bibliothek des Prämonstratenserstifts in Brandenburg als Tituli beigegeben waren. Die anhand dieser Texte erschließbare, vermutlich kurz nach 1400 entstandene Bildausstattung umfasste personifi zierte Darstellungen der Sie-ben Freien sowie der Mechanischen Künste, dazu eine Reihe allegorischer Szenen, die Medizin, Theologie, Jurisprudenz und die Schreibkunst (Ars scripturam) ver-sinnbildlichten.112 Und auch an der Fassade eines Schulgebäudes in Memmingen

106 Vgl. Liebenwein, Studiolo (wie Anm. 98).107 Vgl. Uwe Albrecht, Der Adelssitz im Mittelalter. Studien zum Verhältnis von Architektur

und Lebensform in Nord- und Westeuropa, München/Berlin 1995, bes. S. 79–127.108 Vgl. Andrea Antonello, Archivio e Studiolo. L’arredo dell’archivio e dello studio nel

castello medioevale, in: Lucia Pillon (Hg.), Ausstellungskatalog La spada e il melograno. Vita quotidiana al castello medioevale 1271–1500, Görz 1998, S. 37–50, bes. S. 38–40.

109 Albrecht, Adelssitz (wie Anm. 107), S. 123; Kerscher, Architektur (wie Anm. 74), S. 193–195.

110 Wolfgang Liebenwein, Katalogeintrag ›Petrarca im Studiolo‹, in: Anton Legner (Hg.), Ausstellungskatalog Die Parler und der schöne Stil 1350–1400. Europäische Kunst un-ter den Luxemburgern, Köln 1978, Bd. 3, S. 193; Albrecht, Adelssitz (wie Anm. 107), S. 124–125.

111 Eine Ausnahme bildet dabei natürlich die ›Camera delle stelle‹ im Palazzo Trinci von Fo-ligno; vgl. Anm. 103.

112 Vgl. Schlosser, Quellenbuch (wie Anm. 48), S. 325–331.

58 Opitz

(Haus Untere Bachgasse 2) wurden in etwa zur selben Zeit heute nur fragmenta-risch erhaltene Darstellungen der Freien Künste angebracht.113 Worum es in diesen Fällen offenbar geht, ist es, die Funktion des Raumes beziehungsweise des ganzen Gebäudes sichtbar zu machen, das Abstraktum Bildung konkret zu visualisieren.

Darüber hinaus kann man sich allerdings fragen, ob derartigen Darstellungen nicht auch eine didaktische Absicht immanent ist – denn immerhin heißt es in einem der meistgelesenen mittelalterlichen Erzähltexte, der ›Historia Septem Sa-pientum‹, dass Wandbilder der Freien Künste als Hilfe zur Erziehung eines Prinzen herangezogen werden. In diesem berühmten Text, der in zahlreichen lateinischen und volkssprachlichen Versionen zirkulierte,114 wird eingangs beschrieben, wie ein Prinz von sieben Weisen in einem eigens dafür eingerichteten Gebäude aufgezogen und unterrichtet wird. Jedem der Weisen ist dabei eines von sieben Zimmern zu-gewiesen, die um einen zentralen septagonalen Raum herum angelegt sind. Dieser zentrale Raum aber bildet die Unterkunft und zugleich das Studierzimmer des Prinzen, und in diesem Raum nun ist an jede der sieben Wände eine der Freien Künste gemalt, damit der Knabe sie den ganzen Tag über vor Augen habe – Li sept art i furent escrit / Li enfes toute chiou i vit, liest man in einer französischen Fassung des 12. Jahrhunderts,115 und in einer etwas späteren deutschen Version formulieren die Weisen ganz explizit: Und die kammer wollen wir drin molen Die sieben frige kunste also das dis kint moge an allen zijten an starren und sehen als in einem buche.116

Dass Bilder wie Bücher gelesen werden sollten, ja den Analphabeten sogar als Buchersatz dienen konnten, ist bekanntlich ein im Mittelalter weit verbreiteter Topos, der sich bis zu Gregor dem Großen zurückverfolgen lässt.117 Zwar ging es Gregor vor allem um die Lektüre religiöser Bilder, doch wurde sein Postulat spätestens zu Beginn des 13. Jahrhunderts auch auf den profanen Bereich über-tragen: Im ca. 1215 entstandenen Lehrgedicht ›Der welsche Gast‹ des Thomasin von Zerclaere wird als Grundprinzip höfi scher Erziehung die Nachahmung her-ausragender Vorbilder hervorgehoben.118 Neben realen Persönlichkeiten kamen

113 Hartmut Boockmann, Die Stadt im späten Mittelalter, München 1994, S. 334–335.114 Zu diesem Text in seinen verschiedenen Versionen zuletzt: Ralf-Henning Steinmetz,

Exempel und Auslegung. Studien zu den ›Sieben Weisen Meistern‹, Freiburg (Schweiz) 2000; Bea Lundt, Weiser und Weib. Weisheit und Geschlecht am Beispiel der Erzähltra-dition von den ›Sieben weisen Meistern‹ (12.–15. Jahrhundert), München 2002.

115 Vgl. Otto Söhring, Werke bildender Kunst in altfranzösischen Epen, in: Romanische Forschungen 12 (1900), S. 493–640, hier S. 605.

116 Historia Septem Sapientium, Cod. Pal. Germ. 149, Universitätsbibliothek Heidelberg, fol. 8r. Permanente URL http://digi.ub.uni-heidelberg.de/cpg149/0029.

117 Vgl. dazu Lawrence G. Duggan, Was Art really the ›Book of the Illiterate‹?, in: Word and Image 5 (1989), S. 227–251; Celia M. Chazelle, Pictures, Books, and the Illiterate: Pope Gregory I’s Letters to Serenus of Marseille, in: Word and Image 6 (1990), S. 138–153.

118 Horst Wenzel, Imaginatio und Memoria. Medien der Erinnerung im höfi schen Mittel-alter, in: Aleida Assmann, Dietrich Harth (Hg.), Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt a. M. 1991, S. 57–82, bes. S. 61–65.

59Weltbild – Bildräume – Gedächtnisbilder

laut Thomasin dabei auch Gestalten aus der Literatur in Frage und in weiterer Folge auch bildliche Darstellungen dieser Figuren, da die Malerei Kindern, Ju-gendlichen und Ungebildeten dasselbe zu vermitteln imstande sei wie die Schrift dem Gebildeten.119 Es kann daher nicht verwundern, dass auch für real ausge-führte Freskenprogramme mit enzyklopädischem Inhalt immer wieder eine solche didaktische Funktion angenommen wurde.120 Dass sich etwa unter den diversen moralisierenden und allegorischen Szenen, die in Longthorpe Tower vor allem in den Fensterlaibungen angebracht sind, gleich zwei fi nden, die sich eindeutig als Lehrszene bezeichnen lassen,121 verleiht dieser These zusätzliches Gewicht.

Dennoch halte ich die Annahme, dass sich die genannten Wandmalereien pri-mär in didaktischer Absicht an ein ungebildetes, ja gar an ein analphabetisches Publikum richten, für verfehlt. Denn alle der hier vorgestellten Bilderfolgen wer-den von zahlreichen und umfangreichen Inschriften begleitet, die das Dargestellte nicht nur benennen, sondern zum Teil auch allegorisch ausdeuten.122 Gerade darin erweisen sich die realen Freskenzyklen ihren fi ktiven Pendants in der Literatur nun als überaus ähnlich. Denn auch in den enzyklopädischen Texten der Dichter wird zunächst ein geistiger Bau errichtet und mit geistigen Bildwerken ausgestat-tet; diesen Bildern werden dann schließlich einzelne Textpassagen zugeteilt, in de-nen sie beschrieben, erläutert und in der Regel allegorisch ausgelegt werden.123 In gewissem Sinn stellen die Wandbilder also nicht für sich betrachtet Bildungswis-

119 Vgl. Ebd., bes. S. 61–62; Michael Curschmann, Der aventiure bilde nehmen: The In-tellectual and Social Environment of the Iwein Murals at Rodenegg Castle, in: Martin H. Jones, Roy Wisbey (Hg.), Chrétien de Troyes and the German Middle Ages, Cambridge 1993, S. 219–227; Ders., Pictura laicorum litteratura? Überlegungen zum Verhältnis von Bild und volkssprachlicher Schriftlichkeit im Hoch- und Spätmittelalter bis zum Codex Manesse, in: Hagen Keller, Klaus Grubmüller, Nikolaus Staubach (Hg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, München 1992, S. 211–229; Haiko Wandhoff, bilde und schrift, volgen und versten. Medien-orientiertes Lernen im ›Welschen Gast‹ am Beispiel des Lektürekatalogs, in: Horst Wenzel, Christina Lechtermann (Hg.), Beweglichkeit der Bilder. Text und Imagination in den illus-trierten Handschriften des ›Welschen Gastes‹ von Thomasin von Zerclaere, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 104–120.

120 Etwa bei Rouse/Baker, Wall-Paintings (wie Anm. 72), S. 38.121 In der Fensternische der Westwand erkennt man einen sitzenden Mönch, der mit dem

ausgestreckten Zeigefi nger seiner Rechten auf ein Spruchband weist, das er in seiner Lin-ken hält und auf dem in französischer Sprache zu lesen ist: »NO[TR]E DAME N[O]VS ASOVDRA DE LA PE[CHE?]«. Vor ihm steht oder kniet die Figur eines Knaben. Im Fenster der Ostwand fi ndet man eine leicht abgewandelte Variante der Szene: Hier ist der ›Lehrende‹ kein Mönch, sondern ein bärtiger Erwachsener, vor dem eine ganze Gruppe junger Männer steht; auch er weist mit dem Zeigefi nger auf ein (in diesem Fall nicht mehr lesbares) Schriftband. Vgl. Rouse/Baker, Wall-Paintings (wie Anm. 72) S. 33 u. Tafel VI.

122 Das gilt vor allem für den Freskenzyklus in der Kardinalsresidenz bei Santi Quattro Co-ronati in Rom; zu dessen Inschriftenprogramm vgl. Draghi, Aula (wie Anm. 61).

123 Vgl. Wandhoff, Ekphrasis (wie Anm. 20), S. 210–214.

60 Opitz

sen zur Verfügung, sondern dienen als Memorialbilder für die ihnen zugeordneten Texte – vielleicht müsste es sogar heißen: für die Texte, denen sie zugeordnet sind. So entsteht ein komplexer ›Ikonotext‹124, dessen Verständnis bereits einiges an Bildungswissen voraussetzt.

Insofern greift es sicherlich zu kurz, wenn man die Funktion enzyklopädischer Raumausmalungen bloß als eine didaktische beschreibt. Daneben oder sogar in erster Linie hatten sie vermutlich auch eine repräsentative Aufgabe zu erfüllen. Das heißt, sie dienten primär wohl gar nicht der Vermittlung, sondern der Zur-schaustellung von Wissen. Sie machten die Gelehrsamkeit des Auftraggebers an-schaulich und inszenierten so vor aller Augen seine Teilhabe am Bildungswissen der Zeit und damit seine Zugehörigkeit zu einer gebildeten Elite. Womöglich ist es dabei auch kein Zufall, dass die älteste der hier behandelten enzyklopädischen Raumausmalungen (Rom, Santi Quattro Coronati) Mitte des 13. Jahrhunderts von einem Kleriker in Auftrag gegeben wurde, die zeitlich nächste (Longthorpe Tower) rund sieben Jahrzehnte später von einem weltlichen Adligen, der immerhin eng mit einem Kloster (Peterborough Abbey) verbunden war, während bei den Beispielen aus der Zeit um 1400 (Runkelstein, Foligno) kein unmittelbarer Bezug der Auftraggeber zum geistlichen Milieu mehr auszumachen ist. Denn die Ent-wicklung, die sich hier andeutet, entspricht der Aufl ösung des klerikalen Bildungs-monopols und der immer stärker werdenden Teilhabe der weltlichen Oberschicht an der gelehrten Wissenskultur im ausgehenden Mittelalter.125

124 Den Begriff des ›Ikonotexts‹ prägte Peter Wagner; er bezieht sich auf jedes »artefact in which the verbal and the visual signs mingle to produce rhetoric that depends on the co-presence of words and images.« Peter Wagner, Icons – Texts – Iconotexts. Essays on Ekphrasis and Intermediality, Berlin/New York 1996, S. 16.

125 Zu dieser Entwicklung vgl. etwa Christoph Burger, Theologie und Laienfrömmigkeit. Transformationsversuche im Spätmittelalter, in: Hartmut Boockmann u. a. (Hg.), Lebens-lehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie, Göttingen 1989, S. 400–420.

Mapping the Space of GodMystical Weltbilder in Nicholas of Cusa and the

Structure of ‘De ludo globi’ (1463)

David Albertson

The question is what intervenes, what occu-pies the interstices between representations of space and representational spaces. A cul-ture, perhaps? […] The work of artistic cre-ation? […] Imagination?1

“Unless this world aided the seeker, humankind would have been sent into the world to seek God in vain”, writes Nicholas of Cusa (1401–1464) in the middle of the fi fteenth century.2 For the German cardinal Cusanus, as for many medi-eval Christian mystics, the pursuit of God in the world amounts to a struggle to perceive the world’s true image, to hunt down what Augustine, Bonaventure and others call vestigia, the invisible “traces” of God left in the world, by which the world, as Nicholas says, “aids the seeker”. But while the world may do its part, the Christian must also develop new modes of perceiving the world. To see God, one must envision the cosmos in the proper way, so as to arrive at the correct theological Weltbild.

1 Henri Lefebvre, The Production of Space, trans. Donald Nicholson-Smith, Oxford 1991, p. 43.

2 “Certe nisi hic mundus serviret quaerenti, in vanum missus esset homo ad mundum ob fi nem quaerendi eundem.” Nicolaus de Cusa, De quaerendo deum, in: Opera Omnia IV, ed. Paul Wilpert, Hamburg 1959, N. 18:11–13. I use the translation of H. Lawrence Bond, Nicholas of Cusa. Selected Spiritual Writings, New York 1997, pp. 217–218. Com-pare Nicholas’s statement in another short treatise from the same year that God gives Godself as the world itself, in order to be discovered there by humankind: “Et quoniam ipse est fi nis operis sui, qui propter semet ipsum omnia operatus est, se dedit mundum sensibilem, ut sensibilis mundus sit propter ipsum, ut receptio ipsius descensiva, quae in sensibilem gradum divergit, bonitatem ipsius sensibiliter attingat, et luceat lux infi nita sensibilibus sensibiliter, sic viventibus vitaliter, rationabilibus rationabiliter, intelligentibus intellectualiter.” Nicolaus de Cusa, De dato patris luminum, in: Paul Wilpert (ed.), Opera Omnia IV, Hamburg 1959, N. 103:1–6.

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Especially for such a polymath as Nicholas, the mystical enterprise therefore engages other contemporary pursuits of wisdom, which together aid the seeking intellect as it constructs its world picture. For him the true Weltbild traces the contours of divine, which is to say mathematical, order as rendered visible by fi f-teenth-century visual technologies: new insights in theories of perspective, in exact natural-scientifi c measurement, in optics, and in cartography. Hence within the Cusan mystical theology, the path to God is discovered not by withdrawal into the self, but by what Nicholas calls “a hunt for wisdom” (venatio sapientiae)—a kind of scientifi c research expedition into the fi eld of concrete theophanies offered to the seeker by the physical world.

From this survey one can already grasp the importance of Weltbilder for Cusan thought. Cusanus perceives the world in several ways at once and achieves a unity of vision which both surprises and challenges his modern readers; his multifarious corpus is confi ned neither to discipline (mathematics, mystical theology, political theory, natural science) nor to genre (short treatises, long letters, dense sermons, renaissance dialogues, and geometrical proofs). How then does Nicholas map the world? What images capture his synopsis of the whole, given the many dif-ferent lenses he applies? In what follows, I note three ways that such questions have been answered in Cusanus scholarship, and then propose a fourth. One can readily identify three prominent spatial metaphors, one from each decade of the cardinal’s writings: the infi nite sphere (1440), the walled paradise (1453), and the geographer’s map (1464). Together these illustrate Nicholas’s habit of meditating on Weltbilder as a means of mystical perception of the invisible spaces of God and self.3

My own contribution draws upon a dialogue written the year before the car-dinal’s death, “On the Game of Spheres” (‘Dialogus de ludo globi’, 1463).4 More than other late works, the treatise represents the high-point of Cusan tendencies toward a spatialized vision of world and of God. For in this work, the structure of the text itself receives its order from a complex conjunction of multiple world-spaces—the universe, human being, and God—as unifi ed by the hidden center

3 Gerda von Bredow summarizes Nicholas’s use of images well: “Aber weil das Bild, phi-losophisch angesehen, die Wahrheit zeigt, kann man im Ausspinnen von Gleichnissen die metaphysische Erkenntnis vorantreiben. […] Aber das Bild selbst ist nicht das geistig Schaubare, es ist nur der Stock, der dem Geiste beim Sprunge über den Graben hilft. Doch—um im Bilde zu bleiben—der Geist kann dort nicht feststehen, das jenseitige Land ist für ihn nicht eigentlich betretbar, sondern nur im steten Daraufzu unberührenderweise zu berühren. […] So gesehen sind alle Bilder Grenzen, aber von ihnen aus ist es möglich, im Absoluten etwas geistig zu schauen […] .” Gerda von Bredow, Über das Globusspiel. Eine philosophische Einführung, in: Hermann Schnarr (ed.), Im Gespräch mit Nikolaus von Kues. Gesammelte Aufsätze 1948–1993, Münster 1995, pp. 19–20.

4 Nicolaus de Cusa, Dialogus de ludo globi, in: Hans Gerhard Senger (ed.), Opera Om-nia IX, Hamburg 1959. This edition reproduces pictorial images of the eponymous game printed in the earliest editions (Paris 1514, Basel 1565). See appended fi gures.

63Mapping the Space of God

point, the Christ, to whom the infi nite arcs of difference all eventually return.5 By considering the other Bilder fi rst, one better appreciates the relative merit of the libellus De globo (as Nicholas called it)6 and its creative synthesis of the geometri-cal, astronomical and cartographical images unfolded in earlier Cusan writings.

1 Three Spatial Weltbilder in Cusan Mysticism

Perhaps the most common approach to the question of a Cusan Weltbild has been to emphasize his contributions to the disassembly of Aristotelian geocentric cos-mology. Nicholas’s meditations on the infi nity of the universe and the consequent relativity of motion in ‘De docta ignorantia’ (1440) are often referenced in narra-tive accounts of the infi nitization of space and the transition toward seventeenth century physics.7 In this work Nicholas suggests a novel image of the world: not one with a fi xed center and a fi nite circumference, but instead an infi nite sphere,

5 The image comes from Dionysius in “Divine Names” V.6. See Pseudo-Dionysius the Ar-eopagite, Pseudo-Dionysius: The Complete Works, trans. Colm Luibheid, New York 1987, p. 100.

6 Nicolaus de Cusa, Compendium, in: Bruno Decker and Karl Bormann (eds.), Opera Om-nia XI/3, Hamburg 1964, N. 37:11. The emphasis in the reference is obviously to the ball and its spherical form, and not to the game which provides the framework for the ball’s motion. This reading is also more consistent with Nicholas’s interests, as one pertinent textual riddle suggests. In the 1463 dialogue, Cusanus describes the spherical fi gura globi in detail. Nicolaus de Cusa, Dialogus de ludo globi (note 4), N. 4:9. In De venatione sapientiae, written the same year, he makes an intriguing reference to a certain libellus de fi gura mundi. Id., De venatione sapientiae, in: Raymond Klibansky, Hans Gerhard Senger (eds.), Opera Omnia XII, Hamburg 1982, N. 67: 17–18. It does not appear that the latter work is identical with ‘De ludo globi’, meaning that there exists a further, now lost, work by Nicholas dealing with “the shape of the world.” Raymond Klibansky, Hans Ger-hard Senger (eds.), Adnotationes, in: De venatione sapientiae, 155–156. See also, how-ever: Gerda von Bredow, Figura Mundi. Die Symbolik des Globusspiels von Nikolaus von Kues, in: Hermann Schnarr (ed.), Im Gespräch mit Nikolaus von Kues. Gesammelte Aufsätze 1948–1993, Münster 1995, pp. 77–84. While it remains impossible to compare the two libelli, clearly the vision of a spatialized Weltbild continued to fascinate the car-dinal.

7 See, inter alia: Alexandre Koyré, From the Closed World to the Infi nite Universe, Bal-timore 1957; Ibid., Le vide et l’espace infi ni au XIVe siècle, in: Études d’histoire de la pensée philosophique, Paris 1971, pp. 37–92; Hans Blumenberg, The Legitimacy of the Modern Age, Cambridge, Massachusetts 1983, pp. 457–547; Amos Funkenstein, Theology and the Scientifi c Imagination from the Middle Ages to the Seventeenth Cen-tury, Princeton 1986, pp. 63–72; Karsten Harries, Infi nity and Perspective, Cambridge, Massachusetts 2001; Jean-Marie Nicolle, L’infi nitisation de l’espace au moyen âge, in: J. Dokic, P. Drieux and R. Lefebvre (eds.), Symboliques et Dynamiques de l’Espace, Rouen 2003, pp. 49–62.

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whose center is everywhere and whose circumference nowhere.8 To be sure, the cardinal rejects the geocentric cosmos because God or Christ is the center of all things, and therefore the earth is not. But this mystical motivation was not long dwelt on by scholars excited to detect nascent heliocentrism in a pre-Copernican author.

The ample scholarship on Nicholas’s complex relationship with early modern astronomy need not detain us here, but we can note two representative examples. Kurt Goldammer restates and refi nes the claims made on behalf the cardinal’s contributions toward “overcoming the geocentric Weltbild.”9 According to Gol-dammer, Cusanus can be considered “the apparent precursor of the astronomical Weltbild of modern physics and the overcoming of the […] Ptolemaic system.”10 Whatever qualifi cations one adduces, he says, it is beyond doubt that Cusanus at the very least represents a “symptom of dissatisfaction with the old geocentric Weltbild.”11 For the cardinal proposes that “God himself, in whom center and periphery coincide, is absolute space.”12

The second example is Dietrich Mahnke’s justly praised book on the Her-metic fi gure of the “infi nite sphere”, which traces the genealogy of the image from the Pythagoreans, twelfth century Hermeticism, and Meister Eckhart, up

8 “[…] et reperimus in infi nita sphaera tres lineas maximas longitudinis, latitudinis et pro-funditatis in centro concurrere. Sed centrum maximae sphaerae aequatur diametro et cir-cumferentiae. […] in sphaera infi nita centrum, crassitudo et circumferentia idem sunt.” Nicolaus de Cusa, De docta ignorantia, in: Ernst Hoffmann, Raymond Klibansky (eds.), Opera Omnia I, , Leipzig 1932, p. 46 (N. 70). On the “infi nite sphere” in the Pseudo-Hermetic Liber XXIV philosophorum, see Clemens Baeumker, Das pseudo-hermetische ‘Buch der vierundzwanzig Meister’ (Liber XXIV philosophorum), in: Studien und Charak-teristiken zur Geschichte der Philosophie insbesondere des Mittelalters, Münster 1927, pp. 94–214; Marie-Thérèse d’Alverny, Un témoin muet des lottes doctrinales du XIIIe siècle, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 24 (1949) pp. 223–248; Françoise Hudry (ed.), Liber Viginti Quattuor Philosophorum. Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 143A, Turnholt 1997. For historical perspectives on Cusanus’s use of the image, see: Karsten Harries, The Infi nite Sphere: Comments on the His-tory of a Metaphor, in: Journal of the History of Philosophy 13 (1975) pp. 5–15; and Michael H. Keefer, The World Turned Inside Out: Revolutions of the Infi nite Sphere from Hermes to Pascal, in: Renaissance and Reformation 12 (1988) pp. 303–311. For a helpful comparison of the respective theological uses of the “infi nite sphere” by Alan of Lille and Nicholas of Cusa, see: Edward J. Butterworth, Form and Signifi cance of the Sphere in Nicholas of Cusa’s De Ludo Globi, in: Gerald Christianson, Thomas M. Izbicki (eds.), Nicholas of Cusa in Search of God and Wisdom, Leiden 1991, pp. 89–100.

9 Kurt Goldammer, Nicolaus von Cues und die Überwindung des geozentrischen Welt-bildes, in: Alte Probleme – neue Ansätze. Drei Vorträge von Fritz Krafft, Kurt Goldammer und Annemarie Wettley, Wiesbaden 1965, pp. 25–41.

10 Ibid., p. 25.11 Ibid., p. 36.12 Ibid., p. 31.

65Mapping the Space of God

through Cusanus, and from there well into the German Baroque with Leibniz.13 For Mahnke, Nicholas’s distinctive achievement derived from his decision to se-lect mathematical Weltbilder as the instruments of his contemplation. In so doing, he writes, Cusanus

initiated the gradual transition from mathematical mysticism to the exact mathemati-cal sciences. […] The mathematical signs and fi gures are for him simultaneously the supreme divine symbols, in which the heavens refl ect themselves immediately upon the earth, as well as the most perfect exercise of human thought [Gedankenbildun-gen], through which we attain to precise knowledge of the visible cosmos.14

Mahnke notes that the German cardinal invokes the infi nite sphere three times in ‘De docta ignorantia’, once in each of the three books devoted to God, world and Christ.15 Like the infi nite sphere, God is the universal measure of all cosmic di-mensions.16 But for Nicholas, the world itself refl ects the spatiality of God. While it only mirrors the perfect divine infi nite, the world is unlimited, unbounded and hence cannot be measured as a whole.17 Since the only center of the cosmos is God, the spaces of both infi nite spheres coincide: “The one, therefore, who is also the center of the world, namely, God, the ever blessed, is the center of the earth, of all spheres and of all things that are in the world, and is, at the same time, the infi nite circumference of all.”18 In the third and fi nal book, Nicholas returns to the image of infi nite sphere to explain Christ’s role. Christ is not only the center of the unbounded sphere of the human intellect, but as such he unifi es the world to God by assuming the position of the cosmic center point.19 The threefold repeti-tion of the infi nite sphere is theologically, not cosmologically, determined, and for

13 Dietrich Mahnke, Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt, Halle 1937.14 Ibid., p. 80–81.15 Ibid., p. 105.16 “Deus igitur est unica simplicissima ratio totius mundi universi; et sicut post infi nitas cir-

culationes exoritur sphaera, ita Deus omnium circulationum—uti sphaera maxima—est simplicissima mensura.” Nicolaus de Cusa, De docta ignorantia (note 8), p. 47 (N. 72).

17 “Centrum igitur mundi coincidit cum circumferentia. Non habet igitur mundus circum-ferentiam. […] Cum igitur non sit possibile mundum claudi intra centrum corporale et circumferentiam, non intelligitur mundus, cuius centrum et circumferentia sunt Deus. Et cum non sit mundus infi nitus, tamen non potest concipi fi nitus, cum terminis careat, intra quos claudatur.” Ibid., p. 100 (N. 156).

18 “Qui igitur est centrum mundi, scilicet Deus benedictus, ille est centrum terrae et omnium sphaerarum atque omnium, quae in mundo sunt; qui est simul omnium circumferentia infi nita.” Ibid., p. 101 (N. 157); trans. Bond, Nicholas of Cusa (note 2), p. 159.

19 “Ipse [Christus] centrum atque circumferentia intellectualis naturae est et, cum intellec-tus omnia ambiat, supra omnia est; […] qui cum sit Deus, est omnia in omnibus, et ipse regnat in caelis illis intellectualibus, cum sit ipsa veritas, et non secundum locum potius in circumferentia quam centro sedens, cum sit centrum omnium rationabilium spirituum, ut vita eorum.” Ibid., p. 145 (N. 232).

66 Albertson

this reason alone the geocentric order becomes discredited. That is, the space that for Cusanus excludes the earth’s centrality is not the sun’s space, but the space of Christ.

Certainly the most well-known Cusan Weltbild is the infi nite sphere, but oth-ers deserve equal attention. Another spatial metaphor to consider is the image of the “wall” (murus), that is, the enclosed space, barrier or limit, or perhaps the privileged zone (regio) marked off from the otherwise open fi eld. Cusanus employs the image of the “wall of paradise” in his treatise ‘De visione dei’, sent in response to a request for spiritual instruction from the monks of Tegernsee in 1453. In the treatise the contemplative describes the spatiality of the zone marked off by the wall:

I thank you, my God, because […] there is no other way of approaching you except that which […] seems wholly inaccessible and impossible. For you have shown me that you cannot be seen elsewhere than where impossibility confronts and obstructs me. […] I have discovered that where you are found unveiled is a place girded about with the coincidence of contradictories. This is the wall of paradise, and it is there in paradise that you reside. The wall’s gate is guarded by the highest spirit of reason, and unless it is overpowered, the way will not lie open. Thus, it is on the other side of the coincidence of contradictories that you will be able to be seen and nowhere on this side.20

A bit later Cusanus says that the “door” to the wall is guarded by an angel, not unlike the angel with fi ery sword blocking the entrance of paradise after the Fall. God can only be fully experienced within paradise, where all fi ve senses, along with reason and understanding, coincide with each other.21 For the infi nite divine power is the power to unify contraries, to fold together distant spaces. But even at this liminal threshold, says Nicholas, one can begin to experience God. “You en-lighten me”, says the contemplative, even “stationed at the threshold of the door, for your concept is simplest eternity itself.”22

Nicholas goes on to explain that inside the paradisal zone, the only remaining difference is the difference of lover and beloved, which is the Trinitarian difference grounding alterity as such. This ineffaceable difference established by love is a

“hidden treasure, which remains hidden after having been found”. In other words,

20 “[…] non est via alia ad te accedendi nisi illa […] videtur penitus inaccessibilis et impos-sibilis, quoniam tu mihi ostendisti te non posse alibi videri quam ubi impossibilitas occur-rit et obviat. […] Et repperi locum in quo revelate reperieris, cinctum contradictoriorum coincidentia. Et iste est murus paradisi, in quo habitas, cuius portam custodit spiritus altissimus rationis, qui nisi vincatur, non patebit ingressus. Ultra igitur coincidentia con-tradictoriorum videri poteris et nequaquam citra.” Nicolaus de Cusa, De visione dei, in: Adelaide Dorothea Riemann (ed.), Opera Omnia VI, Hamburg 2000, N. 37; trans. Bond, Nicholas of Cusa (note 2), pp. 251–252.

21 Ibid., N. 40.22 “Tu me in limine ostii constitutum illustras, quia conceptus tuus est ipsa aeternitas simpli-

cissima.” Ibid., N. 41; trans. Bond, Nicholas of Cusa (note 2), p. 253.

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it lies enclosed within a deeper space, a second wall within the fi rst, “inside the wall of the coincidence of the hidden and the revealed.”23

In his fascinating reading of the same 1453 treatise, Michel de Certeau also draws attention to the “wall” image.24 He delights in what he calls the implicit

“topology” of ‘De visione dei’, its “play of spaces”, and its “cosmographic symbol-ism.”25 According to Certeau, “Nicholas of Cusa gives his composition the aspect of a world atlas […] . One and the same place thus functions at a triple level: as a ‘fi gure’, in a geometric space; as scene, in a theatrical space; and as map, in a geographical or cosmological space.”26 As we will see, the overlapping functions of spatial images are not restricted to ‘De visione dei’; we will see a similar triple function in ‘De ludo globi’.

Rudolf Haubst reminds us that in medieval Christian spiritual literature the image of a special enwalled space has always possessed a “Christo-soteriologischer Grundgehalt.”27 The wall metaphor is part of the tradition of German mysticism, such as in the works of Berthold of Regensburg and Mechthild of Magdeburg.28 For Augustine, it is Christ himself who is the murus defending the soul from the attacks of one’s enemies. For Eckhart, Jesus visits the city of the soul, which is enwalled (unbemûret) by divine light. Others take up the tradition of the soul as a secret garden which God visits, the hortus conclusus of ‘Song of Songs’ 4.12. Haubst also notes Karl Jasper’s trenchant interpretation: “A wall encloses the region of divinity, uncrossable for us. But what lies beyond the wall is effective, presently grounding all things. We will shatter against the wall, if wish to break through it, but we can also experience the wall as a sign of divinity, which con-tains us.”29

23 “Reperitur enim intra murum coincidentiae absconditi et manifesti”. Ibid., N. 75; Ibid., p. 269.

24 Michel de Certeau, The Gaze of Nicholas of Cusa, in: Diacritics 17 (1987) 3–38.25 Ibid., p. 15.26 Ibid., p. 14–15.27 Rudolf Haubst, Die erkenntnistheoretische und mystische Bedeutung der Mauer der

Koinzidenz, in: Rudolf Haubst (ed.), Das Sehen Gottes nach Nikolaus von Kues. Mit-teilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 18, Trier 1989, p. 169, note 13, cited in João Maria André, Die Metapher der ‘Mauer des Paradieses’ und die Kar-tographie des Erkennens bei Nikolaus von Kues, in: João Maria André, Gerhard Krieger and Harald Schwaetzer (eds.), Intellectus und Imaginatio. Aspekte geistiger und sinnlicher Erkenntnis bei Nicolaus Cusanus, Amsterdam 2006, pp. 31–42.

28 André, Metapher (note 27), p. 39. See further Donald Duclow, Anselm’s Proslogion and Nicholas of Cusa’s Wall of Paradise, in: Downside Review 100 (1982) 22–30; Pe-ter Casarella, Neues zu den Quellen der cusanischen Mauer-Symbolik, in: Rudolf Haubst (ed.), Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 19, Tri-er 1991, pp. 273–286.

29 Haubst, Mauer (note 27), p. 183, cites Karl Jaspers, Nikolaus von Kues, München 1964, p. 26: “Eine Mauer schließt den Bereich der Gottheit ein, unüberschreitbar für uns. Aber das Jenseits der Mauer ist wirksam, alles begründend gegenwärtig. Wir scheitern an der

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But within Cusan mysticism, the image of “wall” has not only a theological meaning, but also an anthropological one. J. M. André has shown how Nicho-las uses the space of the “wall” to inscribe a “discursive geography”, or what he calls the “cartography of knowledge.”30 André suggests that the image has epistemological signifi cance: “The goal of the [wall] metaphor is geographical or cartographical, in the gnoseological sense: to mark out limits, to defi ne spaces, to circumscribe areas.”31 Specifi cally, the metaphor expresses Nicholas’s doctrine of the four “regions” of knowledge: sense, imagination, reason and pure intellect. Outside the wall, as André explains, there is a continuity between sense, imagina-tion and reason. But contradictions mark the edge of the space of reason. Within the wall, in the innerspace of paradise, lies the hidden region of pure intellect. We might say that the self contains a fold within itself that cannot be unfolded, a zone of permanent inaccessibility at one’s center.

Thus far we have studied two representative Cusan Weltbilder: the objective world as infi nite sphere and the subjective world as a space walled off from it-self. In one of his fi nal treatises, Cusanus turns to the metaphor of mapmaking itself—that is, to the practice of drafting Weltbilder, itself a kind of second-order Weltbild. To consider mapmaking as a mystical metaphor takes on an even greater meaning when we recall that Cusanus’s own name carries cartographical signifi -cance in the fi fteenth century.32 A map still known as the Cusanus Map, to which Nicholas contributed as part of a joint effort, is the fi rst map of central Europe taken as a whole, dated to around 1450.33 It is even possible that it was the ecu-menical dialogue between eastern and western Christianity at the council of Flor-ence, 1439, which motivated Cusanus’s interest in mapmaking, gathering extant maps and directing his interest in measurement to topographical features.34

Whether or not the so-called “Cusanus Map” is actually by Cusanus, one later text demonstrates the fruition of his cartographical interests. In ‘Compendium’ (1464), the human mind is compared to a mapmaker, a cosmographus. The map-maker dwells in a city with fi ve gateways, just as the space of the human body is opened to fi ve senses. Messengers are sent on a global research expedition, while the mapmaker patiently constructs an accurate Weltbild. Nicholas writes: “The

Mauer, wenn wir sie durchbrechen möchten, aber wir erfahren die Mauer als Zeichen der Gottheit, die uns hält.”

30 André, Metapher (note 27).31 Ibid., p. 40. 32 On fi fteenth-century cartography and its relation to visual space in Italian and North-

ern Renaissance painting, see David Summers, Vision, Refl ection and Desire in Western Painting, Chapel Hill 2007, pp. 78–111.

33 Joseph Fischer, Die Karte des Nikolaus von Cusa (vor 1490), die älteste Karte von Mit-teleuropa, Prague 1930.

34 Dana Bennett Durand, Maps of the Later Fifteenth Century and their Relation to the Vienna Corpus, in: The Vienna-Klosterneuburg Map Corpus of the fi fteenth century. A study in the transition from medieval to modern science, Leiden 1952, p. 259.

69Mapping the Space of God

cosmographer sits and notes every report, in order that he can possess a descrip-tion of the whole sensible world defi ned in his city.”35 After completing this mappa or designatio, the mapmaker performs a spiritual exercise with the Weltbild he has created.

The cosmographer dismisses the messengers, closes the gateways, and turns his in-ner sight toward the Creator of the world, who is none of all those things about which the geographer has learned from the messengers, but who is the maker and Cause of them all. He considers this Maker to stand antecedently in relation to the whole world as he himself, as geographer, stands in relation to the map. And from the relation of the map to the true world, he beholds in himself, qua geographer, the Creator of the world—when he contemplates the reality by means of its image and contemplates, by means of its sign, that itself which is signifi ed. […] And hence the mapmaker fi nds in himself the fi rst and nearest sign of the Creator.36

Here the poetics of Cusan mystical space grow more complex. In this passage written at the end of his life, the cardinal crafts a textual Bild (that of the cos-mographus, an icon of Cusanus himself) at work in the crafting of a Weltbild (the mappa mundi) which represents the many different spatial images created by Nicholas in his mystical writings. In short, the image of mapmaking itself maps the peculiar topography of Cusan mysticism.

By way of conclusion, we can trace a fi nal wrinkle. Tamara Albertini con-trasts two ancient meanings of the term cosmographus used by Cusanus.37 First is Strabo’s notion of a descriptive, empirical geography, known as “topography” or

“chorography”. Second is the Ptolemaic notion of mathematical geography. Al-bertini notes that Ptolemy’s ‘Geography’ was transmitted to Europe around 1406 via the Latin translation by Jacobus Angelus. This work granted western Europe the system of longitude and latitude, that is, the geometry necessary to project a

35 “Sedeatque cosmographus et cuncta relata notet, ut totius sensibilis mundi descriptionem in sua civitate habeat designatam.” Nicolaus de Cusa, Compendium (note 6), N. 22; trans. Jasper Hopkins, Complete Philosophical and Theological Treatises of Nicholas of Cusa, Volume 2, Minneapolis 2001, p. 1398.

36 “[…] nuntiosque amplius licentiat clauditque portas et ad conditorem mundi internum transfert intuitum, qui nihil eorum est omnium, quae a nuntiis intellexit et notavit, sed omnium est artifex et causa. Quem cogitat sic se habere ad universum mundum anteri-oriter, sicut ipse ut cosmographus ad mappam, atque ex habitudine mappae ad verum mundum speculatur in se ipso ut cosmographo mundi creatorem, in imagine veritatem, in signo signatum mente contemplando. […] Et hinc in se reperit primum et propinquius sig-num conditoris […] .” Ibid., N. 23; Ibid., pp. 1398–1399. I have slightly altered Hopkins’s translation.

37 Tamara Albertini, Mathematics and Astronomy, in: Christopher M. Bellitto, Thomas M. Izbicki and Gerald Christianson (eds.), Introducing Nicholas of Cusa. A Guide to a Renaissance Man, New York 2004, pp. 373–406. See further Samuel P. Edgerton, The Art of Renaissance Picture-Making, in: Sergio Bertelli and Gloria Ramakus (eds.), Essays Presented to Myron P. Gilmore, Florence 1978, pp. 133–153.

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sphere onto a rectilinear plane accurately. Cusanus’s friend Paolo Toscanelli read this new translation of Ptolemy’s ‘Geography’ and then drew up the famous map given to Columbus before his fateful westbound voyage.38 While Toscanelli’s geo-metric cartography paved the way for maps of a “new” world, Nicholas’s mysti-cal cartography constructs maps of other unknown territories: the labyrinthine chambers of the human mind, or the infi nite depths of God.

2 The Spaces of World and Christ in ‘De ludo globi’

Against the backdrop of these exemplary Cusan spatial Weltbilder, we can now better approach ‘De ludo globi’. In this late dialogue Nicholas recapitulates and synthesizes his most distinctive themes going back to ‘De docta ignorantia’ in 1440. As in earlier writings, he combines mathematical and theological perspec-tives: lauding Pythagorean arithmology; repeating Thierry of Chartres’s mathe-matical Trinity of unity, equality and connection; naming God an “infi nite sphere” and an “enfolding point”; and underscoring once again the signifi cance of the quadrivium for mystical anthropology. He reiterates some old spatial images—the infi nite sphere—and invents some new ones—a spherical ball rolling in spiral mo-tion. Yet taken as a whole, ‘De ludo globi’ represents the epitome of a characteris-tic trend of Cusan theology, namely a tendency toward spatialization.

By “spatialization” I denote the manner in which mathematical, or more pre-cisely, geometrical, metaphors lead Nicholas to relate God and the world less diachronically than synchronically. Rather than contemplate traces of divine ac-tion in material history, he studies traces of divine order among intelligibles. In marked distinction from some contemporary mystics in fourteenth- and fi fteenth-century northern Europe, he does not center his writings around events in the life of Christ, fi gures of Christ’s suffering, or spiritual practices in imitation of these. Instead Nicholas hunts for adequate metaphors of divine immanence in the alien fi elds of gefrorene Musik (Goethe): among numeric forms eternal in their abstract regularity (mathematicalia); schemas of spatial conjunction only possible within an infi nite economy (nexus, coincidentia oppositorum); fi gures which outstrip normal measure ex defi nitione (infi nitesimal punctus, asymptotic rotunditas); folds of seriated difference withdrawn into inscrutable recesses (complicatio, ex-plicatio); and structures of repeated harmonies refl ecting the perfection of divine simplicity (quadrivium, including music and astronomy).39

38 Albertini, Mathematics and Astronomy (note 37), p. 395.39 While it goes beyond the scope of this paper, one must note that despite his proclivity

for mathematics, Cusanus remains a fundamentally incarnational, Christological thinker. Indeed, doing justice to both aspects is a challenge facing every portrait of the German cardinal.

71Mapping the Space of God

One might say that mystical texts in general deal with the topography of the “hidden” (mystikós): the veiled and the wrapped, the inaccessible hortus conclusus whose treasures, even once discovered, remain locked away. Cusan mysticism not only implies the same “hidden” spatiality as do texts meditating on Christ’s blood, biblical tropes, sensory ecstasy, on the secret dialogue of the heart. Beyond this, the distinction of Cusan mysticism is its direct, explicit investigation of spatial conundrums per se. With specifi c theological intent, Nicholas limns the horizon of spatialization, where the mind’s eye lifts up from materiality to its geometriza-tion in the pure mathematical space of abstracted fi gures.40 Like the scientist who synthesizes a new compound in order to understand better its elements, Nicholas even goes so far as to invent novel spatialities. Their very creation is a means of exploring the immanent “enfolding” of divine space hidden within the corridors of world and self. Naturally Cusanus is not unique in elaborating new mystical spaces in order to unravel others. But his explicit defense of mathematical con-struction at the heart of the mystical enterprise make him an essential case study in the spatialization of Christian theology from Lull through Bruno and Leibniz.

To see how Nicholas maximizes the spatialization of theology in ‘De ludo globi’, one must fi rst understand the ludus itself. As his younger interlocutors (John and Albert, dukes of Bavaria) listen carefully, cardinal Nicholas describes a children’s “game of spheres”. As John notes, the children’s playful game is in fact a mystical symbol: a “fi guration” concealing a higher theological insight.41 In the game, players roll a spherical wooden ball on a gameboard composed of nine concentric circles around a center. Each circle receives a number, marking the degree of its distance from the center, which is the number ten. The diffi culty of the game arises because the spherical ball has a smaller hemisphere scooped out of one side, making it wobble into a spiral when rolled. One tries nevertheless to roll the ball to the center. The goal is to master the ball’s irregular rotation and make it come to rest as close to the center as possible. The center represents Christ,42 and the ball is a fi gure for the soul’s unsteady journey through nine degrees of cosmic order toward its divine goal.

The dialogue thus comprises two books. In the fi rst, Nicholas explains the game and offers a series of meditations on the ball’s roundness, motion and goal. The

40 In ‘De docta ignorantia’, Nicholas teaches that since the comparative proportion between the world’s images and the divine exemplar is unknown, it is impossible to make an ac-curate theological induction. Hence the only remaining task for students of the divine is to purify their images. Toward this end, Nicholas proposes that mathematical fi gures provide the purest symbols on account of their abstraction from material fl ux. Nicolaus de Cusa, De docta ignorantia (note 8), pp. 22–24 (N. 31–32).

41 Admiramur omnes hunc novum iucundumque ludum, forte quia in ipso est alicuius altae speculationis fi guratio […] . Nicolaus de Cusa, Dialogus de ludo globi (note 4), N. 1.

42 The center is also the number ten, which is the Pythagorean decad containing all numeric forms.

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dynamic metaphor of the game implies a particular theological anthropology. The unsteady ball tilting toward the center symbolizes the irregular progress of a hu-man life toward its divine goal. Cusanus explains: “Human motion cannot persist in a straight line. It quickly declines, always fl uctuating inconstantly and variously on account of its terrestrial nature. Man can nevertheless terminate the revolution in a circle through the exercise of his virtue.”43 Mastering a straight throw takes effort and can be refi ned with practice, but the potential for waywardness is never fully removed. “This is the sum of the mysteries of this game,” teaches the cardi-nal, “that we learn to rectify these inclinations and natural curvings by studious practice so that at last after many variations and unstable circlings and curvings we come to rest in the kingdom of life.”44

The soul is the spherical game ball, the microcosmos rolling around within the macrocosmos. But God incarnate in the microcosmos of Christ’s humanity is also a kind of ball. The point that comprises the gameboard’s center is fi rst marked by

“the ball of Christ” (globus Christi): “Jesus Christ, our king and the giver of life, presides in the center. Since he was similar to us, Christ moved the globus of his person so that it came to rest in the middle of life […] [I]t would be impossible that another globus attain peace in the same center of life where the ball of Christ rests.”45

Similar meditations exegeting the play of the game occupy the dialogue’s fi rst book. It begins with the spiraling motion of the gameball as a sphere, and ends with the sphere wobbling to a halt in the fi xed center. This endpoint in rest then opens up the possibility of spatial simultaneity. Hence the second book focuses on the meaning of the gameboard’s unmoving, fl at surface. The gameboard, a ring of concentric circles on a plane, constitutes a kind of map of the world, in which all living things are arranged by degree in a periphery circling around the Christ-center. There are nine choirs of angels, or nine levels of living things, all cycling around the Christ-point like planets orbiting the sun.46

43 “Non enim potest in rectitudine persistere motus humanus. Cito declinat, propter terrest-reitatem inconstanter et varie semper fl uctuans, qui nihilominus potest exercitio virtutis revolutionem in circulo terminare.” Nicolaus de Cusa, Dialogus de ludo globi (note 4), N. 59; I use the translation of Pauline Moffitt Watts, De Ludo Globi. The Game of Spheres, New York 1986, p. 85.

44 “Haec est summa mysteriorum huius ludi, ut discamus has inclinationes et naturales in-curvationes taliter rectifi care virtuoso exercitio, ut tandem post multas variationes et in-stabiles circulationes et incurvationes quiescamus in regno vitae.” Ibid., p. 54. Ibid., p. 81.

45 “In cuius centro rex noster et dator vitae Christus Jesus praesidet. Qui, cum similis nobis esset, personae suae globum sic movit, ut in medio vitae quiescat, […] licet impossibile sit quod alius globus in eodem centro vitae, in quo globus Christi quiescit, quietem attingat.” Ibid., p. 51; Ibid., p. 79.

46 On the signifi cance of the circle in Cusan thought, including ‘De ludo globi’, see Ka-zuhiko Yamaki, Die Bedeutung geometrischer Symbole für das Denken des Nicolaus Cusanus. Eine Untersuchung am Beispiel der Metamorphose seiner Auffassung vom Kreis,

73Mapping the Space of God

The nine circles of the gameboard signify what Cusanus calls the “kingdom of life”. The circles are round, he explains, because of their “perpetual and unend-ing […] circulation” around the center.47 Like planetary orbits around a star, the closer each circle is to Christ, the faster it moves. Then follows a typically dense passage which traces the mystical implications of this complex spatial metaphor:

The motion which is the life of the living is therefore circular and central. The closer the circle is to the center the more rapidly it can orbit around the center. Therefore the circle that is also the center can orbit instantaneously. Therefore it would be infi nite motion. The center is a fi xed point. It will therefore be the greatest or infi nite motion and likewise the smallest, where the center and the circumference are the same. And we call it the life of the living which enfolds all possible motion of life in its fi xed eternity.48

For here the center of the life of the creator and the circumference of the creature are identical. For Christ is God and man, creator and creature; he is the center of all blessed creatures.49

As in the “wall” metaphor, here again we fi nd the Cusan motif of the coincidence of opposites. Maximal and minimal motions coincide in the divine life. The glo-bus Christi is not only the principle of the infi nite sphere, as the union of its center and circumference. Christ is also the still center whose infi nite motion generates all relative motions, bringing the world to life and ordering its unfolding grades of differentiation within the complex space of the Weltbild.

Unfortunately ‘De ludo globi’ has received less attention than other late Cusan works such as ‘De possest’ (1460) and ‘De li non aliud’ (1462). Some interpreta-tions have suggested that ‘De ludo globi’ does little more than repeat concepts from Cusanus’s previous writings.50 It is true that themes reappear, but one must

in: Friedrich Pukelsheim, Harald Schwaetzer (eds.), Das Mathematikverständnis des Nikolaus von Kues. Mathematische, Naturwissenschaftliche und Philosophisch-theolo-gische Dimensionen. Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 29, Trier 2005, pp. 295–312.

47 “Rotunditas circulatio est motus vitae perpetuae et infi nibilis.” Nicolaus de Cusa, Dialo-gus de ludo globi (note 4), N. 69; trans. Watts, De Ludo Globi (note 43), p. 93.

48 “Est autem circularis et centralis motus, qui vita est viventium. Quanto autem circulus centro est propinquior, tanto citius circumvolvi potest. Igitur, qui sic est circulus quod et centrum, in nunc instanti circumvolvi potest. Erit igitur motus infi nitus. Centrum autem punctus fi xus est. Erit igitur motus maximus seu infi nitus et pariter minimus, ubi idem est centrum et circumferentia, et vocamus ipsum vitam viventium in sua fi xa aeternitate omnem possibilem vitae motum complicantem.” Ibid., p. 69; Ibid., p. 93.

49 “Ibi enim idem est centrum vitae creatoris et circumferentia creaturae. Christus enim deus et homo est, creator et creatura. Quare omnium beatarum creaturarum ipse est centrum.” Ibid., p. 75; Ibid., p. 95.

50 See the references provided by Hans Gerhard Senger, Praefatio, in: Nicolaus de Cusa, Dialogus de ludo globi (note 4), p. xxxii.

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decide whether these are mere repetitions or a return to old questions with new answers. Readers of the lengthy dialogue also express frustration with its lack of apparent structure. It is often called “rambling”, and many note the author’s ad-vanced age—despite the clear structure evident in other late works.51 To be sure, the apparent disorder of themes suggests the absence of a new, guiding insight, such as often appears early on in other Cusan texts, and many elements are indeed repeated. Other thinkers had already compared God to an infi nite sphere (Alan de Lille, Meister Eckhart) and Christ to a center (Bonaventure). Nicholas himself had already used the image of the infi nite sphere in ‘De docta ignorantia’, and in sub-sequent works he frequently adverts to mathematical and especially geometrical fi gures, as he does in ‘De ludo globi’. One encounters radial chords on a circle’s circumference in 1444 (‘De coniecturis’), a square inscribed by a circle in 1454 (‘De theologicis complementis’), and a bisected triangle in 1458 (‘De beryllo’).

If the interest in the infi nite sphere and other mystical spaces is not original in ‘De ludo globi’, what is? In searching for a coherent theme amidst its profuse content, some interpreters have gestured toward a general characterization of the dialogue’s form. Since the dialogue meditates upon a game, Nicholas is said to view philosophy, theology, spirituality, or human life as a form of “play.”52 The suggestion is by no means false. Yet the diffi culty of identifying further interpre-tive frameworks beyond the ludic bespeaks an uncertainty about the text’s fun-

51 Clyde Lee Miller, Nicholas of Cusa’s De ludo globi: Symbolic Roundness and Eccentric Life Paths, in: David W. Burchmore (ed.), Text and Image, Acta X, Binghamton, New York 1986, pp. 135–48.

52 Gerd Heinz-Mohr, Das Globusspiel des Nikolaus von Kues. Erwägungen zu einer The-ologie des Spiels, Kleine Schriften der Cusanus-Gesellschaft, Heft 8, Trier 1965; Ibid., Spiel des Denkens – Spiel des Lebens. Nikolaus von Kues und sein Kugelspiel, in: Zeit-wende. Die Neue Furche 35 (1964) pp. 804–812; Hans Rudolf Schär, Spiel und Denken beim späten Cusanus, in: Theologische Zeitschrift 26 (1970) pp. 410–418; Maurice de Gandillac, Symbolismes ludiques chez Nicolas de Cues (De la toupie et du jeu de boules au jeu de la sagesse), in: Philippe Ariès (ed.), Les Jeux à la Renaissance. Actes du XXIIIe Colloque international d’études humanistes, Tours, juillet 1980, Paris 1982, pp. 345–63. Two recent and fi ne discussions of the dialogue also rely on the “game” as the primary interpretive frame. On the ludic nature of philosophy and theology, see Martin Thurner, Theologische Unendlichkeitsspekulation als endlicher Weltentwurf. Der menschliche Selb-stvollzug im Aenigma des Globusspiels bei Nikolaus von Kues, in: Klaus Kremer, Klaus Reinhardt (eds.), Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 27, Trier 2001, pp. 81–128. For a nuanced consideration of the layered meanings of the Cusan globus, especially the ethical, see Hans Gerhard Senger, Globus intellectualis. Welt-erfahrung und Welterkenntnis nach De ludo globi, in: Id., Ludus Sapientiae. Studien zum Werk und zur Wirkungsgeschichte des Nikolaus von Kues, Leiden 2002, pp. 88–116. Fi-nally, on the history of the game itself, see Wolfgang Breidert, Rhythmomachie und Globusspiel. Bemerkungen zu zwei mittelalterlichen Lehrspielen, in: Rudolf Haubst (ed.), Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 10, Mainz 1973, pp. 155–171.

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damental structure. If one theme is discovered in part of the dialogue, in other passages the putative theme is absent.53 For example, however well the narrative framework of “the soul’s journey” may suit the dialogue’s fi rst book (recalling for instance Bonaventure’s itinerarium of the soul toward God), this does little to explain the Pythagorean arithmology, angelic hierarchies, and theories of divine unity arising in the second book.54

The trend toward general, formal interpretations can overlook the work’s truly innovative content, and it is diffi cult to fi nd interpretations of the work’s structure that both analyze its form according to the work’s actual content and also attend to its originality.55 Anke Eisenkopf suggests analyzing the text’s structure accord-ing to four levels of meaning: Pythagorean, temporal, epistemological and meta-physical.56 The rolled sphere, the space of the gameboard, and the central goal are three spaces which take on metaphorical values in each of the four registers. For example, according to the temporal register, the ball, circles and point mean the

“now”, time and eternity, while according to the epistemological, they represent thinking, the spiritual life and truth. Eisenkopf’s analysis helps one to see the novelty of Nicholas’s thought in the dialogue. What is new is not necessarily each spatial image, nor the theological term it represents, but rather the systematic correlation of spatial and theological fi gures within a master space (the game) coordinating all other fi gures. But while Eisenkopf’s table proves that the work obeys a defi nite pattern, her analysis is not governed by a principle internal to the dialogue itself, but imposed from without.

Nevertheless, as stated above, the originality of ‘De ludo globi’ lies not simply in the new image offered there by the cardinal (the game itself), nor in its au-tonomy from past Cusan insights, since Nicholas clearly gathers together many of his previous themes into this text, apparently for a purpose. Rather, the dialogue’s power stems from the breadth of its vision and its capacity precisely to grant a new framework in which past themes take on a new coherence and collective meaning. By coordinating multiple geometric fi gures within a single spatial fi eld, the ball game itself, the dialogue intensifi es the spatialization of the God-world relation, and it does so by means of Nicholas’s incarnational mysticism.57 The ex-

53 “The second book of the De ludo globi, although largely concerned with God and not with issues related directly to the discussion of man, does, however, offer some further insights of Cusanus on the nature of man.” Pauline Moffitt Watts, Nicolaus Cusanus. A Fifteenth-Century Vision of Man, Leiden 1982, p. 204.

54 H. Lawrence Bond, The Journey of the Soul to God in Nicholas of Cusa’s De Ludo Globi, in: Gerald Christianson and Thomas M. Izbicki (eds.), Nicholas of Cusa in Search of God and Wisdom, Leiden 1991, pp. 71–86.

55 See, however, the judicious analysis in Senger, Praefatio (note 4), pp. xxv–xxvi. 56 Anke Eisenkopf, Mensch, Bewegung und Zeit im Globusspiel, in: Litterae Cusanae 3

(2003) p. 59.57 Martha Maria Oberrauch interprets ‘De ludo globi’ in terms of its spatial signifi cance,

as part of her study of mathematical rationality in the development of German idealism.

76 Albertson

tent and signifi cance of such spatialization becomes apparent when one decodes its structure.

Nicholas bases the structure of both books upon the notion of the triplex mundus drawn from the Hermetic text ‘Asclepius’. Each of three “worlds”—those of God, the universe and human being—are repeated in the two books. In the fi rst book, the “worlds” are in motion, and in the second, at rest. Between these two portraits of a game of spheres, the reader can assemble a unifi ed Weltbild displayed in the full range of its possible movement. Representing the triple su-perimposition of three parallel “worlds”, the geography of the game’s unifi ed ter-rain is then mapped by Cusanus according to cosmological, anthropological and theological perspectives. While this proposal for analyzing the structure of the dialogue would require a longer work to demonstrate fully, the following may serve as an indication of the argument in outline.

The Greek text of ‘Asclepius’ was written in second- or third-century Egypt and translated before the time of Augustine into the Latin text which Nicholas read.58 In it the young adept, Asclepius, is tutored by the sage Hermes Trismegis-tus. Among the highest mysteries revealed is the intimate relation of God, cosmos and humanity:

God, the Master of eternity, is fi rst; the Cosmos is second; man is third. […] Man knows himself, and knows the Cosmos also, […] rendering praise and thanks in full measure to God, and revering God’s image (the Cosmos), not unaware that he himself is a second image of God. For there are two images of God; the Cosmos is one, and man is another, inasmuch as he, like the Cosmos, is a single whole built up of diverse parts.59

According to this middle Platonic source, the cosmos or world (mundus) is an image of God, just as human being is. Hence human being in the world is a micro-cosmos refl ecting the macrocosmos, and both together are “two worlds” which refl ect the divine being.60

“Das Kugel-Spiel des Cusaners ist nicht ein rein logisches Spiel, welches sich allein durch abstrakte Begriffl ichkeit kennzeichen ließe, sondern vollzieht sich im Raum und involviert ein Sehen des Spielers im Raum. […] Die Spielkugel stellt ein räumliches Modell dar und ihre spezifi sche Körperlichkeit ist konstitutiv für das Spiel. Die Bewegung der Kugel ist als ein Prozess im Raum aufzufassen […] . Der Raum bildet so die Bedingungsvoraussetzung für Vergleiche […] .” Martha Maria Oberrauch, Aspekte der Operationalität. Untersu-chungen zur Struktur des Cusanischen Denkens, Frankfurt 1993, pp. 98–99. Oberrauch does not consider the text as a product of its late medieval context, however, neglecting both its mystical Christology and its important late antique Platonic sources, such as ‘Asclepius’.

58 Walter Scott (ed.), Hermetica, Volume 1, London 1968, pp. 54–55, 77–79. 59 Ibid., N. 10, p. 305.60 See Rudolph Allers, Microcosmos from Anaximandros to Paracelsus, in: Traditio 2

(1944), pp. 319–409.

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Cusanus alludes to the Hermetic doctrine in the dialogue, but he adds an-other dimension of meaning. The cardinal’s interlocutor, John, states that “[…] the world is trinary; the small world which is man, the greatest which is God, and the large which is called the universe. The small is the likeness of the large, the large the likeness of the greatest.”61 When John doubts the likeness of humanity as microcosmos to the macrocosmos, Nicholas is quick to correct him:

By all means man is the small world in such a way that he also is part of the large world. […] Because the perfection of the entire universe shines forth more in man, man is the perfect world, although small and a part of the large world. […] Particular and individual men bear the appearance and image of the one perfect universe. In this way the stable unity of the great universe is more perfectly unfolded in such a varying plurality of many small fl uid worlds succeeding each other in turn.62

After Nicholas explains how the human “world” relates to the cosmic “world,” John reminds the cardinal not to overlook the third: “Don’t shrink from adding […] how the greatest world, which is God, shines forth in the universe.”63 Nicho-las responds that the task may be beyond him, but that he will at least attempt to explain what he can, starting from the image of the globus.

One can already see that whereas the ‘Asclepius’ compares the “worlds” of cosmos and humanity as two parallel images of God, Nicholas radicalizes the metaphor: God, too, is a kind of world. What might he mean by this extraordi-nary suggestion? It is doubtful that the cardinal conceives of God as limited by the dimensions of the cosmos, or the physical universe as divine per se. Instead, the metaphor is intended to enforce a certain mystical univocity of God, cosmos and self by the construction of a universal mystical space. Eckhart approaches something similar when he teaches the univocity of the self’s “ground” and God’s

“ground.”64 In a similar manner, the Cusan triplex mundus effects a spatial syn-chrony of “worlds”, by which (to use Eckhartian language) the divine distinction appears indistinctly inside the spaces of self and world. The “world” thus con-structed is not a fusion of the three spaces, but a simultaneous, threefold visual-

61 “[…] triplex est mundus: parvus qui homo, maximus qui est deus, magnus qui universum dicitur; parvus est similitudo magni, magnus similitudo maximi.” Nicolaus de Cusa, Dia-logus de ludo globi (note 4), N. 42; trans. Watts, De Ludo Globi (note 43), 75.

62 “Utique homo sic est mundus parvus quod et pars magni. In omnibus autem partibus relu-cet totum, cum pars sit pars totius. […] Perfectio igitur totalitatis universi quia plus relucet in homine, ideo et homo est perfectus mundus, licet parvus, et pars mundi magni. […] ideo unius perfecti universi plures particulares et discreti homines speciem gestant et imaginem, ut stabilis unitas magni universi in tam varia pluralitate multorum parvorum fl uidorum mundorum sibi invicem succedentium perfectius explicetur.” Ibid., p. 42; Ibid., p. 75.

63 “Non pigriteris istis pulcherrime dictis adicere, quomodo maximus mundus qui deus est in universali relucet.” Ibid., p. 44; Ibid., p. 77.

64 See Bernard McGinn, The Mystical Thought of Meister Eckhart, New York 2001, pp. 35–70.

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ization of their respective emanations from a common source—the central Christ-point—which facilitates the mystical perception of their likeness. For Nicholas, the concept of God, no less than cosmos and humanity, receives its perfect defi ni-tion (its “sphericity”, we might say) from the Incarnation.

Not surprisingly, such overlapping and repeated metaphors endow ‘De ludo globi’ with a complex textual structure. The notion of the triplex mundus therefore provides us with the missing hermeneutical key. Each of the two books repeats in the same order three meditations on each of the “worlds”: fi rst the universe, then the human soul, and fi nally God. Both books close with a Christological medita-tion, as if to follow the course of the game itself, for the goal of each player is to reach the Christ-center and rest there.

In the fi rst book of the dialogue, Cusanus initially explains the game.65 He then compares the ball’s roundness (rotunditas) to the roundness of the universe; the latter’s infi nite and “invisible” rotunditas becomes an image of the world’s eternity.66 Because of the ball’s eccentric roundness, its movements are helical and perpetual, representing the soul’s substantial, intellective self-motion.67 Finally, the spherical game ball was crafted by the movement of a rotary lathe, notes the cardinal. This permits a comparison to the divine motion in the universe which actualizes matter into form.68 At the close of the fi rst book, Nicholas explains how Christ is not only the center of the game board, where the rolling ball fi nds its rest, but also, as we saw above, the globus Christi.69 This appropriately concludes his meditations on the ball and its movements, referred respectively to the three

“worlds” of cosmos, soul, and God. Whereas the mystical Weltbild of the fi rst book is the spherical globus, the sec-

ond book examines the space of the gameboard itself. Now that the game ball’s spiraling movements have come to rest, the second book studies the static geom-etry inscribed by the concentric circles of life orbiting around the central point of Christ. Again, the triplex mundus provides the key to ordering the cardinal’s synthesis of his previous treatments of number, unity and Trinity. After explaining the structure of the gameboard encircling the Christ-point,70 Nicholas interprets the nine circles as an image of the universe as the “kingdom of life”. The infi nite degrees of creaturely difference are harmonized by the Christ-center, as the cen-tripetal pull of divine unity binds the cosmos together.71 Next, he turns to the soul. Just as the nine concentric circles are unifi ed in the Christic center point, so too the human soul has the power of unifying multiplicity in mathematics; the qua-

65 Nicolaus de Cusa, Dialogus de ludo globi (note 4), N. 1–7.66 Ibid., p. 8–19.67 Ibid., p. 20–43.68 Ibid., p. 44–49.69 Ibid., p. 50–60.70 Ibid., p. 61–72.71 Ibid., p. 73–89.

79Mapping the Space of God

drivium is a sign that the soul is an image of God.72 Finally, Cusanus interprets the cosmic image of nine degrees of life as a reminder of how all numbers are enfolded in singular unity, the highest expression of which is the perfect unity of the divine Trinity.73 Then, as in the fi rst book, a Christological coda unifi es the cardinal’s meditations on the three “worlds”. In this case, the universal presence of the divine Son in creation is likened to the imprint of a stamp on a wealth of coins: its single form shines out of the multiplicity of natures.74

Hence the rolling path of the ball on the gameboard provides Nicholas with two visions of one Weltbild—one spherical and mobile, one static and circular. This unifi ed “world” differs from the many other geometrical images favored in other writings by Cusanus. For in ‘De ludo globi’, the Weltbild does not appear as a discrete image within the text, which is, so to speak, lifted out, turned around and thus contemplated by the cardinal, as in the images of wall, mapmaker, or a dozen others of Nicholas’s invention. In the case of ‘De ludo globi’ the Weltbild inheres within the structure of the text; as “played” by the reader’s engagement, the text dynamizes the Weltbild, setting it in motion and illuminating the features of its interior space.75 The structure of the text’s own space mirrors the space of the triplex world.

What therefore remains original in Cusanus’s ‘De ludo globi’ is the extension of the geometrical image to envelop the entire text, such that the mathematical-spatial and mystical-theological meanings of the image coexist and even coincide. When Cusanus measures the degrees of the sphere’s distantiation from its center, or names the indivisible point of the sphere’s tangency its rotunditas absoluta, or argues for the perpetual motion of a perfect circle, these spatial fi gures are simultaneously theological symbols, mathematical investigations, and cosmologi-cal speculations.76 Of course geometrical fi gures were long a part of the cardinal’s

72 Ibid., p. 90–103.73 Ibid., p. 104–109.74 Ibid., p. 110–121.75 Hans Gerhard Senger describes well the double movement of the ludus sapientiae inside

the world-space of the text: “Dort, wo es um die Erkenntnis des Denkens oder um das Denken des sich selbst erfahrenden Denkens geht, ist sie kreishaft in sich. Dort aber, wo es um Erkenntnis des Universums und seiner Sphären geht, geht die Bewegung des Denkens, den Kreis penetrierend, von den Kreisperipherien zum Zentrum oder, wie zu zeigen sein wird, von den vielen Kreisperipherien zum gemeinsamen Zentrum konzentrischer Kreise oder Kugeln von außen nach innen, vom Manifesten zum Okkulten.” Senger, Globus intellectualis (note 52), pp. 93–94.

76 Hans Blumenberg’s observation regarding the physical application of rotunditas in ‘De ludo globi’ holds for other mystical images as well: “Das Rezept des Cusaners ist deutlich erkennbar: die Steigerung einer geometrischen Eigenschaft zu absoluter Reinheit tran-szendiert die physische Gegenständlichkeit als solche. Aber das Überraschende ist nun, daß der Cusaner diesen Grundgedanken dennoch auf die wirkliche Welt für anwendbar hält, indem er den Gedanken der traditionellen Kosmologie, die äußerste Sphäre sei von

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theological repertoire, and in his earlier writings they serve as instruments to sharpen the intellect’s vision of God in the world. Yet by the time of ‘De ludo globi’, it is the total, dynamic fi gure of the geometrized world-space itself, cen-tered around the globus Christi, that manifests the immanent presence of God to the intellect.

In the 1463 dialogue, as stated above, Nicholas repeats the same fi gure of the infi nite sphere which he had already introduced in ‘De docta ignorantia’ in 1440. The difference concealed in that repetition, however subtle, is telling. In 1440, the infi nite sphere signifi es not only God and cosmos, but also Christ in the fi nal book. According to Nicholas, the Incarnation represents the unifi cation of the absolute divine infi nity and the relative (“contracted”) cosmic infi nity. Christ alone can effect this union because only he perfects the infi nite microcosmos of the hu-man intellect. After establishing this Christological resolution at the beginning of Book III, Nicholas elaborates its theological consequences for understanding the person and work of Jesus.77 In the course of this exposition, he applies the image of the infi nite sphere to Christ in retrospect.78 Thus in ‘De docta ignorantia’ the three applications of the infi nite sphere metaphor remain separated.

By the time of ‘De ludo globi’ two decades later, the instances of the infi nite sphere no longer follow in a series of three distinct uses, but are synchronized into the one space of the ludus globi, which indeed comprises the space of the entire dialogue. In the fi rst book, the world’s indiscernible “absolute roundness” signifi es the infi nite regress of divine eternity. Likewise the Christological passages cited above from the dialogue’s second book establish that the gameboard resembles the infi nite sphere. As its infi nitesimal central point, the globus Christi unifi es the center and circumference of the rotating circular orbits. Thus the same mystical image indicates God, cosmos and the human intellect simultaneously.

This observation entails two differences from ‘De docta ignorantia’. First, in ‘De ludo globi’, the human intellect is notably granted its own sphere, rather than being folded within Christology—a detail which manifests Nicholas’s growing interest in forms of human culture in the 1460’s.79 The second difference is more signifi cant. In 1440 Nicholas’s mystical Christology allows him to join the cos-mos to God only after each has been fi rst constituted independently as an infi nite sphere; the Christology is extrinsic to their sphericity. Yet in 1463, Christ is the geometric center which grounds the very sphericity of God, of the cosmos and of the human themselves. Precisely in the process of establishing their common

vollkommenster körperlicher Rundheit, aufgreift.” Hans Blumenberg, Pseudoplatonis-men in der Naturwissenschaft der frühen Neuzeit, in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse 1, Mainz 1971, p. 11

77 Nicolaus de Cusa, De docta ignorantia (note 8), pp. 119–132 (N. 181–207).78 Ibid., p. 145 (N. 232).79 See Watts, Fifteenth-Century Vision (note 53).

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geometry, the Christ-point simultaneously joins the spheres to each other, as the unifi ed triplex mundus. That is, the Christology of ‘De ludo globi’ determines not only the relation of the three spheres (as in 1440), but intrinsically determines their very identity as spherical.

The discovery of a possibly Hermetic substructure of the dialogue argues for the novelty and distinction of ‘De ludo globi’ among other Cusan writings. For even at the moment of its most apparent repetition, in the fi gure of the infi nite sphere, ‘De ludo globi’ does not merely repristinate the old ideas of ‘De docta ig-norantia’ and other works, but represents an even more dramatic Christocentrism than that of ‘De docta ignorantia’. In the 1463 dialogue Nicholas deliberately reframes, by more radically spatializing, the relation of Christ to the spherical Weltbild. Nicholas gestures toward a spatialized Christology in 1440 almost as an afterthought. But not until twenty years later—after developing further both his incarnational mysticism and the tendency of his mathematical interests toward spatialization—could he complete the thought and fully realize its implications.

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Fig. 1: Editio Parisiensis (1514), vol. I, fol. 152r.

Fig. 2: Editio Basiliensis (1565), vol. I, p. 209.

Apollo off the TrackEngland in Transgression of a Kinetic World-Picture

Christiane Hille

Enquiring into the poetics and politics of the medieval world-picture, scholars from all disciplines traditionally tend to look at visual or literary narratives that depict and describe the period’s perception of man and his cosmos. Progressing from a general interest in examining the age’s vision of the world, such studies have begun to approach the medieval world-picture as an intellectual mindset that framed conceptual categories of law, labour, and religion, stable and unstable systems of beliefs and disbeliefs characteristic of their age. Tracing the historical evolution of these beliefs, historians have examined the history of scientifi c dis-covery and its ideas of space and time, terrestrial and celestial motion, and their interpretation in astronomic and theological discourse. Following these accounts of the medieval perception of the cosmos as denoted by the principles of geocen-tricity, plenitude, continuity, and gradation that convey the period’s picture of the world in an essentially spatial imagination, it is thus somewhat astonishing that its documentation has hitherto only been discerned in the two-dimensional space of the map or image, or in the abstract space of the written text. Hoping to show that perceptions of space, time, and motion in everyday life were experienced in a predominantly physical rather than intellectual way, this essay focuses on the practice of courtly dancing in sixteenth- and early-seventeenth-century England that promoted the political axioms of Stuart monarchy in the staging of a kinetic world-picture.

1 Orderly Movements of the Cosmos in the Masques of James I

Embodying the most sumptuous form of royal panegyric and political comment in the history of the English court, the Court Masque was composed as theatrical tableau that united speech, dance, and song to a scenic and dramatic framework. Staged in Inigo Jones’ Banqueting House in Whitehall Palace, the spectacle for-med an indispensable component in the celebration of any major event at the court of King James I. Shaped by classical myth and Renaissance iconography, the masque produced celebratory narratives evolving around the principal theme

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of royal creativity and power, thereby providing the King and his courtiers with a heroic mould that gave higher meaning to the realities of their political actions. For the historian who understands court spectacle as ceremonial intensifi cation of both, psychological and physical patterns of quotidian experience the Stuart court masque offers a tangible picture of the political image-making and world-mapping posed by the festival culture of monarchy.1 Staging a higher vision of reality that was invoked by the presence of the King and conjured his status of divine power which legitimised sovereign political rule, the English court masque created a fi ctional universe that centred on the person of the monarch. Drawing from all fi elds of artistic production, the masque produced a performative picture of monarchic magnifi cence that resulted from the structuring of space and sight around the body of the King. Arising from a metaphysical notion of space was a representation of James I that summoned sovereign power by juxtaposing his bodily presence with stage allegory emblematic of the divine presence that empo-wered his sovereign rule. Anticipating the spatial principle of French absolutism, where the centrality of the monarchic body fi gured as a political system for per-sonal rule, the spectacle of English monarchy established an essentially spatialised representation of the royal body, thus creating a ritual narrative of the monarch as the centre of court and cosmos that structured all aspects of social space into a circumscription of Jacobean rule.

Rooted in traditional court entertainments and ritual folk customs popular in the early Middle Ages, the masque sought the stability of traditional gestures, thereby promoting an aura of ritual in which the world of allegoric vision and the literal world of the court could perform their fi ctional union in high solemnity.2 Preoccupied with the conjuration of the King’s body politic, ritual in the masque provided a form of royal myth-making which achieved its full eloquence from the presence of the King’s body natural and succeeded in transforming it into divine power through its reiterated display to the assembled court.3 Casting James as the unmoved mover of his court and cosmos, the wider choreography of the Jacobean masque testifi ed to the age’s understanding of monarchic performativity residing in the King’s divided self that generated sovereign power in the space between his body politic and his body natural which the masque set up as visual opposition of the royal dais and the stage. Approaching the masque from this perspective, I

1 The key studies on the symbolic aspects of power are Frances Amelia Yates, Valois Tapestries, London 1959; Roy Strong, Splendour at Court. Renaissance Spectacle and the Theatre of Power, Boston 1973; and Sidney Anglo, Spectacle, Pageantry, and Early Tudor Policy, Oxford 1969.

2 See Suzanne Westfall, Patrons and Performance. Early Tudor Household Revels, Ox-ford 1990.

3 For the concept of the King’s two bodies, see Ernst Kantorowicz’s magisterial study: Ernst Kantorowicz, The King’s Two Bodies. Study in Medieval Political Theory, Princ-eton 1957.

85Apollo off the Track

consider the ceremonial ordering of space and vision around the monarchic body as a physical illustration of the Jacobean world-picture. Asserting the performa-tivity genuine to sovereign rule, the Jacobean masque promoted the body of the King as the centre of a visional fi eld, outlined in the span of his gaze that created the social sphere of courtly identity.

Frequently characterised in the masque as Jove or Apollo, James mirrored the cosmic position of the sun by his position in the hall, where he was seated in the middle of the room and proiecteth powerfull beames of light.4 Allegorising him as source of light and harmony, the masque positioned the King between the corporeal realm of man and the incorporeal realm of the heavenly spirits, thereby confi rming the centripetal system of English monarchy that circled around the person of the monarch as its gravitational centre. Presenting dances of reverence to the King, the staged personae of Mercury, Saturn, or Venus not only carried allegorical meaning, but alluded as personifi cations of the celestial bodies circling around the globe to the very tangible concept of a divine social order inherited from the geocentric world-picture of Tudor England. Inviting an interpretation as both, incarnate virtues and cosmic fi gures, the gods of ancient mythology proved particularly capable in epitomising the political self-conception of the Jacobean monarch.

Composing a treatise for the edifi cation of his eldest son and heir to the throne, Prince Henry in 1612, James I delineated the rights and duties of a sacred king in his ‘Basilikon Doron’, which, as has fi rst been pointed out by Roy Strong, is best summarized in a speech made by James to Parliament on March 21st 1609:

The state of Monarchy is the supremest thing vpon earth. For Kings are not only GODS Lieutenants vpon earth, and sit vpon Gods throne, but even by GOD himsel-fe they are called Gods. There bee three principall similtudes that illustrate the state of MONARCHIE: One taken out of the word of GOD; and the two other out of the grovnds of Policie and Philosophie. In the scriptures Kings are called Gods, and so their power after a certaine relation compared to the Diuine power. Kings are also compared to fathers of families: for a King is trewly Parens Patriae, the politique father of his people. And lastly, Kings are compared to the head of this Microcosme of the body of Man.5

James’ political theory on the divine right of kings was conveyed in the masque through the action of the classical gods that conferred an aura of divine power on the Jacobean monarch. As Gordon Teskey has shown in regard to the literature and art of late-Renaissance Italy, the revival of the classical gods in allegory was

4 See Ben Jonson’s ‘Love Freed from Ignorance and Folly’ from 1611. Quoted from Stephen Orgel, Roy Strong, Inigo Jones. The Theatre of the Stuart Court, Berkeley 1973, l. 256.

5 See C. H. McIlwain, The Political Works of James I, Cambridge Mass. 1918. Quoted from Roy Strong, Art and Power. Renaissance Festivals 1450–1650, Woodbridge 1973, p. 159.

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related to the emergence of the idea of a sovereign state that centred in the body of the prince as a cosmos unto itself, where classical gods mediated the power of the sacred to the realm of the political.6 Defi ning the monarch not only as its ethical and emblematic, but as its corporeal centre, the English masque constituted the King’s body as material bearer of the allegoric abstractions performed in its spec-tacle of state. Binding the illusion of sacred power to ritual practice, the masque thus maintained the political doctrine of the King’s superhuman judgement and limitless power that lay at the heart of James’ claim to divine rule.

Of particular interest in this context is the spatial rhetoric that the masque de-veloped to express this sense of the King as the central fi gure in cosmic hierarchy to whom his own, well-ordered realm corresponded invisibly. Representing the microcosm of the Stuart kingdom, the masque aligned its performers to the larger context of cosmic hierarchy by way of dance. Containing a metaphorical signifi -cance that has been observed but not taken into account by traditional studies of the genre, dance and music in the masque served as the prime form of courtly self-fashioning, articulating the hierarchic structures and negotiating the power rela-tions of the Jacobean court by reproducing social complexities in choreographed movement. Dancing in the masque, Jacobean courtiers aspired to participate in the perfect state of celestial harmony that the entertainment was understood to refl ect on the microcosm of the dancing space by the civilising tunes of music to which the dancers attuned their movement. Taking over the late-Renaissance no-tion of dance, which was commonly understood to have arisen as an imitation of the orderly dance of the cosmos, courtly dance in the masque was conceived to impart moral improvement on its performers, who thereby confi rmed their position within the divine hierarchy of the court. Inherited as an amalgamation of Pythagorean and Platonic treatises on the harmony of the spheres, the concept of Celestial Dance embodied the notion that every star and planet moved at its own particular speed and path according to a fi xed rank in cosmic hierarchy and thereby joined in a harmoniously choreographed motion that controlled the course of time, years, seasons, and ages.7 Staging a reiterated victory over the chaos of its anti-masque, the Stuart masque sought to re-create the birth of the universe that God had formed from celestial disorder on the command of James,

6 See Gordon Teskey, Allegory and Violence, Ithaca 1996. 7 According to the theories of celestial hierarchy developed by Neoplatonists the universe

was divided into three layers consisting of the elemental human world, the celestial world of the planets and fi xed stars, and the super-celestial angelic world of God. The angelic heavenly world was naturally equated with the realm of Platonic Ideas, refl ected as light to the lower worlds. Hence the celestial was seen as a mediator between the elemental-ter-restrial realm inhabited by man, and the super-celestial, with the movement of the planets refl ecting divine infl uence which in turn controlled human affairs. See Gunter Berghaus, Neoplatonic and Pythagorean Notions of World Harmony and Unity and their Infl uence on Renaissance Dance Theory, in: Dance Research. The Journal of the Society for Dance Research 10/2 (1992), pp. 43–70.

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who, in the role of Jove, oversaw the orderly motion of his courtly dancers as the new King of the universe.

The body of the Jacobean courtier, in result, offered the prime medium for the fashioning and maintenance of social and political status at court. Complex and hard to master, dancing in the masque provided the courtly body with a repertoire of political rhetoric, designed for a social sphere wherein the conduct of politics was fi rst of all an affair of personal contact and physical encounter. Though dance has long been acknowledged to form an integral part of the genre, its study in context of the masque is still slowly arising from a wider body of research on the signifi cance of dance within late-Renaissance festival culture all over Europe that has developed into a separate historic fi eld over the last two decades.8 Far from being a mere entertainment, dancing covered about three thirds of a masque’s per-formance, and was painstakingly taught and rehearsed within the weeks before its staging. Performed by the highest members of court, these carefully choreo-graphed dances formed the highlight of every masque and were most anxiously followed by the evening’s audience.9 For those watched, dancing in the masque was a means of demonstrating high status, as only the best performers at court were selected to participate, and had demonstrated both superiority in lineage and stage presence before being taught the high standard of attuned movement in daily practice.10

Imported to Elizabethan England from Burgundian courts, dignifi ed processional dances like the pavane that was invented to parade rich clothes and jewellery, had been established as a means for the display of social status among the English peerage.11 Formalising social hierarchy through codifi ed movement, courtly dan-cing was perceived to transform the body from a grotesque mass into a virtuous instrument that safeguarded the ethical elevation of its carrier. Elite dance sought

8 The fi rst separate study on dance in the English court masque has recently been published by Barbara Ravelhofer, The Early Stuart Court Masque. Dance, Costume, and Music, Oxford 2006.

9 Graham Perry has pointed out that contemporary eyewitness accounts of Stuart masques were primarily concerned with the dances, the success or failure of mechanical effects, and comments on other members of the audience, while references on the spectacle’s politi-cal message were rather poor. See Graham Parry, The Politics of the Jacobean Masque, in: James Ronald Mulryne, Michael Shewring (eds.), Theatre and Government under the Early Stuarts, Cambridge 1993, pp. 87–117.

10 Tom Bishop makes a similar argument in his analysis of Prince Henry’s dancing in ‘Oberon’, 1611, demonstrating how the Prince’s performative participation asserted his political agenda. See Tom Bishop, The Gingerbread Host. Tradition and Novelty in the Jacobean Masque, in: David Bevington, Peter Holbrook (eds.), The Politics of the Stuart Court Masque, Cambridge 1998, pp. 88–120.

11 On the origins of English courtly dancing in French festival culture of the sixteenth centu-ry see Gordon Kipling, The Triumph of Honour. Burgundian Origins of the Elizabethan Renaissance, The Hague 1977.

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to suppress gestures that had become characteristic of traditional English country dances, in which dancers often mimed the actions of their trade in movement and gesture.12 Such bodily self-mastery had ranged already among the prime virtues of the Elizabethan courtier and was considered a practical exercise in moral impro-vement, capable of counteracting dangerous passions. At the court of Elizabeth, however, dance was not embedded in the specifi c emblematics of royal politics, as it became in the masque productions of the Jacobean reign.13 In the Stuart mas-que, courtly dancers had to enact the mythical identity of their masqued persona through virtuosity in motion and vigour of bodily control. Essential to the self-projection of the individual courtier, such conspicuous displays of bodily virtuo-sity nevertheless had to be foiled in an image of harmonious concord, emphasised in the composition of the spectacle’s music. Combining the roles of poet and composer in his service to King James, Thomas Campion thus adjoined the single voices of the instrumental solos that accompanied the dancers’ solo performances in the many-voiced lines of a chorus that united the efforts of the individual dan-cers in a visualisation of social harmony, celebrating the courtier’s collective rather than his individual identity.14 Reconciling strategies of political self-assertion to the values of fellowship and royal service, the dances of the Stuart masque thus rendered social identity into a rhythmical and spatial work of art.

In the masque, this strategy becomes paradigmatically exercised in the dances of the revels. This series of popular dances beginning after the fi nal transformation-scene of the main-masque represented the social part of the evening’s spectacle, in which the courtly masquers joined with members from the audience.15 Usually following an established sequence, the repertoire of these dances encompassed both a set of traditional Elizabethan social dances, known as the eight measures, and dances imported from continental courts like galliards, brawls and coran-

12 See for example the dance of the ‘hard-handed-people’ which Mark Franko refers to in his pioneering study on the semiotics of the Renaissance body: Mark Franko, The Dancing Body in Renaissance Choreography, c. 1416–1589, Birmingham, Ala. 1986. For a detailed analysis of Tudor elite dances embraced or resisted by the English middling sort see Skiles Howard, Rival Discourses of Dancing in Early Modern England, in: Studies in English Literature 36/1 (1996), pp. 31–56.

13 The political deployment of dance at the Elizabethan court was rather a personal one, see Eric St John Brooks, Sir Christopher Hatton, London 1946.

14 For the musical theory of Thomas Campion, who understood music and poetry as an undifferentiated unit of sound, see Cathrine Ing, The Lyrics of Thomas Campion, in: ead., Elizabethan Lyrics. A Study in the Development of English Meters and their Rela-tion to Poetic Effect, London 1951, pp. 151–77; and R. W. Short, The Metrical Theory and Practice of Thomas Campion, in: Publications of the Modern Language Association of America 59 (1944), pp. 1003–1018.

15 A comprehensive analysis of the revels in the Stuart masque is given in Anne Daye, Youth-ful Revels, Masks, and Courtly Sights. An Introductory Study of the Revels within the Stuart Masque, in: Historical Dance 3/4 (1996), pp. 5–22.

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tos.16 Drawing on familiar music and standard step sequences, the revels posed no restriction to the number of participants from the audience, whose selection to the dancing space was undertaken according to rank. Joining audience and per-formers in bodily concord, the revels thus produced a moment of incorporation in performance, thereby expanding the celestial harmony of the masque’s fi ction onto the material reality of the Stuart court.

Comprising ritual elements inherited from festive practices like courtly mum-ming, the masque was rooted in a theatrical tradition of the Middle Ages that was characterised by an ad hoc creation of performative space. Room, room, Ladies and Gentlemen—the traditional entrance call by which performers of early Tudor mumming proclaimed the clearing of the hall from tables and seats in order to commence the entertainment might illustrate most emblematically how theatrical space was constructed by the means of performance only. Lacking a material con-struction of theatrical space, medieval actors created the place for their spectacle amidst the spectators, sizing the room for their performance from the room of its audience only by means of words and gesture. Existent for no longer than the time of performance, this ephemeral sizing of theatrical space survived in the Jaco-bean court masque, emphasizing the genre’s strong difference from contemporary drama.17 Creating a world of its own, Jacobean drama required its spectators to imagine an alternate, story-based reality for the contestation of moral, social and political scenarios on stage. Within this world, a fi ctional narrative was developed by professional actors, who represented fi ctional characters that had no continu-ity once the performance was over. Establishing a clear divide between the world of its audience and that of the stage, early-Stuart drama thus proposed a perspec-tive of aesthetic distance that constituted its theatricality of representation.

Opposed to this theatricality of representation, the masque deliberately under-mined the aesthetic distance between the world of its courtly audience and that

16 For a detailed discussion of these dances, as for reconstructions of their choreographies and music, see John Ward, The English Measure, in: Early Music 14/1 (1986), pp. 15–21, and, Id., Apropos The Old Measures, in: Records of Early English Drama 18/1 (1993), pp. 2–21, James Stokes, Ingrid Brainard, The Olde Measures in the West Country. John Willoughby’s Manuscript, in: Records of Early English Drama 17/2 (1992), pp. 1–10, and Ian Payne, The Almain in Britain, c. 1549–c. 1675: A Dance Manual from Manu-script Sources, Aldershot 2003.

17 The opposites of masque and drama have been much played upon already by the genre’s contemporaries. Thus the lines of Thomas Middleton’s ‘A Courtly Masque’ from 1620: This our device we do not call a play / Because we break the stage’s laws today, quoted from: Arthur Henry Bullen, The Works of Thomas Middleton, 8 vols., London 1985, (vol. 7), p. 149. The only proper analysis on the relation between masque and drama so far has been given in an essay by Helen Cooper, in which she demonstrates the masque to derive from the dramatic form of the morality play. See Helen Cooper, Location and Meaning in the Masque, Morality and Royal Entertainment, in: David Lindley (ed.), The Court Masque, Manchester 1984, pp. 135–148.

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of its allegorical narrative. Rather than feigning a dramatic illusion, the masque aspired to enact a higher vision of the social, political and material reality of its courtly performers in an understanding similar to the portraits of Elizabeth, which had conveyed a moral rather than a realistic image of the Queen. Recalling medieval ritual, the courtly masquer revealed the virtues of his allegoric identity as the inner truth of his bodily self in appearing on stage. As such distinct from the professional actor whose playing a part was seen as the impersonation of a lie, the denial of his true self, the Jacobean masquer was understood to carry the mythi-cal idealisation of his cast beyond the time of his performance, thereby uniting the realms of political allegory and political reality within his courtly body.18 De-scending from the stage to the dancing area, the courtiers carried down myth and allegory into the midst of the auditorium, where their dances in front of the royal dais prepared a theatrical space for the fi nal union of fact and fi ction that was ac-complished when performers and audience joined in the dances of the revels.

Designed to obliterate the divide between performers and audience, the the-atrical space constructed by the masque provided a place of ritual habitation to the allegoric and mythical abstractions promoted by the masque’s fi ction, hence pronouncing the fi ctional and the real world as not only allegorically but physi-cally coexistent. Linking the world of the stage with the world of courtly reality the masque provided its performers with an opportunity to ritually conquer a status of social and political distinction at court that would be confi rmed in the gaze of the monarch. Dancing in the masque, the Stuart courtier was understood to bodily partake in the perpetual movement of the transcendent order, thereby submitting his body to a kinetic economy that traded social prestige for control-led movement. Forming a coherent visualisation of celestial harmony inside the walls of Whitehall Banqueting House, the masque thus cast the cosmos as kinetic correspondence of courtly and celestial bodies, whose regular movement within harmonious concord safeguarded the social order at court and perpetuated an es-sentially medieval conception of the spheres in a practice of political self-display paradigmatic of modernity.19

18 It seems to me that this notion of the professional actor is related to the Iconoclast rejec-tion of the three-dimensional image of the Christian statue that was understood to be as real as any masked player who concealed the living reality behind a painted visage. For a detailed study on the Christian statue in the liturgical drama of the medieval church, see Victor Kolve, A Play Called Corpus Christi, Stanford 1966. Leaving this aspect untouched but providing an ample account of the social status of the professional ac-tor in early-modern England, is Mark Netzloff, Counterfeit Egyptians and Imagined Border. Jonson’s The Gypsies Metamorphosed, in: English Literary History 68 (2001), pp. 763–793.

19 For both profound study and excellent introduction to the topic of political self-display in modernity, see the works of Stephen Greenblatt, who has shown how early modernity was characterised by an increased self-consciousness about the fashioning of human iden-tity as a malleable, artful process. Stephen Greenblatt, Sir Walter Raleigh. The Renais-

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2 Breaking ‘Old Atlas’: Charles’ Reform of the Cosmos in ‘Coelum Britannicum’

Installed into the ceiling of Whitehall Banqueting House in 1635, Peter Paul Ru-bens’ ‘Banqueting House Ceiling’, a series of nine canvases displaying the apo-theosis of King James, established a monument to the transition of the concept of kinetic correspondence of court and cosmos as it had been celebrated in the masque. Delivering an allegoric programme for the glorifi cation of the fi rst Stuart monarch whose crown had been inherited by Charles I in 1625, Rubens’ ceiling exhibits the celestial personage hitherto familiar to the English court only from the narratives of the masque in an illusionistic vision that allows them to stride freely across the painted heavens of the canvases. Rubens’ consummate technique, his experience of working on an epic scale, unparalleled repertoire of classical references, and insight into the political situation of his time created a vision that fused art and power into an image of majesty that easily rivalled the staged visi-ons of the masque. As will be shown below, the installation of Rubens’ pictures at Banqueting House provided Charles with a novel repertoire of royal propaganda that not only caused the demise of the masque but essentially rendered Elizabe-than perceptions of celestial order obsolete.

Rubens’ ceiling for Banqueting House pictures King James’ ascend to the heav-ens, where he is borne on the back of Jove’s eagle and crowned by Minerva with the victor’s laurel. In heaven from where the wise rule of the late Stuart King now unfolds, James reigns as Great Britain’s Salomon, guarding Peace and Plenty from Mars, while Apollo, Minerva, Hercules, and Temperance guard his reign from Ignorance, Avarice, Intemperance and Discord. A procession of putti and tamed beasts carries the fruits and riches of the earth. The Flemish master had been given the commission of a ceiling for Whitehall Banqueting House more than a decade before, in 1621, and Roy Strong has convincingly argued that the painter discussed its iconographic programme with Inigo Jones, architect of the court masque, during his brief stay in London from 1629 to 1630.20 Capturing the heroic world of the masque in a grand scale composition, Rubens elevated the ephemeral magnifi cence of Jones’ stage to the boundless sphere of baroque ceiling painting. Though operating in no more than two dimensions, the highly theatri-cal and architectural scenes of the nine canvases created an ambitious vision of the heavenly spheres, drawing the eye upwards into dizzying spirals of ambitious

sance Man and his Roles, New Haven 1973, and, Id., Renaissance Self-Fashioning from More to Shakespeare, Chicago 1980.

20 Rubens’ and Jones’ collaboration in the design of the ceiling’s iconography had been long disputed. Most scholars, however, agree that painter and architect discussed the design in the late spring of 1630. See Roy Strong, The Tudor and Stuart Monarchy. Pageantry, Painting, Iconography, 3 vols., (vol.1), Woodbridge 1998.

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foreshortening that commanded the courtly beholder to move his gaze rather than his body in experience of celestial space.

Rubens’ ceiling presented an image of the heavens that strongly opposes the well ordered world picture preserved in the performances of the Stuart court masque. The painted vision represents a moment of transition in English culture that appears to occur remarkably abrupt in the writing of art-historical scholar-ship which generally treats the ceiling in disregard of its wider context within the Stuart court. Considering Rubens’ ‘Banqueting House Ceiling’ in context of the Stuart court masque, however, it becomes clear that its installation was prepared by the staging of a masque that was superior to any spectacle at Whitehall be-fore or after. Presented at court in February 1634, ‘Coelum Britannicum’ was a joined production of Inigo Jones and Thomas Carew that asserted the Caroline order and its prerogative to autocratic rule by a staged reform of the cosmos anticipating the painted vision of Rubens’ cosmos. Displaying a deliberate con-trast to the neo-classical interior of Jones’ Banqueting House, the opening scene of ‘Coelum Britannicum’ reveals the ruines of some great city of the ancient Ro-mans, or civiliz’d Brittaines,21 at once corresponding to the contemporary notion of Britain as the true heir of Roman culture and the imperial claim of Charles’ personal rule.22 The curtain is drawn to a witty dialogue between Mercury, Jove’s messenger, and Momus, the god of mirth and mockery. Arriving from Olympus, they report an outbreak of nervous uproar in the heavens, from where Jove has watched Charles’ reform of his country and at last decided to follow this example and remodel his realm after that of the British King. While Mercury’s account of this poetic vision elegantly eulogises the rule of the Caroline King and Queen, Momus’ mock repetition of his account brusquely shatters Mercury’s fl awless image of Charles’ autocratic monarchy that outshines even the brilliant lights of the heavenly spheres in its glory. The dialogue between the two gods generates a confl icting rhetoric swinging between cynicism and reverence that has repeatedly been noted as the most substantial criticism of royal politics ever to be expressed in a Stuart masque. As Joanne Altieri was fi rst to emphasise, it is Momus’ sharp scepticism and satiric irreverence for Mercury’s report that reveals the latter’s fl at-tering account as a deliberate idealisation of Caroline politics.23 Indeed, scholarly

21 Thomas Carew, Coelum Britannicum, in: Rhodes Dunlap (ed.), The Poems of Thomas Carew with his Masque Coelum Britannicum, Oxford, 1964, pp. 153–85, l. 9.

22 The vision of Britain’s Roman origin featured prominently throughout the works of Inigo Jones, see Roy Strong, Jones and Stonehenge, in: John Harris, Stephen Orgel, Roy Strong (eds.), The King’s Arcadia: Inigo Jones and the Stuart Court, London 1973, pp. 70–91. For a more general account on the practice of justifying the present by the virtues of the past in late-Renaissance and early-modern England see Thomas Kendrick, British Antiquity, London 1950.

23 See Joanne Altieri, Responses to a Waning Mythology in Carew’s Poetry, in: Studies in English Literature, 1500–1900 26 (1986), pp. 107–124. At its most radical, the voice of Momus’ has been understood as overtly subversive of the politics at the Caroline court,

93Apollo off the Track

analysis of Thomas Carew’s most important masque seems to be trapped within an ongoing debate on the genre’s role as a voice of criticism within a court entirely focused on the person of the monarch who increasingly withdrew himself from society at large. 24

In what follows, the issue of the masque as a form of criticism from within shall be set aside in order to redirect attention from the discussion of how the masque produced its political vision to the question of what this political vision actually depicted. Created by the joint effort of Thomas Carew and Inigo Jones, ‘Coelum Britannicum’ promoted the most ambitious justifi cation of monarchic rule among the masques of the Caroline court by staging a reform of the cosmos within the wall of Whitehall Banqueting House. Praising the exemplar life25 of Charles and Henrietta as the envy’d patterne26 of all spheres, Carew’s verse envisions a world turned upside down, where the heavens form their course after earthly example and the gods pay tribute to the glory of English monarchy. Comparing himself in the Chrystall myrrour27 of Charles’ and Henrietta’s reign, Jove, the king of gods, discovers the loathsome staines28 with which he fi ll’d the crowded Firmament29, each of them representing an amorous affair from his former sinful life. In raging jealousy Juno had turned each of her husband’s earthly lovers into beasts, who Jove then retransform’d to Stars30, where they formed the constellations of the heavens and since shine as the eternal records of his shame31. Anxious to expiate the infectious guilt32, Jove now chases the infamous lights from their usurped Sp-heare33, leaving behind nothing but the vacant rooms34 of an empty sky.

intruding the masque’s underlying confi dence in the legitimacy of Charles’ absolute rule. See Kevin Sharpe, Criticism and Compliment: The Politics of Literature in the Eng-land of Charles I, Cambridge 1987. Martin Butler has emphasised, however, that Momus’ jokes at Charles’ expense were only possible because the ideology of personal government on which they were premised remained substantially unquestioned. See Martin Butler, Reform or Reverence? The Politics of the Caroline Court Masque, in: James Ronald Mul-ryne and Margaret Shewring (eds.), Theatre and Government under the Early Stuarts, Cambridge 1993, pp. 118–156.

24 In the most recent study of ‘Coelum Britannicum’ Hilary Gatti has somewhat widened this perspective by assessing the extent to which Carew’s poetry draws on the work of Giordano Bruno. See Hilary Gatti, Giordano Bruno and the Stuart Court Masque, in: Renaissance Quarterly 48/4 (1995), pp. 809–818.

25 Quoted from: Thomas Carew, Coelum Britannicum (note 21), l. 6226 Ibid., l. 66.27 Ibid., l. 84.28 Ibid., l. 85.29 Ibid., l. 80.30 Ibid., l. 79.31 Ibid., l. 83. 32 Ibid., l. 86.33 Ibid., l. 88.34 Ibid., l. 94.

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Thus was Mercury’s account of the events on Olympus. In the speech of Momus, its faultfi nder and perpetual Foreman of the Grand Inquest,35 a more detailed account is given: Heaven is no more the place it was36 as Jove recanted, disclaymed, and utterly renounced all the lascivious extravagancies, and riotous enormities of his forepast licentious life37 and ordered that this whole Army of Constellations be immediately disbanded and cashiered, so to remove all imputa-tion of impiety from the Coelestiall Spririts, and all lustfull infl uences upon teres-triall bodies.38 To prove his word and expose the report of Mercury, the dull fl eg-matique Ambassador39 of the heavens as deceitful fl attery, Momus then effects a scene change by which a Spheare, with Starres place in their several Images; borne up by a huge naked Figure, kneeling, an bowing forwards, as if the great weight lying on his shoulders opprest him, upon his head a Crowne40 appeared on the upper stage. Revealed by the partition of the stage shutters, this fi gure, of course, is Atlas, symbol of cosmic wisdom in Renaissance culture, whose emergence on stage embodied the fi rst of the several spectacular scene changes that Inigo Jones designed for Carew’s masque. Atlas carries a representation of the celestial sphere before Caroline reform, and in calling him onto the stage, Momus’ action chal-lenges Mercury’s vision. Jove’s messenger understands that before vision can be transformed to reality, he must obey necessity41 and free Jove’s old sphere of loath-some Monsters, and mis-shapen formes.42

Portraying Charles as the reformer of his kingdom, the masque, besides conveying his power through a vision of imperial force, depicted the politics of the Caroline King as open to reasonable critique, thus pronouncing his government to arise from royal civility and care for its subjects, employing the masque as an instru-ment of political propaganda that celebrated the love of Charles and Henrietta-Maria as an emblem for the dynastic stability of an increasingly contested reign. In his fi rst speech, Mercury had envisioned Charles to ascend in the darkness of the emptied sphere, where he would come to sit in the most eminent and conspi-cuous point43 and with dazeling beames, and spreading magnitude44, shine as the bright Polestarre of this Hemispheare.45 Next to his side, in a triumphant Chaire,46

35 Ibid., ll. 138–139.36 Ibid., l. 228.37 Ibid., ll. 200–203.38 Ibid., ll. 213–217.39 Ibid., l. 184.40 Ibid., ll. 189–193. 41 Ibid., l. 290.42 Ibid., l. 293.43 Ibid., l. 92.44 Ibid., l. 93.45 Ibid., l. 94.46 Ibid., l. 95.

95Apollo off the Track

Mercury envisioned Henrietta-Maria the faire Consort of your [Charles’] heart, and Throne,47 so that from the mutual light of the royal couple this lower Globe / shall owe its light.48 For this image to become more than a poetic vision, Mercury sets to work, turning the heavenly vices into human shapes49 whom he commands to drop from the Sky50 and perform the disorder of their regressive paces here below51. By this command Mercury commences the dances of the three anti-mas-ques, in each of which the Stares in those fi gure in the Spheare which they were to represent, were extinct; so as, by the end of the Antimasques in the Spheare no more Stars [sic] were seene.52 By ordering the dancers of the anti-masque from the stage, Mercury thus demonstrates the fulfi lment of his vision to the eyes of Charles’ courtly elite, causing them to face the dark and empty celestial sphere on Atlas’ shoulders behind the frame of Jones’ proscenium arch.

As the spheres cannot be left lightless, Mercury and Momus decide to provide an immediate succession53 to the stars extinct form the sky and proclaim that any Person whatsoever that conceiveth him or her selfe to be really enduded with any Heriocall Vertue54 to argue their right for a place in the fi rmament. The candidates to put forward themselves are Plutus, Poenia, Tiche, and Hedone. Personifying Wealth, Poverty, Fortune, and Pleasure, each of them enters by an anti-masque dance and claims to hold the greatest of all worldly powers, before being banished forever from the sky by Mercury and Momus who both agree in their insuffi cien-cy. Tedious of the hopeless procedure, Momus departs with the crowed of other suitors pressing hither,55 leaving the stage to Mercury, who turns to the audience and introduces the main-masque by effecting another scene change, causing the special admiration of the audience that was impressed how so huge a machine and of that great height could come from under the Stage, which was but six foot high.56 Jones’ device consisted of a hilltop that little by little grew to be a huge mountaine that covered all the Scaene,57 on top of it sitting Britain’s three king-doms and their genius, a winged fi gure with an olive garland, who entertained the audience with a song for the Queen. Inigo Jones’ spectacular device was intended to provide the King with the time necessary to leave his throne beside Henrietta-Maria and disappear behind the scene where he would wait for the moment of his own appearance on stage.

47 Ibid., l. 96.48 Ibid., ll. 101–102.49 Ibid., l. 343.50 Ibid., l. 340.51 Ibid., l. 344.52 Ibid., ll. 440–443. 53 Ibid., l. 419.54 Ibid., ll. 454–456.55 Ibid., l. 838.56 Ibid., ll. 969–971.57 Ibid., ll. 884–885.

96 Hille

The song praised the Queen’s countenance as the perfect image of neo-Platonic love, whose eyes shed a light more sparkeling58 and a nobler infl uence59 than Jove’s old stars had ever done. When the song was ended, the lower part of Inigo Jones’ mountain opened and revealed a cave beneath the stage, from where the courtly masquers, attired as ancient Britons entered the dancing fl oor. While the courtiers performed their dance, a cloud appeared from behind the upper part of the pro-scenium arch that sank down on the mountain and, rising again, beares up the Genius of the three kingdoms, and being past the Airy Region, pierceth the heav-ens, and [was] no more seene.60 While the masquers then invited members of the audience to the revels, the mountain sank back into the stage, on the upper part of which was revealed the scene of a pastoral garden alluding to the royal peace of Charles’ and Henrietta-Maria’s reign. In the fi nal part of the masque, Britain’s true worthies, Religion, Truth, and Wisdom are installed as the new constellations of the heavens, side by side with Concord, Government, and Reputation. They rise on two clouds at mid-height of the stage, while on the lower part of the stage an elegant pastoral perspective with Windsor Castle in the distance was revealed. Above them, unveiled from an even greater cloud, sat the fi gure of Eternity on a Globe, wrought all over with Stars of gold,61 while aloft, was a troope of fi fteene stares, expressing the setllifying of our British Heores.62 One of them, in the mid-dle, was more great and eminent than the rest,63 placed above Eternity’s head, and ‘fi gured his Majesty’64 King Charles I.

Though ‘Coelum Britannicum’ has repeatedly been emphasised as being the most powerful vision of Charles’ personal reign ever designed in a masque, the signifi -cance of this fi nal scene has hitherto remained unrecognised. By Inigo Jones’ last device for ‘Coelum Britannicum’ Charles and Henrietta-Maria come to face each other from opposite points in Banqueting House. The Queen, seated on the thro-ne, surrounded by her court, looks towards the stage, where Charles, enthroned among the celestial heroes of the masque, has taken his place as the bright Pole-starre of this Hemispheare.65 Clearly, the King and his train have taken the place of Jove’s old lights that had been banished from the spheres, creating an image of Charles’ celestial rule within the frame of the proscenium arch. This image, however, is ingeniously mirrored in that of the Queen and her attendants, residing on the throne in front of the stage. As Charles had been stellifi ed by ascending

58 Ibid., l. 918.59 Ibid., l. 919.60 Ibid., ll. 964–966. 61 Ibid., ll. 1078–1079.62 Ibid., ll. 1081–1082.63 Ibid., ll. 1082–1083.64 Ibid., ll. 1083–1084.65 Ibid., l. 94.

97Apollo off the Track

on one of Inigo Jones’ clouds, the stellifi cation of Henrietta-Maria had before been undertaken by the masque’s prose: Look up, and see the darkned Spheare / Depriv’d of light, her [the Queen’s] eyes shine there; / These are more sparkling then those [Jove’s constellations] were.66 Jones’ proscenium arch here serves as an axis along which the two corresponding images of King and Queen come to refl ect each other and thereby confl ate to an overarching presentation of sove-reign power that abolished the disparity between royal stage and royal presence. The Stuart masque had traditionally undermined the aesthetic difference between the world of its courtly audience and that of its allegorical narrative, its climax being the revels where the fi nal union of fact and fi ction was accomplished. In the fi nal scene of ‘Coelum Britannicum’, however, the masque’s fi ction was not joined with but superseded by the reality of Charles’ court. Installing Charles as the new monarch of the celestial spheres, Carew’s masque portrays the Caroline court as overpowering the reign of the gods, previously understood to shed its glory upon the terrestrial reign of the British monarch, whose association with the gods eleva-ted his reign into the sphere of heavenly power. Charles’ reform, in contrast, had unmasked Jove’s reign as corrupt and degenerated, so that Jove came to see his need to resign and cleared the throne for the British King.

Charles’ accession to the heavenly throne not only ends Jove’s reign but her-alds in the end of time itself which has now lost the need to move forth:

Be fi x’d you rapid Orbes, that beare The changing seasons of the yeare On your swift wings, and see the old Decrepit Spheare growne darke and cold; Nor did Iove quench her fi res, these bright Flames, have ecclips’d her sullen light: This Royal Payre, for whom Fate will Make Motion cease, and Time stand still;Since Good is here so perfect, as no WorthIs left for After-Ages to bring forth.67

The reign of Britain’s King and Queen thus brings the movement of the spheres to a halt, causing the turn of the seasons to cease, as no better age can succeed that of the Caroline reign. While the movement of the spheres that hitherto conditioned all movement below is ended, the courtly shapes form’d fi t for heaven, formerly deemed for despatch to the sky, will now rather be kept on earth, as the true place of eternal virtue:

We cannot lend Heaven so much treasure. Nor that pay,But rendering what it takes away.

66 Ibid., ll. 916–918. 67 Ibid., ll. 1087–1096.

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Why should they that here can moveSo well, be ever-fi x’d above?

Or be to one eternall posture ty’dThat can into such various fi gures slide?

Iove shall not, to enrich the Skie, Beggar the Earth, their Fame shall fl yeFrom hence alone, and in the SpheareKindle new Starres, whilst they rest here.68

Carew’s prose turns the cosmos upside down, bringing the spheres to standstill, while its new constellations remain resident on earth, illuminating the skies from below. Ascending to Olympus in the fi nal scene of ‘Coelum Britannicum’, Charles presents himself as governing the course of nature, residing over its law by per-sonal decree. Contrasted to the supreme order of his mundane court, the perfect state of celestial harmony hitherto understood to direct man’s course on earth, appears as not so perfect after all, so that even the gods have to admit Charles’ rule as the more commendable one and voluntarily vacate their position. Carew’s vision of sovereign power thus breaks the principal axiom of the masque, where-in royal authority is generated by authority of the heavens, and social order is maintained by coherent movement kinetically corresponding to the perceived mo-vement of the celestial bodies. Infringing on the foundation of courtly society that had been portrayed by the Jacobean masque as mirroring the structural harmony of the spheres, ‘Coelum Britannicum’ abolishes the authorities of the heavens and glorifi es the Caroline King as superior to their power. When in the masque the ‘three kingdoms’ command: breake old Atlas, and at that instant the Rocke with the three kingdoms on it sinkes, and is hidden in the earth, Jones’ device stages the collapse of the pillars that of old were keeping heaven and earth apart, thereby equating the status and space of the heavenly realm to the realm of King Char-les.69 The authority over the order and structure of society is thus shifted from the heavenly spheres onto the person of the King, around whom the spheres now revolve according to their reformed path.

The geometric rationale of ‘Coelum Britannicum’ provides a clear expression of the Caroline world-view that derived its doctrine from a precise analysis of neo-Platonic geometry. Expressing the ideals of peace and harmony that underlay their philosophy of Divine Right Rule, Carew’s masque portrays Charles and Henrietta-Maria as the Bright glorious Twins of Love and Majesty70, in an animated version of Van Dyck’s remarkable double portrait of the King and Queen painted about one year before. Translating the celebrated love of Charles and Henrietta-Maria

68 Ibid., ll. 985–995.69 Ibid., l. 942 and ll. 966–967.70 Ibid., l. 48.

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into a physical principle for a well-ordered British realm, the masque redefi nes the cosmos as a perfect circle, fi lled with the power of the King and the love of the Queen, thereby completing an image introduced in Jonson’s ‘Love’s Triumph through Callipolis’ in 1631:

For Love without his object soon is gone;Love must have answering love to look upon.To you, best judge, then, of perfection!The queen of what is wonder in the place!Pure object of heroic love alone!The centre of proportion—Sweetness—Grace!Deign to receive all line of love in one.And by refl ecting of them fi ll this space.Till it a circle of those glories proveFit to be sought in beauty, found by Love.Where love is mutual, stillAll things in order move;The circle of the willIs the true sphere of Love.71

Alluding to the love of Charles and Henrietta-Maria and the all overarching sym-bolism of royal marriage emblematic for Caroline propaganda, the true sphere of Love constructs a circle of will representing the new, supreme power of royal command as excelling the laws of nature. Uniting the traditionally opposed and distinct spheres of heaven and earth on a common level governed by the English King and his Queen Consort, ‘Coelum Britannicum’ enacts a neo-Platonic un-derstanding of man’s universal rule over the elements, as exemplifi ed in Marsilio Ficino’s discussion of Archimedean mechanical models of the heavenly spheres: Now, since man has observed the order of the heavens, when they move, whither they proceed and with what measures, and what they produce, who could deny that man possesses as it were almost the same genius as the Author of the hea-vens?72 Ficino had coined the term of platonic love (amor platonicus) so popular with the Caroline court in his ‘De amore’ from 1469, his emphasis on man’s uni-versality, central position and unlimited aspirations being refl ected at the Stuart court in Francis Bacon’s programme of the domination of nature by man.

The integration of contemporary developments in art and science was a com-mon inspiration for the design of the masque. Ben Jonson’s ‘News from the New

71 Ben Jonson [1631], ‘Love’s Triumph through Callipolis’, in: Alvin B. Kernan, Richard B. Young (eds.), The Yale Ben Jonson, New Haven 1969, pp. 454–461, ll. 118–33.

72 Marsilio Ficino [1452], Theologia Platonica de immortalitate animae, ed. by James Hank-ins, William Bowen, trans. by Michael J. B. Allen, John Warden, Cambridge Mass. 2001–2006, (vol. III, III, 2), S. 364.

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World Discovered in the Moon’ from 1621 had been the fi rst masque to exploit contemporary theories in astronomy by referring to Galileo Galilei’s discovery of geological features on the surface of the moon. While Jonson’s masque, however, took Galileo’s discoveries as a mere example for the dissemination of news by the emerging newspapers of Jacobean London, Carew’s much later spectacle exhibits Galileo’s alleged Platonism and its emphasis on the role of mathematics as the basic concept of his narrative.73 In the fi nal scene of ‘Coelum Britannicum’, the stage image of universal order expands the line of the proscenium arch that oper-ates like a prime meridian to the spherical vision on stage that so accomplishes the form of a full circle as it turns down to fi ll the space of the court. ‘Coelum Britannicum’ not only conveys a vision of courtly reform but actually reforms the theatrical principle of the masque, promoting a concept of royal panegyric that no longer conjures monarchic glory by association to divine power, but symbolically subdues celestial majesty by exhibition of Caroline omnipotence. Carew’s masque thus conveys royal power as central and absolute to a degree unprecedented in ar-tistic glorifi cation of the English crown. Staging so supreme a vision of autocratic rule, Carew’s masque antagonised Galileo’s scientifi c revolution that eventually abolished the idea of a hierarchically ordered, fi nite world-picture. His assertion that God’s knowledge of mathematics differed from that of man in quantity but not in quality was, however, ingeniously exploited in the moral ascendancy of Charles’ coelum britannicum over the coelum divinum at Whitehall Palace in 1634.

73 For Jonson’s masque, see John Somerville, The News Revolution in England: Cultural Dynamics of Daily Information, Oxford 1996.

Morus, Campanella, BaconUtopien im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit

Josef Bordat

1 Einleitung – Gesellschaftsmodelle im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit

Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit wird endgültig in den Umwälzungen des 16. Jahrhunderts vollzogen. Die Entdeckung und Eroberung der ›Neuen Welt‹, die theologischen und ekklesiologischen Neuerungen durch die Reformation, das veränderte kulturelle Bewusstsein der Renaissance: All dies trug zur veränderten Weltdeutung und einem neuen Menschenbild bei. In der Renaissance rückt der Mensch als Individuum in den Mittelpunkt. Für die politische Philosophie geht es seither darum, den Menschen zu weitgehend selbstbestimmten Handlungsvollzü-gen zu befähigen und für diese prinzipielle Neuorientierung geeignete gesellschaft-liche Modelle zu entwickeln.

Zwei Varianten dieser Modelle sind in diesem Bewusstsein entstanden: der Kontraktualismus und der Utopismus. Anliegen beider ist »die Herauslösung des einzelnen aus dem mittelalterlichen Ordo.«1 Zugleich geht es beiden Ansätzen um die Maximierung menschlicher Naturdominanz durch Erkenntnis der Naturge-setze, nach denen auch die Gesellschaft organisiert werden soll. Daraus soll die »optimale Befriedigung menschlicher Bedürfnisse«2 gewährleistet werden.

Doch während die Vertragstheorie mit ihrer Idee des Gesellschaftsvertrags die Autonomie des Individuums durch das Paradox freiheitssichernder Delibe-ration zu stärken versucht – bei Hobbes als Hilfskonstruktion für die friedliche Ko existenz der Menschen, die sich in einem bellum omnium contra omnes3 befi n-den, bei Locke als freiheitsmehrender Vertrag mündiger, interessegeleiteter Bürger, bei Rousseau als Ergebnis der Übereinstimmung von Einzelwillen (volonté par-

1 Richard Saage, Zur Differenz und Konvergenz von Vertragsdenken und Utopie, in: Günther Abel (Hg.), Kreativität. XX. Deutscher Kongress für Philosophie (Kolloquienbei-träge), Hamburg 2006, S. 104–121, hier S. 105.

2 Ebd., S. 106.3 Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerli-

chen Staates, hg. von Iring Fetscher, 4. Aufl ., Frankfurt a. M. 1991, S. 96.

102 Bordat

ticulière) und Gemeinwillen (volonté générale) –,4 so bleibt die politische Utopie diesbezüglich weit zurück, erhebt aber gleichwohl den Anspruch, die Gesellschaft in eine bessere Zukunft zu führen. Die Utopie versucht dies durch eine paternalis-tische – also noch ganz mittelalterliche – Regierungs-, Staats- und Gesellschafts-struktur zu erreichen und setzt dabei auf vorrechtlich – meist religiös – begründete Autorität. Im utopischen Ansatz ist das »Optimum des gesellschaftlichen Wohls nicht in der individuellen, sondern in der kollektiven Nutzenmaximierung«5 er-reichbar. Wenn der Nutzen nur im Kollektiv möglich ist, dann erreicht er »sein Optimum […] nur unter den Bedingungen eines Höchstmaßes an gesellschaftlicher Harmonie und Konformität in einer stationären Gesellschaft«6 und eben nicht in der dynamischen Dimension des Konfl ikts qua natura antagonistischer Individu-en, durch dessen Zähmung der Kontraktualismus die Gesellschaft zivilisatorisch überformen will. Die Konkurrenz wird hier ausgetragen und dienstbar gemacht, in der Utopie hingegen wird sie ignoriert, unterdrückt oder als überwunden be-trachtet.7 Im Ergebnis steht zwar bei beiden Modellen stets ein mächtiger Staat, doch weist die Vertragstheorie schon selbst den Ausweg: Freiheitsrechte können nicht nur durch den Staat gewährleistet werden (Hobbes), sondern auch gegen ihn (Locke), so dass aus dem Schutz des Einzelnen im Staat ein Schutz vor dem Staat werden kann – und historisch gesehen auch wurde. Der Vertrag ist eine fl exible Form, die sich immer wieder mit neuem Inhalt füllen kann, während die Utopie eine starre, unveränderliche Programmatik aufweisen muss, denn schließlich ist sie die vollkommene Erfi ndung eines »weisen Gründungsvaters«,8 an der es auch zukünftig nichts zu modifi zieren gibt.

4 Saage weist darauf hin, dass bei Rousseau mit dem contract social ein »utopienahes« ma-ximalistisches Staatskonstrukt entsteht (im Gegensatz zu den minimalistischen Entwürfen bei Hobbes und Locke), weil es »den kollektiven Staatszweck, die Fiktion des ›neuen Menschen‹ und die sozioökonomischen Ganzheitsmuster des utopischen Denkens über-nimmt« (Richard Saage, Utopieforschung. Eine Bilanz, Darmstadt 1997, S. 173–174. Vgl. dazu auch Josef Bordat, Glück. Zur Bedeutung eines ethisch-politischen Grundkon-zepts, in: Kuckuck. Notizen zur Alltagskultur 23 [2007], Nr. 1, S. 46–53, hier S. 49–51).

5 Saage, Vertragsdenken und Utopie (wie Anm. 1), S. 110.6 Ebd., S. 1107 So liegt ein Schlüsselmoment der postmaterialistischen Utopie ›Walden Two‹ (1948) von

Burrhus Frederic Skinner darin, das Konkurrenzphänomen mit den Konditionierungs-methoden des Behaviorismus auszuschalten, um zu einer konfl iktlosen Gesellschaft zu gelangen.

8 Saage, Vertragsdenken und Utopie (wie Anm. 1), S. 110.

103Morus, Campanella, Bacon

2 Zum Wesen des Utopismus

Das utopische Denken zeichnet ein Bild von der Zukunft, das aus einer als man-gelhaft empfundenen Gegenwart geboren wird. Als Projektion dieser Empfi ndung in die Zukunft entstehen soziale Raum- bzw. Zeitutopien in Form idealisierter Modelle gesellschaftlich-politischer Organisation, die entweder das ›perfekte Gemeinwesen‹ abbilden (nämlich als eine gegenwärtig sehnsüchtig erwünschte, gleichwohl unerreichbare, zukünftig aber mögliche Form des Zusammenlebens), oder aber, als Negativ-Utopien, die Fehler der Gegenwart konsequent zu Ende denken und die unmittelbaren und mittelbaren Folgen in Katastrophen- und Un-tergangsszenarien darstellen. In beiden Fällen leisten die Utopisten ›Negations-arbeit‹, weil sie Gegenbilder zur Wirklichkeit konstruieren. Das Wesen der Uto-pie könnte man dabei schon in den beiden Bedeutungen des Wortes entdecken: Zum einen bedeutet ο�τοπ�α soviel wie »an keinem Ort« oder »nirgendwo« und ε�τοπ�α etwa »guter Ort«. Es geht bei der Utopie also um den Wunsch, in einer Welt zu leben, die nicht existiert und auch nicht existieren kann, deren Existenz man aber inständig wünscht.

Die Utopie ist also mehr als ein geschichtsloser, phantastischer Traum vom Pa-radies als Erlösungsmythos, denn die Utopie nimmt immer vor dem Hintergrund der Wirklichkeit Gestalt an, wie Ernst Bloch betont: »Die Träume, besser zusam-men zu leben, […] sind […] nicht beliebig, nicht so gänzlich freisteigend, wie es den Urhebern zuweilen selber erscheinen mochte. Und sie sind untereinander nicht zusammenhanglos, so daß sie nur empirisch aufzuzählen wären wie kuriose Begebenheiten. Vielmehr: sie zeigen sich in ihrem scheinbaren Bilderbuch- oder Revuecharakter als ziemlich genau sozial bedingt und zusammenhängend […].«9 Die Bilder einer »guten, gerechten und glücklichen Vergesellschaftungspraxis sind nur plausibel als Gegenbilder zu den unmenschlichen, ungerechten und unglück-lich machenden Entwicklungen in der realen konkreten Gesellschaft, die sie kriti-sieren.«10 Besonders deutlich tritt dieser Duktus in den drei bedeutenden Utopien der Renaissance zu Tage, also bei Thomas Morus (›De optimo reipublicae statu, deque nova insula Utopia‹, 1516),11 Tommaso Campanella (›La Città del Sole‹, 1602)12 und Francis Bacon (›Nova Atlantis‹, 1627).13

9 Ernst Bloch, Freiheit und Ordnung. Abriß der Sozialutopien, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 15.

10 Thomas Gil, Gestalten des Utopischen. Zur Sozialpragmatik kollektiver Vorstellungen, Konstanz 1997, S. 32.

11 Thomas Morus, Utopia, in: Der utopische Staat, übers. und hg. von Klaus Joachim Hei-nisch, Reinbek bei Hamburg 1960, S. 7–110.

12 Tommaso Campanella, Sonnenstaat, in: Der utopische Staat, übers. und hg. von Klaus Joachim Heinisch, Reinbek bei Hamburg 1960, S. 111–169.

13 Francis Bacon, Neu-Atlantis, in: Der utopische Staat, übers. und hg. von Klaus Joachim Heinisch, Reinbek bei Hamburg 1960, S. 171–215.

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Formal noch ganz in der mittelalterlichen patriarchal-klerikalen Ordnung be-fi ndlich, inhaltlich aber schon jene Themen aufgreifend, die in der Neuzeit gerade diese Ordnung sprengen sollten, etwa Bildung und Wissenschaft, zeigen sich die Renaissance-Utopien als Übergangs- und Ablösungsmetaphern mit zunehmender Tendenz zum neuzeitlichen Weltverständnis: Während Morus’ Negativ-Folie die sozio-ökonomischen Verhältnisse im feudalistischen England des ausgehenden 15. Jahrhunderts sind, er jedoch mit seiner ›Utopia‹ im mittelalterlichen Patri-archat verbleibt und Campanellas Gesellschaftskritik im ›Sonnenstaat‹ bei aller Innovation am Paradigma der klösterlichen Lebensform festhält, begegnet uns in Bacons ›Neu-Atlantis‹ eine Kritik der ineffi zienten englischen ›Wissensgesell-schaft‹ des frühen 17. Jahrhunderts, die unmittelbar bei der bestimmenden episte-mologischen Methodologie des Mittelalters ansetzt, bei der Scholastik.

Um dieses Verhältnis genauer zu beleuchten, sollen zunächst die Entstehung und der Anspruch der Utopien als Kritik des Gegebenen, als Mythos des Wünschens-werten und als regulatives Ideal für die Gesellschaft betrachtet werden.

3 Die Utopien im Einzelnen

3.1 Morus’ ›Utopia‹

Thomas More (um 1478–1535), latinisiert Morus, gilt als bedeutendster englischer Staatsmann und Humanist der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Als Staatsmann war er ab 1504 Mitglied des Unterhauses, wurde 1518 in den königlichen Rat be-rufen und 1529 zum Lordkanzler ernannt. Er unterstützte Heinrich VIII. zunächst im Kampf gegen den Protestantismus und hat in diesem Zusammenhang eine Reihe von Schriften gegen die lutherische Reformation verfasst. Der Bruch mit Heinrich folgte auf dessen Bestrebungen, eine von Rom unabhängige Staatskirche zu gründen. Nach der Verweigerung des Suprematseids wurde Morus 1535 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vierhundert Jahre danach er-folgte seine Heiligsprechung. Als Humanist – er unterhielt engen Kontakt zu Eras-mus von Rotterdam – war er neben den Vertretern der spanischen Barockscho-lastik einer der Vollender jener intensiven Rezeptionsphase antiker Philosophie (Platon, Aristoteles, Stoa, Epikur) durch christliche Denker, die bei Thomas von Aquin im frühen 13. Jahrhundert ihren Ausgang genommen und die Philosophie des abendländischen Mittelalters geprägt hatte.

Die als Reisebericht konzipierte Schrift ›De optimo reipublicae statu, deque nova insula Utopia‹ gilt als sein Hauptwerk, mit dem Morus zugleich die Utopie als literarische Gattung begründet. In der ›Utopia‹ verarbeitet Morus sowohl den Anspruch Platons, einen Idealstaat zu entwerfen, als auch den Duktus der epikure-ischen Schule, der sich in der Gleichförmigkeit der Utopier zeigt, die jedes äußere Unterscheidungsmerkmal abgeschafft haben. Das Gleichheitsparadigma bringt so

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etwas hervor wie eine ›kommunistische Monarchie‹, deren hierarchisches System paternalistischer Sippen für eine fl ächendeckende Einbeziehung aller Bewohner in gesellschaftsbildenden Bereichen (Politik, Bildung, Wirtschaft) sorgt. Die Kehrsei-te der Uniformiertheit, die aus einem gleichheitsorientierten Gerechtigkeitsbegriff erwächst, ist ein starrer Anti-Individualismus, der – wie schon in Platons Stände-Staat – keinen Raum bietet für ein Anders-Sein, ein Kennzeichen idealer Staats-konzepte mit Absolutheitsanspruch, in dem nicht nur der Utopismus-Kritiker Karl Popper die Vorlage für die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts erkennt.14

Der Text der ›Utopia‹ ist in zwei Abschnitte gegliedert, der erste Teil enthält eine satirische Kritik an den realen ökonomischen Zuständen im England des be-ginnenden 16. Jahrhunderts, der zweite Teil schildert das ideale Gemeinwesen auf der nahe Sri Lanka künstlich angelegten Insel Utopia,15 eine perfekt organisierte Gesellschaft, die in der Glückseligkeit das höchste Gut sieht und vorführt, wie man dieses erreichen kann. Davon berichtet der Seefahrer Raphael Hythlodaeus, angeblich ein Gefährte Amerigo Vespuccis.16 Der Name des fi ngierten Berichter-statters Raphael Hythlodaeus ist dabei mit Bedacht gewählt, weil er die Ambi-valenz Utopias kennzeichnet: Raphael bedeutet soviel wie »heilbringender Arzt«, Hythlodaeus setzt sich aus den griechischen Wörtern �ϑλος (»Geschwätz«, »Un-sinn«) und δ ϊος (»erfahren«, »bewandert«) zusammen und bedeutet somit etwa »erfahrener Fachmann für unsinniges Geschwätz«. Morus möchte also schon im Namen des Erzählers andeuten, dass die Ausführungen teils heilsamen, teils unsinnigen Charakter haben, was in der grundlegenden Gegenüberstellung von Wünschenswertem und Unwirklichem gerade dem Wesen der Utopie entspricht. Die Signifi kanz der Namensgebung erfährt im Übrigen bei allen wichtigen Ei-gennamen eine Fortsetzung: Der Name der Hauptstadt Utopias, Amaurotum, ist abgeleitet vom Griechischen �μαυρός, was soviel bedeutet wie »dunkel«, »ne-bulös«, »unsichtbar«, ein Hinweis auf die Nichtexistenz einer solchen Stadt. Der wichtigste Fluss der Insel heißt Anydrus. Auch dieser Name ist ein Fingerzeig auf die Unwirklichkeit Utopias, denn das griechische Wort �νυδρος bedeutet »was-serlos«, »trocken«. Mit all diesen gezielten Anspielungen verdeutlicht Morus den unwirklichen Charakter seines Gesellschaftsentwurfs.

14 Karl R. Popper, The Open Society and Its Enemies (Bd. 1: The Spell of Plato, Bd. 2: The High Tide of Prophecy: Hegel, Marx, and the Aftermath), London 1945; Karl R. Popper, Utopie und Gewalt, in: Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, Bd. 2, Tübingen 1997.

15 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 48.16 Ebd., S. 18.

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3.2 Campanellas ›Sonnenstaat‹

Der italienische Philosoph Tommaso Campanella (1568–1639) trat 1583 in den Dominikanerorden ein und wurde 1591 wegen Ketzerei angeklagt, verurteilt und eingesperrt. Kurz nach seiner Freilassung im Jahre 1598 war er maßgeblich an einem Aufruhr in seiner Heimat Kalabrien beteiligt, der sich gegen die spanische Zentralmacht richtete. Als Folge dieser Umtriebe wurde er erneut inhaftiert und verbrachte die nächsten 35 Jahre im Kerker; in dieser Zeit entstanden seine Haupt-werke (u. a. der ›Sonnenstaat‹), ehe ihm 1634 die Flucht nach Frankreich gelang, wo er fünf Jahre später verstarb.

Campanella konzipiert seinen Entwurf literarisch als Dialog zwischen dem Großmeister der Hospitaliter und einem genuesischen Seefahrer. Die Insel, auf der der Sonnenstaat errichtet wurde, liegt ähnlich isoliert und fern der europäischen Realität wie die Insel Utopia, so dass sie nur als Ergebnis der Seefahrt entdeckt werden konnte.

Mit dem ›Sonnenstaat‹ entwickelt Campanella ein idealisiertes Programm der eigenen politischen Aktionen. Wie bei Morus ist die Macht des Staates eine totale, die keinen Platz für Abweichler duldet und bis ins Privateste hineinragt. Das Privateigentum ist wie in Utopia abgeschafft und damit – so Campanellas Vorstellung – zugleich dem Sittenverfall Einhalt geboten.17 Staatstragend sind bei Campanella priesterliche Philosophen und Wissenschaftler, die als ›Priesterrat‹ absolute Vollmachten innehaben. Der »Sol«18 wird als diesem Priestergremium untergebener Herrscher von drei weiteren Priestern unterstützt, die für Macht (»Pon«), für Weisheit (»Sin«) und für Liebe (»Mor«) zuständig sind.19 Nichts wird in dieser Theokratie dem Zufall überlassen: Die Sonnenstaatler sind zur Beichte verpfl ichtet, die den Herrschenden zur Informationsbeschaffung und als Meinungsbarometer dient.20 Selbst Eheschließung und Familienplanung sind im Sonnenstaat öffentliche Angelegenheiten,21 was zu ambitionierten Formen einer staatlich kontrollierten Eugenik führt.22

Was für Morus die Terminologie, das ist für Campanella die Zahlenmystik. Gezielt setzt der kabbalistisch bewanderte Mönch symbolische Zahlen wie drei (Zahl der ›Ressortleiter‹ des Sol), sieben (Zahl der in konzentrischen Kreisen an-gelegten Mauern, welche dem Staat die äußere Form geben) oder 24 (Zahl der Mitglieder des Priesterrates) ein.

17 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 123–124.18 Ebd., S. 126–127.19 Ebd., S. 119–123.20 Ebd., S. 153.21 Ebd., S. 134–135.22 Ebd., S. 131–133.

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Angesichts dessen kann man sagen, dass Campanella, der als Mönch und dann vor allem als Kerkerinsasse mit einer strengen Reglementierung aller Lebensbe-reiche hinlänglich vertraut war, mit Nachdruck versucht, Morus’ Gesellschaft-sentwurf hinsichtlich der Tiefe und Breite staatlicher Eingriffe in das Leben der Menschen zu vervollkommnen und auch schon das aufzunehmen, was Bacons Konzept prägt: einen empiristischen Ansatz zur technologischen Beherrschung der Natur. So spricht Campanella davon, dass im Sonnenstaat dank neuer Technolo-gien nicht der Mensch den Dingen, sondern die Dinge dem Menschen dienen, was er exemplarisch insbesondere an der fortschrittlichen Verkehrstechnik illustriert: Die Sonnenstaatler haben »Schiffe und eine besondere Art von Fahrzeugen, die ohne Ruder und Segel mit Hilfe einer erstaunlich kunstreichen Einrichtung das Meer befahren«,23 und sogar bereits »die Kunst des Fliegens erfunden«!24 Um die-se technologische Fortschrittsdynamik aufrecht zu erhalten, ist es notwendig, dass die Lückenlosigkeit staatlicher Regelungsbefugnis und der fehlende Spielraum für Individualität von zielgerichteter Bildungsarbeit fl ankiert wird. Das theologisch aufgeladene Bildungsideal durchzieht den Staat von den organisationalen Aspek-ten bis hin zu städtebaulichen Maßnahmen: »Der ›Weisheit‹ hat die Mauern der ganzen Stadt von innen und außen, unten und oben mit herrlichen Gemälden schmücken und auf ihnen so alle Wissenschaften in fabelhafter Anordnung wie-dergeben lassen.«25 Letztes und höchstes (Bildungs-)Ziel im Sonnenstaat ist es, die Eigenliebe ganz verschwinden zu lassen, so dass »bloß noch die Liebe zur Gemein-schaft übrig [bleibt].«26

3.3 Bacons ›Neu-Atlantis‹

Der englische Philosoph und Jurist Francis Bacon machte zunächst als Politiker Karriere. 1579 noch als Anwalt tätig, erhielt er 1584 einen Sitz im Unterhaus, stellte sich bedingungslos in den Dienst der Krone und brachte es schließlich unter Jakob I. (1566–1625) zum Obersten Kronanwalt und Lordsiegelbewahrer, ehe er auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1618 Lordkanzler wurde. Drei Jahre später wurde er der Korruption bezichtigt. Bacon sah, dass »his practice of accepting gifts […] was wrong«, verwehrte sich jedoch gegen den Vorwurf, »that they had corrupted his judgments.«27 Während des Prozesses erfolgte jedoch das Geständ-nis aus Einsicht in »the essential justice of the complaint against him.«28 Der Ver-urteilung folgte die Entlassung und dieser wiederum der Rückzug ins private, kon-

23 Ebd., S. 146.24 Ebd., S. 163.25 Ebd., S. 120.26 Ebd., S. 123.27 Peter Urbach, Francis Bacon’s Philosophy of Science, La Salle 1987, S. 4.28 Ebd., S. 5.

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templative Leben. So konnten in den fünf Jahren bis zu seinem Tod 1626 wichtige philosophische Schriften entstehen.

Philosophiehistorische Bedeutung erlangte Bacon vor allem als Wegbereiter des britischen Empirismus, der von der angelsächsischen Philosophie des 17. Jahr-hunderts mit so bedeutenden Denkern wie Locke, Berkeley und Hume geprägt wurde. Bacons Erkenntnistheorie ist gegen die ausschließlich deduktive Methodik der Scholastik gerichtet.

Es geht in Bacons Wissenschaftsbild nicht mehr um das ehrfürchtige Nachvoll-ziehen eines natürlich-göttlichen Regelwerks, sondern um die schöpferische Ent-wicklung eigener Regeln aus der empirischen Forschungsarbeit. Bacon versucht damit, »die Enge des aristotelisch-scholastischen Dogmatismus zu sprengen.«29 Er beabsichtigt, »zu einer vollständigen Erneuerung der Wissenschaften und Künste, überhaupt der ganzen menschlichen Gelehrsamkeit, auf gesicherten Grundlagen zu kommen,«30 was nicht weniger ist als das Weltentzauberungsprogramm der Moderne.

Seine induktiv-experimentelle Methode beschreibt Bacon in seinem Werk ›No-vum Organum‹. Der Titel ist eine Anspielung auf Aristoteles’ ›Organon‹, das durch Bacons neuen Entwurf als wissenschaftstheoretische Folie abgelöst werden soll.

Die gesellschaftstheoretische Umsetzung des Programms des ›Novum Orga-num‹ geschieht dann in der Utopie ›Nova Atlantis‹, in der er beschreibt, wie erstens die erkenntnistheoretischen Prinzipien institutionell und personell implementiert werden und wie zweitens aus der Forschungsarbeit nicht bloß rein epistemische, sondern auch ethische Fortschritte erzielt werden, die ein friedliches Zusammen-leben aller Menschen ermöglichen sollen, da ökonomisches Konfl iktpotential wissenschaftlich überwunden und menschliche Bedürfnisse infolgedessen künftig kollisionsfrei befriedigt werden können.

Damit, dass diese empirische Erneuerungsarbeit von allen getragen werden soll, richtet sich Bacon aber nicht nur gegen Aristoteles’ Deduktionsbegriff, son-dern auch gegen die platonische Vorstellung einer Ideenwelt, die nur von wenigen »geschaut« und »gefunden« werden kann. Obgleich nicht hierarchiefrei, ist die Organisation auf dem neu-atlantischen Inselstaat nicht an den elitären Ansich-ten Platons orientiert. Ferner ruht sie nicht auf einem abgeschlossenen Kanon an Erkenntnissen. Alles wird mit Hilfe aller grundsätzlich und ergebnisoffen unter die Lupe genommen oder, wie Bacon es ausdrückte, »mit einem Verstand, der von Meinungen rein gewaschen ist.«31 Auch hier zeigt sich die Opposition zum antiken Entwurf schon im Titel der Schrift, mit dem Bacon auf Platons ›Atlantis‹ Bezug nimmt.

29 Rosemarie Ahrbeck, Morus, Campanella, Bacon. Frühe Utopisten, Köln 1977, S. 111.30 Francis Bacon, Das neue Organon, hg. von Manfred Buhr, Berlin 1962, S. 4.31 Francis Bacon, zit. nach Heinz Reinwald, Mythos und Methode. Zum Verhältnis von

Wissenschaft, Kultur und Erkenntnis, München 1991, S. 413.

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Auch in ›Neu-Atlantis‹ liegt die für Utopien typische literarische Form des Reiseberichts vor. Eine in Seenot geratene europäische Schiffsbesatzung, die auf ihrem Weg von Peru nach China in der Südsee von einem Sturm überrascht wur-de, strandet auf einer imaginären Insel namens Bensalem (»Söhne der Weisheit«). Die Männer haben in der Tat Glück im Unglück, denn sie konnten nicht nur ihr Leben retten, sondern werden von hochrangigen Repräsentanten des Insel-Volkes freundlich empfangen und mit den Besonderheiten des Gemeinwesens vertraut gemacht.

Im Zentrum der Insel-Gesellschaft steht das »Haus Salomons«, eine Art wis-senschaftliches Institut, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch induktiv-experimentelle Verfahren und eine starke Interdisziplinarität der Forschung das Erkennen der Ursachen und verborgenen Ideen der Natur sowie die Erweiterung des geistigen Horizonts der Menschen zu fördern, um wissenschaftlich-techni-schen Fortschritt und damit wirtschaftliche Prosperität zu realisieren. Das Haus Salomons wird als »Leuchte Bensalems« und als »Auge des Reiches« bezeichnet.

Institutionell stehen Labors, Forschungstürme, Werkstätten und Versuchsanla-gen zur Verfügung, in denen Daten aufgenommen und geordnet werden. Die enzy-klopädischen Informationen über die Natur werden jedoch nicht nur gesammelt und kategorisiert, sondern auch im Hinblick auf die schöpferische Interpretation ausgewertet. Dabei wird Materialforschung betrieben, um künstliche Substanzen wie Dünger und Treibstoffe zu entwickeln. Meteorologische und astronomische Erkundungen fi nden ebenso statt wie Züchtungsforschung an Pfl anzen und Tie-ren. Man versucht darauf hinzuwirken, dass »Früchte und Blüten früher oder auch später kommen, als es ihre Zeit ist, ebenso daß sie in rascherer Aufeinan-derfolge ausschlagen, sprossen und Früchte tragen, als sie es ihrer Natur nach zu tun pfl egen«32 und man beschäftigt sich mit »Kreuzungen und Verbindungen von Tieren verschiedener Arten, die neue Arten hervorbringen, die trotzdem nicht unfruchtbar sind, wie die allgemeine Ansicht ist.«33 Hier geht es also um einen biotechnologischen Nutzen des manipulativen Eingriffs. Aus dem Dienst an der Natur erwächst die Dienstbarmachung der Natur.

Abgesehen von einigen stilistischen Parallelen zu Morus und Campanella fi n-den sich bei Bacon entscheidende Unterschiede. Zwar defi niert sich das paternalis-tisch-absolutistische Klassensystem sozialer Schichten nicht ökonomisch, sondern nach Weisheit, Würde und Alter, was auch bei Morus und Campanella Rechtfer-tigungsfi guren für partielle Ungleichheit sind, doch fehlt es dem Entwurf Bacons sowohl an der radikalen Gleichheitsorientierung, wie auch an der Ausschließlich-keit des Gemeinschaftseigentums. Der baconsche Gedanke der Notwendigkeit ei-ner idealen Forschungsorganisation hatte großen Einfl uss auf die Bildung realer europäischer Einrichtungen; das Haus Salomons kann daher als Prototyp einer wissenschaftlichen Akademie betrachtet werden.

32 Bacon, Neu-Atlantis (wie Anm. 13), S. 207.33 Ebd., S. 208.

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4 Zentrale gesellschaftsphilosophische Aspekte der Utopien

Nun möchte ich sieben wichtige gesellschaftsphilosophische Aspekte der Utopien ansprechen, die diese in ihrem Revuecharakter aufgreifen. Es zeigt sich dabei, dass viele Ideen Platons ›Ur-Utopie‹ ›Politeia‹ entnommen sind, worauf an den betref-fenden Stellen hingewiesen wird.

4.1 Das Verhältnis von Gemeinschaft und Individuum

4.1.1 Anti-Individualismus als Vorstufe zum TotalitarismusDas schwierige und in der Geschichte immer wieder neu zu verhandelnde Verhält-nis von Staat bzw. Gemeinwesen zum einzelnen Mitglied ist in den Renaissance-Utopien eindeutig zugunsten eines umfassenden staatlichen Eingriffsrechts in die Angelegenheiten der Individuen entschieden. Abwehrmöglichkeiten des Bürgers gegen den Staat, wie sie später etwa bei Locke als Begründer des neuzeitlichen Liberalismus erwogen werden und wie sie in der Folge zur Basis der bürgerlichen Grundrechte wurden, gibt es nicht. Da alles nur zum Wohle der Gemeinschaft und damit auch des Einzelnen als Teil dieser Gemeinschaft geschieht, sind solche Abwehrrechte auch gar nicht nötig.

Die Utopien weisen in ihrem Gerechtigkeitspathos strenge egalitaristische Vor-stellungen auf, denen in einer normativ erzwungenen homogenen Sozialstruktur Ausdruck gegeben wird. Dieses Gleichheitsparadigma führt zu einer völligen Ver-einnahmung des Individuums durch das Gemeinwesen bzw. den Staat und lässt das gut gemeinte Streben nach mehr Gleichheit zu Gleichmacherei und einem radikalen Anti-Individualismus pervertieren, zu einem Totalitarismus, der keinen Platz lässt für die freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Es entsteht im Ergebnis – lange vor Hobbes – der absolutistische ›Super-Levi-athan‹ mit einem überindividuellen Ordnungsdenken, getreu dem Motto: Du bist nichts, die Gemeinschaft ist alles. Der Mensch wird zum uniformen, namenlosen Rädchen im utopischen Getriebe, wobei Morus und Campanella dieser Unifor-mierung mehr Bedeutung beimessen als Bacon, der jedoch ebenfalls an einigen Stellen, wenn auch nur beiläufi g, auf die strenge Ordnung hinweist, etwa in den Beschreibungen des Verhaltens der Bewohner Bensalems. Bacon schreibt, sie stün-den »in Reih und Glied«, um die Schiffbrüchigen zu empfangen34 und erwarteten ebenso diszipliniert den Besuch eines hohen Würdenträgers.35

34 Ebd., S. 179.35 Ebd., S. 204.

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4.1.2 Schlüsselbegriff PrivateigentumEine zentrale Frage der Utopien, deren Beantwortung auch das Verhältnis von Staat und Individuum betrifft, ist der Umgang mit der Institution Privateigentum. Platon hatte dieses in der ›Politeia‹ für die Herrscherkaste ausgeschlossen, die Utopisten der Renaissance gehen einen Schritt weiter und legen das Gemeinei-gentum – Campanella gar das ›Eigentum‹ an Frauen und Kindern36 – für alle fest. Die Geldwirtschaft wird bei Morus und Campanella abgeschafft bzw. auf den Außenhandel beschränkt, um der korrumpierenden Wirkung des Geldes zu weh-ren, denn schließlich basierte darauf, so Morus, der Sittenverfall des real existie-renden Feudalismus’. Dagegen ist diese Gefahr in Utopia gebannt: »Welche Last von Beschwerlichkeiten ist doch diesem Gemeinwesen abgenommen, welche Saat von Verbrechen mit Stumpf und Stiel ausgerottet, seit dort mit dem Gebrauch des Geldes zugleich jede Gier danach aus der Welt geschafft ist! Denn wer weiß denn nicht, daß Betrug, Diebstahl, Raub, Streit, Aufruhr, Zank, Empörung, Mord, Ver-rat und Giftmischerei, durch die üblichen Strafen mehr nur geahndet als verhütet, mit der Abschaffung des Geldes zugleich abstürben und zudem Furcht, Kummer, Sorge, Mühsal und Schlafl osigkeit im selben Augenblick wie das Geld vergehen würden? Ja, die Armut selbst, die allein des Geldes zu bedürfen scheint, schwände sofort dahin, wenn man überall das Geld völlig abschaffte.«37 Das von Morus in Aussicht gestellte »Verschwinden der Armut« ist umso wichtiger, als »harte Armut die Menschen feil, hinterlistig, verschlagen, diebisch, hinterhältig, landfl üchtig, lügnerisch, meineidig« mache, wie Campanella ausführt, wobei ihr Gegenteil, der Reichtum, ebenso negative Folgen zeitige, führe er doch dazu, dass die Begüterten »unmäßig, hochmütig, unwissend, verräterisch, grundlos eingebildet, prahlerisch, gefühllos, streitsüchtig« würden.38 Daraus erwächst die Vorstellung, dass, schafft man das Privateigentum ab, auch Armut und Reichtum und damit die vielen Las-ter abgeschafft sind, welche sich daraus ergeben. Die Abschaffung des Privateigen-tums sorgt für eine neue, mehr noch, für die einzig sinnvolle Deutung der materi-ellen Lebensbedingungen: Die Sonnenstaatler sind nur insoweit reich, als sie alles haben, und nur insoweit arm, als sie nichts besitzen.39

Es zeigt sich darüber hinaus bei Morus und Campanella sehr deutlich die enge Verbindung von Gerechtigkeit und Anti-Individualismus. Erst das Gemeineigen-tum ermöglicht einen Sinn für Gemeinschaft – Campanella unterstreicht die »Va-terlandsliebe« der Sonnenstaatler.40 Erst die Gemeinschaft der Gleichen wiederum ermöglicht zwischenmenschliche Solidarität.41 Das Gemeinwohl geht bei ihnen, wie schon bei Platon, »ohne Rest in der Verwirklichung einer dem Individuum

36 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 136.37 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 108.38 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 136.39 Ebd., S. 136.40 Ebd., S. 123.41 Ebd., S. 124.

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übergeordneten Gerechtigkeit auf.«42 Insoweit erwächst aus der Erfahrung des real existierenden Individualismus, der auf Kosten von Gemeinwohl und Gerech-tigkeit ausgelebt wird, die Stigmatisierung des Individualismus der Renaissance als »gefährliche Abweichung«43 und infolgedessen die Forderung nach absolutem Gehorsam und unbedingter Einordnung ins Kollektiv.

Bei Bacon bleiben Privateigentum und Geldwirtschaft zwar erhalten, doch al-lein für den Wissenstransfer, d. h. »nicht um des Goldes, des Silbers und der Edel-steine, nicht um Seide und Gewürze und auch nicht um sonstiger einträglicher und wertvoller Dinge, sondern nur um der ersten Schöpfung Gottes: des Lichtes willen.«44

4.2 Die Organisation von Wirtschaft und Arbeitswelt

Die Frage ist nun: Wie sieht die quasi kommunistische Wirtschaftsorganisation aus? Wie ist die Arbeitsteilung geregelt?

Vor allem als Kontrast zu Platons berufsständischer Kastengesellschaft fällt die egalitaristische Arbeitsorganisation und die Aufwertung körperlicher Arbeit in den betrachteten Utopien auf. Das Arbeitsvolumen ist extrem gering; von sechs Stunden täglich in Utopia45 bis vier Stunden im Sonnenstaat46 – auch hier sind wieder Campanellas Bemühungen um Vervollkommnung des Morus-Entwurfs zu erkennen. Effi zienz, Bedürfnis- bzw. Konsumreduktion und die Beteiligung aller am Arbeitsprozess machen diese Werte möglich. Deutlich formuliert Morus in diesem Zusammenhang die Ablehnung gegenüber Schmarotzertum und Müßig-gang,47 Eigenschaften, die bei der Diagnose der frühneuzeitlichen Gesellschaft den Adligen attestiert werden und die – neben der grundsätzlichen Kritik an der auf Privateigentum basierenden kapitalistischen Wirtschaftsweise48 – verantwortlich gemacht werden für das Elend der Masse. Der Arbeitsbegriff der Utopier ist damit nicht mehr geprägt vom stetigen Auseinanderdriften von unproduktiven Eignern und schuftenden Arbeitern, von unnützem Luxus auf der einen und bitterer Not auf der anderen Seite. Statt dessen werden neue Formen des Arbeitens defi niert, die bedarfs- und gemeinwesenorientiert sind.

Die Landwirtschaft als Sinnbild einer schlichten Grundversorgung wird zum Zentrum des Wirtschaftslebens. Jeder arbeitet auf den Feldern und Äckern mit, entweder in mehr oder weniger selbstverwalteten Hausgemeinschaften (Mo-

42 Richard Saage, Politische Utopien der Neuzeit, Darmstadt 1991, S. 25.43 Ebd., S. 26.44 Bacon, Neu-Atlantis (wie Anm. 13), S. 194–195.45 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 56.46 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 136.47 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 24; 63.48 Ebd., S. 44–46.

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rus)49 oder unter zentraler staatlicher Planungshoheit (Campanella).50 Der primi-tiv-agrarische Charakter Utopias macht eine spätere Ausdehnung der Arbeitszeit unwahrscheinlich. In dem basalen Zivilisationsduktus deutet sich der Nachteil dieses Systems an, doch im Gegenteil: Die Einfachheit, die an das (ideale) klös-terliche Leben erinnert, führt nach Morus nicht nur zu gewissem Wohlstand für alle, sondern gar zur Befreiung der ehemals notleidenden Massen. Doch auch die Upperclass scheint von ihrer Geldgier befreit, denn in Utopia werden Edelmetalle verachtet. Gold, Sinnbild des Reichtums, wird zum fast wertlosen Gebrauchsme-tall degradiert, aus dem Morus die Utopier »Nachtgeschirre und lauter Gefäße für schmutzigste Zwecke«51 fertigen lässt.

Bacon weicht in der Organisation von Wirtschaft und Arbeit von Morus und Campanella ab. Nicht nur, dass Bacon Privateigentum zulässt, sondern dass ferner auf Schlichtheit und Bescheidenheit kein Wert gelegt wird, ist ein entscheidender Unterschied, der sich aus dem Glauben an die Überwindung jeglicher Knappheit durch den wissenschaftlichen Fortschritt speist. Allerdings gilt, wie bereits oben festgestellt, dass die Wirtschaft der Wissenschaft dient; Privateigentum und Ar-beitseinsatz stehen im Dienst der Erkenntnis. Wenn Bacon also die Bewohner Ben-salems in Luxus schwelgen lässt, dann deshalb, um zu zeigen, wie überlegen ihr Ansatz ist und welche pompöse Machtentfaltung dadurch möglich wird, dass man sich die Natur technologisch unterwirft. So beschreibt er ausgiebig die repräsenta-tive Pracht der Amtsträger Bensalems: Handschuhe, mit Edelsteinen besetzt, Schu-he aus Seide, wertvolle Kopfbedeckungen.52 Zudem dominiert in den Amtsstuben das in Utopia verpönte Gold: An Möbeln, Stoffen und Schmuckgegenständen wurde das Metall üppig verarbeitet.53 Die Überlegenheit eines wissenschaftszen-trierten Gesellschaftsentwurfs hat jedoch ihren Preis: Von Arbeitszeitreduzierung ist jedenfalls bei Bacon nicht die Rede, dagegen spricht der enorme Einsatz der Forscher in den Labors, die in Bacons Augen für den Fortschritt – und damit für das Wohl der Menschheit – keine Mühen scheuen dürfen, schließlich geht es um »die Erkenntnis der Ursachen und Bewegungen sowie der verborgenen Kräfte in der Natur und die Erweiterung der menschlichen Herrschaft bis an die Grenzen des überhaupt Möglichen.«54

49 Ebd., S. 49.50 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 145.51 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 66.52 Bacon, Neu-Atlantis (wie Anm. 13), S. 203.53 Ebd., S. 203–204.54 Ebd., S. 205.

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4.3 Wissenschaft, Bildung und Erziehung

Im Zentrum der Renaissance-Utopie steht die Naturbeherrschung. Der Mensch tritt als Macher in Erscheinung und zwingt der Natur seine Vorstellungen auf. Dieser Säkularisierungstrend zeigt sich in erster Linie im Städtebau, der in Utopia und im Sonnenstaat nicht im Einklang mit der Natur erfolgt, sondern nach geo-metrischen Regeln.

In Utopia gibt es eine allgemeine Schulbildung.55 Das Bildungsideal ist einer-seits ganz platonisch, weil geschlechtsübergreifend, andererseits über Platons eli-täres Ständedenken hinausgehend, weil alle Schichten Zugang zur Bildung be-kommen. Morus nimmt den Bildungsoptimismus der Hochaufklärung vorweg, indem er unterstellt, Menschen könnten durch Bildung von rohen zu moralischen Wesen erzogen werden (die Utopier vertreten eine aristotelische Tugendethik, die Glückseligkeit als Folge ehrenhafter und sittsamer Vergnügen betrachtet, wobei der Glücksbegriff stets zugleich religiös fundiert als auch vernünftig refl ektiert wird).56

Neben dieser ethischen Komponente hat die breite Bildung auch praktische Bedeutung, denn alle müssen ein verwertbares Handwerk erlernen, um fl exibel einsetzbar zu sein.57 Ein Wechsel von einer Branche zu einer anderen ist, im Ge-gensatz etwa zu Platons statischer Polis-Ordnung, nach Neigung möglich.58

Bildung ist also kein Selbstzweck, sondern sowohl ethisch wie arbeitsorganisa-torisch nutzenorientiert, wobei jedoch kein Fortschrittsdenken wie bei Bacon im Vordergrund steht, sondern der Erhalt des Status Quo innerhalb des Gemeinwe-sens. Wissenschaftliche Bildung, die über das Maß der Erhaltungsnotwendigkeit hinaus geht, fi ndet daher relativ unorganisiert in der Freizeit statt. Die Beschäf-tigung mit Geometrie, Arithmetik, Physik und Astronomie ist dabei andererseits mehr als beliebiges Privatvergnügen: Wissenschaft ist Gottesdienst, insofern sie zur Ehre Gottes geschieht und an seinem Schöpfungs- respektive Heilsplan aus-gerichtet bleibt.59 Morus sucht hier unverkennbar die Versöhnung von Theologie und Wissenschaft. Bildung und Wissenschaft erfahren bei ihm also keine Grenzen hinsichtlich etwaiger Zugangsbeschränkungen aufgrund gesellschaftlicher Klas-senprivilegien (wie bei Platon), sondern allein in Bezug auf Zweckmäßigkeit und Gottgefälligkeit.

Campanella postuliert ein absolutes Bildungsideal. Die in sieben konzentri-schen Kreisen verlaufenden Mauern um den Sonnenstaat sind mit Lehrmotiven geschmückt, so dass sie zum Bilderlexikon für die fl ächendeckende Volksbildung

55 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 68.56 Ebd., S. 70.57 Ebd., S. 54.58 Ebd., S. 5459 Ebd., S. 68–70.

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werden.60 Damit sind Bildungsinhalte immer und überall verfügbar. Die von Ärz-ten und Astrologen überwachte Familienplanung nach Prinzipien der Eugenik deutet den Versuch an, das Gute im Menschen fortzupfl anzen.61

Bacon ist Verfechter eines ausgesprochen wissenschaftlichen Bildungsideals, das jedoch ebenso den Anwendungsbezug ins Zentrum rückt, was schon an der La-bororganisation erkennbar wird: Die Aufteilung der ›Forscherteams‹ erfolgt nicht nach Disziplinen, sondern nach dem jeweiligen Verwendungszusammenhang des Forschungsgegenstands. Bei diesem hochmodernen Wissenschaftsverständnis fällt auf, dass der Prozess von der Informationserhebung zur Wissensbildung detail-liert berücksichtigt wird und sich entsprechend in der Ämterstruktur des Hauses Salomons niederschlägt: Es gibt »Lichthändler«, die aus fremden Ländern Bücher und Versuchsanordnungen beschaffen, »Beutesammler«, die alle in Büchern regis-trierten Versuche recherchieren, »Jäger«, deren Aufgabe in der Zusammenstellung aller selbst entwickelten Experimente besteht, »Gräber« bzw. »Grubenarbeiter«, die neue Experimente ausprobieren, »Aufteiler«, welche die Versuche statistisch auswerten und die Ergebnisse sinnfällig arrangieren, »Wohltäter«, die die Arbeit überwachen und die Ergebnisse hinsichtlich ihrer Relevanz vorsortieren, »Leuch-ter«, die die gewonnenen Erkenntnisse begutachten und Empfehlungen für neue, verbesserte Experimente unterbreiten, die vertiefende Einsichten in den For-schungsgegenstand gewährleisten sollen, und »Pfropfer«, die diese ausführen und über die Ausführung berichten.62 Sammlung, Erprobung, Dokumentation und Be-gutachtung der Daten ermöglichen es schließlich den »Auslegern der Natur«, die experimentellen Entdeckungen in Axiome und Aphorismen zu übertragen, also wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten festzustellen und daraus Regeln abzuleiten.63 Die enzyklopädischen Informationen über die Natur müssen demnach nicht nur gesammelt und kategorisiert, sondern auch entsprechend Bacons empiristisch-in-duktivem Wissenschaftskonzept ausgewertet werden.

Bezüglich einzelner Wissenschaften sind sich die Autoren uneins. Während Morus auf Mathematik und Naturwissenschaften64 sowie eine breite humanisti-sche Bildung setzt,65 die Astrologie hingegen ablehnt,66 ist diese ›Wissenschaft‹ bei Campanella der Schlüssel zur Erkenntnis und spielt bei der Fortpfl anzungsplanung eine besondere Rolle.67 Bei Bacon sind es gerade nicht die Einzelwissenschaften, sondern die Interdisziplinarität, auf die es ankommt, sowie die Verzahnung unter-schiedlicher Forschungsschritte, von der Datenerhebung über die Auswertung zur induktiven Regelbildung.

60 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 120–122.61 Ebd., S. 131–133.62 Bacon, Neu-Atlantis (wie Anm. 13), S. 213–214.63 Ebd., S. 214.64 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 69.65 Ebd., S. 78–80.66 Ebd., S. 69.67 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 162–168.

116 Bordat

4.4 Anthropologie sowie Ehe, Familie und Eugenik

Im Anti-Individualismus gibt es keinen staatsfreien Raum, keine Intimsphäre und auch keinen Rechtsschutz gegen Eingriffe des Staates. Der utopische Staat macht auch vor der Familie nicht Halt, im Gegenteil: Die Familie ist bei Morus die kleins-te soziale und politische Gemeinschaft;68 je dreißig Familien (und nicht etwa eine bestimmte Anzahl von Einzelpersonen) wählen einen Vertreter für den Senat.69 Die Großfamilie mit ihrer Frauen- und Kindergemeinschaft, bei Platon wichtige Bedingung für das Gelingen der Philosophenherrschaft, zeigt sich bei Morus und Campanella. Dieser Familienbegriff scheint dabei eine logische Konsequenz der Kritik am Privateigentum zu sein: Wenn die Kritik des Eigentums an Gütern recht ist, so scheint die Forderung nach Wegfall des »Eigentums« an Frau und Kindern nur billig, allein die »Unvollkommenheit der anderen […], die eben philosophisch nicht genug durchgebildet« seien,70 lasse diese vor der letzten, obgleich schier logi-schen Konsequenz zurückschrecken. In der Großfamilie hat der pater familias das Sagen, etwa auch das Bestrafungsrecht bei geringfügigen Vergehen.71

Doch die Eingriffe des utopischen ›Super-Leviathans‹ in das Private gehen noch weiter, bis zur »Konsumtion sexueller Intimität,«72 das heißt: Familienplanung wird zur Staatsaufgabe. Die Eugenik ist seit Platons manipuliertem Auslosungsze-remoniell eine Angelegenheit der Gemeinschaft. Im Sonnenstaat von Ärzten und Astrologen überwacht, wird die Eugenik rücksichtslos in die Tat umgesetzt, von dem Gedanken getragen, den neuen, besseren Menschen zu schaffen.

Bacon erfüllt die Ehe mit einem »in Europa« dieser Institution längst verlo-ren gegangenen Gemeinschaftssinn; in ihr ist das Ideal unbedingter Treue ver-wirklicht und die Keuschheit außerhalb der ehelichen Gemeinschaft stellt eine Frage der Ehre dar73 – kein Vergleich zu den Zuständen in der realen Welt, in der »unzählige Männer […] ein zucht- und zügelloses Junggesellenleben dem eh-renvollen Joch der Ehe vorziehen.«74 Den Muster-Ehen Bensalems ist nicht sel-ten ungewöhnlicher Kinderreichtum beschieden: Mancher Familienvater kommt auf dreißig Nachkommen.75 Er allein garantiert das Wohl der Familienmitglieder, etwa indem er sie, stellvertretend für den »ewigen Vater«, segnet.76 Der pater-nalistische Duktus durchdringt auch hier die ganze Gesellschaft, erkennbar am rechtsverbindlichen Charakter der Entscheidungen des Familienvaters, die er bei

68 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 58.69 Ebd., S. 53.70 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 137.71 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 83.72 Saage, Utopien der Neuzeit (wie Anm. 42), S. 48.73 Bacon, Neu-Atlantis (wie Anm. 13), S. 200–202.74 Ebd., S. 201.75 Ebd., S. 196.76 Ebd., S. 198–199.

117Morus, Campanella, Bacon

Gehorsamsverweigerung sogar von staatlichen Behörden gegen Frau und Kinder vorstrecken lassen kann,77 an der Tradierung dieser pater familias-Rolle durch eine zeremonielle Übertragung der Leitungsfunktion vom Vater auf den tüchtigs-ten seiner Söhne78 und nicht zuletzt daran, dass die Vater-Metapher auch in die Wissenschaftsorganisation eingedrungen ist; der Leiter des Hauses Salomons wird »Ehrwürdiger Vater« genannt.79

4.5 Politische Organisation und Herrschaftslegitimation

Politik wird von einer Elite betrieben, auch darin schließen die Renaissance-Utopisten an Platon an. Wenn sie gesellschaftliches Emanzipationspotential er-schließen, ist dieses wohl derart entfernt von der frühneuzeitlichen Wirklichkeit, dass man es nicht wagt, die konsequenten Schlüsse zu ziehen und den Monarchen in seiner absoluten Macht ernsthaft zu beschneiden. Der korrekten Diagnose der Krise des feudalistischen Systems folgt nicht die radikale Therapie.

Morus und Campanella halten an der zentralistisch-absolutistischen Herr-schaftsordnung fest, wobei es aber ein Wahlrecht und Repräsentation gibt, wenn diese auch weit hinter echter Partizipation zurück bleibt. Erreicht Morus’ Sys-tem immerhin eine gewisse Balance zwischen dem Senat und dem auf Lebens-zeit bestellten Fürsten, äußert sich Campanellas Demokratieskepsis in einer sehr schwach positionierten Volksversammlung, deren Funktion insbesondere darin besteht, »das Vertrauen in die Obrigkeit zu stärken.«80 Die unterhalb des Mo-narchen stehenden Elitegremien von gewählten Vertretern (Morus) oder Pries-tern (Campanella) sind von den Pfl ichten der Gemeinwesenmitglieder, etwa der Arbeitspfl icht, entbunden: Alle sind gleich, aber einige sind gleicher. Beachtlich ist jedoch, dass die Zugehörigkeit zur politischen Elite weder in Utopia noch im Sonnenstaat keine Frage der Geburt ist, sondern dem Leistungsprinzip unterliegt: Elite ist Bildungselite, der Aufstieg in die Bildungsschicht jedem grundsätzlich möglich.

Eine interessante Rolle kommt in den totalitären Regimen in Utopia und im Sonnenstaat der Informationsbeschaffung und den ›Nachrichtendiensten‹ zu, die die öffentliche Meinung eruieren und so die Herrschenden immer über die Stim-mung im Volk auf dem Laufenden halten. Während die Sonnenstaatler von Kund-schaftern ausspioniert werden, die »alles melden, was sie hören«81 und im Zuge einer allgemeinen Beichte ihre Befi ndlichkeit preis zu geben haben,82 sorgt bei Mo-rus das System der Familienverbünde für eine Atmosphäre totaler Überwachung,

77 Ebd., S. 196.78 Ebd., S. 199.79 Ebd., S. 203.80 Saage, Utopien der Neuzeit (wie Anm. 42), S. 51.81 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 137.82 Ebd., S. 153.

118 Bordat

die von der Kontrolle der Sitzordnung bei Mahlzeiten83 bis hin zur Überwachung der geltenden Reisebeschränkungen84 reicht. Die Folge ist eine weitgehende Ent-politisierung der Gesellschaft, die auch bei Bacon deutlich spürbar ist, schon da-durch, dass wir über die politische Organisation an der ›Basis‹ der Gesellschaft Bensalems kaum etwas erfahren; Politik außerhalb der Wissenschaft und ihrer Institute scheint in der ›Wissensgesellschaft‹ keine Rolle zu spielen. Nicht nur, dass aus Wissen Macht erwächst, es gilt auch umgekehrt, dass sich die Macht aus-schließlich auf das Wissen stützt. Bacon beschreibt eine ›Expertokratie‹, in der die Mitglieder des Hauses Salomons als »unentbehrliche Elite« die »absolute Verant-wortung für den ›objektiven Geist‹, für das Wohlergehen und für den Fortschritt aller Staatsangehörigen« tragen.85

4.6 Außenbeziehungen und bellum iustum-Konzept

Im Gegensatz zu Platons (innergesellschaftlich wie auch im Verhältnis zur Au-ßenwelt) stationärem Ideal, stellt sich für die frühneuzeitlichen Utopien die Ex-pansionsfrage, die teilweise recht aggressiv beantwortet wird. In den staatlichen Gemeinwesen der Renaissance spielt der Krieg als eine Form der Außenbeziehung dementsprechend eine wichtige Rolle. Grundsätzlich geben sich die Staaten pa-zifi stisch und verabscheuen den Krieg, sind aber auf ihn vorbereitet. Ganz im Sinne des bellum iustum-Konzepts Augustins, dessen oberster Grundsatz lautet: iniquitas enim partis adversae iusta bella ingerit gerenda sapienti,86 ist der Krieg bei Morus und Campanella insbesondere im Fall der Landesverteidigung und im Bündnisfall zulässig; bei Bacon ist vom Krieg nur als Teil der Geschichte Bensa-lems die Rede, nach dem historischen Sieg über die Feinde herrscht Frieden, auch aufgrund der isolierten Lage der Insel, insbesondere aber wirkt die überlegene Kriegstechnik abschreckend auf potentielle Aggressoren.

Neben der Selbstverteidigung und der militärischen Intervention wegen eines »ihren Freunden angetane[n] Unrecht[s]«87 halten die Utopier einen Angriffskrieg für gerechtfertigt, wenn es um nötigen Zugewinn an Lebensraum geht. Die Ko-lonialisierung unbesiedelten Gebiets mit Waffengewalt sei immer dann angezeigt, wenn die Bevölkerungszahl in Utopia ein Maß überschritten hat, das für die ty-pisch utopianische Organisation einen Grenzwert darstellt.88 Grundsätzlich be-

83 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 60–62.84 Ebd., S. 63.85 Klaus Joachim Heinisch, Zum Verständnis der Werke, in: Ders. (Hg.), Der utopische

Staat, Reinbek bei Hamburg 1960, S. 216–265, hier S. 229.86 Augustin, De Civitate Dei, München 1985, XIX, 7 (»denn die Ungerechtigkeit der gegne-

rischen Seite zwingt ja den Weisen zu gerechter Kriegsführung«).87 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 88.88 Ebd., S. 59. Diesen Punkt behandelt Morus bezeichnenderweise nicht unter dem Aspekt

des Kriegswesens, sondern der Bevölkerungspolitik.

119Morus, Campanella, Bacon

zahlen die Utopier lieber Söldner als selbst zu kämpfen.89 Die Überwindung des Feindes durch »List und Tücke« statt eines »blutige[n] Sieg[es]«,90 gezielte Atten-tate und ›chirurgische Eingriffe‹ statt Krieg auf breiter Front kennzeichnen des Weiteren ihre Taktik.91

Bei Campanella kommt ferner die Beleidigung und die Zufügung eines Un-rechts als Kriegsgrund in Frage: »Keinem tun sie Unrecht, dulden aber auch nicht, daß ihnen solches zugefügt wird.«92 Dies lässt ziemlich viel Spielraum für Kriegs-entscheidungen offen, zumal die Nachbarn in ihrem kollektiven Sozialneid (»[…] auf der Insel [gibt es] vier Reiche, die sie um ihren Wohlstand beneiden […]«93) einen ständigen Unruheherd darstellen. Daher gilt es für die Sonnenstaatler, sich »in der Kriegskunst« zu üben, »damit sie nicht verweichlichen und jedem Ereignis gewappnet entgegentreten können.«94 Insgesamt scheint die Kriegsrechtfertigung an die augustinische iustitia vindicativa angelehnt, liegt doch das Paradigma der Nachkriegspolitik in der Besserung des Besiegten. Die recta intentio des Krieges schließt Rache und blinde Zerstörungswut aus, im Gegenteil: »Ihren Feinden ver-geben sie gern Schuld und Beleidigung und erweisen ihnen nach errungenem Siege sogar Wohltaten […] und sagen, man dürfe nur kämpfen, um die Besiegten zu bessern, nicht aber, um sie zu vernichten.«95 Zu diesem Ethos passt, dass die Son-nenstaatler zu Interventionskriegen auf Bitten einer Partei bereit sind, wenn sie das Ansinnen dieser Partei für gerechtfertigt halten.96

4.7 Religion als fundamentaler Bestandteil des Gemeinwesens

Auch die Religion steht im Dienste des Gemeinwesens. So herrscht bei den Uto-piern ein funktionalistischer Religionsbegriff vor, der zwar eine erstaunliche To-leranz beinhaltet, aber diese bei der Frage enden lässt, ob der Mensch eine un-sterbliche Seele hat. Daran haben die Utopier zu glauben, zumindest darf gegen die seminaturalistische Anthropologie christlicher Provenienz nicht öffentlich argumentiert werden.97 Wer einen Posten in Utopia bekleiden will, muss an die Unsterblichkeit der Seele glauben, damit die eschatologisch motivierte Moralität in den Staatsämtern gewährleistet ist.

Die der Ethik des Christentums vergleichbare Vernunftreligion der Utopier sieht Männer wie Frauen als Priester vor, für die nicht nur eine Freistellung vom

89 Ebd., S. 91.90 Ebd., S. 89.91 Ebd., S. 93–94.92 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 146.93 Ebd., S. 139.94 Ebd., S. 138–139.95 Ebd., S. 143.96 Ebd., S. 139.97 Morus, Utopia (wie Anm. 11), S. 70.

120 Bordat

98 Ebd., S. 102.99 Campanella, Sonnenstaat (wie Anm. 12), S. 161.100 Ebd., S. 160–161.

Arbeitsdienst eingerichtet, sondern denen auch der Schlüsselbereich Erziehung und Ausbildung zugewiesen ist.98

Bei Campanella präsentiert sich das Religiöse machtvoll und stützt so die ab-solutistische Zentralgewalt (etwa durch die Pfl icht zur Beichte). Auch hier gibt es eine christliche Grundorientierung,99 jedoch werden einige zentrale Dogmen nicht vertreten, wie das der Erbsünde.100

Bacons Entwurf zeichnet eine christliche Kommunität mit jüdischer Minder-heit, in der Angehörige beider Religionen friedlich zusammenleben, auch deshalb, weil Religion Kult ist, nicht Lehre und Fürsorge bedeutet, nicht Ausgrenzung.

5 Fazit

Was ist noch mittelalterlich, was schon neuzeitlich in den besprochenen Utopien? Mittelalterlich sind die Organisation des Gemeinwesens, der Paternalismus, der Kollektivismus bzw. Anti-Individualismus und die Vermengung von Religion und Staat, insbesondere der damit verbundene soteriologische Duktus, der die ganze Organisation des Gemeinwesens durchzieht. Neuzeitlich sind die Ansätze einer aktiven Gesellschafts-, Natur- und damit Lebensweltgestaltung, die bei Campa-nella und insbesondere bei Bacon stärker in Erscheinung treten als bei Morus, was schon deshalb nicht verwundert, weil die ›Utopia‹ rund ein Jahrhundert vor dem ›Sonnenstaat‹ bzw. ›Neu-Atlantis‹ geschrieben wurde. Die Gestaltungsambition lässt sich jedoch bei allen drei Utopien festmachen an der umfänglichen wissen-schaftlichen Arbeit (oder was man dafür hielt), der fl ächendeckenden (Volks-)Bil-dung bzw. Einbeziehung aller in die Forschungsarbeit, den Eingriffen in die Fami-lienplanung und den Anstrengungen im Rahmen der Tier- und Pfl anzenzucht.

Das Paradigma der Neuzeit, das Individuum, spielt jedoch in den Utopien noch keine entscheidende Rolle, denn die ganzheitlich gedachte Nutzenmaximierung wird nicht vom Individuum her, sondern als nicht-hinterfragbares Werk eines Gründungsvaters konzipiert. Als ›Nachfahre‹ von Platons lichterfahrenem Philo-sophenherrscher weiß er genau, was das Beste für sein Volk ist. Und dieser pater-nalistische Glücksgarant entspricht dem mittelalterlichen Ideal des pater patriae; von emanzipatorischer Selbstbehauptung des aufstrebenden Bürgertums gegen die aristokratische Staatsmacht, vom überragenden Wert individueller Freiheit, dem Thema der neuzeitlichen politischen Philosophie, ist in den Renaissance-Utopien noch nicht die Rede. Im Gegenteil: Das utopische Denken wird bestimmt vom unerschütterlichen Glauben an Gerechtigkeit und Gleichheit aus dem Geist der Gemeinschaft, getragen von einem Volk, das sich mit Heimat und Herrscher bis

121Morus, Campanella, Bacon

zur Selbstaufgabe identifi ziert, um des allgemeinen Glücks willen, um das es in der realen Welt beraubt wird. Gegen dieses Ansinnen wendet sich bekannterma-ßen der Utopismus-Kritiker Karl Popper, mit dessen eindringlicher Warnung vor zuviel Hoffnung auf den Staat ich schließen möchte: »Kurz gesagt lautet meine These, dass vermeidbares menschliches Leid das dringendste Problem einer ratio-nalen öffentlichen Politik ist, während die Förderung des Glücks kein solches Pro-blem darstellt. Die Suche nach Glück sollte unserer privaten Initiative überlassen bleiben.«101

101 Popper, Utopie und Gewalt (wie Anm. 14), S. 524.

Die Welt in einer HandschriftZeitenrechnung und Zeitberechnung auf Island am

Beispiel der Sammelhandschrift AM 415, 4to1

Regina Jucknies

Ár var alda – »es war am Morgen der Zeit«, so beginnt die berühmte altnordische ›Vûluspá‹ (›Die Weissagung der Seherin‹), die von der Erschaffung der Welt bis zum Untergang der Götter erzählt. Im weiteren Verlauf der Strophen geht sie auf die Ordnung der Zeit ein:

Die Sonne legte von Süden, die Gefährtin des Mondes; die rechte Hand an den Himmelsrand; die Sonne wußte nicht, wo sie ihren Saal hatte, die Sterne wußten nicht, wo ihre Heimstatt war,der Mond wußte nicht, was er an Kraft besaß.

Da gingen alle Rater zum Richtstuhl, die heiligsten Götter, und beratschlagten: Nacht und Neumond gaben sie Namen, Morgen benannten sie und Mitte des Tags, Nachmittag und Abend, die Zeit zu zählen.2

1 Bei den vorliegenden Ausführungen handelt es sich noch um sehr vorläufi ge Überlegungen und Bemerkungen, die hoffentlich eine Fortsetzung erfahren werden.

2 Sól varp sunnan, sinni mána, hendi inni hœgri um himiniûður; sól þat né vissi, hvar hon sali átti, stiûrnor þat né visso, hvar þær staði átto, máni þat né vissi, hvat hann megins átti.

Þá gingo regin ûll á rûcstóla, ginnheilog goð, oc um þat gættuz: nótt oc niðiom nûfn um gáfo, morgin héto oc miðian dag, undorn oc aptan, árom at telia. Gustav Neckel, Hans Kuhn (Hg.), Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwand-

ten Denkmälern, 4., umgearb. Aufl ., Heidelberg 1962, S. 2, Str. 5–6. Die Übersetzung der ›Vûluspá‹ aus dem Altnordischen ins Deutsche ist entnommen Ar-

nulf Krause (Hg.), Die Götter- und Heldenlieder der Älteren Edda, Stuttgart 2004, S. 15, Str. 4–5.

124 Jucknies

Der altnordischen Überlieferung zufolge haben also die höheren Mächte die Erde und die Zeit mithilfe der Gestirne geordnet; der Mond wird an anderer altnordi-scher Stelle sogar als ártali (›Jahreszähler‹) bezeichnet.3 Im vorliegenden Beitrag soll es jedoch nicht ausschließlich um die Zeitberechnung im alten Norden ge-hen – diese ist ausführlich erforscht und nachgerechnet worden –,4 sondern es soll ein Bezug hergestellt werden zwischen diesen mittelalterlichen Berechnungen und dem, was ich hier Zeitenrechnung nennen möchte – um Geschichtsschreibung, insbesondere die isländische Annalenschreibung.

Zunächst möchte ich hier einen Überblick bieten über die isländischen An-nalen, über Zeitenrechnung und Zeitberechnung auf Island, um danach auf eine isländische mittelalterliche Handschrift zu sprechen zu kommen, die in diesem Zusammenhang von Interesse ist und – wie ich denke – anschaulich zu zeigen ver-mag, wie beide Fachgebiete – Annalistik und Komputistik – miteinander verknüpft sind und wie sie gemeinsam eines der verschiedenen Weltbilder des Mittelalters skizzieren. Zunächst ist hierfür sicher notwendig, die Begriffe ›Zeitenrechnung‹ und ›Zeitberechnung‹ zu klären.

1.1 Die Begriffe Zeitenrechnung und Zeitberechnung

Unter ›Zeitenrechnung‹ möchte ich die historische Geschichtsschreibung fassen, gemeinsam mit der ihr eigenen Art der Angabe von Zeiträumen und Zeitpunkten, das heißt, die literarische Komponente der von mir untersuchten Texte, die sich mit der Vergangenheit beschäftigen, steht hier im Vordergrund; der Fokus liegt dabei auf der Annalistik. Mit dem Begriff ›Zeitberechnung‹ beziehe ich mich auf die eher mathematische, kleingliedrigere Beschäftigung mit der Errechnung vor allem von Daten, die in der Zukunft liegen. Vielleicht könnte man auch die beiden Begriffe ›Chronistik‹ und ›Chronologie‹ verwenden, um die Bedeutungsunterscheidung her-auszustellen. Warum ich dies nicht tue, werde ich im folgenden erläutern.

1.2 Geschichtsschreibung in Island

Ähnlich wie in Mitteleuropa existieren in Skandinavien unterschiedliche Begriffe und Gattungen der Geschichtsschreibung. Grundsätzlich fi nden sich verschiedene Traditionen wieder, die aus dem Süden Eingang in die skandinavische Historiogra-phie gefunden haben. Hierbei besteht allerdings ein großer Unterschied zwischen

3 Die Idee zur Einleitung dieses Artikels wurde aufgegriffen nach Natanael Beckman, Is-ländsk och medeltida skandinavisk tideräkning, in: Martin Nilsson (Hg.), Tideräkningen (Nordisk kultur 21), Stockholm etc. 1934, S. 5–76, hier (auch zur Bezeichnung ártali) S. 5.

4 Vgl. hierzu ebd. sowie zuletzt den Aufsatz von Þorsteinn Vilhjálmsson, Time-recko-ning in Iceland before literacy, http://raunvis.hi.is/~thv/time.html (13.06.2008).

125Die Welt in einer Handschrift

altwest- und altostnordischer Tradition, denn der ›Osten‹, also die altdänischen und altschwedischen Sprachgebiete, wurde sehr stark von der niederdeutschen Kultur geprägt. Dies schlägt sich nicht nur sprachlich, sondern auch literarisch nieder, indem hier Chroniken in Reimform verfasst werden, die es im ›Westen‹ nicht gibt. Im Altnorwegischen und Altisländischen sind auch Prosachroniken sel-ten – Geschichte wird stattdessen in Annalen- oder in Sagaform verfasst.5

Weder die eine noch die andere der beiden letztgenannten Gattungen möchte ich unter dem Begriff der Chronistik fassen, auch wenn dieser Begriff hier somit sehr eng verwandt wird. Dadurch lässt sich jedoch meines Erachtens eben der Un-terschied in der nordöstlichen und nordwestlichen Tradition ausdrücken.

Als eine literarische Sonderform der Geschichtsschreibung gibt es auf Island die ›Íslendingabók‹ und die ›Landnámabók‹, zwei sich nahe stehende Werke über die Besiedlung Islands, die etwa in den Jahren 870–930 stattfand. Diese beiden »Bücher« beschreiben systematisch, in welcher Reihenfolge Island besiedelt wur-de, und von wem und auf welche Teile des Landes genau Besitzanspruch erhoben wurde. Sie haben also neben der ersten Erzählung menschlicher Siedlung auf Island auch besitzordnende Funktion besessen. Im Text werden bisweilen episodenhaft Begebenheiten erzählt, die die meist norwegischen Landnehmerpersönlichkeiten und ihre Familien betreffen.6

Neben anderen als Vorbild dienenden Gattungen (etwa diejenige der Heiligen-viten, die eine sehr alte literarische Schicht im Norden darstellt) entstand in der Entwicklung aus diesen Episoden des ›Buchs der Isländer‹ und des ›Buchs von der Landnahme‹ die Gattung der Isländersaga, also diejenige Sagagattung, die außer-halb der Nordistik wohl für das gesamte Genre als typisch angesehen wird.

1.3 Der Begriff Saga

Hier ist nun eine Begriffsbestimmung des Ausdrucks saga nötig, denn dieses alt-nordische Wort für ›Geschichte‹ ist wie im Deutschen ein mehrdeutiger Begriff. Zum einen bezeichnet er die Geschichte im Sinne der historia, ebenso gut kann jedoch auch eine fi ktive Geschichte oder Erzählung damit beschrieben werden. Im Ostnordischen kommt in der Bedeutung auch noch das »Märchen« hinzu, doch dies ist eine spätere Entwicklung.

5 Vgl. zur ostnordischen Tradition der Geschichtsschreibung immer noch Hans Brix, Old-tidens og middelalderens litteratur i Danmark, in: Sigurður Nordal (Hg.), Litteraturhis-toria. A Danmark, Finland och Sverige, (Nordisk kultur 8), Stockholm etc. 1943, S. 3–63, hier S. 3–23 sowie Rolf Pipping, Den fornsvenska litteraturen, ebd., S. 64–128, hier S. 81–90. Zur altwestnordischen Tradition vgl. Heiko Uecker, Geschichte der altnordi-schen Literatur, Stuttgart 2004, S. 62–169 (die Kapitel Historiographische Literatur sowie Geschichtsdichtung).

6 Jakob Benediktsson (Hg.), Íslendingabók; Landnámabók (Íslenzk fornrit 1), Reykjavík 1968.

126 Jucknies

Die Begriffsvermengung kommt nicht von ungefähr: Lange Zeit wurden die isländischen Sagas, die sich in verschiedene Untergattungen teilen, als recht zu-verlässige historische Quellen betrachtet, und sie müssen – will man ihrer Zeit gerecht werden – absolut zum historischen Schrifttum gerechnet werden.7 Dies gilt vor allem für die bereits genannte Gattung der Isländersaga sowie für die so genannten ›fornaldar sögur‹ – die Vorzeitsagas, welche in einer Zeit vor der Besiedlung Islands spielen und zum Teil europäisches Sagengut wie etwa den Nibelungenstoff oder die Dietrichsage aufgreifen. Die »klassische« Isländersaga, wie etwa die ›Egils saga Skalla-Grímssonar‹ (die ›Geschichte von Egill, dem Sohn Skalla-Gríms‹)8 berichtet in ihrem Zentrum vom Leben des eponymen Skalden, doch ebenso wird von seinen Vorfahren und deren Auswanderung aus Norwegen berichtet, ihre Einwanderung nach Island erzählt, außerdem schließlich auf das Leben seiner Nachfahren eingegangen. Eigentlich handelt es sich hier also um eine ausufernde genealogische Literatur, die eben zum einen ihre Wurzeln in den Episoden der ›Landnámabók‹ hat, zum anderen aber vielleicht bis hin zu den aus einer frühen Tradition stammenden altnordischen Stammtafeln (langfeðgatal) und Königs- bzw. Bischofsreihen (konungatal, biskupa- und ábótatal) zurückge-führt werden kann.9

Diese Überlegungen führen zu der Frage nach dem Verhältnis der isländischen Annalen zu den Sagas und zu den Königslisten, deren älteste Vertreter wohl in etwa im gleichen Zeitraum wie die Isländersagas, also im 13. und 14. Jahrhundert, aufgeschrieben wurden. Es ist immer noch nicht eindeutig geklärt, ob die Annalen durch die Sagas oder die Sagas durch die Annalen beeinfl usst wurden.10

Die unten ausführlich behandelte Handschrift AM 415, 4to verbindet die Kö-nigs- und Bischofsreihen mit isländischer Annalistik. Dies ist eine recht häufi g an-

7 Der Beginn der wissenschaftlich-philologischen Beschäftigung mit den altisländischen Sa-gas fällt in die Zeit des Gotizismus im 17. Jahrhundert. Insbesondere in Dänemark (zu dem Island gehörte) und Schweden fand sich großes Interesse an diesem Schrifttum, mit dem versucht wurde, die eigene Geschichte glanzvoll darzustellen und bis weit in die Vergangenheit zu belegen, vgl. hierzu u. a. Inken Schmidt-Voges, De antiqua claritate et clara antiquitate Gothorum. Gotizismus als Identitätsmodell im frühneuzeitlichen Schwe-den (Imaginatio borealis 4), Frankfurt a. M. [u.a.] 2004.

8 Sigurður Nordal (Hg.), Egils saga Skallagrímssonar (Íslenzk fornrit 2), Reykjavík 1933; deutsche Übersetzung: Kurt Schier (Hg.), Egils saga. Die Saga von Egil Skalla-Grimsson, München 1996.

9 Vgl. Benediktsson, Íslendingabók (wie Anm. 6). 10 Beckman ging davon aus, dass sein rekonstruiertes Urannal (s. u.) von den Sagaverfassern

benutzt wurde, aber ein überzeugender Nachweis ist ihm nicht gelungen. Vgl. Natanael Beckman, Quellen und Quellenwert der isländischen Annalen, in: Xenia Lideniana. Fest-skrift tillägnad Professor Evald Lidén på hans femtioårsdag den 3 oktober 1912, Stock-holm 1912, S. 16–39, hier S. 39. Axelson dagegen ist für die Knýtlinga saga davon über-zeugt, dass aus diesem Text die isländischen Annalen geschöpft haben, vgl. Sven Axelson, Sverige i utländsk annalistik 900–1400 med särskild hänsyn till de isländska annalerna, Stockholm 1955, S. 324.

127Die Welt in einer Handschrift

zutreffende Zusammenstellung; eine direkte Nebeneinanderstellung von Annalen und Sagas in ein und derselben Handschrift ist mir hingegen aus mittelalterlichen oder spätmittelalterlichen Quellen nicht bekannt.

1.4 Besonderheiten der isländischen Annalenschreibung

In vielen Zügen der isländischen Annalistik ist natürlich erkennbar, dass sie einer europäischen Tradition der Geschichtsschreibung entspringt – hier wie anderswo waren die Verfasser von Annalen vor allem Geistliche, die ihre literarische wie stilistische Ausbildung selbstverständlich im entsprechenden klösterlichen Umfeld und auf Latein absolviert hatten. Dennoch gibt es im Norden einige Abweichun-gen von der kontinentalen Tradition.

Eine Besonderheit etwa der isländischen Annalenschreibung ist zum einen die im Unterschied zum Kontinent sehr weit in die Neuzeit reichende Weiterführung dieser Form der Geschichtsschreibung.11 Grundmann führt für die deutsche Tra-dition knapp aus: »In Deutschland war ihre [der Annalistik] große Zeit schon im Spätmittelalter vorüber.«12 Dies kann von der lange andauernden Tradition auf Island nicht behauptet werden.

Eine weitere Besonderheit ist die lange Beibehaltung der Jahreszählung nach Indiktionsjahren sowie nach der Ostertabelle. Diese Form der Chronographie war auch auf dem Kontinent ursprünglich maßgeblich, wurde jedoch seit dem 8. Jahr-hundert schon nach und nach durch die Zählung ab der Geburt Christi abgelöst.13 Man kann also sagen, dass die isländische Annalistik von einer länger andauern-den Kontinuität in der Methode geprägt ist als die kontinentale Annalenschrei-bung. Auf die Gründe hierfür ausführlicher einzugehen, ist hier nicht der Raum; meines Erachtens mag die isolierte Lage der Insel am Rande der bekannten und bewohnten Welt eine Rolle gespielt und Neuentwicklungen verzögert haben.

Beckman vermutet, dass die Gestaltung der Ostertabellen mit ihren großen Lücken den Schreibern gute Gelegenheit bot, zur Zeit des alljährlichen Allthings, das nicht nur der Rechtsprechung, sondern auch dem Handel und nicht zuletzt dem Austausch von Neuigkeiten diente, die Leerräume in den Tabellen mit (an-

11 Vgl. hierzu die maßgebliche Ausgabe Annales islandici posteriorum sæculorum. Annálar 1400–1800, 8 Bde., Reykjavík 1922–2002; darin beispielsweise der Sauðlauksdalsannáll, der von 1400–1778 reicht. Für die Zeit vor 1400 ist die Ausgabe von Gustav Storm, Islandske Annaler indtil 1578 (Det norske historiske Kildeskriftfonds Skrifter 21), Chris-tiania 1888 maßgeblich.

12 Herbert Grundmann, Geschichtsschreibung im Mittelalter. Gattungen – Epochen – Ei-genart, 2., durchges. Aufl ., Göttingen 1965, S. 28.

13 Vgl. den Aufsatz von Werner Bergmann, Chronographie und Komputistik bei Herr-mann von Reichenau, in: Dieter Berg, Hans-Werner Goetz (Hg.), Historiographia mediae-valis. Studien zur Geschichtsschreibung und Quellenkunde des Mittelalters. Festschrift für Franz-Josef Schmale zum 65. Geburtstag, Darmstadt 1988, S. 103–117.

128 Jucknies

nalistischen) Bemerkungen aufzufüllen, die über die auf dem Kontinent übliche Verzeichnung von Regierungsjahren geistlicher und weltlicher Herrscher hinaus-gingen.14

Eine kurze Vorstellung der isländischen mittelalterlichen Annalen und ihrer Quellen sowie einige Überlegungen zu ihrer europäischen Tradition sollen hier nun der Beschäftigung mit einem konkreten Textzeugen, einer isländischen kom-putistisch-annalistischen Handschrift des 14. Jahrhunderts, vorangehen.

Die vier ältesten erhaltenen Redaktionen isländischer Annalen wurden um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert niedergeschrieben. Sie gehen auf einen ge-meinsamen Ursprung zurück, der vermutlich um 1280 entstanden ist.15 Es sind dies die ›Annales Reseniani‹, die ›Annales vetustissimi‹ (von denen unten noch die Rede sein wird), ›Høyers annáll‹ und die ›Annales Regii‹. Die erhaltenen Textzeu-gen stammen alle aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts.16

Ein gemeinsamer Zug dieser Annalen ist zum einen, dass sie auszugsweise oder stark verkürzt ausländische Ereignisse seit der Geburt Christi verzeichnen. Zum Teil sind diese Ereignisse auf die Todesdaten von Kaisern, Königen und Päpsten beschränkt; diese und weitere Angaben stammen aus unterschiedlichen lateini-schen Quellen wie etwa der ›Historia scholastica‹ des Petrus Comestor.17

Das chronologische System der isländischen Annalen baut auf dem Osterzyk-lus auf und gibt die einzelnen Jahre nicht mit der Zahl des Inkarnationsjahrs an, sondern mit dem entsprechenden Sonntagsbuchstaben und dem Lunarbuchstaben (prikstafr), die in den isländischen Ostertabellen verwendet wurden. Die Jahres-zahlen werden lediglich für jedes zehnte oder zwanzigste Jahr angegeben.18

Die isländischen Quellen der Annalen sind vor allem die (nach den so genann-ten Heiligensagas) zweitälteste der überlieferten Sagagattungen, nämlich die auf altisländisch verfassten (norwegischen) Königssagas, außerdem die oben erwähn-te ›Íslendingabók‹ als eine Vorläuferin der ›Landnámabók‹, die die Besiedlung Is-lands von 871 bis 930 beschreibt und eine große Anzahl von Personen- und Orts-namen verzeichnet und der sukzessiven Besiedlung der Insel durch die einzelnen Landnehmer zuordnet.

Für die in den Annalen aufgeführten Daten zur skandinavischen Geschichte sind vor allem schwedische und dänische Geschichtswerke als Quellen anzufüh-ren, so etwa die ›Annales Sorani‹.19

14 Vgl. Beckman, Quellen (wie Anm. 10), S. 27f. 15 Vgl. ebd., S. 20ff. Beckman versucht in diesem Aufsatz, ein Urannal zu rekonstruieren,

was allerdings in der weiteren Forschung nicht akzeptiert wurde. 16 Vgl. Storm, Islandske Annaler (wie Anm. 11), S. LXXIII. 17 Vgl. hierzu die Ausführungen ebd., LXXVIf.18 Vgl. Jakob Benediktsson, Art. Årböcker. Island, in: Kulturhistorisk leksikon for nordisk

Middelalder fra vikingetid til reformationstid Bd. 20, Kopenhagen 1976, Sp. 435–437.19 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Axelson, Utländsk annalistik (wie Anm. 10), S. 314–328,

der im Anhang einen Exkurs mit einer Synopse paralleler Stellen in den isländischen und

129Die Welt in einer Handschrift

In der Entwicklung der Gattung ist ein Wandel von äußerst knappen Auf-zeichnungen, die neben der Jahreszählung zunächst fast ausschließlich aus den Namen der jeweils im Amt befi ndlichen Päpste und dann Könige bestehen, hin zu immer ausführlicheren Beschreibungen von lokal wie temporal immer näher rückenden Ereignissen zu erkennen. Ein eindrückliches Beispiel hierfür wären die oben erwähnten ›Annales Reseniani‹. Die ›Annales vetustissimi‹, die unik im nun folgenden Handschriftenbeispiel überliefert sind und weiter unten auch inhaltlich näher beleuchtet werden sollen, stellen diese Entwicklung ebenfalls sehr deutlich dar, denn eine Lücke von 270 Jahren zwischen den Jahren 1000 und 1270 stellt die unterschiedliche Notierausführlichkeit im Manuskript optisch direkt neben-einander.

Zunächst sind hier im folgenden die Angaben zum Manuskript und dessen Inhalt bewusst deskriptiv gehalten, um einen Eindruck des Textzeugnisses zu vermit-teln. Die Inhaltsbeschreibung des Katalogs ist nach heutigen Maßstäben ungenau, denn es ist klar erkennbar, dass Kristian Kaalund, der Verfasser des Handschrif-tenkatalogs, die exakte Erfassung kleinerer, insbesondere fachtextlicher Fragmen-te vernachlässigte, obwohl gerade er derjenige war, der später genau diese kleinen Textfragmente und kurzen Absätze edierte. Dort fi ndet sich dann auch (nach der schon ausführlichen Beschreibung bei Storm) eine genauere Betrachtung der ein-zelnen Texte.20

›Alfræði íslenzk‹, die dreibändige Edition isländischer enzyklopädischer Lite-ratur, zeigt die hier aufscheinenden fachtextlichen Fragmente bzw. Einschübe als in eine inhaltliche Zusammenstellung verschiedener komputistischer und enzy-klopädischer Texte eingebunden. Der erste Band ist die Edition einer einzelnen Handschrift, AM 194, 8vo, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Der zweite Band trägt den Titel ›Rimtûl‹ und fasst vor allem astronomisch-kom-putistische Texte einer recht großen Anzahl isländischer Handschriften zusammen. Der dritte Band schließlich stellt verschiedene Handschriftentexte zur Geographie (›Landalýsingar‹) zusammen. Der Entstehungszeit der Edition gemäß sind hier die verschiedenen Textstücke nach dem Inhalt zusammengefügt und auch kleinere Versatzstücke zu einem Textganzen zusammengestellt, damit aber vollständig aus dem Überlieferungszusammenhang gerissen und emendiert worden, so dass aus der Edition heraus Schwierigkeiten bestehen, den Inhalt der kleineren Textein-heiten der Handschrift in seiner ursprünglichen oder tatsächlichen Reihenfolge zu rekonstruieren. Die bei Storm gelieferte etwas ausführlichere Beschreibung ist,

den dänischen Annalen bietet; außerdem ders., Sverige i dansk annalistik 900–1400 (Kungl. Vitterhets historie och antikvitets akademiens handlingar. hist ser. 3), Stockholm 1956.

20 Kristian Kaalund (Hg.), Alfræði íslenzk. Islandsk encyklopædisk litteratur 3 Bde (Sam-fund til Udgivelse af Gammel Nordisk Litteratur 37, 41, 45), Kopenhagen 1908–18 (hier-nach zit. als AÍ I–III).

130 Jucknies

wie erwähnt, ausführlicher und exakter, doch auch sie ersetzt eine Einsichtnah-me in das Original nicht.21 Zum größten Teil liegt die Handschrift also in Edi-tion vor, allerdings verstreut auf drei verschiedene Bände zweier verschiedener Herausgeber. Die lateinischen Textteile wurden in den Editionen Kaalunds nicht berücksichtigt.22 Für die hier angestrebte Deutung der textlichen Gestaltung der Gesamthandschrift und deren Perspektive auf die Welt ist die folgende lineare Beschreibung also erforderlich.

2.1 Der Inhalt der Handschrift AM 415, 4to

Die in Reykjavík aufbewahrte Handschrift AM 415, 4to der Arnamagnäanischen Sammlung besteht aus lediglich 12 Blatt. Sie enthält außer annalistischen Ausfüh-rungen verschiedene enzyklopädische Aufzeichnungen und Illustrationen.

Die isländische Kalbpergamenthandschrift stammt aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts und wurde im Wesentlichen von einer Hand geschrieben.23 Die beiden ersten Blatt sind stark defekt, von Blatt 1 ist nur die untere Ecke, von Blatt 2 nur ein kleiner Fetzen nahe der Bindung erhalten. Blatt 1r enthält vor al-lem lateinische Aufzeichnungen (zu den Weltaltern, über die Namen der Frauen in der Arche, über Tierlaute sowie zu einigen lateinischen Buchstaben). Die Rücksei-te sowie der Beginn der ersten Seite des zweiten Blattes werden durch eine (unvoll-ständige) Aufzählung der isländischen Fjorde ausgefüllt. Blatt 2 enthält außerdem Aufzeichnungen zu den lateinischen Zahlwörtern.

Blatt 3–4r werden von einer Papstreihe (páfatal) eingenommen, die mit ei-ner kurzen Einleitung versehen ist. Sie reicht vom Apostel Petrus bis Nikolaus IV. (–1292) mit Angaben zur Regierungszeit in Jahren, Monaten und Tagen, später al-lerdings durch dieselbe Hand ergänzt durch die Namen der vier darauf folgenden Päpste (Bonifacius, Benedictus, Eugenius, Clemens (dessen Regierungszeit 1314 endete).

21 Storm, Islandske Annaler (wie Anm. 11), S. VII–X. Auch für die Analyse der Layoutge-staltung der Handschrift war dies vonnöten. Kopien der Handschrift (nach Photogra-phien) wurden mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Det Arnamagnæanske Institut, Københavns Universitet, Kopenhagen.

22 AÍ III 44, 4–5, 45–52, AÍ II 18–22, 27–31, (Abb. der Planetensphären nach AM 736 I, 4to in Rimbegla, 110), AÍ II 321–233, Storm, Islandske Annaler (wie Anm. 11), S. 31–54, AÍ III 52–54, Storm, Islandske Annaler (wie Anm. 11), S. 49–54, AÍ III 54–62. (Rimbegla = Stefán Björnsson, Rymbegla sive rudimentum computi ecclesiastici et annalis veter-um Islandorum, Kopenhagen 1780). Mit Ausnahme der letzten Angabe aus AÍ II sind die in diesem Band edierten Textteile lediglich im Variantenapparat aufgeführt und müssen danach rekonstruiert werden.

23 Vgl. für die Beschreibung der Handschrift Kommissionen for det Arnamagnæans-ke Legat (Hg.), Katalog over den Arnamagnæanske Håndskriftsamling, Kopenhagen 1888–1894, S. 618–20 sowie Storm, Islandske Annaler (wie Anm. 11), S. VII–X, der eine genauere Analyse der weiteren Hände vornimmt.

131Die Welt in einer Handschrift

Blatt 4v–6r der Handschrift AM 415, 4to sind auf Isländisch und Latein von einem computus ecclesiasticus (›Stjûrnu-bókar-fræði‹) bedeckt, der auf Blatt 5r auch illustriert ist, und zwar dem geozentrischen Weltbild gemäß (einschließlich der Sonne) mit den als konzentrische Kreise gestalteten Planetensphären. Blatt 6v enthält das ›Stjûrnu-Odda-tal‹, einen altnordischen Text, der ebenfalls die Astro-nomie zum Thema hat. Stjûrnu-Oddi beschäftigte sich vorwiegend mit der Berech-nung des Sonnenstands zur Sonnenwende, aber auch mit dem Ort des Sonnenauf-gangs zu den verschiedenen Zeiten des Jahres. Diese Berechnungen stellte Oddi selbst an, denn sie gelten für seinen geographischen Heimatort und sind somit natürlich nicht auf kontinental- oder mitteleuropäische Längen- und Breitengrade übertragbar.24

Auf Blatt 7–11r der Handschrift folgen schließlich die isländischen ›Annales vetustissimi‹ (›Forni annáll‹) die – mit einer großen Lücke für die Jahre 1000–1269 – von Christi Geburt bis in das Jahr 1313 reichen. Hier gibt es eine Unregel-mäßigkeit zu verzeichnen: Auf Blatt 9v enden die annalistischen Aufzeichnungen nach knapp der Hälfte der ersten Spalte der Seite mit dem Jahr 999. Daneben und darunter sind von derselben Hand andere Notizen eingefügt, die einen fort-laufenden Text in mehreren Absätzen bilden. Es sind dies kleinere isländischspra-chige enzyklopädische, vor allem komputistische Texte: zu den Weltaltern, zu Abrahams Geschlecht, zu Längenmaßen, zur Berechnung des Erdumfangs, ein Vergleich verschiedener Maßeinheiten, die Einteilung Griechenlands (unter Beru-fung auf Isidor von Sevilla) als Quelle, zur Kreisberechnung sowie Angaben zum Durchmesser von Erde und Sonne. Diese Texte sind nun wieder der europäischen Tradition geschuldet und aus dem Lateinischen übersetzt. Sie sind eine Abschrift einer nicht erhaltenen Handschrift, von der es allerdings andere Abschriften gibt (u. a. AM 764, 4to), in denen der Text noch weitergeführt wird. Offensichtlich ist hier tatsächlich vor allem der Raum ausgefüllt worden, nachdem der Schrei-ber dachte, dass er doch die Annalenlücke seiner Vorlage nicht mit einer anderen Quelle würde schließen können.

Auf Blatt 10r werden die vorher begonnenen Annalen mit dem Jahr 1270 fortgesetzt, allerdings in anderer optischer und inhaltlicher Gestaltung als vorher (s. u.). Sie enden auch schon auf Blatt 11r bereits in der dritten Zeile. Es sieht so aus, als ob der Schreiber hier nach und nach seine Arbeit eingestellt hätte. Die Auf-zeichnungen werden immer knapper und sind zum Teil von anderer Hand ergänzt, bis schließlich nur noch die Jahreszahlen (das heißt Sonntags- und Lunarbuchsta-ben) angegeben werden. Lediglich längsseitig ist ein kleiner Satz eingetragen, der eine Person namens Magni recht negativ beurteilt – dies klingt wie ein Zeugnis-satz. Auf wen genau sich dieses Urteil bezieht, ist unklar – die Eintragung stammt aber wohl aus späterer Zeit.

24 Stjûrnu-Oddi, ein isländischer Gelehrter des 12. Jahrhunderts, der umfassende astrono-mische Kenntnisse besaß und dem auch ein literarischer Text, der ›Stjûrnu-Odda draumr‹, zugeordnet ist (vgl. Beckman, Tideräkning [wie Anm. 3], S. 17–20).

132 Jucknies

Auf Blatt 11v der Handschrift setzt wieder der erste Schreiber mit einigen norwegisch-isländischen Bischofs- und Äbtereihen (erkibiskupatal, biskupatal, ábótatal) ein, gefolgt von einer Aufzählung der Ahnen der norwegischen Köni-ge (›Langfeðgatal‹). Ergänzt wird die Ahnenreihe anschließend durch entspre-chende Angaben über die dänischen und schwedischen Königsahnen (jeweils die Nachkommen von Ragnar loðbrók bis hin zu Erik Menved bzw. Birger Mag-nusson), gefolgt von Angaben zur Ahnenreihe von Noah bis zum norwegischen König Harald Schönhaar, zudem reichend vom mythischen Gott Odin bis hin zu Hûrða-Knútr, dem Sohn von Sigurd Schlange-im-Auge. Der Rest der Handschrift wird von einem Exzerpt eingenommen, das aus den ›Gesta Hammaburgensis‹ von Adam von Bremen – reichend vom Krieg Ottos I. gegen Dänemark bis zum Fall Olaf Tryggvasons im Jahr 999 – entnommen worden ist. Interessanterweise endet also dieses Exzerpt dort, wo auch der erste Teil der ›Annales vetustissimi‹ abreißt. Von der optischen Gestaltung her erinnert Blatt 12r, wo in einer schmaleren lin-ken Kolumne die Ahnenreihen gelistet sind und in der rechten, breiteren Spalte das Exzerpt verzeichnet ist, an eben Blatt 9v mit dem Ende des ersten Annalteils und den enzyklopädischen Aufzeichnungen. Es ist schwierig, Aussagen über die Vorlage des Schreibers zu treffen – war diese schon inhaltlich so geteilt, oder hat der Schreiber selbst die Texte bewusst so zusammengestellt? Diese Überlegungen müssen wohl Spekulation bleiben, aber es könnte wohl sein, dass tatsächlich letz-teres der Fall war, denn stilistisch sind die beiden Annalenteile sehr divergierend. An dieser Stelle lässt sich, wie ich meine, die enge Verknüpfung zwischen Zeiten-rechnung und Zeitberechnung aufzeigen.

Während sonst eine enge Verbindung dadurch bestand, dass die annalistischen Aufzeichnungen Einträge in die Ostertabellen darstellten, liegt hier der Fall anders, denn hier schließen die Annalen die Komputistik im wahrsten Sinne des Wortes ein; sie bilden einen Rahmen um die Berechnungen herum. So verbindet sich im Unterschied zu den Tabellen hier die historiographische Praxis mit der komputis-tischen Theorie.

2.2 Die ›Annales vetustissimi‹

Was verzeichnen nun die in AM 415, 4to überlieferten Annalen? Sie beginnen mit dem Jahr der Inkarnation und reichen bis 1313 mit einer Lücke von knapp 270 Jahren. Bemerkenswert für die isländischen Annalen ist, wie erwähnt, dass die Jahre nicht in arabischen Ziffern angegeben werden, sondern mit den Jahresbuch-staben der Ostertafeln. Lediglich jedes zehnte Jahr wird mit der entsprechenden Zahl angegeben. So sind also für jedes Jahr die Sonntags- und die Lunarbuchsta-ben angegeben. Diese Zählung ist durchgehend. Eingeleitet werden die Annalen durch eine temporale ›Vorordnung‹ der Zeit nach der Bibel:

»Diese Annalen setzen ein, als Gabriel die Gottesmutter Maria besuchte. Da waren seit dem Beginn der Welt 5199 Jahre vergangen, 25 Jahre seit dem Beginn

133Die Welt in einer Handschrift

der Herrschaft des Kaisers Augustus, seit Abraham 2015 Jahre, und seit der Flut bis zu Abraham 842 Jahre. Und vom Beginn der Welt bis zur Flut Noahs 2242 Jahre. Ab inicio mundi 5199. indictus 3.«25

Die Geburt Christi wird natürlich angezeigt, Kaiser Tiberius, das Gebot der Was-sertaufe durch Johannes, die Wandlung von Wein in Wasser, die Gefangensetzung von Johannes dem Täufer, seine Hinrichtung, die Passion und die Auferstehung Christi, die Steinigung des Stephanus. Der nächste Eintrag betrifft die Himmel-fahrt Mariä, die Aussendung der Apostel verbunden mit der Anmerkung, dass sie das Credo in unum Deum gedichtet hätten. Petrus nimmt seinen Stuhl ein. Bis zum Jahre 751 werden so Daten vor allem geistlicher Herrscher, sprich der Päpste, aber auch weltlicher Herrscher (Geburt Dietrichs von Bern, König Artus’, Karls des Großen) verzeichnet, mit einer gewichtigen Ausnahme: den Daten zu den verschiedenen Übersetzungen der Bibel. Im Jahr 751 wird zum ersten Mal von einem Naturereignis gesprochen – wenn man es so nennen kann: »Die Erde platzte auseinander in Mesopotamien und da kam ein Wesen, gewachsen wie ein großer Klumpen, und sagte mit Menschenstimme die Wanderung des Volkes aus der Wüste in Arabien voraus.«26

Die ersten Eintragungen, die Skandinavien direkt betreffen, sind die Totschlä-ge des Friesenkönigs Eirík und des Jütenkönigs Guðfróðr (810) und die Geburt von Harald Schönhaar im Jahr 852. Island selbst wird natürlich erst mit der Be-siedlung erwähnt, im Jahr 874: »Adrianus Papst, 5 Jahre, Beginn der Besiedlung Islands«27 steht hier lapidar. Die Inbrandsteckung Kölns ist übrigens ebenfalls eine Erwähnung wert (884: »Da fuhren die Dänen den Rhein hinauf und verbrannten Köln, da herrschten die beiden Anführer Sigfriðr und Guðfriðr.«28) So schreitet die Geschichtsschreibung fort, bis hin zum Fall König Óláfs, des rex perpetuus Norwegiae im Jahr 999.

An dieser Stelle nun klafft die erwähnte inhaltliche wie räumliche Lücke. Die Aufzeichnungen komputistischer Art, die diese Lücke inhaltlich sicher nicht erset-zen können oder sollen, lassen sich doch, wie oben angedeutet, in einen Zusam-menhang mit der Annalenschreibung bringen.

Die Textpassage zu den sechs Weltaltern bietet beispielsweise Angaben, die man nicht selten in den Handschriften vor annalistischen Aufzeichnungen ge-

25 Annall þessi tekr til a þi sem Gabriel vitraþiz gvðs moþvr Marie. Þa var liþit frra vpphafi hems .5199. ara. halfr fi mti togr ara fra vpphafi rikis Augusti Cesaris. Fra Abraham 2015 ar. Enn fra fl oði til Abraham 842 ár. Enn fra vpphafi heims til Noa fl oðs 2242 ar. Ab inicio mundi 5199 indictus .3., zitiert nach Storm, Islandske Annaler (wie Anm. 11), S. 33. Die Übersetzungen aus diesen Annalen stammen von mir.

26 Sprak i svndr iorð i Mesopotamia ok com þar vpp eitt kvikvendi uaxit sem mull ok sagði fyrir með mannz rauddo agang þioða or eyði mork j Arabie. Vgl. ebd., S. 44.

27 Adrianus papa .v. ar. Vpphaf Islandz bygðar. Vgl. ebd., S. 46.28 Þa helldv Danir vpp eptir Rin ok brendo Kolne þar varv hofþingiar fyrir Sigfreðr oc Guði-

freð. Vgl. ebd.

134 Jucknies

schrieben fi nden kann – hier stehen sie nun mittendrin und sind eingebunden in einen Überlieferungszusammenhang, der auch in anderen Handschriften auf-scheint. Hinter diesem ersten enzyklopädischen Text fi nden sich geographische In-formationen. Als Quelle wird hier Isidor von Sevilla (»So sagt Ysodorus in seinem Buch«29) angegeben und es werden die sieben Landschaften Griechenlands aufge-zählt. Ein Teil der Welt wird also geographisch zugeordnet. Genealogisch wird die Welt ebenfalls geordnet durch die Angaben zu Abrahams Geschlecht (die am Ende der Handschrift in den genealogischen Reihen eine Fortsetzung fi nden). Die Kreis-berechnung ist ein Beitrag aus der Geometrie und führt zu weiteren theoretischen Berechnungen, das heißt Angaben zum Umfang von Erde und Sonne. Damit sind die enzyklopädischen Versatzstücke auf diesem Blatt abgeschlossen.

Mit dem Jahr 1270 setzt in der Handschrift dann die Annalenschreibung wie-der ein, ausführlicher als zuvor mit Angaben zu Ein- und Ausreisenden nach Is-land neben Informationen über nordische Bischöfe und Gesetzessprecher (lögsö-gumenn, die jedes Jahr auf dem Allthing das Gesetz verkündeten). Insbesondere die Einführung neuer Gesetze wird vermerkt. Außerdem fi nden hier historische Ereignisse auf dem Kontinent sowie verschiedene Naturereignisse und Katastro-phen, wie etwa der Ausbruch des Vulkans Hekla und ein großes Schiffsunglück im Jahr 1300, weiterhin Eingang in die Aufzeichnungen. Mit dem Jahr 1303 werden die Eintragungen durch die Haupthand immer spärlicher, es ist aber Platz für weitere Aufzeichnungen gelassen, die zum Teil von zwei weiteren Händen einge-tragen wurden, jedoch ebenfalls den Platz nicht ausfüllen. Schließlich sind für das letzte Jahr 1314 lediglich der Sonntags- und der Lunarbuchstaben ohne weitere Angaben verzeichnet.

Das Ende des hier vorliegenden Annalentextes bildet also für die erste Hand das Jahr 1308 mit einem Eintrag über eine große Epidemie auf Island und ein großes Sterben im Süden des Landes. Einige kleinere Aufzeichnungen folgen noch in einer zweiten und in einer dritten Hand. Den Schlusspunkt bildet dann eine Anmerkung über den Beginn des großen Kirchenbaus in Skálholt, dem ersten Bi-schofssitz Islands im Jahr 1311, gefolgt von Todesdaten einiger Priester und zu-letzt des Bischofs Jorund Þorsteinsson von Hólar. Es ist spekuliert worden, dass diese Annalen im Auftrag dieses Bischofs erstellt worden sein sollen, weil sie mit seinem Tod abbrechen. Zur Erinnerung: Auch die in der vorliegenden Handschrift überlieferte Papstreihe endet mit dem Papst, der 1314 verstarb (s. o.), was darauf schließen ließe, dass das Manuskript und der Text um diesen Zeitpunkt herum verfasst wurden.

29 Sva segir Ysodorus i sinni bók, vgl. Kaalund, AÍ III (wie Anm. 20), S. 54.

135Die Welt in einer Handschrift

3 Fazit

Abschließend möchte ich die vorgestellte Handschrift als ein Beispiel für die mit-telalterliche Abbildung der Welt auf wenigen Pergamentblättern bezeichnen, denn sie vereint die räumliche Verortung mit der zeitlichen Dimension. Angeführt wird erstere durch die Verzeichnung der bekannten, greifbaren Welt eines Isländers in der Aufl istung der isländischen Fjordnamen, fortgeführt in den Angaben der Annalen zu historischen Schauplätzen, ergänzt durch eine kosmische Dimensi-on in der Illustration zu den Planetensphären, schließlich in den mathematischen Aufzeichnungen zur Kreis- und Umfangsberechnung. Die zeitliche Dimension ist vertreten durch die konkrete Berechnung der Ostertermine, die ihrerseits ihre Fortführung in den Annalen fi ndet, die die Osterrechnung mit historischen Daten verbinden. Die vielen nordischen Stammbäume verorten die Skandinavier nicht nur in der zeitlichen und räumlichen, sondern auch in der sozialen Dimension. Das die Handschrift beendende Exzerpt aus der Kirchengeschichte Adams von Bremen ließe sich als ein kontinentaler Refl ex der Herrscherverhältnisse, der wie-derum zurück ins Nordische gespiegelt wird, interpretieren. Die Annalen fänden hier also einen passenden kosmographischen und historiographischen Rahmen. Gemeinsam bieten sie vielleicht ein Weltbild einer kleinen Gemeinschaft geistli-cher Gelehrter auf Island.

Ich möchte hier nicht die These aufstellen, die vorliegende Handschrift sei ein sorgfältig zusammengestelltes Konstrukt eines gelehrten Schreibers – dazu war vielleicht schon die Zugänglichkeit passender Vorlagen nicht gegeben. Dennoch denke ich, dass das Manuskript als ein Beispiel dafür gesehen werden kann, wie zunächst etwas wahllos zusammengestellte Textversatzstücke doch von einer ord-nenden Hand gestaltet wurden.

Die in dieser Handschrift vorgestellte Gesamtschau zeigt wohl eine sehr kleine isländische Welt – dennoch blickt sie geographisch wie historisch aus der Nähe in die Ferne und ist eingebettet in eine europäische gelehrte Tradition, die versucht, sich aus verschiedenen Blickwinkeln heraus die Welt zu erklären.

Die Natur als GradmesserNatur- und Wunderberichte in der ›Sächsischen Weltchronik‹

Meike Pfefferkorn

Naturkatastrophen haben den Menschen zu keiner Zeit unberührt gelassen. Auch heute noch, in einer Zeit, die Sonnenfi nsternisse voraussagen und erklären, Hur-rikane im Fernsehen mitverfolgen kann, üben sie auf uns den zweifelhaften ›Reiz‹ des Unkontrollierbaren aus. Besonders die Boulevardpresse erfreut den Leser dann mit Formulierungen wie ›apokalpyptisches Szenario‹ in Bezug auf die jüngs-ten Waldbrände in Kalifornien oder nennt die durch den Klimawandel hervorge-rufenen Naturkatastrophen die ›Apokalypse der Zukunft‹. Wenn die Natur sich unkontrollierbar gebärdet, fühlen sich die Menschen zu allen Zeiten hilfl os und sehen in den Katastrophen mehr als ein einfaches geologisches Ereignis. Auch in unserer aufgeklärten Welt werden sie als Vorboten von Schlimmerem angesehen, in der heutigen Zeit ist es die Erderwärmung und damit die ›Klimakatastrophe‹, die sie ankündigen.

Wenn gewaltige Naturereignisse als Katastrophen verstanden und beschrieben werden, wird damit auf die eigene, zeittypische Wahrnehmung der gegenwärti-gen Welt referiert. Für das Mittelalter ist es nicht die Boulevardpresse, sondern die Geschichtsschreibung und hier vor allem die Weltchronik zu den Medien, in denen sich solche Referenzen gut erkennen lassen. Ihre Lektüre bietet eine hervor-ragende Möglichkeit, sich dem Geschichts- und Zeitbewusstsein dieser Epoche anzunähern. Denn das ihr zugrunde liegende Geschichtsverständnis eines linearen Weltenlaufes, der auf einen göttlichen Heilsplan ausgerichtet ist und diesem auf das Ende hin folgt, bietet die Möglichkeit, danach zu fragen, an welchem Punkt der Geschichte sich der Verfasser eines solchen Werkes wähnt.1 Zur Verortung der eigenen Zeit innerhalb dieses Planes dienten dem Chronisten Begebenheiten wie

1 Denn ›Ziel‹ der Geschichtsschreibung ist es gewesen, die eigene Zeit in diesen Plan ein-zuordnen und zu überprüfen, an welchem Punkt der Geschichte man sich befi ndet. Ge-schichtsschreibung ist »[...] der zentrale Ort für die geistige Auseinandersetzung des Zeit-genossen mit der ihn umgebenden Wirklichkeit und der Niederschlag jener immer wieder erneuten Bemühungen, den eigenen geschichtlichen Standort auf dem Hintergrund der Vergangenheit zu bestimmen, die geschichtliche Tradition an die Gegenwart heranzufüh-ren und diese zu deuten.« Und so fi ndet sich in den historiographischen Werken immer wieder die Verortung der eigenen Gegenwart im Geschichtslauf, mit dem fragenden Blick auf das kommende Ende. Vgl. Helmut Beumann, Die Historiographie des Mittelalters

138 Pfefferkorn

Erdbeben oder Dürreperioden, die er als Zeichen und Symbole Gottes in der Welt verstand. Es galt hinter das reine Ereignis zu blicken, denn hinter der äußeren Erscheinung verbarg sich der Hinweis auf die dem Ereignis zugrunde liegende göttliche Ordnung.2 Einen besonderen Stellenwert scheinen hierbei vor allem die Schilderungen von Natur- und Wunderereignissen einzunehmen. Betrachtet man sie im Erzählkontext, so bemerkt man, dass sie über sich selbst hinausweisen; ihnen wird offenbar ein hoher Symbolwert zugedacht.3 Diesem Phänomen soll ex-emplarisch anhand eines Textes des 13. Jahrhunderts, der ›Sächsischen Weltchro-nik‹, der ersten uns bekannten deutschsprachigen Prosaweltchronik, und speziell anhand ihrer dritten Fassung, der Rezension C, nachgegangen werden. Um sich dem Thema zu nähern, wird im Folgenden zunächst die ›Sächsische Weltchronik‹ selbst vorgestellt und im Anschluss daran sollen einige Beispiele der Natur- und Wunderberichte dargestellt werden, um dann zu fragen, woher die hierin verwen-dete Motivik stammt und welche Aussagen dies schlussendlich für die Einordnung des Verfassers der Rezension C seiner Zeit in den göttlichen Heilsplan bedeutet.

1.1 Überlieferung und Entstehungskontext

Die ›Sächsische Weltchronik‹ steht am Anfang der deutschsprachigen Weltchro-nistik. Insgesamt kennen wir drei Rezensionen von ihr, die in der Forschung all-gemein als A, B und C bezeichnet werden. Ihr gemeiner Text ist zwischen 1225 und 1230 und der Text der C-Fassung zwischen 1260 und 1277 entstanden.4 Die C-Rezension ist beinahe doppelt so umfangreich wie A/B, was unter anderem dar-an liegt, dass in dieser Fassung die ›Kaiserchronik‹ nahezu vollständig in den Text eingearbeitet worden ist. Daraus ergibt sich der auffällige Gegensatz der ersten beiden Rezensionen A und B gegenüber der Fassung C. Während A und B einen zuweilen reichlich annalistischen Stil aufweisen, werden in der Fassung C Mi-rakelberichte, Wunderereignisse und Naturerscheinungen in den gemeinen Text eingearbeitet und scheinen beinahe den Ausgangstext zu überlagern. Aufgrund dieser Eigenart ist es nicht falsch, die Rezension C als einen eigenständigen Text aufzufassen. Während A und B innerhalb der Herrschaftszeit Friedrichs II. ent-standen, wurde die C-Fassung erst zum Ende des Interregnums hin kompiliert.

als Quelle für die Ideengeschichte des Königtums, in: Max Kerner (Hg.), Ideologie und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 1982, S. 140–183, hier S. 142.

2 Vgl. Verena Epp, Von Spurensuchern und Zeichendeutern. Zum Selbstverständnis mit-telalterlicher Geschichtsschreiber, in: Johannes Laudage (Hg.), Von Fakten und Fiktio-nen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, Köln 2003, S. 43–62, hier S. 47.

3 Vgl. Harald Tersch, Unruhe im Weltbild. Darstellung und Deutung des zeitgenössischen Lebens in deutschsprachigen Weltchroniken des Mittelalters, Wien 1996, S. 297.

4 Jürgen Wolf, Die Sächsische Weltchronik im Spiegel ihrer Handschriften: Überlieferung, Textentwicklung, Rezeption, München 1997, S. 122.

139Die Natur als Gradmesser

Zwischen der Entstehung der ersten beiden und der letzten Fassung liegt also die Epoche des Interregnums; es ist zu vermuten, dass der veränderte Textbestand in einem Zusammenhang mit den Entwicklungen innerhalb des deutschen Reiches steht. Mit knapp 60 heute bekannten Textzeugen aller drei Rezensionen war die ›Sächsische Weltchronik‹ offenbar weit verbreitet.5 Die Rezension C ist mit drei-zehn Textzeugen auf uns gekommen.

Mit Frutolf von Michelsberg und den Pöhlder Annalen können wir die beiden Hauptquellen der ›Sächsischen Weltchronik‹ namhaft machen. Die Weltchronik Frutolfs, Prior des Klosters Michelsberg bei Bamberg, gilt als eines der bedeu-tendsten Werke der mittelalterlichen Weltgeschichtsschreibung. Das 1099 beende-te Werk wurde von Abt Ekkehard von Aura nochmals überarbeitet und schließlich bis 1125 fortgesetzt.6 Die Pöhlder Annalen, deren Textbestand bis 1182 reicht, gelten als stark legendenhaftes Geschichtswerk.7 Beide werden nahezu ausschließ-lich verwendet, andere Quellen nur zur Ergänzung herangezogen.8

Der Verfasser der ›Sächsischen Weltchronik‹ kann mit einiger Sicherheit als Geistlicher identifi ziert werden.9 Genauso sicher können wir sagen, dass der Ent-stehungsort Magdeburg ist.10 Gabriele von Olberg-Haverkate will den Verfasser ganz konkret im dortigen franziskanischen Umfeld verorten, was sich mit einer Klostergründung dieses Bettelordens 1225 in Magdeburg in Einklang bringen lässt.11 Die Annahme der älteren Forschung, der Verfasser sei Eike von Repgow gewesen, ist mit Bestimmtheit abzulehnen. Zwar fi ndet sich in der Reimvorrede der Hinweis daz ist des van Repegouwe rat12, doch hat Friedrich Scheele 1996 endgültig glaubhaft belegen können, dass die Reimvorrede erst nachträglich ein-gefügt worden ist.13

5 Ebd., S. 18.6 Franz-Josef Schmale, Irene Schmale-Ott, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Frutolfs und Ek-

kehards Chroniken und die anonyme Kaiserchronik (Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters 15), Darmstadt 1972, S. 1–39.

7 Hans-Werner Goetz, »Konstruktion der Vergangenheit«. Geschichtsbewußtsein und »Fiktionalität« in der hochmittelalterlichen Chronistik, dargestellt am Beispiel der An-nales Palidenses, in: Johannes Laudage (Hg.), Von Fakten und Fiktionen (Europäische Geschichtsdarstellungen 1), Köln 2003, S. 224–257.

8 Michael Menzel, Die Sächsische Weltchronik. Quellen und Stoffauswahl, (Konstanzer Arbeitskreis, Vorträge und Forschungen, Sonderband 34), Sigmaringen 1985, S. 61ff.

9 Wolf, Weltchronik (wie Anm. 4), S. 402.10 Ebd., S. 1.11 Gabriele von Olberg, Loghene schal uns wesen leyt, dat ist van repegowe rat. Textsor-

tentraditionen von Universalchroniken vom 11. bis zum 18. Jahrhundert, in: Textsorten deutscher Prosa vom 12./13. bis 18 Jahrhundert und ihre Merkmale (Jahrbuch für Inter-nationale Germanistik 67), S. 385–406, hier S. 398.

12 Die Sächsische Weltchronik, hg. von Ludwig Weiland (Monumenta Germaniae Historica, Deutsche Chroniken II), Hannover 1877 (im Folgenden: SW), S. 66, Z. 89.

13 Friedrich Scheele, Die Sächsische Weltchronik; in: Hans Höfi nghoff u.a. (Hg.), Alles was Recht war, Essen 1996, S. 123–138, hier S. 125.

140 Pfefferkorn

Durch die überlieferten lateinischen Übersetzungen der ›Sächsischen Weltchro-nik‹ wissen wir, dass »die SW auch in klerikal-lateinisch gebildeten Kreisen ein gewisses Ansehen genoss.«14 Doch waren hier gewiss nicht die Hauptinteressenten einer volkssprachigen Weltchronistik zu fi nden. Ein Schwerpunkt der gesamten Verbreitung lässt sich anhand von Weiterführungen und Überarbeitungen inner-halb der Städte und des Bürgertums erkennen.15 Dies gilt aber vor allem erst ab dem 14. Jahrhundert. Diejenigen Klöster, in deren Bibliotheken die ›Sächsische Weltchronik‹ nachweisbar ist, haben ihren Sitz in größeren Städten.16 Es handelt sich hier vor allem um Institutionen der Bettelorden, die sich als Volksprediger sahen und somit ein Interesse an volkssprachiger Literatur hatten; »[...] die Bet-telorden – und allen voran die Franziskaner – [waren es, die] in den Städten die volkssprachliche Geschichtsschreibung unter didaktischen Gesichtspunkten be-förderten.«17 Offensichtlich waren die beiden knappen Versionen der ›Sächsischen Weltchronik‹, die Rezensionen A und B, für den Schulgebrauch und als Nach-schlagewerk bestimmt. Für die Rezension C lässt sich der Kreis der Rezipien-ten am deutlichsten fassen, da die »Übernahme der ›Kaiserchronik‹ [...] auf eine Entstehung im Umkreis eines an dieser [= die Rezensionen A und B, Anm. Vfs.] weniger streng annalistischen Art von Geschichtsschreibung interessierten Hofs« deutet.18 Anzunehmen ist ein monastisches und höfi sches Umfeld.19 Die C-Hand-schriften »dienten dem Wissenszuwachs und der Unterhaltung eines vorwiegend höfi schen Publikums.«20

1.2 Inhalt und Aufbau

In der ›Sächsischen Weltchronik‹ fi nden wir die Geschichte von der Schöpfung der Welt bis hin zur Gegenwart des Schreibers. Die alttestamentliche Zeit wird schnell abgehandelt, dann folgt vergleichsweise ausführlich die Geschichte Roms. Bis zur Christianisierung werden vor allem hier immer wieder Legenden über das unchristliche Verhalten in dieser Zeit eingebunden. Von Westrom geht dann das Interesse kurz auf Byzanz und dann mit Karl dem Großen auf das Frankenreich über. Als Gliederungsschemata dienen die Herrscherjahre, die Zählung seit der Gründung Roms und dann schließlich die Inkarnationsjahre.21

14 Wolf, Weltchronik (wie Anm. 4), S. 198.15 Vgl. ebd., S. 198.16 Vgl. ebd., S. 284.17 Ebd., S. 162.18 Ebd., S. 403.19 Ebd., S. 242.20 Von Olberg, Textsortentraditionen (wie Anm. 11), S. 399.21 Interessant ist, dass besonders die Übergangsphase zum Prinzipat in Rom immer wieder

Bezüge in die Gegenwart des Chronisten aufweist. So heißt es z.B. dass alle Kaiser ihren Titel nach Cäsar erhalten haben ... de sider Augustus was geheten unde na sinem ome

141Die Natur als Gradmesser

Das zentrale Element der ›Sächsischen Weltchronik‹, um das sich der gesamte Aufbau der Chronik entwickelt, ist die Geschichte der Herrscher. Zunächst werden die römischen Herrscher allein dargestellt, mit dem Übergang der Herrschaft auf die Franken werden der Person des Herrschers auch der Papst sowie die Fürsten hinzugestellt. Diese ›Trinität‹ mit dem König im Zentrum scheint dem Verfasser der ›Sächsischen Weltchronik‹ als die Grundlage des Reiches zu gelten. Nach der These von Ernst H. Kantorowicz beruhte das mittelalterliche Herrscherideal auf der Vorstellung, die Gesellschaft sei ein Körper, dessen Haupt (caput) der Herr-scher ist und dessen Aufgabe es sei, die Gliedmaßen zu repräsentieren.22 Folgt man dieser organologischen Staatsauffassung, dann gilt, »daß jede Beeinträchtigung dieses leitenden Organs [sich] auf den Zustand des gesamten Körpers auswirkt.«23

Und das wiederum bedeutet eine Auswirkung auf die Struktur des Reiches und damit auf das Wohlbefi nden des Reiches und somit auf die Welt.

2 Natur- und Wunderereignisse

Die Natur- und Wunderereignisse begegnen in der ›Sächsischen Weltchronik‹ im-mer auch im Kontext herrscherlichen Handelns. Ein besonders eindrückliches Bei-spiel fi ndet sich in der Herrschaftszeit Ludwig des Deutschen:

Dat Romische rike ward do so kranc van deme delende, dat des keiseres Karles sone unde sine neven hadden gedan, wante es war êr der delunge en rike [...] Bi des koning Lodewiges tiden regenede’t dre dage und vier nacht bluot van deme himele in ener stadt to Langbarden. In den selven tiden quamen to Walscheme lande worme, de he-ten sin stapele, to Latine locuste, de hadden tanden harder danne stene; der was also vele, dat se dat lant sere vorderfden. Darna wart so grot hunger, dat vil na de dridde del der lude starf. Darna starf de konig Lodewik.24

Diese Passage zeigt auf, dass in einem Reich, dass als kranc bezeichnet wird, der-artige Naturkatastrophen wie der oben geschilderte Blutregen auftreten können. An späterer Stelle erfahren wir, dass dieser Zustand bis zur Herrschaft Heinrichs I. andauere.25 Die Unfähigkeit der späten Karolinger stürzt das Reich in eine Kri-se, so dass Insektenplagen und Hungersnöte dieses heimsuchen. Erst durch die

Cesare Cesar; darvan sider alle keisere worden keiser geheten, SW, S. 88, Z. 14. Der Rück-bezug auf das römische Kaisertum tritt hier deutlich zutage. Einen wichtigen Einschnitt stellt selbstverständlich die Geburt Christi, aber auch die Zeit Kaiser Konstantins dar.

22 Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theo-logie des Mittelalters, München 1990, hier Kap. V.2 Corpus rei publicae mysticum, S. 219–240.

23 Tilman Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978, S. 293.

24 SW, c. 142, Z.31ff.25 Ebd., Z.35.

142 Pfefferkorn

Herrschaft des ›selbstlosen‹ Heinrichs des Vogelers kann es wieder zum Rechten gewendet werden.

Es lässt sich hier gut erkennen, dass es die Funktion von Natur- und Wunder-ereignissen ist, auf Unruhen und Schiefl agen im Reich aufmerksam zu machen. Man kann sie als Indikator für den Zustand von Zeit und Raum ansehen.26 Die Naturkatastrophen oder -dysfunktionen stellen letztendlich den Kern der chroni-kalischen Weltbetrachtung dar27 und zeigen an, wenn bzw. ob die Ordnung der christlichen Welt aus den Fugen geraten ist. Sie gelten als Ausdruck oder Ankün-digung schlechter Zeiten.28 »Die Natur wird dabei als Gradmesser politischen Handelns in der Vergangenheit, damit aber auch als Wegweiser oder Orientie-rungshilfe für die Zukunft angesehen.«29 In der Natur spiegelt sich die Richtig-keit und Falschheit des politischen Geschehens wider, aber auch der von Gott vorherbestimmte Heilsplan. Sie ist das Werk und gleichzeitig das Zeichensystem des Himmels. Der Chronist ist darum bemüht, dieses Zeichensystem zu lesen und dadurch seine eigene Zeit im Heilsplan zu verorten. Die durchgehende Suche nach Indizien und Hinweisen zum eigenen Standort in der Geschichte ist somit charak-teristisch für die Weltchronistik.

2.1 Ereignis und Herrschaft

Innerhalb der Rezension C der ›Sächsischen Weltchronik‹ fi ndet sich eine Vielzahl von Natur- und Wunderberichten. Sie unterscheiden sich in ihrer Art und Länge, was in den folgenden Beispielen, die allesamt aus der Herrschaftszeit Heinrichs IV. entnommen sind, gezeigt wird. Die Auswahl der Beispiele hat sich im Zuge der Untersuchung durch die Häufung der Naturereignisse in der Zeit des Saliers erge-ben. Es ist anzunehmen, dass die Auseinandersetzungen im Reich zwischen Herr-scher, Papst und Fürsten hierfür verantwortlich zu machen sind. Blickt man nun in die Quellen, so lässt sich erkennen, dass das Gros der Natur- und Wunderer-scheinungen sich hier in vergleichsweise knappen Verweisen ausdrückt, in denen es dann z.B. heisst: es volgede ein grot sterve in der cristenheit, unde ward so grot regen unde ungewedere ummate.30 Der Schreiber nimmt an dieser Stelle keine konkrete Ausdeutung dieser Naturkatastrophe vor. Die Bewertung ergibt sich aus dem Kontext, in dem der Bericht steht. Dem Unwetter geht eine Sonnenfi nsternis voran und es folgt die Verdunklung des Mondes. Darin eingebettet fi ndet sich die Geschichte vom Vorwurf des Papstes Gregor VII., Heinrich IV. habe Inzucht mit seiner eigenen Schwester betrieben. Die Funktion wird durch ihre Häufung – Un-

26 Tersch, Unruhe (wie Anm. 3), S. 293.27 Vgl. ebd., S. 297.28 Ebd., S. 297.29 Ebd., S. 297.30 SW, c. 192, Z. 27f.

143Die Natur als Gradmesser

wetter, Sonnen- und Mondfi nsternis – augenfällig: Das so geschaffene Erzählum-feld betont das enorme Fehlverhalten des Herrschers und hebt dieses nochmals besonders hervor. Durch das Erzählen der Naturerscheinungen wird die durch den Herrscher verursachte Unordnung des Reiches verdeutlicht. Ihr Symbolcharakter und ihre Bedeutung bedürfen keiner weiteren Ausführung, sie sind offensichtlich.

Anders verhält es sich bei besonders außergewöhnlichen Ereignissen. Diese werden ausdrücklich erklärt. Dies mag aus zwei, sich nicht unbedingt ausschlie-ßenden Gründen geschehen. Zum einen kann die Erklärung die Bedeutung des Geschehens nochmals betonen, zum anderen kann sie aber auch schlicht die not-wendige Entschlüsselung des Geschilderten sein. Im folgenden Beispiel erscheinen beide Möglichkeiten sinnvoll:

do de mane schone schen, en ander mane ward schinende van deme westene; de selve mane begonde striden wider den rechten manen, se quamen underwilen tosamene, underwilen vlun se iewelec van deme anderen; to jungest quam en duster wolken unde bedekede se beide. Do de wolken voregienc, do schen de rechte mande alene. Alsogedanen strit sach men oc van den sternen. Dit was en betekenunge des orloges, dat sider ward twischen deme bischope van Megenze unde deme keisere.31

Diese Ausdeutung des Naturereignisses hebt sich substantiell von den bisher ge-nannten ab. Dadurch, dass die beiden Monde auf eine politische Konstellation bezogen werden, ist der Leser in der Deutung nicht mehr frei, ihm wird vielmehr eindeutig vorgegeben, wie das Ereignis, das im Gegensatz zur Sonnenfi nsternis von sich aus unverständlich wäre, zu verstehen ist. Ein Interpretationsspielraum bleibt jedoch bestehen: Eine defi nitive Zuordnung des Kaisers und des Bischofs von Mainz zu einem der beiden Monde ist leider nicht möglich und wird auch durch den Kontext für den modernen Leser nicht gegeben. Interessant wäre dies jedoch vor allem in Bezug auf die Rolle die der Bischof Siegfried von Mainz, bei den Erhe-bungen der Gegenkönige Rudolf von Rheinfelden und Hermann von Salm gespielt hatte. Dieser hatte zunächst auf der Seite Heinrichs IV. gestanden und gehörte u.a. zu den Bischöfen, die auf der Reichsversammlung von Tribur Gregor VII. für ab-gesetzt erklärten. Die päpstliche Bannung Heinrichs ließ ihn dann die Seiten wech-seln, so dass er schließlich die Krönung Rudolfs in Mainz vornahm und später an Hermann die Salbung zum König versah.32 Je nachdem ob Kaiser oder Bischof mit dem rechten mande zu identifi zieren wäre, liessen sich Rückschlüsse über die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Gegenkönigtums ziehen.

Interessant ist an dieser Passage des weiteren, dass sich hierin die eingangs erwähnte organologische Staatsauffassung widerspiegelt.33 Bischof und Kaiser werden in dieser Schilderung mit den Himmelskörpern assoziiert und der ge-

31 Ebd., c. 221, Z. 1ff.32 Alois Gerlich, Art. Siegfried I. von Mainz, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München

1995, Sp. 1865–1866.33 Vgl. Struve, Staatsauffassung (wie Anm. 23).

144 Pfefferkorn

samte kosmologische Vorgang soll den Konfl ikt zwischen beiden verdeutlichen. Der Streit der Monde ist somit Ereignis und Symbol zugleich: Die Gliedmaßen des Reiches bekämpfen sich und dies fi ndet seinen Ausdruck in dem kosmolo-gischen Wunder. Der Konfl ikt geht an die Grundfesten des Reiches. Dem ent-sprechen ebenfalls die Ausdeutungen der nachfolgenden Himmelserscheinungen: do erschen cometes, unde ward dat jar guot unde vil kornes unde alles dinges genouch; de winter was sachte unde stervich, it regenede ummate, unde worden al di watere overvluodich.34 Die Erscheinung eines Kometen ist laut der Studie von William J. Brandt eines der wenigen Phänomene, das über eine festgelegte Bedeutung innerhalb der Chronistik verfügt. Demnach sah man den Kometen als eine Vorausdeutung großer Ereignisse.35 Die ›Chronicles of Melrose‹36, eine von mehreren Händen geschrieben, den Zeitraum von 731 bis 1270 umfassende Klos-terchronik37, lassen uns in ihrer Übersetzung über Kometen Folgendes wissen: »A comet is a star which is not always visible, but which appears frequently upon the death of a king, or on the destruction of a kingdom.«38 Auch wenn hier auf die britische Chronistik Bezug genommen wird, dürfen wir doch zumindest ähnliche Bedeutungszuschreibungen für das deutsche Reich annehmen. Die Verknüpfung von guten und von katastrophalen Ereignissen, wie eine reichhaltige Ernte, ein milder, aber todbringender Winter mit Überschwemmungen, sind laut Brandts Forschungen ein Topos in der Beschreibung von Kometenerscheinungen.39 So soll dem Leser bzw. Zuhörer der Chronik die Verwirrung des Landes durch das bevor-stehende Ende des Herrschers symbolhaft verdeutlicht werden.

Für die Herrschaftszeit Heinrichs IV. fi nden sich noch weitere solcher Berichte. Auffällig ist hier mitunter die Häufung dieser Erzählungen nach einem ausführli-chen Bericht zum ersten Kreuzzug. Es wird etwa davon berichtet, dass ein Feuer von Westen nach Osten durch die Luft gefl ogen sei40, do ward oc eclyssis der sun-nen, und ward oc gesehn en drake41 und meneger hande wunder gescha do, dat er nie sehn noch gehort ne ward.42

Die Art der Erscheinungen verdichtet und steigert sich in dieser Episode noch-mals gegenüber dem vorher Berichteten. Ganz offenbar ist für den C-Redaktor der ›Sächsischen Weltchronik‹ hier eine Phase der Destabilität des Reiches zu fassen.

34 SW, c. 194, Z. 24ff.35 Vgl. William J. Brandt, The Shape of Medieval History. Studies In Mode Of Perception,

New Haven 1966, S. 53.36 Chronica de mailros, hg. v. Joseph Stevenson, Edinburgh 1835, zitiert nach Brandt, Sha-

pe (wie Anm. 35). 37 G.W.S. Barrow, Art. Melrose, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München/Zürich 1993,

Sp. 503. 38 Brandt, Shape (wie Anm. 53), S. 53.39 Ebd., S. 54.40 SW, c. 192, Z. 24f.41 Ebd., Z. 26f.42 Ebd., Z. 31f.

145Die Natur als Gradmesser

Folgten wir dem chronikalischen Verlauf der ›Sächsischen Weltchronik‹, so fänden wir noch ein ganze Reihe solcher Erscheinungen bis in die Gegenwart des Schrei-bers. Wie wir bis jetzt gesehen haben, lassen sich Bedeutung und Funktion der ein-zelnen Naturerscheinungen hinreichend dechiffrieren. Löst man sich nun von dem singulären Ereignis, fällt auf, dass seine jeweilige Einbindung in den Text nicht nur eine konkrete vorwiegend negative Konnotation einzelner Episoden vornimmt, sondern ihre Häufung innerhalb der Herrschaftszeit Heinrichs IV. diese insgesamt beschreibt. Besonders oft fi nden sich Passagen, die von der Zeit des Schreibers ausgehend einen Rückbezug auf die Herrschaftszeit dieses Saliers herstellen.

Do ward allererst twischen deme stole to Rome unde deme Romischen rike de misse-hellunge, de noch hude des dages waret.43

Disse missehellunge under den herren was grot; darvan ward so sere genideret dat Romische rike, dat it sic nimmer mer irholen ne mochte.44

Hier wird also die sublime Aussage der Naturerscheinungen nochmals konkreti-siert. Das Geschehen innerhalb der Herrschaft Heinrichs IV. bringt nicht nur die ihn umgebende Umwelt in Unordnung und fi ndet seinen Ausdruck in Unwettern und Massensterben, sondern es wirkt sich auch weiter in die Zukunft aus. Die Naturerscheinungen konnotieren nicht nur das konkrete herrscherliche Handeln, sondern sie nehmen schließlich eine Einordnung des gesamten Geschehens in den göttlichen Heilsplan vor.

2.2 Motivrepertoire

Innerhalb der Herrschaftszeit Heinrichs IV. begegnet die erste Naturkatastrophe als Erdbeben, welches sich nach dem Tode Rudolfs von Rheinfelden ereignet ha-ben soll: An den selven tiden wart grot erdbevinge, de bewisde de bewegunge, de an dem rike werden solde.45 Es folgt men [sach] worme vliegen, de waren langer dan vliegen; des was also vile, dat se ene mile veldes beviengen inder brede unde der in der lenge unde also dicke, dat men der erde kume sach.46 Noch bemerkens-werter ist folgende Stelle: Do ward oc ecclysis der sunnen unde ward oc gesehn ein drake. Darna volgede en grot sterve in der christenheit unde ward so grot regen und ungeweddere unmate [...] unde ward oc eclypsis lune [...] do erschen in deme himele van steden to steden alse viurege clote.47

Wir fi nden in der ›Sächsischen Weltchronik‹ sehr unterschiedliche Schilderun-gen solcher Katastrophen: die hohe Sterblichkeit unter der Bevölkerung, die Va-riationen von Unwettern, schlechte Ernten, Sonnen- und Mondfi nsternisse, der

43 Ebd., c. 175, Z. 29ff.44 Ebd., c. 176, Z. 10f.45 Ebd., c. 184, Z.12f.46 Ebd., c. 189, Z. 5ff.47 Ebd., c. 192, Z.24ff.

146 Pfefferkorn

Widerstreit einzelner Himmelskörper miteinander und schlussendlich einen Dra-chen. Besonders letzterer sticht heraus und stellt einen vor die Frage, inwiefern in der Beschreibung eben nicht Naturereignisse dargestellt werden, sondern dabei auf gängige Bildtraditionen zurückgegriffen wird. Diese Vermutung wird dadurch begründet, dass diese Motive sich zum einen mehrfach in Variationen wiederho-len und dass sie zum anderen in ihrem Kernbestand nicht erläutert werden. Es ist daher wahrscheinlich, dass den Rezipienten eines Werkes wie der ›Sächsischen Weltchronik‹ verständlich war, worauf mit den Wunderberichten rekuriert wer-den sollte.

Um diese Referenzen zu verdeutlichen, sei nun dem Motiv des Drachens nach-gegangen. Dieses begegnet vorwiegend in zwei literarischen Bereichen. Einmal als das ›natürliche‹ Ungeheuer, welches es physisch zu bekämpfen gilt, wie wir es aus der Siegfried-Sage kennen, in der der Held das Ungetüm Fáfnir tötet.48 Zum ande-ren begegnet es als der Leviatan, der »die bildliche Verkörperung der Mächte, die sich Gottes Schöpfermacht entgegenstellen,«49 verkörpert. Letztere Defi nition fi n-det sich im Erläuterungsteil zur Lutherübersetzung der Bibel und genau in diesem Kontext begegnet das Motiv des Drachens besonders eindrucksvoll und in einem für uns weiterführenden Zusammenhang. In der Heiligen Schrift taucht das Motiv des Drachens mehrfach auf, eine zentrale Figur stellt er vor allem bei Lukas 21 (Jesus spricht über die Endzeit) und in der ›Offenbarung des Johannes‹ dar. Beim Öffnen des siebten Siegels und dem Erschallen der siebten Posaune heißt es: »Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, und siehe, ein großer, roter Drache, der hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern sieben Kro-nen, und sein Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde.« (Offenbarung 12.3)50

Im Umfeld dieser Passage der ›Offenbarung des Johannes‹ fi ndet man die Mo-tive, die als Vorbild für die Schilderung in der ›Sächsischen Weltchronik‹ gedient haben könnten: Beim Brechen des sechsten Siegels »geschah ein großes Erdbeben, und die Sonne wurde fi nster wie ein schwarzer Sack und der ganze Mond wurde wie Blut.« (Offenbarung 6.12) Beim siebten Siegel heißt es: »Und der Engel nahm das Räuchergefäß und füllte es mit Feuer vom Altar und schüttete es auf die Erde. Und da geschahen Donner und Stimmen und Blitze.« (Offenbarung 8.5) Beim Er-schallen der sieben Posaunen häufen sich dann die Bilder. Zur Verdeutlichung seien hier einige wenige Ausschnitte gegeben. Durch den Schall der ersten Posaune »kam Hagel und Feuer, mit Blut vermengt, und fi el auf die Erde« (Offenbarung 8.7) und beim Klang der sechsten Posaune heißt es »Und aus dem Rauch kamen Heuschre-cken auf die Erde (Offenbarung 9.3) [...] und die Heuschrecken sahen aus wie

48 Joyce Tally Lionarons, The Medieval Dragon. The Nature of the Beast in Germanic Literature, Trowbridge 1998; H. Ehrhardt, Fáfnir, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München/Zürich 1989, Sp. 226.

49 Levitan, Sach- und Worterklärungen in: Lutherbibel Schulausgabe, Stuttgart 1985, S. 24.50 Die Bibel, Luthertext mit Apokryphen, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1985.

147Die Natur als Gradmesser

Rosse, die zum Krieg gerüstet sind.« (Offenbarung 9.7) »Mit der siebten Posaune [wurde] der Tempel Gottes aufgetan und die Lade seines Bundes wurde in seinem Tempel sichtbar; und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner und Erdbeben und großer Hagel.« (Offenbarung 11.19) Dies sind die Motive, die uns auch die SW bietet. Sie hat nicht die Schilderung des Beginns der Apokalypse wörtlich über-nommen, aber wichtige Ereignisse und Erscheinungen aus ihr in ihren Text einge-fügt. Sie folgt also nicht dem Ablauf in der Offenbarung, doch sind die Bilder so eindrucksvoll, dass der Bezug auch ohne diesen hergestellt werden kann. Wenn die ›Sächsische Weltchronik‹ in einer einzigen knappen Passage kurz vor dem Ende der Herrschaft Heinrichs IV. berichtet, es habe eine Sonnen- und eine Mondfi nsternis gegeben, feurige Wolken waren zu erblicken und selbst ein Drache wurde gesichtet, so sind die Entsprechungen zur Johannes-Offenbarung augenfällig.

3 Fazit

Kehren wir an dieser Stelle zur Ausgangsthese zurück, dass Natur- und Wunder-ereignisse als Gradmesser der eigenen Zeit dienen und dass über das Erkennen und Deuten dieser Zeichen eine Einordnung in den Heilsplan vorgenommen wer-den soll. So ist nun zu fragen, welche Deutung der Schreiber der Rezension C vorgenommen hat.

Zum einen haben wir die oben genannte Feststellung, dass die Unruhe im Reich, die durch die Art der Herrschaft Heinrichs IV. entstanden ist, bis in die Gegenwart des Schreibers andauere. Zum anderen haben wir das apokalyptische Motivrepertoire, welches vom Verfasser der Rezension C der ›Sächsischen Welt-chronik‹ verwendet wird.

Die Motive fi nden sich wie aufgezeigt in der ›Offenbarung des Johannes‹ und auch in ›Jesu Rede über die Endzeit‹. Bei beiden Texten sind sie die Vorboten, aber noch nicht das Jüngste Gericht selber. Daraus lässt sich schließen, dass der C-Redaktor durch die Aufnahme dieser apokalyptischen Bilder seine eigene Zeit als Teil der Endzeit auffasst und den Beginn dieser Epoche bei Heinrich IV. an-setzt. Defi nitiv lässt sich festhalten, dass sich in der C-Fassung die Natur- und Wunderberichte in der Herrschaftszeit Heinrichs IV. auffällig häufen. Zu über-prüfen bleibt, welcher Art und Vehemenz die Naturereignisse sind, die bei den folgenden Herrschern auftreten. Es ist auf jeden Fall bemerkenswert, dass sich der Großteil der oben genannten Natur- und Wunderberichte nicht in den vor dem Interregnum verfassten Rezensionen A und B fi nden lässt. Zwar kennen auch die-se solche Berichte, doch steht bei ihnen der konkrete und direkte Hinweis auf die notwendige Einheit von Herrscher, Papst und Fürsten im Mittelpunkt. Es ist daher anzunehmen, dass die herrscherlose Zeit des Interregnums für den Verfasser der C-Rezension ein einschneidendes Erlebnis war und dass er durch diesen Zustand im Reich die göttliche Weltordnung bedroht sah.

148 Pfefferkorn

Mit der C-Fassung der ›Sächsischen Weltchronik‹ haben wir einen Text vorlie-gen, der uns einen Eindruck davon vermittelt, wie sein Redaktor sich und seine Zeit wahrgenommen und in das eigene mittelalterliche Geschichtsbild eingeordnet hat. Dass der C-Redaktor mit seiner Geschichtsexegese akzeptiert und rezipiert wurde, bezeugen die dreizehn auf uns gekommenen Textzeugen der Rezension C.51

51 Vgl. Wolf, Weltchronik (wie Anm. 4), S. 131.

Die Konstruktion der Welt in der ›Weltchronik‹ des Jans Enikel

Gesine Mierke

Vorstellungen und Bilder von der Welt zu untersuchen und ihre entsprechenden Transformationen deutlich zu machen, gehört zu den wesentlichen Themenkom-plexen, die einen Zugang zu fremden Kulturen oder auch zu eigenen kulturellen Traditionen ermöglichen. Hier setzen neue Fragestellungen an, die in der Literatur- und Geschichtswissenschaft am Beispiel mittelalterlicher Chroniken zunehmend diskutiert werden.1 In diesen Grenzbereich und damit in eine Grauzone wissen-schaftlicher Auseinandersetzungen fallen vor allem die volkssprachlichen Reim-chroniken, die auf deutschem Gebiet, auf der Basis der lateinischen Chronistik, ab dem 12. Jahrhundert verstärkt entstanden. An den Anfang kann hier die anonym überlieferte ›Kaiserchronik‹ (um 1150) gestellt werden, die in den Regensburger Raum zu situieren ist.2 In der Folge entstanden die ›Weltchronik‹ des Rudolf von Ems (um 1250), die ›Sächsische Weltchronik‹ (um 1250), die ›Christherre-Chro-nik‹ (nach 1250) und schließlich die ›Weltchronik‹ des Jansen Enikel (um 1280), die im Mittelpunkt der vorliegenden Betrachtungen stehen soll.

Dass es bereits Schwierigkeiten bereitet, den Texttyp dieser Chroniken ein-deutig zu beschreiben, zeigt allein der Versuch, die Gattung zu defi nieren.3 Ursula Liebertz-Grün hat folgende Defi nition vorgeschlagen: »Reimchronik ist die Be-zeichnung für verschiedenartige Geschichtsdarstellungen unterschiedlicher Länge (ca. 2000 bis 100.000 vv.) in vierhebigen Reimpaarversen.«4

1 Hans-Werner Goetz, Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter, Bochum 2007; Ders., Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein im hohen Mittelalter, Berlin 1999, (Orbis mediaevalis – Vor-stellungswelten des Mittelalters 1); Johannes Laudage (Hg.), Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, Köln/Weimar/Wien 2003.

2 Vgl. Friedrich Ohly, Sage und Legende in der Kaiserchronik, Untersuchungen über Quellen und Aufbau der Dichtung, Münster 1940 (Forschungen zur deutschen Sprache und Dichtung 10), S. 15.

3 Stefan Lafaire, Spätmittelalterliche Reimchronistik in Deutschland und Italien. Volks-sprachliche Versliteratur zwischen poetischer Geschichtskonstruktion und juristischer Herrschaftslegitimation (unter besonderer Berücksichtigung von fünf Beispieltexten aus der Zeit von 1280–1400), Frankfurt a. M. 1992, S. 13.

150 Mierke

Bei aller Kürze der Defi nition sind hier dennoch zwei wesentliche Elemente angesprochen, die die Problematik dieser Texte spezifi zieren und Gegenstand der folgenden Ausführungen sein sollen. Die Reimchroniken verbinden Geschichts-schreibung – und damit den Anspruch Wahres zu vermitteln – mit dem Medium der Dichtung, wobei letztgenannter nach traditioneller Auffassung der Vorwurf der Lüge anhaftet.5 Historia wurde im vorliegenden Textbeispiel in die Form des Reimes gebracht. Die den Texten eigene Stilistik macht nicht zuletzt die Stellung der volkssprachlichen Reimchroniken, zwischen Dichtung und Historiographie, aus und hat Auswirkungen auf ihre wissenschaftliche Rezeption in der Literatur- und Geschichtswissenschaft.6

Das Thema des Kolloquiums ›Weltbilder im Mittelalter‹, das im März 2007 in Marburg stattfand, fokussierte zum einen den Mechanismus von Konstruktion(en) und Abbildung(en) per se, schloss dabei innerhalb der unterschiedlichen Unter-suchungsgegenstände den Bereich der Literatur ein, die in ihrer spezifi schen Art der Darstellung ebenfalls ›Welt(en)‹ konstruiert, die Fiktionales implizieren. Ein Blick auf die mittelalterlichen Welt-, Stadt- und Fürstenchroniken verdeutlicht die Problematik. In den Texten werden Bilder entworfen, die zunächst den Anspruch erheben, aus einer externen Position, einen Blick über die gesamte Geschichte der Welt zu liefern. Dabei wird in der jeweiligen Konzeption eine interessengeleitete Auswahl der Ereignisse getroffen, die additiv aneinandergereiht oder kausal mit-einander verbunden werden. Dynastische Interessen, Legitimation, Repräsentati-on, Memoria sind prägnante Begriffe, die das Anliegen der Texte kurz umreißen, und insbesondere im Hoch- und Spätmittelalter von wachsendem Interesse waren. Genealogie als Denkmodell, die Weitergabe von Mythen, als immerwährende Su-che nach dem Ursprung, und die damit einher gehende symbolische Verdichtung sind Erscheinungen, die diese Texte prägen.7

Die Geschichtsdarstellung als historia diente aus mittelalterlicher Perspektive folglich nicht nur der Vermittlung von historischem Wissen auf der Basis des sen-sus historicus, sondern auch der Unterhaltung. Der Begriff schließt die Erkenntnis-weise des Vergangenen als Erkenntnis- und Darstellungstätigkeit, die literarische Gattung und Geschichte, als reales Faktum, ein.8 Historia war, insbesondere seit

4 Ursula Liebertz-Grün, Art. Reimchronik II, Deutsche Literatur, in: Lexikon des Mittel-alters, Bd. 7, München 1995, Sp. 650f., hier Sp. 650.

5 Platon, Der Staat, II, 377 d; X, 607 d, übers. u. hg. von Karl Vretska, Stuttgart 1982.6 Lafaire, Reimchronistik, (wie Anm. 3).7 Vgl. Udo Friedrich, Bruno Quast (Hg.), Präsenz des Mythos. Konfi guration einer

Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin/New York 2004 (Trends in Medieval Philology 2).

8 Vgl. Laetitia Böhm, Der wissenschaftstheoretische Ort der historia im früheren Mit-telalter. Die Geschichte auf dem Wege zur »Geschichtswissenschaft«, in: Clemens Bauer, Laetitia Boehm (Hg.), Speculum historiale. Geschichte im Spiegel von Geschichtsschrei-bung und Geschichtsdeutung, München 1965, S. 663–693, hier S. 672.; Goetz, Vorstel-lungsgeschichte (wie Anm. 1), S. 97f.; Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Ko-

151Konstruktion der Welt

Hugo von St. Viktor, nicht nur die narratio rei gestae9 im Sinne Isidors, sondern auch eine Stufe in der bibelhermeneutischen Auslegung.10 Geschichtsschreibung und exegetische historia waren untrennbar miteinander verbunden, die Geschich-te avancierte zur Hilfswissenschaft auf dem Weg der Gotteserkenntnis.11 Darüber hinaus waren der Wunsch nach Orientierung in der Welt und die Verortung in der Heilsgeschichte maßgeblich. Das steigende Bildungsbedürfnis der Laien ab dem 13. Jahrhundert ging mit der Hinwendung zur jeweils aktuellen Zeitgeschichte einher. Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass regionalgeschichtliche Aspekte, die Geschichte der eigenen Stadt, der eigenen Region, sowie die Darstellung der Lokalgeschichte Identifi kationsangebote lieferten. Insbesondere die mittelalterli-chen Weltchroniken, die als Wissenskompendium einer bestimmten Zeit Einblick in den spezifi schen kulturellen Kontext vermitteln und per defi nitionem als Spei-cher von Welt-, Heils- und Geschichtswissen gelten,12 beschreiben die Ordnung der Welt und spiegeln eine ihnen eigene Konstruktion wider. Dies wurde vor allem unter geschichtswissenschaftlichen Aspekten vielfach diskutiert, da diese Texte in die jeweilige geschichtspolitische Perspektive eingebunden waren. Erst in jüngerer Zeit ist die Forderung erhoben worden, den fi ktionalen Anteil der Texte stärker zu berücksichtigen. Hans-Werner Goetz hat kürzlich auf den ›alten‹ Konfl ikt zwi-schen Literatur- und Geschichtswissenschaft verwiesen und betont, dass

sich die Frage nach der ›Fiktionalität‹ der Quellen heute zwangsläufi g ganz anders sehen und bewerten [lässt] als in historischer Tradition: nicht mehr abschätzig (›Fikti-onen‹ sind wertlos für die Geschichtskonstruktion), sondern im Gegenteil, als höchst erhellend für die Geistes- und Gedankenwelt unserer Autoren und (damit) für die Mentalität mittelalterlicher Menschen insgesamt.13

Der vorliegende Beitrag soll, daran anknüpfend, weniger mentalitätsgeschichtli-chen Problemen nachgehen, als vielmehr die Bedeutung der Fiktionalität thema-tisieren und sie als eine Möglichkeit prüfen, durch die bestehende Ordnungsmus-

selleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart 1979, S. 593–717, hier S. 601ff.

9 Isidor von Sevilla: Etymologiae I, 41.10 Vgl. Hugo von St. Viktor, Didascalicon. De studio legendi, VI, 3. Übers. u. eingel. von

Thilo Offergeld, Freiburg [u.a.] 1997, S. 360.11 Vgl. Gert Melville, System und Diachronie. Untersuchungen zur theoretischen Grundle-

gung geschichtsschreiberischer Praxis im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 75 (1995), S. 33–67 und 308–341, hier S. 39.

12 Anna-Dorothee von den Brincken, Studien zur lateinischen Weltchronistik bis in das Zeitalter Ottos von Freising, Düsseldorf 1957, S. 47, 58, 69f.

13 Hans-Werner Goetz, »Konstruktion der Vergangenheit«. Geschichtsbewusstsein und »Fiktionalität« in der hochmittelalterlichen Chronistik, dargestellt am Beispiel der An-nales Palidenses, in: Johannes Laudage (Hg.), Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterli-che Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 225–257, hier S. 232.

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ter und -vorstellungen auch im Mittelalter literarisch diskutiert werden konnten. Beate Kellner hat, in Rückbezug auf Wolfgang Iser und in Anlehnung an die in den letzten Jahren diskutierten anthropologischen Perspektiven für die mittelal-terliche Literatur, von der »textuellen Welt zweiter Ordnung« gesprochen, die »die Spielräume bereitstellt für die Auslotung neuer anthropologischer Konstruk-tionen.«14

Aus dieser Perspektive soll die ›Weltchronik‹ des Jans Enikel im folgenden Bei-trag als ein Raum verstanden und untersucht werden, in welchem Ordnungsmuster und Weltvorstellungen neu verhandelt werden konnten. Daran anschließend soll am Beispiel ausgewählter Episoden der Enikel-Chronik gefragt werden, inwiefern der Text Ausdruck veränderter Ordnungskonstellationen ist, bzw. inwiefern er mit traditionellen Erzählmotiven bricht und die spezifi sche Art der Jansschen Ge-schichten die Ansprüche eines neuen Laienpublikums refl ektierten. Dabei soll das Verhältnis zwischen Wahrheitsanspruch und fi ktionaler Umsetzung berücksichtigt werden. Von der Voraussetzung ausgehend, dass die Darstellung von Geschichte einer wahren Beschreibung des göttlichen Heilsplanes nahe kam und fi ktionale Elemente unterstützende Funktion auf diesem Weg hatten, bleibt zu fragen, inwie-fern eine ›überzogene‹ Fiktionalität auch Zweifel an der Wahrheit der Geschich-te und damit eine Infragestellung der göttlichen Ordnungskonzeption zulassen konnte.15 Hier ist zum einen das Verhältnis zwischen historischem Kontext und dem literarischen Text erneut zu hinterfragen. Zum anderen muss die besondere Erzählart des Jans, die der Forschung seit langem Kopfzerbrechen bereitet,16 als wesentliches Novum des Textes größere Berücksichtigung erfahren. Dieser Ansatz unterstellt dem Autor von vornherein ein gewisses Maß an kritischer Refl exion, das ihm von der älteren Forschung weitestgehend abgesprochen wurde.17 Erst in jüngerer Zeit sind Stimmen laut geworden, die die Werke des Jans unter neuen Gesichtspunkten betrachten.18

14 Beate Kellner, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mit-telalter, München 2004, S. 90.

15 Vgl. Walter Haug, Geschichte, Fiktion und Wahrheit. Zu den literarischen Spielformen zwischen Faktizität und Phantasie, in: Fritz Peter Knapp, Manuela Niesner (Hg.), Histo-risches und fi ktionales Erzählen im Mittelalter, Berlin 2002, S. 122.

16 Hartmut Kugler, Jans Enikel und die Weltchronistik im späten Mittelalter, in: Winfried Frey, Walter Raitz, Dieter Seitz (Hg.), Einführung in die deutsche Literatur des 12. bis 16. Jahrhunderts, Bd. 2: Patriziat und Landesherrschaft – 13.–15. Jahrhundert, Opladen 1982, S. 216–252.

17 Vgl. Fritz Peter Knapp, Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439, Graz 1999, S. 257.

18 Christiane Witthöft, Ritual und Text. Formen symbolischer Kommunikation in der Historiographie und Literatur des Spätmittelalters, Darmstadt 2004.

153Konstruktion der Welt

1 Prolog und Konzeption der ›Weltchronik‹

Der Autor der ›Weltchronik‹ und des ›Fürstenbuches‹ nannte sich Johans oder Jansen Enikel und ist urkundlich nicht bezeugt. In den Prologen stellt er sich selbst vor:

Der ditz getiht gemachet hât,der sitzt ze Wienn in der statmit hûs und ist Johans genant.an der korôniken er ez vant.der Jansen enikel sô hiez er.19

ich bin Jans genant,daz getiht ich von mir selben vant.hern Jansen eninchel heize ich;des mac ich wol vermezzen mich,daz ich ein rehter Wienner bin.20

Jans nannte nicht nur selbstbewusst seinen Namen und betonte seine Autorschaft, sondern wies vor allem auf seinen sozialen Status hin. Nach eigener Aussage hob er auf seinen Hausbesitz ab, was vor allem rechtliche Bedeutung hatte. Obwohl Hausbesitz noch keine Voraussetzung für den Besitz des Bürgerrechtes einschloss, bleibt anzunehmen, dass Jans der zu der Zeit neu entstehenden Ritterbürger-schicht angehörte, die ihre Rechte von ihrem Besitz herleitete.21 Die sogenannten ›Erbbürger‹ des österreichischen Landrechts sind mit den Ritterbürgern gleichzu-setzen. Jans grenzte sich damit als Alteingesessener von den Zuwanderern und Emporkömmlingen ab.22

Aus den Prologen geht nicht nur hervor, dass Jans souverän mit den bekann-ten Prologtopoi umging und damit einer bestimmten Wissenstradition verhaftet war, sondern die Aussagen zeigen gleichzeitig, dass er auf genealogische Bezüge zurückgriff, um seine eigene Situierung zu verdeutlichen: Er ist Jans der Enkel und gehört in die Stadt Wien. Er wich demnach nicht von herkömmlichen Traditionen des Adels ab, sondern adaptierte sie, um seinen Status zu betonen. Der verkürzten Form allerdings, in der Jans seine Aussagen zusammenfassend darstellt, ist ein

19 Jansen Enikels Werke, Weltchronik, hg. von Philipp Strauch (Monumenta Germaniae His-torica, Deutsche Chroniken 3), Hannover und Leipzig 1900, V 83–87. S. 2.

20 Ebd., Fürstenbuch, V 19–23. S. 599.21 Vgl. Otto Brunner, Das Wiener Bürgertum in Jans Enikels Fürstenbuch, in: Ders. (Hg.),

Neue Wege der Sozialgeschichte. Vorträge und Aufsätze, Göttingen 1956, S. 116–134, hier S. 116.

22 Vgl. Peter Csendes, Stadtherr und bürgerliche Führungsschicht in Wien, in: Wilhelm Rausch (Hg.), Stadt und Stadtherr im 14. Jahrhundert. Entwicklungen und Funktionen, Linz 1972 (Beiträge zur Geschichte Mitteleuropas 2), S. 251–256, hier S. 252.

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feiner ironischer Nachklang nicht abzusprechen. Die mögliche Zugehörigkeit des Jans zur Wiener Oberschicht wird durch verschiedene Anspielungen im Text un-terstrichen. Seine Interessen gingen deutlich mit dem Typus des sich etablierenden spätmittelalterlichen Ritterbürgers einher. Er beschrieb in seinen Texten nicht nur Geldwirtschaft und Kreditgeschäfte, sein Interesse galt darüber hinaus dem Land-besitz, kaufmännischen Aktivitäten, Kämpfen und prunkvollen Kleidern.

Jans galt in der Forschung lange Zeit als »Novellist«23 unter den Geschichts-schreibern, der die Geschichte der Welt von der Schöpfung bis zu Friedrich II. und der Babenberger in Österreich, von Markgraf Adalbert bis Herzog Friedrich II., mittels amüsanter Geschichten und eingekleidet in unterhaltsame Anekdoten erzählte.24 Gerade aufgrund der besonderen Art seiner Darstellung und des Un-erhörten seiner Geschichten wurde dem Werk allerdings bisher ein zu geringer »historischer Wert«25 beigemessen. Dabei sind es, meiner Ansicht nach, gerade die teilweise skurrilen Geschichten, die Jans Werk so interessant machen. Hier schließt sich auch die Frage nach der Wirkabsicht und der Tradition seiner Er-zählungen an. Was für ein ›Bild‹ der Welt wollte der Autor mit seiner spezifi schen Darstellung vermitteln?

Auf die lateinische Ausbildung des Autors lässt bereits die Gestaltung des Pro-loges schließen, in dem der Autor sich rhetorischer Muster bediente. Als Quellen nennt er die koronike26 und das buoch,27 womit er auf die Bibel und möglicherwei-se die ›Kaiserchronik‹ rekurrierte. In der Forschung besteht weitestgehend Einig-keit darüber, dass Enikel zudem das dritte Buch der Kosmographie, ›De imagine mundi‹, des Honorius Augustodunensis, ein unbekanntes Annalenwerk, Texte aus jüdisch-apokrypher Tradition und die ›Historia scholastica‹ des Petrus Comestor verwendet hat.28 Eindeutigere Quellenhinweise lassen sich dem Werk jedoch nicht entnehmen. Zugang zu den Texten erhielt er wahrscheinlich in der Bibliothek des Wiener Schottenklosters, mit dem Jans in Kontakt stand. Die Spezifi k der Jans-schen Erzählweise zeigt sich vor allem in der Darstellung der einzelnen Kaiser und

23 Knapp, Die Literatur des Spätmittelalters (wie Anm. 17), S. 257.24 Vgl. Ursula Liebertz-Grün, Das andere Mittelalter. Erzählte Geschichte und Geschichts-

erkenntnis um 1300. Studien zu Ottokar von Steiermark, Jans Enikel, Seifried Helbling, München 1984 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 5), S. 90.

25 Vgl. Hans Rupprich, Das Wiener Schrifttum des ausgehenden Mittelalters, in: Öster-reichische Akademie der Wissenschaften, Sitzungsberichte, Bd. 228, Wien 1954, S. 25.

26 Weltchronik, V 86, S. 2.27 Weltchronik, V 88, S. 2.28 Strauch, Jansen Enikels Werke (wie Anm. 19), S. LXIII.; Karl-Ernst Geith, Carolus

Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, München 1977 (Bibliotheca Germanica 19), S. 223; Ders., Enikel, Jans, in: Kurt Ruh (Hg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begr. v. Wolfgang Stammler, fortgef. v. Karl Langosch. Bd. 2, 2. Aufl . Berlin, New York 1979, Sp. 565–569.; Ursula Liebertz-grün, Gesellschaftsdarstellung und Geschichtsbild in Jans Enikel ›Weltchronik‹. Mit Notizen zu Geschichtserkenntnis und Geschichtsbild im Mittelalter, in: Euphorion 75 (1981), S. 77.

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Päpste innerhalb der deutschen und römischen Geschichte. Der Autor gestaltete diese Portraits, indem er bekannte Erzählmotive mit brisanten Informationen ver-band. Dabei nahm er keine moralischen Wertungen vor, sondern verfasste eher unterhaltsame Erzählungen ganz unterschiedlicher Länge, die die Herrscher ge-rade in unerwarteten und unerhörten Situationen präsentieren. Zentrales Augen-merk legte Jans auf die Beziehungen zwischen Mann und Frau, die der Autor in ihren verschiedenen Facetten vorführte, wobei vor allem die Motive der ›Untreue‹ und des ›kinderlosen Paares‹ wiederholt Verwendung fanden. Bereits in der Ur-sprungsgeschichte um die Stammeltern Adam und Eva nahm Jans diese Proble-matik nicht nur auffällig ausführlich, sondern aus mittelalterlicher Perspektive auch in ungewöhnlicher Ausformung auf: Eva will aus Hochmut und Ehrsucht zur Herrscherin des Himmels avancieren. Sie beschimpft den verängstigten Adam, der sein Weib daraufhin zwar in wildem Geschrei verfl ucht, aber dennoch aus dem Paradiese vertrieben wird. Auch einer von Noahs Söhnen bemächtigt sich, trotz strengsten Verbots auf der Arche, seiner Frau. Karl der Große hält Beischlaf mit einer Toten und Friedrich von Antfurt unterhält mehrere Jahre eine ehebrecheri-sche Verbindung mit einer verheirateten Gräfi n.

Motive und Erzählungen, die in verschiedenen Formen bekannt sind, wurden hier in abgewandelter Form neu erzählt und zusammengebracht. Eine der auffäl-ligsten und sonderbarsten Anekdoten, die Jans zum Besten gibt, ist die Episode um Kaiser Nero. Dass die Frau dem Mann dienen und zur Sicherung der Nachfolge bestimmt ist, führte Jans bereits am Beispiel der Genesisgeschichte aus. Dieses Motiv nahm er in der Anekdote um Nero erneut auf. Nero, der in der mittelalter-lichen Erzähltradition, wie etwa bei Otto von Freising oder der ›Kaiserchronik‹, als Negativexemplum weltlicher Herrschaft diente,29 seziert in der Enikel-Chronik seine Mutter:

Der selb verfl uochent Nerô,der gedâht im alsômit herzen und mit sinne:ich muoz des werden inneund mir mîn ougen geben schîn,

29 In der ›Kaiserchronik‹ wird Nero als der aller wirste man beschrieben der von muoter in diese werlt ie bekom. Vgl. Kaiserchronik, in: Edward Schröder (Hg.), Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des Mittelalters. Bd.1: Deutsche Kaiserchronik. Trierer Sil-vester. Annolied, Hannover 1895 (Monumenta Germaniae Historica, Deutsche Chronik-en 1), V 4085–86, S. 156. Der Bericht über den Brand Roms, der ebenfalls Nero zugespro-chen wird, geht auf Sueton zurück. In den Caesarenviten heißt es: 38. Sed nec populo aut moenibus patriae pepercit. Dicente quodam in sermone communi: εμο� θανοντος γα�α

μειχθ�τω πυρ�, »immo«, inquit, »εμο� ζ�ντος«, paneque ita fecit. Nam quasi offensus deformitate veterum aedifi ciorum et angustiis fl exurisque vicorum, incendit urbem tam palam, […]. Zitiert nach: Sueton, Leben des Claudius und Nero. Textausg. m. Einl., krit. App. u. Komment. hg. von Wilhelm Kierdorf, Paderborn, München, Wien, Zürich 1992, 38, 1–4, S. 64f.

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wâ ich in der muoter mîn sî gelegen, des muoz ich spehenund mit mînen ougen sehen.30

Nero bittet verschiedene Ärzte, ihm eine Schwangerschaft zu ermöglichen:

dâ will ich iuch frâgen,ob ir möht gemachenmit seltsænen sachen,daz ich ein kint gebern solt.ich gæb iu silber unde golt,wan an nie dheinem manwær daz wunder ergân.31

Mit ihrer Hilfe gelingt das Wunder: Nero gebiert eine Kröte:

dâ von sô wuohs ein krot wîtin sînem lîb an der zît.32

Obwohl Jans auch für diese Episode einen großen Teil aus der ›Kaiserchronik‹ übernommen hat, entwickelte er eine eigene Geschichte. Darin steht vor allem der Wunsch des Herrschers nach einem Kind, damit die Fähigkeit, selbst für die Fortsetzung der eigenen gens verantwortlich zu sein, im Vordergrund. Der Fokus scheint auf der Gebärfähigkeit des Mannes zu liegen, der damit die Frau aus ihrer eigentlichen Funktion, der Sicherung der Nachkommenschaft und der Vermeh-rung des Gottesvolkes, ablöst. Die Ärzte weisen in der Jansschen Anekdote den Kaiser explizit darauf hin, dass dies als alleinige Gabe der Frau, eben wîplich33 sei. Neros Vorhaben wird entsprechend als unreht34 und damit contra naturam herausgestellt. Auch der Versuch der Ärzte, sich des Kaisers, der ohnehin auf-grund seiner zahlreichen Verfehlungen Unheil für das Reich bedeutete, durch ei-nen selbstgebrauten Trank zu entledigen, scheitert. Nero gebiert schließlich die Kröte, indem er sie erbricht. Er nimmt das Tier als sein Kind an. Dieses allerdings verschwindet in den von ihm präferierten feuchten Lebensraum.

Frösche und Kröten sind in der mittelalterlichen Literatur unterschiedlich konnotiert.35 Insbesondere Kröten gelten als giftig und gefährlich, da der Glaube verbreitet war, dass sie mit dem Teufel in Verbindung stünden. Ob ihrer besonde-ren Kraft aber, fand ihr ›Gift‹ gleichzeitig für heilkundliche Zwecke Verwendung. Das Auftreten des Frosches innerhalb der Nerogeschichte ist mit dem Motiv der

30 Weltchronik, V 23.039–23.046, S. 448f.31 Ebd., V 23.058–23.064, S. 449.32 Ebd., V 23.135–23.136, S. 451.33 Ebd., V 23.065, S. 449.34 Ebd., V 23.069, S. 449.35 Vgl. dazu: Hanns Bächthold-Stäubli, Kröte, in: Ders. (Hg.), Handwörterbuch des deut-

schen Aberglaubens, Bd. 5, Berlin/Leipzig 1933 (Nachdruck Berlin 2000), Sp. 608–635.

157Konstruktion der Welt

widernatürlichen Unzucht verbunden. Die Kröte steht, als Produkt künstlicher Befruchtung, für Neros pervertierte Wünsche, die sich gegen die Natur richten und als zutiefst sündhaft gelten. Das Leben Kaiser Neros, und dies muss im Sub-text mitgedacht werden, ist nach mittelalterlicher Vorstellung, die sich vor allem aus den Darstellungen Senecas und Suetons speiste,36 Symbol der nicht vorbild-haften Herrschaftsausübung. Nero gelangte nicht nur durch den Mord seiner Mutter, Agrippina, an seinem Stiefvater Claudius auf den Thron, seine gesamte Herrschaftszeit war zudem durch zahlreiche Morde gespickt. Das Motiv der Wie-derkehr des Kaisers nach dem Tod gehörte zum bekannten Erzählgut und ver-schmolz mit Antichristprophezeihungen zur Nero-Antichrist-Sage.37 Die von Jans aufgegriffenen sagenhaften Erzählungen um den Kaiser wurden im Mittelalter häufi ger rezipiert, was die Überlieferung in der ›Kaiserchronik‹, im ›Moritz von Craun‹ oder in der ›Legenda aurea‹ bestätigt.

Jans griff mit diesem zunächst grotesk anmutenden Exempel verschiedene The-men auf. Zum einen wird die Unmöglichkeit der Herrschaft des Kaisers bereits dadurch in Frage gestellt, dass Nero die klar festgelegten, weiblichen Aufgaben, der Sicherung der Nachkommenschaft und der Vermehrung des Gottesvolkes, als Mann okkupieren will. Die Absurdität der Idee dieser Geschichte refl ektiert auf höherer Ebene ordo-Konfl ikte, die, eingebunden in eine Weltchronik, auf gesamt-gesellschaftliche Konfl ikte schließen lassen. Darüber hinaus transportiert die Ge-schichte den Gedanken an eine mögliche Wiederkehr des schlechten Kaisers, so dass die Zerstörung der weltlichen Ordnung thematisiert und in einem weiteren Schritt, die Frage nach der eigenen Kontinuität und dem eigenen Standpunkt in der Welt auch in der Reimchronik des Jans erneut aufgeworfen wurde. Schließlich führt nicht nur Neros Vergehen als Staatsmann in die Katastrophe, sondern auch, und dieser Eindruck ergibt sich aus der Chronik, der Abbruch der dynastischen Nachfolge.

Die Reihe der ordo-Verleztungen in der Jansschen Chronik ließe sich beliebig erweitern. Die Geschichten um Karl den Großen reihen sich ebenfalls in diesen Kanon ein. Das Bild Karls, der gemeinhin in der literarischen Überlieferung als herausragendes Beispiel weltlicher Herrschaft gilt und zudem in der staufi schen Zeit als Fortsetzer römischer Herrschaftstradition neu inthronisiert wurde,38 ver-änderte Jans, indem er u.a. die Nekrophilie des Kaisers thematisierte. Jans kompi-lierte in den Karlsgeschichten verschiedene Erzählmotive und -stoffe, wie etwa die

36 Sueton berichtet in aller Ausführlichkeit über die ausschweifende Lebensart, das unzüch-tige Verhalten, die Verwandtenmorde etc. des Kaisers Nero. Vgl. Sueton, Claudius und Nero (wie Anm. 29).

37 Franz Kampers, Kaiserprophetien und Kaisersagen im Mittelalter. Ein Beitrag zur Ge-schichte der deutschen Kaiseridee, München 1895, S. 20.

38 Vgl. Bernd Bastert (Hg.), Karl der Große in den europäischen Literaturen des Mittelal-ters. Konstruktion eines Mythos, Tübingen 2004.

158 Mierke

Sage vom Wunderritt, der Gerichtsglocke oder die Alexandersage – Geschichten, die aus den ›Gesta Romanorum‹ oder dem ›Dialogus miraculorum‹ des Caesarius von Heisterbach bekannt waren.39 Jans lieferte in seiner Darstellung allerdings eine neue Komposition und Mischung der Stoffe. Karl kommt beispielsweise, ob-wohl er bei Jans als Bruder des Papstes eingeführt wurde, nicht nur die Rolle des rex iustus zu, sondern auch er vergeht sich durch falsche Rede gegen Gott, er hêt zorniclîchen geret gegen got den rîchen.40 Die zu erwartende Strafe zieht nicht nur den Tod seiner Gattin nach sich, sondern führt in übersteigerter Form zur bereits erwähnten Nekrophilie. Die geläufi ge Vorstellung von Karl dem Großen, als Inbe-griff des rex christianus, wurde durch Jans’ Erzählungen und neue Stoffkompila-tionen subtil unterlaufen und partiell ironisch überhöht.

Diese hier skizzierte ambivalente Darstellung der Kaiser setzt sich innerhalb der Einzelportraits bis zum Ende der Chronik, einschließlich bis zu Friedrich II., als dem letzten der großen Kaiser, in der Enikel-Dokumentation fort. Jans stellte da-mit nicht nur das Bild der vergangenen Großen in Frage, sondern auch das Image seiner Zeitgenossen, so dass bei der Vermutung, er wolle ein ideologisch-politi-sches Programm vermitteln, ebenfalls Vorsicht geboten ist. Auch von Friedrich II. entwirft Jans das Bild einer zwielichtigen Gestalt, was der Chronist am Beispiel der Wahl des Kaisers deutlich macht. Da die Wähler sich auf keinen Kandidaten einigen konnten, so liest man bei Jans, dass Friedrich sich schließlich selbst zum König ernannte. Die sagenhaften Geschichten, die Friedrich II. in der Literatur umgeben, wie etwa seine ›Aufzucht‹ von Meuchelmördern oder seine medizini-schen Experimente, wurden in der Chronik noch stärker überzeichnet. Jans zeich-nete ihn als grausamen Machtpolitiker, der Gefangene auf brutale Art umbringen ließ. Das Nebulöse und Bizarre an der Gestalt Friedrichs wurde deutlich betont, und damit die Vorstellung gefördert, dass der Kaiser nicht tot, sondern entrückt sei. Jans ›Weltchronik‹ ist ein Zeichen dafür, dass unmittelbar nach dem Ende der staufi schen Herrschaft fantastische Geschichten um den Kaiser weitererzählt und seine Herrschaft bereits bei den Zeitgenossen als Ende der Zeiten wahrgenommen wurde.

An diese knappe Skizzierung der Jansschen Erzählart schließt die Frage an, was der Autor mit dieser bizarren Darstellung der Geschichte beabsichtigte, die in vielerlei Hinsicht nahezu absurd erscheint. Auffällig ist, dass Jans für keine Person eindeutig Partei ergriff. Er schilderte Päpste und Kaiser gleichermaßen, sowohl positiv als auch negativ. Dennoch ist klar, dass kein einziger unter ihnen sich wahr-haft vorbildlich verhielt, wie es bei einer Galerie von Kaiserportraits eigentlich zu erwarten wäre. Jans entwirft kein Bild eines idealen Kaisers, bzw. einer idealen christlichen Herrschaft. Seine Darstellung wird viel mehr zu einer Geschichte von ordo-Verstößen und Skandalen.41 Damit durchbrach er nicht nur die bekannten

39 Knapp, Die Literatur des Spätmittelalters (wie Anm. 17), S. 241.40 Weltchronik, V 26.246–26.247, S. 512.41 Witthöft, Ritual und Text (wie Anm. 18), S. 104.

159Konstruktion der Welt

Erzählschemata, sondern beschrieb, wenn auch subtil, die Diskrepanz zwischen geistlicher und weltlicher Ordnung, an deren irdischer Harmonisierung Jans, zu-mindest in seinem literarischen Entwurf, entschiedene Zweifel anmeldete.

Obwohl es dem Autor scheinbar nicht darauf ankam, eine Dynastie zu in-szenieren, kann ihm doch ein lokalhistorisches Engagement nicht gänzlich ab-gesprochen werden. Insbesondere die österreichischen Herzöge erscheinen in kleineren Episoden als vorbildhafte Figuren. Nicht zuletzt schloss der Autor die babenbergische Genealogie direkt an Karl den Großen und den Sprachenspiegel an. Die Ächtung und Amtsenthebung Friedrichs II. von Österreich wird ebenso verschwiegen wie die Rolle Herzog Leopolds VI. beim Sturz Ottos IV. Obwohl Jans auch an diesen Fürsten zuweilen Kritik übte, bzw. sie als lächerliche Gestal-ten erscheinen ließ, war ihm doch an der Repräsentation und der dynastischen Legitimation der Babenberger gelegen. Aus dieser Perspektive kann die Chronik als literarische Suche nach mythologischen Ahnen gelesen werden, in der die reale Geschichte bewusst ausgeblendet und zunächst die Inszenierung von Herrschaft im Vordergrund stand. Da diese Inszenierung aber gerade nicht glatt erscheint, vielmehr ambivalent und brüchig erzählt wurde, drängt sich der Eindruck auf, dass der Autor absichtlich und nicht aus Unkenntnis, seine Geschichten in so skurriler Form entworfen hat.

Durch diese Art der Darstellung gelang es ihm, die verworrenen Verhältnisse im Reich sowohl auf geistlich-klerikaler als auch auf weltlicher Ebene zu bekla-gen – teilweise ironisch, teilweise ratlos. Eine solche Lesart der Chronik unterstellt dem Autor eine kritische Leistung und ein dichterisches Selbstbewusstsein, das ihm bisher von der Forschung abgesprochen wurde. Obwohl vom Autor keine umfassende Gesellschaftsanalyse erwartet werden kann, wird dennoch deutlich sichtbar, dass Jans die guten und schlechten Taten der Herrscher additiv darstellte und keine dezidierten moralischen Zuweisungen lieferte. Er ließ die Ereignisse hingegen unkommentiert stehen, ganz als ob dem Publikum selbst die Wertung überlassen werden sollte oder diese allgemein bekannt war.

2 Die literarische Konstruktion der Welt

Jans Enikel hat seine ›Weltchronik‹ nach den im Mittelalter bekannten Modellen der Weltalter und Weltreiche strukturiert. Daneben dokumentieren der Papstkata-log, der Sprachenspiegel und die babenbergische Genealogie die Chronologie der Heils- und Weltgeschichte. Obwohl in der Forschung umstritten ist, ob die Chro-nik bewusst nach den sechs Weltaltern gegliedert wurde, scheint diese Struktur sichtbar.42 An einigen Stellen wurden Prosaeinschübe, sowohl in Latein als auch in der Volkssprache, in den Text integriert, die auf den Beginn eines Weltalters hin-

42 Vgl. Kugler, Weltchronistik (wie Anm. 16), S. 219.

160 Mierke

weisen. Am Beginn des vierten Weltalters fi ndet sich beispielsweise der Einschub Hye hebt sich an das vierd alter.43 Auch das sechste Weltalter wird in der Über-lieferung von Handschrift 9 durch einen Prosatext in deutscher Sprache initiiert, den nicht alle Handschriften enthalten: Hye wurden der römär ratgeben abgeseczt. Dar nach reychsent in dem sechsten alter der chaiser äugustus. Pey den zeiten ward geporn Jesus christus.44 Der Anfang oder das Ende des ersten, zweiten und fünften Zeitalters werden nicht extra hervorgehoben. Zu vermuten bleibt, dass der Autor die Ergänzungen nachträglich eingefügt hat oder dass er die Kenntnis dieser Vorstellung bei seinem Publikum als geläufi g voraussetzte.45 Unter diesem Aspekt konnte er an ein Wissen anknüpfen, das durch seine Geschichten ergänzt wurde. Auch bei Nichtvorhandensein der hinweisenden Prosaeinschübe kann der Text relativ klar in die sechs Weltalter unterteilt werden.

Die Weltreichvorstellungen übernahm Enikel in etwas abgewandelter Form. Nicht das Römische Reich ist das letzte vor dem Erscheinen des Gottesreiches, sondern das Makedonische. Dies entspricht der vorchristlich-jüdischen Trau-mauslegung,46 die der Autor offenbar gekannt haben muss. Enikel hat zwar den Traum des Nabuchodonosor dementsprechend gedeutet, einige Verse zuvor stellte er die Beziehung zwischen Trojanern und Franken durch Eneas und Franco her und erklärte auf diese Weise den Übergang des Imperiums von Rom auf die Fran-ken. Die verschiedenen Möglichkeiten der Weltreichsdefi nitionen schienen ihm geläufi g zu sein. Hinter dem Werk ist ein laikales Publikum zu vermuten, das den Anspruch auf Bildung erhob und über bestimmte Wissensgrundlagen verfügte. Die Konzeption des Werkes nach den sechs Weltaltern lässt beispielsweise vermuten, dass dieses Wissen nicht explizit dargestellt werden musste. Darüber hinaus spie-len lokalhistorische und genealogische Aspekte eine Rolle, bleiben dem Gesamt-konzept allerdings untergeordnet.

Als Elemente, die die Chronik strukturieren, fallen die bereits genannten, wie der Prosakatolog der Päpste, der Sprachenspiegel und die Babenbergische Gene-alogie, auf, die ebenfalls in Prosa abgefasst sind. Den Papstkatalog kannte Jans wahrscheinlich aus der ›Imago mundi‹ des Honorius Augustodunensis. Jener ent-hält einen Überblick über die Päpste und ihre Regierungszeiten von Petrus bis zu Gregor X. Diese Aufl istung suggeriert einen Anspruch auf Vollständigkeit und gibt der sonst fabulösen Darstellung einen soliden Anstrich, der allerdings durch die Geschichten um die Päpste erneut konterkariert wird. Auch hier fügte Jans unterschiedliche Bausteine der Textgestaltung aneinander. An den Überblick über die Geschichte Roms und seiner Kaiser knüpft die Beschreibung des so genannten

43 Weltchronik, S. 321.44 Weltchronik, S. 417.45 Vgl. Kugler, Weltchronistik (wie Anm. 16), S. 237ff.46 Harald Tersch, Unruhe im Weltbild. Darstellung und Deutung des zeitgenössischen

Lebens in deutschsprachigen Weltchroniken des Mittelalters, Wien/Köln/Weimar 1996, S. 49.

161Konstruktion der Welt

Völker- bzw. Sprachenspiegels. Hier gab Jans einen Abriss der zwölf christlichen Sprachgemeinschaften, wobei er die deutsche nochmals unterteilt und vor allem die Merkmale der österreichischen etwas detaillierter ausführte. Anschließend lei-tete er auf die babenbergische Genealogie über, in der er die einzelnen Herzöge und Könige aufzählte und ihre Verbindungen zu den deutschen Königen und Kai-sern betonte. Schließlich widmete er Herzog Friedrich II. von Österreich größere Aufmerksamkeit, der in die Erzählungen um den Kaiser Friedrich II. eingebunden war. Der Herzog wurde nicht nur als weiser Mann beschrieben, sondern er war, folgt man Jans, sogar in der Lage, den ketzerischen Herrscher mit dem Papst zu vereinigen. Jans betonte, dass dieser Herzog weltliche und geistliche Macht verein-te und vom Papst die Steiermark und Österreich erhielt.

er wær ein ketzerlîcher man,dâ von sô wær er in dem ban.daz keiseramt wær im entseit.dô wart dem herzogen leit,dem fürsten ûz Œsterrîch.dar umb sô fuor er sicherlîchgegen Pülln in daz Ôsterlantund macht si zuo friunt zehant,den bâbst und den keiser dâ.durch sînen willen liezen si ez sâ.dô gap der bâbst Gregoriusdem herzogen ein gâb alsus,daz Stîr unde Ôsterlant47

Unter Berücksichtigung des historischen Kontextes ergibt sich folgendes Bild.48 Das Geschlecht der Babenberger herrschte von 976–1246 in Österreich. Fried-rich II. trat 1228 die Regierung an und stand Zeit seiner Herrschaft aufgrund seiner eigenwilligen Landespolitik sowohl mit seiner engeren als auch mit seiner weiteren Umgebung wie Böhmen, Ungarn und dem Kaiser in Konfl ikt. Nach die-sen unterschiedlichen Auseinandersetzungen, die unter anderem auch dazu führ-ten, dass selbst die Stadt Wien von diesem Fürsten abfi el, konnte er ab 1237 seine Macht wieder zurückerlangen. Er sprach Wien neues Stadtrecht zu, begünstigte die Bürger und stützte seine Herrschaft verstärkt auf die Ministerialen und die Städte. Hinzu kommt, dass Friedrichs erste Ehe mit Agnes von Meranien kinder-los geblieben war und er sich seit 1241 um eine Trennung dieser Ehe bemühte, was 1243 vollzogen wurde. Anschließend war er darum bemüht, eine Ehe einzu-gehen, die ihm die Nachfolge in den österreichischen Landen sichern sollte. Mit seinem Tod war das Geschlecht der Babenberger in männlicher Linie erloschen, das Österreich zum Herzogtum geführt hatte.

47 Weltchronik, V 28.671–28.683, S. 569.48 Vgl. dazu: Karl Lechner, Die Babenberger. Markgrafen und Herzöge von Österreich

976–1246, 6. Aufl ., Köln/Weimar/Wien 1996, S. 241ff.

162 Mierke

Vor dem Hintergrund des historischen Kontextes kann Jans von Wien ein lo-kalhistorisches Interesse nicht abgesprochen werden. Dies zeigt sich vor allem in seiner Darstellung der näheren Zeitgeschichte, wobei Herzog Friedrich von Öster-reich eine Sonderfunktion zukam. Seine Regierung endet in der Chronik unmittel-bar mit dem Verschwinden des Kaisers, was beim Publikum den Eindruck erwe-cken musste, dass die Zeit der Kaiser vorerst in nebulösem Dunkel verschwunden war, aber nicht gänzlich als verloren galt. Nach Friedrich II. war ein vorläufi ges Ende erreicht, das durch etwas Neues abgelöst werden musste. Auch nach Herzog Friedrich gab es keine legitimen Herzöge mehr, die eine gesicherte Herrschaft der Dynastie gewährleisten konnten. Jans spielt in seiner Darstellung mit den Vorstel-lungen der alten Ordnung, mit der Legitimation der geistlichen und der weltlichen Gewalt, mit dem Anspruch der Kaiser und der Päpste. An einigen Stellen, ins-besondere aufgrund der Absurdität seiner Geschichten, kann die Chronik schon fast als teilweise ironische Reaktion bzw. als Kritik an den zerrütteten Normen in der sichtbaren Welt gelesen werden. Die Genealogie, die in der Weltchronik als verbindendes Element erscheint und auch in der Abfolge der babenbergischen Herrscher erneut herausgestellt wurde, gilt als kulturelle Ordnungsform, die zeit-liche und räumliche Relationen herstellt. Durch sie konnte die dargestellte Ge-schichte heilsgeschichtliche Dignität erlangen. Die Ordnung der Welt kann durch den Anschluss an die Mythen in Gang gehalten werden. Diese Ordnung wird in den meisten Chroniken literarisch inszeniert. Genau dies aber scheint Jans über-wunden und durchbrochen zu haben. Er spielte mit der Genealogie und kritisierte dieses Moment indirekt. Für Jans selbst, so wird im Prolog deutlich, spielte das Wissen um seine Herkunft, seine Eltern, seinen sozialen Status eine entscheidende Rolle. Er zählte sich selbst zur städtischen Oberschicht Wiens. Die rechtliche Legi-timation dessen schien für ihn von großer Bedeutung, da er auch im Fürstenbuch betonte, dass eines herren Jansen sun49 zusammen mit elf anderen Bürgern Wiens an den Hof Friedrich des Streitbaren berufen wurde.

Die Geschichten, die Jans additiv aneinander reihte und die bislang in der For-schung keinen strukturellen Zusammenhang ergaben, funktionieren nach dem Prinzip, ordo-Verstöße auf zum Teil ironische Art darzustellen. Die Genealogie als ordnendes Prinzip der gesamten Chronik wurde eingehalten, an einigen Stellen wie zum Beispiel der Nerogeschichte auch konterkariert. Aus dieser Perspektive kann Jans zunächst verworren erscheinende Erzählart eine bestimmte Rationalität unterstellt werden, wie dies Horst Wenzel bereits betonte.50 Seine teilweise dras-tischen Geschichten brechen jegliche Auffassung von gerechter Herrschaft bzw. Machtausübung und stellten somit das Praktizierte in Frage. Das Geschlecht der Babenberger erlosch in männlicher Linie, die Frage der Nachfolge war ungeklärt, der staufi sch-welfi sche Thronstreit und seine Nachwirkungen hatten ebenfalls für

49 Fürstenbuch, V 2434, S. 646.50 Horst Wenzel, Höfi sche Geschichte. Literarische Tradition und Gegenwartsdeutung in

den volkssprachigen Chroniken des hohen und späten Mittelalters, Bern 1980, S. 91f.

163Konstruktion der Welt

große Unruhe im Reich gesorgt. Die Wiener Stadtbürger versuchten, ihren Status zu festigen und quasi neue Machtprinzipien, die letztlich auf alten basierten, zu manifestieren.

3 Zusammenfassung

Die literarische ›Konstruktion‹ der Welt in der Chronik des Jans Enikel zeigt zu-nächst auf der Ebene der Textstruktur, dass der Chronist traditionelle Muster und Vorstellungen wie Weltalter, Weltreiche, Abfolge der Zeiten, genealogische Strukturen verarbeitet hat und diesbezüglich gänzlich seiner Zeit verhaftet war. Gleichzeitig allerdings hat er mit vorhandenen Konventionen gebrochen, indem er in den Erzählungen um Kaiser und Päpste nicht ihre Vorbildhaftigkeit inszenierte, sondern gerade ihre Laster- und Sündhaftigkeit thematisierte.

Entgegen der bislang vertretenen Forschungsmeinung, die der Chronik keinen besonderen Wert zusprach, scheint an diesem Beispiel aus wissenssoziologischer Perspektive doch klar zu werden, dass der Autor, der aus einer aufsteigenden Schicht stammte, auch an ihrer Legitimation interessiert war. Damit stimme ich Horst Wenzel zu, der schon einmal betonte, dass sich »die historisch-soziologisch diagnostizierte Verbindung traditionell-aristokratischer und merkantil-städtischer Komponenten in Wien«51 auch in der Chronik des Jans durchsetzte. Aufgrund der Wirren des welfi sch-staufi schen Thronstreites und dem Ringen um den weltlichen Herrschaftsbereich unter den Fürsten blickte er offenbar aus einer übergeordneten Perspektive auf das Weltgeschehen, das für ihn in seiner irdischen Ausprägung keine Ordnung erkennen ließ. So, wie die Ordnung in seiner Chronik gestört er-scheint, waren sowohl weltliche als auch geistliche Ordnung erschüttert und beide Machtsphären nicht mehr vereinbar. Hinzu kommt, und dies deutet auf einen Bruch bzw. eine veränderte Ausrichtung des epistemischen Kanons, dass Jans für ein Laienpublikum des Hofes bzw. der Wiener Ritterbürgerschicht schrieb. Da er selbst eine lateinische Ausbildung erfahren hatte, kolportierte er nicht nur, son-dern verfasste mit eigenem literarischem Anspruch eine Chronik in der Volksspra-che. Dennoch nahm er die Rolle des mittelalterlichen Historiographen, der die Ereignisse in der Welt als gestum auslegt,52 nicht explizit für sich in Anspruch, da er keine Ausdeutung lieferte.

Die Reimchroniken stehen zwischen Dichtung und Historiographie, zeigen aber neben universalgeschichtlichen Aspekten die Tendenz, Sonderinteressen ein-zelner Landschaften, Territorien und Städte darzustellen. In der zweiten Hälfte des

51 Ebd., S. 101.52 Verena Epp, Von Spurensuchern und Zeichendeutern. Zum Selbstverständnis mittelal-

terlicher Geschichtsschreiber, in: Laudage, Fakten und Fiktionen (wie Anm. 1), S. 43–62, hier S. 47.

164 Mierke

13. Jahrhunderts entstand eine volkssprachliche Geschichtsliteratur, die auf ein Geschichtsinteresse, das auf einem fundamentalen Bedürfnis nach Selbstidentifi -kation und einem damit verbundenen Bildungsanspruch basierte, zurückzuführen ist. Die Chroniken wurden für Laien geschrieben, die Reimform unterstützt das Veranschaulichen und Memorieren. Unterhaltung wird hier mit der Vermittlung von Wissen über die Welt verbunden, wobei Grundkenntnisse der heiligen Tex-te und das Wissen um dynastische Gesetzmäßigkeiten der Herrschaftsnachfolge vorausgesetzt wurden. Dabei erlangte die Geschichte der eigenen Zeit in ihrer Verknüpfung mit der mythologischen und heilsgeschichtlichen Vergangenheit grö-ßere Bedeutung, was auf ein zunehmendes Interesse an lokalgeschichtlichen Ge-gebenheiten einerseits und der eigenen Identität andererseits schließen lässt. Die Suche nach dem Sinn in der Geschichte und die ›Konstruktion von Wirklichkeit‹ ging mit dem Bedürfnis nach Repräsentation und Inszenierung der Fürsten und ihrer Machtzentren einher.53 Die literarischen Texte können nicht als ein solches ›Abbild der Wirklichkeit‹ gelesen werden, sondern einzig als Reaktion auf die Welt und als Archiv bestimmter Vorstellungen, »als Archiv eines kulturellen Gedächt-nisses«54 – nicht zuletzt als eine Hybridbildung aus Fiktion und Wahrheit. Altes und Neues Wissen verbindet sich in den Anekdoten, die Jans zu berichten weiß. Ihre neuartige Gestaltung deutet einen veränderten Umgang mit den Traditionen und dem Bild von der Welt an.

Auch wenn Jans Enikel keine geschichtstheologische Abhandlung lieferte, war sein Text dennoch durch die Ambivalenzen zwischen weltlicher und geistlicher Ordnung beeinfl usst. Die Vorstellung einer geschlossenen Ordnung, die sich bereits aus der Tatsache, dass gerade aus der christlichen Offenbarung keine einheitliche Ordnung folgt, als problematisch erwies, geriet im 13. Jahrhundert zunehmend ins Wanken. Gerade, weil das seit dem Frühmittelalter formulierte und vor allem in der staufi schen Zeit verstärkt betonte karolingische Herrschaftskonzept noch dogmatischer proklamiert wurde, waren Brüche in dieser starren ordo-Auffassung wahrzunehmen. Insbesondere die Reimchroniken bieten, da sie den Hiat zwischen Dichtung und Wahrheit der historia zu überbrücken scheinen, Raum für einen spielerischen Umgang mit dem Bekannten oder für neue Formen, neue Autoren und ein neues Publikum. So wird beispielsweise die symbolische Darstellung von Herrschaft und der Herrscher, die Christiane Witthöft im Werk Jans u.a. anhand der Episoden um Karl den Großen ausführlich beschrieben hat, durch die unge-wöhnliche Zusammenfügung der Motive in der Chronik gerade gebrochen. Ins-besondere an diesen Stellen ist man beinahe geneigt von einer ›Krise der Symbole‹

53 Vgl. u.a. Cordula Nolte (Hg.), Principes, Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, Stuttgart 2002; Thomas Zotz, Fürstenhöfe und ihre Außenwelt. Aspekte gesellschaftli-cher und kultureller Identität im deutschen Spätmittelalter, Würzburg 2004.

54 Gerhard Neumann, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. In: Kathrin Stegbau-er, Herfried Vögel, Michael Waltenberger (Hg.), Kulturwissenschaftliche Frühneuzeitfor-schung. Beiträge zur Identität der Germanistik, Berlin 2004, S. 131–160, hier S. 158.

165Konstruktion der Welt

zu sprechen, die auf die Verschiebung der Ordnungsprozesse hindeutet. Sowohl die Herrschaft an sich als auch die Institutionen und damit ihre Repräsentation in der Gesellschaft wurden am Ausgang des 13. Jahrhunderts zunehmend in Frage gestellt. Diese Feststellung lässt sich auf das zu Beginn angesprochene Verhältnis zwischen Fiktion und Wahrheit, auf die Veränderung der Chronikkonzeption im Werk Jans Enikel beziehen.

Walter Haug hat darauf hingewiesen, dass »fi ktive Elemente keinen beliebigen Charakter haben, sondern von einer vorgegebenen Wahrheit gesteuert werden. Man arrangiert die Fakten so, dass die Wahrheit, die man schon hat und vermit-teln möchte, sichtbar wird.«55 Geschichte war in den göttlichen Heilsplan inte-griert, diente der Wahrheitsvermittlung und war zugleich unterstützendes Moment der stabilen Ordnung. Je stärker allerdings das Moment des Fiktiven Einzug hielt, desto stärker wurde diese Ordnung konterkariert bzw. in Frage gestellt. Ergebnis des vorliegenden Beitrags soll aus dieser Perspektive nicht die Formulierung einer reziproken Gesetzmäßigkeit über das Verhältnis zwischen Fiktion und Wahrheit sein, sondern vielmehr der Hinweis darauf, dass mittelalterliche Dichtung und Geschichtsschreibung sich wechselseitig bedingen und fi ktive Elemente Hinweis auf kritische Diskurse innerhalb der Literatur sein können. Unter dieser Prämisse kann in den skurrilen Geschichten, die die Enikel-Chronik birgt, noch einiges entschlüsselt werden, das nicht zuletzt Einblick in die ›Konstruktion der Welt‹ in den Reimchroniken gewährt.

55 Haug, Geschichte, Fiktion und Wahrheit (wie Anm. 15), S. 122.

The Voyage of the Bavarian Explorer Balthasar Sprenger to India (1505/1506) at the TurningPoint between the Middle Ages and the Early Modern Times:

His Travelogue and the Contemporary Cartography as Historical Sources

Thomas Horst

In 2006 there were a lot of celebrations in memory of Christopher Colombus, who died 500 years ago and mistakenly thought until the end of his life that he had found a new sea route westerly to India. This anniversary led to a series of new publications.1

While the discovery of America is a historical event which is an integral part of our cultural memory, the journey eastwards to India in 1505/1506 under the armada of the Portuguese admiral Francisco de Almeida (approx. 1450–1510) is not as well known. But we are well-informed about it because we have excellent sources such as the travelogue of Balthasar Sprenger who was one of the partici-pants of this journey. In addition, new geographical details were discovered in the course of these early travels to India, which can be seen in contemporary carto-graphical works at the time of exploration.

1 The search for the seaway to India

The Portuguese crown under Prince Henry the Navigator (Dom Henrique, 1394–1460) initiated an ambitious program to open up a new sea route to India. Although the founding of a marine academy in Sagres in 1419 is a matter of dispute among scholars, Henry supposedly brought excellent navigators, cartographers and as-tronomers to his court to fi nd a new spice route to India. Thereby he wanted to con-trol the Venetian and Arabian market of spices directly and cut off the intermediary trade. Furthermore he wanted to establish contact with the legendary priest-king John, whose kingdom is located in Asia or Africa in medieval cartography.2

1 Cf. e.g. Alfred Kohler, Columbus und seine Zeit, München 2006.2 Andrew Athappilly, An Indian prototype of Prester John, in: Terrae Incognitae 10 (1978),

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The Portuguese navigators of the 15th century not only rediscovered and colo-nized the island of Porto Santo near Madeira and the Azores, but also ventured to the West African coast.3 In 1415 they acquired Ceuta and in 1416 they arrived at the ‘Cabo de Não’ (Cape of Nothing, south of Agadir), which was dreaded due to wondrous stories. In 1434 captain Gil Eannes reached Kap Bajador in the region of the Western Sahara, which was until then considered to be impassable. In 1455/56 the Portuguese discovered the Canaries.

The Henry’s successor to the throne, the Portuguese king John II. (1455–1495), charged Bartholomeu Diaz with fi nding the southern tip of the African continent. In fact in 1487/88 this navigator, as the fi rst European, managed to reach the ‘Cabo de Tormentas’ (Cape of Gales), which was later renamed as Cape of Good Hope. Only ten years later Vasco da Gama (approx. 1469–1524) discovered the direct seaway to India.4

He initiated a new era of Portuguese exploration while he founded trading bases on his route. India—the country of abundance in the former view of the world—was seen as the terrestrial paradise in the East. Therefore, in the words of the German poet Stefan Zweig, it can be rightly said: At the beginning there was the spice5—the more so as all further Portuguese expeditions were motivated by trade.

In 1500 the discoverer of Brazil, Pedro Álvares Cabral,6 returned from the second voyage to India. A year later, the third expedition under the direction of João da Nova set to sail before Cabral’s return. In 1502 Vasco da Gama reembarked and reached Cochin—the fi rst European settlement on the Indian subcontinent. We know about this from a manuscript, which also indicates that there already were German crew members on this enterprise.7

pp. 15–23; Robert Silverberg, The realm of Prester John, London 2001; Vsevo lod Slessarev, Prester John: The letter and the legend, Minneapolis 1961.

3 Cf. in general John William Blake, Europeans Beginnings in West Africa 1454–1578. A survey of the fi rst century of white enterprise in West Africa, while special empha-sis upon the rivalry of the Great Power, London et al. 1937; Jeanne Hein, Portuguese Communication With Africans on the Searoute to India, in: Terrae Incognitae 25 (1993), pp. 41–52.

4 Gernot Gierz, Vasco da Gama. Die Entdeckung des Seewegs nach Indien. Ein Augen-zeugenbericht 1497–1499, München 1980; Franz Hümmerich, Vasco da Gama und die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien, München 1898 (reprint Hildesheim and New York 1977).

5 Stefan Zweig, Magellan. Der Mann und seine Tat, Berlin/Darmstadt/Wien 1963, p. 9.6 Fernando Lourenço Fernandes et al. (eds.), A viagem de Pedro Álvares Cabral e o

descobrimento do Brasil 1500–1501 (História da Marinha Portuguesa), Lisboa 2003.7 Christine von Rohr, Neue Quellen zur zweiten Indienfahrt Vasco da Gamas (Quel-

len und Forschungen zur Geschichte der Geographie und Völkerkunde 3), Leipzig 1939; Josef Polišensky, Peter Ratkoš, Eine neue Quelle zur zweiten Indienfahrt Vasco da Gamas, in: Historica IX (1964), pp. 53–67.

169The Voyage of Balthasar Sprenger

At the same time the exploration overseas to the new world began. 8 As is gen-erally known it was conquered by Christopher Colombus in 1492, who is named as Christoffel Dawber in an early printing of Ruchamer9 and who thought until the end of his life that he had reached India. At the same time in Nuremberg, Ger-many, Martin Behaim10 designed his famous globe of the earth, which naturally does not show the newfound continent.

8 Cf. in general Jay A. Levenson (ed.), Circa 1492: art in the age of exploration. Catalogue for a major quincentenary exhibition to be held at the National Gallery of Art, Washing-ton D.C. October 12, 1991–January 12, 1992, New Heaven et al. 1991.

9 This document describes a combination of different journeys, beneath the travelogue of Alvise da Cadamosto, cf. Uta Sadji (ed.), Cadamostos Beschreibung von Westafrika. Der Druck der deutschen Ausgabe von 1508 (Litterae 77), 2 vols., Göppingen 1980 and 1981.

10 Martin Behaim (1459–1507) was the descendant of a patrician family from Nuremberg. His father, also called Martin Behaim (1437–1474), was councilman and merchant in this

Fig. 1: Title page of the German pamphlet Fig. 2: Title page of the German pamphlet ‘Von den nüwe[n] Insule[n] und ‘Von der neüw gefunden Region die wol la[en]de[r]n so yetz kürtzliche[n] ain welt genent mag werden durch den erfunden synd durch den Künig von Cristenlichen künig von portugal Portugall’, Straßburg 1505. wunderbarlich erfunden’, Augsburg 1505.

170 Horst

America still had to be explored by Amerigo Vespucci,11 who published his script ‘Mundus Novus’12 in Italy in 1502, which was published as German pam-

city. After his death, Martin Behaim the Younger went to the Netherlands were he was an apprentice weaver. During the course of his travels he arrived in Lisbon some time in the early 1480s, where he quickly found favor at the court of King John II., who bestowed him with the honor of knighthood in Alcaçovas, Portugal, on February 18 in 1485 (cf. the document in the Archive of the City of Nuremberg, Sign. Rep. E 11, II, No. 570). Behaim, according to most reports, was also associated with the later Portuguese discoveries along the West Coast of Africa. It can be supposed that he accompanied João Affonso d’Aveiro on his journey to the African kingdom of Benin in 1484/1485. Between 1485 and 1489 Behaim married Joanna Macedo, the daughter of the gouvernor of the Azores. He revi-sited Nuremberg to accept his inheritance after the death of his mother Agnes Schopper in 1487. During his visit (1490–1494) in his home city, Behaim constructed the oldest extant terrestrial ‘Erdapfel’. On this globe you can fi nd an inscription, which gives some information about Behaim’s death: Martinus Pehaimus verschied zu Lisibona anno domi-nus 1506 den 29 Juli. But as a matter of fact the year of his death was 1507, so that we have to commemorate him in 2007. To Behaim and his globe cf. exemplarily: Friedrich Wilhelm Ghillany, Geschichte des Seefahrers Ritter Martin Behaim nach den ältesten vorhandenen Urkunden bearbeitet. Eingeleitet durch eine Abhandlung “Über die ältes-ten Karten des Neuen Continents” von Alexander von Humboldt, Nürnberg 1853; Sieg-mund Günther, Martin Behaim (Bayerische Bibliothek 13), Bamberg 1890; Hermann Kellenbenz, Neuere portugiesische Forschungen und Quellen zur Behaim-Frage, in: Mit-teilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 48 (1958), pp. 79–95; Ulrich Knefelkamp, Der Behaim-Globus – Geschichtsbild und Geschichtsdeutung, in: Dagmar Unverhau (ed.), Geschichtsdeutung auf alten Karten. Archäologie und Geschichte (Wol-fenbütteler Forschungen 101), Wiesbaden 2003, pp. 111–128; Rev. Mytton Maury, On Martin Behaim’s Globe, and his infl uence upon geographical science, in: Journal of the American Geographical Society of New York 3 (1873), pp. 432–452; Oswald Muris, Der “Erdapfel” des Martin Behaim zu Nürnberg. Eine Faksimilie-Wiedergabe in 92 Ein-zelbildern, in: Ibero-Amerikanisches Archiv 17 (1943) pp. 1–64; Christoph Gottlieb von Murr, Diplomatische Geschichte des Portugiesischen Ritters Martin Behaim aus Originalurkunden, Nürnberg 1778; Ernst Georg Ravenstein, Martin Behaim. His Life and his Globe, London 1908; Johannes Karl Wilhelm Willers, Leben und Werk des Martin Behaim, in: Idem (ed.), Focus Behaim Globus. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Nürnberg 1992, vol. 1: Aufsätze, pp. 173–188.

11 Felipe Fernández-Armesto, Amerigo. The Man Who Gave His Name to America, New York 2007; Thomaz Oscar Marcondez de Souza, Amerigo Vespucci e suas viagens. Estudio crítico de acordo com a documentação histórica e cartográfi ca, São Paulo 1954; Frederick Julius Pohl, Amerigo Vespucci: Pilot major, New York 1944 (reprint: New York 1966); Leonardo Rombai, Il mondo di Vespucci e Verrazzano: geografi a e viag-gi: dalla Terrasanta all’america, Firenze 1993; Luigi Ugolini, Er gab Amerika den Na-men. Leben und Zeit des Amerigo Vespucci, 2nd ed. Graz 1974; Henry Vignaud, Americ Vespuce: 1451–1512; sa bibliographie, sa vie, ses voyages, ses déscouvertes, l’attribution de son nom à l’Amérique, ses relations authentiques et contestées, Paris 1917; Stefan Zweig, Amerigo. Die Geschichte eines historischen Irrtums, Stockholm 1944.

12 Cf. Annalisa D’Ascenzo, Mundus Novus: Amerigo Vespucci e I metodi della ricerca storico-geografi co; atti del convegno internazionale di studi, Roma – Firenze 27–30 no-

171The Voyage of Balthasar Sprenger

phlet in 1505 (Fig. 1 & 2). It is doubtless this Florentine navigator who should be credited with fi rst identifying the newly discovered lands as a continent of its own—one that was unknown up to this time.

The news of the ‘India Portuguesa’ then spread quickly throughout Europe and also attracted the interest of the Upper German merchants, which united under the direction of the trade house of the Fuggers. The dominance of Venice slowly faded.13

Thus it is not amazing that the German trading company of the Welser-Vöh-lin14 concluded an agreement of privileges with the Portuguese crown. It was to be expected that a journey to India also involved a certain amount of risk (loss of ships and funds).

Italian fi nancers therefore merged with the Upper German trading houses of the Welser, Fugger, Höchstetter, Imhof, Grossenpott and Hirschvogel to an “ad-hoc-association” with the aim of making great profi ts from their trading mo-nopoly. 15

2 The trading journey of 1505/1506 to India: prenegotations and written sources

In 1504 the agent of the trading house of the Welser, Lukas Rem,16 closed a con-tract for the German consortium with the Portuguese crown, which made the

vembre 2002, Roma 2004; Eduardo Bueno, Novo mundo: as cartas que batizaram a América, São Paulo 2003; Bernhard Quartrich (ed.), Amerigo Vespucci, Letters of the Four Voyages to the New World, Reprinted in Faksimile and Translated from the Rare Original Edition (Florence 1505–6), Hamburg 1992; Robert Wallisch, Der Mundus Novus des Amerigo Vespucci. Text, Übersetzung und Kommentar (Wiener Studien, Bei-heft 27; Arbeiten zur mittel- und neulateinischen Philologie 7), 2nd ed. Wien 2006.

13 Christoph von Imhoff, Nürnbergs Indienpioniere. Reiseberichte von der ersten ober-deutschen Handelsfahrt nach Indien, in: Wilhelm Füssel (ed.), Reiseberichte der frühen Neuzeit. Wirtschafts- und kulturhistorische Quellen (Pirkheimer Jahrbuch 1986), Mün-chen 1987, pp. 11–44, here p. 18.

14 Mark Häberlein, Die Welser – Vöhlin – Gesellschaft. Fernhandel, Familienbeziehungen und sozialer Status an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Wolfgang Jahn (ed.), Geld und Glaube. Leben in evangelischen Reichsstädten. Katalog zur Ausstellung im An-tonierhaus (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 37), Memmingen 1998, pp. 17–37.

15 Cf. Hermann Kellenbenz, The role of the Great Upper German Families in fi nancing the discoveries, in: Terrae Incognitae 10 (1978) pp. 45–59.

16 Lukas Rem was born in Augsburg on the 14th of december in 1481. He was the son of a well-to-do trading fi rm and was trained as a tradesman in Venice. From 1503 to 1508 he worked for the trading house of the Welser family in Lisbon. In 1517 he voluntarily deserted his employment status and founded in the following year his own company to-gether with his brothers Andreas, Hans, and others. In 1527 he converted to Lutheranism with his whole family. He died on 26 of September in 1541—cf. Victor Hantzsch, Die

172 Horst

joint attempt possible. The preparations of these negotiations were controlled by the German humanist Willibald Pirckheimer (1470–1530), the typographer Valentin Fernandez,17 who worked in Lisbon, and the famous city syndic in Augs-burg, Konrad Peutinger (1465–1547), who married the daughter of Anton Welser the Elder. Peutinger, at the beginning of 1505, wrote to the imperial clerk Blasius Hölzl that the ships would soon leave for India.18 He recounts enthusiastical-ly about the forthcoming departure of three German ships to India: these were the ‘Hieronymus’, the ‘Raffael’ and the ‘Lionarda’ (on which travelled Balthasar Sprenger). These ships sailed with the Portuguese vessels on Annunciation Day in 1505. A total of 2500 men participated on this venture. We know about the journey from a few lines in the diary of Lukas Rem.19 Besides the personal notes of Balthasar Sprenger there also exists a valuable codex of the above-mentioned Valentin Fernandez in the National Library of Bavaria located in Munich, Ger-many. 20

This monograph in Portuguese contains the account of a largely unknown Hans Mayr, who worked as a scribe on the ‘Raffael’.21 While Sprenger emphasizes

überseeischen Unternehmungen der Augsburger Welser, Dresden 1895, pp. 5–7; Wilhelm Vogt, Lukas Rem, in: Allgemeine Deutsche Biographie XXVII (1889), pp. 187–190.

17 Valentim or Valentin Fernandez originally came from Moravia and, from 1495 to 1519 in Lisbon, is documented as a typographer. He was chamberlain of Queen Eleonore and had great infl uence on the royal house of Portugal. In a letter to Stefan Gabler in Nurem-berg of 1510, he also writes about the new commercial relationship to India cf. Antonio Brasio, Uma carta inédita de Valentim Fernandes, in: Bolletim da Biblioteca da Univer-sidade de Coimbra 24 (1960), pp. 338–358; Angelo De Gubernatis, Memoria intorno ai viaggiatori italiani nelle indie orientali dal seculo XIII a tutto il XVI, Firenze 1867, pp. 168–171; Yvonne Hendrich, Valentim Fernandez – ein deutscher Buchdrucker in Portugal um die Wende vom 15. bis zum 16. Jahrhundert und sein Umkreis (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 21), Frankfurt a. M. 2007.

18 Erich König, Konrad Peutingers Briefwechsel, München 1923, No. 25 (letter from An-ton Welser the Elder to Peutinger of 11. August 1504) and No. 27 (letter from Peutingers to Blasius Hölzl of 13. January 1505).

19 Benedikt Greiff, Tagebuch des Lukas Rem (26. Jahresbericht des Historischen Kreisver-eins Schwaben und Neuburg), Augsburg 1861, p. 8.

20 National Library of Bavaria, Munich, Department of Manuscripts, Signature: Cod. hisp. 27—this codex formerly was in the possession of Konrad Peutinger, who was in contact with Fernandez cf. König, Briefwechsel (note 18), No. 32 et 33.

21 The Portuguese text of Cod. hisp. 27 was for the fi rst time printed in 1940 cf. Valen-tim Fernandez, O manuscrito ‘Valentim Fernandes’: Oferecido à Acad. por Joaquim Bensaude. Leitura e rev. das provas pelo António Baião (Acad. portuguèsa da história. Publicações comemorativas do duplo centenário da fundação e restauração de Portugal), Lisbon 1940.—On fols. 2–44 you can fi nd the account of Mayr cf. Franz Hümmerich, Quellen und Untersuchungen zur Fahrt der ersten Deutschen nach dem portugiesischen Indien 1505/06 (Abhandlungen der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Philoso-phisch-Philologische und Historische Klasse XXX), München 1918, pp. 127–149.

173The Voyage of Balthasar Sprenger

the depiction of struggle, Mayr also writes about architecture, agriculture, infra-structure, and the fi nancial abundance of the countries.22

3 The travelogue of Balthasar Sprenger (printed 1509)

About the life of Balthasar Sprenger (also: Springer) we are only little informed. He was born in the hamlet Vils am Lech—which since 1671 belonged to the dukedom of Tyrol—(near the city of Füssen in Bavaria) around the year 1480.23 His journey to India in 1505/06 is well-documented in the record ‘Die Merfart vnd erfarung nüwer Schiffung vnd Wege zu viln onerkanten Inseln vnd Künigreichen’,24 which was printed in Oppenheim, Germany, in 1509. It is the fi rst travelogue about Afri-ca and India in the German language and exists in different versions.25

The illustrated text26 consists of two parts in different length: On eleven pages the author writes about the travel in a narrative style. In the second part on three

22 Gerhard Wolf, Das Individuum auf dem Weg zu sich selbst? Frühneuzeitliches Reisen nach Osten: Hans Dernschwam, Balthasar Springer und Fortunatus, in: Dietrich Hu-schenbrett, John Margetts (eds.), Reisen und Welterfahrung in der Literatur des Mittel-alters (Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie 7), Würzburg 1991, pp. 196–214, here p. 209.

23 Hildegard Stielau, Balthasar Sprengers Meerfahrt von 1509, in: Acta Germanica 12 (1980), pp. 61–114, here p. 64.—New studies show that Sprenger was member of an infl uential family of Tyrol, cf. Thomas Horst, ‘Am Anfang war das Gewürz’. Vor 500 Jahren kehrte der Allgäuer Balthasar Sprenger von einer Indienfahrt zurück. Er hinter-ließ einen eindrucksvollen Reisebericht, in: Literatur in Bayern 85 (2006), pp. 13–21; Hermann Wiesflecker, Neue Beiträge zu Balthasar Sprengers Meerfahrt nach “Groß-India”, in: Klaus Brandstätter, Julia Hörmann (eds.), Tirol-Österreich-Italien. Festschrift für Joseph Riedmann zum 65. Geburtstag (Schlern-Schriften 330), Innsbruck 2005, pp. 647–660.

24 Balthasar Sprenger, Die Merfart vnd erfarung nüwer Schiffung vnd Wege zu viln oner-kanten Inseln vnd Künigreichen, von dem großmechtigen Portugalischen Kunig Emanuel Erforscht, funden, bestritten vnnd Ingenomen, Auch wunderbarliche Streyt, ordenung, le-ben wesen handlung vnd wunderwercke, des volcks und Thyrer dar inn wonende, fi ndestu in diessem buchlyn warhafftiglich beschryben vnd abkunterfeyt ..., Oppenheim 1509.—The text is facile to access with the facsimile of the exemplar of the National Library of Austria cf. Andreas Erhard, Eva Ramminger, Die Meerfahrt: Balthasar Springers Reise zur Pfefferküste. Mit einem Faksimile des Buches von 1509, Innsbruck 1998.

25 In the University Library of Giessen Franz Schulze recovered a Latin manuscript of the journey which is dated around 1506–1508. More about the fl ow-sheet of the artistic prints in Beate Borowka-Clausberg, Balthasar Sprenger und der frühneuzeitliche Rei-sebericht (Ph. D. thesis University of Kiel 1995/96), München 1999, p. 191.

26 The pictures in the text derives from the famous Hans Burgkmaier the Elder (1473–1531), who illustrated a separate xylograph circle in 1508. In a copy of Georg Glockendon and Wolf Traut some illustrations entered to the print of Sprengers text, cf. Hümmerich, Quellen und Untersuchungen (note 21), pp. 58ff.

174 Horst

Fig. 3: Title of the travelogue of Balthasar Sprenger,Printed in Oppenheim, 1509.

175The Voyage of Balthasar Sprenger

Fig. 4: Handwritten notes of the famous geographer Johannes Schöner about the journey from Lisbon to Calicut in his copy of the travelogue of Balthasar Sprenger(after 1509, Austrian National Library Vienna, Map Department, 390120–B. Kar).

176 Horst

pages he describes in detail the ethnographical attributes which he has seen. The distinctive feature of the text, which can be seen as mnemonic art par excellence, is a new understanding in travel literature. So Sprenger does without the old de-piction of monsters because his motivation was rooted in trade and not in reli-gion.

The journey can be reconstructed completely on the basis of this document:27 altogether they sailed more than 4000 miles. Sprenger himself came to Lisbon via Antwerp, where his adventure tour began. Soon after departure his ship was shipwrecked, but repaired shortly afterwards. Beyond the Canaries the armada sailed on the west coast of Africa in the Atlantic Ocean. In June 1505 it was so cold as in our country on Christmas reports Sprenger. On June 26 the ships passed the Cape of Good Hope easterly. After 15 weeks during which the crew could not see land they approached Mozambique. Sprenger here reports of dolphins and cetaceans.28 He also gives an account of aboriginal clothing while writing about their cloaks and clogs.

After a break the crew sailed along the coast to ‘Killiwa’, which Mayr calls ‘Quiloa’. This is the present day village Kilwa Kisiwani in Tanzania, where they arrived on July 22. At the time the Swahili-culture prospered there, a mélange of the Arabic, Persian and East-African way of life. Mayr reports that the former city of Quiloa had a population of more than 4000 people who lived in beautiful houses of stones or lime, on which you could fi nd thousands of paintings.29 But the Portuguese admiral ordered to capture the city.

In August of 1505 they arrived at Mombasa, which was set on fi re on Assumption Day. The Europeans ransacked the rich provisions of rice, millet, butter, honey, meat of sheep etc. They also found a camel, as Sprenger reports.30 They sailed on to the city of Mellindi utilizing the trade winds to the Gulf of India.

On October 22 they reached the city of Krishna, Cannanor in ‘India Maior’. This city on the west coast of India was one of the most important seaports in Malabar. Almeida here ennobled himself as viceroy. Sprenger rejoiced at fi nd-ing a lot of pearls and precious stones. The expedition also led to Kalikut31 and Coulão,32 before they reached ‘Gutzyn’ (today: Cochin), whose king is imposingly illustrated in the typescript of Burgkmair.

27 Cf. Franz Hümmerich, Die erste Deutsche Handelsfahrt nach Indien 1505/06 (Histori-sche Bibliothek 49), München/Berlin 1922.

28 Sprenger, Die Merfart (note 24), fol. 5 r.29 National Library of Bavaria, Munich, Cod. Hisp. 27, fol. 4 r.30 Erhard/Ramminger, Die Meerfahrt (note 24), p. 24.31 This is not the city of Calcutta, but the contemporary village Kozhikode on the west coast

of India.32 Also Kollam, this is the contemporary city of Quilon in the indian state of Travancore.

177The Voyage of Balthasar Sprenger

Fig. 5 & 6: Woodcut illustrations of the clothes and clogs of the native people on the east coast of Africa. Travelogue of Balthasar Sprenger (Wolf Traut after Hans Burgkmair, 1509).

Fig. 7 & 8: Woodcut illustrations ‘India Maior’ in the travelogue of Balthasar Sprenger (Wolf Traut after Hans Burgkmair, 1509).

178 Horst

Fig. 9: Woodcut illustration ‘The King of Gutschin’ in the travelogue of Balthasar Sprenger (Wolf Traut after Hans Burgkmair, 1509).

Fig. 10 & 11: Woodcut illustrations ‘India Maior’ in the travelogue of Balthasar Sprenger (Wolf Traut after Hans Burgkmair, 1509).

179The Voyage of Balthasar Sprenger

Fig.

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Sprenger here got to know the cluster fi g, and he liked the delicious Indian food. But not all Europeans adapted so well to foreign life as Sprenger and many members of his crew died on the journey.33

After celebrating Christmas in Cananor, all ships were loaded with traded pep-per and precious spices. On January 21, 1506 the fi rst three ships—among them the ‘Raffael’—began their journey home. They reached Lisbon on May 22. The ‘Lionarda’ on the other hand came to the Comoros until March. Heavy thunder-storms and a lack of food forced the crew to pause in Mozambique, where they engaged in countertrade with the Hottentot people (Khoikhoi). Sprenger refers to the clicks of their tongue in his text.34

On November 15, 1506 after 20 months of absence the last ships reached the port of the old world in Lisbon. But on arrival the crew was prohibited to dis-embark, primarily because the pepper and all spices of India had to be reweighed. This merchandise remained in the possession of the king three to four years, be-fore it could be fi nally sold. Nevertheless, the trading houses made a profi t which coevals indicate as 150 to 175 % after tax.35

In Lisbon we lose Sprenger’s traces. Apart from his travelogue, which can be seen as an important source for the history of discoveries, he nowhere emerges in written documents. It can be assumed that he died in Portugal, because there was a bad plague in Lisbon at this time and many survivors of the Indian journey died here of this disease.

33 So Johann Christoph Gatterer reports in his chronicle of the trade-house of the Holz-schuher (‘Historia Genealogica Dominorum Holzschuherum’, Nürnberg 1755, p. 466), that a member of this Nuremberg family died in India unmarried.

34 Werner Jopp, Balthasar Springers Berichte über die Hottentotten, in: Die wissenschaftli-che Redaktion 3 (Bibliographisches Institut Mannheim 1966), pp. 58–66, here p. 65.—See also the anthropological dissertation of Renate Kleinschmidt, Balthasar Springer. Eine quellenkritische Untersuchung, Wien 1966.

35 Even Lukas Rem writes in his diary of a benefi t of more than 150 % cf. Greiff, Tagebuch (note 19), p. 8.

181The Voyage of Balthasar Sprenger

4 Contemporary Cartographical Sources

Apart from these written sources we also have other historical documents, which can give more hints about the time of exploration. Especially the geographical knowledge was hardly infl uenced by travelogues. This gives reason to look closely at the contemporary cartography.

4.1 The portolan chart of Juan de la Cosa (1500)

This hand-drawn map on parchment lies in the Maritime Museum of Madrid. It was designed by the Spanish navigator Juan de la Cosa (approx. 1406–1509),36 who was captain of the ‘Santa Maria’ and the ‘Niña’ on the fi rst two expeditions of Christopher Colombus to West-India (1493–1496). His map can be classifi ed by the alignment of late medieval portolan charts,37 whose purpose in contrast to the medieval T-O-maps was not representation, but navigation.

Therefore you can fi nd compass roses and direction lines on it. It is the fi rst map after the discovery of America that shows the new continent, though sketch-ily.38 But—and this is what matters—it shows for the fi rst time the right outline of the African continent.

The cartographer de la Cosa refers to himself, under a vignette of the holy Christopherus (patron of the mariners)39 in the west part of the map as Juan de la Cosa la fi zo en el puerto de S: ma en año de 1500 (Juan de la Cosa made this map in the port of Santa Maria in the year 1500).40

36 R. Barreiro-Meiro, Juan de la Cosa y su doble personalidad, in: Revista General de Madrina 179 (1970), pp. 165–191.

37 On medieval portolan charts cf. Tony Campbell, Portolan Charts from the Late Thir-teenth Century to 1500, in: J. B. Harley, David Woodward (eds.), The History of Car-tography, Volume I: Cartography in Prehistoric, Ancient, and Medieval Europe and the Mediterranean, London/Chicago 1987, pp. 371–463; W. G. L. Randles, From the Medi-terranean Portulan Chart to the Marine World Chart of the Great Discoveries: the Crisis in Cartography in Sixteenth Century, in: Imago Mundi 40 (1988), pp. 115–118; Moni-que de la Roncière, Michel Mollat du Jourdin, Les Portulans – Cartes marines du XIIIe au XVIIe siècle, Fribourg 1984.

38 Cf. Paul Anderson, Isla Fuerte on the Juan de las Cosas mappamundi of 1500, in: Terrae Incognitae 16 (1984), pp. 1–13.

39 This illustration was for a long time wrongly interpreted as a portrait of Colombus.40 To the right of the map you can see a blank cartouche. It can be supposed that La Cosa

wanted to write his name there. The compass rose in the middle of the map contains a locket with a sequence of the birth of Jesus Christ with the holy family. Maybe it is an allusion to the fortress “Navidad” at the northern coast of Haiti, which was constructed after the wreckage of the Santa Maria on Christmas of 1492, cf. Arthur Dürst, Brasilien im frühen Kartenbild, in: Cartographica Helvetica 6 (1992), pp. 8–16, here p. 9.

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Fig.

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183The Voyage of Balthasar Sprenger

This early dating (1500) was long disputed by scholars, especially by George Emra Nunn, who claimed that the map was not a original work of La Cosa, but rather a later copy from around 1508.41 This assumption was supported by the American historian Samuel E. Morison (1887–1976).42 In fact, Arthur Davis could demonstrate that on the map there are no allegations to the time after 1500.43 His cartographic investigation was certifi ed from Edzin Roukema, who concluded that “there is no evidence that the La Cosa map embodies information which may

41 George Emra Nunn, The Mappemonde of Juan de la Cosa, Jenkintown (Pa.) 1934.42 Samuel Eliot Morison, The European Discovery of America, New York 1971, pp. 238–

240.43 Arthur Davies, The ‘English’ Coasts on the Map of Juan de la Cosa, in: Imago Mundi 13

(1956), pp. 26–29.

Fig. 14: Map by Juan de la Cosa (1500, Maritime Museum of Madrid): detail of the Indian Ocean.

184 Horst

be ascribed to a later year than 1500.”44 So there is no doubt that the map dates from this year.

The La Cosa map was detected in the private library of the bibliophile baron Charles-Athanase Walckenaer (1771–1852) in 1832. A year later it was published by Alexander von Humboldt (1769–1859). After Walckenaer’s death the map was purchased by the Spanish royal house. Until now it lies in the Maritime Museum at Madrid, being the most important map in the collection.

If we look besides the vertical line of demarcation (liña meridional), we can see many signs of sovereignty (kings sitting on their thrones) on the African and Asian continent. There are also biblical and mythical fi gures on it: from Asia come the three Magi with their typical presents to Jesus. Located around the eastern regions are the anti-Christian countries of Gog and Magog, while near the Red Sea you can fi nd the tower of Bable and the Queen of Saba bearing a sword.

The outlines of the African coast are depicted very accurately. The territory is shown with stylized mountains—which is remarkable for this time. Around the continent many ships are depicted and show the itinerary of Vasco da Gama, to which an inscription at the southern coast of Asia alludes: tierra descubierta por el Rey don Manuel Rey de portugal (territory discovered by King Manuel from Portugal). On the Cape of Good Hope you can furthermore fi nd the inscription fasta aqui descrubio el escelente Rex don Juan de Portugal (until here the excellent king John of Portugal made discoveries).

Sri Lanka (Ceylon) at last is shown as a big triangular island in relation to the Ptolemaic tradition. Also the islands of Zanzibar and Madagascar appear on the map though wrongly depicted too far in the East. Despite these mistakes this Portolan chart should be recognized and valued as the progenitor of the ‘Padron Real’—the offi cial maps of the ‘Casa de la Contratación’.45

4.2 The anonymous Cantino-map from 1502

Only two years later emerged the so-called Cantino-map, which was drawn bet-ween December 1501 and October 1502.46 This map, which can be associated to

44 Edzin Roukema, Some Remarks on the La Cosa Map, in: Imago Mundi 14 (1959), pp. 38–54, here p. 42.

45 M. de la Puente y olea, Los trabajos geográfi cos de la Cosa de la Contratación, Sevil-la 1900; Edward Luther Stevenson, Early Spanish mapping of the new world. The Padron Real, in: International Geographical Congress (ed.), Report of the proceedings: Cambridge 13–25 July 1928, reprint Nendeln/Liechtenstein 1972, pp. 411–413.

46 I. Caraci, Cantino-Karte, in: Johannes Dörfl inger et al. (eds.), Lexikon für die Geschichte der Kartographie, Vol. I, p. 128; Edzer Roukema, Brazil in the Cantino Map, in: Imago Mundi 17 (1963) pp. 7–26, here p. 7. Roukema on the other hand sets the date of origin between September 11 and November 19 of 1502.

185The Voyage of Balthasar Sprenger

Fig. 15: The anonymous Cantino-map (1502, Biblioteca Estense, Modena).

186 Horst

the Lusitanic-Germanic type according to Harrisse,47 eclipses biblical drawings. In fact the Portuguese expeditions are glorifi ed, which you can see on the decoration with Portuguese fl ags on the map.48

The anonymous cartographer does not mention himself because in those times a map of the new acquisition of land in the era of the struggle between Spain and Por-tugal was top secret. On the verso of the map, which is drawn in six pages of vellum on canvas, there exists a notation which gives hints at the genesis of this map: Car-ta da nauigar per le Isole nouam tr[ovate] in le parte de l’India: dono Alberto CAN-TINO al S. Duca HERCOLE (This map of the sea of the recently conquered islands in the region of India was a present for the duke of Ferrara, Ercole d’Este, from Alber-to Cantino). But the map in no way was a present; by order of the duke it was cop-ied by his diplomatic agent Cantino after the so-called ‘Padron Real’ in Lisbon.49 Then it was smuggled to Genoa and brought to the duke.

47 Edward Luther Stevenson, Martin Waldseemüller and the early Lusitano-Germa-nic Cartography of the New World, in: Bulletin of the American Geographical Society XXXVI (1904), No. 4, pp. 193–215, here p. 200.

48 Excellent reproductions of the Cantino-map can be found in: Armando Cortesão, Avelino Teixiera da Mota, Monumenta. Comemorações do 5 centenário da morte do Infante d’Henrique. Portugaliae Monumenta Cartographica, 6 volumes, Lisbon and Coimbra 1960, vol. 1, fi gure 4 and 5; Ernesto Milano, La Carta de Cantino, Modena 1991; Pietro Frabetti, Saggio di una illustrazione del planisfero portoghese detto ‘del Cantino’, in: Carla Clivia Marzoli, Giacomo Corna Pellegrini, Gaetano Ferro (eds.), Ima-go et mensura mundi. Atti del IX Congresso Internazionale di Storia della Cartografi a, 3 volumes, vol. 1, Rom 1985, pp. 81–88.

49 We know that a lot of Italian artists lived in Portugal who earned their living by painting miniatures and copying maps. It can be supposed that Cantino provided the map due to such contacts.

Fig. 16: The anonymous Cantino-map (1502, Biblioteca Estense, Modena): Detail of the West-Coast of Africa.

187The Voyage of Balthasar Sprenger

The coloured manuscript map remained in family property until 1592. After the despoilment of the dukedom it was brought to Modena. But in 1859 the palace there also was occupied and the map was stolen. Several years later it was retrieved from the librarian of the ‘Biblioteca Estense’, Signor Boni, who bought the map for his library, where it is preserved until today.

Its distinctive colouring is the fi rst thing you notice when taking a look at the map: the continents are in green, the islands in blue-red colours. The prevailing nomenclature is in Portuguese; only geographical names are in Latin. In the New World South America is pictured and animated with woods and parrots.50 But also

50 Fernando Lourenço Fernandes, O planisfério de Cantino e o Brasil. Uma introdução à cartologia política dos descobrimentos e o Atlântico Sul, Lisboa 2003; George Emra Nunn, Geographical Conceptions of Columbus. A critical consideration of four Problems,

Fig. 17: The anonymous Cantino-map (1502, Biblioteca Estense, Modena): Detail of the Indian Ocean.

188 Horst

the African continent shows alterations with Portuguese fortifi cations on the west coast, birds, naked native people and a big leonine fi gure near Sierra Leone.51

For the fi rst time Africa is shown in its characteristic form,52 though the Indian Ocean is mapped wrongly. At the East coast you can fi nd the cities of ‘Soffala’, ‘Mozambique’, ‘Kilwa’ and ‘Melinde’, which also are mentioned in the travelogue of Balthasar Sprenger. The island of Madagascar and India—now recognized as subcontinent with the specifi c place of ‘Calecut’—is mapped more precisely than on the La Cosa Map, which may be attributed to the expeditions of Vasco da Gama and Cabral.

Therefore Sri Lanka is no longer shown in the Ptolemaic tradition, although the island of ‘Taprobane’ (Sumatra) is ordered wrongly. Nevertheless you can see a progress in the history of cartography of South Asia.53 It is the eldest preserved Portuguese world map, which combines the new discoveries in the West and the East together.

4.3 The King-Hamy-world map (about 1502)

In this context also a map of the Huntington Library in California is important. The hand drawn map on vellum was made in the Italian-Portuguese environment. It was named after its former possessors, the investigator of the Arctic, Richard King (1811–1876) and the ethnographer Jules Théodore Ernest Hamy (1842–1908), who bought the map in 1885. In 1912 it came into the library of James William Ellsworth, whose inheritance was sold to Henry E. Huntington in 1923.

This world map is an interesting document because besides the Portuguese discoveries in Brazil, it also shows the Ptolemaic conception of Asia. Consequently this map, which represents the Island of Madagascar too far in the east and the coastline of India very sketchily, steps backwards.54 Unlike the other maps it mar-ginally shows fi gures and vignettes, but on the African continent it depicts the origins of the Nile.55

New York 1924, pp. 91–141.—There is also the fi rst mapping of Yukatan cf. Edzer Rou-kema, A Discovery of Yucatan prior to 1503, in: Imago Mundi 13 (1956), pp. 30–38.

51 G. Piersantelli, La pittura della “Charta del navicare” del Cantino, in: Bolletino del Civico Instituto Colombiano 2 (1953), pp. 38–50.

52 A. Teixeira da Mota, Africa in the Anonymous Portuguese “Cantino” Planisphere, in: Cornelis Koeman (ed.), Land- und Seekarten im Mittelalter und der frühen Neuzeit, Mün-chen 1980, pp. 123–136, here p. 124.

53 M. Lazar, Asien, in: Johannes Dörfl inger et al. (eds.), Lexikon für die Geschichte der Kartographie, vol. I, pp. 28–32, here p. 29.

54 Cf. Ananda Abeydeera, The Geographical Perceptions of India and Ceylon in the Periplus Maris Erythraei and in Ptolemey’s Geography, in: Terrae Incognitae 30 (1998), pp. 1–24.

55 J.T. Masson, Geographical knowledge and maps of Southern Africa before 1500 A.D., in: Terrae Incognitae 18 (1986), pp. 1–20.

189The Voyage of Balthasar Sprenger

Fig. 18: South Africa on the King-Hamy-world map (about 1502, Huntington Library, California).

4.4 The world map of Canerio (ca. 1505)

If we advance in the history of cartography to the time of the journey of Balthasar Sprenger, we have to take as the most important example the world map of the famous cartographer of Genoa, Nicolo Caveri (also: Caneri),56 who calls himself in the left corner of his map: Opus Nicolay de Caveri Januensis. It is supposable that he also worked for the Portuguese crown because there are many legends in that language.

The undated planisphere was newly-discovered in the 19th century in Paris, where it had been since 1669.57 Today it is located in the National Library of France in Paris. The map shows the actual-state of the world in 1505 with artis-tic skills. In terms of nomenclature there are resemblances to the Cantino map, though more places are named referring to the map of Salvat de Pilestrina (dated

56 Edward Luther Stevenson, Marine world chart of Nicolo de Caneri Januensis of 1502 (circa). A critical study with faksimile, issued under the joint auspices of the American Geographical Society and The Hispanic Society of America, New York 1908.

57 Gabriel Marcel, Reproductions des cartes et des globes relatifs a la découverte de XVIe au XVII siècle, Paris 1893, pp. 15–20.

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191The Voyage of Balthasar Sprenger

around 1506).58 The planisphere breaks with the Ptolemaic tradition and is the earliest map of the sea with longitudes.59 In the heart of the African continent you can fi nd a circle around a central fi gure, which shows the system of the world in its conventional character with seven spheres. Africa is animated with a lion, a giraffe and an elephant. Moreover, the map alludes to the legendary abundance of India. The map acts as the prototype for the famous map of Martin Waldseemüller in 1507, where the name America fi rst is mentioned and whose 500th birthday we celebrate in 2007.60

4.5 The globe map in a pamphlet of 1505

The Upper German trading houses recruited their crew members for the Indian activity in a publicity campaign in 1505. As means of promotion a double sided pamphlet with the title ‘Den rechten weg auß zu faren von Lißbona gen Kallakuth von meyl zu meyl. Auch wie der Kunig von Portugal yetz newlich vill Galeen vnd naben wider zu ersuchen vnd bezwingen newe landt vnd Insellen, durch kallakuth in Indien zu faren...’61 (The right way to take from Lisbon to Kallakuth from mile to mile…) was used. The woodcarving shows a globe which outlines the trading centers of Nuremberg (N) and Kalikut (K), the end of the trade journey. Interes-tingly the illustrator sets East wrongly at the top of his map.

The general interest in the new discoveries in India at that time was tremen-dous. Already one year after this globe map, the so-called ‘Gesta proxime per Portugalenses in India, Ethiopia et aliis orientalibus locis’ was printed in Rome by virtue of Portuguese reports.62

58 National Library of France Paris, Rés. Ge. B. 1120 (Kunstmann No. III). Cf. the synoptical comparison of the maps of Pilestrina, Cantino, Canerio and the Carta Marina of Martin Waldseemüller from 1516 at Stevenson, Marine world chart (note 56), pp. 90–115.

59 Stevenson, Marine world chart (note 56), p. 9.60 This famous map was again copied by Heinrich Loriti (Glareanus) in 1510 which can be

seen in two hand drawings in the print of the ‘Cosmographia’ of Waldseemüller, which is now preserved at the University Library of Munich. The author intends to write more about his research of the periphery of Waldseemüller in future work.

61 University Library of Munich, W 4°H.aux. 1270:7, printed in: Borowka-Clausberg, Balthasar Sprenger (note 25), pp. 192–196. Richard L. Betz, The Mapping of Africa. A Cartobibliography of Printed Maps of the African Continent to 1700 (Utrechts Studies in the History of Cartography 7), Utrecht 2007, p. 54 has noted two different variants of this map: One example at the Bell Library of the University of Minnesota (Minneapolis Bell, 1505 Re; cf. Alvin E. Prottengeier, From Lisbon to Calicut. A publication from the James Ford Bell collection in the University of Minnesota Library, Minneapolis 1956 (reviewed by Francis M. Rogers, in: Speculum 32/3 [1957], pp. 603–607) shows clouds in the upper left and right corner of the map. Another print of the map at the Library of Congress is covered without clouds.

62 Cf. in general Gita Dharampal, Frühe deutsche Indienberichte, in: Zeitschrift der Deut-schen Morgenländischen Gesellschaft 134 (1984), pp. 23–67; Gita Dharampal-Frick,

192 Horst

Fig. 21: Title page of the ‘Itinerarium Portugallensium’ (Milan, 1508).

Fig. 20: Globe map in the German pamphlet ‘Den rechten weg auß zu faren von Lißbona

gen Kallakuth von meyl zu meyl’.

193The Voyage of Balthasar Sprenger

4.6 The ‘Itinerarium Portugallensium’ of 1508

The incunable ‘Itinerariu[m] Portugalle[n]siu[m] e[t] Lusitania in India[m] [et] inde in occidentem [et] demum ad aquilonem’ is a Latin translation of Antonio Fracanzano da Montalboddo’s famous compilation ‘Paesi novamente retrovati et novo mondo da Alberico Vesputio fl orentino intitulato’ (Vicenza, 1507) with a special focus on Portugal.

It was translated by the Milanese monk Archangelo Madrignano and printed in Milan, Italy, by Johannes Angelus Scinzenzeler in 1508.63 The work is a mile-stone in the history of discoveries because it is the fi rst Latin edition of the fi rst-ever printed collection of a variety of voyages, among them the explorations of Vasco da Gama (1498) and Cabral (1500) of Africa and India.

A large woodcut map of Africa, southern Europe and western Asia is taking up most of the title page (22,5 cm x 16,5 cm oriented to the west). The map is known in two states and only appears in the Latin edition of 1508.64 Africa is mapped too wide longitudinally. Two ships and the placenames on the map are based upon Portuguese discoveries: ‘C. Biancho’ (Cape Blanco) and ‘C. Verde’ (Cape Verde) on the west coast; ‘Monte Negro’ with a padrão cross along the southwest coast and ‘C. Sp(er)a(n)za’ (the Cape of Good Hope) in the south. The African-Arab port of ‘Meli(n)do’ (Malindi) on the east coast of Africa is also mentioned such as the City of Calicut in India. This shows that it was the voyages from Lisbon to Calicut that mattered at that time, not the voyages to the new world.

4.7 The globe of Lukas Rem on a triptych of Quentin Massys (1519)

A triptych from 1519 by the Dutch painter Quentin Massys (1466–1533), pre-served in the ‘Alte Pinakothek’ of Munich, Germany, also gives hints about the early journeys to India.65 The winged altar on his two side wings shows the Saints Rochus and Sebastian, who allude to the black death both at Lisbon in 1503–1508 and at Antwerp in 1519. In the middle you can fi nd the Holy Trinity and

Indien im Spiegel deutscher Quellen der Frühen Neuzeit (1500–1750). Studien zu einer interkulturellen Konstellation, Tübingen 1994.

63 Cf. the copy in the University Library of Munich, Department of manuscripts, Signature: W °2 Itin. 14a.

64 Betz, The Mapping of Africa (note 61), pp. 78–80: The fi rst state labels the Red Sea ‘Sinus Persicus’, the second state ‘Sinus Arabicus’.

65 Bayerische Staatsgemäldesammlungen (ed.), Alte Pinakothek München. Erläute-rungen zu den ausgestellten Gemälden, München 1986, pp. 310–312; Karl G. Boon, Quinten Massys, Amsterdam 1942, pp. 32 and 35; Andrée de Bosque, Quentin Metsys, Brüssel 1975, pp. 186–189; Larry Silver, The paintings of Quinten Massys, Montclair 1984, p. 210 and plate 37.

194 Horst

a crescent madonna in subtle coolness. Mounted underneath are the armorial bearings of Lukas Rem and his wife Anna Ehem from Augsburg which show the benefactors of the triptych.

On the left hand side you can fi nd the right part of an iconographic globe, which depicts the Indian Ocean and the coasts of Africa in geographical distor-tion—exactly the area for which Rem, as agent of the trading house of the Welser, had to prepare the Indian enterprise. This is also demonstrated by a cross, which stands with its foot in India, showing that the benefactor had helped to put it up there.

The globe is accurately graduated with equator and tropics and bears a resem-blance to the globes of the famous astronomer Johannes Schöner (1477–1547) from Nuremberg. It is considered possible that a real globe, which was probably in the possession of Lukas Rem, acted as a model to the Dutch painter.66

66 Hubert Freiherr von Welser, Der Globus des Lukas Rem, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 48 (1958), pp. 96–114, here p. 106.

Fig. 22: Triptych of Quentin Massys, showing the globe for Lukas Rem(1519, Alte Pinakothek, Munich).

195The Voyage of Balthasar Sprenger

Fig. 23: Globe map in Apian’s script “Isagoge in Typum Cosmographicum”, Landshut 1521.

4.8 The world illustration in a cosmographical work of Peter Apian (1521)

A similar description can be found in the treatise ‘Isagoge in Typum Cosmographi-cum’ by the Bavarian cartographer and astronomer Peter Apian in 1521.67 There the city of Nuremberg is unmentioned, but you can distinguish the city of Venice (‘Venetie’), the country of ‘Portugal’ as the leading kingdom in the time of explo-ration and the Indian trading city ‘Callicut’.

If we look at these globe-maps it is important to consider that at the same time the “Mundus Novus” (America) was discovered, which can be seen in the portolan charts and world maps at the turning point between the middle ages and the early modern times. So far these maps had been mostly interpreted only

67 Cf. the copy of the Austrian Academy of Science in Vienna, Woldan-collection, front page of the print in Landshut of 1521.

196 Horst

in relation to the discovery of America (West-India),68 rarely in relation to Africa or East-India. But it is worth wile looking closer at these famous cartographical products which mark a change in the history of cartography.

Conclusion

After the discovery of America and of the direct sea route to India, three ships, fi nanced by a South German trade company, accompanied the expedition of the Portuguese Admiral Francisco de Almeida (ca.1450–1510) to East-India. They imported pepper to Portugal and made great profi ts. The Bavarian Balthasar Sprenger was one of the travellers to India in 1505/1506, and after his return he wrote a so far little-known book about his travels, printed in 1509. This book is the fi rst travelogue about Africa and India in the German language.

We have seen that the travelogue of Balthasar Sprenger is an excellent source for the Portuguese discoveries of 1505/06 to East-India, which have received little attention until now. Besides, the contemporary cartographic documents show a fi gurative concept of the newly discovered lands in the East. Travelogues and the history of cartography can thus serve as excellent sources for the history of dis-coveries.

Zusammenfassung

Nach der Entdeckung Amerikas und des direkten Seeweges nach Indien schlos-sen sich mehrere süddeutsche Handelshäuser unter der Vermittlung des deutschen Buchdruckers in Portugal, Valentim Fernandez, und des Augsburger Humanisten Konrad Peutinger zu einem Handelskonsortium zusammen. Insgesamt waren drei deutsche Schiffe an der unter der Flotte des portugiesischen Admirals Francisco de Almeida (ca. 1450–1510) geleiteten Expedition von 1505/1506 nach Indien betei-ligt, um dort Pfeffer und andere östliche Spezereien einzuhandeln. Vor allem das Handelshaus der Welser konnte damit hohe Gewinne erzielen, während der Glanz der italienischen Hafenstädte Genua und Venedig, dem Geburtsort des modernen Kapitalismus und des Kolonialismus, langsam zu verblassen begann.

Über ›die Merfart vnd erfarung nüwer Schiffung vnd Wege zu viln onerkanten Inseln vnd Künigreichen‹ gen Indien sind wir bestens durch den 1509 gedruckten Bericht des Allgäuers Balthasar Sprenger unterrichtet. Es handelt sich dabei um

68 Carlos Sanz, The Discovery of America – The Three Maps which Determined it, Pro-moted Knowlegde of its Form and Fixed its Name, in: Terrae Incognitae 6 (1974), pp. 77–84.

197The Voyage of Balthasar Sprenger

die erste Reisebeschreibung über Afrika und Indien in deutscher Sprache. Auf elf Seiten wird ausführlich in erzählendem Stil mit relativ natürlicher, ungekünstelter Sprache über die Hin- und Rückreise berichtet, während in einem nur drei Seiten umfassenden, zweiten Abschnitt von beschreibendem Duktus höchst interessante ethnographische Einzelheiten beschrieben werden.

Wesentliches Merkmal des Textes, der eine »menmonische Kunst par excel-lence« darstellt, ist ein neues Verständnis der Reiseberichterstattung, die nicht mehr antike-phantastische Monsterdarstellungen zum Thema hat, sondern vor-wiegend vom Handel bestimmt wird.

Somit ist ein Wandel im Weltbild am Übergang des späten Mittelalters zur frühen Neuzeit erkennbar, der sich zugleich anhand von neuen, geographischen Kenntnissen zeigt, die sich vor allem in den zeitgenössischen kartographischen Werken des beginnenden 16. Jahrhunderts niedergeschlagen haben; so beispiels-weise auf der Karte des Juan de la Cosa (1500), auf der Cantino-Karte (1502), auf der King-Hamy-Karte (um 1502) sowie auf der Karte des Canerio (um 1505). Daneben wurde die enge Beziehung zwischen illustrierten Reiseberichten und der Kartographiegeschichte erörtert.

Abbildungsnachweise:

Bell: Abb. 1, 10, 12 und 15: Schema des Autors. Abb. 2–8, 11, 14, 16 wurden aus dem Palazzo Schifanoia mit freundlicher Genehmigung des Museo Civico di Schifanoia in Ferrara reproduziert.Abb. 9 aus: Pietro Bono Avogaro, Coniuntiones et oppositiones luminarium anni saluatoris nonri 1505 ad meridianum inclite ciuitatis Ferrarie calculata per celeberimum, 1504. Siena, Biblioteca comunale degli Intronati. Abb. 13 aus: Aby Warburg, Die Erneuerung der heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance, Reprint der von Gertrud Bing editierten Ausg. von 1932, hg. von Horst Bredekamp und Michael Diers, Berlin 1998.

Opitz: Abb. 1 aus: Alessio Monciatti, Il Palazzo Vaticano nel Medioevo, Florenz 2005, Abb. 22. Abb. 2 und 3 aus: E. Clive Rouse, Audrey Baker, The Wall-Paintings at Longthorpe Tower near Peter-borough, Northants, in: Archaeologia 96 (1955), S. 1–57, Abb. 3 und 4. Abb. 4 aus: Michael Stolz, Wege des Wissens. Zur Konventionalität mittelalterlicher Artes-Bildlichkeit, in: Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali, René Wetzel (Hg.), Literatur und Wandmalerei II. Konventionalität und Konversation, Tübingen 2005, S. 273–301, Abb. 33. Abb. 5 aus: Giordana Benazzi, Francesco Federico Mancini (Hg.), Il Palazzo Trinci di Foligno, Pe-rugia 2001, Abb. 27.

Albertson: Fig. 1 and 2: De ludo globi: Nicolaus de Cusa, Dialogus de ludo globi, Opera Omnia IX, ed. H.G. Senger, Hamburg 1998, p. 153.

Horst: Fig. 1: From the original in the Henry E. Huntington Library, reprinted in the Americana Series 176, Boston 1926. Fig. 2: From the original in the British Museum, reprinted in the Americana Series 43, Boston 1921. Fig. 3–11: Austrian National Library Vienna, Map Department, 390120-B. Kar. Fig. 12: From the original in the Museo Correr (Venezia), revised by Uwe Kleim, Chair for Cartography and Topography, Bundeswehr University Munich, Neubiberg. Fig. 13–21: Collection of facsimiles of old maps, Chair for Cartography and Topography, Bundeswehr University Munich, Neubiberg. Fig. 22: Alte Pinakothek Munich, reprinted in: Larry Silver, The paintings of Quinten Massys, Montclair 1984, Plate 37. Fig. 23: Austrian Academy of Sciences (Vienna), The Woldan Collection, G-II: WE 14.