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Holm-Hadulla, Rainer, Kriz, Jürgen & Lieb, Hans (2004): Ist Beziehung alles und ohne
Beziehung alles nichts? In: PiD, 5, 321 – 334
Möglicherweise unterscheidet sich der gedruckte Text leicht von dieser MS-Version
Die Bedeutung der therapeutischen Beziehung
PiD im Gespräch mit Rainer Holm-Hadulla, Jürgen Kriz und Hans Lieb
PiD: Herr Lieb, wir würden von Ihnen gerne erfahren, was wir meinen, wenn wir von
der therapeutischen Beziehung sprechen? Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse
liegen vor und wie kann diese Beziehung beschrieben werden?
Lieb: Die Psychotherapieforschung bestätigt die Bedeutung der therapeutischen Beziehung
für das Behandlungsergebnis. Nach einer Zusammenfassung von Asay und Lambert (2001, S.
41-81) erklärt sie 30% der Varianz therapeutischer Veränderungen (neben
Klientinnenvariablen und extratherapeutischen Faktoren 40%, Erwartung und Placebo 15%,
Technik 15%). Positive Therapieeffekte korrelieren demnach hoch damit, dass Patienten bei
Therapeuten Unterstützung, Vermittlung von Hoffnung auf Veränderung, Verständnis,
Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit erfahren. Die Behandler fördern dies durch Etablierung
einer therapeutischen Allianz mit transparenter Ausrichtung auf Ziele, über die Konsens
besteht und die ggf. im Therapieprozess revidiert werden sowie durch Realisierung folgender
Beziehungsaspekte: Die bekannten „GT-Variablen“ von bedingungsfreiem Akzeptieren,
einfühlendem Verstehen und Echtheit in ihrer Person; Transparenz ihrer Angebote und ihrer
Erwartungen ebenso wie ihrer Begrenzungen (etwa hinsichtlich bestimmter Störungsbilder);
Vermittlung von Respekt vor der Autonomie ihrer Patienten, von Neutralität und
Unparteilichkeit, von Wertschätzung der Patientenressourcen; durch positives Feedback für
Veränderungsschritte bei Klienten, auch durch gelegentliche Selbstoffenbarungen ihrerseits,
durch ein wohlwollend-lösungsorientiertes Umgehen mit Krisen in der Therapiebeziehung
und durch das Aufgreifen von Patientenerwartungen und durch Anpassung an die
patientenseitig bevorzugten Interaktionsstile.
Kriz: So sehr ich aus gesprächpsychotherapeutischer Sicht – die ja immer die therapeutische
Beziehung ins Zentrum gestellt hat – diese Aussagen von Herrn Lieb tendenziell begrüße und
so sehr ich auch Michael Lambert schätze, verpflichtet mich doch meine Methodiker-
Vergangenheit zum Widerspruch: Ich weiß leider nicht, was Aussagen über den Varianzanteil
der therapeutischen Beziehung bedeuten sollen. Solche Aussagen sind mir viel zu
reduktionistisch. Denn wir müssten uns doch hier nicht zu einem langen Symposium
zusammenfinden und diskutieren, wenn sich „therapeutische Beziehung“ so einfach und
einhellig definieren und über wenige Variablen operationalisieren ließe! Wenn wir dem aber
zustimmen, dass wir mit „therapeutischer Beziehung“ etwas sehr Komplexes meinen, das
dann je nach Perspektive, Ansatz, Prozessphase etc. unterschiedlich operational auf Variable
reduzieren, verliert eine Aussage wie „30% Varainzanteil“ für mich jeden Sinn. Ich würde
fragen, welche Aspekte bzw. Variable wurden denn in der betreffenden Studie gewählt,
welche Operationalisierungen vorgenommen, welche weiteren Variablen erhoben (von denen
dann ja die 30% ein Anteil sind). Und je nach Antwort auf diese Fragen würde man sogar bei
denselben Therapeuten und Patienten ganz unterschiedliche Varianzanteile für „die
therapeutische Beziehung“ finden.
Mir erscheinen solche Globalaussagen nicht sehr sinnvoll, zumal ich sicher bin, dass der
Anteil, selbst wenn er denn in einer bestimmten Weise operationalisiert wird, nicht nur
zwischen den Therapierichtungen deutliche unterschiedlich ist, sondern auch zwischen
unterschiedlichen Therapiephasen und ebenso inbezug auf unterschiedliche Patienten. Kurz:
ich plädiere dafür, die Frage viel komplexer zu belassen und zumindest solche
Differenzierungen einzubeziehen, wie sie das „Allgemeine Modell von Psychotherapie“ von
Orlinsky & Howard plausibel macht: Dort wird zwischen unterschiedlichen Aspekten der
Passung gesprochen – nämlich neben der Passung zwischen Therapeut und Patient, auch die
Passung zwischen Patient und Behandlungsmodell des Therapeuten, die Passung zwischen
Störung und Therapeut sowie die Passung zwischen Behandlungsmodell und Störung. Ich
denke, es gibt gute Gründe und Befunde anzunehmen, dass sich zumindest diese 4 Aspekte
gravierend auf die Art und das Ausmaß der therapeutischen Beziehung auswirken. Und hier
würde ich mir auch erheblich mehr Forschung wünschen – zu der wir hoffentlich dann
kommen werden, wenn die Kapazitäten und Köpfe wieder frei sind von der gegenwärtigen
Rechtfertigungs-Forschung nach dem Motto: Wie beweise ich, dass Therapieform X besser
wirkt als Therapieform Y – was eine genauso undifferenzierte und daher weitgehend
unsinnige Frage ist.
PiD: Können wir in jedem Fall die Qualität der therapeutischen Beziehung bestimmen
oder gibt es nicht zu viele Einflussfaktoren, die diese Qualität bestimmen?
Lieb: Angesichts dieser langen Liste können und dürfen wir daraus zum einen den Schluss
ziehen, uns in Therapien so zu verhalten, dass Patienten uns so erleben. In Ausbildung und
Supervision kann geübt und reflektiert werden, ob und wie das gelingt. Es wäre aber, vor
allem aus systemischer Sicht, ein Irrtum, daraus auch den Schluss zu ziehen, es handle sich
dabei um „beziehungsbezogene“ Interventionen im Sinne einer Wirkvariable neben anderen
therapeutischen Techniken und Interventionen. Die Realisierung solcher Beziehungsangebote
durch Therapeuten schafft notwendige oder günstige Bedingungen dafür, dass Patienten die
Therapie für Veränderungen nutzen können. Es wäre aber eine Kontrollillusion zu glauben, es
läge in Therapeutenhand, die Beziehung nach solchen Kriterien zu gestalten und so das
Erleben der Beziehung durch Patienten zu determinieren. Wir übersähen dann die
grundsätzliche Rekursivität von Interaktionsverhalten und das prinzipielle Unvermögen,
Beziehungen – auch therapeutische – einseitig nach bewusster Zwecksetzung beeinflussen zu
können. Im Grunde sagt uns die Empirie nur, dass Therapien im Durchschnitt erfolgreicher
sind, wenn Patienten sie wie beschrieben erleben. Wir können aber nicht wissen und
bestimmen, ob ein Patient etwa ein Lob als verstärkend oder degradierend erlebt.
Die therapeutische Beziehung selbst ist darüber hinaus auch von ihrem Kontext abhängig. Zu
dieser Umwelt der Therapie als „System“ gehören die institutionellen Rahmenbedingungen
der Therapeuten, Erwartungen von außen an Therapeuten und Patienten (Kostenträger,
Partner, Arbeitgeber usw.) und schließlich – für viele ein fremder Gedanke – auch die Person
des Therapeuten ebenso wie die des Patienten. Glauben Therapeuten, es läge allein an ihnen,
ihre Beziehung zum Patienten im Sinne einer „guten“, gemessen an objektiven
Außenkriterien, zielgerichtet zu gestalten, werden sie nicht nur blind für diese
Kontextdeterminationen und deren bewusste Reflexion; sie könnten aus diesem Glauben
heraus sogar neue Probleme erzeugen: Schwierig erlebte Beziehungen könnten sie einseitig
selbstbeschuldigend als Ergebnis eigener Probleme bis therapeutischer
Beziehungsunfähigkeiten deuten, sich dann inkompetent fühlen oder, als letzten
interaktionellen Schachzug, diese Probleme wiederum dem Unvermögen ihrer Patienten
zuschreiben etwa in Form des Konzeptes „widerständiger Patienten“ mit wiederum daraus
entstehenden Beziehungsproblemen. Oder sie könnten – unreflektiert – bei ausbleibendem
Therapieerfolg in der Beziehung „mehr desselben“ aus dem Katalog beziehungsorientierter
Gebote tun, wenn sie sich etwa um „noch mehr“ einer bestätigend-empathischen Haltung
bemühen, wenn eine provokativ-humoristisch-konfrontierende Äußerung fruchtbarer wäre.
Aus dieser Sicht können wir Beziehungen nicht einseitig „gestalten“, – wohl aber uns um
günstige Bedingungen dafür bemühen, dass Patienten uns wie oben beschrieben erleben. Das
schafft – in der Regel – günstige Voraussetzungen für Veränderungen – und manchmal, aber
bei weitem nicht immer, auch schon diese.
Die Therapiebeziehung wird nicht zu Beginn einer Therapie „hergestellt“. Sie ist von ihrem
Kontext her schon durch die hierzu vorgegebenen Rollen prädeterminiert und beginnt
personal von Therapeutenseite spätestens mit der durch bestimmte Motive geprägten
Entscheidung zur Wahl dieses Berufes und dann der für eine bestimmte Therapierichtung und
bei Patienten mit der, sich professionelle Hilfe zu holen (oder sich von anderen dazu
überreden zu lassen). Die bei Therapeuten und Patienten in diesen Vorentscheidungen
enthaltenen Motive prägen die Beziehung. Sie ist weiter unsererseits vorbestimmt durch
unsere eigenen Erfahrungen dahingehend, was wir selbst positiv und was mit anderen wir
aversiv erfahren haben und nun anderen Menschen vermitteln oder nicht antun wollen.
Daraus folgt auch, dass es innerhalb einer therapeutischen Beziehung eine
Metakommunikation über diese Beziehung gar nicht geben, sie von den daran Beteiligten
auch nicht nach objektiven Kriterien bewertet werden kann: Weil auch in
Metakommunikation beide Seiten notwendig ein Stück weit blind bleiben für all die sie darin
prägenden historischen und aktuellen Kontexte. Die Orientierung an Merkmalen „guter“
Beziehungen (mit Verstehen, Loben, Transparenz, Zielklärung usw.) kann viele Therapeuten
unterstützen, andere aber auch lähmen, wenn diese normativ als Ge- und Verbote (wiederum
kontextbestimmt!) in ihren Köpfen spuken, deren Befolgung sie (psychoanalytisch
gesprochen als „Über-Ich-Regeln“) von ihrer Intuition, ihrer Selbst- und Fremdwahrnehmung
und von der Möglichkeit zu unkonventionellen, aber effektiveren Interventionen abhält.
Hierzu ein Fallbeispiel: Eine Therapeutin meint, mit ihrer Patientin deren sexuellen Missbrauch nicht bearbeiten zu können, weil sie von dieser Thematik selbst so berührt ist, dass sie in einer Mischung aus Entsetzen, Mitgefühl und Ohnmacht ihre professionelle Distanz (als in ihrer beruflichen Biographie erworbener hoher Wert der therapeutischen Beziehung) verliere und sich ihrer Tränen vor der Patientin und, viel schlimmer, vor Kollegen schämen würde. Im Supervisionsprozess erfährt sie, dass es sich dabei einerseits ja um den abgesicherten „Wirkfaktor“ Echtheit handelt. Zum anderen wird sie mutiger, diese Distanzregel selbst Infrage zu stellen: Warum z. B. sollten Therapeuten sich für ihre gezeigte Emotionalität rechtfertigen müssen und nicht solche, die in unberührter Distanz verweilen? Mit dieser Befreiung von einer früher verinnerlichten therapeutischen Beziehungsregel wird sie entspannter und freier in der therapeutischen Arbeit.
So dienlich es ist, „Beziehungskills“ in der Ausbildung zu lernen, so befreiend dürfte es sein,
Therapeuten auch in ihrem Mut zu unterstützen, Beziehungen so zu gestalten, wie es ihnen
einerseits als Personen entspricht und in dem dazugehörigen Selbstreflexionsprozess sich
darin kritisch-wohlwollend zu erforschen, v. a. im Hinblick auf die Auswirkung auf Patienten.
Hinsichtlich der Bewertung, ob das dabei erkannte (innere wie nach außen gezeigte) Denken,
Fühlen und Verhalten den üblichen Kriterien „guter“ Beziehungen entspricht, wäre diese
Wertung sekundär gegenüber der, ob dieses Denken, Fühlen, Verhalten Patienten zu
Veränderungen verhilft oder nicht. Die Begegnung mit tabuisierten Bereichen auf
Therapeutenseite wie Eifersucht, Angst, Neid, Zorn, Erfolgsdruck bedarf dann zunächst der
Erlaubnis ihrer Existenz wie ihrer Erforschung und kann manchmal zu daraus abgeleiteten
neuen Fragen und Intervention in der Therapie führen (etwa als Hypothese, eigene Gefühle
spiegeln auch solche auf Patientenseite: „Nehmen wir an, Sie wären eifersüchtig auf Ihre
Tochter: Würden Sie sich das überhaupt erlauben ...?“). Das Ziel dabei sollte für uns
Therapeuten natürlich stets das bleiben, uns in der Beziehung zu Patienten so (neu) zu
verhalten, dass für diese günstigere Bedingungen zu deren positiven Veränderungen
geschaffen werden. Von dieser Verantwortung können wir nicht freigesprochen werden.
Exkurs: Fallbeispiel aus einer Ausbildungsgruppe: Ein Kollege zeigt in der Gruppe ein Videoband einer Therapie. Die Beobachter finden ihn darin „entsetzlich“: Seine Patientin berichtet über körperliche Beschwerden / Lähmungen (nach organischer Abklärung „psychisch bedingt“). Sie wolle sich wieder „freier bewegen“ können und der Therapeut fragt nach einer konkreten Operationalisierung dieses Zieles (was würde sie dann tun, wem gegenüber, wie würde sie ihr Leben ändern usw.). Auf solche Fragen reagiert die Patientin einerseits um Antworten bemüht (verbal), anderseits gequält, leidend (nonverbal) – der Therapeut lässt aber trotz dieser nonverbalen Botschaft von seinen Fragen nicht ab. Hinsichtlich „Zielkonkretisierung“ schneidet er gut ab, hinsichtlich der Gestaltung einer Beziehung, in der sich der Patient wohl fühlt, nicht. Dieses Urteil der Gruppe hilft ihm nicht, weil sie ihn mit Blick
auf beziehungsorientierte Gebote verurteilt. Dienlicher war es, gemeinsam den Kontext dieser Therapiesitzung zu reflektieren und zu verstehen: Für wen wurde das Video gedreht? Was glaubte der Therapeut, nach welchen Kriterien er hier von Beobachtern beurteilt würde? In Bezug auf welche Moral oder Therapieschule ist es entsetzlich, einem Menschen quälende Fragen zu stellen? Welchen Kontext können wir uns ausdenken, in dem das widersprüchliche Verhalten der Patienten (einerseits leiden, stöhnen, weinen und anderseits die quälenden therapeutischen Fragen ohne offenen Protest hinzunehmen) sinnvoll erscheint? Welchem Auftrag folgt der Therapeut hierbei: Von ihm selbst, von seiner Therapieschule, vom institutionellen Kontext? Diese nicht urteilende Reflexion führt zur Hypothese, dass zwischen Therapeut und Patientin auf emotionaler Ebene der gleiche Kampf stattfindet wie ihn diese evtl. mit ihrer eigenen Symptomatik oder mit anderen Menschen erfährt. Es entstanden so neue Fragen des Therapeuten an die Patientin zu diesem Interaktionsmuster: Was getrauen Sie sich mir hier nicht zu sagen? Von wem in ihrem Leben fühlte sie sich gequält? Wer hat ihr Leid überhört? Auf wen wäre sie bei entsprechender Erlaubnis wütend? Diese Fragen öffnen neue Perspektiven – allerdings wissen wir nicht, wohin ein sich so selbstreflektierendes System / sich reflektierender Therapeut kommen wird. Mit anderen Worten: Eine nicht zweckorientierte Selbstreflexion (der therapeutischen Beziehung) kann nicht zweckgerichtet gestaltet werden, ohne dadurch wiederum sich einzuengen.
Fazit: So dienlich (vermeintlich objektive) Kriterien einer „guten“ Beziehung sind als
Orientierung, so befreiend und kreativitätsfördernd ist es, von der Kontextdeterminiertheit
jeder Beziehung auszugehen und diese ohne Ge- und Verbote zu beforschen als permanente
Möglichkeit, nicht als permanente Notwendigkeit.
Kriz: Lassen Sie mich gerade nach der letzten Äußerung von Herrn Lieb, der ich voll
zustimme, einen ergänzenden Einwurf machen: Obwohl Herr Lieb den Begriff „gestalten“
mehrfach sehr kritisch verwendet hat, bin ich ein ausgesprochener Liebhaber dieses Begriffs –
nicht zuletzt, weil ich seit über einem Jahrzehnt Mitherausgeber der Zeitschift „Gestalt
Theory“ bin: „Gestalt“ ist nämlich ein Konzept, das gerade die Kontextabhängigkeit als einen
zentralen Aspekt ins Zentrum rückt, diesem Aspekt aber einen zweiten gleichrangig zur Seite
stellt, nämlich die inhärenten Strukturierungsmöglichkeiten. Als Gesprächspsychotherapeut
würde man hier von „Aktualisierungstendenz“ sprechen. „Beziehung gestalten“ – wozu ich
mich explizit bekenne - bedeutet demnach eben nicht, deterministisch von außen bestimmte
Ordnungen und Strukturen einzuführen, sondern für solche Kontexte zu sorgen, die eine
weitere Entfaltung brach liegender Strukturen oder die Umstrukturierung dysfunktionaler
Muster ermöglichen. Das gilt auch für die Beziehung selbst: Ich kann sie nicht einseitig
bestimmen, aber ich kann Angebote machen, und zwar Patienten-spezifisch differenzierte!,
von denen ich hoffe, dass sie der Beziehung förderlich sind und tunlichst solche unterlassen,
von denen ich zur recht vermute, dass sie eher hinderlich oder gar schädlich sind.
PiD: Was heißt das: „Therapeutische Beziehung“? Wo ist der Unterschied zu einer
„normalen“ Beziehung?
Holm-Hadulla: Die therapeutische Beziehung umfasst das gesamte Netzwerk der sozialen,
emotionalen und kognitiven Beziehungen zwischen Patient und Therapeut. Sie findet in
einem sozial geregelten Ritual statt, wird durch kulturelle Herkunft, ethnische Zugehörigkeit,
Alter, persönliche Erfahrungen u.v.m. beider Teilnehmer geprägt. Sie ist
o kulturspezifisch
o persönlichkeitsspezifisch
o störungsspezifisch.
Unbewusste und bewusste Interaktionen bestimmen die jeweils besondere Gestaltung der
therapeutischen Beziehung.
Die therapeutische ist eine professionelle Beziehung, die sich von der „normalen“ durch
vielfältige Aspekte unterscheidet, z.B. eine emotionale und kognitive Asymmetrie: Der
Patient darf (fast) alle Emotionen und Kognitionen unkontrolliert äußern. Der Therapeut muss
sich an die folgenden ethischen Grundsätzen halten (s. Beauchamp und Childress 1989):
Schadensvermeidung
Respekt vor der Autonomie des Patienten
Verpflichtung zur Hilfe
Die fachliche Ausbildung und persönliche Entwicklung des Therapeuten führt zu
unterschiedlichem psychologischen und Erfahrungswissen, das der Therapeut kontrolliert in
einem hermeneutischen Prozess zur Weiterentwicklung des Patienten nutzt.
Lieb: Im Unterschied zu anderen Beziehungsformen, in denen Menschen sich gegenseitig
helfen, ist die therapeutische eine professionell geregelte Dienstleistung zwischen Anbieter
und Kunde. Ersterer erhält üblicherweise Geld dafür vom Kunden / Patienten oder von Dritten
(Rentenversicherer, Kassen). Die Beziehung ist zeitbegrenzt und endet bei erreichter
Zielsetzung oder bei dessen erkennbarer Nichterreichung. Sie ist asymmetrisch, insofern der
Fokus einseitig auf angestrebten Veränderungen des Patienten liegt. Verkehrt sich dies und
der Patient erkundet Belange / Probleme des Therapeuten oder dieser stellt ohne Relevanz für
Veränderungen bei Patienten seine Schwierigkeiten innerhalb oder außerhalb der Therapie in
den Mittelpunkt, werden therapierelevante Spielregeln verletzt. Die therapeutische
Dienstleistung ist strukturell / formal geregelt durch ein äußeres Setting (feste Termine,
Gespräche üblicherweise im Büro des Therapeuten, Rechnungstellung oder Abrechnung mit
Kostenträgern). Therapeuten unterliegen hierbei auch einem rechtlichen und moralischen
Codex (etwa keine Parallelität einer therapeutischen mit anderen Beziehungsformen
(Liebesbeziehung, Freundschaft, hierarchische Beziehung). Verletzen Therapeuten diesen
Codex (extrem: sexuelle Beziehung), können Patienten diese verklagen vor Gericht oder vor
beruflichen Kammern.
Hinsichtlich der binnentherapeutisch bearbeiteten Probleme ist die Therapie idealiter frei von
Interessenskonflikten: Therapeuten sollten kein persönliches Interesse daran haben, ob oder
wie sich ihre Patienten verändern („Veränderungsneutralität“) und müssen ggf. bei diesbzgl.
Involvierung ihre therapeutische Arbeit beenden oder Infrage stellen. Als bezahlte Experten
für Kommunikation / hilfeanbietende Dienstleistung sind Therapeuten – mehr als unbezahlte
nichtprofessionelle Helfer in anderen Beziehungsformen (etwa in Selbsthilfegruppen) – dafür
verantwortlich, flexibel ein dem jeweiligen Klienten passendes „Beziehungsangebot“ zu
machen und nicht dessen Anpassung an das eigene Angebotsmuster zu erwarten. Das muss
z. B. bei skeptisch-misstrauischen, um ihre Autonomie ringende Patienten anders aussehen als
bei autoritätsgläubigen, Ratschläge erwartenden, sich nach Führung sehnenden.
Sofern die Durchführung der Therapie von der Zustimmung / Finanzierung durch Dritte
abhängig ist (Rentenversicherer, Kassen, Gutachterverfahren), werden Therapeuten
potentielle Anwälte ihrer Klienten vor diesen Instanzen (etwa in Form von Therapieanträgen)
und auch Träger von Macht, wenn sie dabei Diagnosen oder Stellungnahmen Dritten
gegenüber vergeben, die das Leben eines Menschen nachhaltig prägen können (z. B. durch
die aktenkundige Diagnose einer „Persönlichkeitsstörung“). Die therapeutische Beziehung
einer vom Patienten selbst bezahlten Therapie unterscheidet sich daher grundsätzlich von
einer durch Dritte finanziell honorierten Dienstleistung und dies noch mehr, wenn die
Behandlung mit einer Art gutachterlicher Stellungnahme gegenüber Dritten endet (z. B.
hinsichtlich Arbeitsfähigkeit, Erziehungsfähigkeit oder etwa erfolgter oder misslungener
Zielerreichung gegenüber einem Richter bei der Arbeit mit Tätern).
In ihrer in der Regel auch von Patientenseite zugesprochenen Expertenrolle (gesellschaftlich
sanktioniert durch Titel („Psychologischer Psychotherapeut“ etc.)) entscheiden Therapeuten
darin autorisiert und anerkannt nicht nur darüber, worüber gesprochen und was erfragt wird,
sondern auch darüber, was nicht besprochen, gefragt oder aufgegriffen wird. Zu den
Merkmalen eines „guten“ Beziehungsangebotes von Therapeuten gehört daher der
transparente Umgang auch mit diesen Machtaspekten. Im binnentherapeutischen Geschehen
können unter der Machtperspektive Patienten all ihre kommunikativen Skills einsetzen, um
die Beziehung in ihrem Sinne zu „gestalten“; ihre objektive Macht liegt außerhalb der
Therapie, insofern sie bei therapeutischem Machtmissbrauch andere Instanzen anrufen
können. Auch wenn es üblich und nützlich ist, dass Therapeuten ihre Patienten auf deren
eigene Verantwortung für Veränderungen oder Stagnationen verweisen, haben sie ihnen und
ggf. auch Dritten gegenüber als Experten doch stets die Aufgabe, diesen Änderungsprozess zu
verantworten und sachkundig zu leiten – mit allen Vor- und Nachteilen damit korrelierender
Gewinne wie eventueller Rechtfertigungsnotstände.
Kriz: Der Unterschied zwischen einer therapeutischen Beziehung und einer „normalen“
Beziehung liegt für mich primär darin, dass die therapeutische Beziehung durch eine
professionelle Asymmetrie gekennzeichnet ist. In einer normalen Beziehung finden wir auf
beiden Seiten ähnliche Bedürfnisse hinsichtlich der Art, des Ausmaßes, der Struktur und der
Intensität der Zuwendung. Und auch Art und Ausmaß der persönlichen Befriedigung sind
ebenso hinreichend symmetrisch verteilt. Im Gegensatz dazu ist dies alles in der
therapeutischen Beziehung asymmetrisch verteilt. Der Patient soll beispielsweise ganz
sicherlich nicht der persönlichen Befriedigung des Therapeuten dienen: Genau für diese
Asymmetrie erhält der Therapeut eine finanzielle Entschädigung. Die Asymmetrie zeigt sich
aber auch in der Reflexivität: Als Therapeut will ich mich nicht nur in die Beziehung
einbringen, sondern vor allen Dingen jederzeit möglichst bewusst mitbekommen, wie die
Beziehungsprozesse zwischen den Patienten und mir gerade ablaufen. Nur so kann ich dies
angemessen zum Thema der Psychotherapie machen. Diese Asymmetrie gilt aber m. E. für
jeden herapeutischen Ansatz.
Für mich selbst gilt darüber hinaus, eine sehr klare Unterscheidung zwischen „persönlich“
und „privat“ zu ziehen: So möchte ich in der Therapie so persönlich wie möglich sein – d. h.
mich selbst mit meiner ganzen Person, meiner Biografie und auch meiner theoretisch-
intellektuellen Perspektive einbringen, und den Prozess im therapeutischen Raum auch vor
diesem Hintergrund mit reflektieren. Hierbei sollte aber – wieder ganz im Gegensatz zu einer
„normalen“ Beziehung – nichts Privates einfließen. Informationen beispielsweise über mein
privates Familienleben, meine eigene politische Anschauung etc. haben somit in einer
Therapie nichts zu suchen.
PiD: Was heißt „Therapeutische Beziehung“ aus der Sicht der von Ihnen vertretenen
Therapierichtung?
Holm: Aus schulenübergreifender Sicht stellt die Trias von Rogers (1957) immer noch eine
brauchbare Grundlage dar
Empathy
Unconditional Regard
Congruency
Ich würde sie folgendermaßen modifizieren:
Respektvolle Akzeptanz
Verständnisvolle Empathie
Positive Wertschätzung
Diese Basis ist jedoch nicht hinreichend, um die therapeutische Beziehung umfassend zu
charakterisieren. Insbesondere unbewusste Interaktionsprozesse bestimmen in wesentlichen
Phasen das Therapiegeschehen. Sie sind auch dem Therapeuten oft unbewusst. Zum
Verständnis und zur Handhabung dieser Interaktionsprozesse ist das psychoanalytische
Übertragungs-Gegenübertragungskonzept hilfreich
Kriz: Aus Sicht des Personzentrierten Ansatzes (eine Bezeichnung, die ich gern für die
Konzeption verwende und „Gesprächspsychotherapie“ eher auf das heilkundlichen Verfahren
beziehe) ist der Aspekt der „Aktualisierungstendenz“ besonders bedeutsam für die
therapeutische Beziehung: Mit diesem oft missverstandenen Konzept ist schlicht gemeint,
dass der Mensch entsprechend seinen evolutionär allgemeinen und genetisch spezifischen
Anlagen und in Relation zu den konkreten Möglichkeiten seiner Umgebung – insbesondere
auch der sozialen – in der realen Entwicklung eben nur bestimmte Aspekte aktualisiert. So
kann jemand auch bei entsprechenden Anlagen im realen Leben eben nicht gleichzeitig eine
hervorragender Zehnkämpfer, Geiger, Maler, Physiker, Psychologe etc. werden. Trotz seiner
Anlagen, die ihn zu einem großen Läufer machen würden, entscheidet er sich vielleicht,
Physiker zu werden, lässt gar seine läuferischen Anlagen verkümmern oder kann diese auch
auf Grund einer körperlichen Traumatisierung (z. B. eines Fahrradunfalls) nicht entwickeln.
Typischer und bedeutsamer für therapeutische Prozesse sind allerdings die spezifischen
Aktualisierungen der „Psyche“, wenn Sie mir diesen alten Begriff erlauben. Bei der
Aktualisierung des Selbst – also im Wesentlichen dessen, was wir reflexives Bewusstsein
nennen – sind bei der Geburt noch größere Teile nur potentiell aber nicht faktisch realisiert.
Dies geschieht erst in seiner Entwicklung danach. Der Mensch erwirbt somit seine
grundlegenden Strukturierungsprinzipien, mit denen er später Beziehungen zur Welt, zu
anderen Menschen und letztlich zu sich selbst aufnimmt, in hohem Maße in Interaktion mit
seiner sozialen Umwelt. Dies wird heutzutage im Rahmen der Bindungstheorie und der
Diskussion von Bindungstypen in Beziehung zu therapeutischen Prozessen eingehend
diskutiert. Bei ungünstigen Entwicklungen werden somit bestimmte Bindungsmuster –
Strukturen also, wie der Mensch Beziehung zur Welt und zu sich aufnimmt – und bestimmte,
von der Norm abweichende Repräsentationen seiner körperlichen Vorgänge im Selbst leider
nicht angemessen, sondern nur symptomatisch-leidvoll aktualisiert. In einer neu zu
gestaltenden Beziehung – was aus Sicht des Patienten ja immer für eine therapeutische
Beziehung gilt – kann er aus dieser Perspektive heraus diese neue Beziehung somit nur
aufgrund seiner biografisch aktualisierten Strukturierungsprinzipien gestalten. Neue
Situationen im Hier und Jetzt werden also aufgrund alter Strukturierungsprinzipien geformt.
Man kann von einer Art „Re-Inszenierung“ aktuellen Geschehens durch früh erworbene
Strukturierungsprinzipien sprechen.
Lieb: Ich bin vor allem durch die Verhaltenstherapie und die Systemtherapie geprägt. Der VT
verdanke ich eine Reihe fruchtbarer Beziehungsangebote für Patienten, v. a. die Transparenz
hinsichtlich Zieldefinition und Interventionsplanung und die Akzeptanz der mir als Therapeut
zugesprochenen Expertenrolle („medizinisches Modell“ – z. B. in Form der Präsentation einer
Diagnose und diesbzgl. Erklärungs- und Behandlungsmodelle). Die Verhaltenstherapie gibt
Therapeuten mehr Verantwortung für den Behandlungsprozess als die Systemtherapie. Diese
präferiert als ideales Beziehungsmodell heute eher den partnerschaftlichen Dialog, die
Gleichheit von Therapeut und Patient hinsichtlich Macht und Verantwortung und empfiehlt,
von defizit- und pathologieorientierten Konzepten und Diagnosen über Patienten aus der
Expertenrolle heraus Abstand zu nehmen und den Fokus auf die Autonomie und die
Ressourcen ihrer „Kunden“ (der Begriff Patient passt eigentlich nicht in das systemische
Denken) zu legen.
Ob und wie diese, hier etwas zugespitzt einander gegenübergestellte Beziehungsangebote –
Expertenrolle versus partnerschaftliche Kooperation – gelingen und wann sie hilfreich oder
blockierend sind, können Therapeuten nicht einseitig bestimmen / kontrollieren. Das hängt
davon ab, ob sie in den jeweiligen Kontext einer Therapie passen (z. B. in den einer von
einem Klienten selbstbezahlten Therapie Therapeuten oder in den einer vom
Rentenversicherungsträger dem Patienten auferlegten „psychosomatischen Kur“ bei ihm
zugeordneten Behandlern). Es dürfte zur hohen Kunst der „Beziehungsgestaltung“ gehören,
solche Beziehungsangebote mit dem Patienten zusammen daraufhin zu reflektieren, ob und
wie sie zum jeweiligen Kontext und zum Patienten passen. Zu diesem Kontext gehört
schließlich auch die Persönlichkeit und die Ausbildung des Therapeuten, der ja nicht jede
beliebige Form „anbieten“ kann, ohne sich dabei zu verleugnen.
PiD: Welche Dimensionen umfasst der Begriff der therapeutischen Beziehung in Ihrer
praktischen Arbeit? Welches ist für Sie der wichtigste Aspekt?
Kriz: Als Dimensionen für die Beschreibung der praktischen Arbeit hat der Personzentrierte
Ansatz bekanntlich die drei Aspekte „Empathie“, „unbedingte Wertschätzung“ und
„Kongruenz“ ins Zentrum seiner Theorie gestellt. Dies wird in der Literatur oft
versimplifiziert als „therapeutisches Basisverhalten“ dargestellt – etwas, das auch
Therapeuten anderer Richtungen sozusagen als Basisverhalten lernen müssten. Ich habe
zunächst gar nichts gegen eine solche Sprechweise, zeigt sie doch den inzwischen hohen
Verbreitungsgrad und die hohe Akzeptanz dieser grundlegenden Beziehungsaspekte des
Personzentrierten Ansatzes.
Vehement muss ich aber der Ansicht entgegentreten, dass ein so verstandenes
„Basisverhalten“ alles sei, was der Personzentrierte Ansatz zu bieten habe. Denn natürlich
gibt es auch andere „Basis-Erkenntnisse“ von anderen Therapierichtungen, die ebenfalls
bedeutsam und somit zu beachten sind, ohne dass sie diese Ansätze differenziert und
angemessen beschreiben würden. So ist Verhaltenstherapie eben mehr, als die „Basis-
Einsicht“ dass viele Symptome mit Lerngeschichten einhergehen, und dass Patienten
irgendetwas lernen und anderes verlernen müssen. Und psychodynamische Erfahrungen
beinhalten deutlich Differenzierteres als die „Basis-Erkenntnis“, dass vieles unbewusst abläuft
und bewusst gemacht werden muss, oder dass in der bereits erwähnten Beziehungsaufnahme
zu anderen und zu sich selbst frühere Beziehungsmuster übertragen werden usw. Und auch
der systemische Ansatz enthält wesentlich mehr, als die „Basis-Einsicht“, dass soziale
Interaktionsmuster einschließlich gemeinsamer narrativer Interpretationen oft symptomatisch-
leidvolles Geschehen gegenüber Veränderung stabilisieren.
Sieht man sich nun ein Konzept wie „Unbedingte Wertschätzung“ differenzierter an, so ist
damit eben keineswegs nur eine „freundlich zugewandte Haltung“ des Therapeuten gemeint,
die dem Patienten Vertrauen gibt. Vielmehr ist speziell gemeint, dem Patienten durch
unbedingte Wertschätzung erfahrbar zu machen, dass seine leidvollen
Strukturierungsprinzipien sehr oft etwas mit nur bedingter Wertschätzung zu tun hatten.
Therapeut und Patient arbeiten somit gemeinsam an der Herausarbeitung jener Strukturen,
welche jene einschränkenden Bedingungen widerspiegeln, unter denen der Patient gelernt hat,
Wertschätzung (oder ein Surrogat davon) zu erreichen: Beispielsweise unter Verleugnung
oder Umdeutung bestimmter eigener Affekte, unter schlechter Kompromissbildung
bestimmter konfligierender Bedürfnisse und Tendenzen usw. Ich kann dies hier im einzelnen
jetzt nicht ausführen, aber es wird an diesem kleinen Beispiel wohl deutlich, dass in einer
Therapieform, die in hohem Maße mit dem Beziehungsangebot arbeitet, wie der
Personzentrierte Ansatz, diese so genannten „Basisvariablen“ in Wirklichkeit und in der
konkreten therapeutischen Arbeit sowohl theoretisch als vor allen Dingen auch praktisch hoch
ausdifferenziert sind.
Lieb: Binnentherapeutisch wird das Beziehungsgeschehen durch die ständige Parallelität und
die gegenseitige Beeinflussung der Inhalts- und der Beziehungsebene im „System Therapie“
geprägt. Auf der Inhaltsebene geht es mir, metaphorisch gesprochen, darum, als „Coach“ an
der Seite des Patienten mit diesem auf sein Problem, seine Symptomatik bzw. seine Ziele zu
blicken, um diese zu verstehen bzw. zu erreichen. Auf der Beziehungsebene können wir beide
uns darin wohlfühlen, gegenseitig bestärken und loben (tut auch mir als Therapeut gut!) oder
auch in Probleme miteinander geraten, was dann immer mit Beziehungssymptomen beim
Patienten, bei mir oder zwischen uns einhergeht (bei mir z. B. Ungeduld, Verwirrung,
Langeweile, Veränderungsdruck, Ärger, Angst zu versagen usw.; beim Patienten vielleicht
Schuldgefühle mir gegenüber, wenn er sich nicht wie erhofft verändert trotz meiner diesbzgl.
Bemühungen, Angst vor Entwertung, Enttäuschung, therapiezieluntaugliche Bewunderung
meiner Person, Unpünktlichkeit, Termine vergessen usw.; in der Beziehung: Ja-Aber-
Kommunikation; unproduktive Themenwiederholungen; Expertenkillerdynamik, extreme
Redezeitdifferenzen, symmetrische Eskalationen (etwa des Rechthabenwollens) oder
lähmende Komplementarität (etwa in Form einer Helfer-Hilflosen-Interaktion) usw.). Wichtig
ist, dass es immer beide Ebenen (Inhalt, Beziehung) gibt und diese sich gegenseitig
beeinflussen.
Beide Ebenen wiederum sind in einem die Möglichkeiten der diesbzgl. bewussten Reflexion
prinzipiell übersteigendem Maße kontextdeterminiert. Die aus meinen Therapieschulen
stammenden Techniken z. B. formen das binnentherapeutische Beziehungsgefüge (in der VT
z. B. die Durchführung einer Exposition „vor Ort“, die eine sonst selten realisierte
Beziehungsform von Vertrauen, Beistand und Intimität schafft; in der Systemtherapie z. B.
die zirkulären Fragen, die eine immer wieder verfremdende Form von Nähe und Distanz
zugleich etablieren). Und schließlich sind beide Ebenen (Inhalt / Beziehung) von
Kontexterwartungen mitgeprägt (etwa von Zuweisern, Kostenträgern, Supervisoren), die mich
ebenso wie meinen Patienten beflügeln, unter Druck setzen oder zur inneren Rebellion
dagegen verführen können. Und schließlich sitzt ja immer mindestens eine Therapieschule
mit im Raum mit ihren inhalts- und beziehungsbezogenen do’s und dont’s. Im Selfmonitoring
oder in der Supervision bemühe ich mich dann um eine Reflexion / ggf. Veränderung dieser
Inhalts- und Beziehungsebene, wenn es darin jeweils therapiezielhindernde Symptome bei
mir, auf Patientenseite oder in der Beziehung gibt (ausbleibende Veränderungen oder o. g.
Beziehungssymptome).
Holm: Die verschiedenen Elemente sind je nach Kultur, Person, Störung und Therapiephase
von unterschiedlicher Bedeutung (s. Holm-Hadulla, in: Senf/Broda: Lehrbuch … 2004).
PiD: Ist das „Übertragungs- Gegenübertragungskonzept“ der Psychoanalyse auch für
die anderen therapeutischen Richtungen ein hilfreiches Arbeitsmittel? In wie weit spielt
es in Ihren Therapien eine Rolle und wird von Ihnen bewusst eingesetzt?
Lieb: Als permanente Notwendigkeit: Nein. Als permanente Möglichkeit: Ja. Da konzeptuell
ich ein „Coaching“-Modell bevorzuge (Patient und Therapeut Seite an Seite mit Blick auf
Problem / Ziel / Weg dort hin), erscheint mir eine ständige Beziehungsreflexion oder gar der
primäre Fokus auf die binnentherapeutische Beziehung untauglich, weil es der Beziehung
Vorrang gibt vor der am Problem des Patienten orientierten inhaltlichen Arbeit. Reflektiere
ich mit mir selbst, mit Supervisoren oder auch einmal mit dem Patienten meine Beziehung zu
diesem / von ihm zu mir, gehe ich (systemisch) davon aus, dass beide „übertragen und
gegenübertragen“: Für meine Gefühle und Projektionen bin ich selbst verantwortlich und
nicht mein Gegenüber.
Holm: Ja, aber mit Vorsicht! In der Regel arbeiten andere Therapieverfahren aber auch die
psychodynamischen Beratungen und Kurztherapien sowie die tiefenpsychologisch fundierte
Psychotherapie „mit der Übertragung“ aber nicht „in der Übertragung“. D. h., Übertragungs-
und Gegenübertragungsmanifestationen werden beachtet aber es wird keine
Übertragungsneurose durch Fokussierung der Deutungen auf die – unbewusste – Beziehung
zwischen Patient und Therapeut begünstigt.
Kriz: Auch wenn das „Übertragungs- und Gegenübertragungskonzept“ der Psychoanalyse
nicht so explizit im Personzentrierten Ansatz vorkommt, so ist aus dem Vorausgegangenen
wohl deutlich geworden, dass ich damit keinerlei Schwierigkeiten habe: Die Gestaltung der
Beziehung im Hier und Jetzt aufgrund früh erworbener Strukturierungsprinzipien ist, soweit
ich sehe, ziemlich genau das, was Analytiker auch mit Übertragung meinen. Und es ist auch
leicht einzusehen, dass diese Strukturierungsprinzipien etwa im Setting der Analyse – aber
auch dem der GT – deutlicher werden, weil wenig vorstrukturiert ist, als etwa in der von
außen bereits stark vorstrukturierten Situation der Abgabe einer Steuererklärung beim
Finanzamt.
Ebenso wird die „Gegenübertragung“ – also die möglichst nicht-neurotische Reaktion des
Therapeuten auf die Übertragung – m. E. recht gut in dem Aspekt der „Kongruenz“ des
Therapeuten im Personzentrierten Ansatz thematisiert: Im Personzentrierten Ansatz wird in
diesem Zusammenhang von reaktiver Inkongruenz des Therapeuten gesprochen, die dessen
Fähigkeit zur Empathie und der bedingungsfreien Wertschätzung in spezifischer Weise und
situationsbezogen beeinträchtigt. Im Verstehen dieser reaktiven Inkongruenz liegt dann in der
Regel auch der Schlüssel zu einem besseren Verstehen des Patienten.
PiD: Ein Standardsatz in Therapieanträgen heißt: „Herstellen einer guten therapeutischen
Beziehung“, was heißt das?
Kriz: Gemäß dem bisher Gesagten geht es vor allen Dingen um die Beachtung der
bedingungslosen Wertschätzung. Das bedeutet konkret, dass sich der Therapeut insbesondere
nicht unreflektiert in das Bedingungsgefüge einspannen lässt, dass der Patient aufgrund seiner
bisherigen Erfahrung anbietet, um eben bedingte Wertschätzung zu erhalten. Vielmehr geht es
darum, dieses Beziehungsangebot des Patienten in seiner Struktur und in seinen
Einschränkungen verstehbar und bewusst zu machen. Entsprechend der spezifischen Struktur
der Symptome kann dabei das Beziehungsangebot des Therapeuten sehr unterschiedlich
aussehen: So ist etwa bei psychosomatischen Patienten zu beachten, dass deren mangelnde
Bezugsnahme auf die eigenen Vorgänge (und oft nicht mal das Vorhandensein einer Einsicht
in diese Defizite) den Patienten nicht mit einer zu „engen“ Beziehung und einem zu tief
gehenden Verständnis quasi „überfährt“. Bei einem Borderline-Patienten geht es
beispielsweise in der Art der Beziehungsgestaltung darum, dem Aspekt Rechnung zu tragen,
dass sinngemäß oft zunächst vom Patienten geäußert wird „ich höre, was Sie sagen, aber ich
merke, dass ich das irgendwie nicht wirklich annehmen und glauben kann“. Bei einem
psychotischen Patienten wäre beispielsweise zu beachten, dass ein hohes Ausmaß an
Verstehen zwischen Therapeut und Patient, das gewissermaßen Züge einer „Privat-
Verstehens-Welt“ annehmen kann, zwar über einen langen Zeitraum der Therapie sehr
hilfreich sein kann, dass es aber gegen Ende der Therapie wesentlich darauf ankommt, dass
der Patient auch lernt, sich nicht nur dem Therapeuten gegenüber, sondern auch der
Allgemeinheit gegenüber verstehbar „zur Sprache zu bringen“.
Ich habe diese drei (stark verkürzten und übertypisierten) Beispiele gewählt, um deutlich zu
machen, dass das Verstehen je nach Patient sehr unterschiedlich sein kann – bzw. wenn man
es bevorzugt, in Patienten-Klassen zu denken: dass es „störungsspezifisch“ zu gestalten ist.
Holm: Der Patient fühlt sich respektiert, empathisch begleitet und wert geschätzt. Er findet
einen vertrauensvollen Raum zur Aussprache, der sukzessive zu einem „Spielraum“ für
persönliche Entwicklung wird.
Der Therapeut hat das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und innerlich lebendig zu sein.
Lieb: Ich halte die konzeptuelle / zeitliche Trennung zwischen der „Herstellung einer guten
Beziehung“ und der „eigentlichen“ therapeutischen Arbeit vor eingangs geschildertem
Hintergrund für nicht möglich und letztlich für hinderlich. Die Beziehung kann nicht zuerst
hergestellt werden, um sie dann für die Veränderungsarbeit zu nutzen. Die therapeutische
Orientierung auf Möglichkeiten der Veränderung ist die primäre Form der Beziehung. Sie ist
als „therapeutische“ schon vor der ersten Begegnung gegeben: Durch die verschiedenen
Rollen von Patient und Therapeut mit den darin enthaltenen Motiven, Hoffnungen und
Befürchtungen, durch die gegenseitigen dadurch geprägten Erwartungen und auch durch
personspezifische Vorinformationen übereinander. (Auf Patientenseite macht es z. B. einen
„Beziehungs“-Unterschied, ob er über mich denkt: „Sie sind mir sehr empfohlen worden“
oder „Man hat mich vor Ihnen gewarnt“; für mich einen ebensolchen, ob ich über einen
Patienten denke „Da kommt ein typischer ‚Agoraphobiker’ “ oder „... da kommt ein schwer
gestörter und bisher erfolglos ‚therapierter Borderliner’ “.)
Die Therapie sollte sich meines Erachtens nach Möglichkeit vom ersten Moment an primär
der Inhaltsebene dieser Beziehung zuwenden: Problemerfassung, Zielfindung, Evaluation
bisheriger Lösungsversuche, Suche nach neuen Problemlösemöglichkeiten. Alles, was diese
problem- und zielorientierte therapeutische Allianz fördert, ist dann „gut“, was davon ablenkt,
„schlecht“. Die Orientierung an vermeintlich objektiven, universal gültigen Beziehungsregeln
ist in der Regel hilfreich: Rollenklärung, Zielabsprache, Transparenz, Klärung von
Erwartungen, Schaffen von Vertrauen und von Bereitschaft, Neues zu erproben,
wohlwollend-bedingungsfreies Akzeptieren des Patienten usw. Richtet aber ein Therapeut
sein Verhalten möglicherweise primär danach aus, diese Kriterien einer guten Beziehung zu
erfüllen, lenkt ihn dies von seiner inhaltlichen Hauptaufgabe – die Arbeit mit dem Patienten
am Problem und dessen Veränderung – ab. Das kann ihn lähmen – im Extrem fühlen sich
dann beide wohl in der Beziehung, aber „es tut sich nichts“.
Fallbeispiel: Ein Patient befindet sich wegen depressiver Zustände und Libidoverlust bei mir
in Behandlung. Alle therapeutische Arbeit verläuft nach dem gleichen Muster: Zuerst eine
lebendige fruchtbringende Problemanalyse mit Ideen zur Veränderung – und dann
„versandet“ das Thema (zuletzt bezogen auf seine sexuellen Ängste und seine diesbzgl.
Aversionen). Mein Patient zeigt sich – trotzdem – zufrieden mit unserer Arbeit, ich bin es
nicht. Ich „verschlechtere“ unser Wohlbefinden, indem ich meine Unzufriedenheit mit diesem
Prozess zum Ausdruck bringe, was ihn sichtlich irritiert und hinsichtlich des Fortbestandes
unserer therapeutischen Beziehung auch ängstigt. Dem Ziel, ihm bei mir Sicherheit und
Vertrauen zu vermitteln, arbeite ich also zunächst entgegen. Die Analyse unseres
„Versandungsprozesses“ erweist sich aber als fruchtbar: Er stimmt dieser Beschreibung zu
und wir finden den Sinn dafür (seine Abneigung gegen eigentlich von anderen von ihm
erwarteten, in der Therapie bisher verfolgten Veränderungen), entwickeln alternative
Therapieziele (sich etwa in Sachen Sex dazu zu bekennen, dass er das (zumindest im
Moment) nicht brauche und sich so seiner Partnerin zumuten möchte). Dieser Ansatz
energetisiert ihn (und mich neu) – er versandet in den nächsten Stunden nicht.
Das Kriterium einer „guten“ Therapiebeziehung ist aus dieser Sicht nicht die Realisierung
empirisch validierter „Beziehungsvariablen“, sondern die darin ermöglichte Veränderung /
Problemlösung bei Patienten. Die Frage, wie wohl man sich darin fühlt, ist wichtig, aber nicht
entscheidend. Die Orientierung an Kriterien einer „guten“ Beziehung kann sogar zur Falle
werden, wenn wir dadurch den Veränderungsprozess belebende ungute Gefühle bei Patienten
(oder bei uns selbst) zu erzeugen nicht riskieren und dafür das Geschäft der Ermöglichung
einer Veränderungsoption hinten anstellen.
Fallbeispiel: Eine 45jährige Patientin kommt auf Empfehlung einer Kollegin, die deren
Ehemann behandelt. Sie leidet verzweifelt an ihrer Ehe, da er sich seit längerer Zeit eine
Geliebte und ihren Protest dagegen für „krankhaft eifersüchtig“ hält. Meine Klientin beklagt
sich bei mir über ihn v. a. vor dem Hintergrund, dass sie damit in ihrer
Partnerschaftsgeschichte zum dritten mal verlassen oder betrogen worden sei. In der dritten
Sitzung konfrontiere ich sie damit, dass dieses Klagen (das sie auch ihm ständig vortrage) bei
allem Verständnis meinerseits dafür im Grunde zu nichts neuem führe (da es ihn ja nicht
ändere) und wir, damit sie am Ende von der Therapie profitiere, eines neuen Elementes in der
Therapie bedürfen. Sie ist darüber zuerst ziemlich irritiert, stimmt dann aber (nach
Verständnisäußerung meinerseits für ihr Klagen) zu. Wir finden dann ein für sie (wie mich)
hoffnungsgenerierendes neues Element: Die Suche nach dem ihr verlorengegangenen „Stolz“
als Frau („Den habe ich mir von Männern abkaufen lassen.“). Daraus leitet sie dann von ihr
allein erreichbare Ziele ab, in deren Verfolgung sie nicht mehr vom Partner abhängig ist („Ich
richte mir jetzt zuallererst mein eigenes Zimmer in unserem Haus ein und kaufe mir dafür ein
ganz besonderes Sofa!“). Auch hier war diese Wende zu von der Patientin machbaren
Veränderungen eingeleitet durch eine das Wohlbefinden in der Therapiebeziehung riskierende
Konfrontation meinerseits. Hätte ich das vermieden mit Blick auf beziehungsorientierte
Wohlbefindenskriterien, hätte ich mich angesichts ihrer persistierenden Klagen vielleicht
innerlich davon zurückgezogen und vor allem meine Verantwortung, ihr zu machbaren
Veränderungen zu verhelfen, zurückgestellt. Ich weiß aber nie, wie ein Patient solche
interaktionellen „Verstörungen“ beantwortet!
Ich „demonstriere“ diese Haltung des Primates der Inhaltsebene (Therapie als Entwicklung
von Optionen zu Veränderungen) nach Möglichkeit schon sehr früh und präge dadurch auch
die Beziehung: Ich frage sehr konkret nach Problemen, Verhalten, Zielen usw.: Ich
unterbreche auch, wenn mir ein Patient zu unkonkret oder zu ausschweifend wird (und
erkundige mich ggf. auf der Beziehungsebene, ob ihn diese Unterbrechungen stören). Ich
nehme dabei eine aktive Rolle ein und scheue mich auch nicht, konkrete Ratschläge zu geben
oder Patienten damit zu konfrontieren, dass bestimmte Verhaltensweisen dem von ihnen
angestrebten Ziel entgegenstehen (Beispiel: Einen Mann damit zu konfrontieren, dass er mit
seinem Verhalten seiner Frau gegenüber das verhindert, was er bei ihr und für sich erreichen
möchte.) Da ich in dieser Orientierung an Veränderungen für manche Patienten zu schnell
bin, frage ich gelegentlich nach, ob sie bei mir unter „Veränderungsdruck“ stehen und
„erlaube“ mir und dem Patienten dann, auf ein anderes Tempo umzuschalten. Zur
„Beziehungsgestaltung“ gehört es im Pendant dazu natürlich oft, die Veränderungen dadurch
zu ermöglichen, dass ich mich auf die Seite der Nichtveränderung stelle (- v. a. wenn
Patienten sich selbst schon unter Veränderungsdruck stellen oder von anderen gestellt
werden). Dann ist Erlaubnis zu oder Verschreibung der Nichtänderung eine Änderung.
PiD: Wann sprechen Sie von einer „guten“ therapeutischen Beziehung, wann von einer
„schlechten“?
Kriz: Eine gute Beziehung soll vor allen Dingen gewährleisten, dass der Patient Sicherheit in
den Prozessen der Destabilisierung empfindet. Die strukturelle Veränderung der
symptomatischen Prozesse bedeutet ja immer eine Destabilisierung der leidvollen aber eben
auch bekannten und damit Sicherheit bietenden Muster. Auf eine solche Destabilisierung
kann sich der Patient nur in einem gleichzeitig stabilen, sicheren und vertrauensvollen
Rahmen einlassen. Ist dies nicht gewährleistet, so würde ich von einer schlechten
therapeutischen Beziehung reden – für die es im Detail aber viele aufzuzählende Varianten
gibt.
PiD: Wie stellen Sie diese Therapiebeziehung her? Welche Elemente verwenden Sie im
verbalen und nonverbalen Ausdruck?
Holm: Versuch freundlich-respektvoll, präsent-empathisch und positiv wertschätzend zu sein.
Dies gilt insbesondere bei einem eher konfrontierenden oder destruktive Emotionen und
Kognitionen des Patienten ansprechenden Vorgehen.
Kriz: Wichtig für das Herstellen einer therapeutischen Beziehung sind zunächst einmal
äußere Rahmenbedingungen, wie etwa eine genaue Klärung des Auftrages, der gewünschten
Veränderung etc. Sehr wichtig scheint mir auch der Unterschied zu sein zwischen „echt sein“
und sich „echt verhalten“. Ich meine damit, dass eine therapeutische Beziehung weit über
erlernbare Technik hinausgeht – sie hat, zumindest aus Personzentrierter Sicht, sehr viel mit
der durch eine Eigentherapie erreichten Selbstreflexion des Therapeuten zu tun.
PiD: Wie gestalten Sie Ihr Interaktionsverhalten in Bezug auf Nachfragen, Präzisieren
oder Verstehen am Anfang der Therapie? Wie viel Platz und Raum lassen Sie dem/r
PatientIn?
Worauf legen Sie besonderen Wert in der Initialphase einer therapeutischen Beziehung?
Kriz: Vieles im Interaktionsverhalten lässt sich bereits durch ein „Merkblatt“ von vornherein
klären. Dass der Personzentrierte Ansatz „nicht-direktiv“ ist, bezieht sich ja nur auf die
Vorgabe von inhaltlichen Zielen (selbst wenn diese vielleicht gemeinsam erarbeitet wurden).
Ansonsten ist der Personzentrierte Ansatz ja recht direktiv: Es geht weit weniger um die
konkreten Inhalte von dem, was der Patient sagt, als vielmehr darum, „wie es jemandem geht,
dass er das sagt, was er sagt“. Das heißt, es geht um die Gefühle um Bewertungen, die mit
seinen Äußerungen und seiner Beziehungsgestaltung im Zusammenhang stehen. Nach meiner
Erfahrung schadet es nichts, dem Patienten diese Arbeitsweise zu Beginn der Therapie
explizit klar zu machen.
In der Initialphase einer Therapie wird besonders deutlich, ob ein Arbeitsbündnis zwischen
Therapeut und Patient möglich ist. Dazu gehört auch, dass beispielsweise das Bemühen um
Verstehen seitens des Therapeuten vom Patienten zumindest partiell wahrgenommen werden
kann. Wird der Therapeut beispielsweise aufgrund der biografischen Vergangenheit des
Patienten als „feindselig“ erlebt, ohne dass dieses Erleben selbst zum Gegenstand gemacht
werden und vom Patienten verstanden werden kann, so wäre beispielsweise eine
Personzentrierte Psychotherapie nicht indiziert.
Holm: Ermutigung zum Sprechen durch einladendes Fragen und aufmerksames Interesse.
„Den Patienten dort abholen, wo er herkommt und steht“.
Dass ein Spielraum zur Selbstaktualisierung entsteht.
PiD: Wie beenden Sie therapeutische Beziehungen? Wie endgültig ist die Beendigung?
Welches sind die Gründe, die das eigene Loslassen von einer therapeutischen Beziehung
erschweren?
Lieb: Ich bemühe mich – in meinem ambulanten Setting – vom ersten Moment an, mich als
den Therapeuten zu zeigen, den meine Patienten im Falle einer Fortführung der Therapie
haben werden (aktiv, Veränderungsmöglichkeiten auslotend, günstige oder ungünstige
therapeutische Vorerfahrungen des Patienten einbeziehend). Ich lege Wert darauf, dass auch
Patienten mich zu Beginn der Therapie befragen, um herauszufinden, mit wem sie es zu tun
haben werden. Ich betone, dass wir beide uns nach der ersten Sitzung entscheiden dürfen und
müssen, ob wir die Zusammenarbeit aufnehmen und Hoffnung in den Nutzen weiterer
Sitzungen haben oder was dem ggf. noch entgegensteht. Ich stelle Therapie als gemeinsames
Unternehmen (Coaching-Modell) dar, dessen Ausgang von einer gelungenen Kooperation
abhängt. Manchmal frage ich, was ich tun müsste, damit mein Patient abbricht oder sich hier
unwohl fühlt; ich vereinbare in der Regel (Cave: nicht immer, da dies Patienten auch
dysfunktional unter Druck setzen kann) bilanzierende Sitzungen. Ich versuche von Anfang an,
das Beziehungsverhalten meiner Patienten positiv zu deuten (etwa den mir oder der Therapie
gegenüber geäußerten Zweifel als Zeichen kritischer Mitarbeit). In der Regel wage ich schon
in der ersten Sitzung kleine Interventionen, gebe Beobachtungs- oder kleine
Veränderungsaufgaben. Nach jeder ersten Sitzung frage ich, wie es meinem Patienten mit mir
und meinem therapeutischen Stil geht.
Das Ende der Therapie steht von Anfang an mit im Raum oder wird von mir immer wieder
angesprochen: Wie viele Stunden haben wir noch (bei kassenseitig bewilligten Kontingenten)
bzw. werden wir wohl noch benötigen? Wie viel Prozent der Therapieziele sind erreicht, was
fehlt noch? Was haben wir bisher vielleicht übersehen? Ich beende eine therapeutische
Beziehung heute selten „endgültig“ – viele Patienten sind froh, zu wissen, dass sie sich ggf. in
Not wieder melden können. Eine „kassenseitig finanzierte Therapie“ beendige ich manchmal
vor Ablauf des offiziellen Kontingentes, wenn keine „krankheitswertige Symptomatik“ mehr
vorliegt mit dem Verweis auf die Möglichkeit, dass der Patient auf eigene Kosten die
Beratung fortsetzen kann. Ebenso schwierig (v. a. wenn der Patient anders darüber denkt) wie
wichtig ist es mir, die Möglichkeit der Beendigung einer Therapie anzusprechen oder
vorzuschlagen, wenn ich selbst nicht mehr daran glaube, weiter hilfreich sein zu können. Ich
habe in den letzten Jahren (als veränderungsorientiert manchmal ungeduldiger Therapeut)
gelernt, dass bestimmte Patienten eine lange Therapie, manchmal über 80 Stunden hinaus
benötigen.
Wenn Patienten die Therapie abbrechen (wollen), lege ich Wert auf ein „abschließendes
Gespräch“ und lade ggf. nochmals dazu ein. Mir ist es wichtig, dass in diesem Falle beide in
Würde voneinander loslassen können. Dabei sollte Kritik („Was hat Ihnen bei mir gefehlt –
was habe ich vielleicht nicht verstanden“) ebenso Platz haben wie eine Würdigung beider
Seiten für das jeweilige Bemühen um Zusammenarbeit und um Ausloten von
Veränderungsoptionen. Wenn das nicht gelingt, muss ich einseitig loslassen. Den Extremfall
einer Beendigung durch Suizid auf Patientenseite musste ich bisher noch nicht erfahren.
Holm: Zusammenfassung des Erreichten bzw. nicht Erreichten auf einer intellektuellen
Ebene, um die Beziehung wieder zu versachlichen und zu entidealisieren bzw. zu
entemotionalisieren, damit eine klare Trennung möglich ist. Je nach Person und
Therapieverfahren muss die Trennung nicht endgültig sein. Wichtig ist ein dosierter
„Abnabelungsprozess“.
Kriz: Zur Beendigung von Therapien hatten wir gerade in Osnabrück eine Dissertation
laufen, die gezeigt hat, dass es über diesen wichtigen Punkt erstaunlich wenig Forschung gibt.
Es gibt bei unterschiedlichen Therapeuten ganz unterschiedliche Erfahrungen und Bilder
davon, wie eine Therapie beendet werden sollte. Vielleicht wird dies – ähnlich wie der Tod
und andere bedeutsame Abschiede im realen Leben – allzu sehr auch aus den theoretischen
Erörterungen über Psychotherapie „verdrängt“. Typischerweise – und so geht es mir auch –
wird die Therapie neben der Bearbeitung der Bedeutung des Themas „Abschied“ für den
Patienten durch eine Art „Ausdünnen“ der Sitzungsfrequenz beendet. Gerade was die
Beendigung von Psychotherapien betrifft, scheint mir noch viel Forschungsarbeit notwendig
zu sein.
PiD: Welche Rolle spielen Alter, Geschlecht und sozialer Status in der therapeutischen
Beziehung? Wie wirken sich hier deutliche Unterschiede zwischen TherapeutIn und
PatientIn oder starke Ähnlichkeiten aus?
Holm: Alles hat seine Vor- und Nachteil. Effekte des Altersunterschieds, Geschlechts,
sozialen Status müssen zumindest vom Therapeuten immer reflektiert werden, können jedoch
auch häufig mit dem Patienten thematisiert werden. Auch große Unterschiede bzw.
Ähnlichkeiten zwischen Patient und Therapeut können wesentliche Ingredienzien der Arbeit
sein, müssen jedoch immer bedacht werden und bestimmen auch die Therapietechnik
Kriz: Gerade das Geschlecht spielt in der therapeutischen Beziehung eine große Rolle. Da
dies aber relativ differenziert wirkt, lassen sich allerdings nicht einfach Klassifikationen
bilden – etwa nach dem Muster: „Für eine Frau ist prinzipiell eine Frau die beste
Therapeutin“. Auch hier würde mehr differenzierte Forschung dirngend erfoderlich sein – und
den manchmal plakativen Einfach-Lösungen, wem was und wer gut tut, die Komplexität der
realen Therapie auch in dieser Hinsicht entgegenhalten.
Lieb: Der Dialog zwischen Menschen, auch der therapeutische, lebt von Unterschieden.
Andererseits bedeutet m. E. Verstehen des anderen, dass dieser vor dem Hintergrund der
eigenen Erfahrungen gesehen wird. Wird der Unterschied im Erfahrungshorizont zu groß,
wird Verstehen deshalb schwierig und ich tue mir schwer. Eine ca. 22jährige Patientin hat die
Therapie bei mir beendet, nachdem ich mich kritisch ihrem Drogenkonsum (Cannabis +
Extacy) gegenüber geäußert hatte, während sie diesen heute normal und mich zu konservativ
finde. Ich habe Probleme mit älteren Menschen, wenn diese, ihr Leben negativ bilanzierend,
keine Hoffnung mehr sehen, die Therapie allein zum frustrierenden Klagen über ihr Leben
oder ihre Angehörigen wird und mein Versuch, das zu verstehen und zu würdigen zu keinerlei
Veränderung in ihrem Denken, Fühlen oder Verhalten und Leiden innerhalb oder außerhalb
der Therapie führt. Ich bin vermutlich bei jugendlichen / jüngeren Patienten und deutlich
älteren zu gehemmt, empathisches Verstehen mit konfrontierender Herausforderung zu
verbinden – das Salz in der Suppe meiner Therapien.
Hinsichtlich des „Gender“-Unterschiedes gehe ich von der für viele Therapeuten wohl
provozierenden These aus, dass Männer und Frauen sich in ihren geschlechtsspezifischen
Erfahrungen letztlich gar nicht verstehen können, weil sie in diesen „Rollen“ nie auf
gemeinsame Erfahrungen zurückgreifen können. Ich verdanke dieser „Erkenntnis“, dass ich
als Mann nur männlich denken kann und dies auch vertreten darf und muss. Das macht mich
frei, Gender-Fragen in der Therapie aktiv anzusprechen – sowohl in der
binnentherapeutischen Beziehung wie im Klientensystem: „Welche Rolle spielt es, dass Sie es
hier mit mir als Mann zu tun haben?“ Oder im Paarsystem: „Welche Auswirkung hat es auf
Ihre Beziehung, dass der Mann das Geld verdient und im Falle einer Trennung besser
dastünde und die Frau die Macht der Anklägerin (oder der sexuellen Unlust) hat?“ Ich stelle
keine intimen Fragen zur Sexualität bei Frauen, wohl aber an Männer, wenn es zur Therapie
gehört. Ich werde innerlich „hellhörig“, wenn ich in der Arbeit mit Männern bei deren
Konflikten mit ihren Frauen zum „Kumpel“ zu werden Gefahr laufe und sie darin weder mit
ihrer Art von Gewalt in der Beziehung konfrontiere noch in Kontakt komme mit ihren tiefen
Sehnsüchten, auch von einem Mann geliebt zu werden. Meine „Gender-Glocken“ läuten
auch, wenn ich mich in der Arbeit mit einer sich über ihren Partner beklagenden Frau in der
Rolle des Konkurrenten zu ihrem Mann sehe oder von dieser gesehen wähne, der sie besser
verstehe als dieser. Spätestens dann lade ich diesen in die Therapie mit ein.
PiD: Mit welchen PatientInnen lehnen Sie eine Arbeit aus Gründen, die in der
therapeutischen Beziehung liegen, ab?
Holm: Faule, d.h. ihre Mitmenschen entwertende, (subtil) sado-masochistische Patienten.
Kriz: Wie oben schon gesagt, wäre ein klarer Ablehnungsgrund, wenn in den ersten
probatorischen Sitzungen deutlich wird, dass die unbedingte Wertschätzung und das
Bemühen um Verstehen seitens des Therapeuten vom Patienten, aus welchen Gründen auch
immer, nicht erfahren werden kann. Überhaupt scheinen mir die probatorischen Sitzungen
eine gute und wichtige Einrichtung zu sein, wobei man auch viel häufiger als es mir real
vorzukommen scheint, die Konsequenz ziehen sollte, mit dem Patienten nach den ersten fünf
Sitzungen gemeinsam die therapeutische Beziehung und deren Entwicklung zu reflektieren
und ggf. darüber nachzudenken, ob die Überweisung an eine Kollegin oder einen Kollegen
nicht ratsam wäre.
Lieb: Die Ablehnung oder einseitige Beendigung einer Therapie durch Therapeuten bedarf
immer einer besonderen Legitimation. Deren klarere und leichtere Begründungsvariante
besteht darin, dass die Therapieziele erreicht sind oder keine begründete Hoffnung mehr
besteht, sie in dieser Therapie noch erreichen zu können („Inhaltsgründe“). Ich selbst habe die
Therapie mit einer Patientin beendet und sie an eine Kollegin weiterempfohlen, weil wir beide
aus dem kommunikativen Muster eines „Ja-Aber“ nicht herauskamen, was immer ich an
Fragen / Interventionen versucht hatte. (Sie hatte sich in mir bewusst einen männlichen
Therapeuten ausgesucht, um angesichts ihres Konfliktes mit ihrem Partner die „männliche
Perspektive“ kennenzulernen: Eigentlich hätte mich das warnen müssen!)
Die schwierigere Variante („Beziehungsgründe“) bedürfen als Legitimation entweder einer
ehrlichen Selbstoffenbarung durch Therapeuten oder eines Bezuges auf juristische /
moralische Komponenten. Beispiel einer Selbstoffenbarung: Ich habe eine damals stationäre
Therapie abgebrochen und den Patienten einer Kollegin übergeben, weil ich mich im Ringen
mit ihm um eine Veränderung seiner Symptomatik (lautes Stöhnen und lautes „Bellen“)
verausgabt hatte und schließlich wütend und eigentlich „beleidigt“ war, dass alle meine
Mühen nicht fruchteten (und ich obendrein von Kollegen auf das Persistieren der störenden
Störung hingewiesen worden war). Ich habe diese Beendigung meiner Therapie mithilfe von
supervisorischem Beistand damals mit meiner ratlosen Ohnmacht begründet und betont, das
habe nichts mit dem Patienten zu tun. Ich denke, ein Abbruch aus „Beziehungsgründen“ ist in
aller Regel ein Abbruch, weil der Therapeut am Ende ist und sollte auch damit begründet
werden, weil Patienten sich sonst schlecht, schuldig oder gar „untherapierbar“ fühlen.
Zur juristisch-moralischen Begründung: Ich habe als Supervisor Kollegen zur Beendigung
einer Therapie geraten – mir selbst ist das bis heute erspart geblieben –, wenn diese
binnentherapeutisch den Charakter einer sadistischen oder masochistischen Beziehung
angenommen hat und eine Reflexion darüber mit dem Patienten nicht mehr möglich war
(wenn z. B. Patienten Therapeuten gegenüber beleidigend werden oder sie bedrohen und trotz
therapeutischer Arbeit daran nicht davon ablassen). Ich rate auch dazu und würde selbst eine
Therapie beenden, wenn Patienten nicht davon Abstand nehmen, andere Menschen ernsthaft
existentiell zu bedrohen.
PiD: Welche „Beziehungsfallen“ sind Ihnen schon häufiger begegnet und wie begegnen
Sie diesen? Wie stark thematisieren Sie solche Aspekte oder wie reagieren Sie darauf?
Lieb: Der Begriff „Falle“ suggeriert ein bewusstes oder unbewusstes unschönes Motiv bei
unserem Gegenüber, das nicht benannt werden darf, ohne die Beziehung zu gefährden. Solche
„Fallen“ können, um in der Metapher zu bleiben, Patienten ebenso wie Therapeuten sich
selbst – und auch Patienten, aber diese Art von Fallen ist hier wohl nicht gemeint! – stellen.
Ich finde die Metapher des Fallenstellens aber nicht sehr hilfreich, da sie misstrauisch
gegenüber hinterlistigen Absichten macht und dem anderen das eigene Unbehagen an dieser
Hypothese zuschreibt. Die Metapherfalle wird dann selbst zur Falle.
Vielleicht geht es im Kern bei Verwendung der Fallenmetapher darum, dass wir uns als
Therapeuten von Patienten zu etwas herausgefordert / provoziert fühlen, das wir nicht sein
(oder zeigen) möchten – und doch in uns spüren. Dann sollten wir das als Geschenk zur
Selbstreflexion annehmen und uns mit dem auseinandersetzen, was da in uns selbst
schlummert und nicht Patienten als provozierende Fallensteller dafür verantwortlich machen.
Wie aus dieser Falle der Fallenmetapher herausfinden? Ich sehe zwei Lösungen: Erstens sich
selbst als Therapeut zu fragen, wozu man sich provoziert fühlt, um daraus wieder neue Fragen
zu gestalten („Nehmen wir an, ich würde so ... reagieren (wütend, Sie abweisend, in
therapeutischer Ohnmacht versinkend ...“), was würde das für Sie bedeuten? Wer hat Sie
selbst in ihrem Leben schon einmal dazu provoziert und welche Sehnsucht verbinden Sie mit
dieser Person? Zweitens: Wir beantworten die Frage, in welcher uns selbst gestellten Falle wir
vielleicht sitzen. Einige Gedanken dazu: Verbietet uns unsere Therapieschule ein bestimmtes
Gefühl oder eine Handlung, wozu uns der Patient herausfordert? (Z. B. jemandem einmal
einen aktiven Rat zu geben oder eine Stellungnahme / Meinung zu vertreten? Beispiel: Der
„sokratische Dialog“ mit einem Patienten soll diesen zu einer bestimmten Erkenntnis bringen,
die wir ihm so selbst nicht vortragen dürfen.) Oder wir sitzen in unseren eigenen
therapeutenspezifischen narzisstischen Fallen und möchten vom Patienten z. B. eine
Anerkennung, die er uns ungefragt nicht gibt und geben nun ihm die Schuld für unser
Missbehagen. Auch unsere Therapieschulen können uns „Fallen“ stellen. Die systemische
vielleicht: „Arbeite immer kurz, kreativ und musterunterbrechend“, die
verhaltenstherapeutische vielleicht: „Halte für jedes Problem eine Diagnose und eine Lösung
bereit!“ Das Scheitern an solchen Ansprüchen sollten wir dann eher zur Revidierung derer
nutzen als dazu, Patienten als uns daran scheitern lassende Fallensteller zu sehen.
Vielleicht könnte die in unseren Köpfen als Therapeuten auftauchende Metapher der uns
gestellten Falle auch einmal Anlass sein, das zusammen mit dem Patienten zu reflektieren: „In
welche Falle könnten wir geraten sein: Sie? Ich? Wir beide?“.
Kriz: Nach dem bisher Gesagten sind typische „Beziehungsfallen“ besonders mit der
bedingten (statt der unbedingten) Wertschätzung verbunden: Als Supervisor achte ich z. B.
auch darauf, ob ein Therapeut schwärmerisch bewundernd von bestimmten Aspekten seines
Patienten berichtet. Dies ist natürlich keineswegs verboten und kann, begründet, sehr hilfreich
für die Beziehung und den Prozess sein. Andererseits könnte dies aber auch ein Hinweis
darauf sein, dass der Therapeut unbewusst auf das bedingte Beziehungsangebot des Patienten
eingeht, ihm nur seine „Schokoladenseiten“ zu zeigen oder bestimmte Aspekte in den
Vordergrund zu stellen, für die er eben die bedingte Zuwendung des Therapeuten erhält. Dies
wäre dann natürlich kontraindiziert und dringend zu klären. Ähnlich kann viel „reden“ oder
auch „dramatisieren“ ein typisches Mittel dafür sein, Erfahrungsprozessen eher aus dem
Wege zu gehen. Je bewusster und reflektierter sich ein Therapeut die Frage stellt, „was
geschieht eigentlich gerade hier?“, bzw.: „Wie geht es jemandem, der das sagt, was er sagt?“
desto eher kann er „Beziehungsfallen“ vermeiden, die ihm scheinbar vom Patienten gestellt
werden. Diese sind aber ja nur ein Ausdruck der Biografie des Patienten und damit der
gelernten Bedingungen für Wertschätzungen sind – und dies kann und sollte ein Therapeut
dem Patienten auch erfahrbar und verstehbar machen.
Holm: Zuspielen von Aktivität, die dann als Dominanz erlebt werden kann. Ich hoffe ich
merke es rechtzeitig!
PiD: Wie erklären Sie sich den hohen Anteil an sexuellen Übergriffen in
Therapiebeziehungen? Wodurch lässt sich ein solches Therapeutenverhalten
verhindern?
Holm: Eigentlich bezweifle ich aufgrund meiner Supervisions- und kollegialen Erfahrung,
dass Übergriffe in Therapiebeziehungen häufiger sind als in anderen
Abhängigkeitsverhältnissen. Aber in jedem Fall sind sie besonders schwere Vergehen. Sie
kommen bei Therapeuten vor, die ihre Arbeit nicht lieben und keine sublimierte generative
Potenz haben. Sie lassen sich möglicherweise durch in dieser Hinsicht strengere Zwischen-
und Abschlussexamina und kontinuierliche und verpflichtende Inter- bzw. Supervision
reduzieren.
Kriz: Zu sexuellen Übergriffen in Therapiebeziehungen habe ich eine kurze, klare Meinung:
In jedem Falle intolerabel und offensichtlich ein Ausdruck mangelnder Selbsterfahrung des
Therapeuten. Natürlich ist es geradezu typisch, dass in einer langen und intensiven Beziehung
zwischen Patient und Therapeut auch eine Idealisierung im Sinne des „Verliebens“ seitens des
Patienten erfolgt. Mit der Bewußtmachung dieses Prozesses und der zugrunde liegenden
Wünsche lässt sich aber sehr gut in der Therapie arbeiten. Wenn dann - offensichtlich
„bedürftige“ - Therapeuten in ähnlicher Weise darauf reagieren, mag dies verständlich sein; es
sollte aber zum Mindeststandard einer professionellen Ausbildung gehören, seine
Bedürftigkeiten nicht am Patienten auszulassen.
Lieb: Ich möchte hierzu nur einen Gedanken in Form einer Frage beitragen: Auf Grund
welcher Annahme über Psychotherapeuten erwarten wir, dass sexueller Missbrauch bei ihnen
eigentlich nicht vorkommen sollte? Missbrauch von Vertrauensverhältnissen findet in der
Kirche, in Schulen, in Arztpraxen statt. Was wäre, wenn wir davon ausgehen, es gebe auch in
unseren Reihen kriminelle Personen mit kriminellem Verhalten und das wäre, wie sonst auch,
eine Angelegenheit für die beruflichen Kammern und für Gerichte, die Patienten in Anspruch
nehmen können und, darüber aufgeklärt, auch sollen? Vielleicht liegt unsere Überraschung,
dass solche Übergriffe auch von Therapeuten stattfinden, darin begründet, dass wir von
unserem Berufsstand glauben, er sei fürsorglicher oder moralisch besser als andere. Die Daten
über tatsächlichen sexuellen Missbrauch in der Therapie wären dann eine Widerlegung dieses
Bildes. Dieser Gedanke schließt nicht aus, diesem Thema in Ausbildung und Supervision
einen entsprechenden Raum zu geben, nach Erklärungen dafür zu suchen und sich dem
enttabuisiert wie sensibilisierend zuzuwenden – etwa hinsichtlich sexistischem Denken und
Verhalten noch lange vor einem gelebten sexuellen Missbrauch.
PiD: Welche Probleme ergeben sich in der therapeutischen Beziehung bei
Tätertherapien? Welche Probleme bei Therapieauflagen?
Holm: Kann ich kaum beantworten.
Lieb: Ich bin hierfür kein Experte, kann aber aus meiner supervisorischen und eigenen
Erfahrung mit diesem Klientel einige Gedanken beifügen: Probleme in diesen Therapien
ergeben sich vor allem, wenn Therapeuten Freiwilligkeit / Eigenmotivation ihrer Patienten als
Bedingung für eine gelingende Therapie ansehen und / oder wenn sie die mit ihrer
Therapeutenrolle hier oft verbundene Macht leugnen oder ablehnen (etwa dem Gericht
gegenüber zu vertreten, ob ein Patient angemessen in der Therapie mitarbeitet und diese
Stellungnahme auch vor dem Patienten zu vertreten). Ein „Beziehungsproblem“ entsteht –
und macht vermutlich eine Therapie unmöglich – wenn der Therapeut nicht mehr zwischen
der Person und ihrer Handlung trennen kann, wenn die Bewertung der Tat mit der der Person
des Täters gleichgesetzt wird. Wenn, aus guten Gründen, eine solche Trennung nicht möglich
ist, sollte keine Tätertherapie durchgeführt werden. Freiwilligkeit sollte für zur Therapie
gezwungene Täter keine Voraussetzung sein – im Gegenteil: Erzwungene Therapie ist eine
besondere Chance für dieses Klientel; eingeforderte Eigenmotivation bei Therapiezwang
erzeugt sonst eine paradoxe Situation, die nun selbst zum Problem wird.
Kriz: Zu Therapien mit Tätern (im engeren Sinne) habe ich selbst praktisch keine Erfahrung.
Persönlich bin ich auch eher froh darüber, dass ich mit Patienten arbeiten kann, die freiwillig
zu mir kommen. Ich habe große Achtung und Bewunderung gegenüber jenen Therapeuten,
die beispielsweise im Rahmen des Strafvollzuges mit solchen Patienten arbeiten.
PiD: Wie lässt sich „therapeutische Beziehung“ lehren?
Holm: Neben der fachlichen Ausbildung durch ein lebendiges Interesse am gesellschaftlichen
und kulturellen Leben, das zu einer „kreativen therapeutischen Haltung“ führt, die ich im
Lehrbuch von Senf/Broda und – ausführlicher - in „The Art of Counselling and
Psychotherapy“ (Karnac Books 2004) beschrieben habe.
Kriz: Selbstverständlich ist für eine therapeutische Beziehung durchaus kognitives Wissen,
das im Laufe einer Therapeutenausbildung und der folgenden Berufsjahre erworben wird, von
Bedeutung. Sehr wichtig ist aber - gerade für Therapierichtungen, die nicht so sehr mit
Techniken arbeiten, sondern die Beziehung ins Zentrum stellen, wie der Personzentrierte
Ansatz - auch ein „Lernen als Entfaltung“, also eine Entwicklung von nicht kognitiv
kontrollierbaren Fähigkeiten. Der von mir bereits angesprochene Unterschied zwischen „echt
sein“ und „sich echt- verhalten“ kommt hier zum Tragen. Dies lässt sich m. E. nur durch
Selbsterfahrung und Eigentherapie im Laufe der Ausbildung erreichen – wobei beides
durchaus im Rahmen sehr unterschiedlicher organisatorischer Formen stattfinden kann.
Lieb: Zum einen können in Ausbildung und Supervision die Basisvariablen unserer
therapeutischen Arbeit gelehrt und geübt werden: Empathisches Verstehen, Parafrasieren,
Auftrags- und Zielklärung; partielle Selbstoffenbarung von Therapeuten als Modell usw. Für
ebenso wichtig halte ich es, Therapeuten zu einer „Kontextsensibilität“ ihrer Beziehungen zu
verhelfen: Uns selbst wie Kollegen zu erlauben, von der Illusion einer zweckorientiert
möglichen Beziehungsgestaltung Abstand zu nehmen und zu akzeptieren und zu erforschen,
wie sehr wir in unserem Beziehungsverhalten gegenüber Patienten von diesbzgl.
Kontextfaktoren abhängig sind – von unseren eigenen Belastungen, Wünschen, Ängsten und
Bedürfnissen als („Privat“-)Personen , von den expliziten und impliziten Motiven unserer
Berufswahl, von den von außen an uns herangetragenen Erwartungen, von unseren eigenen
Projektionen auf Patienten. Wer mit solcher „Erlaubnis“ weniger Angst hat, von Kollegen,
Ausbildern, Supervisoren nach scheinbar objektiven Gütekriterien einer Beziehung bewertet
zu werden, wird zugänglicher für die Erforschung beziehungsorientiert unerlaubter Gefühle,
Gedanken, Handlungen. Dann ist Selbsterfahrung potentieller (nicht permanent notwendiger)
Teil der Supervision.
Ich habe einmal für eine Supervisorenausbildung eine Übung erfunden, die ich „Beichten“
genannt habe: Die Teilnehmer durften (mussten) von „starken Gefühlen“ berichten, die sie in
ihren Therapien oder Supervisionen Patienten oder Supervisanden gegenüber hatten und von
denen sie vor allem glauben, dass sie bei deren Veröffentlichung auf Abwertung bis
Verurteilung durch ihre professionell orientierten Kollegen stoßen würden. Diese „Beichten“
decken immer ein breites Spektrum tabuisierter oder verbotener Gefühle ab: Sexuelle
Fantasien oder Appetenzen Patienten gegenüber, Hass oder Verachtung, Versagensangst,
Rachegefühle aus Ohnmachtspositionen heraus oder als unprofessionell bewertetes Mitfühlen
/ Mitweinen. Fast jedes Mal gab es hierzu in der Lebensgeschichte des Betroffenen einen
Kontext, in dem diese starken Gefühle einer wichtigen Person gegenüber aufgetreten waren,
negativ bewertet wurden und so als tabuisierte Gefühle sozusagen „in den Untergrund“
gegangen waren. Nun tauchen sie in der Therapie wieder auf. Sie vor sich und anderen zu
verheimlichen angesichts einer für gültig erklärten Kriteriumsliste „guter therapeutischer
Beziehung“ wiederholt diesen Tabuisierungsprozess und hilft nicht, sie persönlich zu
ergründen, sie aus der Therapiebeziehung herauszuhalten oder deren Auftauchen in der
Therapie zu nutzen und Interventionen oder Fragen daraus zu gestalten.
Ohne diese Erlaubnis zur Kontextsensibilisierung laufen wir Gefahr, „seelenlose
Therapeuten“ zu werden oder solche zu erziehen, die sich an Diagnosen, Manualen,
Beziehungskriterien orientieren und darin als lebendige Personen verschwinden. Wir / sie
würden dann eine Kraft verlieren, die vorhanden ist oder dann entsteht, wem wir uns öffnen
dürfen für unsere ureigenste Art, auf unser Gegenüber in der Therapie zu reagieren neben
unserer offiziell gelernten Therapeutenrolle.
Abschließend formuliert: Um als Therapeut effektiv für Patienten zu bleiben, sollten wir uns
und unseren Kollegen erlauben, „therapiewidrig“ narzisstisch, bedürftig,
erwartungsüberlastet, neidisch, rachsüchtig, ängstlich oder hilflos zu sein – weil wir in der
therapeutischen Beziehung eben auch das sind, was alle sind, die sich in Beziehungen zurecht
finden müssen. Die Akzeptanz, Reflexion und dann evtl. nötige Herausnahme dieser Seiten
aus der therapeutischen Beziehung oder auch deren utilisierende patientenorientierte
Kultivierung befreit von der vielleicht manchmal übermächtigen Idee, dass wir als
Therapeuten es in unserem Leben irgendwie besser auf die Reihe bekommen sollten als
andere Berufe.