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erschienen in: Zeitschrift für Experimentelle Psychologie, 1999, Vol. 46, 140-151
Egozentrische Inferenz von Objektpositionen beim Lesen und Hören
Robin Hörnig Technische Universität Berlin
Klaus Eyferth Technische Universität Berlin
Berry Claus Technische Universität Berlin
Zusammenfassung. Die Untersuchungsteilnehmer lasen Texte, in denen verschiedene
Objekte im Umraum eines Protagonisten lokalisiert wurden. Indem sie die Perspektive des
Protagonisten übernahmen, konstruierten die Untersuchungsteilnehmer egozentrische mentale
Modelle der beschriebenen Objektanordnungen. Während der Testphase machten
Umorientierungen des Protagonisten ein entsprechendes Updating des mentalen Models
erforderlich. Wir prüften, ob auch solche Objekte im mentalen Modell unmittelbar
egozentrisch lokalisiert werden, deren sprachliche Lokalisierung im Text nicht unmittelbar in
Relation zum Protagonisten erfolgt, d. h. ob egozentrische Objektpositionen inferiert werden.
In zwei Experimenten wurden die Texte und Testitems entweder visuell oder auditiv
dargeboten. In einem dritten Experiment wurden die Texte visuell, die Testitems auditiv
präsentiert. Wir fanden, daß Rezipienten bevorzugt sämtliche Objekte unmittelbar
egozentrisch lokalisieren, daß aber das Lesen mit einem Updating des egozentrischen
mentalen Modells interferiert und dadurch eine egozentrische Lokalisierung aller Objekte
verhindert.
Schlüsselwörter: Textverstehen, räumliche mentale Modelle, Inferenz, Darbietungsmodalität
Egocentric inference of object positions during reading and listening
Abstract. Subjects read narratives describing several objects surrounding a protagonist. In
taking the protagonist's perspective, subjects constructed egocentric mental models of the
described object configurations. During the test phase, the mental model had to be updated
according to reorientations of the protagonist. We examined if objects are localized
immediately within the egocentric reference frame of the mental model, even if they are not
linguistically localized relative to the protagonist, that is, if egocentric object positions have to
be inferred. In two experiments, narratives and test items were presented either visually or
aurally. In a third experiment, narratives were presented visually but test items were presented
aurally. We found that recipients tended to localize every object immediately within the
egocentric reference frame. But since reading interferes with updating of the mental model,
subjects did not localize every object egocentrically if visual presentation was used
throughout.
Keywords: text comprehension, spatial mental models, inference, modality of presentation
Steht Torsten inmitten einer ihm nicht vertrauten Küche und wird ihm mitgeteilt Der
Kühlschrank steht links von dir, so weiß er, daß sich der Kühlschrank zu seiner Linken
befindet. Auch weiß er: würde er sich nach links wenden, befände sich der Kühlschrank vor
ihm. Wird Torsten ferner mitgeteilt Auf dem Kühlschrank steht die Schüssel, so kann er gültig
schlußfolgern, daß sich die Schüssel ebenfalls links von ihm befindet. Es ist aber keineswegs
klar, ob er diese Schlußfolgerung tatsächlich zieht, wenn er hört, wo sich die Schüssel
befindet. Will er die Schüssel finden, wendet er sich möglicherweise zunächst dem
Kühlschrank zu, um dann relativ zu diesem die Schüssel ausfindig zu machen. Ganz so
charakterisieren Miller und Johnson-Laird (1976 , S. 384) das sprachliche Lokalisieren
anhand der Unterscheidung zweier Suchdomänen: “One purpose of locative descriptions is to
narrow the domain of search for a referent. […] it is helpful to distinguish two search
domains. The first domain is the one in which to search for the relatum y; the second is a
subdomain of the first in which to search for the referent x.” Wir wollen zunächst die hier
aufgeworfene Fragestellung anhand unseres Modellierungsansatzes mentaler Modelle beim
Textverstehen präzisieren. Als mentales Modell bezeichnen wir die mentale Repräsentation
des im Text beschriebenen Sachverhalts (Johnson-Laird, 1983 , 1989 ).
Vom Text zum mentalen Modell
Wir skizzieren im folgenden die wesentlichen Züge der von uns zugrundegelegten kognitiven
Modellierung räumlicher mentaler Modelle beim Textverstehen. Eine ausführliche
Darstellung findet sich in Claus, Gips, Eyferth, Hörnig, Schmid, Wiebrock und Wysotzki
(1998) , sowie in Wysotzki, Schmid und Heymann (1997) .
Eine in einem Text beschriebene Objektanordnung wird in einen Graphen übersetzt, dessen
Knoten die Objekte repräsentieren. Jedem Objekt-Knoten ist ein drei-dimensionales
Koordinatensystem (Bezugsystem) zugeordnet, das je nach Art des Objekts eine vollständige
(z. B. ein Mensch), eine teilweise (z. B. eine Schüssel) oder keine (z. B. ein Ball)
Interpretation im Sinne der intrinsischen Eigenschaften (z. B. Vorder- und Rückseite; Ober-
und Unterseite) des jeweiligen Gegenstandes erlaubt. Erwähnt der Text eine räumliche
Relation zwischen zwei Objekten, so werden die entsprechenden Knoten des Graphen durch
eine gerichtete Kante verbunden, die durch eine Transformationsmatrix bezeichnet ist. Diese
Matrix spezifiziert die relative Position (und Orientierung) eines der beiden Objekte relativ
zum anderen Objekt dadurch, daß sie diejenigen Transformationen (Translationen und
Rotation) angibt, durch die das Koordinatensystem des einen Objekts auf dasjenige des
anderen Objekts abgebildet wird.
Im weiteren setzen wir die intrinsische Lesart der Relationsausdrücke wie links von in Satz (1)
voraus (zur intrinsisch-deiktisch Unterscheidung siehe Miller und Johnson-Laird, 1976 ; mit
den Begriffen Referent und Relatum folgen wir deren Terminologie).
(1) Der Kühlschrank [Referent] steht links von Torsten [Relatum].
Satz (1) erlaubt eine unmittelbare Übersetzung in ein mentales Modell, d. h. einen
entsprechenden Graphen. Der Knoten für den Referenten Kühlschrank wird mit dem Knoten
für das Relatum Torsten durch eine Kante verbunden. Diese wird durch eine Matrix annotiert,
die angibt, wie das Bezugsystem von Torsten in dasjenige des Kühlschranks abzubilden ist.
Der Relationsausdruck wird so übersetzt in die Repräsentation der relativen Position des
Referenten im Bezugsystem des Relatums. Der Kühlschrank wird unmittelbar im
Bezugsystem von Torsten lokalisiert: im negativen Bereich von dessen Rechts-Links-Achse.
(2) Die Schüssel [Referent] steht auf dem Kühlschrank [Relatum].
Folgt im Text der weitere Satz (2), so ist das mentale Modell um einen dritten Knoten für den
Referenten des zweiten Satzes (Schüssel) zu erweitern. Dieser wird dann mit dem bereits im
Graphen enthaltenen Knoten für das Relatum des zweiten Satzes (Kühlschrank) durch eine
Kante verknüpft, und diese wird mit einer dem Relationsausdruck auf entsprechenden Matrix
bezeichnet. Die Schüssel wird unmittelbar im Bezugsystem des Kühlschranks lokalisiert. Hier
wird ersichtlich, daß die Referenten beider Sätze nicht unmittelbar in ein und demselben
Bezugsystem lokalisiert werden. Das betrachtete mentale Modell repräsentiert ausschließlich
im Text explizit genannte räumliche Relationen zwischen Objekten. Es ist jedoch möglich,
die Relation zwischen der Schüssel und Torsten zu inferieren. Hierzu ist dem Graphen eine
Kante zwischen dem Torsten-Knoten und dem Schüssel-Knoten hinzuzufügen, und die an den
beiden bestehenden Kanten des Graphen annotierten Matrizen sind miteinander zu
verrechnen. Die neu berechnete Matrix bezeichnet dann die neu hinzugefügte Kante und
drückt die relative Position der Schüssel im Bezugsystem von Torsten aus. Die Referenten
beider Sätze sind dann unmittelbar im Bezugsystem von Torsten lokalisiert. Ersichtlich ist
dies daran, daß je eine Kante den Torsten-Knoten mit den jeweiligen Objekt-Knoten von
Kühlschrank und Schüssel verbindet und deren relativen Positionen im Bezugsystem von
Torsten spezifiziert.
Relative Objektlokalisierung in egozentrischen mentalen Modellen
Rezipienten neigen dazu, auch dann ein egozentrisches mentales Modell zu konstruieren,
wenn ein Text in der dritten Person Singular formuliert ist, beispielsweise indem sie die
Perspektive des Protagonisten übernehmen (vgl. Bryant, Tversky & Franklin, 1992 ; Tversky,
Franklin, Taylor & Bryant, 1994 ). Eine Perspektivübernahme ist insbesondere dann zu
erwarten, wenn der Text nur von einem Protagonisten an einem gegebenen Ort erzählt, und so
eine bestimmte Perspektive nahelegt (vgl. Franklin, Tversky & Coon, 1992 ; Tversky et al.,
1994 ). Daß Rezipienten in diesem Fall tatsächlich ein egozentrisches mentales Modell
konstruieren, läßt sich anhand des für egozentrische mentale Modelle spezifischen
Latenzzeitmusters bei der Beurteilung von Objekten belegen, die im Text sprachlich im
Umraum des Protagonisten lokalisiert werden. Franklin und Tversky (1990) zeigten in einer
Reihe von Untersuchungen, daß in egozentrischen mentalen Modellen vordere und hintere
Objekte schneller verfügbar sind als seitliche. Hierbei verwendeten sie Texte in der zweiten
Person Singular, die den Rezipienten unmittelbar als Relatum der sprachlichen Lokalisierung
ansprachen. Nachdem die Untersuchungsteilnehmer die Texte gelesen hatten, sollten sie auf
die Darbietung einer egozentrisch definierten Richtungsbezeichnung hin angeben, welches
Objekt dort lokalisiert war. Hierbei wurden vordere und hintere Objekte schneller erinnert als
rechte und linke Objekte. Obere und untere Objekte wurden am schnellsten erinnert. Franklin
und Tversky erklären diese Befunde mit dem sogenannten (Internal) Spatial Framework
Model. Dieses Modell postuliert den Objektzugriff als Funktion der Achsendominanz des
egozentrischen Bezugsystems. Grundsätzlich ist innerhalb des egozentrischen Bezugsystems
ein unmittelbarer Objektzugriff in jeder Richtung möglich. Der Oben-Unten-Achse wird die
größte Bedeutung zugeschrieben, da sie bei kanonischer Stellung (aufrecht) mit der
Gravitationsachse übereinstimmt. In der Horizontalen wird die Rechts-Links-Achse von der
Vorn-Hinten-Achse dominiert, aus der sie abgeleitet ist. In der Ebene sind Objekte auf der
Vorn-Hinten-Achse deshalb schneller verfügbar als auf der Rechts-Links-Achse. Zudem
verursacht die Asymmetrie der Vorn-Hinten-Achse einen schnelleren Zugriff auf vordere
Objekte im Vergleich zu hinteren, aufgrund deren größerer funktionaler und perzeptueller
Salienz.
Daß Rezipienten die Perspektive des Protagonisten übernehmen, läßt sich nun dadurch
aufzeigen, daß sich bei der Beurteilung von Objekten, die im Text im Umraum des
Protagonisten lokalisiert wurden, dasselbe Latenzzeitmuster findet wie im Fall der sprachlich
expliziten Lokalisierung von Objekten relativ zum Rezipienten selbst: das Spatial Framework
Pattern. Bryant und Tversky (1992) evaluierten das Spatial Framework Modell weiter für das
komplementäre Paradigma bei Texten in der dritten Person Singular: Den
Untersuchungsteilnehmern wurden in der Testphase Objektbezeichnungen dargeboten,
worauf sie die Richtung der Objekte relativ zum Protagonisten angeben sollten. Auch hier
fand sich für die Latenzen das Spatial Framework Pattern.
Um die Protagonistenperspektive zu modellieren, ist dem mentalen Modell ein Ego-Knoten
hinzuzufügen, der ein entsprechendes egozentrisches Bezugsystem verfügbar macht. Dieses
egozentrische Bezugsystem des Rezipienten ist übereinstimmend mit demjenigen des
Protagonisten lokalisiert und ausgerichtet. In diesem Fall kann der Rezipient jeden Satz, der
ein Objekt relativ zum Relatum Protagonist lokalisiert, als egozentrische Lokalisierung
interpretieren (siehe Hörnig, Claus & Eyferth, 1997 ). Liest er Satz (1), so interpretiert er
diesen als Der Kühlschrank steht links von mir. Auf diese Weise konstruiert der Rezipient ein
egozentrisches mentales Modell: der Kühlschrank-Knoten wird mit dem Ego-Knoten
verbunden und mit der entsprechenden Matrix für links von annotiert.
Bryant und Tversky (1992 , S. 29) definieren: “A spatial framework is a mental model that
specifies the spatial relations among objects with respect to an observer in the environment.”
Wir werten dies als Aussage über Objekte, die unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem
(spatial framework) lokalisiert und unmittelbar in diesem zugreifbar sind. Tversky und
Mitarbeiter verwendeten Texte, die in einer gegebenen Richtung jeweils ein Objekt sprachlich
unmittelbar relativ zum Rezipienten bzw. Protagonisten lokalisierten (z. B. Franklin &
Tversky, 1990 , S. 65: “Directly behind you, at your eye level, is an ornate lamp attached to
the balcony wall.”) Hierfür ist ein egozentrisches mentales Modell anzunehmen, wo jedes
Objekt direkt durch eine Kante mit dem Ego-Knoten verbunden ist. Wir können hieraus auf
die Gültigkeit des Spatial Frameworks für Objekte schließen, die unmittelbar im
egozentrischen Bezugsystem lokalisiert sind. Offen bleibt dabei, ob alle im Text erwähnten
Objekte, also auch sprachlich nicht egozentrisch lokalisierte Objekte, unmittelbar im
egozentrischen Bezugsystem lokalisiert sind.
Wird im weiteren Text eine Bewegung des Protagonisten erwähnt, beispielsweise eine
Umorientierung wie in (3), so erfordert dies ein Updating des egozentrischen mentalen
Modells, da eine solche Bewegung aufgrund der Protagonistenperspektive vom Rezipienten
als Eigenbewegung interpretiert wird.
(3) Torsten wendet sich nach hinten.
Nach dem Updating des mentalen Modells befindet sich der Kühlschrank nicht mehr links,
sondern rechts vom Ego. Dasselbe gilt für die Schüssel auf dem Kühlschrank. Der hier
zugrundegelegte Modellierungsansatz erlaubt nun folgende Vorhersage: Werden sämtliche
Objekte egozentrisch lokalisiert, so ist das Updating des mentalen Modells maximal
aufwendig, da das Updating eine Neuberechnung jeder Matrix erfordert, die eine Kante
zwischen dem Ego-Knoten und einem Objekt-Knoten bezeichnet. Der kognitive Aufwand für
das Updating des mentalen Modells ist beispielsweise dann geringer, wenn egozentrische
Objektpositionen nicht inferiert werden. Außerdem läßt sich der kognitive Aufwand dadurch
reduzieren, daß alle im Text erwähnten Objekte in einem Bezugsystem lokalisiert werden, das
gegenüber einer Eigenbewegung des Rezipienten invariant ist. Frank (1998 , S. 303) diskutiert
ein vergleichbares Problem als Pragmatik der Auswahl sprachlicher Lokalisierungsausdrücke:
“The difference in what is and is not affected by changes is likely to affect the pragmatics of
selecting an absolute or a relative reference frame: Absolute directions are invariant under
individual rotation of the speaker, the observer or the ground object.” Klatzky (1998) verweist
darauf, daß eine Eigenbewegung ihrerseits hinsichtlich eines allozentrischen bzw. absoluten
Bezugsystems repräsentiert werden kann. Hörnig, Claus und Eyferth (1997) argumentieren
aus kontextuell-semantischen Überlegungen für ein allozentrisches Bezugsystem auch bei
egozentrischen mentalen Modellen, und diskutieren das Problem der repräsentationalen
Unterscheidung von Eigen- und Fremdbewegung. Nach Klatzky läßt sich die Referenz-
richtung eines allozentrischen Bezugsystems aus der Geometrie eines Raumes ableiten. In den
von uns verwendeten Texten wird der Protagonist stets als inmitten eines Raumes stehend
eingeführt, wie in (4):
(4) Torsten steht inmitten der Küche.
Damit enthält das egozentrische mentale Modell einen Raum-Knoten, der ein dreidimensio-
nales Bezugsystem bereitstellt, welches die Funktion eines allozentrischen Bezugsystems
erfüllen kann. Werden sämtliche im Text genannten Objekte allozentrisch lokalisiert, so ist
neben den explizit genannten räumlichen Relationen im mentalen Modell entsprechend
zwischen jedem Objektknoten (einschließlich des Ego-Knotens) und dem Raumknoten eine
Kante einzutragen. Diejenige Teilklasse von Objekten, die aufgrund der sprachlichen Lokali-
sierung sowohl egozentrisch als auch allozentrisch lokalisiert sind, etablieren nach unserer
Auffassung die Orientierung des Egos im Umraum und erfüllen so die Funktion lokaler Land-
marken (vgl. Werner, Krieg-Brückner, Mallot, Schweizer & Freksa, 1997 ). Im weiteren nen-
nen wir diese Teilklasse von Objekten Ankerobjekte. Macht eine Eigenbewegung ein
Updating des egozentrischen mentalen Modells erforderlich, so sind hiervon ausschließlich
Kanten zwischen dem Ego-Knoten und den Knoten für Ankerobjekte betroffen, während allo-
zentrische Lokalisierungen von Objekten unverändert bleiben. Insofern reduziert eine allozen-
trische Lokalisierung im Raumbezugsystem den kognitiven Aufwand eines Updatings des
egozentrischen mentalen Modells gegenüber durchweg egozentrisch lokalisierten Objekten.
Gehen wir davon aus, daß Rezipienten bevorzugt alle Objekte egozentrisch lokalisieren, die
hohe kognitive Beanspruchung eines Updatings dem aber zuwiderläuft, dann läßt sich ein
Einfluß der Darbietungsmodalität der Texte erwarten. Kaup, Kelter, Habel und Clauser (1997
, S. 69 f.) postulieren, daß die Blickbewegungssteuerung beim Lesen, welche “visuo-spatiale
Informationsverarbeitung” voraussetzt, “den Aufbau und/oder das Verfügbarhalten von
räumlichen Vorstellungen” stört, und kommen so zu der Annahme, “daß der Aufbau räum-
licher mentaler Modelle beim Lesen schwieriger ist als beim Hören von Texten.” Indem Kaup
et al. empirische Evidenz für diese Annahme anführen, kommen sie zu dem Schluß, daß
“Effekte, die mit Eigenschaften räumlicher mentaler Modelle zusammenhängen, […] dem-
nach beim Lesen schwächer ausfallen als beim Hören von Texten.” Auf unseren Fall übertra-
gen heißt dies: Wenn die Konstruktion und das Aufrechterhalten des mentalen Modells beim
Lesen schwieriger ist als beim Hören, dann könnten Hörer möglicherweise den für das
Updating egozentrischer Objektpositionen notwendigen kognitiven Aufwand kompensieren,
Leser hingegen nicht. Nur beim Hören der Texte würden Rezipienten dann sämtliche Objekte
egozentrisch lokalisieren. Um dies zu prüfen, wurde die Darbietungsmodalität in zwei Experi-
menten variiert. In einem ersten Experiment wurde sämtliches Material in visueller Modalität
dargeboten (Lesen), in einem zweiten Experiment wurde dasselbe Material in auditiver
Modalität dargeboten (Hören). Da die Befunde beider Experimente tatsächlich nicht
übereinstimmten, wurden in einem dritten Experiment für eine weitergehende Klärung beide
Modalitäten kombiniert.
Hypothesen
Ankerobjekte. In unseren Experimenten verwenden wir Texte, die von jeweils genau einem
Protagonisten erzählen, der in einem Raum von Objekten umgeben ist. Wir setzen voraus, daß
die Rezipienten beim Lesen dieser Texte die Protagonistenperspektive einnehmen und so ein
egozentrisches mentales Modell konstruieren. Die Klasse der Ankerobjekte haben wir oben
dadurch definiert, daß sie sprachlich explizit (qua Protagonistenperspektive) unmittelbar ego-
zentrisch lokalisiert werden. Andererseits haben wir sie anhand ihrer Funktion charakterisiert,
daß sie die Orientierung des Egos im Umraum etablieren und damit die Funktion lokaler
Landmarken erfüllen. Unsere Texte lokalisieren Ankerobjekte nur mittelbar egozentrisch (d.
h. zum Protagonisten) und unmittelbar relativ zu den vier Wänden des Raumes, wie in (5):
(5) An der Wand links von Torsten steht der Kühlschrank.
Nach dem sprachlichen Kriterium ist hier die Wand und nicht der Kühlschrank als Ankerob-
jekt zu klassifizieren. Da jedoch im Text in allen vier Richtungen je ein Wandobjekt einge-
führt wird, können die vier Wände die Funktion lokaler Landmarken nicht erfüllen, und des-
halb die Orientierung des Egos im Umraum nicht verankern. Wir postulieren daher für die
sprachlich nur mittelbar egozentrisch lokalisierten Ankerobjekte eine inferierte egozentrische
Lokalisierung: das mentale Modell zu (5) enthält eine Kante zwischen Ego-Knoten und
Kühlschrank-Knoten.
Aufgrund der von uns vorausgesetzten Protagonistenperspektive und der postulierten Lokali-
sierung von Ankerobjekten unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem erwarten wir für
Ankerobjekte grundsätzlich Latenzen entsprechend dem Spatial Framework Pattern: Anker-
objekte, die laut Text (an der Wand) vor oder hinter dem Protagonisten lokalisiert sind, sind
schneller verfügbar als Ankerobjekte rechts und links von ihm.
Kritische Objekte. Objekte, die sprachlich unmittelbar relativ zu Ankerobjekten lokalisiert
werden, nennen wir im folgenden kritische Objekte. Kritische Objekte werden sprachlich
durch die Präposition auf wie in (2) lokalisiert. Für die Lokalisierung und Verfügbarkeit
kritischer Objekte betrachten wir drei Möglichkeiten.
(1) Kritische Objekte werden mittels Inferenz unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem
lokalisiert. Der Zugriff auf kritische Objekte und Ankerobjekte erfolgt in derselben Weise, so
daß sich für beide Objekttypen gleichermaßen das Spatial Framework Pattern zeigen müßte
und einzig ein Richtungshaupteffekt zu erwarten ist.
(2) Kritische Objekte werden entsprechend der sprachlichen Lokalisierung im Bezugsystem
der Ankerobjekte lokalisiert und sind nur über diese zugreifbar. Dies entspricht dem Postulat
zweier Suchdomänen von Miller und Johnson-Laird (1976 ; vgl. Einleitung). Keine weiteren
relativen Objektpositionen werden inferiert. Da der Zugriff auf ein kritisches Objekt in diesem
Fall den Zugriff auf das Ankerobjekt voraussetzt, setzt sich die Zugriffsdauer aus den
Zugriffszeiten für die Ankerobjekte im egozentrischen Bezugsystem und den Zugriffszeiten
für die kritischen Objekte im Bezugsystem der Ankerobjekte zusammen: Im Graphen muß
zunächst der Knoten für das Ankerobjekt verfügbar sein, um von diesem aus den Knoten für
das kritische Objekt zu erreichen. Da wir nicht von einer unterschiedlichen Verfügbarkeit
kritischer Objekte innerhalb der Bezugsysteme von Ankerobjekten in Abhängigkeit von deren
egozentrischer Lokalisierung ausgehen, müßten die Latenzen für die Beurteilung kritischer
Objekte die Zugriffszeiten für Ankerobjekte reflektieren. Zugleich wären die Zugriffszeiten
auf kritische Objekte um einen konstanten Faktor höher als die Zugriffszeiten auf die
Ankerobjekte selbst. Damit ist sowohl ein Haupteffekt für die Richtung wie auch für den
Objekttyp zu erwarten, jedoch keine Interaktion beider Faktoren. Ein solcher Befund wäre
jedoch auch dann zu erwarten, wenn kritische Objekte zwar wie unter (1) ebenso wie
Ankerobjekte im egozentrischen Bezugsystem lokalisiert sind, aber nicht ebenso schnell wie
diese verfügbar sind. Da die Ankerobjekte in unseren Texten beispielsweise stets größer als
die mit ihnen gepaarten kritischen Objekte sind, wäre eine bessere Verfügbarkeit von
Ankerobjekten bei gleicher Lokalisierung durch die größere perzeptuelle Salienz begründbar.
(3) Alle Objekte sind im allozentrischen Raumbezugsystem lokalisiert. Nur Ankerobjekte sind
darüber hinaus auch unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem lokalisiert und zugreifbar.
Für den allozentrischen Zugriff auf kritische Objekte sind mindestens zwei Möglichkeiten
denkbar, die von Franklin und Tversky (1990) diskutiert werden: mentale Transformation und
Gleichverfügbarkeit.
(3a) Das Modell der mentalen Transformation konzipiert den Objektzugriff in egozentrischen
mentalen Modellen entsprechend einer visuellen Suche im Umraum des Egos, wo nur vordere
Objekte unmittelbar und damit am schnellsten verfügbar sind. Der Zugriff auf anderswo
lokalisierte Objekte erfordert solange eine (mentale) Umorientierung, bis es vorne und damit
verfügbar ist. Der kognitive Aufwand für diese Transformation steigt mit dem erforderlichen
Drehwinkel. Der Zugriff auf hintere Objekte (180 °) dauert deshalb länger als auf seitliche
Objekte (90 °). Damit ist eine Interaktion für die Faktoren Richtung und Objekttyp zu
erwarten, sowie je ein Richtungshaupteffekt für eine getrennte Analyse beider Objekttypen.
(3b) Bei vergleichbarer Distanz zeigt der Zugriff auf kritische Objekte keine Abhängigkeit
von der Richtung. Da unsere Texte keinen Hinweis auf unterschiedliche Entfernungen
zwischen kritischen Objekten und dem Protagonisten bzw. Ego geben, halten wir diese
Bedingung für erfüllt. Franklin und Tversky (1990) vergleichen die Verfügbarkeit in diesem
Fall mit derjenigen in kognitiven Karten. Auch hier wäre eine Interaktion für die Faktoren
Richtung und Objekttyp zu erwarten. Eine getrennte Analyse für beide Objekttypen sollte nur
für Ankerobjekte einen Richtungshaupteffekt aufzeigen.
Aufgrund der höheren kognitiven Beanspruchung beim Lesen gegenüber dem Hören halten
wir es für denkbar, daß sich die Lokalisierung und Verfügbarkeit kritischer Objekte beim
Lesen und Hören unterscheiden. Zwar könnte bei auditiver Darbietung das unter (1) skizzierte
Ergebnis einstellen, die Befunde bei visueller Darbietung hingegen (2), (3a) oder (3b)
entsprechen, da diese Arten der Objektlokalisierung die kognitive Beanspruchung vermindert.
Experiment 1: Lesen
Methode
Stichprobe. An Experiment 1 nahmen 28 Studentinnen und Studenten der TU Berlin als
Untersuchungsteilnehmer (Utn) teil, die wahlweise mit einer Versuchspersonenstunde oder
DM 15 entlohnt wurden. Fünf Utn beantworteten mehr als 50 % der Testitems falsch und
wurden von der Analyse ausgeschlossen. Es verblieben 23 Utn für die Analyse.
Material und Design. Es wurden acht Experimental- und zwei Übungstexte erstellt. In jedem
Text wurde ein allein in der Mitte eines Raumes stehender Protagonist eingeführt, und dessen
Situation in vier bis fünf Sätzen geschildert. Anschließend wurde jede der vier Wände des
Raums durch je zwei Sätze beschrieben. Der erste Satz dieser Satzpaare lokalisierte ein
Ankerobjekt mittelbar relativ zum Protagonisten (z. B.: An der Wand links von Torsten steht
der Kühlschrank.). Der zweite Satz lokalisierte ein kritisches Objekt unmittelbar relativ zum
Ankerobjekt (z. B.: Auf dem Kühlschrank steht die Schüssel, …). Jeder der acht Experimental-
texte lag in vier Versionen vor, zwischen denen die Konfiguration der vier Objektkombinatio-
nen (Ankerobjekt + kritisches Objekt) im Uhrzeigersinn um den Protagonisten rotiert war.
Die Objektkombinationen selbst sowie deren Erwähnungsreihenfolge wurden pro Text über
die vier Versionen konstant gehalten. Die Erwähnungsreihenfolge folgte stets dem Uhrzeiger-
sinn, wobei sich die Richtung der zuerst erwähnten Wand aus der Textversion und der
festgelegten Erwähnungsreihenfolge der Objektkombinationen ergab.
Zu jedem Text wurden zwei Reorientierungssätze formuliert, die jeweils eine Umorientierung
des Protagonisten nach links, hinten oder rechts ausdrückten (1. und 2. Reorientierungssatz; z.
B.: Torsten wendet sich nach rechts.). Der 1. und 2. Reorientierungssatz waren pro Text für
alle vier Versionen dieselben. Zwei der acht 2. Reorientierungssätze drückten die Beibehal-
tung der Orientierung aus (z. B.: Torsten bleibt so stehen.).
Für jeden der acht Texte wurden je drei der acht Objekte als Testitems bestimmt, denen je
einer von drei Meßzeitpunkten fest zugeordnet wurde. Insgesamt ergab sich so ein Pool von
24 Testitems, von denen je die Hälfte Ankerobjekte und kritische Objekte waren. Die jeweils
vier Versionen der acht Texte wurden so zu vier Materialvarianten kombiniert, daß jede
Materialvariante genau ein Testitem zu jeder Kombination der Meßwiederholungsfaktoren
Richtung (vorn, rechts, hinten, links), Objekttyp (Ankerobjekt, kritisches Objekt) und Meß-
zeitpunkt (1 bis 3) enthielt. Es ergab sich so ein vollständiges dreifaktorielles Meßwieder-
holungsdesign in vier Varianten. Die Zuordnung der Testitems zu den vier Richtungen war
über die vier Materialvarianten vollständig systematisch variiert, während die Faktoren
Objekttyp und Meßzeitpunkt für jedes Testitem konstant waren. Die Reihenfolge der acht
Experimentaltexte wurde für jeden Ut randomisiert.
Durchführung. In Experiment 1 (Lesen) wurde sämtliches Material am Bildschirm eines PCs
visuell dargeboten. Die Lesezeiten waren durchweg selbstbestimmt. Das Material zu jedem
Text wurde in acht aufeinanderfolgenden Displays dargeboten. Ein erstes Display zeigte den
Titel der Geschichte an. Bei Druck der Leertaste erschien das zweite Display, das den
Hauptteil des Textes präsentierte (Lernphase): die Einführung des Protagonisten sowie die
Beschreibung aller vier Wände. Wenn die Utn das Gefühl hatten, sich die beschriebene
Situation ausreichend eingeprägt zu haben, konnten sie durch Drükken der Leertaste das dritte
Display abrufen, das einen Füllsatz zeigte. Bei abermaligem Drücken der Leertaste erschien
auf dem vierten Display das erste Testitem in der Mitte des Bildschirms (1. Meßzeitpunkt).
Das Testitem war zuvor für 600ms durch ein Sternchen in der Mitte des Bildschirms
angekündigt worden, um die Utn auf den Test vorzubereiten. Die Utn hatten die Aufgabe, die
Richtung relativ zum Protagonisten zu erinnern, in der sich das genannte Objekt befand. Die
Antworten wurden in zwei Schritten erhoben (vgl. Bryant & Tversky, 1992 ). Im ersten
Schritt sollten die Utn die Eingabe-Taste drükken, sobald sie die Antwort wußten. Im zweiten
Schritt sollten sie per Tastendruck auf den mit Buchstaben markierten Tasten des Ziffern-
blocks die Antwort angeben: v/8 = vorn, r/6 = rechts, h/2 = hinten, l/4 = links. Für beide
Schritte wurden die Antwortzeiten in Millisekunden registriert (RT1 und RT2).
Sobald ein Ut die Richtung per Tastendruck angegeben hatte, folgte das fünfte Display mit
dem ersten Reorientierungssatz. Hierfür waren die Utn instruiert worden, sich die veränderte
Situation genau vorzustellen, da sie bei dem darauffolgenden Testitem nicht mit der im Text
genannten Richtung antworten sollten, sondern mit der sich nun geänderten Richtung unter
Einbeziehung der Reorientierung des Protagonisten. Wiederum konnten die Utn selbst
bestimmen, wann sie per Druck der Leertaste das darauffolgende sechste Display mit dem
zweiten Testitem (2. Meßzeitpunkt) anforderten. Die Bedingungen für das zweite Testitem
waren dieselben wir für das oben beschriebene erste Testitem. Nachdem die Richtung durch
Tastendruck auf dem Ziffernblock angegeben worden war, erschien das siebte Display, das
den zweiten Reorientierungssatz zeigte. Abermals sollten sich die Utn die veränderte
Situation genau vorstellen, und dann durch Drücken der Leertaste das dritte Testitem (3.
Meßzeitpunkt) auf dem achten und letzten Display zu einem Text abrufen. Die Bedingungen
für das dritte Testitem entsprachen denjenigen der vorangegangenen beiden Testitems, wobei
wiederum die im zweiten Reorientierungssatz ausgedrückte Umorientierung des Protago-
nisten bei der Antwort berücksichtigt werden sollte. Nach der Beantwortung des dritten
Testitems folgte die Ankündigung des nächsten Textes und den Utn wurde die Möglichkeit zu
einer Pause eingeräumt.
Ergebnisse und Diskussion
Von den 552 Antworten der 23 Utn waren 115 falsch (21 %), bei einer Rate-Irrtumswahr-
scheinlichkeit von 75 %. Der Zuwachs der Fehlerraten mit dem Meßzeitpunkt erweist sich als
statistisch bedeutsam: F(2,44) = 12.39; p < .01. Paarvergleiche belegen, daß die Fehlerraten
vom 1. Meßzeitpunkt (9 %) zum 2. Meßzeitpunkt (23 %) signifikant ansteigen: t(22) = 3.54; p
< .01. Der weitere Anstieg vom 2. zum 3. Meßzeitpunkt (30 %) ist statistisch jedoch nicht
bedeutsam: t(22) = 1.54; p > .10.
Die Analysen der Latenzzeiten basieren auf RT1 (Antwort wird gewußt) für korrekte
Antworten. Für RT2 (Antwort wird angegeben) fanden sich keine Effekte. Latenzzeiten, die
nach z-Transformation aller RT1 pro Ut mehr als zwei Standardabweichungen über dem
Mittelwert lagen, wurden als Ausreißer gewertet und als fehlende Werte klassifiziert. Für den
Meßzeitpunkt zeigten sich keine Effekte und die Daten wurden pro Ut über die drei
Meßzeitpunkte gemittelt. In zwei verbliebenen Fällen fehlender Werte wurden diese für die
Meßwiederholungsanalyse durch den Mittelwert aller korrekten Antworten des jeweiligen Ut
ersetzt. Aufgrund der kleinen Text-Stichprobe (n = 8) wurde auf Item-Analysen verzichtet.
Für den Faktor Richtung ergab sich kein Haupteffekt, F(3,66) = 1.61; p > .10, jedoch für den
Faktor Objekttyp: F(1,22) = 15.24; p < .01. Ankerobjekte (3838ms) wurden signifikant
schneller beurteilt als kritische Objekte (4200ms) (s. Tabelle 1 ; linke Seite). Da sich für beide
Faktoren eine Wechselwirkung andeutete, F(3,66) = 2.69; p = .10, wurden die Latenzen für
beide Objekttypen getrennt analysiert. Hierbei zeigte sich ein Effekt der Richtung zwar für
Ankerobjekte, F(3,66) = 4.68; p = .01, nicht aber für kritische Objekte, F(3,66) < 1. Paar-
vergleiche ergaben, daß vordere und hintere Ankerobjekte signifikant schneller beurteilt
wurden als seitliche: vorn = hinten < rechts = links. Vordere Ankerobjekt wurden schneller
beurteilt als Ankerobjekte rechts, t(22) = 2.80; p = .01, und links: t(22) = 2.47; p < .05.
Ebenso wurden hintere Ankerobjekte schneller beurteilt als Ankerobjekte rechts, t(22) = 2.41;
p < .05, und links: t(22) = 2.76; p = .01. Kein Unterschied fand sich zwischen vorderen und
hinteren, t(22) < 1, sowie zwischen rechten und linken Ankerobjekten: t(22) = 1.03; p > .10.
Für Ankerobjekte stimmen die Latenzzeiten beim Lesen erwartungsgemäß mit den Vorher-
sagen des Spatial Frameworks überein: Ankerobjekte auf der Vorn-Hinten-Achse werden
schneller beurteilt als auf der Rechts-Links-Achse. Dies bestätigt, daß die Untersuchungs-
teilnehmer die Perspektive des Protagonisten übernommen und egozentrische mentale
Modelle konstruiert hatten. Ankerobjekte waren unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem
lokalisiert. Da Ankerobjekte sprachlich nicht unmittelbar relativ zum Protagonisten, und
somit trotz Protagonistenperspektive sprachlich nicht unmittelbar egozentrisch lokalisiert
wurden, waren deren egozentrische Positionen offensichtlich inferiert worden. Dies war nach
unserer Einschätzung zu erwarten, da das durchweg gewählte sprachliche Relatum Wand es
nicht erlaubt, die Richtungen zu diskriminieren. Dies ermöglichen erst die Ankerobjekte, von
denen wir annehmen, daß sie die Orientierung des Egos im Umraum etablieren. Daß entgegen
den Vorhersagen des Spatial Frameworks vordere Objekte nicht schneller beurteilt werden als
hintere, werten wir nicht als gravierenden Einwand. Zum einen ist das Achsen-Dominanz-
Argument von dem Asymmetrie-Argument unabhängig. Zum anderen waren die in unseren
Texten beschriebenen Objektanordnungen (acht Objekte in vier Richtungen) komplexer als
diejenigen, die Tversky und MitarbeiterInnen verwendeten (fünf Objekte in fünf Richtungen).
Die größere perzeptuelle und funktionale Salienz vorderer Objekte im Vergleich zu hinteren
könnte durch die höhere Aufgabenschwierigkeit in den Hintergrund getreten sein.
Die Latenzen für kritische Objekte weichen hingegen vom Spatial Framework ab: Es findet
sich keinerlei Einfluß der Lokalisationsrichtung kritischer Objekte auf die Schnelligkeit ihrer
Beurteilung. Dieser Befund stimmt mit der von Franklin und Tversky (1990) diskutierten
Gleichverfügbarkeitshypothese überein. Dies spricht dafür, daß egozentrische Positionen
kritischer Objekte beim Lesen nicht schon inferiert worden waren, und sie deshalb nicht
unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem lokalisiert waren. Auch daß kritische Objekte
entsprechend der expliziten sprachlichen Formulierung vermittelt über das jeweilige
Bezugsystem des Ankerobjekts verfügbar sind, wird durch die Befunde nicht gestützt. Da der
Zugriff innerhalb der Bezugsysteme von Ankerobjekten (entsprechend der Präposition auf)
als invariant anzunehmen ist, der Zugriff auf die jeweiligen Bezugsysteme der Ankerobjekte
jedoch dem Spatial Framework folgen sollte, wäre in diesem Fall neben dem verlangsamten
Zugriff auf kritische Objekte gegenüber Ankerobjekten für die Latenzzeiten das Spatial
Framework Pattern auch für kritische Objekte zu erwarten gewesen (vgl. Hypothesen, Punkt
2). Dennoch ist die Gleichverfügbarkeit kritischer Objekte nur schwache Evidenz für deren
allozentrische Lokalisierung. Ein allozentrischer Zugriff wird vor allem indirekt dadurch
gestützt, daß weder ein unmittelbarer egozentrischer Zugriff noch ein über Ankerobjekte
vermittelter egozentrischer Zugriff mit den Befunden übereinstimmt. Die Frage einer
allozentrischen Lokalisierung kritischer Objekte ist anhand der Befunde nicht abschließend
beurteilbar.
Experiment 2: Hören
Methode
Stichprobe. An Experiment 2 nahmen 26 Studentinnen und Studenten der TU Berlin teil, die
wahlweise mit einer Versuchspersonenstunde oder DM 15 entlohnt wurden. Alle 26 Utn
beantworteten weniger als 50 % der Testitems falsch und wurden in die Analyse einbezogen.
Material und Design. Die vier Materialversionen und das Versuchsdesign waren dieselben
wie in Experiment 1. Sämtliches Material war von derselben weiblichen Person auf ein DAT-
Band gesprochen worden. Der gesprochene Text wurde in Sounddateien überführt und war
über die Soundkarte des PCs abrufbar.
Durchführung. In Experiment 2 (Hören) wurde das gesamte Material den Utn auditiv über
einen Kopfhörer eingespielt, der an der Soundkarte des PCs angeschlossen war. Während der
Lern- und Prüfphasen blieb der Bildschirm dunkel. Der Ablauf der Darbietung entsprach im
wesentlichen demjenigen aus Experiment 1 (Lesen). Zunächst wurde den Utn beim Druck der
Leertaste der Titel der Geschichte eingespielt. Beim abermaligen Drücken der Leertaste
wurde der Einführungstext eingespielt sowie im Anschluß daran die Beschreibung der ersten
Wand, die auch in der Lesen-Bedingung als erste Wand beschrieben worden war. Ein Unter-
schied zum Lesen ergab sich im weiteren dadurch, daß für die Beschreibung der Objektan-
ordnung die Möglichkeit selbstbestimmter Lesezeiten, und damit des selbstbestimmten
Lernkriteriums simuliert werden sollten. Nachdem die erste Wandbeschreibung automatisch
erfolgt war, konnten die Utn die weitere Beschreibung der Objektanordnung selbst bestim-
men. Durch Drücken einer entsprechend markierten Taste auf dem Ziffernblock konnte die
Einspielung eines der vier Satzpaare (Ankerobjekt + kritisches Objekt) angefordert werden
(v/8 = vorn, r/6 = rechts, h/2 = hinten, l/4 = links). Reihenfolge und Häufigkeit waren hierbei
dem Belieben der Utn überlassen. Erst beim Drücken der Leertaste wurde die Beschreibung
der Objektanordnung abgebrochen und der Füllsatz wurde eingespielt. Anschließend wurde
die Prozedur entsprechend der Lese-Bedingung im auditiven Modus fortgesetzt.
Ergebnisse und Diskussion
Von den 624 Antworten der 26 Utn waren 71 falsch (11 %). Wiederum steigen die Fehler-
raten mit den Meßzeitpunkten signifikant an: F(2,50) = 8.89; p < .01. Paarvergleiche zeigen
ebenso wie beim Lesen, daß zum 1. Meßzeitpunkt (4 %) signifikant weniger Fehler gemacht
werden als zum 2. Meßzeitpunkt (15 %), t(25) = 3.48; p < .01, und 3. Meßzeitpunkt (14 %):
t(25) = 3.63; p < .01. Die Fehlerraten zum 2. und 3. Meßzeitpunkt unterscheiden sich nicht:
t(25) < 1. Insgesamt aber machten die Utn beim Hören deutlich weniger Fehler als beim
Lesen (21 %): t(47) = 2.62; p = .01.
Abermals ergaben sich für RT2 keine Effekte, und die Analysen der Latenzzeiten basieren auf
RT1 für korrekte Antworten. Ausreißer wurden wie in Experiment 1 bestimmt. Ebenfalls
wurden die Daten wie in Experiment 1 pro Ut über die drei Meßzeitpunkte gemittelt. Vier
fehlende Werte wurden für die Meßwiederholungsanalyse durch den Mittelwert aller
korrekten RT1 des jeweiligen Ut ersetzt.
Einzig der Faktor Richtung (s. Tabelle 1 ; rechte Seite) zeigte beim Hören Wirkung: F(3,75) =
6.29; p < .01. Es fand sich weder ein Einfluß des Faktors Objekttyp, F(1,25) < 1, noch eine
Wechselwirkung beider Faktoren, F(3,75) < 1. Paarvergleiche zeigten, daß vordere und
hintere Objekte ungeachtet des Objekttyps schneller beurteilt wurden als seitliche Objekte:
vorn = hinten < rechts = links. Vordere Objekte wurden durchweg schneller beurteilt als
Objekte rechts, t(25) = 3.30; p = .01, und links: t(25) = 3.57; p < .01. Auch hintere Objekte
wurden schneller beurteilt als diejenigen rechts, t(25) = 2.32; p < .05, und links: t(25) = 2.34;
p < .05. Kein Unterschied fand sich hingegen zwischen vorderen und hinteren Objekten, t(25)
= 1.02; p > .10, und zwischen rechten und linken Objekten: t(25) < 1.
Beim Hören erfolgt der Zugriff auf Ankerobjekte und kritische Objekte gleichermaßen
egozentrisch, wie an der Gültigkeit des Spatial Frameworks für beide Objekttypen zu
erkennen ist. Da kritische Objekte nicht langsamer beurteilt wurden als Ankerobjekte, ist
jeweils ein unmittelbarer egozentrischer Zugriff anzunehmen. Kritische Objekte waren
entgegen der sprachlichen Lokalisierung nicht erst vermittelt über Ankerobjekte verfügbar.
Dies belegt, daß beim Hören die egozentrischen Positionen auch der kritischen Objekte
inferiert und aktualisiert worden waren, so daß kritische Objekte ebenso wie Ankerobjekte
unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem lokalisiert waren. Auch die durchweg größere
perzeptuelle und mutmaßlich auch funktionale Salienz von Ankerobjekten gegenüber
kritischen Objekten bewirkte weder kürzere Latenzen noch geringere Fehlerraten für
Ankerobjekte. Da Franklin und Tversky (1990) die größere Salienz von vorderen gegenüber
hinteren Objekten für die Asymmtrie auf der Vorn-Hinten-Achse verantwortlich machen,
erscheint uns das Ausbleiben eines Asymmetrieeffektes in unseren Experimenten vereinbar
damit, daß auch die größere Salienz von Ankerobjekten gegenüber kritischen Objekten nicht
wirksam wird.
Experiment 3: Gemischte Modalität
Methode
Da die Befunde beim Lesen und Hören nicht übereinstimmten, wurde abschließend ein drittes
Experiment durchgeführt, das Aufschluß darüber geben sollte, ob die Darbietungsmodalität
bereits die Konstruktion räumlicher mentaler Modelle beeinflußt, oder ob sie erst mit dem
Updating zusammenwirkt. Hierfür sollte in der Lernphase das mentale Modell bei visueller
Darbietung konstruiert werden. In der anschließenden Testphase erfolgte das Updating
(Reorientierungssätze) bei auditiver Darbietung. Beeinträchtigt die visuelle Darbietung bereits
die Konstruktion des mentalen Modells, so sind Befunde entsprechend Experiment 1 (Lesen)
zu erwarten. Erschwert das Lesen jedoch vornehmlich das Updating, so sollten die Befunde
Experiment 2 (Hören) entsprechen.
Stichprobe. An Experiment 3 nahmen 27 Studentinnen und Studenten der TU Berlin teil, die
wahlweise mit einer Versuchspersonenstunde oder DM 15 entlohnt wurden. Ein Ut machte
mehr als 50 % Fehler und wurde von der Analyse ausgeschlossen.
Material und Design. Die vier Materialversionen und das Versuchsdesign waren dieselben
wie in Experiment 1 und 2.
Durchführung. In Experiment 3 (gemischt) wurden beide Modalitäten kombiniert. Das
Material in der Lernphase (Display 1 und 2) wurde wie in Experiment 1 visuell dargeboten.
Das Material in der Testphase (inklusive Füllsatz und Reorientierungssätze) wurde wie in
Experiment 2 auditiv dargeboten. Vor dem Füllsatz und dem darauffolgenden 1. Testitem
fand also bei jedem Text ein Modalitätswechsel von visueller zu auditiver Darbietung statt.
Ergebnisse und Diskussion
Von den 624 Antworten der 26 Utn waren 133 falsch (21 %). Wie in den beiden
vorhergehenden Experimenten nehmen die Fehlerraten mit dem Meßzeitpunkt zu: F(2,50) =
14.42; p < .01. Paarvergleiche weisen jedoch den Anstieg vom 1. Meßzeitpunkt (10 %) zum
2. Meßzeitpunkt (22 %), t(25) = 2.63; p = .01, ebenso als signifikant aus wie den Anstieg vom
2. zum 3. Meßzeitpunkt (32 %): t(25) = 3.13; p < .01. Insgesamt machten die Utn ebenso viele
Fehler wie beim reinen Lesen, t(47) < 1, also deutlich mehr als beim reinen Hören: t(50) =
2.52; p = .01.
Abermals wurden RT1 für korrekte Antworten analysiert, während sich für RT2 keine Effekte
fanden. Ausreißer wurden ebenso wie in Experiment 1 und 2 bestimmt und pro Ut über die
drei Meßzeitpunkte gemittelt. Drei verbliebene fehlende Werte wurden für die
Meßwiederholungsanalyse durch den Mittelwert aller korrekten RT1 des jeweiligen Ut
ersetzt.
Für Experiment 3 (gemischt; s. Tabelle 2 : gemittelt) ließ sich keinerlei Effekt für die über
Meßzeitpunkte gemittelten Daten aufzeigen. Weder für Richtung, F(3,75) = 1.29; p > .10,
noch für Objekttyp, F(1,25) = 2.08; p > .10, oder die Interaktion beider Faktoren, F(3,75) < 1,
fand sich ein signifikanter Einfluß.
Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Experimenten erwies sich in Experiment 3 bei
der Analyse des dreifaktoriellen Gesamtdesigns die Wechselwirkung von Richtung und Meß-
zeitpunkt als statistisch bedeutsam: F(6,150) = 4.69; p < .01. Die Wechselwirkung von Rich-
tung und Meßzeitpunkt ist auf erhöhte Latenzen für hintere Objekte zum 1. Meßzeitpunkt ge-
genüber den beiden späteren Meßzeitpunkten zurückzuführen (s. Tabelle 2 ). Eine an-
schließende Auswertung unter Ausschluß der zum ersten Meßzeitpunkt erhobenen Daten
erbrachte wie in Experiment 2 (Hören) ausschließlich einen Richtungseffekt, F(3,75) = 4,09;
p = .01, aber keinerlei Einfluß von Objekttyp oder Meßzeitpunkt: Vordere (3473ms) und
hintere Objekte (3128ms) wurden schneller beurteilt als rechte (4317ms) und linke Objekte
(4118ms). Vordere Objekte wurden zum 2. und 3. Meßzeitpunkt tendenziell schneller
beurteilt als rechte Objekte, t(25) = 1.84; p > .10, und signifikant schneller als linke Objekte:
t(25) = 2.02; p = .05. Hintere Objekte wurden sowohl signifikant schneller beurteilt als rechte
Objekte, t(25) = 2.92; p < .01, wie auch als linke Objekte: t(25) = 3.84; p < .01. Kein
Unterschied fand sich zwischen vorderen und hinteren, sowie zwischen rechten und linken
Objekten: jeweils t(25) < 1.
Die Daten aus Experiment 3 sind weniger homogen als diejenigen der beiden vorangegange-
nen Experimente. Die über Meßzeitpunkte gemittelten Daten zeigen keinerlei Effekt der
Richtung oder des Objekttyps auf. Eine mögliche Erklärung sehen wir darin, daß der
Übergang von der visuellen zur auditiven Modalität die Untersuchungsteilnehmer irritierte.
Zwar stimmt die Fehlerrate insgesamt (21 %) mit der reinen Lesen-Bedingung (21 %)
überein. Doch scheinen die Utn in Experiment 3 die Aufgabe subjektiv für schwerer erachtet
zu haben als in Experiment 1, wie die längeren Lesezeiten für die Beschreibung der
Objektanordnung (Display 2) zeigen. Bei gemischter Modalität (86.6s) lasen die
Untersuchungsteilnehmer die Beschreibung der Objektanordnung im Schnitt signifikant
länger als diejenigen beim reinen Lesen (68.2s): F(1,47) = 7.07; p < .05. Dies spricht für ein
höheres selbstbestimmtes Lernkriterium im Fall gemischter Modalität, obwohl die Texte
identisch waren. Schließt man die Daten des ersten Meßzeitpunktes aus, die am ehesten von
einer durch den Modalitätswechsel hervorgerufenen Irritation betroffen sein sollten, so zeigen
sich der reinen Hören-Bedingung entsprechende Befunde für die Meßzeitpunkte 2 und 3.
Vordere und hintere Objekte beider Objekttypen sind schneller verfügbar als seitliche
Objekte. Nach dem ersten vorzunehmenden Updating (1. Reorientierungssatz) bei nunmehr
auditiver Darbietung kann auf sämtliche Objekte unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem
zugegriffen werden.
Allgemeine Diskussion
Rezipienten konstruieren zu einem Text, in dem Objekte im Umraum eines Protagonisten
lokalisiert werden, bevorzugt ein egozentrisches mentales Modell unter Protagonisten-
perspektive und lokalisieren sämtliche Objekte unmittelbar egozentrisch. Dies gilt auch für
Objekte, die sprachlich nicht (qua Protagonistenperspektive) egozentrisch lokalisiert werden
und deren egozentrische Position erst inferiert werden muß. Sowohl Ankerobjekte, die die
Orientierung des Egos im Umraum etablieren, als auch kritische Objekte, die sprachlich
relativ zu Ankerobjekten lokalisiert werden, sind unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem
lokalisiert. Müssen solche Texte hingegen gelesen werden, verhindert dies eine egozentrische
Lokalisierung aller im Text genannten Objekte. Zwar werden auch hier Ankerobjekte
egozentrisch lokalisiert, nicht aber kritische Objekte. Den Grund hierfür sehen wir darin, daß
das Lesen gegenüber dem Hören mit der Konstruktion und dem Aufrechterhalten eines
räumlichen mentalen Modells interferiert. Damit ist es zwar Hörern möglich, ein Updating
eines vollständig egozentrischen mentalen Modells trotz der hohen kognitiven Beanspruchung
vorzunehmen. Leser aber sind durch ein solches Updating überfordert und beschränken sich
auf die egozentrische Lokalisierung nur von Ankerobjekten, um so die kognitive
Beanspruchung durch das Updating zu reduzieren. Kritische Objekte scheinen jedoch nicht
vermittelt über die Bezugsysteme der egozentrisch lokalisierten Ankerobjekte verfügbar zu
sein. Vielmehr scheint der Zugriff allozentrisch zu erfolgen.
Ferner sprechen die Befunde aus Experiment 3 dafür, daß durch die Interferenz des Lesens
weniger die egozentrische Lokalisierung kritischer Objekte überhaupt unterbunden wird.
Vielmehr zeigt sich bei einer dem Lesen anschließenden auditiven Darbietung in der Test-
phase, in der das mentale Modell aktualisiert werden muß, eine unmittelbare Verfügbarkeit im
egozentrischen Bezugsystem für kritische Objekte ebenso wie für Ankerobjekte ab dem ersten
erforderlichen Updating. Die Latenzen für die Beurteilung der Objekte unmittelbar im An-
schluß an den Modalitätswechsel und vor dem ersten Updating weichen allerdings von allen
sonst zu beobachtenden Antwortzeitmustern ab. Einzig hier stimmen die Latenzen selbst für
Ankerobjekte nicht mit dem Spatial Framework Pattern überein. Wir können uns dies nur
dadurch erklären, daß die Untersuchungsteilnehmer durch den Modalitätswechsel irritiert
waren, und die Latenzen deshalb keinen Aufschluß über die dem Objektzugriff
zugrundeliegenden Prozesse geben.
Daß die Interferenz beim Lesen auch die Konstruktion des mentalen Modells als solche
beeinträchtigt, wird durch die Fehlerraten gestützt. Beim Lesen während der Lernphase und
damit der Konstruktion des mentalen Modells liegen die Fehlerraten insgesamt deutlich höher
als beim durchgängigen Hören in Experiment 2. Dies gilt gleichermaßen für das reine Hören
in Experiment 1 wie auch für die gemischte Darbietungsmodalität in Experiment 3.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich die Gültigkeit des Spatial Frameworks nicht
auf sprachlich - explizit oder qua Protagonistenperspektive - unmittelbar egozentrisch
lokalisierte Objekte beschränkt, daß aber eine unmittelbar egozentrische Lokalisierung aller in
einem Text genannten Objekte dann nicht beobachtbar ist, wenn die kognitive Beanspruchung
der Rezipienten zu groß wird, beispielsweise wegen eines vorzunehmenden Updatings
während des Lesens.
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Diese Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch die Sachbeihilfe
Wy20/2-1 im Rahmen des DFG-Schwerpunktes Raumkognition gefördert. In diesem
interdisziplinären Projekt arbeiten wir eng mit den Kollegen aus dem Bereich der Künstlichen
Intelligenz zusammen, Professor Fritz Wysotzki, Ute Schmid und Sylvia Wiebrock, die
wesentlich für die kognitive Modellierung verantwortlich zeichnen, und denen wir an dieser
Stelle herzlich für die anregende Diskussion danken.
Anschrift
Robin Hörnig, Technische Universität Berlin, Sekr. FR 5 - 8, FB 13: Informatik, Franklinstr.
28/29, 10587 Berlin, Tel: 030-3 14-7 3 3 92, Email: [email protected].