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Gebr. Mann Verlag · Berlin Arne Karsten und Philipp Zitzlsperger (Hg.) Vom Nachleben der Kardinäle Römische Kardinalsgrabmäler der Frühen Neuzeit

Philipp Zitzlsperger: REQUIEM – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit Ergebnisse, Theorien und Ausblicke des Forschungsprojekts (2010)

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Gebr. Mann Verlag · Berlin

Arne Karsten und Philipp Zitzlsperger (Hg.)

Vom Nachleben der KardinäleRömische Kardinalsgrabmäler der Frühen Neuzeit

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Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-NORM über Haltbarkeit erfüllt.

Umschlagabbildung: Gisant des Pietro Foscari († 1485), Capella Costa, Santa Maria del Popolo, Rom, 1485 – 1489 (Detail), vgl. Abb. S. 22

Layoutkonzeption: Dorén+Köster · BerlinUmschlagentwurf: hawemannundmosch · BerlinSatz: hawemannundmosch · BerlinDruck und Bindung: Druckerei zu Altenburg · Altenburg

Printed in Germany ISBN 978-3-7861-2607-2

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Inhaltsverzeichnis

Horst Bredekamp und Volker Reinhardt 7 Vorwort als Rückblick

Arne Karsten 11 Einleitung

Philipp Zitzlsperger 23 Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

Ergebnisse, Theorien und Ausblicke des Forschungsprojekts

Anett Ladegast 67 Liturgie und Memoria bei den Ammanati-Grabmälern in S. Agostino Möglichkeiten und Grenzen einer Grabmalsstrategie

Laura Goldenbaum 99 Strategien der Vergegenwärtigung Der venezianische Kardinal Pietro Foscari und sein Bronzedouble

in S. Maria del Popolo

Judith Ostermann131 Ein Königreich für einen Kardinal Das Grabmal Francisco Ximenez de Cisneros (1436–1517) in Alcalá de Henares

Alexandra Fingas165 Die Cappella Falconieri in S. Giovanni dei Fiorentini Eine römische Grabkapelle im Blickfeld familienpropagandistischer Interessen

Carol Nater197 Streit um den Platz in der Ewigkeit Die Ginetti-Kapelle in S. Andrea della Valle im Spannungsfeld konkurrierender

römischer Aufsteigerfamilien im Seicento

Alrun Kompa221 Der Papst als Nepot Die Darstellung Kardinal Neri Corsinis d. Ä. im Kontext der römischen

Corsini-Kapelle

249 Gesamtbibliographie

275 Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren

277 Abbildungsnachweis

00 Register

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Philipp Zitzlsperger

Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

Ergebnisse, Theorien und Ausblicke des Forschungsprojekts

Inhalt

1 Doppelpolige Kunstgeschichte – Qualität und Quantität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2 Memoria und Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3 Wahlmonarchie und Gruppenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

3.1 Gesellschaftliche Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3.2 Topographische Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

4 Einheit und Eigenheit als Formproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4.1 Angleichung und Distinktion nach innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.2 Angleichung und Distinktion nach außen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

5 Sakrale und profane Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Die folgenden Ausführungen sind Reflexion und Ausblick zugleich. Zum einen resümieren sie die mittlerweile neunjährige Forschungsarbeit des Requiem-Projekts. Zum anderen wird der Versuch unternommen, aus den Ergebnissen eine Theorie des frühneuzeitlichen Grabmals und seiner gesellschaftlichen Rolle als Beitrag zur Gedächtnis- und Memoriaforschung zu entwi-ckeln.1 Ausgehend von der Tatsache, dass Grabmäler gesellschaftlicher Eliten rückwärtsge-wandte Erinnerung und vorwärtsgewandte Identitätsstiftung sozialer Gruppen sind, wurde für die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler untersucht, aus welchen mikropolitischen Mecha-nismen Grabmalsstiftungen hervorgehen und welche Auswirkungen der soziohistorische Hin-tergrund auf Form und Ikonographie der Erinnerungsmonumente besitzt. Diese Integration mikropolitischer Kontexte kann der Kunstgeschichte neue Impulse geben, ebenso wie die ob-jektreiche Langzeitstudie quantitativ verlässliche und bisweilen überraschende Daten für eine Kunst- und Kulturgeschichte des Grabmals liefert. Immerhin wurden für das Requiem-Projekt Monumente aus fast 400 Jahren erfasst. Diese umfassende Materialsammlung öffnet neue Per-spektiven auf die Geschichte der visuellen Selbstdarstellung und Imagepflege römischer und vor allem geistlicher Eliten, die grundsätzliche Aspekte der Erinnerungskultur berühren.

Im vorliegenden Text wird auf zahlreiche römische Grabmonumente verwiesen, deren Abbildungen qua Masse nicht gedruckt werden könnten, ohne dass sie den Umfang des Sam-melbandes sprengen würden. Der Fortschritt der Computertechnik und des Internets bietet jedoch die Möglichkeit, die entsprechenden Fotographien begleitend zur Textlektüre auf dem Computerbildschirm aufzurufen. Denn alle römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler, die in

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den folgenden Kapiteln ein Rolle spielen, sind in der internetgestützten und frei zugänglichen Requiem-Datenbank mit großformatigen Abbildungen abrufbar (www.requiem-project.eu).

1. Doppelpolige Kunstgeschichte – Qualität und Quantität

Das Requiem-Projekt hat sich seit 2001 die umfassende Erschließung der Papst- und Kardinals-grabmäler nebst der Prosopographien ihrer Protagonisten zur Aufgabe gemacht, um die Erin-nerungsmonumente in ihrer Gesamtheit und kulturellen Einbindung zu untersuchen. Die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse und Ausblicke, die das Requiem-Projekt unter anderem auf insgesamt vier Tagungen und in zahlreichen Publikationen zur Diskussion gestellt hat, basieren zu einem wesentlichen Teil auf den wissenschaftlichen und methodischen Möglichkei-ten, die eine digitale Datenbank bietet, um diachrone und synchrone Untersuchungen an der Schnittstelle zwischen Kunstgeschichte und Sozialgeschichte durchzuführen und auszuwerten. Ausgehend von einer qualitativ ausgerichteten Kunstgeschichte, also von der Analyse einzelner Objekte und ihrer vergleichenden Einbettung in Kontexte, ist darüber hinaus die quantitative Untersuchung der Grabmäler hinzuzuziehen. Sie basiert auf der Integration großer Objekt-mengen, deren Verfügbarkeit in der Datenbank die Arbeitsgrundlage bildet. Diese Form der doppelpoligen Kunstgeschichte ist folglich eine Kombination aus qualitativer Einzelanalyse und quantitativer Einordnung in den Erinnerungskosmos römischer Grabmäler.

Allerdings lassen sich quantitative Aussagen nur über sinnvoll und eindeutig abgrenzbare Objektgruppen treffen. Kunstgeschichtlich einheitliche Objektgruppen oder sozialgeschicht-lich homogene Gesellschaftsgruppen, die sich nicht ins Beliebige erweitern ließen und damit konkrete, gruppenspezifische Aussagen unmöglich machten, sind selten zu finden. Je durchläs-siger die Randbereiche definierter Gruppen sind, desto vielfältiger bleibt das Bild, das sich die Wissenschaft von ihnen machen kann. Die Definition von sozialen Gruppen der Frühneuzeit ist grundsätzlich problematisch, indem der Fokus etwa auf den Adel oder bestimmte Zünfte gesetzt wird. Denn häufig entsprechen moderne kategorische Grenzziehungen nicht der zeit-genössischen Wahrnehmung komplexer Gruppenbildung in frühneuzeitlichen Gesellschaften.2 Soziale Gruppen der Geistlichkeit hingegen sind deutlich markierten kirchlichen Hierarchien zugeordnet. Nach dem Papst steht der Kardinal an der Spitze der Machtpyramide; Papst und Kardinalskollegium bilden die Regierung des Kirchenstaats. In seiner rituellen und zeremoniel-len Innen- und Außendarstellung durch Kleidung, Insignien und Rangfolge erschien das Kar-dinalskollegium in der frühen Neuzeit als geschlossene Einheit, deren repräsentative Grenzen nicht durchlässig und deren kategoriale Abgrenzung von anderen Eliten dadurch eindeutig war. Das bedeutet nicht, dass diese Machteinheit im Inneren durchweg von Solidarität und Gemein-schaftsgefühl getragen war. Vielmehr setzte sich das Kardinalskollegium aus ungleichen Mit-gliedern zusammen, die unterschiedlichen Ständen, Geschlechtern und Ländern entstammten. Ihre Ungleichheit führte notwendig zu internen Gruppenbildungen mit unterschiedlichen In-teressen. Vor diesem sozialgeschichtlichen Hintergrund entstand in der Ewigen Stadt ein über-aus komplexer sepulkraler Erinnerungskosmos, dessen Papst- und Kardinalsgrabmäler zu den prachtvollsten Werken der frühneuzeitlichen Kunstproduktion zählen. Das Kardinalsgrabmal

25Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

bietet in dieser Hinsicht eine in sich geschlossene Kategorie als Schnittmenge aus frühneuzeitli-cher Grabmalsproduktion und einer konkret greifbaren gesellschaftlichen Gruppe geistlicher Eliten. Über die Betrachtung außergewöhnlicher und künstlerisch hoch anspruchsvoller Erin-nerungsmale darf jedoch nicht vergessen werden, dass sich die Mehrzahl der Kardinäle durch weniger spektakuläre Grabmonumente auszeichnete oder ganz darauf verzichtete. Wird neben den auffälligen Varianten auch dieses unscheinbare ›Mittelfeld‹ der Erinnerungskultur berück-sichtigt, lassen sich über eine rein kunsthistorische Analyse hinaus kulturgeschichtliche Er-kenntnisse gewinnen, die maßgeblich von den Grabmälern als visueller Überlieferung geprägt werden.

Dieser methodische Ansatz erfordert eine bipolare Datenbank,3 die Grabmäler und Pro-sopographien der Kardinäle gleichermaßen berücksichtigt. Für die prosopographische Erfas-sung von Lebensdaten sind in den Geschichtswissenschaften bereits differenzierte Kategorien, unter anderem nach zeitgenössischen Vorgaben (zum Beispiel Ämternamen), entwickelt wor-den.4 Für die Grabmälerdatenbank mussten dagegen zum Teil neue Begriffe und Kategorien eingeführt werden, die in zeitgenössischen Schriftquellen nicht versprachlicht und durch die kunsthistorische Forschung noch nicht ausreichend differenziert sind. So ergibt sich folgende Struktur:5 Neben einer reichen Bilddokumentation werden nach Angabe der Basisdaten zur Verortung des Grabmals (Stadt, Kirche, Standort in der Kirche) dessen Datierung und Zu-schreibung behandelt, um in einer dritten Rubrik auf die Objektbeschreibung überzugehen. Unterteilt wird nach Grabmal-Art (Wand-, Boden- und Freigrabmal) und Grabmal-Typus, für den einige neue Begriffe eingeführt werden mussten, etwa der ›Tabulariums‹- oder ›Ädikulaty-pus mit Biforium‹. Weitere Beschreibungskategorien betreffen Material, figürliche Ausstattung und Porträtgestaltung, Inschrift und Lokalisierung der sterblichen Überreste, also die Frage, ob es sich um einen Kenotaph handelt. Mögliche Veränderungen und Verlegungen des jeweiligen Grabmals im Lauf der Geschichte werden schließlich ebenso erfasst wie Rekonstruktionen ver-lorener Monumente.6

Diese Daten können durchsucht und abgefragt werden, wobei beachtet werden sollte, dass die Requiem-Datenbank stets als ein work in progress zu begreifen ist. Nicht alle Rubriken und Kategorien sind flächendeckend und vollständig erfasst.7 Doch wichtige Eckdaten können wei-testgehend Vollständigkeit beanspruchen und bieten verlässliche Mengenangaben für statisti-sche Auswertungen (Stand April 2010): Nach dem vorläufigen Endstand der Ermittlungen sind alle römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler aufgenommen. Der zeitliche Rahmen wird da-bei einerseits durch die Wiederherstellung der päpstlichen Herrschaft in Rom nach dem großen Schisma ab 1417, andererseits mit dem Ende der landesherrlichen Souveränität der Päpste durch die Ausrufung der römischen Republik im Februar 1798 abgesteckt. Auf den Untersuchungs-zeitraum von nahezu 400 Jahren kommen insgesamt 46 Päpste und 1268 Kardinäle. Während alle Päpste in Rom bestattet wurden, hat von den Kardinälen im erwähnten Zeitraum etwa die Hälfte in der Ewigen Stadt eine letzte Ruhestätte gefunden, von denen wiederum nicht alle ein Grabmonument erhielten. 612 Kardinäle hatten ursprünglich jeweils eine Grablege in einer von etwa 90 Kirchen innerhalb der römischen Stadtmauern, wovon 119 (19 %) jedoch ohne Grab-mal verblieben.8 Die Unterscheidung von Grablege, also der Verortung der sterblichen Über-reste, und Grabmal, dem Erinnerungsmonument als Bodenplatte oder Wandgrabmal, ist in die-

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sem Zusammenhang von eminenter Bedeutung, die vor allem auch – wie noch zu zeigen sein wird – für das Verständnis der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Grabmalstheorie und das Verhältnis von Grabmal und Körper relevant ist.

Die eingepflegten Daten können über die Suchfunktion in der Online-Datenbank von je-dem Nutzer als einfache oder kombinierte Suche gezielt abgefragt werden.9 Die diachrone Sta-tistik ist in der Lage, als Flankierung von Einzelstudien formale, ikonographische und ikonolo-gische Zusammenhänge in ihrer zeitgebundenen Bedeutung zu erklären. Das erfasste Material stellt eine bislang unzugängliche Masse an Objekten bereit, die in Relation zur prosopographi-schen Datensammlung disziplinübergreifende Fragestellungen ermöglicht.

In der Projektarbeit wurden insbesondere Mechanismen der topographischen und hierar-chischen Verteilung von Grabmälern erschlossen, die wesentlich für das Verständnis sepulkra-ler Strategien hinsichtlich der Wahl des Standorts und des Grabmaltypus’ sind. Aber auch De-tailprobleme, wie etwa der Einsatz von Porträts, Allegorien oder biographischen Verweisen können durch ihre quantitative Auswertung zu neuen Erklärungsmodellen führen. Die Beliebt-heit einer Justitia-Darstellung am Grabmal lässt sich beispielsweise erst beurteilen, wenn die Häufigkeit ihres zeitgleichen Auftretens an anderen Grabmälern in Rom ermittelt ist.10 Ebenso führt die vollständige Aufnahme der verschiedenen Porträttypen an Kardinalsgrabmälern zu interessanten Gruppenbildungen und Entwicklungslinien, die sich erst in der statistischen Aus-wertung der Datenbank offenbaren.

2. Memoria und Zukunft

Als Kardinal Gioachino Besozzi am 27. Februar 1747 sein Testament verfasste, verfügte er unmissverständlich, dass sowohl seine Exequien als auch sein Grab möglichst schlicht ausfallen mögen.11 Doch der Zisterzienserorden von S. Croce in Gerusalemme entschied sich als Erbe gegen den Wunsch des Kardinals, um dem Verstorbenen ein aufwendiges marmornes Wand-grabmal in besagter Kirche zu errichten: Auf einem Inschriftensockel kniet die marmorne Ganzkörperskulptur im kardinalizischen Ornat an einem Pult in ›ewiger Anbetung‹.12 Der Kardinal wollte kein Grabmal, sein Orden stiftete es dennoch. Dieser Widerspruch ist in Rom nicht selten zu beobachten, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Mehrzahl der Kardinäle, die opulente Grabmäler erhielten, von diesen in ihren Testamenten nichts verlauten ließ. Zen-traler Bestandteil der Kardinalstestamente dieser Zeit ist die Verfügung von Seelenmessen; letz-te Anweisungen zu einem Grabmal zählen jedoch zu den testamentarischen Ausnahmen.13 Bei der Lektüre der Kardinalstestamente entsteht der Eindruck, dass die Sorge um das eigene Grab-mal vom letzten Willen kategorisch getrennt wurde. Denn es ist kaum anzunehmen, dass sich die Mehrzahl der Kardinäle mit ihrem eigenen, postum ausgeführten Grabmal nicht schon zu Lebzeiten beschäftigt hätte, auch wenn sie – unausgesprochen – dessen Umsetzung den Hinter-bliebenen überließ. Testament und Grabmalsplanung passten offensichtlich nicht zusammen, wie der Fall des Kardinals Carlo Bonelli († 1676) exemplarisch zeigt: Bonelli hatte bereits zu Lebzeiten die Ausführung seines außerordentlich großen und figurenreichen Grabmals in S. Maria sopra Minerva in Auftrag gegeben. Darüber informiert auch die Grabmalsinschrift mit

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einem »Sibi ViVenS extRVxeRat«. In seinem etwa gleichzeitig, sechs Jahre vor seinem Tod ver-fassten Testament jedoch betont er ostentativ und scheinbar desinteressiert, dass er sich um das Grabmal keine Gedanken mache, diese vielmehr seinem Nachlassverwalter überlasse.14 Die Bereinigung des letzten Willens von eitler Grabmalsplanung deutet darauf hin, dass ein guter Christ in Erwartung des Jüngsten Gerichts sein Testament möglichst ohne belastende Inhalte zu verfassen versuchte, die außerhalb des Tugendkanons standen und ruhmsüchtig erscheinen konnten. Während die Sünden des Lebens in einer letzten Beichte erlässlich waren, mussten Sünden des postum wirksamen Testaments als Stigmata erscheinen, die von der Möglichkeit der Beichte ausgeschlossen blieben. So fand die Bereinigung des Testaments von sepulkralem Bal-last ihre Steigerung im letztwillentlichen Grabmalsverbot. Signifikanter Weise wurde dies jedoch in einigen bekannten Fällen von den Hinterbliebenen missachtet, sofern der Verstorbe-ne nicht bereits zu Lebzeiten, wie Bonelli, die Ausführung seines Grabmals organisiert hatte. Selbst unter den Päpsten, wie etwa bei Sixtus IV. della Rovere (1471–1484), konnte es vereinzelt vorkommen, dass sie entgegen ihres letzten Willens ein Grabmonument erhielten.15 Am Anfang mancher Grabmalsstiftungen steht ein vermeintlicher Interessenskonflikt zwischen den geistli-chen Eliten des Vatikans und ihren Hinterbliebenen und Nachlassverwaltern, dessen wahre Motive selten so deutlich zu Tage treten, wie durch den Widerspruch von Bonellis Testament und Grabmals-Eigenstiftung. Noch wichtiger aber ist, dass offensichtlich in den meisten Fällen die Hinterbliebenen die treibende Kraft der Grabmalsausführung sein mussten oder durften, ohne dass ein Testament sie dazu verpflichtete.16

Der Widerspruch von letztem Willen und Grabmalsstiftung offenbart einen ersten Ein-blick in das Bedeutungsgefüge des Grabmals als Erinnerungsmonument, das einen Kardinal entweder ›gegen‹ oder ohne dessen testamentarischen Wunsch in das Rampenlicht der Memoria stellt. Sepulkrale Memoria – das wird im Folgenden näher zu beleuchten sein – ist weniger dem Verstorbenen geschuldet, als vielmehr den Hinterbliebenen, die sich die Verdienste des Toten zu Nutze machen, um daraus für zukünftige Interessen Profit zu schlagen. Und selbst wenn die Grabinschrift das Erinnerungsmonument als Eigenstiftung bezeugt (Sibi ViVenS PoSuit), ist die Sorge des Verstorbenen um die Hinterbliebenen damit ebenso wenig ausgeschlossen, wie des-sen Sorge um die eigene fama.

Das Grabmal beansprucht daher zwei Zeitvektoren, die in entgegengesetzter Ausrichtung in die Vergangenheit und in die Zukunft weisen. Die Vergangenheit ist dem Verstorbenen zuzu-ordnen, an den das Grabmonument erinnert, und die Zukunft gehört den Hinterbliebenen, die vom Grabmal profitieren. Dieser Profit besteht zum einen aus den repräsentativen Werten eines Erinnerungsmals, zum anderen aus dem Gedächtniswert, welcher der Erinnerung innewohnt: Das Grabmal wirft ein grelles Schlaglicht auf die historische Bedeutung des Verstorbenen, auf dessen gesellschaftliche Rolle und soziale Umgebung, die Familie und ihre Verbündeten. Schlag-lichter jedoch sind umgeben von Dunkelheit, in die jene gesellschaftlichen Mitglieder zurück-treten, die an dieser sepulkralen Erinnerungskultur ohne eigenes Monument nicht teilnehmen. Das Grabmal setzt also deutliche Akzente einer konstruierten Erinnerung, die ein identitäts-stiftendes Geschichtsbewusstsein formt. Das Grabmal ist Teil der Gedächtniskunst, die den Fond aus Objekten und Ritualen bildet, aus dem das kulturelle Gedächtnis entsteht. Dieser Begriff ist jung; er ist keine 20 Jahre alt und gründet auf einer älteren Gedächtnisforschung.

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Maurice Halbwachs und Aby Warburg prägten unabhängig voneinander in den 1920er Jahren etwa gleichzeitig die Begriffe des kollektiven (Halbwachs) beziehungsweise des sozialen Ge-dächtnisses (Warburg), mit denen sie versuchten, das überindividuelle Wissen aus einem biolo-gistischen auf einen kulturwissenschaftlichen Bezugsrahmen zu übertragen. Das neue Axiom beider Wissenschaftler war, dass Erinnerung keine natürliche Gegebenheit, sondern vielmehr kulturell generiert ist. Die Gesellschaft beziehungsweise unterschiedliche Gruppen schaffen sich die Erinnerungsinhalte, indem sie ihr kollektives Gedächtnis durch visuelle und sprachli-che Kommunikation sowie soziale Interaktion bilden. Die kollektiven Denk- und Erinnerungs-figuren sind folglich gruppenbezogen und nach außen abgegrenzt: Grundsätzlich entsteht Gruppenidentität durch Alterität. Diese Distanz ist entscheidend und entsteht, indem das sozi-ale Gedächtnis nach innen Einheit und nach außen Eigenheit konstituiert. Einheit und Eigen-heit basieren auf Distinktion und sind das Wesen des sozialen beziehungsweise kollektiven Gedächtnisses.17

Trotz der Unterschiede zwischen Warburgs und Halbwachs’ Forschungen ist beiden ge-meinsam, dass sie von einem Gedächtnisbegriff ausgehen, der eine obrigkeitliche Lenkung der Erinnerung übergeht. Warburg, der nie eine ausformulierte Theorie des sozialen Gedächtnisses verfasst hat, spricht in seinen Texten verschiedentlich von Kunst als einem ›sozialen Erinne-rungsorgan‹, oder den in Symbolen bewahrten Energien (Engramme) vergangener Erfahrun-gen, die einem selektiven Zeitwillen unterstehen.18 Für Warburg ist der Künstler die Instanz der Selektion. Dieser verwaltet den gesellschaftlichen Bildhaushalt, indem er überlieferte Bild-formen aufgreift und andere fallen lässt.19 Halbwachs dagegen interessiert sich nicht für die Objekte, die für Warburg als Kunstwerke oder Denkmäler das soziale Gedächtnis konstituie-ren, sondern konzentriert sich auf die Erinnerungsfiguren der Alltagskommunikation, die bei ihm ungelenkt und in ihrem Verlauf bisweilen auch beliebig bleibt.

In unterschiedlicher Ausprägung berücksichtigen beide Gedächtnismodelle nicht, dass jeder Erinnerungskultur sozialgeschichtliche Ursachen zu Grunde liegen. Soziales oder kollek-tives Gedächtnis sind das Ergebnis von Interessenverbänden, die ebenso wie der Künstler einer gemeinsamen Gedächtniskultur entstammen, jedoch als Auftraggeber und Initiatoren von Erin-nerungsmonumenten eigene Interessen verfolgen, die zu Gedächtnisstrategien führen. Jan Ass-mann hat in den 1990er Jahren deshalb das Interesse der Kulturwissenschaft auf das Verhältnis von Erinnerungskonstruktion und ihren Regisseuren gelenkt. Für seinen soziologischen Ansatz prägte er den Begriff des kulturellen Gedächtnisses. Das kulturelle Gedächtnis definiert Ass-mann als eine Dreiheit aus Gedächtnis (präsentierte Vergangenheit), Kultur (Kunst, Schrift, Ri-tual) und Gesellschaft. Hatte Warburg noch die (kunst-)historische Bedeutung der Gesellschaft vernachlässigt und Halbwachs seine Betrachtungen auf die Alltagskommunikation beschränkt, brachte Assmann schließlich beide Aspekte mit der soziologischen Erinnerungsforschung zu-sammen.20 Für ihn stiftet das Bewusstsein von ›Einheit und Eigenheit‹ Gruppenidentität durch die Konstruktion einer eigenen Geschichtlichkeit. Ihr liegen bewusste Lenkung und damit Er-innerungsstrategien zu Grunde, um die Festigung sozialer Strukturen und Legitimierung von Herrschaft zu garantieren.

Otto Gerhard Oexle übertrug die Bedeutung des kulturellen Gedächtnisses schließlich auf die christlichen Erscheinungsformen der Memoria. Auch sie ist ein Geflecht sozialer Handlun-

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gen, die sich in Monumenten ebenso manifestieren wie in der Liturgie und Literatur. Memoria ist die Erinnerung an die Toten, die – wie bereits angedeutet wurde – besonders intensiv und selektiv Geschichte konstruiert, weil sie als gesteuerte Kommemoration der Ahnen Einheit und Eigenheit erzeugt.21 Zu dieser Art Geschichts- und Erinnerungskonstruktion zählen die Grab-mäler als Erinnerungsmonumente in besonderer Weise, denn sie ehren historische Personen, deren identitätsstiftende Bedeutung in der Gegenwart ihrer Stifter verankert und deren Prä-gung des gruppenspezifischen Erinnerungskosmos in die Zukunft gerichtet ist.22

Von besonderer Bedeutung für die Forschungen des Requiem-Projekts ist, dass der Grab-malsstiftung sowohl eine retrospektive als auch eine prospektive Orientierung eignet. Die ret-rospektive hält die Erinnerung an den jeweiligen Verstorbenen aufrecht, um ihn aus seiner ge-lebten Vergangenheit in die Gegenwart mit hinüber zu tragen. Dies ist das Wesen der pietas, die fromme Gesinnung und das Pflichtgefühl der Hinterbliebenen gegenüber den Verstorbenen, die sie im Gedächtnis durch den Totenritus und eben auch das Grabdenkmal am Leben erhal-ten. Das Totengedenken ist somit die Voraussetzung für die fama, den Ruhm der Toten, der in Vergessenheit gerät, wenn seine Erinnerung nicht gepflegt wird. Durch die fama wird dem Grabmal neben dem retrospektiven der prospektive Charakter hinzugefügt, der nicht dem See-lenheil des Verstorbenen gilt, wie Panofsky noch vermutete,23 als vielmehr den Lebenden, die davon profitieren können. Während die Toten von der pietas profitieren, ist deren fama ein Elixier für die Hinterbliebenen.

Aus dieser Perspektive ändern sich die semantischen Vorzeichen des Repräsentationsbe-griffs.24 Denn das Grabmal ist für die Erinnerung konstitutiv. Seine Stiftung als Teil der Toten-memoria beruht zwar auf der Repräsentation eines verstorbenen Individuums als historischer Person, die aber darüber hinaus als Teil des kulturellen Gedächtnisses prospektiv wirkt, indem sie Vergangenheit überhaupt erst entstehen lässt. Die Repräsentation ist einerseits der Rückgriff auf Vergangenes und nimmt andererseits eine im Entstehen begriffene Geschichtskonstruktion bereits vorweg. Es wäre also zu kurz gegriffen, Grabmäler allein als biographische Zeugnisse zu deuten. Zwar betreffen sie eine Person mit Lebenslauf, jedoch werden am Grabmal nur ausge-wählte Details thematisiert, andere kaschiert, um Werte und Normen zu bestätigen, aber auch zu konstituieren. Das ist der prospektive Ansatz des Grabmals, wenn es seine Zweckbestim-mung auch darin erfährt, Noch-Nicht-Erreichtes anzustreben. Dann nämlich tritt der biogra-phische Charakter des Grabmals zurück zu Gunsten der Interessen der Hinterbliebenen, die mit der spezifischen Kommemoration ihrer Ahnen kulturelles Gedächtnis schaffen, mit dem sie ihre eigene Identität beschreiben. Deshalb ist mit dem Begriff der Repräsentation das Streben nach Unerreichtem nicht ausreichend beschrieben. Denn im Verständnis von Repräsenta tion als strukturerhaltender Abbildung in Bildern ist die Wieder-Vergegenwärtigung von etwas, das bereits vorhanden ist oder war, gemeint. Repräsentationen deuten oder interpretieren das Ab-gebildete.25 Das prospektive Grabmal dagegen präsentiert oder erzeugt darüber hinaus neue Tatsachen, die noch gar nicht repräsentierbar sind. Es konstituiert Zukünftiges, das a priori nicht in der Welt ist, sondern entstehen und sich entwickeln muss.

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3. Wahlmonarchie und Gruppenidentität

Die prospektive Wirkmacht des Grabmals lässt sich im frühneuzeitlichen Rom besonders ein-drücklich beobachten, wenn der sozialhistorische Kontext in die Analyse mit einbezogen wird. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Ausbildung von kulturellem Gedächtnis wesentlich von den sozialen Strukturen determiniert ist, die der Steuerung der Erinnerungskul-tur zu Grunde liegen. Konkret gesprochen ist die soziale Herkunft jener Menschen in Betracht zu ziehen, welche die Grabmäler einst stifteten. Denn ihre gesellschaftliche und politische Rolle im geistlichen und weltlichen Zentrum von Kirche und Kirchenstaat bildet die Grundlage des römischen Erinnerungskosmos. Die Entstehungsursachen der Papst- und Kardinalsgrabmäler sind ohne die Kenntnis von jenen Stiftern kaum zu rekonstruieren, welche nach Maßgabe der pietas handeln, um von der fama des Kommemorierten zu profitieren. Mit pietas war im früh-neuzeitlichen Verständnis nicht nur Totenfürsorge gemeint, sondern viel umfassender die Für-sorgepflicht gegenüber Verwandten und Klienten. 26 Die pietas stand daher zwischen religiöser Tugend und profaner Klientenpflege, welche die Lebenden und die Toten zu einem Zweck-bündnis zusammenbrachte, das persönliche Zuneigung nicht ausschloss, jedoch darüber hinaus soziale Handlungen erheblich konditionierte.

3.1. Gesellschaftliche Gruppen

Besonders im frühneuzeitlichen Rom war die pietas eine Wertedimension, die Nepotismus, Klientelismus und Totenfürsorge ebenso als Tugend legitimierte, wie sie übertriebene Verwand-tenförderung und Erinnerungspflege als Laster (malum exemplum) erscheinen lassen konnte. Die Lebenden jedenfalls pflegten in der Ewigen Stadt die Totenfürsorge besonders intensiv, da ihre sozialen und politischen Lebensumstände ausgesprochen unsicher waren. Das Grabmal bot ihnen jene Stabilität einer symbolischen Politik, die ihnen in der Alltagsrealität nicht gege-ben war. Die Kardinäle als geistliche Eliten waren von den Fährnissen des angespannten sozio-politischen Klimas nicht ausgeschlossen. Einerseits verkörperten sie zusammen mit dem Papst das Machtzentrum von Kirche und Kirchenstaat, andererseits jedoch war keinem von ihnen die Kontinuität von Macht und Einfluss auf die Regierungsgeschäfte gesichert. Ursache hierfür war die politische Verfasstheit des Papsttums, auf die nicht deutlich genug hingewiesen werden kann, weil sie in ihrer Eigentümlichkeit auf einen eigenen Symbolhaushalt angewiesen war, der die Kunst- und insbesondere die Grabmalsproduktion entscheidend prägte. Im europäischen Vergleich sind die Machtstrukturen des Kirchenstaats in doppelter Hinsicht einzigartig, da sie sich zum einen als kirchliche Monarchie, zum anderen als Wahl-Monarchie auszeichnen.

Die kirchliche Monarchie war gekennzeichnet von der Verschmelzung weltlicher und geistlicher Macht in der Person des Papstes. Er musste sich nicht nur als Hirte aller Christen-menschen über alle Landesgrenzen hinweg verstehen, sondern auch als weltlicher Herrscher über einen Staat, den Kirchenstaat. Die Dichotomie von weltlichen und geistlichen Machtan-sprüchen des Papstes und seines Kardinalskollegiums prägte die römische Kunstproduktion und vatikanische Propaganda entscheidend, die sich zwangsläufig zwischen den Polen sakraler und profaner Identität positionieren musste – auch hinsichtlich der Grabmäler.

31Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

Ebenso konstitutiv für die Erinnerungskultur im Allgemeinen sowie Form, Stil und Ikonogra-phie der Grabmäler im Besonderen waren die profanen, weil existentiellen Folgen der römi-schen Wahlmonarchie. Sie bedeutet, dass der Papst als Monarch des Kirchenstaats aus dem Kar-dinalskollegium gewählt wurde und nach jedem Papsttod neu gewählt werden musste. Wegen des Zölibats konnte das höchste Kirchenamt nicht erblich sein, so dass in der Regel der neue Papst aus einer anderen Familie, als sein Vorgänger stammte. Nahezu regelmäßig setzte sich bei Neuwahlen die Opposition des Vorgängers durch, was die Konsequenz nach sich zog, dass auch an den Schaltstellen der Macht ein durchgreifender Personalwechsel stattfand. Die Aus-wechslung der politisch-diplomatischen Führungsschicht verhinderte eine dynastisch-herr-scherliche Traditionsbildung, wie sie in den meisten Staaten Europas üblich war. Der Ausschluss dynastischer Kontinuität führte insbesondere in Rom dazu, dass sich Loyalitätsbeziehungen »über persönliche Dienertreue und nicht über abstrakte Diensttreue« etablierten.27 Das Prinzip der Wahlmonarchie hatte weitreichende Folgen für die soziale Wirklichkeit in Rom, denn der kontinuierliche Wechsel von regierenden Familien führte zu einem außergewöhnlich mobilen und besonders kompetitiven Sozialklima.28 Der Aufstieg einer Familie konnte in Rom leichter gelingen und weiter führen als an irgendeinem anderen Ort Europas. Entsprechend konnte aber auch das Gegenteil, der Karriereknick, heftig und endgültig sein. Das Rad der Fortuna drehte sich nirgends so schnell wie in der Wahlmonarchie des Kirchenstaats.

Aus diesem Grund lassen sich der gesellschaftliche Wettbewerb, die dabei angewandten Strategien, Verläufe, Erfolge und Misserfolge nirgendwo so genau studieren wie in Rom. Kampf um den gesellschaftlichen Aufstieg gab es zu allen Zeiten und allerorten; die ihm zugrundelie-genden Mechanismen zu erforschen gestattet die römische Gesellschaft der frühen Neuzeit deshalb in so ungewöhnlich präziser Form, weil die stets aufs Neue sich wandelnden Macht-verhältnisse in der Ewigen Stadt zu einer unvergleichlich hohen Anzahl von ›Studienobjekten‹ in Gestalt von rasch auf- und absteigenden Familienverbänden führten.29 Kontinuität von Macht und Einfluss der römischen Eliten war zu einem wesentlichen Teil von der Länge eines Pontifikats abhängig. Das frühneuzeitliche Rom bietet unter seinen sozialhistorischen Bedin-gungen für die Kunstgeschichte im Allgemeinen und für die Grabmalsforschung im Besonde-ren eine exklusive Versuchsanordnung, die es ermöglicht, Erinnerungsstrategien, Geschichts-konstruktion und Intentionen eines kulturellen Gedächtnisses tiefenscharf auszuleuchten. Denn in Rom wird vor dem Hintergrund der Wahlmonarchie deutlich, dass Familien, Gruppen und Verbände umso mehr auf die Kontinuität ihrer Memoriapraxis angewiesen sind, je mobiler und kompetitiver ihre Gesellschaft ist.

Das ist auch der Grund, warum der Erhaltungszustand insbesondere der römischen Wand-grabmäler relativ gut ist. Die Vernichtung der sepulkralen Memoria in der Ewigen Stadt war ebenso unbeliebt wie die damnatio memoriae. Eindrücklich schildert der Zeremonienmeister Papst Julius’ II. della Rovere (1503 – 1513) am 26. November 1507 in seinem Tagebucheintrag, dass sich der Papst über die Borgia-Appartements beklagt habe, in denen er ständig der Figur seines Vorgängers und Feindes Alexanders VI. Borgia (1492 – 1503) begegnen müsse. Paris de Grassis habe ihm sogleich vorgeschlagen, die ungeliebten Fresken und Wappen in den betref-fenden Räumen entfernen zu lassen. Doch darauf habe der Papst brüsk mit einem »non decet«, das gehört sich nicht, geantwortet.30 Die Episode aus dem vatikanischen Palast erläutert eine

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selbstverständliche Grundeinstellung zur praktischen Memoria in der Ewigen Stadt, über die sich andere Quellen aus dem Umkreis römischer Eliten ansonsten ausschweigen. Der Pontifex Maximus selbst ordnete den Erhalt der Erinnerungsmale sogar seines Erzfeindes an und verbot die damnatio memoriae. Denn er vermied die Schändung der Memoria seines Vorgängers, so wie er von seinen Nachfolgern die gleiche Zurückhaltung für sich erwarten konnte. Selbst die Familiengrablege der verhassten Borgia in S. Maria del Popolo tastete der furiose Rovere-Papst nicht an. Auch letzteres Beispiel zeugt drastisch vom allgemeinen Respekt vor dem Grabmonu-ment, denn immerhin befand sich die Borgiakapelle in einer der bedeutendsten Kirchen Roms, für deren Neubau Sixtus IV. della Rovere (1471– 1484) persönlich gesorgt hatte und die seitdem eine bevorzugte Grabeskirche des Rovere-Clans war.31

Der gegenseitige Respekt vor der erhaltungswürdigen Memoria kennzeichnet die römi-sche Erinnerungslandschaft in Form von Inschriften, Wappen und Grabmälern bis heute. Ver-luste hielten sich in Grenzen,32 weil die gesellschaftlichen Eliten durch die wechselvollen Schick-sale einer Wahlmonarchie auf eine stabile Memoria angewiesen waren. Freilich widerspricht dieser Grundeinstellung das Verhalten Julius’ II. selbst, als er 1506 für den Neubau von St. Peter den Abriss der konstantinischen Kirche mit allen bis dahin dort versammelten Papst- und Kar-dinalsgrabmälern anordnete. Ziel der Zerstörung des sepulkralen Erinnerungskosmos von Alt-St. Peter war jedoch keiner vorsätzlichen damnatio memoriae geschuldet, sondern dem kom-promisslosen Willen zum Neubau der Peterskirche. Auch andere Kirchenneu- oder umbauten konnten im Laufe der Zeit der Grabmalslandschaft empfindlich zusetzen. Noch deutlicher ist aber im vormodernen Rom der verbreitete Wille zum Erhalt der Papst- und Kardinalsgrabmä-ler sowie anderer Erinnerungsmale.

Vom Grabmälerschutz in der Ewigen Stadt sollten vor allem Mitglieder aus dem entspre-chenden Familienverband und deren Verbündete profitieren. Der prospektive Charakter der römischen Grabmäler ist folglich in hohem Maße gruppenspezifisch an Loyalitätsverbindun-gen und -verpflichtungen geknüpft. Die durch die römische Wahlmonarchie bedingte Dynamik der unterschiedlichsten Gruppenbildungsprozesse und rasch wechselnden Loyalitäten verlang-te nach dem Grabmal als Stabilisierungsfaktor. Seine Stiftung sollte und konnte dazu beitragen, zukünftige Entwicklungen kontrolliert zu beeinflussen, Karrierestrategien zu befördern, fami-liären Statuserhalt zu ermöglichen oder ansonsten kurzlebige Allianzen zu perpetuieren.33 Des-halb diente das Grabmal nicht in erster Linie der Erinnerung an das verstorbene Individuum, sondern den Hinterbliebenen. Diese errichteten in der Regel dann ein Grabmal, wenn die Erin-nerung an den Verstorbenen soziales Kapital versprach.

Diese Zweckmäßigkeit des Grabmals wird an zwei relativ präzis fassbaren Gruppen von Kardinälen deutlich, an die in auffällig seltenen Fällen durch Grabmäler erinnert wurde. Zum einen sind dies die Angehörigen der großen römischen Baronalfamilien, deren gesellschaftliches Prestige in Rom über jeden Zweifel erhaben war, wie die Caietani, Colonna, Orsini und Savelli. Obwohl alle diese Familien zwischen 1417 und 1798 eine Vielzahl von Purpurträgern stellten, nämlich die Caietani fünf, die Colonna dreizehn, die Orsini neun und die Savelli sechs,34 erhielt dennoch kaum einer von den Kardinälen ein eigenes Grabmonument in den römischen Fami-lienkapellen. Nicht besser ist es um das Nachleben der Kardinalnepoten bestellt, also jener Papstverwandten, die von ihrem Onkel mit dem roten Hut bedacht und eng an die Regierungs-

33Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

geschäfte gebunden worden waren, und die es ebenfalls nur in den seltensten Fällen35 geschafft haben, aus dem sepulkralen Schlagschatten des päpstlichen Onkels heraus zu treten.36 Unüber-sehbar hing die Aussicht auf ein eigenes Grabmal nicht zuletzt vom Prestige innerhalb des Fa-milienverbandes ab – und von der Situation, in der sich dieser nach dem Tod eines geistlichen Angehörigen befand. Das Vorgehen der Baronalfamilien verdeutlicht, dass im Gegensatz zu ihnen vor allem die Parvenus auf das Grabmal als Legitimationshilfe angewiesen waren.

Kollektive Identitätsbildung innerhalb gesellschaftlicher Gruppen durch Grabmäler blieb aber keineswegs auf Familienclans im engeren Sinn beschränkt, sondern wurde auch von Or-densgemeinschaften praktiziert.37 Nicht selten kam es vor, dass ein verstorbener Kardinal oder Papst, wie etwa Gregor XV. Ludovisi (1621–1623), nicht von der Familie mit einem Erinne-rungsmonument bedacht wurde, sondern von einem monastischen Orden, dem er zu Lebzeiten zugetan war und auch noch 100 Jahre nach seinem Tod Prestigegewinn versprechen konnte. Durch Grabmäler visualisierte Allianzen konnten sogar so weit gehen, dass Stifter ihren Fein-den ein Grabmal setzten, um mit ihm eine angestrebte Allianz zu animieren, von der sie sich Vorteile und Beständigkeit erhofften. Die prospektive Funktion des Grabmals im Dienste seines Stifters kommt in solchen Fällen besonders eindrücklich zur Geltung. Das Grabmal Ascanio Maria Sforzas († 1505) in S. Maria del Popolo ist beispielsweise eine solche Allianzanimation zweier Kontrahenten, des Rovere-Papstes und Sforza-Kardinals;38 ebenso die Grabmäler des Kardinals Ammanati-Piccolomini und seiner Mutter.39

Für ein tieferes Verständnis der Stiftungsmechanismen sind die römische Mikropolitik und Netzwerkforschung aufschlussreich. Deshalb sollten in Ergänzung zur Erinnerungs- und kulturellen Gedächtnisforschung auch jene Forschungen mit einbezogen werden, die über das vergleichende Selbstverständnis sozialer Gruppen in Ständegesellschaften seit Émile Durkheim, Georg Simmel und Max Weber betrieben wurden. Es ist insbesondere Otto Gerhard Oexles Verdienst, die Schnittmenge von Soziologie und Gedächtnisforschung durch seine Memoria-forschung und Analyse mikrohistorischer Gruppenbildungsprozesse gestärkt zu haben.40 Seit-her sind viele Studien erschienen, die Grabmäler als Repräsentanten sozialer Gruppen analysie-ren.41 Der Sonderfall Rom verspricht darüber hinaus zusätzlichen Erkenntnisgewinn über die mikropolitischen Mechanismen, weil Gruppenrepräsentation und Gruppenidentität nicht linear verlaufen. Erst durch die von Wolfgang Reinhard42 initiierten Forschungen zur römischen Mi kro-politik und zum gesellschaftlichen Verflechtungskonzept ist es möglich geworden, die Dyna-mik innerhalb von Gruppen zu beleuchten. Dadurch wird deutlich, dass in einem frühneuzeitli-chen Patronagesystem einfache Konstruktionen kollektiver Identitäten kaum existierten, weshalb eine lineare Gruppentypologie ihrer Grabmäler nicht möglich ist. Die Frage, die sich aus die-sem variablen Wechselspiel zwischen Grabmal und Gesellschaft ergibt, erfordert die eingehen-de Betrachtung von Form und Inhalt der Grabdenkmäler. Wenn sich dabei gruppenspezifische Einheit und Eigenheit herauskristallisieren, sobald die gemeinschaftsbildenden Formfaktoren deutlich geworden sind, kann schließlich der Versuch unternommen werden zu bestimmen, auf welche Identitäten sich die Toten wie die Lebenden beziehen – konkreter: mit welcher Rolle Päpste und Kardinäle identifiziert wurden, die, wie gezeigt wurde, zwischen geistlicher, welt-licher und klientelär-familiärer Verantwortung standen. Doch zuvor ist ein Blick auf die topo-graphische Ordnung der römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler zu werfen.

34 Philipp Zitzlsperger

3.2. Topographische Gruppen

Die sepulkrale Gruppenbildung, die nach innen Einheit und nach außen Eigenheit demons-trierte, um sich von anderen Gruppen abzusetzen, konnte auf unterschiedliche, oft sehr subtile und bisweilen schwer rekonstruierbare Weise erfolgen. Entscheidend war zuerst die Wahl des Standorts. Topographische Determinanten waren der Stadtteil, die Kirche und der Ort in der Kirche beziehungsweise Kapelle.43 Kleinere Stadtteilkirchen konnten von einzelnen Familien vereinnahmt werden, wenn etwa die Santacroce S. Maria in Publiculis zur Familiengrablege oder die Pamphilij S. Agnese in Agone an der Piazza Navona zur Palastkapelle und Grablege ihres Familienpapstes Innozenz’ X. (1644 – 1655) machten. Doch insbesondere große und be-deutende Kirchen wurden selten von einer einzigen Gruppenformation besetzt. Ein Beispiel wie die bereits erwähnte Kirche S. Maria del Popolo, die seit ihrem Neubau unter Sixtus IV. della Rovere bis ins zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts die Grabeskirche des Rovere-Clans gewesen ist, gibt es in Rom kein zweites Mal.44 Und selbst in dieser Rovere-Kirche war es den Borgia möglich, ihre bereits erwähnte, eigene Familienkapelle einzurichten. Die Normalität in den bedeutenden römischen Kirchen ist die Besetzung des Raums durch unterschiedliche Gruppen. Raumaufteilungen und insbesondere die Vergabe von Patronatsrechten für einzelne Kapellen wurden sehr genau kalkuliert, wie die Aufsätze von Nater, Fingas und Kompa im vor-liegenden Buch zeigen.45 Zahlreich sind die Beispiele weiterer familiärer Akzentsetzungen durch Grabkapellen: Besonders beliebt bei alten römischen Familien waren S. Maria in Ara-coeli46 und S. Maria sopra Minerva47. Als Paradebeispiel für Grabkapellen in neueren Kirchen-bauten wäre die Cappella Cornaro in S. Maria della Vittoria anzuführen.48

Hinlänglich bekannt ist, dass Stadtraum und Kirchenraum nicht nur in Rom als Bühne der Selbstdarstellung fungierten. Besonders Pierre Nora macht mit seinen Studien zu ›Erinnerungs-orten‹ seit 1984 darauf aufmerksam, dass soziales Gedächtnis grundsätzlich bedeutende Orte braucht.49 Rom bietet auch auf diesem Gebiet wegen seiner dargelegten zölibatären Wahl-monarchie ein besonderes Untersuchungsfeld, weil in der Ewigen Stadt eine dynamische Ge-sellschaft auf jene stabile Memoria traf, wie sie etwa den Borgia zugutekam. Davon konnte zum Beispiel auch die neapolitanische Familie der Carafa profitieren, die seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert über die Patronatsrechte ihrer Familienkapelle im Ost-Querhaus von S. Maria sopra Minerva verfügte. Nachdem sie in päpstliche Ungnade gefallen war und bereits unter dem eigenen Familienpapst Paul IV. Carafa (1555 – 1559) einen existenzbedrohenden Prestige-verlust hinnehmen musste, der ihren Einfluss in Rom nachhaltig in Frage stellte, diente die be-reits existierende Familienkapelle als rettender Anker. In ihr wurde 1566 die Errichtung des Papstgrabmals Pauls IV. eingeleitet, das die Rehabilitierung der Carafa förderte.50

Im Hinblick auf die topographische Verteilung von Gruppenverbänden in Rom ist grund-sätzlich festzustellen, dass die Kommemoration eines oder mehrerer Kardinäle für die Stifter insbesondere aus Aufsteigerfamilien äußerst prestigeträchtig gewesen ist.51 In Familienkapellen sind in aller Regel die Kardinalsgrabmäler gegenüber den weltlichen Angehörigen des Hauses soweit hervorgehoben, dass Familienmitglieder geringeren Standes zwar eine Grablege, jedoch kein Grabmal und häufig noch nicht einmal eine inschriftliche Erwähnung in der Kapelle er-hielten.52 Verwandtschaftsbezüge prägten auch das unauffällige Bild der Nepotengrabmäler in

35Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

Rom, denn diese richteten ihre Grablege grundsätzlich zu Füßen ihres Papstonkels ein, aller-dings ohne dort ein eigenes Grabmal zu beanspruchen.53

Über die räumliche Zusammenlegung der Familiengrablegen hinaus konnte auch der ge-sellschaftliche Klientelismus sepulkrale Raumbezüge im Stadt- wie im Kirchenraum erfordern. Die römischen Nationalkirchen boten ein Refugium landsmannschaftlicher Gruppenbildung, Familienkapellen bildeten entsprechende Nachbarschaften, Klientelverbände besetzten Raum-teile der Kirchen, etwa wenn sich die Rovere und Riario, oder Rovere und Sforza den Chor von SS. Apostoli beziehungsweise S. Maria del Popolo teilten, wenn Lorenzo Pucci († 1531) seine letzte Ruhestätte zu Füßen der Medici-Päpste im Chor von S. Maria sopra Minerva einrichtete, oder die Kardinäle Cesare Baronio († 1607) und Francesco Maria Tarugi († 1608) gemeinsam im Chor von S. Maria in Vallicella ein Grabmal erhielten. Besonders deutlich wird die Symbolisie-rung klientelärer Verhältnisse durch Raumbezüge in der Cappella Sistina und Paolina. Dort haben sich die päpstlichen Stifter Sixtus V. Peretti (1585 – 1590) beziehungsweise Paul V. Bor-ghese (1605 – 1621) zusammen mit ihren ehemaligen Patronen und Förderern Pius V. Ghislieri (1566 – 1572) beziehungsweise Clemens VIII. Aldobrandini (1592 – 1605) eingerichtet. Eindeu-tige Inschriften, die neben der eigenen Familie auch die Patrone der Kardinäle thematisieren, finden sich dagegen selten.54 Allianzwappen tauchen an Grabmälern kaum auf.55

Auch wenn dem Grabmal grundsätzlich ein Ewigkeitsanspruch eignet, war seine prospek-tive Zielsetzung oft unmittelbar und kurzfristig. Sepulkrale Gruppenbildung versprach Stabili-tät, die sich in einer dynamischen Gesellschaft auch zur Altlast entwickeln konnte, wenn sich Kollektivstrukturen änderten. Einerseits ermöglichte das Grabmal durch die stabile Erinne-rung an ein Clanmitglied oder klienteläres Verhältnis den Stiftern Prestigegewinn, zugleich barg es aber auch die Gefahr des Prestigeverlustes, wenn sich die Vorzeichen seiner visuellen Bin-dung änderten, und damit das topographische Grabmalskollektiv im Widerspruch zu einer bis-weilen rasch veränderten sozialen Realität stand. Das Grabmal fungierte als Symbol für kurz-fristige Zielsetzungen mit Langzeitwirkung. Gleichgültig welchen Verlauf die Geschichte in der Zukunft nehmen würde, die Stifter setzten offensichtlich auf unmittelbaren Profit durch das Grabmal als sozialem Kapital. Der Tote und sein Grabmal symbolisierten dabei Normen und Werte, von denen eine Stiftergemeinschaft im Idealfall auch dann noch profitieren konnte, wenn die kurzfristige Sinnstiftung des Monuments nicht mehr galt.

Aus dieser Perspektive kommt dem Grabmal eine besondere Erinnerungsqualität zu. Als wichtiger und stabiler Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses prägt es den Symbolhaushalt seiner Gesellschaft entscheidend. Es setzt petrifizierte Maßstäbe, die einerseits die Zukunft ge-stalten sollten, andererseits den Veränderungen der Zukunft insofern nicht gewachsen waren, als sie sich in ihrer Gestaltung und Ausstattung ikonographisch kaum an den zukünftigen Wan-del von Werten und Normen anpassen konnten. Das Grabmal wandelte sich im Laufe der Zeit zum historischen Monument und war offensichtlich dennoch in der Lage, über seine Symbol-sprache das Defizit seiner unveränderlichen Gestaltung elastisch aufzufangen. Zum einen blieb es als historisches Monument Zeuge der Kirchengeschichte. Zum anderen war seine Existenz Bestandteil der symbolischen Kommunikation, die über Generationen und Jahrhunderte hin-weg kompatibel sein konnte.

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Grundsätzlich strukturieren Symbolisierungen die empirische Wahrnehmung der sozialen Welt, sie motivieren und orientieren das Handeln, stabilisieren normative Erwartungen und verge-genwärtigen kollektive Werte. Doch liegt die Macht des Symbolischen allgemein in der Unein-deutigkeit des Symbols, das Werte und Normen versinnbildlicht, aber nicht eindeutig benennt. Das Symbol entbehrt des feststehenden Sinns.56 Die Uneindeutigkeit ist eine spezifische Leis-tung symbolischer Kommunikation, die für die Stiftung stabiler sozialer Ordnungsstrukturen unerlässlich ist.57 Sie hilft in der Langzeitperspektive, Gefahren des Prestigeverlusts durch Wand-lung der äußeren Bedingungen elastisch zu kompensieren. Da im vormodernen Rom Ikono-klasmen an Papst- und Kardinalsgrabmälern bekanntlich weitgehend ausblieben, konnten bei unveränderter Aufstellung der Monumente deren Raumbezüge und damit ihr Potential zur Gruppenbildung bestehen bleiben. Selbst Umwidmungen von Grabmälern durch veränderte Patronatsrechte, wie sie zum Beispiel für Neapel bekannt sind, kamen in Rom kaum vor.58 Der Wandel von Normen und Werten, welche die Gesellschaftsstruktur und den Symbolhaushalt veränderten, zogen an den römischen Grabmonumenten bisweilen spurlos vorüber. Um jedoch die durch Grabmäler geschaffene Ordnung des sozialen Raums zu verstehen, musste ihre Bedeutung durch beständige Vermittlung aktualisiert werden. Einen seltenen Fall rekonstruier-barer Bedeutungsaktualisierung stellt die Inschrift am Grabmonument Kardinal Ascanio Maria Sforzas dar. Weil der Epitaph den Namen Sforza unterschlug und stattdessen auf die Verwandt-schaft zu den Visconti abhob, wurde später der Name Sforza in die Inschrift eingefügt, viel-leicht um die euphemisierte Visconti-Linie zu schwächen, sicher aber, um den Bezug zu den Sforza zu stärken.59

Wurde die Bedeutung der sozialen Raumordnung nicht beständig von Neuem demonstra-tiv aktualisiert, verblasste sie, oder geriet in Vergessenheit. Deshalb konnten mit der Zeit in diesem konservierten Erinnerungskosmos Sinnschichten untergehen und Bedeutungszusam-menhänge übersehen werden. Ein Kardinal Chigi aus dem 19. Jahrhundert beispielsweise zehr-te gewiss nicht mehr von der Tatsache, dass die bis heute unveränderte Lage der Familienkapel-le seiner Ahnen ursprünglich den engen klientelären Bezug zu den Rovere symbolisierte. Prestigeträchtig blieb die Chigi-Kapelle als Kunstwerk, welches die positive Präsenz der Fami-lie in Rom perpetuierte. Der symbolische Bezug zu ihren damaligen Patronen war in der Mo-derne längst entkoppelt. Die Entkoppelung symbolischer Raumbezüge konnte aber auch durch Verlegung und Neusortierung von Grabmälern herbeigeführt werden. Grabmäler in römischen Kirchen waren keine Immobilien und ihre Verlegung über die Jahrhunderte keine Seltenheit. Wer heute die weitgehend erhaltenen frühneuzeitlichen Wandgrabmäler von S. Maria sopra Minerva betrachtet, findet – abgesehen von den Familienkapellen – nur wenige Exemplare an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort, der dann mühsam rekonstruiert werden muss.60

Bereits in Bezug auf das sepulkrale Raumbeziehungsgeflecht und seine Halbwertszeit zeigt sich der symbolische Wert des Grabmals, der sich zwischen Konkretisierung und Ab-straktion bewegt. Die Beziehung von Grabmal und Aufstellungsort ist elastisch, sie meidet Eindeutigkeit bei gleichzeitiger Deutlichkeit; das sollte die Darstellung der Raumbezüge zei-gen. Vertieft wird das Oszillieren sepulkraler Symbolik zwischen Deutlichkeit und Mehrdeu-tigkeit im Folgenden an der gruppenspezifischen Generierung von Einheit und Eigenheit als Formproblem.

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4. Einheit und Eigenheit als Formproblem

Die statistisch belastbaren Untersuchungen des Requiem-Projekts konnten Aufschluss geben über Grabmalstypologien, die über den Stadt- und Kirchenraum hinaus durch ihre formale Einheit und Eigenheit deutlich erkennbare Gruppen bilden. Einheit und Eigenheit sind hier als Formproblem anzusprechen, das von ästhetischen Maßstäben ebenso determiniert ist, wie von räumlichen Bezügen zu konkurrierenden Monumenten, die wiederum übergeordneten, mikro- und makropolitischen Zwängen unterstanden. Formproblem und kulturelles Gedächtnis, das wird nirgends so deutlich wie durch die römischen Grabmäler, stehen in einem intensiven Wechselverhältnis. Die dargelegten soziohistorischen Rahmenbedingungen für die römische Sepulkralkultur der Frühneuzeit waren maßgebliche Voraussetzungen für die formgebenden Prozesse der Grabmalsgestaltung. Die Genese von Typus und Form des Grabmals im unter-suchten Zeitraum ist einem Kunstwollen ebenso zuzurechnen, wie die künstlerischen Former-scheinungen als Ausdrucksträger der Auftraggeberinteressen zu sehen sind. Der Zusammen-hang von Künstler, Auftraggeber und übergeordnetem gesellschaftlichen Anspruch bildet das Fundament der folgenden Überlegungen.

In der Kunstwissenschaft ist die visuelle Konkurrenz gesellschaftlicher Gruppen nicht un-bekannt. Der von Martin Warnke geprägte Begriff des »Anspruchsniveaus« (1976) ist in der Kunstsoziologie grundlegend für das Verständnis konkurrierender Auftraggeber.61 Deren Dis-tinktionsstreben verursacht Vielfalt innerhalb eines Rahmens oder Überbaus zulässiger Nor-men und Werte. Das »Anspruchsniveau« ist in der römischen Wahlmonarchie jedoch einzigar-tig, weil sich die römische Elite des geistlichen Stands zwischen den drei Polen von Kirche, Kirchenstaat und familiärer pietas sepulkral verorten musste. Dabei konnten divergierende Normen und Werte zu Konfliktsituationen führen, die mit dem zur Verfügung stehenden Sym-bolhaushalt zwischen Deutlichkeit und Mehrdeutigkeit am Grabmal auszutragen waren. Das Formproblem gruppenspezifischer Einheit und Eigenheit besteht darin zu ergründen, in wel-chem Verhältnis die Papst- und Kardinalsgrabmäler zu welchem Anspruchsniveau standen. Das Anspruchsniveau wurde von geistlichen, weltlichen und klientelären Interessen der Auf-traggeber geprägt, die sich entscheiden mussten, zu welchem der drei Interessensfelder sie mit der Aussage des gestifteten Grabmals zu tendieren beabsichtigten. Die Papst- und Kardinals-grabmäler sind also in einem semantischen Koordinatensystem zu verorten, dessen genannte Vektoren Kirche, Kirchenstaat und familiäre pietas sind.

Auch wenn die Berücksichtigung gesellschaftsinterner Konkurrenzsituationen für die Kunstgeschichte nichts Neues ist, sind Einheit und Eigenheit als Formproblem keine Banalität. Denn speziell für die Grabmalsforschung insbesondere Roms ist der kunstsoziologische An-satz noch ein Desiderat. Und – was im Rahmen der Erinnerungsforschung noch wichtiger ist – das Grabmal als Beitrag zu einem kulturellen Gedächtnis ist bislang immer wieder als Herr-schaftsgeste und vor allem als staatlich gelenkte Identitätsstiftung verstanden worden. So sind etwa die theoretischen Überlegungen des Ägyptologen Jan Assmann zur Grabmalskultur vor dem Hintergrund ägyptischer Totenmemoria auf den Staat und seine Repräsentation ausgerich-tet. Der sepulkrale Steinbau in Ägypten wird als Medium der Überlieferung gedeutet, die das Bewusstsein »der Ägypter von ihrer kulturellen Einheit und Eigenheit stützte«.62 Ähnlich deu-

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tet Aleida Assmann das Grabmal im Zeitalter des Staatsbildungsprozesses der Frühneuzeit als identitätsstiftend für eine Nation.63 Aber dies ist die Frage, die sich vor dem römischen Koordi-natensystem von Kirche, Kirchenstaat und familiärer pietas stellt: Ob und wenn ja, in welcher Form sich die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler als kirchliche, kirchenstaat liche oder klienteläre Identitätsstiftung deuten lassen.

Um sich dem grundlegenden Problem anzunähern, werden im Folgenden die formalen Merkmale von Einheit und Eigenheit an den römischen Papst- und Kardinalsgrabmälern unter-sucht. Zu prüfen ist, in welcher Form Angleichung und Distinktion nach innen und nach außen funktionieren. Mit ›Angleichung und Distinktion nach innen‹ sind Formgebungsprozesse in-nerhalb der Gattung der Papst- und Kardinalsgrabmäler gemeint. Mit ›Angleichung und Dis-tinktion nach außen‹ wird versucht, Einheit und Eigenheit speziell der Kardinalsgrabmäler auf den Prüfstand zu stellen. Dabei soll nicht thematische Vollständigkeit erzielt, vielmehr sollen exemplarische Problemfelder benannt werden, welche die Komplexität von Einheit und Eigen-heit als Formproblem beleuchten. Erst auf dieser Grundlage können schließlich (Kapitel 5) Überlegungen zu den Papst- und Kardinalsgrabmälern als Beitrag zu einem kulturellen Ge-dächtnis in Bezug auf Kirche, Kirchenstaat und familiärer pietas angestellt werden.

4.1. Angleichung und Distinktion nach innen

Allen Papst- und Kardinalsgrabmälern des untersuchten Zeitraums zwischen 1417 und 1798 ist gemeinsam, dass sie zur Gattung des Wand- beziehungsweise Bodengrabmals zählen; lediglich vier Ausnahmen bestätigen die Regel.64 Die Entwicklung des Wandgrabmals der Kardinäle kann grob in drei Phasen gegliedert werden:

1) Typisch für die Wandgrabmäler des Quattrocento und beginnenden Cinquecento ist ihre geschlossene Nischenform mit architektonischer Rahmung (Rundbogen oder Ädikula mit Pilastern), welche die Liegefigur des Verstorbenen über einem Sockel mit Inschrift und Wappen birgt. Der lebensgroße Gisant, die Liegefigur, bedingt meist großzügige bis monumentale Pro-portionen. Herausragende Beispiele, die Andrea Bregno zugeschrieben werden, sind die Grab-mäler der Kardinäle Louis d’Albret († 1465) in S. Maria in Aracoeli und Pietro Riario († 1474) in SS. Apostoli. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts werden die Gisants belebter. Sie richten sich zu Demigisants auf, erscheinen auf ihre Ellbogen gestützt und erwecken den Eindruck zu schla-fen, da ihre Augen weiterhin geschlossen sind.65 Beispiele sind die Grabmäler Ascanio Maria Sforzas († 1505) und Girolamo Basso della Roveres († 1507) in S. Maria sopra Minerva, oder Giovanni Michiels († 1503) in S. Marcello al Corso.

2) In der Reformationszeit und dem beginnenden Konfessionellen Zeitalter nehmen die Dimensionen der kardinalizischen Wandgrabmäler merklich ab. Zugleich wird die Nische zunehmend durch eine autonome Grabmalsarchitektur ersetzt, die als Baukörper der Wand vorgelagert ist und nicht als Wandvertiefung funktioniert.66 Es setzt sich eine variationsreiche Form des Ädikulatypus durch. Auf den Gisant wird zu Gunsten der Porträtbüste fast vollkom-men verzichtet und dadurch die Verkleinerung der Grabmäler ermöglicht. Aber auch monu-mentale Wandgrabmäler arbeiten mit der Porträtbüste und verzichten auf den Gisant.67 Her-ausragende Ausnahmen durch Größe und materiellen Aufwand sind in der zweiten Hälfte des

39Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

16. Jahrhunderts neben einigen Grabmälern die Grabkapellen und deren Ausstattung, in denen das Kardinalsgrabmal auf die Bodenplatte reduziert, die Kardinalsmemoria durch Bildpro-gramme hingegen auf eine vielschichtige Ikonographie ausgeweitet ist, wie es in der Cappella Altemps (1584 – 1591) in S. Maria in Trastevere besonders deutlich wird.68

3) Um 1600 gewinnt das Kardinalsgrabmal wieder an räumlicher Dominanz. In Familien-kapellen setzt man nun vermehrt auf seinen Wert als Repräsentant des Familiengeschlechts, etwa in der Cappella Madruzzo (1600 – 1605) oder Cappella Caetani (1600 – 1603), später in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch in den Kapellen der Cornaro, Falconieri, Ginetti oder Cibo. Die Formvielfalt des barocken Grabmals nimmt deutlich zu, die architektonische Struk-tur löst sich bisweilen vollkommen auf, indem die Betonung auf der Skulptur liegt, die sich auf wenige Allegorien und die Bildnisse der Verstorbenen beschränkt. Von entscheidender Bedeu-tung ist das Porträt, das die sich auflösende Tektonik der Grabmalsarchitektur zunehmend dominiert. Büsten – vollplastisch, reliefiert, mosaiziert oder gemalt – sind der verbreitetste Por-trättypus, bisweilen im Motiv der ›ewigen Anbetung‹.69 Nur noch vereinzelt kommen Demigi-sants vor und ausgeschlossen bleiben Standfiguren der Würdenträger, mit einer bemerkenswer-ten Ausnahme in der Cappella Corsini.70

Innerhalb eines einheitlichen Rahmens war hinreichend Spielraum vorhanden für Diffe-renzierungen, die Ausdruck der Distinktionsbestrebungen durch den hohen Konkurrenzdruck unter Auftraggebern und Künstlern sind.71 Im Quattrocento sind unter dem Anspruchsniveau der sepulkralen Humanisten- und Ädikulatypen außergewöhnliche Sonderformen entstanden, die nicht selten an Tabubrüche grenzten und den Grat zwischen Normkonformität und Devi-anz nachzuzeichnen ermöglichen. Unter den zahlreichen Kardinalsgrabmälern dieser Zeit ste-chen vor allem jene hervor, die den Altar zum integralen Bestandteil ihrer Architektur machen, um dadurch das Grabmal in das liturgische Zentrum zu rücken. Seltenes Beispiel ist das von Kühlenthal rekonstruierte Grabmal Kardinal Martinez de Chiavez’ in S. Giovanni in Laterano (um 1450).72 Ebenso aufsehenerregend dürften die wenigen römischen Tabernakelgrabmäler gewirkt haben, wie etwa jenes Kardinal Nikolaus von Kues’73 († 1464), dessen schlichte Boden-platte sich dem durch den Kardinal gestifteten Tabernakel räumlich zugesellt, so wie später das Grabmal Francisco Quiñiones’ († 1540) in S. Croce in Gerusalemme, das ebenfalls die Kompo-sition einer kommemorierenden Bodenplatte und dem darüber im Chorscheitel angebrachten Tabernakelretabel ist, die sich später auch bei Grabkapellen anwenden ließ.74 Die Aufwertung der Grablege wird hier weniger durch ein prächtiges Grabmal als durch dessen Bezug zu einem als heilig verehrten Ort erzeugt. In dieser Reihe stellen die beiden Ammanati-Grabmäler aus den 1480er Jahren in S. Agostino eine Besonderheit dar, weil sie in einzigartiger Weise die Tabernakel direkt inkorporieren und so selbst zum Träger des Corpus Christi beziehungsweise von Reliquien werden.75 Die Komposition von Tabernakel und Grabmal war somit nur weni-gen Kardinälen vorbehalten. Ähnlich exklusiv war das Material Bronze für die Grabmals-skulptur im 15. und 16. Jahrhundert, insbesondere für das sepulkrale Porträt. Während Bronze an Papstgrabmälern häufig zum Einsatz kam, sind lediglich drei römische Kardinalsgrabmäler mit Bronzeporträts bekannt: die Gisants der Kardinäle Pietro Foscari († 1485), Paolo Emilio Cesi († 1537) und Federico Cesi († 1565).76 Auch an römischen Kardinalsgrabmälern des 17. Jahrhunderts sind Bronzeporträts nur vereinzelt anzutreffen.77

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Eine andere Besonderheit Roms sind die Mausoleumschöre. Deren Beginn bezeichnet ein Tabubruch, denn während Chorgrabanlagen in Spanien und Frankreich durchaus üblich waren, blieb der römische Kirchenchor bis zum ersten Rovere-Pontifikat eine grabmalsfreie Zone. Mit der Chorneugestaltung in SS. Apostoli (1474 – 1477) unter Kardinal Giuliano della Rovere, dem späteren Papst Julius II., wurde der freie Chor nun erstmals mit Grabmälern aus den eigenen Clanreihen besetzt: Durch monumentale Hybris, wie dem bereits erwähnten Grabmonument für Pietro Riario in Verbindung mit dem Grabmal für den Stammvater der römischen Rovere-Linie, Raffaele della Rovere, im Chorscheitel – dem ersten Laien, der ein Grabmal an derart prominenter Stelle erhielt. In S. Agostino und S. Maria del Popolo entfalteten dann die Erinne-rungsmonumente durch formale Vereinheitlichung zu Zwillingsgrabmälern im Mausoleum-schor zusätzliche Raumbeherrschung.78 Auch die Medici-Päpste bedienten sich dieser ein- drücklichen Inbesitznahme des Chors von S. Maria sopra Minerva durch Zwillingsgrabmäler erstmals im klassischen Triumphbogentypus, wie auch Kardinal Wilhelm Enckenvoirt im Chor von S. Maria dell’Anima für sich und seinen Gönner Papst Hadrian VI. Flornesz (1522 –1523) Zwillingsgrabmäler vorgesehen hatte.79

Die Beispiele machten Schule, und trotz des auf dem Konzil von Trient beschlossenen Verbots für Bischöfe, den Chor ihrer Bischofskirchen als Grablege zu benutzen,80 sah man in Rom keinen Anlass, diese Beschlüsse auf sich selbst anzuwenden, wenn etwa folgende Päpste und Kardinäle ihre Grabmonumente in römischen Kirchenchören erhielten: Pius IV. de’ Medici († 1565, S. Maria degli Angeli), Paul III. Farnese († 1549, St. Peter), Urban VIII. Barberini († 1644, St. Peter), Andreas von Österreich († 1600, S. Maria dell’Anima),81 Roberto Bellarmin († 1621, Il Gesù), Giacomo Cavalieri († 1629, S. Maria in Aracoeli), mehrere Santacroce (S. Ma-ria in Publiculis).82 Das spektakulärste Beispiel posttridentinischer Chor-Wandgrabmäler sind jene der Falconieri in S. Giovanni dei Fiorentini, die Ende des 17. Jahrhunderts für Kardinäle und andere Familienangehörige geschaffen wurden, und die an den Chorseitenwänden weit in den Raum ausgreifen.83

Die Reihe der formal-typologischen Distinktionsbestrebungen durch Paradigmenwechsel ließe sich fortsetzen, etwa mit der ersten sepulkralen Porträtbüste eines Kardinals um 1530,84 dem dreiachsigen Kenotaph Kardinal Paolo Camillo Sfondratos († 1618) in S. Cecilia in Traste-vere, Berninis Cornarokapelle als ›Gesamtkunstwerk‹ beziehungsweise sein illusionistische Freigrabmal Kardinal Domenico Pimentels († 1653) in S. Maria sopra Minerva, oder den zuein-ander korrespondierenden Grabmälern der Kardinäle Imperiali im Querhaus von S. Agostino (entstanden zwischen 1674 und 1745).85 Ihnen allen sind ein hoher Grad der Individualität und das raue soziopolitische Klima ihrer Entstehungsbedingungen gemein, welche über den Quel-lenwert der Kardinalsgrabmäler auch in schriftlichen Quellen der Zeit ihren Beleg finden. Selten geben archivalische Zeugnisse des 17. Jahrhunderts zu Fragen der formalen Angleichung bezie-hungsweise Distinktion so deutlich und grundsätzliche Auskunft, wie im Fall der Ginetti- Kapelle von S. Andrea della Valle. Dort richteten sich die Bemühungen ganzer Generationen auf die Ausstattung einer Grabkapelle, um die Grabmalsstiftungen dem Referenzsystem klien-telärer Bezüge anzupassen.86

So bildeten sich Gruppen heraus, die der Visualisierung familiärer oder klientelärer Ver-bindungen dienten.87 Besonders beliebt in der Zeit der Rovere-Dynastie war beispielsweise die

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Eichel als heraldisches Zeichen vegetabiler Ornamentik nicht nur für Blutsverwandte.88 Im ers-ten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts sind dann erstmals typologische Gruppen auszumachen, die über die Eigenschaft des Zwillingsgrabmals im bereits erwähnten Mausoleumschor hinaus gehen und stadtraumübergreifend in verschiedenen Kirchen aufeinander Bezug nehmen. Als beson-ders eindrückliches Beispiel ist die Trias der Grabmäler Ascanio Maria Sforzas, Girolamo Basso della Roveres und Giovanni Michiels Anfang des 16. Jahrhunderts zu erwähnen. Während sich das Sforza- und Rovere-Monument im Chor von S. Maria del Popolo befinden, steht das Michiel-Grabmal in S. Marcello al Corso. Alle drei eint die besonders eigenwillige und unklassische Form des venezianischen Triumphbogens, dessen zentraler Bogen in die Attikazone hineinreicht. Weitere Exemplare dieser Art gibt es in Rom bis zu Errichtung des Grabmals Hadrians VI. ab 1523 nicht. Daher ist es auch kein Zufall, dass die formal-typologische Trias auf gemeinsame mikro- und sogar makrohistorische Ursachen zurückgeht, die Stifter und Kommemorierte ei-ner gemeinsamen Interessensgruppe zuschlägt und über große, stadtinterne Distanzen eint.89

Formal-typologische Gruppenbildung beziehungsweise Alterität zur Angleichung bezie-hungsweise Distinktion nach innen prägte auch die Entwicklung des römischen Papstgrabmals. Dies war auf dem internationalen römischen Parkett ein viel beachteter und daher sensibler In-dikator, der nicht nur im politischen Parteienzwist half, sondern darüber hinaus durch die In-szenierung von Einheit und Eigenheit als Ausdruck der Eintracht für den Anbruch eines neuen Papstzeitalters stehen konnte. Besondere Erwähnung verdienen daher auch an dieser Stelle die vier Papstgrabmäler der Cappella Sistina und Paolina in S. Maria Maggiore. Die Triumphbo-gengrabmäler finden unter dem starken äußeren Reformdruck des ausgehenden 16. und begin-nenden 17. Jahrhunderts demonstrativ zu einer einheitlichen Gruppe zusammen, wie sie zuvor und danach über einen Zeitraum von vier Pontifikaten undenkbar gewesen wäre. Umgeben von bisweilen sehr staatspolitischen, biographischen Reliefszenen befindet sich jeweils in der zentralen Arkade die überlebensgroße Papststatue, die im Fall von Sixtus V. und Paul V. erst-mals im Adorantengestus den spirituellen servus servorum dei symbolisiert.90

Die demonstrative Eintracht, welche durch die formeinheitliche Koexistenz der vier Papst-grabmäler in S. Maria Maggiore konstituiert wurde, wollte Urban VIII. Barberini (1623 – 1644) nicht wieder aufgreifen. Keine vierzig Jahre später setzte er sich ostentativ von seinen Vorgän-gern ab, indem er Gianlorenzo Bernini mit einem sepulkralen Traditionsbruch beauftragte. Um den Kurswechsel des Barberini-Pontifikats unmissverständlich zu visualisieren, fanden nun zwei vollkommen gegensätzliche sepulkrale Ehrenstatuen in der Chorapsis von St. Peter Auf-stellung, die heute noch deutlich den Kontrast von Humilitas- und Tiaratypus erkennen lassen. Die ältere Bronzestatue Pauls III. Farnese (1534 – 1549) wurde 1627/28 vom Vierungspfeiler extra in die linke Apsisnische versetzt, damit sie das Pendant zu Berninis Bronzestatue Urbans VIII. bilde, die 1631 vollendet und in die rechte Nische gestellt wurde. Während der im Ver-gleich zur Barberini-Statue scheinbar altersschwache Farnese-Papst kauernd, ohne Tiara und mit Sandalen bescheiden für sein Zeitalter der Gegenreformation steht, erscheint Urban VIII. im Gegensatz dazu stürmisch-dynamisch mit Tiara und Pontifikalschuhen; er steht für den Aufbruch in ein neues Zeitalter, das er propagiert, jedoch – wie die Geschichte zeigt – nicht er-reicht hat. Als geschichtliches Dokument steht das Papstgrabmal daher auch für die Divergenz von Anspruch und Wirklichkeit.91

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Während Sixtus V. und Paul V. mit ihren Grabkapellen in S. Maria Maggiore noch auf ostenta-tive Eintracht und Kontinuität durch Einheitsgrabmäler setzten, wandelten sich die semanti-schen Vorzeichen der Papstgrabmäler unter Urban VIII. In den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs regierte nun das Prinzip der formalen Distinktion. Ebenso wie Urban VIII. setzte auch der Neffe Leos XI. de’ Medici (1605) auf eindeutige Andersartigkeit, als er seinem Papstonkel mit fast 30-jähriger Verspätung ein Grabmal setzen ließ (1634 – 1644), auf dessen erhofftes so ziales Kapital der Stifter nach einer schweren Krise im Vatikan dringend angewiesen war. Kardinalnepot Roberto Ubaldini beauftragte Alessandro Algardi mit besagtem Papstgrabmal, das parallel zu Berninis Ausführungen am Grabmal Urbans VIII. entstand. Ihre formale und materielle (Marmor vs. Bronze) Verschiedenheit flankierte die politischen Lagerkämpfe in schwerster Krisenzeit.92 Die Papstgrabmäler dienten als Streitaxt heftiger, gruppendynamischer Prozesse in der Ewigen Stadt.

Angleichung und Distinktion nach innen unterstand dem Anspruchsniveau der Stifter römischer Papst- und Kardinalsgrabmäler. Gesellschaftlicher Gruppenzwang beziehungsweise Gruppenkonkurrenz führten zu einer eigenen Gattung des sepulkralen ›Paragone‹, der neben dem klassischen Konzept des Gattungswettbewerbs93 hier auch auf die Konkurrenz der gesell-schaftlichen Eliten und ihrer kulturellen beziehungsweise kollektiven Identität angewendet wird.94 Typologische und formale Einheit stiftete kollektive Identitäten mit Ewigkeitsanspruch nicht nur in einem gemeinsamen Kirchenraum, sondern im gesamten Stadtraum und über die Stadtmauern hinaus. Aber wie anhand der Papstgrabmäler gezeigt werden konnte, diente An-gleichung beziehungsweise Distinktion nach innen als Symbol der Eintracht beziehungsweise der inneren Reform und des Anbruchs eines neuen Zeitalters.

4.2. Angleichung und Distinktion nach außen

Einheit und Eigenheit als Formproblem zehrt nicht nur von Angleichungs- und Distinktions-bestrebungen nach innen, also innerhalb der Gattung des Papst- beziehungsweise des Kardi-nalsgrabmals, sondern auch nach außen, über die jeweils eigene Grabmalsgattung hinaus. Denn vereinfacht gesprochen ist zu prüfen, inwieweit beispielsweise ein ›Kardinalsgrabmal‹ nicht nur wegen des kommemorierten Kardinals die Bezeichnung verdient, sondern auch durch seine spezifische Form von den Grabmälern anderer gesellschaftlicher Eliten unterschieden werden kann. Es wird sich zeigen, dass mit deutlichen Differenzen zu rechnen ist, mit Eindeutigkeit der Distinktion nach außen jedoch kaum.

Von der römischen Frührenaissance bis ins beginnende 16. Jahrhundert ist das Wandgrab-mal der Kleriker von jenem der Laien zu unterscheiden. In dieser Zeit bilden die Kardinals- zusammen mit den Bischofsgrabmälern eine typologische Einheit. Zusammen dominieren sie quantitativ die Grabmalslandschaft in der Ewigen Stadt und zeugen von der geistlich geprägten Hierarchie der römischen Gesellschaft bis zum Beginn der Gegenreformation. Der aus dem Flo-rentiner Raum übernommene Humanisten- und der Ädikulatypus mit vollplastischer Liege figur sind in dieser Zeit fast ausschließlich dem Klerikergrabmal vorbehalten. Im Unterschied dazu ist das Grabmonument weltlicher Zeitgenossen gekennzeichnet durch den Grabkammerty-

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pus,95 der im Relief einen illusionistischen Innenraum (oft mit perspektivischer Kassetten decke) darstellt, in dem der Gisant auf einer Totenbahre im Vordergrund liegt. Den römischen Prototyp schuf Andrea Bregno mit seinem Grabmal für Raffaello della Rovere in SS. Apostoli (1477).96

Bereits in der Früh- und Hochrenaissance deutet sich somit an, dass sich das ›Kardinals-grabmal‹ als Einheit, das sich zu anderen geistlichen Eliten durch Eigenheit abgrenzt, der Wahr-nehmung des Betrachters nicht unmittelbar erschließt, da der Humanisten- und Ädikulatypus ebenso für Bischöfe eingesetzt wurde. Darüber hinaus geben die monochromen Gisants an den Kardinals- und Bischofsgrabmälern reichlich Anlass zu Verwechslungen, denn beide Würden-träger sind als Liegefigur immer mit liturgischer Kleidung (Tunika, Kasel, Mitra) angetan, die in keinem Detail hierarchische Unterscheidungen zulässt. Abgesehen von der Inschrift gibt ledig-lich das Wappen am Bischofsgrabmal Auskunft über den Rangunterschied, das nicht vom Kar-dinalshut sondern der Bischofsmitra bekrönt wird.97 Aber genau an diesen Details werden Ein-heit und Eigenheit als Formproblem greifbar.

Wie römische Papst- und Kardinalsgrabmäler Angleichung und Distinktion nach außen trugen, wie sie sich den Grabmonumenten anderer gesellschaftlicher Stände, von Bischöfen, Klerikern oder weltlichen Eliten, annäherten oder von ihnen distanzierten, kann anhand von zwei ausgewählten Beispielen erläutert werden: dem sepulkralen Porträt und dem altarähnlichen Grabmal im konfessionellen Zeitalter. In der Forschung zu römischen Papst- und Kardinals-grabmälern ist spätestens seit der ausführlichen Publikation von Bruhns zum ›Motiv der ewi-gen Anbetung‹ (1940) bekannt, jedoch nicht weiter gedeutet worden, dass die sepulkralen Port-rätskulpturen eine stringente Entwicklung von der Darstellung des Toten hin zum Lebenden aufweist: Der mittelalterliche Gisant wird fast das gesamte 15. Jahrhundert hindurch an Papst- und Kardinalsgrabmälern eingesetzt. Aufgebahrt erscheinen Papst wie Kardinal mit geschlos-senen Augen als Tote – im Gegensatz zu den nordalpinen Gisants mit geöffneten Augen.98

Mit dem Bronzegisant Papst Sixtus’ IV. della Rovere (1471–1484) von Antonio del Pollai-uolo deutet sich Ende des 15. Jahrhunderts bereits eine Wende an, denn sein Gesicht, das ohne Zweifel der Abguss einer Totenmaske ist, erhielt belebende Züge durch hochgezogene Augen-brauen und angespannte Gesichtszüge.99 Den Wendepunkt bildet unmittelbar darauf das Bron-zegrabmal Papst Innozenz’ VIII. Cibo (1484–1492), ebenfalls von Pollaiuolo, an dem zugleich ein toter und ein lebender Papst in Form einer thronenden Ehrenstatue dargestellt sind. Die Ehrenstatue – seit Sixtus V. Peretti (1585 –1590) vereinzelt variiert durch den Priant – bildete seither den Kanon des Papstgrabmals. Der päpstliche Gisant war abgeschafft. An den römi-schen Kardinalsgrabmälern erfolgte die figurale Belebung fast zeitgleich, jedoch zögerlicher: Die Grabmäler der Kardinäle Ascanio Maria Sforza, Girolamo Basso della Rovere (beide im Chor von S. Maria del Popolo) und Giovanni Michiel (S. Marcello al Corso) entstanden im ers-ten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts und sorgten für eine Belebung des Gisants hin zum Demigi-sant, der seitlich liegend auf den Ellbogen gestützt ist und anfangs noch den Kopf mit geschlos-senen Augen auf die Hand legt, als sei er eingeschlafen. Der Demigisant blieb im 16. Jahrhundert den Kardinalsgrabmälern vorbehalten, wenngleich bereits in der Frühphase um 1504 ein Bischofs- grabmal in S. Maria in Aracoeli mit dem gleichen Porträttypus Aufsehen erregt haben dürfte.100

Erst Mitte des Cinquecento aber setzte die zweite Stufe der Belebung des sepulkralen Kar-dinalsporträts ein, als man dazu überging, Porträtbüsten in die Grabmonumente zu integrieren,

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die, bisweilen als Brustbild mit Armen, seit 1591 im Motiv der ›ewigen Anbetung‹ gipfelten.101 Sie stellen nunmehr lediglich einen Ausschnitt des vormals ganzkörperlichen Bildnisses dar, der als Reduktion zugleich aber ›Reliquiar‹ der Seele des Dargestellten im Büstenausschnitt zu ver-stehen ist.102 Die Einführung der sepulkralen Porträtbüste ist mitnichten Folge verkleinerter Kardinalsgrabmäler, sondern umgekehrt. Denn gerade in der Umbruchszeit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts konnten die Erinnerungsmonumente immer noch Dimensionen anneh-men, die den Einsatz eines (Demi-)Gisant durchaus ermöglicht hätten und dennoch zu Guns-ten einer Büste darauf verzichteten.103

Mit der Betonung der Persönlichkeit des Porträtierten in der Darstellung des Brustbilds am Grabmal vollzog sich eine weitere einschneidende Änderung, denn in Büstenform erschei-nen die Kardinäle statt wie bisher in liturgischer ausschließlich – mit nur einer Ausnahme – in außerliturgischer Kleidung mit dem typischen, vorne vertikal geknöpften Schultermantel, der Mozzetta, und meist ohne Kopfbedeckung.104 So wenig der Wandel des vestimentären Darstel-lungsmodus bislang der Wissenschaft aufgefallen ist, so bedeutend ist er, denn der Garderoben-wandel ist keine Modeerscheinung, sondern ein semantischer Paradigmenwechsel. Die Mozzet-ta als außerliturgisches Gewand war bereits im Exil zu Avignon am päpstlichen Hof eingeführt und nach der Rückkehr der Päpste nach Rom als höfische Kleidung der geistlichen Elite beibe-halten worden. Am Grabmal jedoch wurde traditionell das liturgische Gewand für die Porträt-statue bevorzugt, bis sich die Büste mit Mozzetta Mitte des 16. Jahrhunderts durchsetzen konn-te. Damit war nicht nur erreicht, dass die Kardinäle an ihren Grabmälern in ›neuem Gewand‹ erscheinen, sondern auch, dass sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein deutliches Distinktionsmerkmal im Vergleich zu römischen Bischofsgrabmälern boten. Letztere bevor-zugten nun zwar auch die Porträtbüste, hielten jedoch an der liturgischen Kleidung fest.105

Die hier skizzierte Animation des Grabmalsporträts findet in Rom im europäischen Ver-gleich relativ spät statt. Außerhalb der Ewigen Stadt waren sepulkrale Porträtstatuen stehend oder sitzend, als Priants oder Demigisants teilweise bereits im 14. Jahrhundert im Einsatz. In diesem Zusammenhang seien nur die Standbilder an venezianischen Grabmälern,106 die thro-nende Ehrenstatue am Anjou-Grabmal Roberts des Weisen (†1343) in S. Chiara (Neapel)107 oder Kardinal Oliviero Carafa als Priant (1497–1508) in der Unterkirche der Kathedrale von Neapel erwähnt.108 Die römische ›Verspätung‹ ist umso auffallender, als die sepulkrale Bildnis-büste selbst in Rom bereits um 1500 beliebt war (berühmtes Beispiel: Andrea Bregno, † 1503), jedoch nur für Laien, meist Humanisten, aber auch Frauen,109 verwendet wurde. Erst ab 1524 und dann vor allem seit den 1540er Jahren konnte sich die Bildnisbüste auch am Kardinals- und Bischofsgrabmal zunehmend durchsetzen.110

Vermutlich steht die träge Übernahme der Bildnisbüste an den römischen Bischofs- und Kardinalsgrabmälern mit jener Bildtheologie in ursächlichem Zusammenhang, welche die Nicht-Identität von Bild und Urbild generell ins Argument für die Duldung von Bildern führ-te.111 Das belebte Porträt wurde am Grabmal hoher Geistlicher zunächst nicht geschätzt, weil es vermutlich an Idolatrie grenzte. Das dürfte mit dem vormodernen Verständnis von der ›Gegen-wart der Toten‹ zusammenhängen, welches ermöglichte, dass sich Totenkult und Heiligenkult bis zur Übereinstimmung einander anglichen. Heilige wie ›Normalsterbliche‹ behielten auch nach dem Tod ihren Status als Rechtssubjekte gleichermaßen bei. Die Memoriaforschung hat

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gezeigt, dass Tote bis Ende des 18. Jahrhunderts als Kläger und Beklagte in Erscheinung treten konnten und deliktfähig waren. In dieser Eigenschaft waren die Toten deshalb nach antiker Tradition zu verschiedenen, ritualisierten sozialen Handlungen (zum Beispiel Totenmahl) in der Wahrnehmung ihrer Zeitgenossen tatsächlich anwesend.112 Die bildnishafte Überwindung des Todes durch das zunehmend belebte Porträt am Grabmal ist vor diesem Hintergrund als Visualisierung der ›Anwesenheit‹ der Toten zu verstehen, wie bildanthropologische Untersu-chungen überzeugend nachweisen konnten.113 Die zögerliche Übernahme einer bereits etablier-ten Porträtpraxis am Kardinalsgrabmal scheint den volksfrömmigen Glauben an das sepulkrale Porträt als Ausdruck der ›Realpräsenz‹ insofern zu belegen, als dieser bildtheologisch nicht zu legitimieren war und deshalb gerade für die Grabmäler der Geistlichen in Rom anfänglich als Dekorumsverstoß verstanden werden musste. Dass sich die Büste schließlich dennnoch am Kardinalsgrabmal durchsetzen konnte, verlangt nach einer Erklärung, die an anderer Stelle ver-sucht wird.114

Die Einheit und Eigenheit der Porträtpraxis an Kardinalsgrabmälern besteht zum einen in der verzögerten Übernahme der verlebendigten Bildnisdarstellung der kirchlichen Würden-träger, zum anderen im Einsatz der außerliturgischen Kleidung, die als Insignie distinktive Ein-deutigkeit gegenüber anderen Geistlichen hergestellt. Hinsichtlich seiner Porträtgeschichte hat sich das Kardinalsgrabmal nun tatsächlich zu einer eigenen Kategorie entwickelt, während der erwähnte, liturgisch gekleidete Gisant der Renaissance die Unterscheidung von Kardinal und Bi -schof nicht zugelassen hatte. Das Anspruchsniveau der Kardinäle beziehungsweise ihrer Grab-malsstifter steigerte sich zu größerer Eindeutigkeit, die jedoch auf das Porträt beschränkt blieb.115

Denn im Zeitalter der Konfessionalisierung ist abgesehen von den sepulkralen Bildnissen eine zunehmende Nivellierung der kardinalizischen Wandgrabmäler zu konstatieren. Die auch zuvor bereits vorhandene Konkurrenz zu den Bischofsgrabmälern wurde nun um jene zu den Laien erweitert, denn generell griffen geistliche und weltliche Eliten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf ähnliches Formenrepertoire zurück. Zum einen verlieren die Grabmäler an Größe, da die Abschaffung des Gisants die Platzersparnis ermöglichte.116 Zum anderen jedoch führt die Konzentration auf den Ädikulatypus zu beeindruckender Variabilität in den Details. Die Ädikulagrabmäler des 15. Jahrhunderts waren noch Nischengrabmäler. Sie zeichnen sich durch eine Wandvertiefung aus, welche von einer Ädikula gerahmt wird, die wiederum nahezu ausschließlich aus Pilastern und Giebelzone besteht. Im Gegensatz hierzu steht die Ädikula der posttridentinischen Zeit, die sich nun zu einem autonomen Baukörper entwickelte, der keine Wandnische rahmt, sondern vielmehr der Wand vorgestellt ist, und nun aus der Kombination von Säule und Giebelzone besteht. Der Unterschied ist gewaltig und evoziert erstmals den Ver-gleich mit der parallel einsetzenden Entwicklung der römischen Altararchitektur, die nicht nur als Koinzidenz zu deuten ist. Grundsätzlich ist festzustellen, dass in Rom die Altarrahmung im 16. Jahrhundert die Ädikulaform in einer Quantität für sich beansprucht, wie sie sonst weder an sakralen noch profanen Bauwerken, weder an Fassaden noch in Innenräumen zum Einsatz kam.117 Entscheidend für diese Entwicklung war die Rezeption der klassischen Ädikula als Wandgliederung im Pantheon, wo sie bereits als Altarrahmung fungierte. Im 16. Jahrhundert blieb die Ädikula für den Altar gewissermaßen reserviert. Als eines der frühesten Beispiele in klassischer Reinform und exemplarisch für Rom ist Vasaris Ädikulaaltar in der Cappella del

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Monte in S. Pietro in Montorio (um 1550) anzuführen.118 Und in Parenthese sei auf Vasaris Um-gestaltungen der Innenräume von S. Maria Novella (ab 1565) und S. Croce (ab 1566) in Florenz hingewiesen. Dort hatte er die einzelnen Joche der Seitenschiffe mit einer seriellen Abfolge von Ädikulaaltären ausgestattet und damit das klassische Architekturmotiv regelrecht zum Symbol des Altars konkretisiert. In Rom führten dann Giacomo della Porta im ausgehenden 16. Jahr-hundert und Carlo Maderno zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Entwicklung des Ädikulaaltars fort.119 Im Vergleich zu den römischen Altären ist die Ädikula in klassischer Reinform an der römischen Profanarchitektur auffallend selten zum Einsatz gekommen; und die Ausnahmen der Regel, wie etwa die Fensterrahmen der Fassade des (zerstörten) Palazzo Branconio dell’ Aquila und des Palazzo Farnese, scheinen zu bestätigen, dass die sakrale Konnotation der Ädi-kula für den Palast vorerst unangemessen schien, sonst hätte sich die Fenster- oder Portalädi-kula bereits im 16. Jahrhundert durchgesetzt.120 Einzig Michelangelo wendete sie in Rom au-ßerhalb seiner St. Peter-Architektur auch an Profanfassaden an, etwa am Konservatorenpalast auf dem Kapitol oder an der Porta Pia. Michelangelo kannte die Bedeutung der Ädikula jedoch auch für das Kardinalsgrabmal. In der Cappella Sforza in S. Maria Maggiore verhalf er ihr zu mustergültigem Einsatz an den Grabmonumenten für die Kardinäle Guido Ascanio († 1564) und Alessandro Sforza († 1581).121 Als typologisches Vorbild diente die unmittelbare Nachbar-kapelle der Cesi, die etwa gleichzeitig entstand und deren beide Kardinalsgrabmäler ebenso durch die Ädikula hervorgehoben sind, wie der Altar ihrer Kapelle.

Die parallele Verwendung der Ädikula als Würdeform an den Altären und Grabmälern im konfessionellen Zeitalter prägte die römischen Kardinalsgrabmäler nicht ausschließlich, jedoch in erheblichem Maße.122 Noch deutlicher kommt der semantische Zusammenhang von Altar- und Grabmalsrahmung an den Papstgrabmälern in Neu-St. Peter zur Geltung. Dort nämlich sind die päpstlichen Erinnerungsmale von eben jenen monumentalen Ädikulen gerahmt, wel-che auch die Altäre im Querhaus und die Nebenaltäre und Reliquienkonchen der Vierungspfei-ler einfassen.123 Als Altararchitektur sakralisiert die Ädikula das Grabmonument. In zahlrei-chen Fällen wurde diese unmittelbare Formbeziehung an den Kardinalsgrabmälern noch dadurch verstärkt, dass wie am Altar auch am Grabmal der Kernbereich innerhalb der Ädikula zusätzlich durch einen faszierten Rahmen ausgezeichnet wurde. An Altären umgibt er das Al-lerheiligste beziehungsweise das Altargemälde, am Grabmal die Inschrift mit dem darüber an-gebrachten Bildnis und/oder Wappen des Verstorbenen. Michelangelos Sforzagrabmäler wei-sen diese Besonderheit ebenso auf, wie zuvor, um zwei frühe Beispiele zu nennen, die Grabmonumente der Kardinäle Marcello Crescenzi († 1552) in S. Maria Maggiore und Girola-mo Dandini († 1559) in S. Marcello al Corso.124

In den 1570er Jahren entstand ein zweiter Altartypus, der das Prinzip des Ädikularahmens weiter entwickelte und schließlich im Barock auch am Grabmal omnipräsent war. Die neue Entwicklung setzte im Wesentlichen mit Giacomo della Portas Hochaltar in der Cappella Gre-goriana in Neu-St. Peter 1578 ein: Die geschlossene Ädikulaform bricht nun in der Giebelzone auf und wird von einer attikaähnlichen Bildzone durchstoßen beziehungsweise gesprengt.125 Es ist nicht auszuschließen, dass die neue Altarform bereits 1571 durch ein Kardinalsgrabmal vor-bereitet worden war.126 In jedem Fall ist danach der Formwandel zuerst an den römischen Kir-chenaltären durchgreifend. Die darauf einsetzende neuerliche Angleichung des römischen Kar-

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dinalsgrabmals an den gesprengten Giebel der römischen Altäre seit 1578 gab darüber hinaus den Impuls zu einer autonomen Weiterentwicklung, die sich den gesprengten Giebel im einach-sigen System der Ädikula zu Nutze machte. Wegweisend war das 1582 errichtete Papstgrabmal Pius’ IV. de’ Medici (1559 – 1565) in S. Maria degli Angeli,127 dessen Architektur über den ge-sprengten Giebel weit hinaus wächst und das Papstwappen in höhere Sphären zu führen scheint. Für Kardinalsgrabmäler exemplarischen Charakter erhält dieser nach oben durchbrechende, nach wie vor von jenem bezeichnenden, faszierten ›Bilderrahmen‹ des Altars eingefasste Kern am Monument Kardinal Lanfranco Margottis (†1611) in S. Pietro in Vincoli.128 Dieser dynami-sierte Typus gipfelt aber wenig früher bereits im Grabmonument Kardinals Arnaud d’Ossats († 1604) in S. Luigi dei Francesi. In dessen einachsigem System wird nun die Porträtkartusche vom Epitaph in die gesprengte Giebelzone regelrecht hineingeschoben. Mit dem Grabmal Paolo Camillo Sfondratos († 1618) in S. Cecilia, das 1623 entstanden ist, setzt eine Monumen-talisierung des Ädikulatypus ein. Sie ist eng an Girolamo Rainaldis und Pompeo Targones Altar der Cappella Paolina in S. Maria Maggiore (1610 – 1615) angelehnt, dessen Ädikula nunmehr mit Doppelsäulen arbeitet und das Kultbild des Salus populi romani einrahmt. Der Sfondrato-Typus greift diese Doppelsäulen explizit auf und erweitert sie zu einem Säulenpaar mit kleinem Dreicksgiebel, das eine schmale Skulpturennische rahmt. In der mittleren Travée dieses nun-mehr dreiachsigen Systems bricht die volutengerahmte Attikazone nach oben durch und ›reißt‹ Porträtkartusche samt Reliefzone förmlich mit sich.129

Es kann an dieser Stelle lediglich angedeutet werden,130 dass der formalen Verwandtschaft von (geschlossenem wie aufgebrochenem) Ädikulaaltar und -grabmal auch eine inhaltliche eig-net. Sie gründet auf der Tradition des Altargrabmals, also jener Grabmonumente, die einen li-turgischen Altar beinhalten. Bis in das 16. Jahrhundert kam dieser Sondertypus in Rom nur wenigen Grabmonumenten zu.131 Die Seltenheit des römischen Altargrabmals zeigt, dass es etwas Besonderes war. Und aus der Besonderheit wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun-derts ein ›Massenprodukt‹ für Kardinäle, das sich von seinen frühen Vorbildern dadurch unter-schied, dass es die liturgische Funktion des Altargrabmals ablegte und sich als formalen Topos anverwandelte.132 Das exklusive Altargrabmal mutierte im konfessionellen Zeitalter zum altar-ähnlichen Grabmal ohne liturgische Funktion. Und der deutliche Verweis der Ädikulavarian-ten auf die Würdeform des Altars erfuhr eine zusätzliche Steigerung durch das gleichzeitige Aufkommen der aufgerichteten, lebendig wirkenden Sepulkralporträts. An den Grabmälern römischer Humanisten war der Einsatz der Porträtbüste bekanntlich bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorweggenommen worden; in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts er-oberte die animierte Porträtbüste auch das Kardinalsgrabmal, nun in Kombination mit der symbolischen Form der altarähnlichen Säulenädikula.133

Einheit und Eigenheit des Kardinalsgrabmals, wie sie bis hierhin dargestellt wurden, zeich-nen sich nicht durch die Ausbildung einer hermetischen Formgruppe aus, die aus kunstge-schichtlicher Perspektive den Gattungsbegriff des ›Kardinalsgrabmals‹ rechtfertigen könnte. Einheit und Eigenheit allein als typologisches Phänomen im Kardinalsgrabmals zu suchen, führt zu keinem brauchbaren Ergebnis, da die von Konkurrenz getragenen Wechselbeziehungen aller gesellschaftlichen Eliten in Rom die Adaption der je gruppenspezifischen Grabmalsformen nicht verbaten. Die typologischen Grenzen waren durchlässig. Grundsätzlich wurde es nicht

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als Dekorumsverstoß gewertet, sich dem sepulkralen Anspruchsniveau anderer gesellschaft-licher Gruppen auch außerhalb der Geistlichkeit in der Ewigen Stadt anzunähern.

Im Detail ist damit jedoch für das römische Kardinalsgrabmal das Begriffspaar von Ein-heit und Eigenheit als Formproblem noch nicht vollständig erfasst. Denn mittels der quantitati-ven Untersuchungen des Requiem-Projekts konnte gezeigt werden, dass Adaptionen meist zeitversetzt erfolgten: Die Porträtbüste tritt am Kardinalsgrabmal erst eine Generation später auf als an Laiengrabmälern, ebenso wie das rahmende Ädikulamotiv als ursprüngliche Würde-form des Altars. Die Angleichung des Kardinalsgrabmals an bereits vorhandenes Anspruchs-niveau anderer Eliten führte dann wiederum zur Monopolisierung. Das bedeutet nicht, dass für Laiengrabmäler die beschriebene Altarähnlichkeit aufgegeben worden wäre. Im Typus blieben beide Gattungen verwandt (abgesehen von den Porträtbüsten), in der Form jedoch entwickel-ten sie feine, distinktive Unterschiede. Die methodische Unterscheidung von Form und Typus ist hierfür entscheidend.

5. Sakrale und profane Identität

Einheit und Eigenheit der römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler als Formproblem ließen sich an zahlreichen weiteren Beispielen untersuchen und differenzieren, etwa wenn die Themen der Allegorien-, Attribute- oder Materialikonographie weiter vertieft würden; hierzu wird an anderer Stelle publiziert. Ausgehend von den bisherigen Überlegungen und Beobachtungen hingegen ist abschließend noch einmal auf die eingangs erörterte Gedächtnistheorie zurück-zukommen, um eine Präzisierung des Begriffs des kulturellen Gedächtnisses vorzunehmen, der zumindest in Bezug auf die Papst- und Kardinalsgrabmäler einer Revision bedarf. Denn wie gezeigt werden konnte, handelten die Grabmalsstifter in Rom in bisweilen sehr unterschiedli-chem Interesse. Wenn generell davon auszugehen ist, dass Grabmäler deutliche Akzente einer konstruierten Erinnerung setzen, die ein identitätsstiftendes Geschichtsbewusstsein formt, dann ist zu fragen, welche Form der Akzentsetzung den geistlichen Eliten in der Herzkammer der katholischen Christenheit ein Anliegen gewesen ist, um wessen Bewusstsein zu formen.

Kardinäle und Päpste regierten den Kirchenstaat und – so gut sie konnten – die kirchlichen Belange der katholischen Welt. Darüber hinaus hatten sie in Rom ihre familiären und klientelären Interessen zu vertreten. Man würde heute von einer Kollision privater und öffentlicher Interes-sen sprechen, die in der Vormoderne bekanntlich nicht übersehen wurde und sich spätestens seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts auch innerhalb der Kurie in einem kon troversen Diskurs niederschlug, wenn etwa Nepotismus als Akt der pietas zunehmend in Frage gestellt wurde.134 Grabmäler als identitätsstiftende Erinnerungsmonumente konnten sich solcher Kon-flikte nicht entziehen. Doch welche Identität kommunizieren die römischen Papst- und Kardi-nalsgrabmäler, wenn sie zwischen den Koordinaten von Kirche, Kirchenstaat und familiärer pietas zu verorten sind und profanen Interessen ihrer Stifter ebenso zu dienen, wie sie die geist-liche Elite der katholischen Christenheit zu repräsentieren hatten?

Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Denn zum einen sind sakrale und profane Le-bensformen und Wertekategorien in der Frühneuzeit nicht immer klar voneinander zu trennen,

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wie das bereits erläuterte frühneuzeitliche Verständnis von pietas nahelegt. Zum anderen exis-tierten sowohl im Kirchenstaat wie in profanen Staaten der Vormoderne neben einer staatlich-nationalen Identität Subidentitäten. Ein übergeordneter Gesellschaftsverband mit seinen Nor-men und Werten war in verschiedene gesellschaftliche Gruppen mit eigenen Identitäten von ungeheurer Vielfalt komplexer Bezugssysteme unterteilt. Die Makroformation einer Gesell-schaft besteht auch heute aus vielen Subformationen. Ein Staat setzt sich aus Ländern und Regi-onen, eine Nation aus Institutionen, Glaubens-, Berufs-, Partei- oder Familiengemeinschaften zusammen, die für sich je eigene Werte- und Symbolsysteme unterhalten können.135 Diese müs-sen sich gegenseitig nicht widersprechen, im Idealfall ergänzen sie sich zur übergeordneten Einheit des kulturellen Gedächtnisses. So gesehen sind in der Frühneuzeit die von der Kurie ge-lenkte Kirche und ihr einbeschrieben der Kirchenstaat die Makroformation. Diese als Instanz in die Betrachtung der Grabmäler mit einzubeziehen ist nicht unerheblich, denn die kirchliche Makroformation war auf symbolische Identitätsstiftung nicht weniger angewiesen als ihre Sub-formationen, wie Kardinäle, Bischöfe oder klienteläre Gruppen. Für diese Kirche der gesamten Christenheit laborierte das Papsttum in der Frühneuzeit selbst an der Generierung einer ein-deutigen kulturellen Identität, und die Frage, ob sie sich hierfür auch der Erinnerungspotentiale der Grabmäler ihrer geistlichen Eliten bediente, ist noch unbeantwortet.

Bereits in vorreformatorischer Zeit, als der einsetzende Staatsbildungsprozess in Europa den äußeren Druck auf die Rolle des Papstes als Haupt der Kirche erhöhte, erkannte Rom das Problem der eigenen Zwitterstellung zwischen kirchlicher und weltlicher Rolle, deren Heraus-forderung im Spannungsverhältnis zwischen geistlichen Normen und Traditionen sowie welt-lichen Anforderungen kurialer Politik lag.136 Die Kirche bedurfte einer inneren Reform ihres Identitätsbewusstseins, die ihre Makro- und Subformationen gleichermaßen betraf, denn für jeden geistlichen Würdenträger stellte sich das Identitätsproblem in der unauflöslichen Dicho-tomie von kirchlicher Monarchie und Patronagesystem einerseits und der Notwendigkeit an-dererseits, ad maiorem gloriam der Institution und der sie tragenden religiösen Prinzipien zu wirken. Vor diesem Hintergrund ist umso bezeichnender, dass das Papsttum nach dem Ende des großen Schismas und der konziliaristischen Erfahrungen tendenziell eine wachsende Sakra-lisierung betrieb, die einen ersten Höhepunkt um 1500 mit Alexanders VI. Borgia (1492 – 1503) Tempelstaat erfuhr. Die Vision des Papstes war die vollständige und vollkommene Verschmel-zung von weltlicher und geistlicher Macht. Sein höchst weltlicher Lebenswandel widersprach freilich diametral dieser Synthese sakraler und profaner Identitäten, doch verhinderte sie deren Weiterentwicklung nicht. Die sakralisierte Monarchie wurde anfangs noch als Einheit von Kir-che und Staat gedacht, doch bereits unter Leo X. de’ Medici (1513 – 1521) und nach dem trau-matischen Sacco di Roma (1527) umso deutlicher als geistliche Macht, die auf Hegemonie durch Staatenkonkurrenz verzichtete. Unter dem neuen Image des Papstes als dezidiert ›geistlichem Souverän‹, der die weltlichen Machtzentren unter seiner Spiritualität vereint, sollte der Kir-chenstaat nur mehr als Mittel zum Zweck fungieren.137 Auch das Kardinalskollegium verstand sich im konfessionellen Zeitalter zunehmend als theologische Leistungselite, die den ›Heiligen Senat‹ bildete. Im Zuge dessen kam es sogar zu einer spektakulären Konklavereform (1621/22), die garantieren sollte, dass die Kardinäle den ›Stellvertreter Christi‹ nicht nach Maximen der Klientelpflege, sondern nach Gottes Urteil (»secundum Deum iudicio«) wählen.138

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Im konfessionellen Zeitalter intensivierte Rom seinen Sakralisierungsprozess folglich auch durch praktische Umsetzung. Aus päpstlicher Sicht definierte sich Universalismus nun nicht mehr über den politischen, sondern über einen religiös-normativen Einfluss auf die Belange souveräner Staaten. Die Kontrolle des Gewissens bis in die untersten Gesellschaftsschichten verlangte ethische Normen, mit denen von der Kanzel herab die Menschen erreicht und die Seelen auf eine informelle Art, an der staatlichen Gewalt vorbei beherrscht werden konnten.139 Die ethischen Normen mussten entwickelt und vermittelt werden, und man möchte meinen, dass nichts geeigneter erscheint, als gerade die Grabmäler der geistlichen Eliten für die Beförde-rung der sakralen Identität Roms in den Dienst zu nehmen.

Entgegen einer kulturellen Identität im Sinne eines wachsenden spirituellen Selbstver-ständnisses investierten die geistlichen Eliten Roms jedoch ungeheure Energien, ihre Grab-mäler im Dienste einer kollektiven Identität weniger ihres geistlichen Standes, sondern des weltlichen Patronagesystems zu pflegen. Besondere Evidenz erhält die klienteläre und statuso-rientierte Interessengewichtung bereits durch das Verhalten der römischen Grabmalsstifter selbst. Deutlichkeit erlangt es durch jene Grabmäler, deren Stiftung lange nach dem Tod des Kommemorierten erst dann erfolgte, wenn dezidiert krisenbedingt ein Erinnerungsmonument opportun erschien.140

Der Widerspruch konnte bekannte Wunden aufreißen, die wegen der unüberwindbaren Dichotomie von christlicher humilitas und sepulkralem Personenkult, von pietas und fama, unheilbar erscheinen mussten. Nicht Totenfürsorge, sondern das Grabmal als soziales Kapital animierte zu seiner Stiftung. Fromme pietas wird in den Grabinschriften zwar immer wieder thematisiert, doch ist dies ein Feigenblatt vor der Tatsache, dass Grabmalsstiftungen durch die Hinterbliebenen in den meisten Fällen vor allem dann erfolgten, wenn den Stiftern daraus un-mittelbare Vorteile erwachsen konnten. Das haben die Zeitgenossen ähnlich gesehen, aber nicht immer so deutlich gesagt wie Lorenzo Valla in seiner Streitschrift De voluptate (1431), in der er klarstellt, dass die Pracht der Grabmäler nicht den Toten, sondern deren Nachkommen zum Schmuck gereiche.141 Im konfessionellen Zeitalter unternahmen energische Reformer auch in Rom den Versuch, Grabmäler als Schandfleck christlicher Moralvorstellungen zu stigmatisie-ren. Die Bulle Cum primum apostolatus vom 1. April 1566 ist ein Höhepunkt kirchlicher und zugleich ikonoklastischer Grabmalskritik, mit der Pius V. Ghislieri (1566 – 1572) die Lösung der Grabmalsfrage ebenso systematisch wie kategorisch anging. In § 6 heißt es: »Die Zuständi-gen mögen darauf achten, dass in den Kirchen nichts Unschickliches verbleibt, dass alle Särge, Grablegen und jedwede andere Form von Beisetzung der Leichname, die sich oberhalb des Fußbodens erheben, konsequent dort entfernt werden, wie schon andere Male beschlossen; und dass die Körper der Verstorbenen in tiefen Gräbern unter der Erde beigesetzt werden.«142 Der Passus in der zitierten Bulle »wie schon andere Male beschlossen« verdeutlicht, dass die sepulkrale Entschlackung römischer Kirchen durchaus gewollt, jedoch in der Regel nicht kon-sequent umgesetzt wurde.143

Auch päpstliche Bullen konnten das Grabmal nicht verhindern – Papst- und Kardinalsgrab-mäler erst recht nicht. Zu bedeutend war ihre sozialpolitische Funktion, die die Grabmalsform und -ikonographie entscheidend prägten. Und dies ist der zweite Aspekt des profanisierten Papst- und Kardinalsgrabmals in einem Rom, das sich nach außen eigentlich als sakralisierter

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Universalismus zu gebärden suchte. Der Befund der untersuchten Grabmäler deutet klar dar-auf hin, dass dem geistlichen Erinnerungsmonument im Zuge des Staatsbildungsprozesses die Aufgabe zufiel, die profan-politische Rolle der Geistlichen in der kirchenstaatlichen Gesell-schaft in den Vordergrund zu stellen. Die visuelle Erinnerung durch das Grabmonument beton-te auch in Rom eine profanisierte Kollektividentität, die auf die Erinnerung an Amt und Wür-den, nicht aber auf die Frömmigkeit des Verstorbenen abhebt. Eindrücklich lässt sich der Zusammenhang mit der Euphemisierung des Nepotismus am Grabmal erklären. Bekanntlich war die intensive Verwandtenförderung und -versorgung mit Pfründen und Ämtern die einzige Möglichkeit der geistlichen Eliten, die nächste Generation aus ihren eigenen Reihen auf kuriale Karrieren anzusetzen, damit auch sie später der Familie kirchliche Versorgungsquellen erschlie-ßen konnten. In den Papst- und Kardinalsgrabmälern wird der Nepotismus als Überlebensstra-tegie immer wieder legitimiert. In den Grabmalsinschriften loben die Geförderten ihre Förde-rer und sie sahen selbst dann noch keinen Anlass, sich vom Patronagelob zu distanzieren, als auch in den eigenen Reihen die Nepotismuskritik unüberhörbar wurde. Offiziell war der Nepo-tismus in Rom 1692 mit der Bulle Romanum Decet Pontificum abgeschafft. Und dennoch wurde er, obwohl er gegen kirchlich-moralische Normen verstieß, am Grabmal ungeschminkt thematisiert. Selbst die Grabkapelle der Corsini in S. Giovanni in Laterano feiert den Nepotis-mus noch Mitte des 18. Jahrhunderts,144 und auch das Papstgrabmal von Clemens XIII. Rezzo-nico (1758 – 1769) erwähnt die Nepoten als Stifter ausdrücklich in der knappen Inschrift.145

Bei der Betrachtung derart profaner und lebenspraktischer, eben: klientelärer Entwicklun-gen verwundert es nur noch wenig, dass auch die sepulkralen Tugend- und Heiligenprogramme dem Profanisierungsprozess erliegen. Sie zählten im Quattrocento noch zum Standardreper-toire der Papst- und Kardinalsgrabmäler,146 doch wurden sie im 16. und 17. Jahrhundert zuneh-mend reduziert. Erinnert sei an die große Zahl von Tugenden an den Papstgrabmälern Pius’ II., Pius’ III., Sixtus’ IV. oder Innozenz’ VIII., beziehungsweise die Assistenz von Heiligenfiguren beispielsweise an den quattrocentesken Monumenten von Antonio Martinez de Chiavez, Pietro Riario oder Ludovico Podocataro. Im 16. Jahrhundert beschränkten sich die Tugendprogramme an Papstgrabmälern zunächst auf vier, schließlich auf zwei Allegorien.147 An Kardinalsgrabmä-lern tauchten figürliche Programme kaum noch auf. Bestenfalls in Familienkapellen war noch die Möglichkeit geboten, allegorische Programme unterzubringen.148 Den zunehmenden Ver-zicht auf begleitende Figurenprogramme mit der erwähnten Größenreduktion der Grabmäler zu erklären, reicht nicht aus. Denn auch die großen Monumente etwa aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, wie zum Beispiel jenes Kardinals Francesco Alciatis († 1580) in S. Maria degli Angeli, verlegten sich ganz auf die Architektursprache.149 Kurzum: Vom 16. bis ins 18. Jahr-hundert nahmen Figurenprogramme an Kardinalsgrabmälern stetig ab; meist sind es assistie-rende Putti, Famaallegorien oder Chronospersonifikationen,150 und immer sind damit persön-liche Auferstehungs- beziehungsweise Unsterblichkeitshoffnungen verbunden, die aber nicht in der Lage waren, die geistlichen Eliten in den Stand einer gruppenspezifischen sakral-symbo-lischen Sinnwelt zu versetzen. Laien beanspruchten an Grabmälern die gleichen ikonographi-schen Programme auch für sich.

Die profane Selbstdarstellung der geistlichen Eliten Roms an ihren Grabmonumenten be-trifft schließlich auch die Inschriften. Auf keiner einzigen der zahllosen Epitaphien findet sich

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ein Bibelzitat. Stattdessen begegnen uns endlose Berichte über den cursus honorum, die schon formal sehr eng an die Grabinschriften der paganen Antike angelehnt sind. Inhaltlich zählen sie in aller Regel mehr oder minder ausführlich die Ämter und Würden auf, darauf bereits Arne Karsten im vorliegenden Band hinweist (S. 18). Pastorale oder moralische Werte des Geistlichen, Gottesfurcht oder die Gebetsaufforderung an den Lebenden »orate pro eo« sind so gut wie überhaupt nicht zu finden.151 Eine schlichte Inschrift wie jene auf der Bodenplatte Kardinals Antonio Barberini d. Ä. († 1646) vor dem Hauptaltar in der Kapuzinerkirche S. Maria della Concezione »Hic Jacet PulViS ciniS et niHil« ist in der Gattung des Kardinalsgrabmals der-art exzeptionell und prätentiös, dass sie als deutliche Inszenierung des Barberini-Clans in un-mittelbarer Nachbarschaft zum Familienpalast gewertet werden kann.

Abgesehen davon konnten auch die inschriftlichen Rechenschaftsberichte, res gestae, die guten Taten ihrer Protagonisten durchaus in den Dienst christlicher Tugenden stellen. Sie traten an Papstgrabmälern seit Pius II. und Pius III. verschiedentlich auch in Form von Reliefs als Er-gänzung und später auch als Ersatz der Inschriften auf. Beliebt waren deshalb durchaus auch sakrale Reliefszenen, wie etwa die Überführung oder Auffindung von Heiligenreliquien.152 Aber es ist doch auffällig, dass kaum einer der betreffenden Päpste und Kardinäle in den Reliefs als Samariter oder asketischer Theologe und frommer Bibelkenner auftritt. Bezeichnenderweise steht diese Tendenz in diametralem Gegensatz zur nordalpinen Darstellung geistlicher Reichs-fürsten an ihren Grabmälern in nachreformatorischer Zeit: »Gezeigt wird [hier] das Bild des Erzbischofs, wie er liturgische Handlungen vornimmt oder zumindest vornehmen könnte. Keine Berücksichtigung findet dagegen seine Rolle als Reichsfürst und Territorialherr, als Kriegsführer und Reichsreformer«.153 Daher tragen die Bischofsskulpturen an den Grabmälern nördlich der Alpen ausschließlich liturgische Gewandung.

In Rom dagegen scheinen Themen wie Karriereschritte, Krieg und Frieden, Förderung der Kunst und Wissenschaften, oder die Suprematie des Papstes ungleich wichtiger. Und darüber hinaus werden die sepulkralen Kardinalsporträts des konfessionellen Zeitalters statt in liturgi-sches in außerliturgisches Gewand gekleidet. Der quantitative Vergleich einer 400-jährigen Se-pulkralkultur in der Ewigen Stadt zeigt eindeutig, dass die römischen Papst- und Kardinals-grabmäler in ihren Porträts und Rechenschaftsberichten vornehmlich profan-politisches thematisieren, so wie die Stiftungsinteressen in erster Linie dynamischen Klientelinteressen ge-schuldet sind, um der eige nen Selbstdarstellung ebenso wie klientelären Gruppenbildung pros-pektiv von Nutzen zu sein.154

Wie gesagt: Profane und sakrale Bereiche wurden in der Frühneuzeit nicht streng von-einander getrennt, Klientelpflege konnte als Akt der pietas gedeutet werden, so wie kriegerische Handlungen als heiliger Sieg über Heiden und Antichristen gedeutet werden konnten. Das ist die Besonderheit der symbolischen Kommunikation im Bild, die auf Uneindeutigkeit setzt, um besagten Interpretationsspielraum zuzulassen. Sie erklärt aber nicht die deutlich profanisierte Schwerpunktsetzung sepulkraler Ikonographie, denn immerhin wäre auch denkbar, dass für Päpste und Kardinäle eine spezifischere, vom Laiengrabmal unterschiedene Symbolik Anwen-dung finden könnte. Offensichtlich ist aber die sepulkrale Betonung von Amt und politischer Rolle der geistlichen Eliten in Rom mit der wachsenden Bürokratisierung des Kirchenstaats in Zusammenhang zu bringen. Der Kirchenstaat wuchs als Pionier der Staatenbildung zu einem

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Behördenstaat heran,155 dessen Kardinäle an ihren Grabmälern als diensteifrige Staatsdiener ge-feiert werden.

In unterschiedlicher Weise, jedoch in gleichem Maße generieren die Papst- und Kardinals-grabmäler der Frühneuzeit ein kulturelles Gedächtnis, das auffällig diesseitsorientiert ist. Es steht damit für Herrschaftspraxis und im Gegensatz zum konfessionellen Wertesystem mit sa-kraler Zielsetzung in nachreformatorischer Zeit. Innerhalb der Memoriapraxis ist das Grabmal dazu besonders geeignet, da es heute wie damals als profaner Akt der Memoria anzusehen ist. Im Gegensatz zur sakralen Kommemoration im Rahmen liturgischer Handlungen, die bei-spielsweise die Namensnennung der Verstorbenen während der Liturgie vorsehen, stellt das Grabmal ein außerliturgisches Monument dar, das trotz seiner Aufstellung in der Kirche nicht sakral, sondern profan konnotiert ist. Darauf verweisen zum einen die schriftlichen Quellen spätestens seit dem 12. Jahrhundert, die das Grabmal nicht als sepulcrum, sondern als monu-mentum ansprechen.156 Zum anderen führte die Kunstliteratur der Frühneuzeit die Argumenta-tion fort, indem etwa Alberti im Rahmen seines Architekturtraktats für das Grabmal bereits einen zugleich öffentlichen und privatrechtlichen Charakter deklariert, der von religiösen Deu-tungen frei ist.157 Am Ende des 15. Jahrhunderts zählt Giovanni Pontano die sepulcra zusam-men mit Palästen und Villen zu den opera privata des Fürsten, die er von kirchlichen Stiftungen strikt trennt.158 Diese prinzipielle Unterscheidung blieb in der Folgezeit verbindlich. Sie bildete die Grundlage für die Auffassung vom Grabmal als Teil der öffentlichen, weltlichen Prachtbau-kunst. Folglich wurde das Grabmal selbst in der Wahrnehmung der Zeitgenossen als profanes Monument gesehen. Exemplarisch belegt das Kardinal D’Estrées ikonoklastischer Vorstoß ge-gen das Prälaten-Grabmonument Agostino Favoritis 1684 in S. Maria Maggiore zu Rom.159

Zu dieser Sichtweise war bereits Augustinus gelangt. In seiner Schrift De cura pro mortuis gerenda deutet er das Grabmal nicht theologisch, sondern legitimiert es vielmehr ethisch, denn die Angehörigen seien zur Fürsorge für den Körper des Toten verpflichtet. Neben der pietas sieht er aber zugleich schlichtes Eigeninteresse am Werk, indem die Stifter ihren guten Ruf bei der Nachwelt durch die Errichtung eines Grabmals befestigen könnten. Die eigentliche Funk-tion des Grabmals bestimmt Augustinus schließlich aus der Perspektive der Nachwelt, das heißt der Rezeption, und definiert das Grabmal als Mahnmal: Man nenne die sepulcra deshalb memoriae oder monumenta, »[...] weil sie jene Personen, die der Tod den Blicken entzogen hat, ins Gedächtnis zurückrufen oder mahnend in Erinnerung bringen, damit sie nicht durch Ver-gessenheit auch dem Herzen entzogen werden. Das geht ja deutlich aus dem Namen memoriae hervor, und man sagt auch monumentum weil es den menschlichen Geist mahnt oder, besser, ermahnt.«160 Der Begriff des monumentum ist bereits bei Augustinus von einem funktionalen Liturgiezusammenhang gelöst und klar auf die Ansprache der lebenden Betrachter ausgerich-tet. Für ihn bezweckt die Würdigung der Toten durch das Monument die Belehrung der Leben-den, eine Ansicht, die auch die Grabmalstheorie der Neuzeit prägte.161

Die Belehrung der Lebenden schien im frühneuzeitlichen Rom vorerst auf profane Inhalte angelegt, die erneut die Frage nach der Art des kulturellen Gedächtnisses der römischen Kirche aufwerfen. Die beschriebenen Beobachtungen haben gezeigt, dass das Kardinalsgrabmal offen-sichtlich dem Staatsbildungsprozess des Kirchenstaats größere Aufmerksamkeit zukommen ließ als dem sakralisierten Tempelstaat, wie Alexander VI. in seiner Utopie die Verschmelzung

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weltlicher und geistlicher Macht im Papst als geistlichem Souverän nannte. Es kann der Ein-druck entstehen, dass innerhalb der wiederholt genannten Koordinaten Kirche, Kirchenstaat und familiäre pietas, in deren kulturgeschichtlichem Kontext die römischen Papst- und Kardi-nalsgrabmäler zu verorten sind, die Rubriken von Kirchenstaat und familiärer pietas als Zwei-drittelmehrheit die stärkere Prägung auf die Gestaltung der identitätsstiftenden Monumente ausüben konnten. Sie stünden damit im Widerspruch zur beschriebenen Sakralisierung des römischen Universalismus. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die deutlichen Profa-nisierungstendenzen der Papst- und Kardinalsgrabmäler auch sakrale Elemente nicht verhin-derten. Drei Aspekte seien hervorgehoben:

1) Explizit auf christliche Tugenden, vor allem der Frömmigkeit, alludiert das ›Motiv der ewigen Anbetung‹ des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Zumeist in Form von Porträtbüsten erscheinen die Kardinäle mit Armen und Händen als ›Hüftstück‹ im Clipeus oder in einer gro-ßen Grabmalsnische, die unterhalb der Bildnisbüste ein Betpult imitiert, auf das der Dargestell-te sich mit seinen Ellbogen im Gebet aufzustützen scheint. In Rom ist dieser Typus erstmals und zugleich als erster Höhepunkt am Grabmal Kardinal Giovanni Girolamo Albanis († 1591) am südöstlichen Mittelschiffspfeiler in S. Maria del Popolo anzutreffen. Weitere berühmte Bei-spiele sind die Büsten der Kardinäle Robero Bellarmino († 1621) in Il Gesù von Gianlorenzo Bernini, Giulio Antonio Santori († 1602) in S. Giovanni in Laterano von Giuliano Finelli (aus-geführt um 1630) 162, oder Alessandro Algardis Büste Giovanni Garzia Mellinis († 1629) in der gleichnamigen Familienkapelle in S. Maria del Popolo. Unmissverständlich spielen sie auf die Frömmigkeit des Kardinals an, visualisieren mit dem Betgestus folglich den religiösen Aspekt, der in der Inschrift so häufig ausgelassen oder lediglich am Rande erwähnt wird. Im Fall des Santori-Grabmals betont der Betgestus zudem die Frömmigkeit eines Kardinals, der als Groß-inquisitor in Glaubensfragen zu entscheiden hatte. Der Sakralisierungsprozess ist in diesem Grabmal exemplarisch sichtbar. Doch bleibt zu konstatieren, dass in Rom lediglich 27 sepulk-rale Kardinalsporträts im Betgestus überliefert sind.163 Offensichtlich schien den Protagonisten diese Form der Charakterisierung nicht besonders am Herzen zu liegen. Die Vermutung ist insofern legitim, als zahlreiche Kardinalsbüsten an Grabmälern nicht unter Raumnot leiden, Hände und Arme dort nicht ausgeschlossen wderden mussten, jedoch anscheinend nicht eigens erwünscht waren.

2) Ähnlich fällt die Bilanz an den Papstgrabmälern aus. Das Grabmal Pauls III. Farnese setze einen ersten Bescheidenheits- und Frömmigkeits-Akzent, der sich als Humilitastypus in der Ehrenstatue niederschlug.164 Ohne Tiara und ohne Pontifikalschuhe, also ohne jegliche päpstliche Insignien erscheint der Pontifex Maximus als bescheidener Hirte im liturgischen Gewand des Priesters – als servus servorum dei. Seine Nachfolger setzten den Trend in den bereits angesprochenen Papstgrabmalskapellen in S. Maria Maggiore, der Cappella Sistina und Paolina, in einer hybriden Form fort, ohne jedoch auf die Insignien vollkommen zu verzichten. Sixtus V. und Paul V. ließen sich als barhäuptige Priants darstellen, unter dem Triumphbogen ihres Grabmals kniend und betend, die Tiara nicht ganz unauffällig neben sich auf den Boden gestellt. Zugleich aber, auch das ist bereits erwähnt worden und bedarf an dieser Stelle der aus-drücklichen Betonung, sind auf den sie umgebenden res gestae-Reliefs (jeweils fünf) profane Themen dargestellt, die mehrheitlich auf Krieg, Friedensstiftungen und innerstaatliche Sozial-

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disziplinierung anspielen: Banditen werden gejagt und deren Kopftrophäen nach Rom getra-gen, Schlachten gegen die Heiden werden mit modernster Waffentechnik ausgefochten, Festun-gen (nicht Kirchen)165 werden gebaut und die römischen Bürger observiert.166 Die Relief themen greifen auf die Tradition des frühneuzeitlichen Herrschergrabmals, etwa res gestae-Reliefs venezianischer Dogengrabmäler oder der königlichen ›Doppeldeckergrabmäler‹ in St.-Denis, zurück und sie verzichten auf die Darstellung geistlich-pastoraler Werte, wie sie im Vergleich und Gegensatz dazu für die bereits erwähnten Grabmäler geistlicher Reichsfürsten nördlich der Alpen in dieser Zeit durchaus üblich waren. 167

3) Die in Kapitel 4.2 beschriebene altarähnliche Ädikulaform des gegenreformatorischen Grabmals kennzeichnet eine deutliche Sakralasierungstendenz, die zum einen dem damaligen Verständnis vom Grabmal als profanem Monument entgegenwirkte, zum anderen der komme-morierten Person einen ›semi-heiligen‹ Status vermittelte. Es ist deshalb noch einmal zu beto-nen, dass insbesondere die häufige Hervorhebung des Zentralbereichs durch den faszierten Rahmen des Wandgrabmals innerhalb der Säulenädikula deutlich dem posttridentinischen Altar entlehnt ist. Befindet sich am Grabmal innerhalb des Rahmens die Inschrift und das Porträt des Kardinals, ist es am Altar das Allerheiligste beziehungsweise das Altargemälde mit einem sakra-len Thema. Das altarähnliche Grabmal sakralisiert durch seine Form und deren Appell an die Sehgewohnheiten der zeitgenössischen Betrachter nicht nur das profane Monument, sondern darüber hinaus auch den kommemorierten Kardinal. Dieser erscheint im Porträt entweder im ›Motiv der ewigen Anbetung‹ oder im Clipeus, der antiken Schildbüste, die als plena virtutis der Antike entlehnt die umfassende Tugendhaftigkeit des Dargestellten symbolisierte.168

Insbesondere die beiden zuletzt erwähnten Aspekte der res gestae-Reliefs und des altar-ähnlichen Ädikulagrabmals stehen emblematisch für das Mischverhältnis profaner und sakraler Konnotationen am Grabmal. Denn trotz der betonten Bemühungen des Papsttums um die Sa kralisierung der Institution Kirche für die Rettung des römischen Universalismus sprechen die Grabmäler eine andere Sprache. Diese bezieht sich auf den Staatsbildungsprozess, der nach der Bürokratisierung und der Einführung von Behörden im Dienste einer starken und gerech-ten Verwaltung ruft. Das kulturelle Gedächtnis, das sich in den Grabmälern der geistlichen Eli-ten Roms niederschlägt, betont einerseits durch Profanisierungstendenzen den Alltag der Staatsgeschäfte, für deren Professionalisierung die Kardinäle und ihre Erinnerungsmonumente stehen. Andererseits wurde die profane Identität der geistlichen Eliten, wie sie in ihren Grab-mälern zur Geltung kommt, durch sakrale Inhalte ergänzt. Sie konnten sogar subtil in den Vor-dergrund treten, wie das Ädikulagrabmal in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verdeut-licht. Die Inschrift, welche die Karriereschritte des Kardinals betont, und das außerliturgisch gekleidete Kardinalsporträt werden durch die altarähnliche Grabmalsarchitektur an einen sa kralen Rahmen rückgebunden. Als signum iurisdictionis zeichnet die Kardinalskleidung ihren Träger als geistlichen und weltlichen Richter aus,169 der förmlich am ›sepulkralen Altar‹ seine Verkörperlichung erfährt. Sakrale und profane Identität der geistlichen Elite in Rom bilden hier eine exemplarische Synthese.

Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler beschreiben somit einen deutlichen Säku-larisierungsprozess, der jedoch nicht antithetisch zu kirchlichen Sakralisierungsbestrebungen steht. Vielmehr ist die Säkularisierung des Grabmals einem sakralen Überbau subsumiert. Sa-

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krale und profane Identität sind in Rom demnach kein Widerspruch. Sie sind nur unterschiedli-che Ausdrucksweisen geistlichen Selbstverständnisses, das die funktionale Ausdifferenzierung seiner Gesellschaft und ihrer Eliten sehr früh – wie an den Grabmälern ersichtlich – begonnen hat. Säkularisierung in der Vormoderne ist kein protestantisches Phänomen,170 sondern ein zu-tiefst römisch-katholisches, das nicht nur die alltägliche Lebenspraxis betraf, sondern darüber hinaus eben auch in der sepulkralen Selbstdarstellung Rückhalt und Ausprägung erfuhr. Doch ist Säkularisierung nicht gleichbedeutend mit Religionsverlust, sondern ein Phänomen zuneh-mender Differenzierung von Verwaltungsstrukturen. Bei gleichzeitiger Sakralisierung des rö-misch-katholischen Kirchenverständnisses konstituierten die Papst- und Kardinalsgrabmäler in der Ewigen Stadt ein kulturelles Gedächtnis, dessen profaner Impetus die wachsende Auto-nomie staatstragender Funktionen symbolisiert, der aber stets einem sakralen Rahmen einbe-schrieben bleibt.

Säkularisierungstendenzen an den römischen Grabmälern sind als Modernisierungsgene-rator zu begreifen, welcher der sakralen Identität der Kirche eine profane Identität ihrer zuneh-mend behördlichen Verwaltungsstruktur zur Seite stellt. Das kulturelle Gedächtnis der römi-schen Papst- und Kardinalsgrabmäler konstituierte eine real existierende Kirche als societas perfecta, deren theologische Werte und Normen auf einem vollkommenen Herrschaftssystem fußten.171

Anmerkungen1 Die Entstehung des vorliegenden Aufsatzes wäre ohne die intensiven Gespräche und Diskussionen in den letzten

Monaten mit den wissenschaftlichen Hilfskräften und Promovendinnen des Requiem-Projekts undenkbar gewesen. Gedankt sei deshalb besonders (in alphabetischer Reihenfolge): Cornelia Hartmann, Alrun Kompa, Anett Lade-gast, Judith Ostermann, Jochen Pioch, Tobias Weißmann, Laura Windisch. Wichtige Hinweise verdanke ich zudem Horst Bredekamp, Arne Karsten, Volker Reinhardt und Günther Wassilowsky. Auch ihnen gilt mein herzlicher Dank.

2 Zur Problematik der Erforschung sozialer Gruppen vgl. Borgolte: Sozialgeschichte des Mittelalters; Oexle: Soziale Gruppen, S. 9 – 44.

3 Für die Datenbankstruktur und -gestaltung zeichnen verantwortlich Karsten Asshauer und Mark Geist.4 Zu den vorbildhaften Prosopographien vgl. Reinhard: Augsburger Eliten.5 Hierzu ausführliche Informationen online in der ›Hilfe‹ (FAQ) der Requiem-Grabmalsdatenbank (http://www2.

hu-berlin.de/requiem/cms/datenbank/hilfe-faq). Zur Terminologie vgl. das Glossar daselbst.6 Über die Jahrhunderte sind zwar viele Grabmäler verloren gegangen, doch sind in Rom gerade von den Wandgrab-

mälern eine relativ große Zahl erhalten geblieben. Das hatte seine Gründe, die weiter unten zu erläutern sind (S. 31 – 32). Zudem ist die Quellenlage zur Rekonstruktion des römischen Erinnerungskosmos durch die publizierte Inschriftensammlung Vincenzo Forcellas besonders günstig, siehe Forcella: Iscrizioni. Hinzu kommen die Guiden-literatur, mit zum Teil präzisen Hinweisen auf Grabmäler, und vor allem mehrere Manuskripte aus dem 17. und 18. Jahrhundert im vatikanischen Archiv, deren Autoren die römischen Inschriften topographisch geordnet sammelten und, sofern sie Grabmäler betreffen, bisweilen kurz verorten und beschreiben. Hierzu zählen die Aufzeichnungen von Francesco Gualdi (1576 – 1657): Raccolta di lapidi sepolchrali. 4 Bde., Rom 1652 (BAV, Vat. Lat. 8252/1– 4); Francesco Valesio (1670 – 1742): Chiese e memorie sepolcrali di Roma (ASR, AC, Cred. XIV, T. 40); Pietro Luigi Galletti (1724 – 1790): Necrologium Romanum (BAV, Vat. Lat. 7871– 7913); exemplarisch für die Aufnahme der Inschriften und Grabmäler einer Kirche vgl. Tommaso Bonasoli: Iscrizioni delle sepolture e depositi che esitevano nella nostra chiesa S. Agostino di Roma prima del 1760. Manuskript, Rom 1778 (Biblioteca Nazionale, Fondo Vitto-rio Emmanuele 46). Besondere Erwähnung verdient unter dem reichen Quellenmaterial auch der Windsor Codex (Windsor, Royal Library, Codex 201), dessen Zeichnungen römischer Grabmäler aus dem 17. Jahrhundert auch mit dem Museo Cartaceo des Cassiano dal Pozzo in Verbindung gebracht werden, siehe hierzu Kühlenthal: Zwei Grab-mäler, S. 31.

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7 Problematisch sind beispielsweise Angaben zu Auftraggeberschaft oder Kosten, wenn Testamente oder Künstler-verträge fehlen, oder Angaben etwa zu zerstörten Grabmälern, wenn die Rekonstruktion noch nicht abgeschlossen sind. Auch Maßangaben zu den Grabmonumenten sind derzeit noch nicht vollständig.

8 Es ist nicht auszuschließen, dass zerstörte Kardinalsgrabmäler in den genannten Quellen (vgl. Anm. 6) unberück-sichtigt geblieben sind. Diese Unschärfe jedoch ist als gering einzuschätzen.

9 Siehe hierzu die vertiefenden Erklärungen in der Datenbank selbst (www.requiem-project.eu).10 Für das 15. Jahrhundert sind in der Requiem-Datenbank sechs römische Papst- und Kardinalsgrabmäler mit Justi-

tia-Darstellungen registriert, für das 16. Jahrhundert vier, für das 17. Jahrhundert acht und für das 18. Jahrhundert vier. Verschiedentlich ist quantitative Kunstgeschichte für die Gattung des Grabmals bereits betrieben und vor allem auch beworben worden. Hervorzuheben sind die statistischen Studien zu neapolitanischen Tugendprogrammen von Bock: Kanon und Variation, und den Grabmälern der Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz von Heinz / Rothbrust / Schmid: Grabdenkmäler. Vgl. auch die Auswertung von sepulkralen Tugenprogrammen bei Ruggero: Monumenta Cardinalium, Bd. 1, S. 226 – 227, und im vorliegenden Band den Aufsatz von Alrun Kompa.

11 »Testamento di S. E. Card. Besozzi da me tutto e finito di mia mano in [...] delle facoltà di N. S. e concesso all [...] Cardinale, il giorno 27. di Febr. 1747. [...] Il mio Corpo desidero che senza alcuna pompa si porti privatamente al mio Titolo di S. Croce in Gerusalemme, et ivi si faccino l’esequie private dalli Monaci, nella maniera che si fanno alli semplici religiosi cisterziensi, e di ció ne supplico per le viscere di Gesù Christo la Santità di Nostro Signore che permetta, e non si facci alterare la mia volontà, e desidero esser sepolto nel Luogo ove si sepelliscono li altri Monaci; di tutto ciò che mi ritroverò alla mia Morte venendo tutto da beni di Chiesa, e niente di Patrimonio, come Regolare, perciò istituisco e nomino mio Erede Universale il Monastero di S. Croce, e quanto appartiene alla mia Cappella d’utensili laici voglio che s’applichi alla sacrestia della Chiesa sudetta di S. Croce in Gerusalemme con l’obbligo d’una Messa l’anno nell’Anniversario del giorno della mia morte e cento messe dopo che sarò morto immediata-mente.« (ASR, 30 Not. Cap., uff. 32, 06/1755).

12 Der Begriff der ›ewigen Anbetung‹ ist geprägt von Bruhns: Anbetung.13 Im Rahmen des Requiem-Projekts wurden 84 Kardinalstestamente aus dem 17. und 18. Jahrhundert im römischen

Staatsarchiv konsultiert. Ihre Auswertung ergab, dass von den 84 Kardinälen lediglich zwei zu Lebzeiten ihr Grab-mal errichten ließen. Von den restlichen 82 Kardinälen werden Grabmäler in ihren Testamenten zumeist nicht erwähnt (53), oder in ausdrücklicher Bescheidenheit gewünscht (29). Von letzteren erhielten fünf Kardinäle entge-gen ihrer testamentarischen Verfügung ein architektonisch und skulptural aufwendiges Wandgrabmal bzw. eine mit variationsreicher Intarsienarbeit versehen und groß angelegte Bodenplatte; drei davon ein Wandgrabmal: Gioacchi-no Besozzi († 1755), Alessandro Bichi († 1657) und Pier Luigi Carafa d. J. († 1755); und zwei eine aufwendige Boden-platte: Ludovico Pico della Mirandola († 1743) und Saverio Canale († 1773). Vgl. zu dieser repräsentativen Statistik die Angaben in der Requiem-Datenbank.

14 Auszug aus dem Testament Carlo Bonellis: »[...] voglio, et ordino, che dall’Infradetto mio Herede si faccia una memoria mia, ò vogliamo dire deposito nella detta Chiesa della Minerva, nel modo, forma, e sito, che parerà conve-niente con il parere, e conseglio dell’infradetto mio esecutore testamentario […].« Vgl. ASR, 30 Not. Cap. uff. 1; Testament vom 02.8.1670 fol. 275r – 280v, 295r – 299v; Kodizill vom 01.12.1675 fol. 281r – 283v, 292r – 293v; Kodizill vom 04.07.1676 fol. 284r – v. Die Kodizillien von 1675 und 1676 enthalten keine Ergänzungen zur Grabmals-planung.

15 Bredekamp: St. Peter, S. 14. Vgl. auch die Stiftung des Grabmals Hadrians VI. (1522 – 1523) gegen den Wunsch des Papstes (Götzmann: Ehrung eines Papstes, S. 99).

16 Für das 17. und 18. Jahrhundert lässt sich dieser Zusammenhang auf Grund der günstigen Quellenlage gut erschlie-ßen. Für das 15. und 16. Jahrhundert dürfte die Situation ähnlich gewesen sein, nur fehlen hierzu noch systematische Untersuchungen. Neben Papst Sixtus IV. della Rovere seien exemplarisch erwähnt das von Julius II. della Rovere gestiftete Grabmal für Ascanio Maria Sforza († 1505) in S. Maria del Popolo (Zitzlsperger: Sansovino), oder die Ammanati-Grabmäler in S. Agostino (vgl. hierzu im vorliegenden Band den Aufsatz von Ladegast).

17 Vgl. hierzu Warburgs Einleitung zu seinem Mnemosyne-Bilderatlas: »Bewusstes Distanzschaffen zwischen sich und der Außenwelt darf man wohl als Grundakt menschlicher Zivilisation bezeichnen; wird dieser Zwischenraum das Substrat künstlerischer Gestaltung, so sind die Vorbedingungen erfüllt, dass dieses Distanzbewusstsein zu einer sozialen Dauerfunktion werden kann, deren Zulänglichkeit oder Versagen als orientierendes geistiges Instrument eben das Schicksal der menschlichen Kultur bedeutet.«, Warburg: Mnemosyne, S. 3.

18 Zu Warburgs Begriff des sozialen Gedächtnisses vgl. die grundlegende Interpretation von Gombrich: Warburg, S. 325 – 337.

19 Warburg: Mnemosyne, S. 3. Diers: Warburg, S. 92.

58 Philipp Zitzlsperger

20 Vgl. hierzu vor allem Assmann, J.: Kulturelles Gedächtnis; Assmann, J.: Stein und Zeit; Assmann, J.: Kulturelle Identität.

21 Grundlegend Oexle: Memoria als Kultur, hier vor allem S. 37– 48.22 Assmann, J.: Kulturelles Gedächtnis, S. 60 – 63.23 Panofsky: Grabplastik, S. 43, 65.24 Zum Begriff der Repräsentation grundsätzlich Scheerer: Repräsentation; Hofmann: Repräsentation; für die Kunst-

geschichte zusammenfassend Schoell-Glass: Repräsentation.25 Vgl. hierzu im Gegensatz zur Abbildtheorie die Bildakttheorie als Grundlage des Forschungsprojekts »Bildakt und

Verkörperung« am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität, Berlin (http://www2.hu-berlin.de/bildakt-verkoerperung, 30.04.2010).

26 Zum frühneuzeitlichen Begriffsverständnis der pietas vgl. Reinhard: Paul V., S. 56 – 67; Reinhard: Symbol und Per-formanz.

27 Büchel/Karsten: (Forschungs-)Modell Rom, S. 286.28 Vgl. hierzu zuletzt am Beispiel von frühneuzeitlichen Papstkarrieren Reinhard: Schöner Schein, S. 283 – 285.29 Büchel/Karsten: (Forschungs-)Modell Rom, S. 287.30 Paris de Grassis: Diarium. Archivio dell’Ufficio delle Celebrazioni Liturgiche del Sommo Pontefice (Città del Vati-

cano), ms. 370, f. 203v: »Hodie papa incepit in superioribus mansionibus Palatii habitare, quia non volebat videre omni hora, ut mihi dixit, illam figuram Alexandri praedecessoris, inimici, quem Maranum et Judaeum appellabat, et circumcisum ; quod verbum, cum ergo cum nonnullis domesticis riderem, ipse quasi egre tulit a me qui non crede-rem ei quae diceret de Papa Alexandro, quia esset circumcisus ; et cum replicarem, quod si placeret ipsam imaginem delere de pariete, ac omnes alias simul cum armis illis pictis, non voluit dicens quod hoc non deceret, sed ipse non volebat habitare, ne recordaretur memoriae illius pessimae et sceleretae.« Ich danke Edouard Bouyé (Aurillac) für den wertvollen Hinweis.

31 Walsh: Santa Maria del Popolo. Die Borgiakapelle wurde erst unter Clemens VIII. Aldobrandini (1592 – 1605) abge-rissen. Hierzu Reinhardt: Der unheimliche Papst, S. 54; Zapperi: Neid, S. 85.

32 Umfassende Ikonoklasmen (z. B. Zerstörung von Wappen) in Rom stammen vornehmlich aus napoleonischer Zeit. Die Bereinigung römischer Kirchen von störenden (Boden-)Grabmälern im posttridentinischen Zeitalter betraf Kardinalsgrabmäler nur in geringem Maße. Zu den entsprechenden päpstlichen Dekreten und ihrer Umsetzung vgl. unten S. 50.

33 Vgl. hierzu exemplarisch Behrmann: Rückkehr, hier v. a. S. 187– 192, die das Papstgrabmal Urbans VIII. von Gian-lorenzo Bernini als wirksames Vehikel zur Rehabilitierung der Barberini nach dem Papsttod von 1644 analysiert.

34 Die Angaben gemäß der Requiem-Datenbank, www.requiem-project.eu.35 Zu den politischen Hintergründen für eine der seltenen Ausnahmen (Kardinal Ludovico Ludovisi) von dieser Regel

vgl. Büchel / Karsten / Zitzlsperger: Mit Kunst aus der Krise.36 Zum Thema der Nepotengräber demnächst Karsten: Die Gräber der Nepoten (im Druck).37 Hingegen entstand eine Traditionsbildung der Inhaber von Titelkirchen in keinem Fall, auch nicht in den besonders

prestigeträchtigen Bischofstiteln der suburbikarischen Bistümer – im Gegensatz zur den Grabmalsserien von Amts-inhabern, wie sie sich in vielen deutschen Bistümern herausbildeten, vgl. hierzu Schmid: Memoria in der Kathedral-stadt, S. 250.

38 Zitzlsperger: Sansovino.39 Vgl. hierzu im vorliegenden Band den Aufsatz von Anett Ladegast.40 Zum Stand der Erforschung sozialer Gruppen (bis 1998) vgl. Oexle: Soziale Gruppen, S. 13 – 25. Zu Erinnerungs-

kulturen sozialer Gruppen vgl. Oexle: Memoria und historische Erinnerung; ders.: Adel, Memoria und kulturelles Gedächtnis.

41 Vgl. hierzu jüngst den Sammelband Knöll: Creating identities. Außerdem Oexle: Soziale Gruppen.42 Grundlegend Reinhard: Freunde und Kreaturen; zuletzt mit aktueller Bibliographie ders.: Paul V.43 Einen interessanten Überblick über sepulkrale Nutzung von Stadt- und Kirchenraum, der im Folgenden durch

einige Aspekte zu ergänzen ist, bei Weber: Familienkanonikate; Papenheim: Caput Mundi, S. 228 – 233.44 Hierzu grundsätzlich Walsh: Santa Maria del Popolo.45 Zur päpstlichen und kardinalizischen Stadtraumkodierung in Rom vgl. auch Stephan: Gentilizische Kodierung;

ders.: Rom unter Sixtus V. 46 Dort befinden sich die Familienkapellen der Astalli (mit einem Kardinal), Capocci, Cavalieri (mit einem Kardinal),

Cenci, Conti (mit zwei Kardinälen), Mancini (mit einem Kardinal), Margani, Mattei (mit zwei Kardinälen), Orsini, Savelli, von denen Kardinal Giovanni Battista Savelli († 1498) das eigene Grabmal (Inschrift: »[...] vivens sibi posuit

59Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

[...]«) im Chor aufstellen ließ, Serlupi und Della Valle (mit einem Kardinal). Grundsätzlich hierzu P. F. Casimiro: Memorie istoriche della Chiesa e convento di S. Maria in Aracoeli di Roma raccolte da P. F. Casimiro Romano, dell’ordine de’Minori. Rom 1736.

47 In S. Maria sopra Minerva unterhielten alte römische Familien Kapellen wie etwa die Alberini, Altieri (mit einem Kardinal), Caffarelli (mit einem Kardinal), Frangipani, Maffei, Naro (mit einem Kardinal), Porcari, Tebaldi (mit einem Kardinal). Vgl. auch Weber: Familienkanonikate, S. 213.

48 Zu den karriere- und familienstrategischen Implikationen für die Gründung der Cornarokapelle durch Kardinal Federico Cornaro grundsätzlich Barcham: Grand in Design.

49 Vgl. das großangelegte Werk in sukzessiv erscheinenden Bänden von Nora: Les lieux de mémoire, 1984, 1986, 1992 etc.

50 Zur postpontifikalen Krise der Carafa und der Ausführung des Papstgrabmals in S. Maria sopra Minerva vgl. Büchel: Das Grabmals Pauls IV. Die Carafa kannten die Bedeutung der Grabmäler für das Sozialprestige bereits seit Gene-rationen. In ihrer Heimatstadt Neapel zeigten die Carafa seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert massive Sepulkral-präsenz, siehe hierzu Michalsky: Neapolitanische Familienkapellen, S. 115 – 123.

51 Grundsätzlich zur Bedeutung römischer Familienkapellen für soziale Aufsteiger in der Frühneuzeit vgl. Karsten: Bernardino Spada, S. 219 – 236.

52 Vgl. zur Cappella Cibo und Mellini in S. Maria del Popolo Karsten/ Zitzlsperger: Frühneuzeitliche Eliten. Ebenso Emich: Gräber der Staatssekretäre, S. 191–192. Zu den Santacroce in S. Maria in Publiculis siehe Karsten: Kardinals-reihengrab.

53 Ausnahme: Kardinal Ludovico Ludovisi († 1632). Sein Grabmal erweitert das Papstgrabmal des Onkels Gregors’ XV. Ludovisi (1621–1623) in S. Ignazio zum einzigen römischen Doppelgrabmal dieser Art, welches jedoch erst Anfang des 18. Jahrhunderts im Auftrag der Jesuiten entstand, siehe hierzu Büchel / Karsten / Zitzlsperger: Mit Kunst aus der Krise. Vgl. auch Karsten: Gräber der Nepoten.

54 Zu den Inschriften ohne Klientelbezüge eindrücklich in Bezug auf die Kardinalstaatssekretäre Emich: Gräber der Staatssekretäre, S. 194. Im Unterschied zu den Inschriften der Kardinalsgrabmäler heben jene an Prälatengrab-mälern ungleich deutlicher auf Patronageverhältnisse ab. Vgl. exemplarisch die Inschriften der Prälatengrabmäler in S. Maria sopra Minerva von Alessandro Valtrini (rechtes Seitenschiff) oder Onofrio Camaiani (rechtes Querhaus), die deutlich auf Papst Urban VIII. Barberini bzw. die Medici hinweisen.

55 Allianzwappen zeigten in Rom bevorzugt Heiratsverbindungen an. Zwei bekannte Ausnahmen: Das Allianzwap-pen der Chigi, das in der Chigi-Kapelle in S. Maria del Popolo und am Grabmal Alexanders VII. Chigi (1655 – 1667) die Rovere-Eiche führt. Zudem die Papstgrabmäler Pius’ II. und Pius’ III. Piccolomini (heute S. Andrea della Valle), deren Allianzwappen sich jeweils unten rechts in der Sockelzone befinden.

56 Zur Mehrdeutigkeit des Symbols und im Sinne des Thomas von Aquin: Quaestiones quodlibetales, Bd. 7, Paris 1926, S. 275. Vgl. auch Gombrich: Ikonologie, S. 406 – 407.

57 Kertzer: Ritual, S. 67–70. Zur »Integration durch Uneindeutigkeit« vgl. Mergel: Überlegungen, S. 574 – 607.58 Zur Umwidmung der Carafa-Kapelle in S. Domenico (Neapel) Anfang des 17. Jahrhunderts vgl. Michalsky: Nea-

politanische Familienkapellen, S. 122. Zur Doppelbelegung eines römischen Kardinalsgrabmals vgl. das Grabmonu-ment von Giorgio de Costa († 1508) in S. Maria del Popolo, der vermutlich das Grabmal des Erzbischofs Pietro Guglielmo Rocca († 1482) in derselben Kirche übernahm (vgl. Requiem-Datenbank). Vgl. außerdem das Grabmal Papst Eugens IV. Condulmer (1431–1447) in S. Salvatore in Lauro, dessen Gisant 1591 in die architektonische Grab-malsrahmung Kardinals Giovanni-Vera-Grabmals († 1507) aus S. Agostino eingepasst wurde, hierzu Kühlenthal: Zwei Grabmäler, S. 29 – 31. Das Grabmal Kardinal Francesco Maria Mancinis († 1672) in S. Maria in Aracoeli wurde im 19. Jahrhundert neu belegt, die Erinnerung an den Kardinal ausgelöscht.

59 Die Datierung der Korrektur ist unbekannt. Vgl. Zitzlsperger: Sansovino, S. 100 – 101.60 Die Rekonstruktion des Grabmälerzustands in S. Maria sopra Minerva ist noch nicht abgeschlossen. Im Rahmen

der Requiem-Forschungen wurde im Dominikanerarchiv von S. Sabina (Rom) eine bislang unbekannte, 127 Seiten starke Handschrift aus dem 17. Jahrhundert gefunden, die Form und Lage aller damals vorhandenen Grabmäler ausführlich beschreibt. Zudem findet darin auch die Verlegung älterer Grabmäler Berücksichtigung (AGOP-Rom, Handschrift XI.2890a, Res historicae).

61 Warnke: Bau und Überbau. Warnkes Studien zur mittelalterlichen Baupraxis anhand schriftlicher Quellen haben exemplarischen Wert. Das »Anspruchsniveau« ist der Grad der Distinktionsbestrebungen des Auftraggebers. Je höher das »Anspruchsniveau«, desto größer der Abstand zum konkurrierenden Machtträger.

62 Assmann, J.: Stein und Zeit, S. 13.63 Assmann, A.: Erinnerungsräume, S. 55 – 57.

60 Philipp Zitzlsperger

64 Die Ausnahmen sind die Freigrabmäler Papst Martins V. Colonna und Sixtus IV. della Rovere. Zudem die Kardi-nalsgrabmäler von Pietro Foscari († 1485) und Giovanni Francesco Guidi di Bagno († 1641). Zum Foscari-Grabmal vgl. den Artikel von Laura Goldenbaum im vorliegenden Buch. Zum seltenen Freigrabmal in Italien grundsätzlich Poeschke: Freigrabmäler; zu den Ausnahmen in Rom ders., S. 91. Außerhalb Italiens waren Freigrabmäler insbe-sondere als Tumbengrabmäler weit verbreitet. Erinnert sei an England und Frankreich, aber auch Spanien rekurrier-te in der Frühneuzeit auf das Freigrabmal. Vgl. hierzu im vorliegenden Band den Aufsatz von Judith Ostermann.

65 Interessante Ausnahme ist der seitlich gelagerte Gisant mit offenen Augen des Kardinals Esteban Gabriel Merino († 1535) in S. Maria in Monserrato.

66 Hierzu und im Folgenden ausführlich unten S. 45 – 46.67 Als interessante Ausnahmen vgl. die Kardinalsgrabmäler von Ciocchi del Monte († 1533), Enkenvoirt († 1534),

Paolo Emilio und Federico Cesi († 1537 und † 1565) und Bonelli († 1598), später dann auch noch Guidi di Bagno († 1641), Cennini de’ Salamandri († 1645) und Casanate († 1700).

68 Vgl. hierzu den Eintrag in der Requiem-Datenbank.69 Bruhns: Anbetung.70 Zur Capella Corsini vgl. im vorliegenden Band den Artikel von Alrun Kompa.71 Zum römischen Mäzenatentum grundsätzlich Haskell: Patrons and painters; Karsten: Künstler und Kardinäle.72 Kühlenthal: Zwei Grabmäler.73 Vgl. hierzu die Rekonstruktionen bei Tritz: Stiftungen des Nikolaus von Kues, S. 272 – 327.74 Zum Grabmal Francisco Quiñiones’ vgl. Blaauw: Opus. Zu Grabkapellen als Sakramentskapellen (z. B. Cappella

Sforza und darauf Cappella Sistina in S. Maria Maggiore; außerdem Cappella Altemps in S. Maria in Trastevere) vgl. Satzinger: Cappella Sforza, S. 343.

75 Vgl. hierzu im vorliegenden Band den Aufsatz von Anett Ladegast.76 Zum Gisant Pietro Foscaris vgl. im vorliegenden Band den Aufsatz von Laura Goldenbaum.77 Die Porträtbüsten der 1658 entstandenen Zwillingsgrabmäler der Cappella dell’Annunziata in S. Maria sopra

Minerva für die Kardinäle Benedetto Giustiniani († 1621) und Juan de Torquemada († 1468). Außerdem der Clipeus als Bronzerelief des Carlo Bonelli († 1676) in S. Maria sopra Minerva.

78 Zu SS. Apostoli vgl. Blaauw: Grabmäler; zu S. Agostino vgl. Ladegast im vorliegenden Band; zu S. Maria del Popolo vgl. Zitzlsperger: Sansovino.

79 Zu den Medicigrabmälern vgl. Hegener: Mediceischer Ruhm, S. 260. Zu den ursprünglich vorgesehenen Zwillings-grabmälern Hadrians VI. und Enckenvoirts vgl. Götzmann: Ehrung eines Papstes, S. 101, dort mit entsprechendem Zitat aus dem Vertrag der Nachlassverwalter Enckenvoirts mit dem Künstler Giovanni Mangone vom 26.10.1538.

80 Zu den Konzilsakten vgl. den mit De Sepulchris betitelten Abschnitt des 27. Kapitels im zweiten Buch der libri ins-tructionum: »non in choro tamen, neque in capella maiori, sed extra illius fines in alia ecclesiae parte decentiori, atque insigniori.« Siehe hierzu Borromeo: Decreta, S. 128 –129.

81 Heute befindet sich das Grabmal an der Innenfassade der deutschen Nationalkirche. Bis 1750 stand es in der nördli-chen (rechten) Hälfte der Chorapsis, siehe hierzu Knopp / Hansmann: S. Maria dell’Anima, S. 23, 54.

82 Die Aufstellung des Grabmals Pauls III. im Chor von St. Peter erfolgte 1628 durch Bernini parallel zur Besetzung der rechten Chorapsisnische mit dem Grabmal Urbans VIII.

83 Zu den Falconierigrabmälern vergleiche im vorliegenden Band den Aufsatz von Alexandra Fingas.84 Giovanni Battista Pallavicino († 1524) in S. Maria del Popolo.85 Hierzu zuletzt Ruggero: Monumenta Cardinalium , Bd. 2, S. 425 – 431.86 Hierzu der Artikel von Carol Nater im vorliegenden Band.87 Studien zum Klientelstil sind kaum vorhanden. Für das Fallbeispiel Neapel vgl. Michalsky: Neapolitanische Fami-

lienkapellen, hier S. 113 –123.88 Vgl. neben den Grabmälern der Bischöfe Pietro Guglielmo Rocca († 1482), Giovanni Giacomo Schiaffenati († 1497),

Girogio Bonazuntio († 1499) und des Erzbischofs Benedetto Superanzio († 1495) ebenso in der Requiem-Daten-bank die Monumente der Kardinäle Ludovico Scarampi Mezzarota († 1465), Ardicino della Porta d. J. († 1493), und Giorgio de Costa († 1508).

89 Zitzlsperger: Ursachen der Sansovinograbmäler. Vgl. auch im vorliegenden Band den Aufsatz von Laura Golden-baum.

90 Zu den erwähnten Papstgrabmälern vgl. Reinhardt: Metahistorische Tatenberichte; Chatzidakis: Imagines Pietatis. 91 Zitzlsperger: Papst- und Herrscherporträts, S. 33 – 40; Gormans/Zitzlsperger: Kleider; Karsten/Zitzlsperger: Bil-

derkrieg, S. 198. 92 Karsten/Zitzlsperger: Bilderkrieg.

61Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

93 Hierzu ist die Literatur unermesslich angewachsen seit Panofskys grundlegender Publikation: Galilei as a Critic of the Arts. Ein konziser Überblick und eine Präzisierung des ›Paragone‹ als künstlerisches Konzept bei Nova: »Para-gone«-Debatte, S. 183 – 202.

94 Den sepulkralen ›Paragone‹ thematisiert auch Sven Hauschke in Bezug auf die Grabdenkmäler der Vischer-Werk-statt, siehe Hauschke: Paragone um Grabdenkmäler, hier vor allem S. 238.

95 Vereinzelt ist der Grabkammer-Typus auch an Bischofsgrabmälern anzutreffen, etwa die Bischöfe Alfonso de Paradi-nas (†1485) und Giovanni de Fuensalida (†1498) in S. Maria in Monserrato, Bischof Eustachio de Levis in S. Maria Maggiore, Bischof Giovanni Andrea Bocaccio im Bramantekreuzgang von S. Maria della Pace; außerdem Kardinal Jacopo Ammanati-Piccolomini in S. Agostino. Zu den exemplarischen und monumentalsten Ausnahmen der Laien-grabmäler, die über den Grabkammertypus hinauswachsen und das Ädikula-Grabmal wählen, zählt das Grabmonu-ment mit vollplastischem Gisant des Agostino Maffei († 1490) in der Cappella Maffei von S. Maria sopra Minerva.

96 Kühlenthal: Bregno, S. 212. 97 Vgl. etwa das Grabmal des Bischofs Giovanni Ortega Gomiel († 1503, S. Maria del Popolo) mit dem an Kardinals-

grabmälern üblichen Ädikulatypus des Quattrocento. Vgl. außerdem exemplarisch das Bischofsgrabmal des Girola-mo Garimberti († 1575, S. Giovanni in Laterano) mit den im konfessionellen Zeitalter verbreiteten Kardinalsgrab-mälern im Ädikulatypus.

98 Eine seltene Ausnahme im deutschen Raum mit geschlossenen Augen bildet der Bronzegisant des Bischofs Wolf-hart von Roth († 1302) im Augsburger Dom.

99 Zitzlsperger: Sixtus IV., S. 27– 28.100 Grabmal des Pietro di Vicenza in S. Maria in Aracoeli, das der Inschrift zufolge von seiner Schwester 1504 gestiftet wurde.101 Das erste römische Beispiel der ›ewigen Anbetung‹ ist das Kardinalsgrabmal Giovanni Girolamo Albani († 1591).

Vgl. Bruhns: Anbetung, S. 290. Im Quattrocento übliche Darstellungen der commendatio animae über den Gisants, auf denen die Seelen der Verstorbenen an Gott empfohlen werden, sind Ausdruck der Hoffnung auf die Interzes-sion durch Heilige. Es sind dies szenische Darstellungen, also andere Kategorien des Porträts, die nicht zur Genese der sepulkralen Porträtskulptur zu rechnen sind.

102 Kohl: Talking Heads, S. 18 – 20.103 Vgl. z. B. die Kardinalsgrabmäler von Rodolfo Pio da Carpi († 1564), Guido Ascanio Sforza († 1564), Jérôme Sou-

chier († 1571) oder der Madruzzi (um 1600); später dann auch das Grabmal Paolo Camillo Sfondratos († 1618) in S. Cecilia in Trastevere.

104 Die einzige Ausnahme einer sepulkralen Kardinalsbüste in liturgischer Kleidung: Rodolfo Pio da Carpi († 1564) in SS. Trinità dei Monti. Zur Statistik der Kopfbedeckung vgl. ebenfalls die Requiem-Datenbank: Von 123 registrierten Kardinalsporträts (sowohl gemalt wie skulptiert) als Priant, Hüftstück, Büste oder im Clipeus, tragen 62 keine Kopfbedeckung, 21 tragen einen unscheinbaren Pileolus, der keine Insignie ist und nur 36 tragen ein Birett; den Rest bilden 4 ›Sonderformen‹, wie etwa die Kapuze der Cappa Magna. Zur Ikonologie der Mozzetta vgl. Zitzlsperger: Papst- und Herrscherporträts, S. 49 – 54. Zur grundsätzlichen Bedeutung der Kleidung in der Kunst vgl. ders.: Dürers Pelz.

105 Beispiele aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts für sepulkrale Bischofsbüsten in liturgischer Kleidung: Odo-ardo Cicada (um 1545) in S. Maria del Popolo; Girolamo Garimberti (um 1575) in S. Giovanni in Laterano. Vgl. Griesebach: Römische Porträtbüsten, S. 97; Zitzlsperger: Papst- und Herrscherporträts, S. 43.

106 Zu Standbildern an venezianischen Grabmälern vgl. Mehler: Auferstanden in Stein; Gaier: Facciate sacre, hier S. 56 – 67.

107 Michalsky: Memoria und Repräsentation; Dombrowski: Vision und Person.108 Bruhns: Anbetung, S. 273.109 Vgl. beispielsweise das Grabmal der Panatasilea Grypho (†1527) in S. Agostino. Hierzu Ladegast, Anett: Das

Geschlecht der Erinnerung. Frauenfrömmigkeit und Grabmalskultur in S. Agostino. In: Grabmal und Identität. Geschlechterbilder in der Sepulkralkultur. Hrsg. von Alrun Kompa und Anett Ladegast (im Druck).

110 Vgl. beispielsweise Bischofsgrabmal Odoardo Cicadas 1545 in S. Maria del Popolo. Hierzu Grisebach: Porträt-büsten, S. 60 – 61. Kardinalsbüsten an römischen Grabmälern: Giovanni Battista Pallavicino († 1524) in S. Maria del Popolo, Pietro Paolo Parisi († 1545) in S. Maria degli Angeli, Girolamo Veralli († 1555) in S. Agostino, Rodolfo Pio da Carpi († 1564) in S. Trinità dei Monti, etc.

111 Belting: Bild und Kult, S. 164 – 184; einen außerordentlich konzisen Überblick über Bildkulttheorien bei Wirth: Soll man Bilder anbeten?

112 Oexle: Gegenwart der Toten, S. 30 – 35, 48 – 65. Vgl. auch die »Utopia« des Thomas Morus, in der er die Anwesen-heit der Toten unter den Lebenden bekräftigt, hierzu Oexle: Gegenwart der Toten, S. 26. Diese nicht wenig volks-

62 Philipp Zitzlsperger

frömmige Einstellung mag nicht immer mit dem kanonischen Totengedenken der Kirche übereingestimmt haben. Aber gerade theologische Antworten auf die Frage, in welchem Verhältnis Körper und Seele nach dem Tod stehen, boten zwischen den Polen von beseeltem und entseeltem Körper unterschiedlichste Auslegungen, wobei sich im Gegensatz zur platonisch-dualistischen im Spätmittelalter die aristotelisch-thomanische Lehre von der Leib-Seele-Einheit durchsetzte, siehe hierzu Thomas von Aquin: Summa theologica, I, 75,4 ad 2 und zur Seele in ihrer post-mortalen Verfassung vgl. ebd., I, 89,8. Zur Realpräsenz und der Verbindung von Körper und Seele auch im Toten vgl. Oexle: Gegenwart der Toten, S. 25; Oexle: Memoria und Memoriabild, S. 385; Angenendt: Haus des Toten, S. 16 – 17. Ein Überblick über die Memoriaforschung bis 2008 bei Schubert: Zwölf Bildgrabmäler.

113 Bereits seit den frühen Bildkulturen ist das Bestreben zu erkennen, den vergänglichen Leib des Toten durch einen neuen, beständigen Körper zu ersetzen. So wie der vergängliche Körper war auch der Bildkörper ein ›Doppelgän-ger‹ der körperlosen Seele, der er als Ersatzkörper einen neuen Aufenthaltsort bieten konnte. Vgl. hierzu Belting: Schatten des Todes.

114 Vgl. hierzu Zitzlsperger: Formwandel und Körperwanderung in Rom – Vom Kardinalsgrabmal zum Kenotaph. Der Artikel wird voraussichtlich Herbst 2010 im Sammelband der jüngsten Requiem-Tagung »Grabmal und Körper« im E-Journal kunsttexte.de – Journal für Kunst- und Bildgeschichte (http://www.kunsttexte.de) erscheinen.

115 Wappen boten grundsätzlich seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts selbst gegenüber Prälatengrabmälern und -bodenplatten keine eindeutige Unterscheidungsmöglichkeit, denn der heraldische Kardinalshut über der Wappen-kartusche ist mit dem heraldischen Prälatenhut identisch. Alleiniges Unterscheidungsmerkmal ist die Hutfarbe, sofern polychromer Stein für die Wappendarstellung verwendet wurde, was selten der Fall ist. Nur dann nämlich ist der Prälatenhut schwarz, der Kardinalshut dagegen rot.

116 Es ist bereits darauf hingewiesen worden (vgl. S. 44), dass die Kardinalsgrabmäler im Durschnitt wegen der Einfüh-rung der Porträtbüsten kleiner wurden und nicht umgekehrt. Denn sonst wäre kaum zu erklären, warum für das Grabmal Kardinals Rodolfos Pio da Carpi († 1564) in SS. Trinità ai Monti die Porträtbüste bevorzugt worden, hätte doch dieses Monument wegen seiner Größe und des fast 2 Meter langen Sarkophags für einen Demigisant reichlich Platz geboten. Das gleiche gilt beispielsweise für die Grabmäler der Medruzzi (um 1600) in S. Onofrio oder das Sforndrato-Grabmal in S. Caecilia.

117 Diese Feststellung, jedoch kaum spezifiziert bei Windorf: Entwicklung des Ädikularahmens, S. 100, die in ihrem Grundsatzartikel die Bedeutung des Ädikulaaltars für die italienische Kunstgeschichte des 16. Jahrhunderts heraus-stellt.

118 Windorf: Entwicklung des Ädikularahmens, S. 101.119 Zum Beispiel für della Porta: Cappella Pinelli in S. Maria in Vallicella (um 1585); für Maderno: Cappella Salviati in

S. Gregorio Magno (1603).120 An Außenfassaden von Kirchen konnte sich die Ädikula als Würdeform hin und wieder durchsetzen. Antonio da

Sangallo verwendete sie für sein Holzmodell der Peterskirche (1539 – 1546), Giacomo della Porta für das zentrale Portal von Il Gesù in Rom.

121 Satzinger: Cappella Sforza, S. 398.122 Für diese Untersuchungen konnten keine statistischen Erhebungen in der Requiem-Datenbank durchgeführt wer-

den, da eine einheitliche Kategorisierung der Ädikulagrabmäler wegen ihrer zahlreichen Sonderformen im konfessi-onellen Zeitalter unmöglich ist. Daher ist es den intensiven Recherchen von Tobias Weißmann in Rom (2009) für das Requiem-Projekt zu verdanken, den hier vermittelten Entwicklungen der Ädikulatypen die entscheidende Grundlage an Objekten zusammengetragen zu haben. Berücksichtigung fanden dabei nicht nur die römischen Kar-dinalsgrabmäler.

123 Zu den Altarrahmen in Neu-St. Peter vgl. Windorf: Entwicklung des Ädikularahmens, S. 96 – 98, die den hier disku-tierten semantischen Zusammenhang von Altar- und Grabmalsrahmung nicht thematisiert.

124 Weitere römische Beispiele des 16. Jahrhunderts sind die Grabmäler der Kardinäle Giovanni Battista Pallavicino († 1524) in S. Maria del Popolo (abstrahiert-manieristische Frühform), Girolamo Veralli († 1555) in S. Agostino, Ranuccio Farnese († 1565) in S. Giovanni in Laterano, Jérôme Souchier († 1571) in S. Croce in Gerusalemme, Stanis-lao Hosius († 1579) in S. Maria in Trastevere (ohne flankierende Säulen), Archangelo de Bianchi († 1580) S. Sabina, Vincenzo Giustiniani († 1582) in S. Maria sopra Minerva, Charles d’Angennes de Rambouillet († 1587) in S. Luigi dei Francesi, Prospero Santacroce († 1589) in S. Maria Maggiore, Giovanni Antonio Serbelloni († 1591) S. Maria degli Angeli, Giovanni Albani († 1591) in S. Maria del Popolo, Filippo Spinola († 1593) in S. Sabina und die Brüder Madruzzo (Grabmäler um 1600) in S. Onofrio.

125 Zu diesem Ädikulatypus als Initialbau vgl. Windorf: Entwicklung des Ädikularahmens, S. 96 – 97. Erste Ansätze des gesprengten Giebels, jedoch am dreiachsigen Architektursystem, bereits am zu dessen Lebzeiten ausgeführten

63Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

Kenotaph Papst Pius’ V. Ghislieri (1566 – 1572) in Bosco Marengo, hierzu Ieni: Sepoltura. Ebenso Giambolognas Altare della Libertà (1577–1579) im Dom von Lucca. Beide Beispiele mit dem Unterschied, dass sie noch dreiachsig sind, während della Portas Altar in der Cappella Gregoriana von Neu-St. Peter die Sprengung des Giebels deutlich aus der reinen, also einachsigen, Ädikulaform entwickelt.

126 Grabmal Alessandro Crivellis († 1574) in S. Maria in Aracoeli, das bereits 1571 vollendet war, wie die Grabmals-inschrift belegt. Vgl. hierzu die Requiem-Datenbank (www.requiem-project.eu).

127 Zur Datierung vgl. Pastor: Geschichte der Päpste, Bd. 7, S. 577.128 Quellenkundlich 1611 vollendet. Vgl. Requiem-Datenbank.129 Nahezu gleichzeitig rekurrierte Carlo Rainaldi auf den Sfondrato-Typus, indem er den Gesamtentwurf des Bellar-

min-Grabmals als dreiachsiges System konzipierte, jedoch die Säulenpaare aufgab, um die dynamische Architektur zu beruhigen.

130 Ausführlich hierzu Zitzlsperger: Formwandel und Körperwanderung in Rom.131 Den Beginn machte Papst Bonifaz VIII. Caetani (1294 – 1303) mit seinem Grabmal in Alt-St. Peter, das er in das von

ihm gestiftete Altarziborium mit den Reliquien des heiligen Bonifaz’ IV. integrieren ließ. Fast einhundert Jahre spä-ter folgte das Kardinalsgrabmal Philippe de Alençon († 1397) in S. Maria in Trastevere, dann jenes Kardinal Antonio Martinez de Chiavez’ († 1447) in S. Giovanni in Laterano und schließlich Papst Nikolaus’ V. Perentucelli (1447–1454) in Alt-St. Peter. Zur Genese des Altargrabmals in Rom und Italien vgl. Kühlenthal: Zwei Grabmäler, S. 37– 50. Papst Nikolaus V. ließ sich vor dem Altar des hl. Nikolaus bestatten; das Grabmal als Rückwand des Altars war also genaugenommen ein Kenotaph, hierzu Kühlenthal: Zwei Grabmäler, S. 47.

132 Altarähnlichkeit ist für die römischen Quattrocento-Grabmäler nicht zu konstatieren. In Rom setzte sich der ein-achsige Rundbogenaltar durch (zum Beispiel Pinturicchio, Anbetung des Hl. Kindes, Santa Maria del Popolo, 1490), der zwar mit dem ›Humanistentypus‹ der Kardinalsgrabmäler verwandt, dessen Form jedoch nicht altarspezifisch ist, da er in dieser Zeit in der Profanarchitektur auch als Fenster- und Türrahmen auftrat (zum Beispiel Cancelleria, Rom). Das toskanische ›Quadro-Retabel‹, fand in Rom, außer in der Cappella Carafa, keine Verbreitung (vgl. Locher: Altar, S. 503). Allein die architektonische Rahmung der quattrocentesken Sakramentstabernakel (hierzu ausführlich Ladegast im vorliegenden Band) lässt sich in Rom mit den Ädikulagrabmälern (mit Pilastern) der glei-chen Epoche vergleichen. Die formale Angleichung von Tabernakel und Grabmal ist insofern interessant, als im Tabernakel die liturgische Hostie als Ort der leiblichen Anwesenheit Christi aufbewahrt wurde. Als die Hostien-tabernakel im Laufe des Cinquecento vollkommen aufgegeben wurden, setzte gleichzeitig die beschriebene Ent-wicklung der römischen Kardinalsgrabmäler hin zu den altarähnlichen Ädikulagrabmälern mit Säulen ein. Ein kausa ler Zusammenhang ist nicht auszuschließen, dass sich der römische Grabmalstypus bevorzugt an jener Archi-tektur orientierte, welche auch als Aufbewahrungsort der Hostie diente. Denn mit der Aufgabe des Sakraments-tabernakels wurden die Hostien zunehmend im Altargehäuse aufbewahrt. Die Grabmalsarchitektur im Kontext von Körper und Verkörperung des Verstorbenen könnte als symbolische Form auf den Ort der Hostie und der Transsubstantiation verweisen, um entsprechende Assoziationen im Betrachter des sepulkralen Porträts zu evozie-ren. Weitere Forschung hierzu wäre lohnend. Zum Verhältnis von Grabmal und Körper grundsätzlich Belting: Schatten des Todes; außerdem: Grabmal und Körper. Hrsg. von Philipp Zitzlsperger im E-Journal ›kunsttexte.de – Journal für Kunst- und Bildgeschichte‹ (http://www.kunsttexte.de), voraussichtlich Herbst 2010.

133 Neben den bereits genannten Beispielen aus dem 16. Jahrhundert ist als Höhepunkt des altarähnlichen Grabmalty-pus im 17. Jahrhundert Giuliano Finellis Monument für Kardinal Ottavio Bandini († 1629) in S. Silvestro al Quiri-nale zu nennen. Vgl. Zitzlsperger: Khlesl (im Druck).

134 Zur kurialen Nepotismuskritik vgl. die Studie von Bernasconi: Cuore. Zu Normenverstößen und ihrer kirchlichen Kompensation durch ›Überwölbungsnormen‹ vgl. Reinhardt: Normenkonkurrenz, S. 60 – 63.

135 Assmann, J.: Kulturelles Gedächtnis, S. 140.136 Grundlegend zu diesem Aspekt Prodi: Sovrano Pontefici; die Problematik bis ins 19. Jahrhundert geistreich-poin-

tiert herausgearbeitet bei Emich: Papsttum und Staatsgewalt.137 Zum Tempelstaat vgl. Prodi: Plures in Papa, S. 24 – 27. Vgl. zu dieser noch wenig beforschten ›Ecclesiologie‹ der

Frühneuzeit zuletzt Wassilowsky: Papsttum, Sp. 817.138 Wassilowsky: Konklavereform.139 Prodi: Plures in Papa, S. 28 – 29.140 Als Beispiele sind bereits genannt worden die Papstgrabmäler Leos XI. de’ Medici und Gregors XV. Ludovisi. Ein-

deutig wurde deren verspätete Stiftung nicht im Dienste sakraler Werte zur Visualisierung einer ungebrochenen Papstgenealogie umgesetzt, sondern vielmehr durch existenzbedrohende Krisensituationen der Stifter motiviert. Zu ähnlich krisenbedingten Stiftungsmotiven vgl. exemplarisch die Forschungen zum Grabmal Pauls III. Farnese, von

64 Philipp Zitzlsperger

Gormans/Zitzlsperger: Kleider und zu Ascanio Maria Sforza von Zitzlsperger: Sansovino; im vorliegenden Band zu den Ammanati-Grabmälern siehe den Artikel von Ladegast.

141 Valla: De voluptate II, IX, 2. Vgl. hierzu Poeschke: Praemium virtutis, S. 7.142 Bullarum Privilegiorum ac Diplomatum Romananorum Pontificium amplissima collectio, Bd. 4, Teil 1, Rom 1745,

S. 284: »Et ut in Ecclesiis nihil indecens relinquantur, iidem provideant, ut capsae omnes, et deposita, seu alia cada-verum, conditoria super terram existentia omnino amoveantur, prout alias statutum fuit, et defunctorum corpora in tumbis profundis infra terram collocentur.«

143 Ausnahmen gab es einige. Zur Grabmalszerstörung in S. Maria in Aracoeli vgl. auch Moroni: Dizionario, 64, S. 162. Zur katholischen Grabmalskritik vgl. grundsätzlich Paschini: La riforma del seppellire.

144 Vgl. im vorliegenden Band den Artikel von Alrun Kompa.145 Vgl. Goldhahn: Zurück in die Zukunft, hier S. 238 – 241.146 Im Gegensatz zu den Tugendprogrammen der Papstgrabmäler werden an den Kardinalsgrabmälern des Quattro-

cento vor allem Heiligenfiguren bevorzugt. Hierzu Pöpper: Virtus-Personifikationen, auf die Ausnahmen der Kar-dinäle Chiavez, Agnensi und Levis verweisend. Vgl. auch die Suchmöglichkeiten in der Requiem-Datenbank unter der Kategorie ›Allegorien‹ (www.requiem-project.eu).

147 Unter den 19 zwischen 1600 und 1798 entstandenen päpstlichen Monumenten sind 16 mit insgesamt 36 Allegorien versehen. Die Religio erscheint sechsmal, die Caritas fünf- und die Justitia viermal. Zwei Drittel der verwendeten Allegorien gehören zu den theologischen bzw. Kardinaltugenden. Lediglich an Monumenten Clemens’ X., Cle-mens’ XII. und Benedikts XIV. sind keine Tugenden aus dieser Gruppe zu finden.

148 Z. B. Cappella Aldobrandini in S. Maria sopra Minerva (Beginn 17. Jahrhundert). Dagegen kommt die Cappella Cibo in S. Maria del Popolo aus den 1680er Jahren wiederum ohne Tugend- und Heiligenfiguren aus.

149 Für die wenigen kardinalizischen Wandgrabmäler außerhalb von Kapellen, die vor allem im 17. Jahrhundert auf Tugendfiguren nicht verzichteten, stehen exemplarisch Berninis illusionistisches ›Freigrabmal‹ Kardinals Domenico Pimentels († 1653) und die im selben, linken Seitenchor von S. Maria sopra Minerva befindlichen Grabmäler der Kardinäle Michele († 1598) und Carlo Bonelli († 1676), letzteres sich übrigens im architektonischen Aufbau auf das Grabmal Michele Bonellis, im Tugendapparat eindeutig auf jenes Domenico Pimentels bezieht.

150 Die Darstellungen des skelettierten Todes konnten bereits von Panofsky überzeugend als positive Wendung inter-pretiert werden, die auf den Eintritt des Verstorbenen in ein neues Leben alludiert, siehe hierzu Panofsky: Mors vitae testimonium.

151 Seltenes Beispiel für die inschriftliche Aufforderung »orate pro eo«: Kardinal Giuseppe Firrao († 1744) in S. Croce in Gerusalemme. Hingegen Kardinal Saverio Canale († 1773) bat in seinem Testament um eine schlichte Bodenplatte in S. Marcello, lediglich mit Namensnennung und dem »orate pro eo« (ASR, RCA, vol. 1626, fol. 298v – 299r). Den-noch erhielt er eine verhältnismäßig aufwendige Bodenplatte in S. Marcello al Corso, deren Inschrift ausführlich ist und auf das »orate pro eo« verzichtet.

152 Vgl. exemplarisch die Reliefs an den Grabmälern Papst Pius’II. Piccolomini († 1464) oder Paolo Camillo Sfondratos († 1618)

153 Schmid: Memoria in der Kathedralstadt, S. 249.154 Vgl. hierzu Karsten/Zitzlsperger: Bilderkrieg; Zitzlsperger: Zukunftsinvestition.155 Hierzu grundlegend mit weiterführender Forschungsgeschichte und Literatur Emich: Bürokratie und Nepotismus.156 Herklotz: Sepulcra, S. 219; Herklotz: Grabmalsstiftungen, S. 237.157 Alberti behandelt die Grabmäler im achten Buch über den Schmuck der öffentlichen Profanbauten; Alberti: Zehn

Bücher, S. 412 – 418.158 Pontanus: De magnificentia. In: Opera omnia. Venedig 1518: »Quae autem opera magnificorum sint propria, dis-

tinctus dicenda sunt, quorum alia publica, alia privata, publica ut porticus, templa, moles in mare iactae, viae stratae, theatrae, pontes et eiusmodi alia, privata ut aedes magnificae, ut villae sumptuosae, turres, sepulchra.« Zitiert nach Seiler: Jacob Burckhardt, S. 178, Anm. 90.

159 Hier und im Folgenden Erben: Requiem und Rezeption.160 Augustinus: De cura pro mortuis gerenda, Sp. 596.161 Hierzu ein konziser Überblick bei Erben: Requiem und Rezeption, S. 117– 119.162 Zur Datierung Dombrowski: Finelli, S. 335.163 Insgesamt 19 Büsten (in der Requiem-Datenbank unter dem Begriff »Hüftstück betend«) und neun Priants (»Ehren-

statue kniend«).164 Zum Humilitastypus vgl. Zitzlsperger: Papst- und Herrscherporträts, S. 33 – 40.165 Vgl. Die Befestigung von Ferrara am Grabmals Pauls V., rechts unten.

65Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit

166 Hierzu Reinhardt: Metahistorische Tatenberichte. Im Gegensatz dazu steht die Deutung des Grabmals Sixtus’ V. von Stephan: Der Papst als Gottes Günstling, der das Grabmals Sixtus’ V. mit insgesamt 26 Eigenschaften des Paps-tes als Gottesknecht in Zusammenhang bringt, die für das Selbst- und Herrschaftsverständnis des Peretti-Papstes konstitutiv waren.

167 Schmid: Memoria in der Kathedralstadt, S. 249.168 Die Bedeutung des Clipeus als Ausdruck der plena virtutis war bereits in antiken Texten (Macrobius, Plinius) vor-

gegeben, die in der Renaissance bekannt waren. Hierzu grundlegend Hessler: Concurrunt clipeis, S. 64–68.169 Zitzlsperger: Papst- und Herrscherporträts, S. 49–54.170 Zu diesem in der Säkularisierungsdebatte heute noch verbreiteten Glauben und für einen luziden Überblick zur

Geschichte der Säkularisierungsthese vgl. zuletzt Ehrenpreis/Pohlig/ Lotz-Heumann/Schilling u. a.: Säkularisie-rungen in der Frühen Neuzeit, S. 21– 39. Außerdem Gorski, Philip S.: Historicizing the Secularization Debate. Church, State, and Society in Late Medieval and Early Modern Europe, ca. 1300 to 1700. In: American Sociological Review 65.1 (2000), S. 138 –167.

171 Reinhard: Paul V., S. 82.