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Eberhard Karls Universität Tübingen Asien-Orient-Institut, Abteilung für Ethnologie SoSe 16 Betreuerin: Prof. Dr. Gabriele Alex Nicole Turkin 20.07.2016 Die südindische Kolamtradition und das Konzept der rituellen Reinheit im Hinduismus Nicole Turkin Matrikel-Nr.: 3764194 Ethnologie HF / South Asian Studies NF Charlottenstraße 8, Zi. 314 72070 Tübingen

Die südindische Kolamtradition und das Konzept der rituellen Reinheit im Hinduismus

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Eberhard Karls Universität TübingenAsien-Orient-Institut, Abteilung für EthnologieSoSe 16Betreuerin: Prof. Dr. Gabriele AlexNicole Turkin20.07.2016

Die südindische Kolamtradition

und das Konzept der rituellen

Reinheit im Hinduismus

Nicole TurkinMatrikel-Nr.: 3764194Ethnologie HF / South Asian Studies NFCharlottenstraße 8, Zi. 31472070 Tübingen

Eidesstattliche Erklärung

Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbstständig verfasst, keine anderen als

die angegebenen Hilfsmittel und Quellen benutzt, alle wörtlichen oder sinngemäß

aus anderen Werken übernommenen Aussagen als solche gekennzeichnet habe, dass

die Arbeit weder vollständig noch in wesentlichen Teilen Gegenstand eines anderen

Prüfungsverfahrens gewesen ist, dass die Arbeit weder vollständig noch in

wesentlichen Teilen bereits veröffentlicht wurde, sowie, dass das in Dateiform

eingereichte Exemplar mit dem eingereichten gebundenen Exemplar übereinstimmt.

Tübingen, den 20.07.2016 ___________________________ (Unterschrift)

Inhaltsverzeichnis

.........................................................................................I. Einleitung 1

.....................................................................II. Forschungsgeschichte 3

................................................................III. Definition eines Kolams 4

...............................IV. Herangehensweise und verwendetes Material 6

.........................................................................IV.I. Traditionelle Vorgehensweise 7

.......................................................................IV.II. Die Bedeutung der Farbe Rot 8

.........................................................................................IV.III. Das Medium Reis 9

....................................................................................IV.IV. Moderne Variationen 9

.........................................................................IV.V. Wichtige Inspirationsquellen 10

............................................V. Die verschiedenen Arten von Kolams 11

.................................................................................................V.I. Kalyāṇa kōlam 12

.....................................................................................................V.II. Puḷḷi kōlam 12

..................................................................................................V.III. Cikku kōlam 13

..........................................................V.IV. Navagraha Kolam (ṅavakraha kōlam) 13

......................................V.V. Kolams für besondere Anlässe - Figurative Kolams 13

............................................................................VI. Orte für Kolams 15

..........................................................................VI.I. Kolams im Eingangsbereich 16

................................................................................VI.II. Kolams am Pujaschrein 16

.............................................................................VI.III. Weitere Orte für Kolams 17

..........................................................VII. Kolams in den Agraharams 18

..................................VIII. Bedeutungsebenen des Kolams im Alltag 18

................................................................................VIII.I. Marker der Liminalität 18

........................................................................VIII.II. Funktion als „Messenger“ 20

...........................................................................VIII.III. Das Kolam als Talisman 21

...............................................VIII.IV. Kolams als Repräsentation der cumaṅkali 22

......................................................................................VIII.V. Meditativer Aspekt 23

................................................................................VIII.VI. Kolam als Opfergabe 24

.......................................................IX. Der Faktor der „Flüchtigkeit“ 24

........................................................................X. Moderne Tendenzen 25

............XI. Unterschiede zwischen urbanen und ländlichen Gebieten 26

..........................XII. Kolams und das Konzept der rituellen Reinheit 27

............................................................................................XIII. Fazit 31

........................................................................................XIV. Anhang 33

.................................................................................................XIV.I. Abbildungen 33

.................................................................................................XIV.II. Schaubilder 42

..................................................................................................XIV.III. Interviews 44

......................................................XIV.IV. Muster des verwendeten Fragebogens 52

................................................................................XV. Bibliographie 54

I. EINLEITUNG

Im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu sind sie ein omnipräsenter Bestandteil des

Straßenbildes - die Kolams. Diese sind kunstvolle symmetrische Bilder, welche

traditionell mit Reismehl angefertigt werden. Tamilische Frauen streuen diese ein-

bis zweimal täglich, bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang, vor den Eingangsbereich

ihrer Häuser. Jede Frau entwickelt hierbei ihre eigenen Designs. Traditionellerweise

werden die Kolams mit einer Mischung aus Wasser und Reismehl gezeichnet,

heutzutage greift man jedoch meist auf Kalksteinpulver zurück. Das Bild vor dem

Haus gilt als Einladung für die hinduistischen Gottheiten in das eigene Heim,

insbesondere für Lakshmi, die Göttin des Wohlstands. Die Kolams werden

ausschließlich von Frauen gezeichnet und als tägliche Pflicht zugunsten des

Wohlergehens der Familie angesehen.

Mit raschen Handbewegungen zeichnen die Frauen Tamil Nadus diese kurzlebigen

Kunstwerke im Morgengrauen, welche im Laufe des Tages aufgrund von

Wettereinwirkungen und Fußgängern verschwinden. Doch welche Bedeutung haben

sie für die Bewohner des Hauses und welche für das öffentliche Publikum, das sie

sieht? Inwiefern sind die Kolams mit den Vorstellungen von Reinheit und

Verunreinigung des hinduistischen Weltbildes verknüpft? Diese Fragen gilt es in der

vorliegenden Arbeit genauer zu beleuchten. Das Ziel dieser Arbeit ist zudem, einen

Überblick über die Entwicklungen der Kolamtradition im Laufe der Zeit zu geben.

Es wurden sowohl veröffentlichte Werke als auch Interviews, informelle Gespräche

und eigene Beobachtungen, die während eines dreimonatigen Forschungsaufenthalts

in Thiruvananthapuram, Kerala, sowie während eines einmonatigen Aufenthalts in

Someswarapuram, Tamil Nadu, entstanden sind, genutzt. Das Forschungsprojekt in

Kerala wurde vom Oktober 2014 bis Januar 2015 durchgeführt, das in Tamil Nadu

von März bis April 2016. Zur Erläuterung diverser Phänomene wurde die Arbeit mit

den gewonnenen Daten aus beiden Feldforschungen ergänzt, welche durch

ethnologische Methoden wie der teilnehmenden Beobachtung, halbstrukturierten

Leitfadeninterviews und informellen Gesprächen bzw. Mitteilungen ergänzt. Darüber

1

hinaus wurden Daten aus der Auswertung von 62 Fragebögen entnommen und in die

Arbeit eingebettet. Die Fragebögen wurden im Laufe des März 2016 in

Someswarapuram, dessen Nachbardörfern Eachangudi und Olathevarayanpetai

sowie in der Kleinstadt Thiruvaiyaru verteilt. Diese Orte gehören allesamt zu dem

Distrikt Thanjavur in Tamil Nadu. Von den befragten 62 Frauen stammen 47 aus

Someswarapuram, neun aus Echangudi, vier aus Thiruvaiyaru, eine aus

Olathevarayanpetai und eine Frau, die allerdings in Someswarapuram als Lehrerin

arbeitet, stammt aus der Großstadt Thanjavur. Das Hauptaugenmerk dieser

Fragebögen ist vor allem auf das Zeitmanagement und die verwendeten Materialien

ausgerichtet. Hierbei wurde zwischen „alltäglichen“ Kolams und Kolams, die

während des Monats Mārkaḻi angefertigt werden, unterschieden. Bei diesen

Befragungen waren Mehrfachantworten möglich. Von den 62 befragten Frauen und

Mädchen sind 32,2 Prozent berufstätig. Sie haben im Durchschnitt zwei Kinder, ihr

durchschnittliches Alter beträgt ca. 39 Jahre. Ein weiterer Teil der Ergebnisse

befindet sich in Form von zwei Diagrammen im Anhang (siehe Schaubild 1 und 2).

Die vorliegende Arbeit beginnt mit der Definition und Herkunft des Begriffs kōlam1.

Anschließend werden die Vorgehensweise bei der Ausführung, Zusammenhänge

zwischen dem Material und der Botschaft des Endproduktes sowie verschiedene

Kategorien der Reismehldiagramme erläutert. Die privaten und öffentlichen Räume,

an denen Kolams vorzufinden sind, werden im sechsten Kapitel genannt. Um die

Bedeutungsebenen der Kolams aufzuzeigen, werden mehrere Funktionen

beschrieben, die sie im südindischen Alltag annehmen. Danach werden die kurze

Lebensdauer, neuere Entwicklungen sowie die Unterschiede zwischen Städten und

Dörfern thematisiert. An letzter Stelle steht die Verknüpfung der Kolams mit dem

Leitgedanken der Reinheit, welcher einen hohen Stellenwert in der ritualisierten

hinduistischen Tradition einnimmt.

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1 Zur Erläuterung des Begriffs werden an den entsprechenden Stellen Diakritika verwendet. Ansonsten wird zur Vereinfachung und Leserlichkeit die englische Schreibweise verwendet. Das selbe Vorgehen gilt für Orte- und Personennamen.

II. FORSCHUNGSGESCHICHTE

Es gibt nur wenige ausführliche Arbeiten zur Kolamtradition. Allen voran haben sich

die Forscherinnen Anna Laine, Chantal Jumel und Vijaya Nagarajan intensiv und

nachhaltig mit der Thematik auseinandergesetzt. Eine der frühen wissenschaftlichen

Publikationen ist das Kapitel Hosting the Divine. The Kolam in Tamil Nadu von

Vijaya Nagarajan in dem Sammelband Mud, Mirror and Thread. Folk Traditions of

Rural India (Nagarajan 1993). Nagarajan beschäftigte sich vor allem mit den

ökologischen Aspekten und der Reziprozität der Tradition. Kolams vereinen

Ästhetik, den Schutz des Haushalts und Hospitalität unter sich (Nagarajan 1993:

203). Zudem verwies Nagarajan auf die Liminalität des tamilischen Monats Mārkaḻi

(Nagarajan 2007: 99). Renate Dohmen setzte sich ebenfalls mit den Kolams

auseinander und prangerte in dem Artikel Happy Homes and the Indian Nation die

mangelnde Anerkennung der femininen Kunst an (Dohmen 2001). Laine verfasste

2009 eine sehr umfangreiche Dissertation, in welcher sie sich überwiegend auf

Beobachtungen und Fallbeispiele aus ihrer Feldforschung stützte. Ihr

Hauptaugenmerk lag auf dem Generieren von Identitäten mithilfe der Kolams und

auf der Macht des Bildes (Laine 2009). Die freiberuflich Forschende Chantal Jumel

hat sich komplett dieser rituellen Kunstform und ihrem Fortbestand verschrieben. Sie

veröffentlichte zwei Bücher, die ausschließlich von den Kolams handeln (Jumel

2010; Jumel 2013).

Zwar tritt das Thema Kolams in vielen weiteren Veröffentlichungen als

Diskussionsgegenstand auf, dies aber meist nur peripher im Zusammenhang mit der

visuellen Tradition Südindiens oder dergleichen. Bisher wurde allerdings nicht

ausreichend auf den symbolischen Gehalt der verwendeten Farben oder auf den

Zusammenhang mit den Vorstellungen der Reinheit eingegangen. Daher wurden für

diese Arbeit ebenfalls Abhandlungen von Brenda Beck, Mary Douglas, Beatrix

Hauser und Victor Turner zur theoretischen Ergänzung hinsichtlich der

Farbsymbolik, der Implikationen mit den hinduistischen Reinheitsregeln und der

Liminalität konsultiert (Beck 1969; Douglas 1974; Douglas 2002; Hauser 2012;

Turner 2005).

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III. DEFINITION EINES KOLAMS

Kolams haben in verschiedenen Regionen Indiens verschiedene Benennungen

(Chacko 2014: 1). In Karnataka und Andhra Pradesh werden sie muggu genannt, in

Bengalen ālpanā, in Bihar und Uttar Pradesh aripana und in Rajasthan māḍanā. In

Maharashtra und der Mehrheit Nordindiens sind sie generell unter dem Namen

raṅgōli bekannt (Jumel 2008: 6; Nagarajan 2010: 472). Andere Quellen beharren

wiederum darauf, dass es zwischen Rangolis und Kolams erhebliche Unterschiede

gebe. Beispielsweise würden bei traditionellen und „authentischen“ Kolams keine

Farben verwendet, es sei denn, es handele sich um einen besonderen Anlass, z.B. das

tamilische Erntedankfest poṅkal (Laine 2009: 199). Ein Alleinstellungsmerkmal

gegenüber den Zeichnungen aus Reismehl, Steinpulvern oder Sand aus anderen

Regionen Indiens haben die Kolams allerdings: Nur in Tamil Nadu werden sie

täglich gezeichnet, in den anderen Bundesstaaten nur zu spezifischen Anlässen

(Nagarajan 2010: 472).

Doch woher stammt der Name dieser geometrischen Kunstwerke? Der Begriff kōlam

bedeutet in der tamilischen Sprache Schönheit, Form und Spiel (Nagarajan 1993:

196). Allerdings lassen sich auch weitere Übersetzungen finden, u.a. Farbe, Form,

Kontur und Idol (Jumel 2008: 6). Des Weiteren wird kōlam mit Wasserbewegungen

bzw. -strömungen assoziiert. Dies lässt sich beispielsweise an alternativen

Übersetzungen wie „Strom“, „Fluss“ oder „Wasserlauf“ erkennen (Layard 1937:

178). Ebenso wie ein Fluss besitzt auch ein Kolam seinen eigenen Rhythmus,

welcher durch die Symmetrie und die Wiederholungen innerhalb der Form generiert

wird (Chacko 2014: 5). Die Kunsthistorikerin Stella Kramrisch wiederum bezeichnet

sie aufgrund ihrer Wirkungsweise als „magische Diagramme“ (Miller 1983: 106), da

sie wie ein Schutzmechanismus wirken. Die Vorstellung hinter dieser Tradition ist,

dass Lakshmi vor Sonnenauf- und Sonnenuntergang durch die Straßen laufe und

Segnungen verteile (Laine 2009: 134). Lakshmi lehre die Frauen zudem, wie diese

ihren Haushalt florieren lassen können (Laine 2009: 306). So dienen sie einerseits

dem Zweck, Lakshmi im Haus willkommen zu heißen und andererseits ihre

Schwester Mudevi sowie andere schlechte Einflüsse fernzuhalten. Mudevi gilt als

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der exakte Gegenpol zu Lakshmi und bringt Armut, Krankheit und Unglück mit sich

(Nagarajan 2010: 475).

Doch wie sollte ein ideales Kolam aussehen? Kolams sollen aufgrund ihrer

Schönheit und symmetrischen Perfektion den Blick der Götter auf sich ziehen

(Nagarajan 2007: 98).

„Kolam makers found it difficult to answer my question of what a well-made kolam ought to look like. Instead, they referred to how it felt: ,A good kolam feels right when you see it.‘“ (Laine 2009: 402).

Es handelt sich bei den Kolams um eine kastenübergreifende Tradition, d.h. sie wird

unabhängig von der Kastenzugehörigkeit praktiziert (Chacko 2014: 1). Allerdings

sind konkrete Kolamdesigns mit der Kaste und der dazugehörigen Ernährungsweise

verknüpft. Für die Brahmanen als Angehörige der höchsten Kaste herrschen striktere

Normen und Reglements bezüglich des Designs, Materials und der Technik vor. Es

dürfen hierbei wenige oder oftmals keine Kompromisse eingegangen werden (Laine

2009: 197). Zudem bevorzugen Shivaiten, also Anhänger der Gottheit Shiva,

Kolamentwürfe mit einem Quadrat in der Mitte als Basis. Wohingegen Vaishnaviten,

d.h. die Anhänger Vishnus, jenes Quadrat mit konkaven Seiten zeichnen (Laine

2009: 199).

Es gibt allerdings kaum Informationen bezüglich des Ursprungs der Kolamtradition.

Vijaya Nagarajan verweist auf Inschriften in Thirunelveli, welche aus dem 13.

Jahrhundert stammen. In diesen wurden die Pflichten von Tempelfrauen erwähnt, zu

denen auch das Reinigen und Dekorieren des Tempelbodens mit Kolams gehöre

(Nagarajan 2010: 474 f.).

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IV. HERANGEHENSWEISE UND VERWENDETES MATERIAL

Um ein Kolam zu zeichnen, gibt es verschiedene Vorgehensweisen. Die traditionelle

und auch aufwändigere Methode, bei welcher Reismehl verwendet wird, sowie die

moderne Variante, bei der weißes Steinpulver verwendet wird. Bei diesem Pulver

handelt es sich meist um Quarz- oder Kalksteinpulver. Es wird auf Tamil als kōlam

māvu bezeichnet (Laine 2009: 187). In ländlichen Gebieten stellen die Frauen das

benötigte Reismehl, arici māvu, oftmals selbst her oder sie lassen es bei der

nächstgelegenen Mühle - beispielsweise im Nachbardorf - mahlen (Quelle: eigene

Beobachtung).

Es gibt keine formelle Ausbildung zum Legen von Kolams. Stattdessen wird die

Kolamtradition von Mutter zu Tochter weitergegeben. Die Entwürfe werden eigens

in Notizbüchern festgehalten (Nagarajan 1993: 196). Viele Frauen und Mädchen

üben sie, indem sie mit Kreide auf dem Fußboden zeichnen. Während großer Feste

wie Pongal verbringen sie die Nachmittage mit dem Entwerfen der Kolams für die

bevorstehenden Feiertage. Bei großen und bunten Kolams zeichnet die Mutter das

grundlegende Muster und die Tochter dekoriert es anschließend mit Farbpulver bzw.

füllt die leeren Flächen mit Farbe aus (siehe Interview 4). Punkte sind die

Grundelemente eines Kolams und gliedern es. Beliebte Motive für Kolams sind u. a.

Pfauen, Lotus- und andere Blütenblätter, welche oftmals mithilfe von geometrischen

Formen stilisiert werden. Lotusblüten, Muschelhörner und Streitwägen

symbolisieren zudem Lakshmi, die Göttin des Wohlstands (Nagarajan 1993: 199).

Zudem ist das Muschelhorn bzw. Schneckenhorn ein Symbol Vishnus, welcher als

Gefährte Lakshmis gilt. Außerdem finden sich häufig Vögel, Lampen, Krüge,

Tulsipflanzen, Swastiken oder Elefanten unter den typischen Motiven (Armelin

1984: 3). Außerdem wird beim Zeichnen selbst oftmals improvisiert.

Zu den beliebtesten Materialien, die für die Kolams verwendet werden, zählen

Reismehl, Steinpulver sowie synthetische Farbpulver (siehe Schaubild 1). Meist

werden Reismehl und Steinpulver vermischt. Zur Dekoration der Kolams werden je

nach Anlass Blüten verwendet. Meist handelt es sich um Hibiskusblüten,

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Zucchiniblüten, Kürbisblüten oder die Blüten des Stechapfels (Quelle: Fragebögen).

Am ersten Tag des tamilischen Monats Mārkaḻi verzieren die Frauen zur Verehrung

der Gottheit Gaṇeśa ihre Kolams mit einer Figur, welche die Gottheit symbolisieren

soll. Diese wird aus Kuhdung geformt und mit dūrvā grass, in Deutschland unter

dem Namen Hundszahngras bekannt, verziert (Quelle: Fragebögen). Mārkaḻi gilt als

besonders gefährlich, da böse Einflüsse und Mächte zu dieser Zeit mehr Einfluss

haben. Gaṇeśa wird explizit verehrt, da ihm die Rolle als Beschützer vor bösen

Mächten zukommt (Laine 2009: 305).

IV.I. Traditionelle Vorgehensweise

Die ausführliche und traditionelle Vorgehensweise, um ein Kolam zu zeichnen, ist

folgende: Vor dem eigentlichen Zeichnen muss zunächst der Boden, welcher als

metaphorische Leinwand dient, vorbereitet und gereinigt werden. Dazu wird der

Boden gekehrt, mit Wasser gereinigt und anschließend mit einer Mischung aus

Wasser und Kuhdung, gepflastert. Dies soll einerseits die Bodenoberfläche ebnen

und dafür sorgen, dass die Zeichnung besser haftet. Darüber hinaus wird dem

Kuhdung eine antiseptische und reinigende Wirkung zugesprochen. Danach wird das

Kolam mit einer aus Reismehl und Wasser bestehenden Paste gemalt. Wichtig ist,

dass die Paste nicht zu wässrig ist, da die Linien sonst unförmig werden. Nun wird

ein Stück Stoff oder etwas Watte in dem Gemisch getränkt und in der geballten Faust

allmählich ausgedrückt, um Punkte oder Linien zu zeichnen. Die Mehrheit der

Frauen zeichnet aus dem Gedächtnis heraus. Manche, vor allem jüngere und

unerfahrenere Frauen, halten ihr Skizzenbuch neben sich zum Abmalen bereit. Meist

wird mit einem Gitter aus Punkten begonnen. Die Punkte werden anschließend auf

vielfältige Arten zu einem Kolam verbunden. Beliebt sind zum Beispiel Muster, bei

denen sich eine einzige Linie in einem wiederholenden Schema um alle Punkte

windet oder auch mehrere Linien, sich gegenseitig kreuzend, durch die Punkte

verlaufen. Andererseits gibt es auch sogenannte „freehand kolams“, welche ohne ein

Punktgitter angefertigt werden. Hierbei erfordert es jedoch viel Können und

Erfahrung, um die symmetrische Gestalt des Bildes beizubehalten. Des Weiteren ist

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es möglich, zwei Linien gleichzeitig zu zeichnen: Wenn eine Linie gemalt wird,

fließt die Paste zwischen Zeigefinger und Daumen herunter, während die restlichen

Finger den Stoff ausdrücken. Um zwei Linien zu zeichnen, wird dann ein weiterer

Finger ausgestreckt, sodass die Paste gleichzeitig an Zeige- und Mittelfinger

herabfließt. Während des Trocknens erstrahlt die Farbe zunehmend (Quelle: eigene

Beobachtung). Kolams, welche mit dieser wässrigen Reispaste gemalt werden,

heißen auch mākōlam (Ramaswami 1938: 181; Nagarajan 2010: 473):

„Makolam is generally drawn on festive occasions, such as on New Year's Day, or on the eve of a wedding, or when a baby is born in the house“ (Ramaswami 1938: 181).

Diese Art von Kolam kann am häufigsten in Tempelanlagen gesehen werden. Ein

anderer Name für jene Art von Kolams lautet taṇṇī kōlam, dies bedeutet wörtlich

übersetzt „Wasserkolam“. Die hierfür verwendete Paste wird folgendermaßen

hergestellt: Zunächst muss der Reis etwa zwei Stunden in Wasser eingeweicht

werden. Anschließend wird er getrocknet, gemahlen und erneut mit Wasser vermischt

(Quelle: informelles Gespräch). Das Reismehl dient als Futter für kleine Lebewesen,

z. B. Ameisen und andere Insekten oder Vögel. Die Handlung des Gebens, dānam,

gilt als glückverheißend, wenn man mit ihr in den Tag startet. Außerdem glauben

manche Frauen, dass das Füttern der Ameisen diese davon abhält, in der Küche nach

Nahrung zu suchen. Zudem existiert der Glaube, dass die Göttin Lakshmi selbst in

den Reiskörnern präsent sei (Nagarajan 1993: 197).

IV.II. Die Bedeutung der Farbe Rot

Die Farbe Rot tritt häufig in Kolams auf. Sie hat nicht nur in Indien eine besondere

Bedeutung. In vielen Kulturen ist sie das Symbol für Blut und somit das Symbol für

den Ursprung menschlichen Lebens schlechthin (Nagarajan 2007: 91). Des Weiteren

wird die Farbe Rot im indischen Kontext mit Weiblichkeit, Fruchtbarkeit, Sexualität

und Hitze assoziiert, wohingegen Weiß mit Männlichkeit, Kühle und Sperma in

Verbindung gebracht wird (Laine 2009: 194; Beck 1969: 553 f. & 563). Ähnlich wie

auch im abendländischen Kontext verbildlicht die Farbe Weiß Vorstellungen von

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Stabilität, Reinheit und Wohlbefinden. Außerdem wird sie mit kühlenden

Flüssigkeiten wie Milch und Wasser sowie dem Tag und Tageslicht assoziiert. Rot

wiederum ist schwieriger einzuordnen, da ihm sowohl positive als auch negative

Eigenschaften zugesprochen werden. Aufgrund der Assoziation mit Blut symbolisiert

Rot Vitalität, Lebenskraft und Gesundheit, aber auch Verunreinigung, Kampf und

Tod (Beck 1969: 558). Rot deckt demnach symbolisch betrachtet das gesamte

Spektrum vom Leben bis zum Tod ab. In der Kombination mit Weiß besitzt es eine

glückliche, lebensspendende Aussage, gemeinsam mit schwarzer Farbe jedoch eine

bösartige und verunreinigte (Beck 1969: 558 f.). Aus ebendiesem Grund werden

auch die Außenfassaden größerer Tempel und e iniger Häuser in

Brahmanensiedlungen mit roten und weißen Streifen bemalt (Quelle: eigene

Beobachtung).

IV.III. Das Medium Reis

„Ever since its domestication, rice has acquired a sacred status in Asia whether as food or decorative item or medium of communication“ (Sharma 2010: 62).

Reis spielt eine zentrale Rolle als Opfergabe zahlreicher hinduistischer Rituale, wie

beispielsweise der Puja oder des tamilischen Erntedankfests Pongal. Laut Shatanjiw

Das Sharma symbolisiere Reis Fruchtbarkeit und weibliche Kraft (Sharma 2010: 66).

Außerdem ist Reis das Hauptnahrungsmittel Südasiens und gilt aus diesem Grund als

„source of life“ (Laine 2009: 129).

IV.IV. Moderne Variationen

Da Kuhdung heutzutage kaum oder nur erschwert erhältlich ist, insbesondere in

Großstädten, wird der Boden meist nur mit Wasser gereinigt. Außerdem greifen viele

Frauen für ihre täglichen Kolams auf Quarzpulver zurück. Weitere Alternativen zum

klassischen Reismehl bieten Pulver, welches aus Kalkstein hergestellt wird, oder

alter Mörtel, d.h. eine Mischung aus Kalk und Zement, welcher zu einem feinen

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Pulver gemahlen wird (Layard 1937: 122). Da der Boden zuvor befeuchtet wurde,

haftet das Pulver ohne vorheriges Vermischen mit Wasser. Je enger die Finger

zusammenpresst werden, desto dünner wird die gezeichnete Linie. Heutzutage wird

zunehmend anstatt ihres rituellen und religiösen Zwecks die künstlerische Qualität

der Kolams geschätzt (Nagarajan 1993: 203). Zudem greifen weniger talentierte

Frauen auf Hilfswerkzeuge wie Stempel, durch welche das Pulver gestreut und

verteilt wird, zurück (Laine 2009: 200).

IV.V. Wichtige Inspirationsquellen

Kleinere Kolambücher bzw. Hefte, in denen verschiedene Kolamdesigns abgebildet

sind, dienen als eine der wichtigsten Inspirationsquellen für die Entwicklung eigener

Designs. Diese Hefte, welche meist schlicht den Titel kōlaṅkaḷ, also den tamilischen

Plural von kōlam tragen, sind in vielen Läden und Märkten erhältlich. Des Weiteren

sehen sich viele Frauen, insbesondere zu Festtagen, die Kolams innerhalb ihrer

Nachbarschaft oder Fotos von Kolams vergangener Feste an, um sich anregen zu

lassen (siehe Interview 4). Einige Frauen tauschen sich im Freundeskreis aus und

benutzen Erinnerungen und Eindrücke von Kolamwettbewerben als

Inspirationsquelle (siehe Interview 4).

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V. DIE VERSCHIEDENEN ARTEN VON KOLAMS

Es gibt zahlreiche Kategorien von Kolams, die sich hinsichtlich ihres Aussehens und

des Kontexts, in welchem sie gezeichnet werden, unterscheiden. Es gibt Kolams,

welche täglich gestreut werden, und jene, die für einen bestimmten Anlass gedacht

und aus diesem Grund meist figurativ sind (siehe Abb. 1). Die täglichen Kolams

haben in der Regel einen Durchmesser von circa einem Meter. Kolams für besondere

Anlässe sind wesentlich größer und sind aufgrund des Einsatzes von Farbpulvern

optisch auffälliger. Für das Anfertigen eines gewöhnlichen Kolams benötigen die

befragten Frauen im Durchschnitt etwa 18 Minuten. Für das Üben und Zeichnen von

Kolams während des Monats Mārkaḻi nehmen sie sich im Durchschnitt etwa 39

Minuten Zeit (Quelle: Auswertung der Fragebögen).

An dieser Stelle werden ein paar der beliebtesten Formen und Kategorien erwähnt.

Eine Gesamtdarstellung aller vorhandenen Kategorien wäre zu unübersichtlich, da es

zahlreiche Subkategorien gibt. Des Weiteren existiert für beinahe jede Kategorie

mindestens eine abweichende Bezeichnung.

Eines der simpleren Kolamdesigns ist ein Stern, der mithilfe zweier Dreiecke, die

einander in entgegengesetzter Richtung kreuzen, gezeichnet wird. Dieses Design

symbolisiere die Vereinigung von Mann und Frau (Nagarajan 2010: 475; siehe Abb.

2). Andere wiederum behaupten, dass das Sternmotiv die Gottheit Murugan, also

Ganapathis Bruder, u.a. auch Subramaniam genannt, repräsentiere. In den sechs

Ecken des Sterns stehen im Uhrzeigersinn die Silben ca ra va ṇa pa va. Diese bilden

zusammen ein Mantra, welches zur Anrufung des Gottes diene (siehe Interview 4).

Das sogenannte teppa kōlam soll optisch den Wassertank eines Tempels

repräsentieren (Laine 2009: 199). Des Weiteren gibt es border kolams. Dies sind

kleinere, längliche Muster, welche zum Verzieren und Ergänzen eines oder mehrerer

größerer Kolams dienen. Darüber hinaus basieren einige Kolams auf einer zentralen

Swastika (siehe Abb. 3). Früher wurden bestimmte Designs nur von bestimmten

Kasten oder Subkasten verwendet. Heutzutage ist dies aufgrund des regen

Austauschs von Entwürfen und verschiedenen Designs nicht mehr der Fall

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(Nagarajan 2003: 342). Dieser Austausch wird mithilfe des Internets, öffentlicher

Wettbewerbe sowie der Kolambücher, die überall erhältlich sind, gefördert.

V.I. Kalyāṇa kōlam

Die kalyāṇa kōlam, auch paṭi kōlam oder kaṇya kōlam genannt, werden

beispielsweise nur zu auspiziösen Anlässen oder in manchen Haushalten auch an

Dienstagen und Freitagen gezeichnet, da diese als glückverheißende Tage für Devī

und somit für alle weiblichen hinduistischen Gottheiten gelten (Nath 2016). Hierbei

handelt es sich um Kolams die mithilfe paralleler Linien gezeichnet werden und

deren Grundform häufig ein Quadrat, ein Hexagon oder ein Swastika bildet (siehe

Abb. 4). Allerdings lassen sich auch Varianten finden, welche auf einem Punkt

basieren, um welchen Lotusblütenblätter arrangiert sind (Jumel 2013: 56). Außerdem

wird an Dienstagen und Freitagen cemmaṇ, also roter Lehm verwendet (siehe

Interview 1).

V.II. Puḷḷi kōlam

Bei einem puḷḷi kōlam handelt es sich um ein Kolam, dem ein gleichmäßiges Raster

aus Punkten zu Grunde liegt. Das tamilische Wort puḷḷi bedeutet schlichtweg

„Punkt“. Daher werden sie auch oft als „dot kolams“ bezeichnet. Dieses Raster wird

mithilfe von Linien, Bogen und Kreisen zu verschiedenen geometrischen Formen

oder abstrahierten bzw. stilisierten Darstellungen von Tieren, Göttern oder

Gegenständen verbunden (Jumel 2013: 51). Zudem wird zwischen nēr puḷḷi kōlaṅkaḷ

und ūṭu puḷḷi kōlaṅkaḷ unterschieden. Bei ersterem handelt es sich um ein Raster,

welches auf parallelen Punkten basiert, bei letzterem werden die Punkte versetzt

angebracht (siehe Abb. 5 und 6).

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V.III. Cikku kōlam

Cikku kōlam werden auch als kampi kōlam bezeichnet (Jumel 2013: 53). Diese

Kolams basieren ebenfalls auf einem Gitter von Punkten, die jeweils eine Fußbreite

voneinander entfernt sind. Anders als bei den puḷḷi kōlam wird um dieses Raster dann

entweder eine einzelne Linie geschlungen oder ein Flechtwerk von mehreren Linien

arrangiert, die einander kreuzen (Laine 2009: 197 f.; siehe Abb. 7 und 8). Der Punkt

symbolisiere das männliche Prinzip, Puruṣa, und die Linie das weibliche, Prakṛti.

Das Kolam versinnbildlicht demzufolge die Dualität durch Vereinigung zweier

gegensätzlicher Prinzipien (Jumel 2013: 45).

V.IV. Navagraha Kolam (ṅavakraha kōlam)

Im Hindusimus gibt es neun Planeten - die Navagrahas -, die ihren Einfluss auf das

Leben eines Gläubigen ausüben. Die neun Planeten sind gleichzeitig Gottheiten,

welche in größeren Tempeln einen eigenen Schrein für die Verehrung haben. Zum

einen werden diese Gottheiten mithilfe formal festgelegter Kolams verehrt. Die

sogenannten ṅavakraha kōlam werden am Pujaschrein gezeichnet. Zum anderen

werden die neun Götter durch das neunmalige Umrunden ihrer Tempelstatuen

verehrt (Laine 2009: 308). Zu dieser Kategorie der Kolams gehört beispielsweise das

sūriya kolam, welches nur an Sonntagen gezeichnet wird (siehe Interview 1 sowie

Abb. 9 und 10).

V.V. Kolams für besondere Anlässe - Figurative Kolams

Für wichtige hinduistische Feste und Rituale zeichnen die Frauen Kolams, welche

größer und elaborierter als die täglichen Reismehlzeichnungen sind (siehe Abb. 11).

Der zeitliche und vor allem der finanzielle Aufwand sowie der körperliche Einsatz

sind zu solchen Anlässen erhöht. Meist sind die Kolams figurativ und oftmals gehen

bestimmte Anlässe mit bestimmten Kolammotiven einher. So werden am Tag des

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Nāgapañcami, an welchem die Schlangengottheit Nāga gefeiert und verehrt wird,

Reismehlbilder mit Schlangenmotiven gezeichnet (Armelin 1984: 16). Wenn

hingegen der Beginn des Frühlings gefeiert und insbesondere die Göttinnen

Lakshmi, Sarasvati und Parvati verehrt werden, zieren florale Designs die Kolams.

Blumenkompositionen gelten zudem als Zeichen des materiellen Wohlstands

(Armelin 1984: 21). Ein Arrangement aus Sternen hingegen kündige ein glückliches

Ereignis, wie beispielsweise die Geburt eines Sohnes oder eine bevorstehende Heirat

an (Armelin 1984: 22). Während des tamilischen Monats Kārttikai findet ein

Öllampenfest namens Kārttikai Viḷakkīṭu oder auch Periya Kārttikai genannt, statt.

An diesem Fest, welches im November stattfindet, werden ebenfalls große Kolams,

meist auch taṇṇī kōlams, gemalt und mit Blüten und Öllampen verziert (siehe

Interview 5).

Darüber hinaus werden zu festlichen Anlässen auch Materialien wie roter Lehm - in

der tamilischen Sprache als cemmaṇ bezeichnet - bunte Farbpulver oder Blüten zur

Verschönerung der Kolams verwendet. Cemmaṇ wird ebenfalls verwendet, um

auspiziöse Neuigkeiten wie eine Geburt oder eine Hochzeit anzuzeigen.

An Pongal ist das übliche Motiv ein überkochender Reistopf, welcher von

Zuckerrohren umringt ist. Heutzutage werden nicht nur cemmaṇ, sondern viele

verschiedene Farbpulver für festliche Anlässe verwendet (Laine 2009: 196). Bei der

kreativen Verwendung bzw. Zweckentfremdung von Materialien für Kolams sind

keine Grenzen gesetzt: Eine der Informatinnen aus Someswarapuram, Shanthi,

benutzt an Pongal alte Kaffeepulverreste, um die Zuckerrohre mit dunkler Farbe

auszufüllen. Farbpulver werden oftmals mit etwas gröberem Material wie Sand oder

Salzkristallen vermischt. Dies sorgt dafür, dass sie leichter aufzutragen sind. Die

Farbpulver sind in der Regel zu fein, um sie gleichmäßig streuen zu können (siehe

Interview 5). Zudem spart man durch das „Verdünnen“ der teuren Pulver auch Geld.

In jüngster Zeit entstehen sehr viele neue Designs. Beliebte Materialien sind zudem

Blüten, Gemüse und Obst. Es werden u.a. Zutaten wie Papayascheiben, Rote Bete,

Kokosnussraspeln oder Kohl benutzt. Diese sind je nach Saison günstiger. Die

frischen Blätter eines Tamarindenbaums können ebenfalls als günstiger Ersatz für

14

grüne Farbe genutzt werden, da Farbpulver in großen Mengen kostspielig ist.

Während Mārkaḻi finden außerdem keine wichtigen Rituale und Ereignisse, wie z.B.

Hochzeiten, statt. Demnach sind Blumen zu dieser Zeit wesentlich günstiger und

werden häufiger in Kolams verwendet. Außerdem bleiben sie wegen des

vergleichsweise „kühleren“ Klimas des Monats länger frisch. Zu den Geburtstagen

ihrer Kinder zeichnen viele Mütter auch große und bunte Kolams mit dem Schriftzug

„Happy Birthday“. Erst werden die weißen Umrisse gestreut, dann werden die leeren

Felder mit Farbpulver gefüllt und zum Schluss wird das Kolam noch an einigen

Stellen mit Blumen verziert (siehe Interview 5). Die Materialien, welche eine Frau

zum Legen des Kolams nutzt, können demnach auch den ökonomischen Status der

Familie anzeigen. Ärmere Familien greifen als Alternative für die etwas teureren

Farbpulver auf Materialien wie cemmaṇ, Asche oder Sand zurück (Laine 2009: 196).

VI. ORTE FÜR KOLAMS

Hinsichtlich der Lokalität von Kolams können grundsätzlich zweierlei Gattungen

unterschieden werden, nämlich die „outdoor kolams“ und die „indoor kolams“. Wie

der Name bereits verrät, werden die „outdoor kolams“ vor dem Haus gezeichnet und

sind somit Teil des öffentlichen Raums. Die „indoor kolams“ hingegen werden u.a.

am Pujaschrein im Inneren des Hauses gezeichnet (Laine 2009: 192).

Paradoxerweise ist das Betreten von Kolams oftmals erwünscht, auch wenn dadurch

ihr „Verschwinden“ beschleunigt wird. Viele Tamilen glauben, dass es dann eine

purifizierende Wirkung für denjenigen hat, der es betritt. Dennoch betreten einige

Tamilen die Kolams nicht, aus Respekt vor dem Kunstwerk und dem Aufwand,

welcher damit verbunden ist. Kolams in Tempeln und vor Pujaschreinen im Haus

bilden jedoch die Ausnahme. Diese sollten nicht betreten werden, da es sich um

heilige Orte handelt (Nagarajan 2007: 97). Allerdings lässt sich des Öfteren

beobachten, dass Kinder beim Spielen zum Zeitvertreib während langwierigen

Ritualen oder Festen in Tempeln manchmal rücksichtslos über frisch gemalte taṇṇī

15

kōlams rennen - auch wenn sie anschließend von ihrer Mutter getadelt werden

(Quelle: eigene Beobachtung).

VI.I. Kolams im Eingangsbereich

Wie es auch bei den hinduistischen Verehrungsritualen der Fall ist, werden die Götter

„vermenschlicht“ und wie Gäste, die in das Haus eingeladen werden, behandelt

(Nagarajan 2000: 455). Dadurch werden Beziehungen zwischen dem göttlichen

Wesen und dem Menschen geknüpft (Nagarajan 2000: 463). Diese Beziehungen

beruhen in erster Linie auf Reziprozität: der Mensch verehrt die Gottheit bzw.

behandelt diese in einer zuvorkommenden Weise und erhält im bestem Falle auch

eine Gegenleistung in Form einer göttlichen Segnung, also Glück, Wohlstand,

Gesundheit oder ähnlichen Vorteilen. Ein Kolam vor der Türschwelle zeigt außerdem

an, dass der Haushalt gastfreundlich ist. Das bedeutet, dass ein Bettler oder Sadhu2 in

diesem Haus Nahrung erhalten wird, falls er darum bittet (Nagarajan 2007: 88).

VI.II. Kolams am Pujaschrein

Der Pujaschrein ist das spirituelle Zentrum des Hauses. Wie der Name bereits verrät,

wird dort die pūjā, also das zentrale Verehrungsritual des Hinduismus durchgeführt.

An dieser Stelle finden sich sowohl Idole der Lieblingsgottheiten der Familie als

auch Fotografien verstorbener Verwandter oder von Gurus, die ebenfalls verehrt

werden. Dementsprechend befindet sich vor diesem Altar ebenfalls ein Kolam (siehe

Abb. 12). Dieses wird im Gegensatz zum Kolam vor der Haustür nicht täglich,

sondern nur einmal in der Woche oder seltener gemalt (Quelle: eigene Beobachtung).

Viele Frauen, vor allem jene, die berufstätig sind, greifen mittlerweile allerdings auf

Aufkleber, welche mit Kolammotiven bedruckt sind, zurück (siehe Abb. 13).

16

2 Sadhus sind umherwandernde Asketen und werden als heilige Männer betrachtet.

VI.III. Weitere Orte für Kolams

Kolams besitzen in den Tempeln Tamil Nadus ebenfalls eine hohe Präsenz. Innerhalb

eines Tempelkomplexes sind sie vor jedem einzelnen Schrein bzw. auf den Treppen

vor einem Schrein vorhanden (siehe Abb. 14). Die Kolams markieren somit die

Route des Tempelbesuchers, der den einzelnen Götterstatuen seine Ehrerbietung

zeigt (Nagarajan 2007: 97). Zudem ist die Ansicht, dass man als Kolamzeichnerin für

einen Tempel wesentlich mehr puṇṇiyam bzw. göttliche Segnungen erhält als beim

Zeichnen häuslicher Kolams, verbreitet. Üblicherweise übernimmt die Frau des

Tempelpriesters oder eine begabte Frau aus der Nachbarschaft diese Aufgabe. Dies

bedeutet, dass nur brahmanische Frauen Kolams für die Tempel zeichnen, da nur

brahmanische Männer als Tempelpriester arbeiten dürfen. Zudem wohnen

Brahmanenfamilien meist in unmittelbarer Nähe des Tempels. In Großstädten

herrscht bezüglich dieses Amtes ein großer Konkurrenzkampf (Laine 2009: 239).

Ebenso gibt es die Praktik, Kolams vor Palmen, Bäumen oder anderen Pflanzen zu

zeichnen, um so die der Pflanze innewohnende Gottheit willkommen zu heißen

(Nagarajan 2000: 455). Findet ein religiöses Fest statt, welches eine Prozession mit

Mūrtis, also Götterstatuen aus den Tempeln, durch die Straßen eines tamilischen

Dorfes beinhaltet, so werden diese Straßen von den Bewohnerinnen mit großen

Kolams geschmückt (siehe Abb. 15). Oft finden sich auch Kolams in der Küche vor,

neben oder sogar unter dem Gasherd (Laine 2009: 144). Im traditionell

hinduistischen Sinne gilt die Küche als Kernstück des Hauses und in Relation zum

Rest des Hauses als Sitz der Götter, da hier wichtige rituelle Aktivitäten stattfinden.

In kleineren Haushalten befindet sich der Pujaschrein häufig in einer Ecke der Küche

(Quelle: eigene Beobachtung). Ebenso bildet die Küche architektonisch betrachtet -

ausgehend vom traditionell tamilischen Häuserbau, wie er auch heute noch in

ländlichen Gebieten vorgefunden werden kann - den geschützten Kern einer

Behausung (Nagarajan 2007: 96).

17

VII. KOLAMS IN DEN AGRAHARAMS

Am präsentesten sind die Kolams bzw. Rangolis im Erscheinungsbild von Städten

und Dörfern in Tamil Nadu. Eine Ausnahme bildet jedoch die tamilische Diaspora in

benachbarten Bundesstaaten wie z. B. Karnataka oder Kerala, und in anderen

Ländern wie beispielsweise Großbritannien. Nicht nur in Tamil Nadu, sondern auch

in Kerala und Karnataka gibt es Agraharams. Dies sind Dörfer, in denen

ausschließlich Brahmanen leben, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts aus Tamil

Nadu emigriert sind, die sogenannten Tamil Brahmanen (Turkin 2014: 11). In diesen

Brahmanensiedlungen findet sich vor jeder Haustür ein Kolam (siehe Abb. 16).

Durch das Zeichnen der Kolams werden die sozialen Beziehungen innerhalb solcher

Dörfer geknüpft und gestärkt. Die Straße und der Hauseingang dienen als Ort des

täglichen Austauschs und der Kommunikation. Vor allem während großer Feste sind

die Kolams ein essentieller Bestandteil und ihre Abwesenheit undenkbar (Quelle:

eigene Beobachtung).

VIII. BEDEUTUNGSEBENEN DES KOLAMS IM ALLTAG

VIII.I. Marker der Liminalität

Ein Kolam besitzt, abgesehen von seinem dekorativen Aspekt, vielschichtige

Bedeutungsebenen, sowohl für den Betrachter als auch für die Schöpferin selbst.

Kolams können als Marker von liminalen Phasen betrachtet werden. Das

Überschreiten der Türschwelle kann als rite de passage bzw. Übergangsritus, ein

Begriff, der von Arnold van Gennep geprägt wurde, aufgefasst werden. Diese Riten

werden in drei Phasen unterteilt, zunächst erfolgt die Separation, dann die

Marginalität bzw. liminale Phase und anschließend muss sich das Individuum

reintegrieren:

18

„In der mittleren ﹥Schwellenphase﹤ ist das rituelle Subjekt (der ﹥Passierende﹤) von Ambiguität gekennzeichnet; es durchschreitet einen kulturellen Bereich, der wenig oder keine Merkmale des vergangenen oder künftigen Zustands aufweist“ (Turner 2005: 94).

Bei der zunächst belanglos erscheinenden Handlung des Verlassens oder Betretens

eines Hauses ereignet sich ein Übergang, nämlich jener von Intimität in die

Öffentlichkeit und umgekehrt. Ein Familienmitglied findet beim Betreten des Heims

einen Ort des Rückzugs und der Geborgenheit. Beim Verlassen des Heims wiederum

tritt es aus der Sphäre eines kleinen familiären Kreises in die Sphäre der erweiterten

Dorf- oder Stadtgemeinschaft und der Öffentlichkeit. Die Kolams befinden sich

demnach an einem Teil des Hauses, welches von Liminalität geprägt ist und

kennzeichnet diesen. Zudem markieren Kolams liminale Zeitpunkte und

Festlichkeiten - z.B. den Übergang von der Nacht zum Tag bei Sonnenauf- und vom

Tag zur Nacht bei Sonnenuntergang sowie Geburts- oder Todesrituale. Der

Sonnenaufgang gilt zudem als eine auspiziöse Zeit des Tages. Dies hängt mit dem

Glauben zusammen, dass Sonnenlicht die Erde reinige (Nagarajan 2007: 98).

„The kolam practice constitutes and is constituted by rhythms. The morning street image materialises the rhythm of the day. The performance is further organised into a regularity of flows defined by weekly, monthly and annual circumstanced related to the rhythm of planets and following seasons“ (Laine 2009: 328).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Reismehlbilder spezifische

Zeitpunkte und zeitliche Übergänge markieren: u.a. Sonnenauf- sowie

Sonnenuntergang oder den tamilischen Monat Mārkaḻi (Nagarajan 2007: 85;

Nagarajan 2007: 85). Mārkaḻi, welcher den Zeitraum von Mitte Dezember bis Mitte

Januar einnimmt, ist ebenfalls liminal: die Tamilen glauben, dass während dieses

Monats die Grenzen zwischen Menschenreich und dem Reich der Götter

verschwimmen (Nagarajan 2007: 99).

19

VIII.II. Funktion als „Messenger“

Kolams überbringen Botschaften, die nicht nur spiritueller und künstlerischer,

sondern auch politischer oder gesellschaftskritischer Natur sind (Jumel 2008: 8;

Nagarajan 2010: 477). So finden sich bei öffentlichen Wettbewerben beispielsweise

Kolams, die mit ihren Motiven Probleme wie die Umweltverschmutzung oder die

Wasserverschwendung anprangern. Zur Feier des indischen Unabhängigkeitstags

werden ebenfalls besondere Kolams gezeichnet: Zum Beispiel mischen manche

Frauen zu diesem Anlass ihre Farbpulver mit den Scheiben einer unreifen Papaya,

um damit die farbigen Stellen eines Kolams zu füllen. Sharmila, eine

Englischlehrerin aus Thiruvaiyaru nimmt regelmäßig an regionalen

Kolamwettbewerben teil. Im Januar hatte sie einen dieser Wettbewerbe mit einem

Motiv gewonnen, das die drei wichtigsten Religionen Südindiens vereinte: den

Hinduismus, Islam und das Christentum. Das Design kombinierte Elemente dieser

Religionen, es enthielt nämlich christliche Kreuze, Swastiken und den muslimischen

Hilal, d.h. eine Mondsichel (siehe Interview 5). Die harmonische Koexistenz dieser

Weltreligionen war ein Anliegen, welches sie mithilfe dieses Kolams ausdrückte.

Darüber hinaus können Kolams vor einem Tempel anzeigen, um welche Festivität es

sich handelt, die im Inneren des Gebäudes zelebriert wird (Nagarajan 2000: 460).

Die Präsenz bzw. Abwesenheit eines Kolams überbringt ebenfalls eine Botschaft an

die Öffentlichkeit und kommuniziert entweder einen Zustand der Reinheit oder einen

der rituellen Verunreinigung (Nagarajan 2007: 87; siehe Kapitel XI. Kolams und das

Konzept der rituellen Reinheit). Aufgrund der Größe oder Elaboriertheit des Kolams

lasse sich zudem erkennen, ob eine Hochzeit oder eine Geburt stattfand oder ein

Mädchen in die Pubertät kam, da solche Anlässe mit großen und aufwändigen

Kolams gewürdigt werden. Kolams dienen somit als Messenger bzw. Boten.

Während Mārkaḻi finden zwar keine Hochzeiten oder andere auspiziöse Ereignisse

statt, jedoch kann eine Mutter während dieser Zeit mithilfe eines Kolams anzeigen,

dass sich ein Mädchen im heiratsfähigen Alter in ihrem Haus befindet. Dazu muss sie

das Kolam lediglich mit den Blüten eines Flaschenkürbisses dekorieren. Dies dient

als Botschaft an die Eltern eines potenziellen Bräutigams (Nath 2016). Gleichzeitig

20

begrenzen Kolams die rituelle Verunreinigung, die mit glücklichen Ereignissen, wie

beispielsweise einer Geburt, einhergeht (Nagarajan 2007: 88 f.).

VIII.III. Das Kolam als Talisman

Kolams können auch als Talismane aufgefasst werden, denn Amulette und Talismane

sind

„...Gegenstände [...], denen eine bestimmte, oft [...] als ﹥magisch﹤ bezeichnete Kraft zugeschrieben wird, die ﹥besondere﹤ Eigenschaften aufweisen, die für den Benutzer irgendwie nutzbar gemacht werden können. Sie werden [...] als Ketten oder Ringe getragen, als Gürtel, Arm- oder Fußreifen, als Anhänger, in Taschen, an oder in der Kleidung. Sie können an Haus und Hof angebracht werden, an Kirchen und Gräbern, Möbeln und Gerätschaften, an Bäumen, auf Feldern und auch z.B. an Vieh und Haustieren“ (Knuf/Knuf 1984: 10).

Laut Astrid und Joachim Knuf haben sie in erster Linie zwei Funktionen. Sie

beschützen ihren Besitzer vor bösen Einflüssen und lassen ihm bestimmte

Eigenschaften zuteilwerden, meist handelt es sich hierbei um Glück (Knuf/Knuf

1984: 29). Jene Funktionen werden ebenfalls den Kolams nachgesagt.

Die Kolams schützen das Innere des Hauses und dessen Bewohner vor dem Äußeren,

welches in diesem Fall auch als Gefahr interpretiert wird. Sie definieren die Grenzen

von innen und außen (Chacko 2014: 4). Einige glauben sogar, dass die Kolams wie

ein Labyrinth wirken, in welchem sich die Dämonen oder anderweitigen schädlichen

Einflüsse verirren (Beck 1976: 220). Ein unvollendetes Haus gelte als angreifbar und

„verletzlich“. Daher seien rituelle Schutzmaßnahmen wie das Kolam für das Haus

und dessen Bewohner vonnöten (Laine 2009: 142). Kolams sollen außerdem

gezeichnet werden, bevor einer der Familienmitglieder das Haus verlasse, um zur

Arbeit oder zur Schule zu gehen, da dieser Person sonst schlimme Dinge zustoßen

könnten (Laine 2009: 315).

„The kolam helps the goddess come and be there. You create a seat for her. She comes and watches your household for you“ (Nagarajan 1993: 199).

Zudem hat das Füttern der Ameisen mit dem Reismehl der Kolams eine weitere

Funktion: Es hält die Insekten ebenfalls davon ab für die Nahrungssuche das Haus zu 21

betreten. Somit bleibt das Haus sauber und frei von ungebetenen Gästen (Suresh

2003).

VIII.IV. Kolams als Repräsentation der cumaṅkali

„In everyday life, it is the women who are responsible for the prosperity and the protection of the house and the family. They know various incantations and the appropriate rituals to fight the evil-eye“ (Jumel 1995: 32).

Eine gute Kolamzeichnerin gelte gleichzeitig als cumaṅkali, als ideale Ehefrau und

Mutter (Laine 2009: 363). Kolams tragen nämlich zu einer positiven Glück

verheißenden Atmosphäre im Haushalt bei. Dies ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt

der Pflichten einer cumaṅkali. Ausgehend von der Art und Weise, wie eine Frau

Kolams zeichnet, werden Rückschlüsse auf ihr Talent, ihr Wissen, ihre Religiösität

und ihre Persönlichkeit gezogen (Chacko 2014: 2). Kolams indizieren nicht nur die

gesellschaftliche Stellung der Frau, sondern auch den Status der gesamten Familie.

Tatsächlich gilt die Abwesenheit eines Kolams vor der Haustür als böses Omen oder

sogar als Symbol für ein Leiden des betroffenen Haushalts. Sie kann darauf

hinweisen, dass die Frau menstruiert, dass ein Familienangehöriger verstorben ist

und betrauert wird, dass die Frau ihre Pflichten vernachlässigt oder dass die Frau zu

stark durch ihren Beruf vereinnahmt wird (Nagarajan 1993: 197). Wenn die

vorstehende Frau des Haushalts verreist, legt die Tochter oder eine andere weibliche

Verwandte, welche ebenfalls im Haus wohnt, die Kolams. Wenn allerdings die

gesamte Familie verreist, gilt der gesamte Haushalt schlichtweg als „geschlossen“

und es gibt keine Kolams (siehe Interview 1). Auch heutzutage komme es durchaus

noch vor, dass tamilische Eltern in Heiratsannoncen für ihre Tochter das Beherrschen

der Kolams als beispielloses Merkmal einer perfekten Ehefrau anpreisen (Jumel

2013: 49). In tamilischen Filmen ist die Filmheldin eine gute Kolamzeichnerin und

wird somit als besonders liebenswerte Person eingeordnet (Laine 2009: 365).

Ein weiterer Grund für die hohe rituelle Bedeutung der Kolams ist das Erfüllen von

Dharma, also des zentralen Ethikcodes des Hinduismus. Es ist ein Bestandteil von

Dharma, dass ein Haushalt als einer der ersten Handlungen des Tages, zahlreiche

22

Gäste mit Nahrung zu versorgen habe. Dieser Verpflichtung wird mit dem Kolam

nachgegangen, da mithilfe des Reismehls Ameisen und andere Kleinstlebewesen

gefüttert werden (Nagarajan 2000: 455; Nagarajan 2003: 341).

VIII.V. Meditativer Aspekt

Für viele Frauen beinhaltet das Zeichnen der Kolams eine meditative Komponente,

da es dabei helfe, konzentriert in den Tag zu starten. Während des Zeichnens

erwachen Geist und Körper und die Zeichnerin gerate in einen Zustand der Balance

und Harmonie. Gleichzeitig würden durch die körperliche und geistige Anstrengung

eine erhöhte Konzentration sowie Koordination gefördert (Laine 2009: 324). Zudem

glauben viele Tamilen, dass das Zeichnen der Kolams die Frau vor psychischen

Krankheiten bewahre sowie die Kreativität und die Vorstellungskraft fördere. Einige

Frauen sehen die Kolamtradition zudem als tägliches Training an, welches die

Kniegelenke und den Rücken stärke. Es wirke wie Yoga (siehe Interview 3). Das

Betrachten eines Kolams habe aufgrund seiner Ästhetik ebenfalls einen positiven

Effekt. Die Designs wirken mutmaßlich stimulierend auf das Gehirn (Armelin 1984:

11). Zudem involviere die Erfahrung des Sehens bzw. Betrachtens im indischen

Kontext mehrere Sinne zugleich und ist als spirituelle Handlung Teil der

hinduistischen Tradition. Das sogenannte darśana fördere den Kontakt zwischen

Menschlichem und Göttlichem. Bei darśana handelt es sich um die Betrachtung

Abbilder von Göttern, beispielsweise indem der Gläubige eine Statue im Tempel

betrachtet (Laine 2009: 11). Durch das Betrachten erhalte der Gläubige eine Segnung

jener Gottheit.

23

VIII.VI. Kolam als Opfergabe

Ein Kolam dient ebenfalls als eine Opfergabe an die Götter und an kleine Lebewesen

wie Ameisen (Nagarajan 2000: 454). Als Gegenleistung wird dem Haushalt der

Segen der Göttin Lakshmi aber auch der Schutz vor ihrer unheilbringenden

Schwester Mudevi zuteil. Ebenso wird der „böse Blick“ mithilfe eines Kolams

abgefangen (Nagarajan 2003: 340). Wenn Lakshmi das Haus betritt, geht ein Teil

ihres göttlichen Segens auf die Frau und deren Familie über (Nagarajan 2007: 101).

IX. DER FAKTOR DER FLÜCHTIGKEIT

Die Kolams sind vor allem durch ihre Vergänglichkeit bzw. Kurzlebigkeit geprägt.

Ein gewöhnliches, mit Reismehl oder Steinpulver gestreutes Diagramm überlebt

aufgrund von Umwelteinwirkungen im Allgemeinen nur wenige Stunden. Vijaya

Nagarajan bezeichnet die Kolams daher als „ephemeral rug“, als einen vergänglichen

Teppich (Nagarajan 1993: 196). Während des Forschungsaufenthalts in dem

tamilischen Dorf Someswarapuram, keimte des Öfteren die Frage auf, wie sich

Frauen motivieren könnten, jeden Tag einzigartige und kreative Kolams zu zeichnen,

obwohl sie wissen, dass diese nur von kurzer Dauer sind und im Laufe des Tages

aufgrund von Wind, Wetter, Autoreifen und Füßen verschwinden werden. Mehrfach

wurde dieselbe Antwort gegeben: „It‘s self-motivation“. Andere wiederum verwarfen

diese Skepsis lediglich mit der Begründung, dass die Frauen etwas Gutes und Glück

verheißendes für ihre Familien vollbringen und dies als die oberste Priorität ihres

Alltags betrachten. Überdies motivieren sie sich durch den Austausch mit anderen

Frauen, z.B. indem sie sich gegenseitig ihre Skizzenbücher präsentieren. Viele haben

diese Bücher bereits von ihrer Mutter oder Großmutter geerbt und sind besonders

stolz auf ihre schönsten und elaboriertesten Kreationen. Stephen Huyler schreibt zu

diesem Thema sehr treffend:

„Es ist der Augenblick der Schöpfung, die Absicht des Herzens, die zählt. Die Kunst wird, wie das Leben, als vergänglich angesehen“ (Huyler 1994: 14).

24

Darüber hinaus herrscht ein enormer Erwartungsdruck der Gesellschaft, die Kolams

müssen gelegt werden, damit die Frau nicht „ihr Gesicht verliert“, sondern ihren Ruf

wahrt und nicht als unzuverlässige und schlechte Ehefrau gilt (Quelle: eigene

Beobachtung).

X. MODERNE TENDENZEN

Der Fortbestand der Kolamtradition ist nicht bedroht, es tritt eher ein gegenteiliger

Effekt ein: Kolams werden zunehmend beliebter und auch das öffentliche Interesse

an ihnen wächst. Das erneute Aufleben der rituellen Tradition wird u.a. durch

öffentliche Wettbewerbe, welche von Tempelverwaltungen, Universitäten,

Frauenzeitschriften oder Firmen durchgeführt werden, gefördert (Jumel 2008: 7 f.).

Auch an öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Schulen finden solche

Events statt. Mitunter werden sogar ganze Straßen für die Wettbewerbe abgesperrt

(Laine 2009: 194). Darüber hinaus gibt es auch in den Dörfern des Öfteren

Wettbewerbe, bei welchen die Frauen mit den schönsten oder originellsten Kolams

Preise oder Preisgelder gewinnen können. Die Preise werden hierbei von den

Sponsoren wie z.B. einem regional bekannten Juwelierunternehmen gestiftet. In

einem Vorort von Thiruvaiyaru findet jedes Jahr an Pongal ein Kolamwettbewerb

statt, bei welchem die Teilnehmerinnen einen Dampfkocher, einen Mixer oder andere

Küchengeräte gewinnen können. Dieser Wettbewerb wurde vom Ortsvorsitz initiiert.

Für das Herstellen eines solchen Wettbewerbkolams benötigen die meisten Frauen

etwa zwei bis drei Stunden (siehe Interview 3). Zudem werden mittlerweile auch

Kolams zu Ehren von Politikern und anderer einflussreicher Persönlichkeiten

gezeichnet (Laine 2009: 322).

Vor allem auf der Videoplattform YouTube befinden sich zahlreiche Videos, die

Schritt für Schritt Anleitungen oder Anregungen und Inspirationen geben. Viele

Frauen laden dort ihre schönsten Kreationen hoch. Diese Videos werden allerdings

25

nur von jüngeren Frauen genutzt (siehe Interview 5). Darüber hinaus gibt es

zahlreiche Blogs im Internet, auf denen Kolamkünstlerinnen ihre Entwürfe sowie

Fotos ihrer fertigen Werke mit dem Rest der Welt teilen. Es entstehen zunehmend

Synthesen von traditionellen und modernen Motiven, z. B. werden Motive der

westlichen Kultur wie Mickey Mouse oder Weihnachtsmotive wie ein Tannenbaum

oder ein Weihnachtsmann verwendet (Jumel 2008: 9). Kolams werden auch bei

christlichen und muslimischen Frauen zunehmend beliebter:

„Women increasingly emphasize the kolam as an integral part of Tamil rather than Hindu culture, saying again and again, the kolam is a Tamil, not a Hindu, art. It belongs to everyone who is Tamil“ (Nagarajan 2003: 342).

Für einige Mädchen und Frauen wiederum hat die soziale Verpflichtung des Kolams

allerdings auch eine negative Bedeutung. So sind Kolams eine zusätzliche Belastung

für jene Familien, die den Fokus eher auf die schulische Bildung ihrer Tochter legen

oder für Mädchen, die kein künstlerisches Interesse besitzen (Laine 2009: 368).

XI. UNTERSCHIEDE ZWISCHEN URBANEN UND LÄNDLICHEN

GEBIETEN

In den Großstädten wie beispielsweise Thanjavur sind Kolams nicht derart präsent

wie in kleineren Dörfern. Dort prägen sie das Straßenbild in erheblichem Maße.

Wenn große und elaborierte Reismehlbilder auf dem Asphalt zu sehen sind, wird

sofort ersichtlich, dass gerade ein großes Fest oder Ritual stattfindet (Quelle: eigene

Beobachtung). Frauen in den Städten zeichnen aufgrund von Zeitmangel oder

Desinteresse kleine und einfache Kolams, d.h. sie investieren in der Regel weniger

als fünf Minuten pro Kolam. Zudem haben sie wegen des beengten Wohnraums in

Städten auch weniger Raum zum Bemalen. Viele berufstätige Frauen zeichnen

zudem abends keine Kolams, da einige von ihnen erst nach Sonnenuntergang wieder

zu Hause sind (siehe Interview 2). Wenn sie es sich leisten kann, hat sie eine

Hausangestellte, die diese Pflicht übernimmt. Allerdings dürfe eine Haushaltshilfe

niemals das Kolam am Pujaschrein anfertigen. Die Gründe hierfür sind das

26

Kastensystem und die Reinheitsregeln, welche damit verbunden sind (Laine 2009:

243). In Hochhäusern mit mehreren Appartments wiederum kann es zu Konflikten

darüber kommen, welche Frau das Kolam für das gesamte Gebäude machen darf.

Ansonsten befindet sich als Alternative ein kleines Kolam vor jeder Wohnungstür.

Dorfbewohnerinnen zeichnen ihrer eigenen Meinung nach die besseren und

schöneren Kolams. Der soziale Druck ist in ländlichen Gebieten erhöht. Die Frauen

beobachten sich gegenseitig, nichts bleibt hier verborgen. Es herrscht ein

Konkurrenzkampf, wer die besten Kolams zeichnet und somit als beste

Kolamzeichnerin des Dorfes gilt (siehe Interview 2). Ebenso herrscht Rivalität

zwischen städtischen Frauen und jenen aus den Dörfern (Jumel 2008: 8).

XII. KOLAMS UND DAS KONZEPT DER RITUELLEN REINHEIT

„...rules of separation are the distinguishing marks of the sacred, the polar opposite of the profane [...]. The Sacred needs to be continually hedged in with prohibitions“ (Douglas 2002: 26 f.).

Im Hinduismus herrschen strenge Regeln und Vorschriften bezüglich der Reinheit.

Insbesondere für Frauen gelten diese Regeln umso mehr, da sie aufgrund von

natürlich weiblichen Gegebenheiten, wie beispielsweise der Menstruation oder dem

Gebären von Kindern, ein höheres Potential besäßen, „verunreinigt“ zu werden.

Reinheit operiert hierbei als Kategorie, die dem Körper zu- oder abgesprochen wird

(Hauser 2012: 195). Zudem ist Reinheit in erster Linie die Abwesenheit von

Unreinheit, welche durch unreine Substanzen wie Körpersekrete generiert wird

(Hauser 2012: 197). Um die Reinheit zu erhalten, wird einerseits der Kontakt mit

solchen unreinen Substanzen vermieden, andererseits wendet man purifizierende

Verfahren an (Hauser 2012: 201). Das heißt jedoch nicht, dass das traditionelle

tamilische Frauenbild durchweg mit Unreinheit behaftet ist. Eine verheiratete Frau

wird, abgesehen von dem Zeitraum ihrer monatlichen Periode, mit der Göttin

Lakshmi gleichgesetzt und, wie zuvor erwähnt, als cumaṅkali erachtet. Diese

Reinheit wird u.a. durch das Tragen eines poṭṭu, d.h. eines roten Punkts auf der Stirn,

roter Armreifen, roter Farbe an Händen sowie Füßen und von Blumen im Haar

27

wiedergegeben. Insbesondere bei der Hochzeit sind derartige glückverheißende

Merkmale am Körper der Braut von großer Wichtigkeit (Hauser 2012: 202). Die

Reinheit bestimmter Objekte und Subjekte geht häufig mit deren Schönheit und

Luxus bzw. Exklusivität einher: „Purity [...] appears like the moral dimension of

beauty“ (Hauser 2012: 210). Termini, die mit dem Zustand der Reinheit verbunden

sind, vereinen Aspekte wie Schönheit, Pracht, Wohlstand und Wohlbefinden

miteinander (Hauser 2012: 210 f.). Reinheit wird zudem in vielerlei Kontexten mit

Kühle gleichgesetzt, Unreinheit mit Hitze. So gilt beispielsweise ein Ölbad, d.h. das

Einreiben des Körpers mit Öl vor dem eigentlichen Baden, als kühlend und

gleichzeitig purifizierend. Hierfür wird Sesamöl verwendet, welches ebenso als

kühlende Substanz erachtet wird. Während der Schwangerschaft befindet sich die

Frau in einem Zustand der Hitze. Dies liege an der Konzentration von Blut an einer

Körperstelle. Reinheit und Hitze sind demnach wesentliche Bestandteile der

indischen Tradition. Bestimmte Farben sind mit diesen Vorstellungen eng verknüpft.

Mithilfe „kühlender“ Rituale könne zudem Unreinheit beseitigt werden (Beck 1969:

562 ff.).

„Holiness and impurity are at opposite poles“ (Douglas 2002: 9). Reinheit ist im

hinduistischen Kontext deshalb so wichtig, weil der Gläubige den Göttern sauber und

rein gegenübertreten sollte, beispielsweise bei der Pūjā. Aus diesem Grund betritt

eine Frau während der ersten drei Tage ihrer Menstruation keinen Tempel und

zeichnet während dieses Zeitraums auch keine Kolams. Diese Regeln werden

heutzutage allerdings meist nur von Brahmanen oder orthodox hinduistischen

Familien befolgt. Manche Frauen befinden während der Menstruation ein Bad vor

dem Zeichnen des Kolams als ausreichend (Laine 2009: 242). Faktoren des

weiblichen Lebens wie Menstruation und Geburt werden jedoch nicht durchweg

negativ bewertet, sie besitzen eine eher ambivalente Rolle. Einerseits handelt es sich

um glückliche bzw. auspiziöse Ereignisse, andererseits sind sie in einen rituell

unreinen Kontext gebettet, z. B. durch Körperflüssigkeiten verunreinigt (Nagarajan

2007: 100; Coward 1989: 20). Als „reinster“ Status im Leben einer Frau gilt der des

jungfräulichen und präpubertären Mädchens. Der „unreinste“ Status ist der einer

Witwe, die sich noch nicht in der Menopause befindet. Die Menstruation, der

28

Geburtsvorgang und der Status als Witwe gelten als Ausgangspunkte der

Verunreinigung, wohingegen Faktoren wie Fruchtbarkeit und Mutterschaft, also der

Rolle der Frau als Lebensspenderin ein hohes Maß an Reinheit und spiritueller Kraft

zugesprochen wird (Coward 1989: 20 f).

Die Kolams sind soziale Merkmale und gehören zu den wenigen traditionellen

Repräsentationsformen, welche die indische Frau in der Öffentlichkeit hat. In erster

Linie geht es bei dieser rituellen Handlung um Reinheit bzw. die Zurschaustellung

der Reinheit. Mithilfe der Kolams unterstreicht die Frau sowohl ihre eigene rituelle

Reinheit als auch die ihres Haushalts in der Öffentlichkeit. Aus diesem Grund

vergleicht Vijaya Nagarajan das kōlam mit dem poṭṭu, da seine Abwesenheit

ebenfalls auf vielfache Weise interpretiert werden kann. Dies kann darauf hindeuten,

dass die betreffende Frau menstruiert oder verwitwet sei (Nagarajan 2007: 95).

Kōlam und poṭṭu fungieren als Zeichen der Moralität und des Fleißes der Frau, die

sie zeichnet bzw. aufträgt (Nagarajan 2007: 103).

Fakt ist, wenn die Frau durch Menstruation, Geburt oder den Tod eines Angehörigen

„verunreinigt“ wird, dann legt sie auch kein Kolam. Somit erfährt die gesamte

Nachbarschaft beim Betrachten der Türschwelle, dass etwas ungewöhnlich ist. Findet

jedoch ein glückliches Ereignis statt, z. B. eine Geburt, eine Hochzeit oder die erste

Periode eines Mädchens, so werden diese mithilfe besonders großer und elaborierter

Kolams markiert (Nagarajan 2010: 476). Am Tag vor dem Neumond werden

ebenfalls keine Kolams gezeichnet. Die tamilische Tradition besagt, dass an diesem

Tag die Seelen ihrer verstorbenen Angehörigen ihr Heim aufsuchen. Wenn sich aber

ein Kolam vor dem Haus befände, könnten diese das Haus nicht betreten. Dies hängt

mit der Schutzfunktion der Kolams zusammen (siehe Kapitel VII.III. Das Kolam als

Talisman). Zudem ist die Abwesenheit des Kolams ein Ausdruck der Trauer, d.h. die

toten Verwandten werden an Neumond betrauert (siehe Interview 1). Da Kolams erst

nach der Reinigung des Schreins bzw. des Eingangsbereichs gestreut werden, sind

sie soziale Marker der Reinheit. Des Weiteren wird den Reismehlbildern selbst

ebenfalls eine reinigende Wirkung zugesprochen (Nagarajan 2003: 341).

29

„Wherever and whenever sacred space needs to be created - cleared, cleaned, and inaugurated for ritual purposes - the kōlam is nearly always necessary as a visual sign“ (Nagarajan 2010: 474).

Diesem Glauben liegt auch die, rituell betrachtet, purifizierende Wirkung des

Kuhdungs zugrunde: „Simple type of pollution are removed by water, greater

degrees of pollution are removed by cow-dung and water“ (Douglas 2002: 11). Die

britische Sozialanthropologin Mary Douglas beschreibt dieses Phänomen des

Reinigens mit - unter den Aspekten der westlichen Aseptik und Vorstellung von

Hygiene betrachteten - unhygienischen Materialien als „respect-pollution“ (Douglas

2002: 11).

Douglas schreibt zudem in ihrem Werk Ritual, Tabu und Körpersymbolik über jene

Gesellschaftssysteme, welche, wie die indische, durch eine rigide Stratifikation und

einem erhöhten Sozialdruck gekennzeichnet sind:

„Einbrüche des Körperlich-Organischen in den sozialen Bereich sind extrem gefährlich und müssen durch Reinigungsrituale aufgehoben werden. Der einzelne (sic.) wird während des Übergangs von einem sozialen Status zum nächsten wie ein Objekt betrachtet, das sich nicht an seinem richtigen Platz befindet, verunreinigt ist und rituell in seine Umwelt reintegriert werden muß (sic.)“ (Douglas 1974: 198).

Die weibliche Menstruation bedeutet im indischen Kontext stets den

vorübergehenden Ausschluss aus der Gesellschaft. Wenn Douglas‘ Beobachtungen

auf das Kolam-Phänomen übertragen werden, resultiert daraus die Schlussfolgerung,

dass das Zeichnen der Kolams nach dem Ende der Periode ein optischer sowie

symbolischer Ausdruck der Reintegration der betroffenen Frau in die Gesellschaft ist.

Kolams fungieren als Reinigungsrituale in dem Sinne, dass sie als Marker der

rituellen Reinheit dienen. An dieser Stelle kommt wieder die zuvor erwähnte

Liminalität zum Tragen: Wie Douglas es beschreibt, befindet sich die verunreinigte

Person in einem liminalen Zustand, also einem Schwellenzustand, und muss sich,

van Genneps Schema der Übergangsriten zufolge, in der dritten Phase des Rituals

reintegrieren oder ein Schisma ausführen (Turner 2005: 94). Das entscheidende

Merkmal des Hinduismus in diesem Fall ist „...die Verwendung der körperlichen

Reinheit als Symbol der hierarchischen Schichtung und der bestehenden

Gruppenschranken...“, welche eigentlich „...nur das natürliche, körpergebundene

30

Symbolsystem selbst, dessen Bedeutung in Indien offenbar ein anderswo nie

erreichtes Ausmaß erreicht hat“, ist (Douglas 1974: 224).

XIII. FAZIT

Das Kolam steht für den Ausdruck der weiblichen und der tamilischen Identität und

ist ein allgegenwärtiger sowie untrennbarer Bestandteil des Straßenbildes. Diese

Tradition wird in vielerlei Kontexten als Kunstform bezeichnet. Die Tatsache, dass

die Zeichnungen aus Reismehl mit dem Anreiz der Instandhaltung und Verwaltung

der häuslichen Sphäre praktiziert werden, sollte die Anerkennung der Kolams als

Kunstform keineswegs einschränken.

Die unterschiedlichen Kolams und die Abweichungen in der Methodik, mit welcher

sie gezeichnet werden, sind gleichermaßen individuell und eigenmächtig wie deren

Schöpferinnen selbst. Eigenmächtig sind Kolams in dem Sinne, dass sie eine

emotionale Wirkung auf den Betrachter ausüben. Große und labyrinthisch aufgebaute

Kolams ziehen ihren Betrachter förmlich in den Bann. Zudem wirken die Symmetrie

und die Vollkommenheit ihrer gesamten Form beruhigend. Jedem Kolam liegt ein

inhärentes Thema zu Grunde. Ein Element, welches über die anderen Bestandteile

dominiert. Die anderen Bestandteile umschlingen dieses Thema und führen es fort.

Für Kolams scheint der Sinnspruch „Weniger ist mehr“ nicht zu zutreffen. Denn je

größer und filigraner sie sind, desto eindrucksvoller wirken sie. Die verschiedenen

Kategorien, Muster und Motive, welche mit diesem häuslichen Ritual in Verbindung

stehen, weisen eine hohe, geradezu unübersichtliche Diversität auf. Zudem kommen

zeitgemäße Neuinterpretationen und Einflüsse westlicher Motive hinzu.

Mithilfe eines Kolams schützt die Frau nicht nur ihre Familie, sondern festigt auch

ihr Ansehen und ihre Rolle in der sie direkt umgebenden Gemeinschaft. Die

Materialien, die sie verwendet, können überdies den ökonomischen Status der

Familie anzeigen. Aber auch sozialen Ereignissen wie einer Hochzeit oder einem

31

Todesfall wird mithilfe dieser Reismehlbilder die entsprechende Ankündigung und

daraus resultierend, die nötige Aufmerksamkeit bzw. Sensibilisierung des

angesprochenen Publikums geboten. Nicht zuletzt möchten die Frauen eine

transzendentale Gastfreundlichkeit demonstrieren, welche Götter, Tiere und

Mitmenschen umspannt, und erhoffen sich somit eine göttliche Segnung.

„In a South Asian worldview, fertility in plants is believed to encourage fertility in humans, just as the generosity or auspiciousness embedded in the kōlams evokes generosity in the household and community at large“ (Nagarajan 2000: 463; Hervorhebungen im Original).

32

XIV. ANHANG

XIV.I. Abbildungen

Abb. 1: Foto eines bunten Kolams das einen Pfau darstellt, vor einem Haus in Someswarapuram (Foto: Nicole Turkin).

33

Abb. 2: Ein Sternkolam, welches die Einheit von Männlichkeit und Weiblichkeit repräsentiert (Foto: Nicole Turkin.

Abb. 3: Ältere Frau beim Zeichnen eines taṇṇī kōlam für ein Tempelfest in Someswarapuram (Foto: Nicole Turkin).

34

Abb. 4: Kaṇya kōlam bzw. paṭi kōlam (Foto: Nicole Turkin).

Abb. 5: Punktgitter und vollendeter Entwurf eines nēr puḷḷi kōlam (Zeichnung: Nicole Turkin).

35

Abb. 6: Punktgitter und vollendeter Entwurf eines ūṭu puḷḷi kōlam (Zeichnung: Nicole Turkin).

Abb. 7: Darstellung, welche Schritt für Schritt den Aufbau eines „puḷḷi kōlam“ illustriert (Quelle: Jumel 2013: 42).

36

Abb. 8: Seite aus einem Skizzenbuch, welches verschiedene Entwürfe von puḷḷi kōlam zeigt (Quelle: R. Krishna Iyer).

37

Abb. 9 und 10: Buchseiten, welche die Navagraham-Kolams zeigen. Diese Druckerzeugnisse werden vielerorts zum Verkauf geboten und finden sich in vielen Haushalten. Sie weisen keine Verlags-, Autor- oder Jahresangaben auf.

38

Abb. 11: Kolam, welches zu Anlass eines Milchtopffestes in Someswarapuram auf die Straße gezeichnet wurde (Foto: Nicole Turkin).

Abb. 12: Brahmanenfrau streut Kolam vor ihren Pujaschrein (Foto: Nicole Turkin).

39

Abb. 13: Aufkleber mit Kolammotiv (Foto: Nicole Turkin).

Abb. 14: Kolams auf den Stufen vor einem Tempelschrein in Someswarapuram (Foto: Nicole Turkin).

40

Abb. 15: Dorffrauen, die Kolams zu Anlass eines Milchtopffestes in Someswarapuram zu Ehren der Gottheit Murugan auf die Straße streuen (Foto: Nicole Turkin).

Abb. 16: Kolam im Eingangsbereich eines Brahmanenhauses (Foto: Nicole Turkin).

41

XIV.II. Schaubilder

Schaubild 1: Beliebte Materialien, welche zum Anfertigen bzw. Dekorieren von

Kolams verwendet werden.

(Quelle: Eigene Darstellung anhand der Daten aus den Fragebögen).

0 15 30 45 60Anzahl der Frauen, die jenes Material verwenden (von 62 befragten Frauen)

Verw

ende

te M

ater

ialie

n

Reispulver (arisi māvu) - täglichSteinpulver (kallu māvu) - täglichKalksteinrotlehm (cemmaṇ) an Dienstagen und FreitagenTapiokapulversynthetische FarbpulverBlüten (z.B. Kürbisblüten,Zucchiniblüten, Hibiskus)Kuhdung-Gaṇeśa & Cynodon dactylon/Hundzahngras (dūrvā grass)Kurkuma & kuṅkumamKaffeepulverSand bzw. SalzkristallePapayakerneÖllampen

42

Schaubild 2:

(Quelle: Eigene Darstellung anhand der Daten aus den Fragebögen).

3%

5%

46%

20%

26%

Inspirationsquellen für Kolamdesigns

Mutter/Großmutter/ältere Schwester/TanteNachbarschaft/FreundeskreisKolambücherandere Printmedien (Zeitschriften, Zeitungen,...)TV

43

XIV.III. Interviews

Interview 1: Interview mit Sami und Shivaranjini in Someswarapuram am 09.03.16

Warum werden an Neumond keine Kolams gelegt?

Jeden Neumond, also einmal im Monat, kommen die Seelen der verstorbenen

Angehörigen in das Haus. Wenn man ein Kolam legen würde, würden sie das Haus

allerdings nicht betreten können. Außerdem ist die Abwesenheit des Kolams ein

Ausdruck der Trauer, die toten Verwandten werden an Neumond betrauert.

Was passiert mit den Kolams, wenn die Frau länger verreist?

Wenn nur sie verreist, legt die Tochter oder eine andere weibliche Verwandte, die im

Haus wohnt, die Kolams. Wenn allerdings die gesamte Familie verreist, ist das Haus

einfach „geschlossen“ und es gibt keine Kolams.

Was sind die Unterschiede beim Kolamzeichnen in Dörfern und Städten?

In Hochhäusern mit mehreren Appartments gibt es oft einen Wettstreit darum, welche

Frau das Kolam für das gesamte Gebäude zeichnen darf. Dorfbewohnerinnen

zeichnen (Anm.: nach Meinung meiner Informantinnen) die besseren und schöneren

Kolams.

Wie finden Sie die Motivation jeden Tag neue Kolams zu zeichnen, auch wenn diese

nie lange „überleben“?

It‘s selfmotivation. - Durch den Austausch mit anderen Frauen, z.B. über das

gegenseitige Zeigen von Skizzenheften, motiviert man sich gegenseitig. Denn jede

Frau möchte das beste Kolam zeichnen.

44

Sonstige Informationen:

An Dienstagen und Freitagen werden Blumenkolams gelegt, an diesen Tagen werden

außerdem Kolams mit weißem maavu, Farbpulvern und cemman (red soil) gelegt. Es

gibt zudem neun verschiedene Kolams, die die neun verschiedenen Planeten

(Navagraham) symbolisieren, diese werden allerdings nur vor dem bzw. am

Pujaschrein gemalt. Eines davon ist das surya kolam, welches nur an Sonntagen

gemalt wird.

Interview 2: Interview mit Kopperundevi „village health nurse“ aus Thanjavur, die

in einem Kinderbetreuungszentrum in Someshwarapuram arbeitet, am 18.03.2016

Wie finden Sie die Balance zwischen Job, Familie und Kolams? Wie finden Sie die

Zeit dafür?

Es ist schwierig für mich, Zeit zu finden. Manchmal habe ich nur zwei Minuten Zeit,

um ein Kolam zu zeichnen. Ich lege außerdem keine Abendkolams, weil ich wegen

des Job zu spät nach Hause komme. Ich mache täglich nur simple Designs und

verwende Farbpulver nur an Pongal. An Ehathasi, dem Tag nach Neumond, zeichne

ich Sternkolams mit cemman.

Im Monat Ati (15. Juli - 15. August) stehe ich jeden Freitag etwas früher auf, um

aufwändigere Kolams zu legen. Im Monat Pankuni (15. März - 15. April) findet

Karadayam Nombu statt: d.h. alle Brahmanenfrauen wechseln die Schnur ihres

Taalis und es gibt ein spezielles Kolam zu diesem Fest, welches allerdings nur von

Brahmanen gefeiert wird.

45

Zur Feier der indischen Unabhängigkeit werden ebenfalls besondere Kolams gelegt

(z.B. mischen manche Frauen dann farbige Pulver mit den Scheiben einer unreifen

Papaya, um damit die farbigen Stellen eines Kolams zu füllen).

Wie finden Sie die Motivation jeden Tag neue Kolams zu zeichnen, auch wenn diese

schnell verschwinden?

Es ist einfach eine Tradition. Ich zeichne sie, um Segnungen und „benefits“ von den

Göttern zu erhalten.

Haben Sie eine Tochter? Wenn ja, bringen Sie ihr bei, wie man Kolams macht?

Ich habe zwei Töchter, eine ist 18, die andere 20 Jahre alt. Während der Pongalzeit

helfen sie mir beim Kolamzeichnen und streuen das Farbdekor. Ganz allein kann ich

das nämlich nicht bewältigen. Meine Töchter haben das Zeichnen manchmal mit

Kreide im Haus geübt. Wenn ich verreise, übernehmen meine Töchter das

Kolamzeichnen. Ansonsten haben sie jedoch keine Zeit dafür, sie sind zu beschäftigt

mit dem Studium. Das Interesse ist schon da, aber ihnen fehlt die Zeit.

Welche sind Ihrer Meinung nach die Unterschiede zwischen Kolams in Städten und

in Dörfern?

In Städten legen die Frauen nur kleine und einfache Kolams, meist aus Zeitmangel

oder Desinteresse. In Dörfern hingegen werden größere und aufwändigere Kolams

gezeichnet. Die Frauen beobachten sich gegenseitig, es herrscht ein

Konkurrenzkampf darum, wer die schöneren Kolams legt und wessen Kolam zu

klein oder nicht schön genug ist.

46

Interview 3: Interview mit Sasikala, Englischlehrerin, in Thiruvaiyaru am

19.03.2016

Wie finden Sie die Balance zwischen Job, Familie und Kolams? Wie finden Sie die

Zeit dafür?

Ich habe keinen weiten Weg zur Arbeit, nur ca. 10 Minuten Fußweg zur Schule, und

nur ein Kind, daher funktioniert das Zeitmanagement gut. Für ein tägliches Kolam

brauche ich nur 5 bis 10 Minuten, für ein Kolam zu besonderen Anlässen etwa 10 bis

20 Minuten.

Werden Sie hinsichtlich Kolams von bestimmten Medien beeinflusst oder inspiriert?

Nein. Ich wurde nur von meiner Familie, also meiner Mutter und meiner älteren

Schwester, inspiriert. Sie haben nämlich ihr Wissen und ihre Designs mit ihren

Skizzenbüchern an mich weitergegeben.

Wer hat Ihnen beigebracht, wie man Kolams macht?

Ich habe nur zugeschaut, wie es meine Schwester macht, und auf diese Weise gelernt.

Außerdem habe ich ihr manchmal bei großen und aufwändigen Kolams geholfen.

Bringen Sie es Ihrer Tochter bei?

Ja, aber sie fängt gerade erst damit an. Sie übt erstmal nur einfache Blumenmuster

mit Stift und Papier. Nach und nach soll sie dann schwierigere Designs lernen.

Welche sind Ihrer Meinung nach die Unterschiede zwischen Kolams in Städten und

in Dörfern?

Dorffrauen haben viel Zeit und zeichnen daher größere Kolams. Stadtfrauen haben

weniger Zeit und wegen der kleinen Wohnungen auch weniger Platz für Kolams.

47

Wie finden Sie die Motivation jeden Tag neue Kolams zu zeichnen, auch wenn diese

nie lange „überleben“?

Meine Motivation ist, dass es glückbringend und ein körperliches Workout ist. Die

täglichen Kolams verursachen wenig Aufwand und thanni kolams zeichne ich nur für

große Feiern wie Pongal. Kolams helfen außerdem gegen Gelenkschmerzen, es wirkt

wie Yoga. Es hilft gegen Depressionen und fördert die Kreativität und

Vorstellungskraft.

Interview 4: Interview mit Thenmozhi, Englischlehrerin, in einem Vorort von

Thiruvaiyaru am 21.03.2016

Werden Sie beim Kolamzeichnen von bestimmten Medien beeinflusst oder inspiriert?

Ich habe ein paar Kolambücher. An Festtagen sehe ich mir die Kolams der anderen

Häusern oder Fotos von anderen Kolams an.

Bringen Sie es Ihren Töchtern bei?

Beide sind noch dabei, es zu lernen, aber die jüngere zeigt größeres Interesse und ist

auch begabter als die ältere. Während der Pongal-Saison helfen sie beim Kolorieren

der Kolams.

Glauben Sie, es wird diese Tradition noch in 10 bis 20 Jahren geben?

Kolams sind nicht „am Aussterben“. Kolams werden immer beliebter und das

Interesse an ihnen wächst.

Nehmen Sie an Kolamwettbewerben teil?

48

Manchmal ja. Gestern fand ein Kolamwettbewerb am Krankenhaus von Thanjavur

statt, viele Frauen wurden per Whatsapp darüber informiert. Letzten Januar gab es

einen Wettbewerb an einer Schule, welcher von GRT Jewelers gesponsert wurde. Der

1. Preis waren 500 Rupien der 2. Preis eine Tasche und 3. eine Vesperbox. An Pongal

gibt es auch Wettbewerbe auch hier im Dorf. Als Preise gibt es z. B. Dampfkocher,

Mixer, usw. zu gewinnen. Dieser Wettbewerb findet jedes Jahr statt und wird vom

„village president“ organisiert. Für das Zeichnen eines Wettbewerbkolams brauche

ich etwa 2-3 Stunden. Ich benutze eine Mischung aus „stone powder“ und „arici

māvu“. Farbpulver verwende ich auch.

An Pongal ist das übliche Motiv ein überkochender Reistopf mit von Zuckerrohren

um ihn herum. „Border kolams“ sind kleinere, längliche Muster, die zum Verzieren

und Ergänzen anderer Kolams dienen. Das Sternmotiv symbolisiert Murugan

(Ganapathis Bruder, u.a. auch Subramaniam genannt), in den sechs Ecken steht „ca

ra va ṇa pa va “. Das ist ein Mantra und dient zur Anrufung von Murugan.

49

Interview 5: Interview mit Sharmila (Englischlehrerin) in Thiruvaiyaru am

21.03.2016

Für regionale Kolamwettbewerbe, an denen ich teilnehme benutze ich Salzkristalle,

die ich mit sehr feinen Farbpulvern vermische als „Zeichenmaterial“. Ich habe vor

kurzem den ersten Preis bei einem dieser Wettbewerbe gewonnen. Der Preis war ein

Einkaufsgutschein bei GRT Jewelers, von dem ich Ringe für mich und meine Tochter

gekauft habe. Das Kolamdesign, kombinierte christliche Kreuze, Swastiken und den

Halbmond, also Christentum, Hinduismus und Islam.

Karthigai, ist ein Öllampenfest im tamilischen Monat desselben Namens, zu diesem

Fest werden besondere Kolams gelegt, die z. B. mit Blumen und kleinen Öllampen

verziert werden. Thanni kolams werden ebenfalls an „Periya Karthigai“ (Anm.: = der

Name des Festes) gemalt. Karthigai findet im November statt.

Bringen Sie ihrer Tochter bei, wie man Kolams macht?

Ich habe eine Tochter, 12 Jahre alt, sie legt noch keine eigenen Kolams, aber sie hilft

beim Dekorieren größerer Kolams. Ich gebe das „outline“ vor und sie füllt die

Leerstellen mit Farben.

Welche Medien nutzen Sie als Inspiration/Ideengebung für ihre eigenen Kolams?

Nur die jüngere Generation nutzt das Internet, um Ideen für Kolams zu bekommen.

Nur die jüngeren Frauen nutzen YouTube-Videos als Inspiration, ich habe mir mal

ein paar Videos angeschaut, aber fand es nicht sonderlich hilfreich. Ich tausche mich

im Freundeskreis aus und benutze Erinnerungen und Eindrücke von

Kolamwettbewerben als Inspirationsquelle. Gute, große und fantasievolle Kolams

entstehen nur aus der eigenen Kreativität heraus, man kann sie nicht „kopieren“. Bei

kleinen, alltäglichen „basic kolams“ wiederum kann man einfach Motive aus

Büchern etc. kopieren. Momentan entstehen sehr viele neue Designs, neue

Materialien finden Verwendung, z.B. Obst und Gemüse (Papayascheiben, Rote Bete,

50

Kokosnussraspeln, Kohl, etc.). Je nach Saison sind sie günstiger. Auch frische

Tamarindbaumblätter können als günstiger Ersatz für grüne Farbe genutzt werden, da

Farbpulver in großen Mengen teuer sind. Tamarindbäume hingegen findet man

überall und kann einfach die Blätter pflücken. Während Margazhi finden außerdem

keine „auspicious functions“, wie z.B. Hochzeiten, statt. Deshalb sind Blumen zu

dieser Zeit wesentlich günstiger und werden häufiger in Kolams verwendet.

Außerdem bleiben sie wegen der vergleichsweisen „Kühle“ des Klimas länger frisch.

Zu den Geburtstagen ihrer Kinder hat sie auch große und bunte Kolams mit dem

Schriftzug „Happy Birthday“ gezeichnet. Erst wird das „outline“, das Grundmuster,

die weißen Linien gezeichnet, dann werden die Felder mit Farbpulver gefüllt und

zum Schluss wird das Kolams noch an ein paar Stellen mit Blumen verziert.

51

XIV.IV. Muster des verwendeten Fragebogens

Tamilische Version:

52

Englische Version:

Questionnaire about Kolam(Koolattapatti silakelvi)

Please put a circle around the correct answer or write it next to the question.

1) What is your age?

2) What is your occupation?

3) What have you studied?(What is your educational qualification?)

4) Are you married?

5) How many children do you have?

6) How much time do you spend for practicing Kolams?

7) How much time do you spend for practicing and drawing Kolams during Mārkaḻi?

8) How many hours do you spend for practicing and drawing Kolams during the other months (except Mārkaḻi)?

9) Which kind of material do you use for beautifying daily Kolams?

10) Do you use additional colours (other than white) for your daily Kolams?

11) During Mārkaḻi month, which kind of material do you use to decorate your Kolams?

12) Which medias do you use to get inspiration and ideas for your own Kolam?

TV shows magazines books YouTube videos Net blogs Facebook miscellaneous

Thank you for your help!

53

XV. BIBLIOGRAPHIE

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Philosophische Fakultät

Name:

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Hiermit versichere ich, die Arbeit mit dem Titel: _______________________________________________________________________________

im Rahmen der Lehrveranstaltung ____________________________________________________

im Sommer-/Wintersemester ________________ bei ____________________________________

selbständig und nur mit den in der Arbeit angegebenen Hilfsmitteln verfasst zu haben. Mir ist bekannt, dass ich alle schriftlichen Arbeiten, die ich im Verlauf meines Studiums als Studien- oder Prüfungsleistung einreiche, selbständig verfassen muss. Zitate sowie der Gebrauch von fremden Quellen und Hilfsmitteln müssen nach den Regeln wissenschaftlicher Dokumentation von mir eindeutig gekennzeichnet werden. Ich darf fremde Texte oder Textpassagen (auch aus dem Internet) nicht als meine eigenen ausgeben. Ein Verstoß gegen diese Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens gilt als Täuschungs- bzw. Betrugsversuch und zieht entsprechende Konsequenzen nach sich. In jedem Fall wird die Leistung mit „nicht ausreichend“ (5,0) bewertet. In schwerwiegenden Fällen kann der Prüfungsausschuss den Kandidaten/die Kandidatin von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen ausschließen; vgl. hierzu die Prüfungsordnungen für die Bachelor-, Master-, Lehramts- bzw. Magisterstudiengänge.

Datum: _________________ Unterschrift: __________________________________