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erschienen in: Zeitschrift für Experimentelle Psychologie, 1999, Vol. 46, 140-151 Egozentrische Inferenz von Objektpositionen beim Lesen und Hören Robin Hörnig Technische Universität Berlin Klaus Eyferth Technische Universität Berlin Berry Claus Technische Universität Berlin Zusammenfassung. Die Untersuchungsteilnehmer lasen Texte, in denen verschiedene Objekte im Umraum eines Protagonisten lokalisiert wurden. Indem sie die Perspektive des Protagonisten übernahmen, konstruierten die Untersuchungsteilnehmer egozentrische mentale Modelle der beschriebenen Objektanordnungen. Während der Testphase machten Umorientierungen des Protagonisten ein entsprechendes Updating des mentalen Models erforderlich. Wir prüften, ob auch solche Objekte im mentalen Modell unmittelbar egozentrisch lokalisiert werden, deren sprachliche Lokalisierung im Text nicht unmittelbar in Relation zum Protagonisten erfolgt, d. h. ob egozentrische Objektpositionen inferiert werden. In zwei Experimenten wurden die Texte und Testitems entweder visuell oder auditiv dargeboten. In einem dritten Experiment wurden die Texte visuell, die Testitems auditiv präsentiert. Wir fanden, daß Rezipienten bevorzugt sämtliche Objekte unmittelbar egozentrisch lokalisieren, daß aber das Lesen mit einem Updating des egozentrischen mentalen Modells interferiert und dadurch eine egozentrische Lokalisierung aller Objekte verhindert. Schlüsselwörter: Textverstehen, räumliche mentale Modelle, Inferenz, Darbietungsmodalität Egocentric inference of object positions during reading and listening Abstract. Subjects read narratives describing several objects surrounding a protagonist. In taking the protagonist's perspective, subjects constructed egocentric mental models of the described object configurations. During the test phase, the mental model had to be updated according to reorientations of the protagonist. We examined if objects are localized immediately within the egocentric reference frame of the mental model, even if they are not linguistically localized relative to the protagonist, that is, if egocentric object positions have to be inferred. In two experiments, narratives and test items were presented either visually or aurally. In a third experiment, narratives were presented visually but test items were presented aurally. We found that recipients tended to localize every object immediately within the egocentric reference frame. But since reading interferes with updating of the mental model, subjects did not localize every object egocentrically if visual presentation was used throughout. Keywords: text comprehension, spatial mental models, inference, modality of presentation

Egozentrische Inferenz von Objektpositionen beim Lesen und Hören

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erschienen in: Zeitschrift für Experimentelle Psychologie, 1999, Vol. 46, 140-151

Egozentrische Inferenz von Objektpositionen beim Lesen und Hören

Robin Hörnig Technische Universität Berlin

Klaus Eyferth Technische Universität Berlin

Berry Claus Technische Universität Berlin

Zusammenfassung. Die Untersuchungsteilnehmer lasen Texte, in denen verschiedene

Objekte im Umraum eines Protagonisten lokalisiert wurden. Indem sie die Perspektive des

Protagonisten übernahmen, konstruierten die Untersuchungsteilnehmer egozentrische mentale

Modelle der beschriebenen Objektanordnungen. Während der Testphase machten

Umorientierungen des Protagonisten ein entsprechendes Updating des mentalen Models

erforderlich. Wir prüften, ob auch solche Objekte im mentalen Modell unmittelbar

egozentrisch lokalisiert werden, deren sprachliche Lokalisierung im Text nicht unmittelbar in

Relation zum Protagonisten erfolgt, d. h. ob egozentrische Objektpositionen inferiert werden.

In zwei Experimenten wurden die Texte und Testitems entweder visuell oder auditiv

dargeboten. In einem dritten Experiment wurden die Texte visuell, die Testitems auditiv

präsentiert. Wir fanden, daß Rezipienten bevorzugt sämtliche Objekte unmittelbar

egozentrisch lokalisieren, daß aber das Lesen mit einem Updating des egozentrischen

mentalen Modells interferiert und dadurch eine egozentrische Lokalisierung aller Objekte

verhindert.

Schlüsselwörter: Textverstehen, räumliche mentale Modelle, Inferenz, Darbietungsmodalität

Egocentric inference of object positions during reading and listening

Abstract. Subjects read narratives describing several objects surrounding a protagonist. In

taking the protagonist's perspective, subjects constructed egocentric mental models of the

described object configurations. During the test phase, the mental model had to be updated

according to reorientations of the protagonist. We examined if objects are localized

immediately within the egocentric reference frame of the mental model, even if they are not

linguistically localized relative to the protagonist, that is, if egocentric object positions have to

be inferred. In two experiments, narratives and test items were presented either visually or

aurally. In a third experiment, narratives were presented visually but test items were presented

aurally. We found that recipients tended to localize every object immediately within the

egocentric reference frame. But since reading interferes with updating of the mental model,

subjects did not localize every object egocentrically if visual presentation was used

throughout.

Keywords: text comprehension, spatial mental models, inference, modality of presentation

Steht Torsten inmitten einer ihm nicht vertrauten Küche und wird ihm mitgeteilt Der

Kühlschrank steht links von dir, so weiß er, daß sich der Kühlschrank zu seiner Linken

befindet. Auch weiß er: würde er sich nach links wenden, befände sich der Kühlschrank vor

ihm. Wird Torsten ferner mitgeteilt Auf dem Kühlschrank steht die Schüssel, so kann er gültig

schlußfolgern, daß sich die Schüssel ebenfalls links von ihm befindet. Es ist aber keineswegs

klar, ob er diese Schlußfolgerung tatsächlich zieht, wenn er hört, wo sich die Schüssel

befindet. Will er die Schüssel finden, wendet er sich möglicherweise zunächst dem

Kühlschrank zu, um dann relativ zu diesem die Schüssel ausfindig zu machen. Ganz so

charakterisieren Miller und Johnson-Laird (1976 , S. 384) das sprachliche Lokalisieren

anhand der Unterscheidung zweier Suchdomänen: “One purpose of locative descriptions is to

narrow the domain of search for a referent. […] it is helpful to distinguish two search

domains. The first domain is the one in which to search for the relatum y; the second is a

subdomain of the first in which to search for the referent x.” Wir wollen zunächst die hier

aufgeworfene Fragestellung anhand unseres Modellierungsansatzes mentaler Modelle beim

Textverstehen präzisieren. Als mentales Modell bezeichnen wir die mentale Repräsentation

des im Text beschriebenen Sachverhalts (Johnson-Laird, 1983 , 1989 ).

Vom Text zum mentalen Modell

Wir skizzieren im folgenden die wesentlichen Züge der von uns zugrundegelegten kognitiven

Modellierung räumlicher mentaler Modelle beim Textverstehen. Eine ausführliche

Darstellung findet sich in Claus, Gips, Eyferth, Hörnig, Schmid, Wiebrock und Wysotzki

(1998) , sowie in Wysotzki, Schmid und Heymann (1997) .

Eine in einem Text beschriebene Objektanordnung wird in einen Graphen übersetzt, dessen

Knoten die Objekte repräsentieren. Jedem Objekt-Knoten ist ein drei-dimensionales

Koordinatensystem (Bezugsystem) zugeordnet, das je nach Art des Objekts eine vollständige

(z. B. ein Mensch), eine teilweise (z. B. eine Schüssel) oder keine (z. B. ein Ball)

Interpretation im Sinne der intrinsischen Eigenschaften (z. B. Vorder- und Rückseite; Ober-

und Unterseite) des jeweiligen Gegenstandes erlaubt. Erwähnt der Text eine räumliche

Relation zwischen zwei Objekten, so werden die entsprechenden Knoten des Graphen durch

eine gerichtete Kante verbunden, die durch eine Transformationsmatrix bezeichnet ist. Diese

Matrix spezifiziert die relative Position (und Orientierung) eines der beiden Objekte relativ

zum anderen Objekt dadurch, daß sie diejenigen Transformationen (Translationen und

Rotation) angibt, durch die das Koordinatensystem des einen Objekts auf dasjenige des

anderen Objekts abgebildet wird.

Im weiteren setzen wir die intrinsische Lesart der Relationsausdrücke wie links von in Satz (1)

voraus (zur intrinsisch-deiktisch Unterscheidung siehe Miller und Johnson-Laird, 1976 ; mit

den Begriffen Referent und Relatum folgen wir deren Terminologie).

(1) Der Kühlschrank [Referent] steht links von Torsten [Relatum].

Satz (1) erlaubt eine unmittelbare Übersetzung in ein mentales Modell, d. h. einen

entsprechenden Graphen. Der Knoten für den Referenten Kühlschrank wird mit dem Knoten

für das Relatum Torsten durch eine Kante verbunden. Diese wird durch eine Matrix annotiert,

die angibt, wie das Bezugsystem von Torsten in dasjenige des Kühlschranks abzubilden ist.

Der Relationsausdruck wird so übersetzt in die Repräsentation der relativen Position des

Referenten im Bezugsystem des Relatums. Der Kühlschrank wird unmittelbar im

Bezugsystem von Torsten lokalisiert: im negativen Bereich von dessen Rechts-Links-Achse.

(2) Die Schüssel [Referent] steht auf dem Kühlschrank [Relatum].

Folgt im Text der weitere Satz (2), so ist das mentale Modell um einen dritten Knoten für den

Referenten des zweiten Satzes (Schüssel) zu erweitern. Dieser wird dann mit dem bereits im

Graphen enthaltenen Knoten für das Relatum des zweiten Satzes (Kühlschrank) durch eine

Kante verknüpft, und diese wird mit einer dem Relationsausdruck auf entsprechenden Matrix

bezeichnet. Die Schüssel wird unmittelbar im Bezugsystem des Kühlschranks lokalisiert. Hier

wird ersichtlich, daß die Referenten beider Sätze nicht unmittelbar in ein und demselben

Bezugsystem lokalisiert werden. Das betrachtete mentale Modell repräsentiert ausschließlich

im Text explizit genannte räumliche Relationen zwischen Objekten. Es ist jedoch möglich,

die Relation zwischen der Schüssel und Torsten zu inferieren. Hierzu ist dem Graphen eine

Kante zwischen dem Torsten-Knoten und dem Schüssel-Knoten hinzuzufügen, und die an den

beiden bestehenden Kanten des Graphen annotierten Matrizen sind miteinander zu

verrechnen. Die neu berechnete Matrix bezeichnet dann die neu hinzugefügte Kante und

drückt die relative Position der Schüssel im Bezugsystem von Torsten aus. Die Referenten

beider Sätze sind dann unmittelbar im Bezugsystem von Torsten lokalisiert. Ersichtlich ist

dies daran, daß je eine Kante den Torsten-Knoten mit den jeweiligen Objekt-Knoten von

Kühlschrank und Schüssel verbindet und deren relativen Positionen im Bezugsystem von

Torsten spezifiziert.

Relative Objektlokalisierung in egozentrischen mentalen Modellen

Rezipienten neigen dazu, auch dann ein egozentrisches mentales Modell zu konstruieren,

wenn ein Text in der dritten Person Singular formuliert ist, beispielsweise indem sie die

Perspektive des Protagonisten übernehmen (vgl. Bryant, Tversky & Franklin, 1992 ; Tversky,

Franklin, Taylor & Bryant, 1994 ). Eine Perspektivübernahme ist insbesondere dann zu

erwarten, wenn der Text nur von einem Protagonisten an einem gegebenen Ort erzählt, und so

eine bestimmte Perspektive nahelegt (vgl. Franklin, Tversky & Coon, 1992 ; Tversky et al.,

1994 ). Daß Rezipienten in diesem Fall tatsächlich ein egozentrisches mentales Modell

konstruieren, läßt sich anhand des für egozentrische mentale Modelle spezifischen

Latenzzeitmusters bei der Beurteilung von Objekten belegen, die im Text sprachlich im

Umraum des Protagonisten lokalisiert werden. Franklin und Tversky (1990) zeigten in einer

Reihe von Untersuchungen, daß in egozentrischen mentalen Modellen vordere und hintere

Objekte schneller verfügbar sind als seitliche. Hierbei verwendeten sie Texte in der zweiten

Person Singular, die den Rezipienten unmittelbar als Relatum der sprachlichen Lokalisierung

ansprachen. Nachdem die Untersuchungsteilnehmer die Texte gelesen hatten, sollten sie auf

die Darbietung einer egozentrisch definierten Richtungsbezeichnung hin angeben, welches

Objekt dort lokalisiert war. Hierbei wurden vordere und hintere Objekte schneller erinnert als

rechte und linke Objekte. Obere und untere Objekte wurden am schnellsten erinnert. Franklin

und Tversky erklären diese Befunde mit dem sogenannten (Internal) Spatial Framework

Model. Dieses Modell postuliert den Objektzugriff als Funktion der Achsendominanz des

egozentrischen Bezugsystems. Grundsätzlich ist innerhalb des egozentrischen Bezugsystems

ein unmittelbarer Objektzugriff in jeder Richtung möglich. Der Oben-Unten-Achse wird die

größte Bedeutung zugeschrieben, da sie bei kanonischer Stellung (aufrecht) mit der

Gravitationsachse übereinstimmt. In der Horizontalen wird die Rechts-Links-Achse von der

Vorn-Hinten-Achse dominiert, aus der sie abgeleitet ist. In der Ebene sind Objekte auf der

Vorn-Hinten-Achse deshalb schneller verfügbar als auf der Rechts-Links-Achse. Zudem

verursacht die Asymmetrie der Vorn-Hinten-Achse einen schnelleren Zugriff auf vordere

Objekte im Vergleich zu hinteren, aufgrund deren größerer funktionaler und perzeptueller

Salienz.

Daß Rezipienten die Perspektive des Protagonisten übernehmen, läßt sich nun dadurch

aufzeigen, daß sich bei der Beurteilung von Objekten, die im Text im Umraum des

Protagonisten lokalisiert wurden, dasselbe Latenzzeitmuster findet wie im Fall der sprachlich

expliziten Lokalisierung von Objekten relativ zum Rezipienten selbst: das Spatial Framework

Pattern. Bryant und Tversky (1992) evaluierten das Spatial Framework Modell weiter für das

komplementäre Paradigma bei Texten in der dritten Person Singular: Den

Untersuchungsteilnehmern wurden in der Testphase Objektbezeichnungen dargeboten,

worauf sie die Richtung der Objekte relativ zum Protagonisten angeben sollten. Auch hier

fand sich für die Latenzen das Spatial Framework Pattern.

Um die Protagonistenperspektive zu modellieren, ist dem mentalen Modell ein Ego-Knoten

hinzuzufügen, der ein entsprechendes egozentrisches Bezugsystem verfügbar macht. Dieses

egozentrische Bezugsystem des Rezipienten ist übereinstimmend mit demjenigen des

Protagonisten lokalisiert und ausgerichtet. In diesem Fall kann der Rezipient jeden Satz, der

ein Objekt relativ zum Relatum Protagonist lokalisiert, als egozentrische Lokalisierung

interpretieren (siehe Hörnig, Claus & Eyferth, 1997 ). Liest er Satz (1), so interpretiert er

diesen als Der Kühlschrank steht links von mir. Auf diese Weise konstruiert der Rezipient ein

egozentrisches mentales Modell: der Kühlschrank-Knoten wird mit dem Ego-Knoten

verbunden und mit der entsprechenden Matrix für links von annotiert.

Bryant und Tversky (1992 , S. 29) definieren: “A spatial framework is a mental model that

specifies the spatial relations among objects with respect to an observer in the environment.”

Wir werten dies als Aussage über Objekte, die unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem

(spatial framework) lokalisiert und unmittelbar in diesem zugreifbar sind. Tversky und

Mitarbeiter verwendeten Texte, die in einer gegebenen Richtung jeweils ein Objekt sprachlich

unmittelbar relativ zum Rezipienten bzw. Protagonisten lokalisierten (z. B. Franklin &

Tversky, 1990 , S. 65: “Directly behind you, at your eye level, is an ornate lamp attached to

the balcony wall.”) Hierfür ist ein egozentrisches mentales Modell anzunehmen, wo jedes

Objekt direkt durch eine Kante mit dem Ego-Knoten verbunden ist. Wir können hieraus auf

die Gültigkeit des Spatial Frameworks für Objekte schließen, die unmittelbar im

egozentrischen Bezugsystem lokalisiert sind. Offen bleibt dabei, ob alle im Text erwähnten

Objekte, also auch sprachlich nicht egozentrisch lokalisierte Objekte, unmittelbar im

egozentrischen Bezugsystem lokalisiert sind.

Wird im weiteren Text eine Bewegung des Protagonisten erwähnt, beispielsweise eine

Umorientierung wie in (3), so erfordert dies ein Updating des egozentrischen mentalen

Modells, da eine solche Bewegung aufgrund der Protagonistenperspektive vom Rezipienten

als Eigenbewegung interpretiert wird.

(3) Torsten wendet sich nach hinten.

Nach dem Updating des mentalen Modells befindet sich der Kühlschrank nicht mehr links,

sondern rechts vom Ego. Dasselbe gilt für die Schüssel auf dem Kühlschrank. Der hier

zugrundegelegte Modellierungsansatz erlaubt nun folgende Vorhersage: Werden sämtliche

Objekte egozentrisch lokalisiert, so ist das Updating des mentalen Modells maximal

aufwendig, da das Updating eine Neuberechnung jeder Matrix erfordert, die eine Kante

zwischen dem Ego-Knoten und einem Objekt-Knoten bezeichnet. Der kognitive Aufwand für

das Updating des mentalen Modells ist beispielsweise dann geringer, wenn egozentrische

Objektpositionen nicht inferiert werden. Außerdem läßt sich der kognitive Aufwand dadurch

reduzieren, daß alle im Text erwähnten Objekte in einem Bezugsystem lokalisiert werden, das

gegenüber einer Eigenbewegung des Rezipienten invariant ist. Frank (1998 , S. 303) diskutiert

ein vergleichbares Problem als Pragmatik der Auswahl sprachlicher Lokalisierungsausdrücke:

“The difference in what is and is not affected by changes is likely to affect the pragmatics of

selecting an absolute or a relative reference frame: Absolute directions are invariant under

individual rotation of the speaker, the observer or the ground object.” Klatzky (1998) verweist

darauf, daß eine Eigenbewegung ihrerseits hinsichtlich eines allozentrischen bzw. absoluten

Bezugsystems repräsentiert werden kann. Hörnig, Claus und Eyferth (1997) argumentieren

aus kontextuell-semantischen Überlegungen für ein allozentrisches Bezugsystem auch bei

egozentrischen mentalen Modellen, und diskutieren das Problem der repräsentationalen

Unterscheidung von Eigen- und Fremdbewegung. Nach Klatzky läßt sich die Referenz-

richtung eines allozentrischen Bezugsystems aus der Geometrie eines Raumes ableiten. In den

von uns verwendeten Texten wird der Protagonist stets als inmitten eines Raumes stehend

eingeführt, wie in (4):

(4) Torsten steht inmitten der Küche.

Damit enthält das egozentrische mentale Modell einen Raum-Knoten, der ein dreidimensio-

nales Bezugsystem bereitstellt, welches die Funktion eines allozentrischen Bezugsystems

erfüllen kann. Werden sämtliche im Text genannten Objekte allozentrisch lokalisiert, so ist

neben den explizit genannten räumlichen Relationen im mentalen Modell entsprechend

zwischen jedem Objektknoten (einschließlich des Ego-Knotens) und dem Raumknoten eine

Kante einzutragen. Diejenige Teilklasse von Objekten, die aufgrund der sprachlichen Lokali-

sierung sowohl egozentrisch als auch allozentrisch lokalisiert sind, etablieren nach unserer

Auffassung die Orientierung des Egos im Umraum und erfüllen so die Funktion lokaler Land-

marken (vgl. Werner, Krieg-Brückner, Mallot, Schweizer & Freksa, 1997 ). Im weiteren nen-

nen wir diese Teilklasse von Objekten Ankerobjekte. Macht eine Eigenbewegung ein

Updating des egozentrischen mentalen Modells erforderlich, so sind hiervon ausschließlich

Kanten zwischen dem Ego-Knoten und den Knoten für Ankerobjekte betroffen, während allo-

zentrische Lokalisierungen von Objekten unverändert bleiben. Insofern reduziert eine allozen-

trische Lokalisierung im Raumbezugsystem den kognitiven Aufwand eines Updatings des

egozentrischen mentalen Modells gegenüber durchweg egozentrisch lokalisierten Objekten.

Gehen wir davon aus, daß Rezipienten bevorzugt alle Objekte egozentrisch lokalisieren, die

hohe kognitive Beanspruchung eines Updatings dem aber zuwiderläuft, dann läßt sich ein

Einfluß der Darbietungsmodalität der Texte erwarten. Kaup, Kelter, Habel und Clauser (1997

, S. 69 f.) postulieren, daß die Blickbewegungssteuerung beim Lesen, welche “visuo-spatiale

Informationsverarbeitung” voraussetzt, “den Aufbau und/oder das Verfügbarhalten von

räumlichen Vorstellungen” stört, und kommen so zu der Annahme, “daß der Aufbau räum-

licher mentaler Modelle beim Lesen schwieriger ist als beim Hören von Texten.” Indem Kaup

et al. empirische Evidenz für diese Annahme anführen, kommen sie zu dem Schluß, daß

“Effekte, die mit Eigenschaften räumlicher mentaler Modelle zusammenhängen, […] dem-

nach beim Lesen schwächer ausfallen als beim Hören von Texten.” Auf unseren Fall übertra-

gen heißt dies: Wenn die Konstruktion und das Aufrechterhalten des mentalen Modells beim

Lesen schwieriger ist als beim Hören, dann könnten Hörer möglicherweise den für das

Updating egozentrischer Objektpositionen notwendigen kognitiven Aufwand kompensieren,

Leser hingegen nicht. Nur beim Hören der Texte würden Rezipienten dann sämtliche Objekte

egozentrisch lokalisieren. Um dies zu prüfen, wurde die Darbietungsmodalität in zwei Experi-

menten variiert. In einem ersten Experiment wurde sämtliches Material in visueller Modalität

dargeboten (Lesen), in einem zweiten Experiment wurde dasselbe Material in auditiver

Modalität dargeboten (Hören). Da die Befunde beider Experimente tatsächlich nicht

übereinstimmten, wurden in einem dritten Experiment für eine weitergehende Klärung beide

Modalitäten kombiniert.

Hypothesen

Ankerobjekte. In unseren Experimenten verwenden wir Texte, die von jeweils genau einem

Protagonisten erzählen, der in einem Raum von Objekten umgeben ist. Wir setzen voraus, daß

die Rezipienten beim Lesen dieser Texte die Protagonistenperspektive einnehmen und so ein

egozentrisches mentales Modell konstruieren. Die Klasse der Ankerobjekte haben wir oben

dadurch definiert, daß sie sprachlich explizit (qua Protagonistenperspektive) unmittelbar ego-

zentrisch lokalisiert werden. Andererseits haben wir sie anhand ihrer Funktion charakterisiert,

daß sie die Orientierung des Egos im Umraum etablieren und damit die Funktion lokaler

Landmarken erfüllen. Unsere Texte lokalisieren Ankerobjekte nur mittelbar egozentrisch (d.

h. zum Protagonisten) und unmittelbar relativ zu den vier Wänden des Raumes, wie in (5):

(5) An der Wand links von Torsten steht der Kühlschrank.

Nach dem sprachlichen Kriterium ist hier die Wand und nicht der Kühlschrank als Ankerob-

jekt zu klassifizieren. Da jedoch im Text in allen vier Richtungen je ein Wandobjekt einge-

führt wird, können die vier Wände die Funktion lokaler Landmarken nicht erfüllen, und des-

halb die Orientierung des Egos im Umraum nicht verankern. Wir postulieren daher für die

sprachlich nur mittelbar egozentrisch lokalisierten Ankerobjekte eine inferierte egozentrische

Lokalisierung: das mentale Modell zu (5) enthält eine Kante zwischen Ego-Knoten und

Kühlschrank-Knoten.

Aufgrund der von uns vorausgesetzten Protagonistenperspektive und der postulierten Lokali-

sierung von Ankerobjekten unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem erwarten wir für

Ankerobjekte grundsätzlich Latenzen entsprechend dem Spatial Framework Pattern: Anker-

objekte, die laut Text (an der Wand) vor oder hinter dem Protagonisten lokalisiert sind, sind

schneller verfügbar als Ankerobjekte rechts und links von ihm.

Kritische Objekte. Objekte, die sprachlich unmittelbar relativ zu Ankerobjekten lokalisiert

werden, nennen wir im folgenden kritische Objekte. Kritische Objekte werden sprachlich

durch die Präposition auf wie in (2) lokalisiert. Für die Lokalisierung und Verfügbarkeit

kritischer Objekte betrachten wir drei Möglichkeiten.

(1) Kritische Objekte werden mittels Inferenz unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem

lokalisiert. Der Zugriff auf kritische Objekte und Ankerobjekte erfolgt in derselben Weise, so

daß sich für beide Objekttypen gleichermaßen das Spatial Framework Pattern zeigen müßte

und einzig ein Richtungshaupteffekt zu erwarten ist.

(2) Kritische Objekte werden entsprechend der sprachlichen Lokalisierung im Bezugsystem

der Ankerobjekte lokalisiert und sind nur über diese zugreifbar. Dies entspricht dem Postulat

zweier Suchdomänen von Miller und Johnson-Laird (1976 ; vgl. Einleitung). Keine weiteren

relativen Objektpositionen werden inferiert. Da der Zugriff auf ein kritisches Objekt in diesem

Fall den Zugriff auf das Ankerobjekt voraussetzt, setzt sich die Zugriffsdauer aus den

Zugriffszeiten für die Ankerobjekte im egozentrischen Bezugsystem und den Zugriffszeiten

für die kritischen Objekte im Bezugsystem der Ankerobjekte zusammen: Im Graphen muß

zunächst der Knoten für das Ankerobjekt verfügbar sein, um von diesem aus den Knoten für

das kritische Objekt zu erreichen. Da wir nicht von einer unterschiedlichen Verfügbarkeit

kritischer Objekte innerhalb der Bezugsysteme von Ankerobjekten in Abhängigkeit von deren

egozentrischer Lokalisierung ausgehen, müßten die Latenzen für die Beurteilung kritischer

Objekte die Zugriffszeiten für Ankerobjekte reflektieren. Zugleich wären die Zugriffszeiten

auf kritische Objekte um einen konstanten Faktor höher als die Zugriffszeiten auf die

Ankerobjekte selbst. Damit ist sowohl ein Haupteffekt für die Richtung wie auch für den

Objekttyp zu erwarten, jedoch keine Interaktion beider Faktoren. Ein solcher Befund wäre

jedoch auch dann zu erwarten, wenn kritische Objekte zwar wie unter (1) ebenso wie

Ankerobjekte im egozentrischen Bezugsystem lokalisiert sind, aber nicht ebenso schnell wie

diese verfügbar sind. Da die Ankerobjekte in unseren Texten beispielsweise stets größer als

die mit ihnen gepaarten kritischen Objekte sind, wäre eine bessere Verfügbarkeit von

Ankerobjekten bei gleicher Lokalisierung durch die größere perzeptuelle Salienz begründbar.

(3) Alle Objekte sind im allozentrischen Raumbezugsystem lokalisiert. Nur Ankerobjekte sind

darüber hinaus auch unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem lokalisiert und zugreifbar.

Für den allozentrischen Zugriff auf kritische Objekte sind mindestens zwei Möglichkeiten

denkbar, die von Franklin und Tversky (1990) diskutiert werden: mentale Transformation und

Gleichverfügbarkeit.

(3a) Das Modell der mentalen Transformation konzipiert den Objektzugriff in egozentrischen

mentalen Modellen entsprechend einer visuellen Suche im Umraum des Egos, wo nur vordere

Objekte unmittelbar und damit am schnellsten verfügbar sind. Der Zugriff auf anderswo

lokalisierte Objekte erfordert solange eine (mentale) Umorientierung, bis es vorne und damit

verfügbar ist. Der kognitive Aufwand für diese Transformation steigt mit dem erforderlichen

Drehwinkel. Der Zugriff auf hintere Objekte (180 °) dauert deshalb länger als auf seitliche

Objekte (90 °). Damit ist eine Interaktion für die Faktoren Richtung und Objekttyp zu

erwarten, sowie je ein Richtungshaupteffekt für eine getrennte Analyse beider Objekttypen.

(3b) Bei vergleichbarer Distanz zeigt der Zugriff auf kritische Objekte keine Abhängigkeit

von der Richtung. Da unsere Texte keinen Hinweis auf unterschiedliche Entfernungen

zwischen kritischen Objekten und dem Protagonisten bzw. Ego geben, halten wir diese

Bedingung für erfüllt. Franklin und Tversky (1990) vergleichen die Verfügbarkeit in diesem

Fall mit derjenigen in kognitiven Karten. Auch hier wäre eine Interaktion für die Faktoren

Richtung und Objekttyp zu erwarten. Eine getrennte Analyse für beide Objekttypen sollte nur

für Ankerobjekte einen Richtungshaupteffekt aufzeigen.

Aufgrund der höheren kognitiven Beanspruchung beim Lesen gegenüber dem Hören halten

wir es für denkbar, daß sich die Lokalisierung und Verfügbarkeit kritischer Objekte beim

Lesen und Hören unterscheiden. Zwar könnte bei auditiver Darbietung das unter (1) skizzierte

Ergebnis einstellen, die Befunde bei visueller Darbietung hingegen (2), (3a) oder (3b)

entsprechen, da diese Arten der Objektlokalisierung die kognitive Beanspruchung vermindert.

Experiment 1: Lesen

Methode

Stichprobe. An Experiment 1 nahmen 28 Studentinnen und Studenten der TU Berlin als

Untersuchungsteilnehmer (Utn) teil, die wahlweise mit einer Versuchspersonenstunde oder

DM 15 entlohnt wurden. Fünf Utn beantworteten mehr als 50 % der Testitems falsch und

wurden von der Analyse ausgeschlossen. Es verblieben 23 Utn für die Analyse.

Material und Design. Es wurden acht Experimental- und zwei Übungstexte erstellt. In jedem

Text wurde ein allein in der Mitte eines Raumes stehender Protagonist eingeführt, und dessen

Situation in vier bis fünf Sätzen geschildert. Anschließend wurde jede der vier Wände des

Raums durch je zwei Sätze beschrieben. Der erste Satz dieser Satzpaare lokalisierte ein

Ankerobjekt mittelbar relativ zum Protagonisten (z. B.: An der Wand links von Torsten steht

der Kühlschrank.). Der zweite Satz lokalisierte ein kritisches Objekt unmittelbar relativ zum

Ankerobjekt (z. B.: Auf dem Kühlschrank steht die Schüssel, …). Jeder der acht Experimental-

texte lag in vier Versionen vor, zwischen denen die Konfiguration der vier Objektkombinatio-

nen (Ankerobjekt + kritisches Objekt) im Uhrzeigersinn um den Protagonisten rotiert war.

Die Objektkombinationen selbst sowie deren Erwähnungsreihenfolge wurden pro Text über

die vier Versionen konstant gehalten. Die Erwähnungsreihenfolge folgte stets dem Uhrzeiger-

sinn, wobei sich die Richtung der zuerst erwähnten Wand aus der Textversion und der

festgelegten Erwähnungsreihenfolge der Objektkombinationen ergab.

Zu jedem Text wurden zwei Reorientierungssätze formuliert, die jeweils eine Umorientierung

des Protagonisten nach links, hinten oder rechts ausdrückten (1. und 2. Reorientierungssatz; z.

B.: Torsten wendet sich nach rechts.). Der 1. und 2. Reorientierungssatz waren pro Text für

alle vier Versionen dieselben. Zwei der acht 2. Reorientierungssätze drückten die Beibehal-

tung der Orientierung aus (z. B.: Torsten bleibt so stehen.).

Für jeden der acht Texte wurden je drei der acht Objekte als Testitems bestimmt, denen je

einer von drei Meßzeitpunkten fest zugeordnet wurde. Insgesamt ergab sich so ein Pool von

24 Testitems, von denen je die Hälfte Ankerobjekte und kritische Objekte waren. Die jeweils

vier Versionen der acht Texte wurden so zu vier Materialvarianten kombiniert, daß jede

Materialvariante genau ein Testitem zu jeder Kombination der Meßwiederholungsfaktoren

Richtung (vorn, rechts, hinten, links), Objekttyp (Ankerobjekt, kritisches Objekt) und Meß-

zeitpunkt (1 bis 3) enthielt. Es ergab sich so ein vollständiges dreifaktorielles Meßwieder-

holungsdesign in vier Varianten. Die Zuordnung der Testitems zu den vier Richtungen war

über die vier Materialvarianten vollständig systematisch variiert, während die Faktoren

Objekttyp und Meßzeitpunkt für jedes Testitem konstant waren. Die Reihenfolge der acht

Experimentaltexte wurde für jeden Ut randomisiert.

Durchführung. In Experiment 1 (Lesen) wurde sämtliches Material am Bildschirm eines PCs

visuell dargeboten. Die Lesezeiten waren durchweg selbstbestimmt. Das Material zu jedem

Text wurde in acht aufeinanderfolgenden Displays dargeboten. Ein erstes Display zeigte den

Titel der Geschichte an. Bei Druck der Leertaste erschien das zweite Display, das den

Hauptteil des Textes präsentierte (Lernphase): die Einführung des Protagonisten sowie die

Beschreibung aller vier Wände. Wenn die Utn das Gefühl hatten, sich die beschriebene

Situation ausreichend eingeprägt zu haben, konnten sie durch Drükken der Leertaste das dritte

Display abrufen, das einen Füllsatz zeigte. Bei abermaligem Drücken der Leertaste erschien

auf dem vierten Display das erste Testitem in der Mitte des Bildschirms (1. Meßzeitpunkt).

Das Testitem war zuvor für 600ms durch ein Sternchen in der Mitte des Bildschirms

angekündigt worden, um die Utn auf den Test vorzubereiten. Die Utn hatten die Aufgabe, die

Richtung relativ zum Protagonisten zu erinnern, in der sich das genannte Objekt befand. Die

Antworten wurden in zwei Schritten erhoben (vgl. Bryant & Tversky, 1992 ). Im ersten

Schritt sollten die Utn die Eingabe-Taste drükken, sobald sie die Antwort wußten. Im zweiten

Schritt sollten sie per Tastendruck auf den mit Buchstaben markierten Tasten des Ziffern-

blocks die Antwort angeben: v/8 = vorn, r/6 = rechts, h/2 = hinten, l/4 = links. Für beide

Schritte wurden die Antwortzeiten in Millisekunden registriert (RT1 und RT2).

Sobald ein Ut die Richtung per Tastendruck angegeben hatte, folgte das fünfte Display mit

dem ersten Reorientierungssatz. Hierfür waren die Utn instruiert worden, sich die veränderte

Situation genau vorzustellen, da sie bei dem darauffolgenden Testitem nicht mit der im Text

genannten Richtung antworten sollten, sondern mit der sich nun geänderten Richtung unter

Einbeziehung der Reorientierung des Protagonisten. Wiederum konnten die Utn selbst

bestimmen, wann sie per Druck der Leertaste das darauffolgende sechste Display mit dem

zweiten Testitem (2. Meßzeitpunkt) anforderten. Die Bedingungen für das zweite Testitem

waren dieselben wir für das oben beschriebene erste Testitem. Nachdem die Richtung durch

Tastendruck auf dem Ziffernblock angegeben worden war, erschien das siebte Display, das

den zweiten Reorientierungssatz zeigte. Abermals sollten sich die Utn die veränderte

Situation genau vorstellen, und dann durch Drücken der Leertaste das dritte Testitem (3.

Meßzeitpunkt) auf dem achten und letzten Display zu einem Text abrufen. Die Bedingungen

für das dritte Testitem entsprachen denjenigen der vorangegangenen beiden Testitems, wobei

wiederum die im zweiten Reorientierungssatz ausgedrückte Umorientierung des Protago-

nisten bei der Antwort berücksichtigt werden sollte. Nach der Beantwortung des dritten

Testitems folgte die Ankündigung des nächsten Textes und den Utn wurde die Möglichkeit zu

einer Pause eingeräumt.

Ergebnisse und Diskussion

Von den 552 Antworten der 23 Utn waren 115 falsch (21 %), bei einer Rate-Irrtumswahr-

scheinlichkeit von 75 %. Der Zuwachs der Fehlerraten mit dem Meßzeitpunkt erweist sich als

statistisch bedeutsam: F(2,44) = 12.39; p < .01. Paarvergleiche belegen, daß die Fehlerraten

vom 1. Meßzeitpunkt (9 %) zum 2. Meßzeitpunkt (23 %) signifikant ansteigen: t(22) = 3.54; p

< .01. Der weitere Anstieg vom 2. zum 3. Meßzeitpunkt (30 %) ist statistisch jedoch nicht

bedeutsam: t(22) = 1.54; p > .10.

Die Analysen der Latenzzeiten basieren auf RT1 (Antwort wird gewußt) für korrekte

Antworten. Für RT2 (Antwort wird angegeben) fanden sich keine Effekte. Latenzzeiten, die

nach z-Transformation aller RT1 pro Ut mehr als zwei Standardabweichungen über dem

Mittelwert lagen, wurden als Ausreißer gewertet und als fehlende Werte klassifiziert. Für den

Meßzeitpunkt zeigten sich keine Effekte und die Daten wurden pro Ut über die drei

Meßzeitpunkte gemittelt. In zwei verbliebenen Fällen fehlender Werte wurden diese für die

Meßwiederholungsanalyse durch den Mittelwert aller korrekten Antworten des jeweiligen Ut

ersetzt. Aufgrund der kleinen Text-Stichprobe (n = 8) wurde auf Item-Analysen verzichtet.

Für den Faktor Richtung ergab sich kein Haupteffekt, F(3,66) = 1.61; p > .10, jedoch für den

Faktor Objekttyp: F(1,22) = 15.24; p < .01. Ankerobjekte (3838ms) wurden signifikant

schneller beurteilt als kritische Objekte (4200ms) (s. Tabelle 1 ; linke Seite). Da sich für beide

Faktoren eine Wechselwirkung andeutete, F(3,66) = 2.69; p = .10, wurden die Latenzen für

beide Objekttypen getrennt analysiert. Hierbei zeigte sich ein Effekt der Richtung zwar für

Ankerobjekte, F(3,66) = 4.68; p = .01, nicht aber für kritische Objekte, F(3,66) < 1. Paar-

vergleiche ergaben, daß vordere und hintere Ankerobjekte signifikant schneller beurteilt

wurden als seitliche: vorn = hinten < rechts = links. Vordere Ankerobjekt wurden schneller

beurteilt als Ankerobjekte rechts, t(22) = 2.80; p = .01, und links: t(22) = 2.47; p < .05.

Ebenso wurden hintere Ankerobjekte schneller beurteilt als Ankerobjekte rechts, t(22) = 2.41;

p < .05, und links: t(22) = 2.76; p = .01. Kein Unterschied fand sich zwischen vorderen und

hinteren, t(22) < 1, sowie zwischen rechten und linken Ankerobjekten: t(22) = 1.03; p > .10.

Für Ankerobjekte stimmen die Latenzzeiten beim Lesen erwartungsgemäß mit den Vorher-

sagen des Spatial Frameworks überein: Ankerobjekte auf der Vorn-Hinten-Achse werden

schneller beurteilt als auf der Rechts-Links-Achse. Dies bestätigt, daß die Untersuchungs-

teilnehmer die Perspektive des Protagonisten übernommen und egozentrische mentale

Modelle konstruiert hatten. Ankerobjekte waren unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem

lokalisiert. Da Ankerobjekte sprachlich nicht unmittelbar relativ zum Protagonisten, und

somit trotz Protagonistenperspektive sprachlich nicht unmittelbar egozentrisch lokalisiert

wurden, waren deren egozentrische Positionen offensichtlich inferiert worden. Dies war nach

unserer Einschätzung zu erwarten, da das durchweg gewählte sprachliche Relatum Wand es

nicht erlaubt, die Richtungen zu diskriminieren. Dies ermöglichen erst die Ankerobjekte, von

denen wir annehmen, daß sie die Orientierung des Egos im Umraum etablieren. Daß entgegen

den Vorhersagen des Spatial Frameworks vordere Objekte nicht schneller beurteilt werden als

hintere, werten wir nicht als gravierenden Einwand. Zum einen ist das Achsen-Dominanz-

Argument von dem Asymmetrie-Argument unabhängig. Zum anderen waren die in unseren

Texten beschriebenen Objektanordnungen (acht Objekte in vier Richtungen) komplexer als

diejenigen, die Tversky und MitarbeiterInnen verwendeten (fünf Objekte in fünf Richtungen).

Die größere perzeptuelle und funktionale Salienz vorderer Objekte im Vergleich zu hinteren

könnte durch die höhere Aufgabenschwierigkeit in den Hintergrund getreten sein.

Die Latenzen für kritische Objekte weichen hingegen vom Spatial Framework ab: Es findet

sich keinerlei Einfluß der Lokalisationsrichtung kritischer Objekte auf die Schnelligkeit ihrer

Beurteilung. Dieser Befund stimmt mit der von Franklin und Tversky (1990) diskutierten

Gleichverfügbarkeitshypothese überein. Dies spricht dafür, daß egozentrische Positionen

kritischer Objekte beim Lesen nicht schon inferiert worden waren, und sie deshalb nicht

unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem lokalisiert waren. Auch daß kritische Objekte

entsprechend der expliziten sprachlichen Formulierung vermittelt über das jeweilige

Bezugsystem des Ankerobjekts verfügbar sind, wird durch die Befunde nicht gestützt. Da der

Zugriff innerhalb der Bezugsysteme von Ankerobjekten (entsprechend der Präposition auf)

als invariant anzunehmen ist, der Zugriff auf die jeweiligen Bezugsysteme der Ankerobjekte

jedoch dem Spatial Framework folgen sollte, wäre in diesem Fall neben dem verlangsamten

Zugriff auf kritische Objekte gegenüber Ankerobjekten für die Latenzzeiten das Spatial

Framework Pattern auch für kritische Objekte zu erwarten gewesen (vgl. Hypothesen, Punkt

2). Dennoch ist die Gleichverfügbarkeit kritischer Objekte nur schwache Evidenz für deren

allozentrische Lokalisierung. Ein allozentrischer Zugriff wird vor allem indirekt dadurch

gestützt, daß weder ein unmittelbarer egozentrischer Zugriff noch ein über Ankerobjekte

vermittelter egozentrischer Zugriff mit den Befunden übereinstimmt. Die Frage einer

allozentrischen Lokalisierung kritischer Objekte ist anhand der Befunde nicht abschließend

beurteilbar.

Experiment 2: Hören

Methode

Stichprobe. An Experiment 2 nahmen 26 Studentinnen und Studenten der TU Berlin teil, die

wahlweise mit einer Versuchspersonenstunde oder DM 15 entlohnt wurden. Alle 26 Utn

beantworteten weniger als 50 % der Testitems falsch und wurden in die Analyse einbezogen.

Material und Design. Die vier Materialversionen und das Versuchsdesign waren dieselben

wie in Experiment 1. Sämtliches Material war von derselben weiblichen Person auf ein DAT-

Band gesprochen worden. Der gesprochene Text wurde in Sounddateien überführt und war

über die Soundkarte des PCs abrufbar.

Durchführung. In Experiment 2 (Hören) wurde das gesamte Material den Utn auditiv über

einen Kopfhörer eingespielt, der an der Soundkarte des PCs angeschlossen war. Während der

Lern- und Prüfphasen blieb der Bildschirm dunkel. Der Ablauf der Darbietung entsprach im

wesentlichen demjenigen aus Experiment 1 (Lesen). Zunächst wurde den Utn beim Druck der

Leertaste der Titel der Geschichte eingespielt. Beim abermaligen Drücken der Leertaste

wurde der Einführungstext eingespielt sowie im Anschluß daran die Beschreibung der ersten

Wand, die auch in der Lesen-Bedingung als erste Wand beschrieben worden war. Ein Unter-

schied zum Lesen ergab sich im weiteren dadurch, daß für die Beschreibung der Objektan-

ordnung die Möglichkeit selbstbestimmter Lesezeiten, und damit des selbstbestimmten

Lernkriteriums simuliert werden sollten. Nachdem die erste Wandbeschreibung automatisch

erfolgt war, konnten die Utn die weitere Beschreibung der Objektanordnung selbst bestim-

men. Durch Drücken einer entsprechend markierten Taste auf dem Ziffernblock konnte die

Einspielung eines der vier Satzpaare (Ankerobjekt + kritisches Objekt) angefordert werden

(v/8 = vorn, r/6 = rechts, h/2 = hinten, l/4 = links). Reihenfolge und Häufigkeit waren hierbei

dem Belieben der Utn überlassen. Erst beim Drücken der Leertaste wurde die Beschreibung

der Objektanordnung abgebrochen und der Füllsatz wurde eingespielt. Anschließend wurde

die Prozedur entsprechend der Lese-Bedingung im auditiven Modus fortgesetzt.

Ergebnisse und Diskussion

Von den 624 Antworten der 26 Utn waren 71 falsch (11 %). Wiederum steigen die Fehler-

raten mit den Meßzeitpunkten signifikant an: F(2,50) = 8.89; p < .01. Paarvergleiche zeigen

ebenso wie beim Lesen, daß zum 1. Meßzeitpunkt (4 %) signifikant weniger Fehler gemacht

werden als zum 2. Meßzeitpunkt (15 %), t(25) = 3.48; p < .01, und 3. Meßzeitpunkt (14 %):

t(25) = 3.63; p < .01. Die Fehlerraten zum 2. und 3. Meßzeitpunkt unterscheiden sich nicht:

t(25) < 1. Insgesamt aber machten die Utn beim Hören deutlich weniger Fehler als beim

Lesen (21 %): t(47) = 2.62; p = .01.

Abermals ergaben sich für RT2 keine Effekte, und die Analysen der Latenzzeiten basieren auf

RT1 für korrekte Antworten. Ausreißer wurden wie in Experiment 1 bestimmt. Ebenfalls

wurden die Daten wie in Experiment 1 pro Ut über die drei Meßzeitpunkte gemittelt. Vier

fehlende Werte wurden für die Meßwiederholungsanalyse durch den Mittelwert aller

korrekten RT1 des jeweiligen Ut ersetzt.

Einzig der Faktor Richtung (s. Tabelle 1 ; rechte Seite) zeigte beim Hören Wirkung: F(3,75) =

6.29; p < .01. Es fand sich weder ein Einfluß des Faktors Objekttyp, F(1,25) < 1, noch eine

Wechselwirkung beider Faktoren, F(3,75) < 1. Paarvergleiche zeigten, daß vordere und

hintere Objekte ungeachtet des Objekttyps schneller beurteilt wurden als seitliche Objekte:

vorn = hinten < rechts = links. Vordere Objekte wurden durchweg schneller beurteilt als

Objekte rechts, t(25) = 3.30; p = .01, und links: t(25) = 3.57; p < .01. Auch hintere Objekte

wurden schneller beurteilt als diejenigen rechts, t(25) = 2.32; p < .05, und links: t(25) = 2.34;

p < .05. Kein Unterschied fand sich hingegen zwischen vorderen und hinteren Objekten, t(25)

= 1.02; p > .10, und zwischen rechten und linken Objekten: t(25) < 1.

Beim Hören erfolgt der Zugriff auf Ankerobjekte und kritische Objekte gleichermaßen

egozentrisch, wie an der Gültigkeit des Spatial Frameworks für beide Objekttypen zu

erkennen ist. Da kritische Objekte nicht langsamer beurteilt wurden als Ankerobjekte, ist

jeweils ein unmittelbarer egozentrischer Zugriff anzunehmen. Kritische Objekte waren

entgegen der sprachlichen Lokalisierung nicht erst vermittelt über Ankerobjekte verfügbar.

Dies belegt, daß beim Hören die egozentrischen Positionen auch der kritischen Objekte

inferiert und aktualisiert worden waren, so daß kritische Objekte ebenso wie Ankerobjekte

unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem lokalisiert waren. Auch die durchweg größere

perzeptuelle und mutmaßlich auch funktionale Salienz von Ankerobjekten gegenüber

kritischen Objekten bewirkte weder kürzere Latenzen noch geringere Fehlerraten für

Ankerobjekte. Da Franklin und Tversky (1990) die größere Salienz von vorderen gegenüber

hinteren Objekten für die Asymmtrie auf der Vorn-Hinten-Achse verantwortlich machen,

erscheint uns das Ausbleiben eines Asymmetrieeffektes in unseren Experimenten vereinbar

damit, daß auch die größere Salienz von Ankerobjekten gegenüber kritischen Objekten nicht

wirksam wird.

Experiment 3: Gemischte Modalität

Methode

Da die Befunde beim Lesen und Hören nicht übereinstimmten, wurde abschließend ein drittes

Experiment durchgeführt, das Aufschluß darüber geben sollte, ob die Darbietungsmodalität

bereits die Konstruktion räumlicher mentaler Modelle beeinflußt, oder ob sie erst mit dem

Updating zusammenwirkt. Hierfür sollte in der Lernphase das mentale Modell bei visueller

Darbietung konstruiert werden. In der anschließenden Testphase erfolgte das Updating

(Reorientierungssätze) bei auditiver Darbietung. Beeinträchtigt die visuelle Darbietung bereits

die Konstruktion des mentalen Modells, so sind Befunde entsprechend Experiment 1 (Lesen)

zu erwarten. Erschwert das Lesen jedoch vornehmlich das Updating, so sollten die Befunde

Experiment 2 (Hören) entsprechen.

Stichprobe. An Experiment 3 nahmen 27 Studentinnen und Studenten der TU Berlin teil, die

wahlweise mit einer Versuchspersonenstunde oder DM 15 entlohnt wurden. Ein Ut machte

mehr als 50 % Fehler und wurde von der Analyse ausgeschlossen.

Material und Design. Die vier Materialversionen und das Versuchsdesign waren dieselben

wie in Experiment 1 und 2.

Durchführung. In Experiment 3 (gemischt) wurden beide Modalitäten kombiniert. Das

Material in der Lernphase (Display 1 und 2) wurde wie in Experiment 1 visuell dargeboten.

Das Material in der Testphase (inklusive Füllsatz und Reorientierungssätze) wurde wie in

Experiment 2 auditiv dargeboten. Vor dem Füllsatz und dem darauffolgenden 1. Testitem

fand also bei jedem Text ein Modalitätswechsel von visueller zu auditiver Darbietung statt.

Ergebnisse und Diskussion

Von den 624 Antworten der 26 Utn waren 133 falsch (21 %). Wie in den beiden

vorhergehenden Experimenten nehmen die Fehlerraten mit dem Meßzeitpunkt zu: F(2,50) =

14.42; p < .01. Paarvergleiche weisen jedoch den Anstieg vom 1. Meßzeitpunkt (10 %) zum

2. Meßzeitpunkt (22 %), t(25) = 2.63; p = .01, ebenso als signifikant aus wie den Anstieg vom

2. zum 3. Meßzeitpunkt (32 %): t(25) = 3.13; p < .01. Insgesamt machten die Utn ebenso viele

Fehler wie beim reinen Lesen, t(47) < 1, also deutlich mehr als beim reinen Hören: t(50) =

2.52; p = .01.

Abermals wurden RT1 für korrekte Antworten analysiert, während sich für RT2 keine Effekte

fanden. Ausreißer wurden ebenso wie in Experiment 1 und 2 bestimmt und pro Ut über die

drei Meßzeitpunkte gemittelt. Drei verbliebene fehlende Werte wurden für die

Meßwiederholungsanalyse durch den Mittelwert aller korrekten RT1 des jeweiligen Ut

ersetzt.

Für Experiment 3 (gemischt; s. Tabelle 2 : gemittelt) ließ sich keinerlei Effekt für die über

Meßzeitpunkte gemittelten Daten aufzeigen. Weder für Richtung, F(3,75) = 1.29; p > .10,

noch für Objekttyp, F(1,25) = 2.08; p > .10, oder die Interaktion beider Faktoren, F(3,75) < 1,

fand sich ein signifikanter Einfluß.

Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Experimenten erwies sich in Experiment 3 bei

der Analyse des dreifaktoriellen Gesamtdesigns die Wechselwirkung von Richtung und Meß-

zeitpunkt als statistisch bedeutsam: F(6,150) = 4.69; p < .01. Die Wechselwirkung von Rich-

tung und Meßzeitpunkt ist auf erhöhte Latenzen für hintere Objekte zum 1. Meßzeitpunkt ge-

genüber den beiden späteren Meßzeitpunkten zurückzuführen (s. Tabelle 2 ). Eine an-

schließende Auswertung unter Ausschluß der zum ersten Meßzeitpunkt erhobenen Daten

erbrachte wie in Experiment 2 (Hören) ausschließlich einen Richtungseffekt, F(3,75) = 4,09;

p = .01, aber keinerlei Einfluß von Objekttyp oder Meßzeitpunkt: Vordere (3473ms) und

hintere Objekte (3128ms) wurden schneller beurteilt als rechte (4317ms) und linke Objekte

(4118ms). Vordere Objekte wurden zum 2. und 3. Meßzeitpunkt tendenziell schneller

beurteilt als rechte Objekte, t(25) = 1.84; p > .10, und signifikant schneller als linke Objekte:

t(25) = 2.02; p = .05. Hintere Objekte wurden sowohl signifikant schneller beurteilt als rechte

Objekte, t(25) = 2.92; p < .01, wie auch als linke Objekte: t(25) = 3.84; p < .01. Kein

Unterschied fand sich zwischen vorderen und hinteren, sowie zwischen rechten und linken

Objekten: jeweils t(25) < 1.

Die Daten aus Experiment 3 sind weniger homogen als diejenigen der beiden vorangegange-

nen Experimente. Die über Meßzeitpunkte gemittelten Daten zeigen keinerlei Effekt der

Richtung oder des Objekttyps auf. Eine mögliche Erklärung sehen wir darin, daß der

Übergang von der visuellen zur auditiven Modalität die Untersuchungsteilnehmer irritierte.

Zwar stimmt die Fehlerrate insgesamt (21 %) mit der reinen Lesen-Bedingung (21 %)

überein. Doch scheinen die Utn in Experiment 3 die Aufgabe subjektiv für schwerer erachtet

zu haben als in Experiment 1, wie die längeren Lesezeiten für die Beschreibung der

Objektanordnung (Display 2) zeigen. Bei gemischter Modalität (86.6s) lasen die

Untersuchungsteilnehmer die Beschreibung der Objektanordnung im Schnitt signifikant

länger als diejenigen beim reinen Lesen (68.2s): F(1,47) = 7.07; p < .05. Dies spricht für ein

höheres selbstbestimmtes Lernkriterium im Fall gemischter Modalität, obwohl die Texte

identisch waren. Schließt man die Daten des ersten Meßzeitpunktes aus, die am ehesten von

einer durch den Modalitätswechsel hervorgerufenen Irritation betroffen sein sollten, so zeigen

sich der reinen Hören-Bedingung entsprechende Befunde für die Meßzeitpunkte 2 und 3.

Vordere und hintere Objekte beider Objekttypen sind schneller verfügbar als seitliche

Objekte. Nach dem ersten vorzunehmenden Updating (1. Reorientierungssatz) bei nunmehr

auditiver Darbietung kann auf sämtliche Objekte unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem

zugegriffen werden.

Allgemeine Diskussion

Rezipienten konstruieren zu einem Text, in dem Objekte im Umraum eines Protagonisten

lokalisiert werden, bevorzugt ein egozentrisches mentales Modell unter Protagonisten-

perspektive und lokalisieren sämtliche Objekte unmittelbar egozentrisch. Dies gilt auch für

Objekte, die sprachlich nicht (qua Protagonistenperspektive) egozentrisch lokalisiert werden

und deren egozentrische Position erst inferiert werden muß. Sowohl Ankerobjekte, die die

Orientierung des Egos im Umraum etablieren, als auch kritische Objekte, die sprachlich

relativ zu Ankerobjekten lokalisiert werden, sind unmittelbar im egozentrischen Bezugsystem

lokalisiert. Müssen solche Texte hingegen gelesen werden, verhindert dies eine egozentrische

Lokalisierung aller im Text genannten Objekte. Zwar werden auch hier Ankerobjekte

egozentrisch lokalisiert, nicht aber kritische Objekte. Den Grund hierfür sehen wir darin, daß

das Lesen gegenüber dem Hören mit der Konstruktion und dem Aufrechterhalten eines

räumlichen mentalen Modells interferiert. Damit ist es zwar Hörern möglich, ein Updating

eines vollständig egozentrischen mentalen Modells trotz der hohen kognitiven Beanspruchung

vorzunehmen. Leser aber sind durch ein solches Updating überfordert und beschränken sich

auf die egozentrische Lokalisierung nur von Ankerobjekten, um so die kognitive

Beanspruchung durch das Updating zu reduzieren. Kritische Objekte scheinen jedoch nicht

vermittelt über die Bezugsysteme der egozentrisch lokalisierten Ankerobjekte verfügbar zu

sein. Vielmehr scheint der Zugriff allozentrisch zu erfolgen.

Ferner sprechen die Befunde aus Experiment 3 dafür, daß durch die Interferenz des Lesens

weniger die egozentrische Lokalisierung kritischer Objekte überhaupt unterbunden wird.

Vielmehr zeigt sich bei einer dem Lesen anschließenden auditiven Darbietung in der Test-

phase, in der das mentale Modell aktualisiert werden muß, eine unmittelbare Verfügbarkeit im

egozentrischen Bezugsystem für kritische Objekte ebenso wie für Ankerobjekte ab dem ersten

erforderlichen Updating. Die Latenzen für die Beurteilung der Objekte unmittelbar im An-

schluß an den Modalitätswechsel und vor dem ersten Updating weichen allerdings von allen

sonst zu beobachtenden Antwortzeitmustern ab. Einzig hier stimmen die Latenzen selbst für

Ankerobjekte nicht mit dem Spatial Framework Pattern überein. Wir können uns dies nur

dadurch erklären, daß die Untersuchungsteilnehmer durch den Modalitätswechsel irritiert

waren, und die Latenzen deshalb keinen Aufschluß über die dem Objektzugriff

zugrundeliegenden Prozesse geben.

Daß die Interferenz beim Lesen auch die Konstruktion des mentalen Modells als solche

beeinträchtigt, wird durch die Fehlerraten gestützt. Beim Lesen während der Lernphase und

damit der Konstruktion des mentalen Modells liegen die Fehlerraten insgesamt deutlich höher

als beim durchgängigen Hören in Experiment 2. Dies gilt gleichermaßen für das reine Hören

in Experiment 1 wie auch für die gemischte Darbietungsmodalität in Experiment 3.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich die Gültigkeit des Spatial Frameworks nicht

auf sprachlich - explizit oder qua Protagonistenperspektive - unmittelbar egozentrisch

lokalisierte Objekte beschränkt, daß aber eine unmittelbar egozentrische Lokalisierung aller in

einem Text genannten Objekte dann nicht beobachtbar ist, wenn die kognitive Beanspruchung

der Rezipienten zu groß wird, beispielsweise wegen eines vorzunehmenden Updatings

während des Lesens.

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Diese Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch die Sachbeihilfe

Wy20/2-1 im Rahmen des DFG-Schwerpunktes Raumkognition gefördert. In diesem

interdisziplinären Projekt arbeiten wir eng mit den Kollegen aus dem Bereich der Künstlichen

Intelligenz zusammen, Professor Fritz Wysotzki, Ute Schmid und Sylvia Wiebrock, die

wesentlich für die kognitive Modellierung verantwortlich zeichnen, und denen wir an dieser

Stelle herzlich für die anregende Diskussion danken.

Anschrift

Robin Hörnig, Technische Universität Berlin, Sekr. FR 5 - 8, FB 13: Informatik, Franklinstr.

28/29, 10587 Berlin, Tel: 030-3 14-7 3 3 92, Email: [email protected].