Upload
unistra
View
0
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
sich letztlich um Reihen aus Gruben unterschied-
licher Länge.
Das Erdwerk von Urmitz übertrifft dabei mit
seiner über 90 ha großen Innenfläche bei Weitem
alle aus dem älteren Neolithikum bekannten An-
lagen. Große Erdwerke mit segmentierten Gräben
begleiten die Michelsberger Kultur während ihrer
gesamten Laufzeit – von den ersten Anlagen im
Pariser Becken um 4400 v.Chr. bis zu den Bau-
werken der Phase V, um 3700/3600 v.Chr. Diese
finden sich – bis auf wenige Ausnahmen wie z.B.
im Elsass – im gesamten Verbreitungsgebiet der
Michelsberger Kultur. Bis heute sind weit über
100 Orte mit Erdwerken bekannt: 96 in Deutsch-
land, vierzehn in Frankreich, neun in Belgien und
ein Erdwerk in Tschechien. Die Verteilung ist je-
doch nicht gleichmäßig: Während etwa im nord-
französischen Aisne-Tal, um Heilbronn und Bruch-
sal sowie am Nordrand der Eifel und im
Nordharzvorland mehrere Erdwerke auf engem
Raum zu finden sind, bleiben andere Regionen,
wie z.B. das Elsass, davon ausgespart.
Die Geschichte der Erforschung der Erdwerke
beginnt mit den Ausgrabungen durch K. Schu -
macher (1891) auf dem Michaelsberg bei Bruch-
sal-Untergrombach. Die Erdwerke werden jedoch
erst mit den Ausgrabungen von Urmitz und
Mayen ein wesentlicher Gegenstand der Vorge-
schichtsforschung. Seit den 1980er-Jahren bekam
die Forschung durch die nach modernen Stan-
dards dokumentierten Ausgrabungen von Heil-
bronn-Klingenberg (1985–1987), Bruchsal „Aue“
(1987–1993), Calden (1988–1992), Mairy (1978–
1987) und Bazoches-sur-Vesle (1994–2003) neue
Impulse. Diese neuen Untersuchungen öffneten
einerseits den Blick für die Vielfalt der Befunde, an-
Die Erdwerkevon Christian Jeunesse und Ute Seidel
58 Die Michelsberger Kultur
Verbreitung derErdwerke der Michelsberger Kul-tur nach Zusammen-stellungen von Geschwinde / Fabian2009 und Seidel 2008.
Erdwerke stellen die am besten erforschte und zu-
gleich charakteristischste Befundgattung der Mi-
chelsberger Kultur dar. Nach den ersten Grabun-
gen am namengebenden Fundplatz wurde durch
die Ausgrabungen in Mayen (1910) und Urmitz
(zwischen 1935 und 1947) die enge Verbindung
zwischen der Michelsberger Kultur und den Erd-
werken mit unterbrochenen, d.h. segmentierten
Gräben deutlich. Anlagen dieses Typs besitzen
einen oder mehrere Gräben mit zahlreichen
Unterbrechungen. Bei den „Gräben“ handelt es
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:52 Uhr Seite 58
dererseits verdeutlichten sie die Einheitlichkeit
des Phänomens. Schließlich lieferten sie vor allem
wichtige Informationen zu den beiden zentralen
Fragen, die die Forschung von jeher beschäfti-
gen: Es sind die Fragen nach dem Ursprung und
der Funktion der Erdwerke. In der Vergangenheit
wurde – abhängig von der Entdeckung, aber auch
dem Zeitgeist – fortifikatorischen (befestigte Sied-
lung), wirtschaftlichen (Viehkral oder Marktplatz),
politischen (Versammlungsplatz) oder religiösen
(Ort für Rituale) Aspekten der Vorzug gegeben.
Neue Ausgrabungen belegen, dass die Erdwerke
mit unterbrochenen Gräben ältere Vorläufer be-
sitzen. Die Zunahme der dokumentierten Fund-
stellen und die Untersuchung größerer Flächen
sowie auch eine verbesserte Grabungstechnik er-
lauben heute eine neue Sicht auf die Erdwerke der
Michelsberger Kultur.
Auf den ersten Blick: Eine große VielfaltDer erste Eindruck einer enormen Variabilität der
Erdwerke mit unterbrochenem Graben lässt sich
bei näherer Betrachtung auf wenige strukturelle
Grundzüge reduzieren. Beeindruckend sind zu-
nächst die Größenunterschiede: Die vier größten
Anlagen – von Urmitz (Rheinland-Pfalz), Jülich
(Nordrhein-Westfalen), Wiesbaden-Schierstein
(Hessen) und Ottenbourg (Belgien) – mit fast ei-
nem Quadratkilometer bzw. 90–100 ha Innenflä-
che, sind fast 200-mal größer als z.B. Swisttal-Miel
(Nordrhein-Westfalen), das nur 0,5 ha Innenflä-
che aufweist. Die vier „Riesen“ ragen allerdings
aus der Menge der Erdwerke heraus: Keine der
anderen Anlagen umfasst mehr als 40 ha Fläche.
Unterschiede zeigen sich auch hinsichtlich der
Topografie: Einige Erdwerke wurden in der Ebe-
ne – zum Teil direkt an einem Flusslauf – angelegt,
andere am Rand einer Hochebene, an einem Ab-
hang oder auf einem Berg; Letzteres ist jedoch die
Ausnahme.
Unter den bekannten vollständigen Grundris-
sen überwiegt eine annähernd ovale Form. In Cal-
den wird das Oval durch die Abflachung einer
Seite gestört; hier entsteht der Eindruck einer
Schauseite oder „Fassade“, vergleichbar den
gleichzeitigen Anlagen der Baalberger Kultur
Mitteldeutschlands oder des Frühneolithikums
der Britischen Inseln. Solche „Fassaden“ erinnern
an einige Monumentalgräber, die in dieser Zeit in
Westeuropa (z.B. in Newgrange, Irland) errichtet
wurden. In Bazoches wurde der polygonale Ver-
lauf in einer zweiten Phase durch einen halb-
kreisförmigen Anbau ergänzt. Anbauten und Um-
gestaltungen sind relativ häufig zu beobachten.
Dies verwundert jedoch nicht, wenn man bedenkt,
dass einige Anlagen wie Urmitz über mehr als ein
halbes Jahrtausend genutzt wurden.
Erdwerk von Witt-mar/Niedersachsen.Der Grabenverlaufist deutlich an posi-tiven Bewuchsmerk-malen zu verfolgen
Die Erdwerke 59
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:52 Uhr Seite 59
Die weniger tiefen Strukturen sind heute oft
von der Erosion abgetragen. Im Prinzip bestand
eine Anlage aber aus einem Grabenzug, der auf
der Innenseite von einem Fundamentgräbchen
begleitet wurde, wohl der Standort einer Palisade.
Der durch den Aushub des Grabens gebildete
Erdwall ist nur in Ausnahmefällen erhalten. Es
sind durchaus Anlagen mit mehreren, d.h. bis zu
vier Gräben und/oder mehreren Palisadenzügen
belegt. Die Vervielfachung der Strukturen könnte
mit der langen und komplizierten Baugeschichte
erklärt werden. Für Urmitz beispielsweise wurde
eine Abfolge von vier Phasen vorgeschlagen: Auf
eine Palisade (1) folgte eine Palisade mit Graben
(2), später ein einzelner Graben (3) und zuletzt
zwei parallel laufende Gräben ohne Palisade (4).
Betrachtet man die Gräben genauer, so bestehen
diese aus mehr oder weniger regelmäßigen Gru-
ben unterschiedlicher Form und Größe, die stets
eine flache Sohle besitzen. Die einzelnen Seg-
mente sind zwischen weniger als einem und bis
zu 15 m lang, 1–8 m breit und können bis zu 4 m
tief erhalten sein.
Die Maßangaben – insbesondere der großen
Erdwerke – beeindrucken: Im Fall von Urmitz ist
der äußere Graben 2550 m lang, durchschnittlich
2 m tief und 7 m breit. Vor dem Hintergrund der
langen und mehrphasigen Baugeschichte wer-
den diese Zahlen allerdings relativiert.
Detailliert untersuchte Michelsberger Erdwerke
geben stets Umbau- und Ausbaumaßnahmen zu
erkennen. So wurden in Noyen, Bruchsal „Aue”
und Ilsfeld offensichtlich Reihungen aus kürzeren
Gruben durch Reihen aus längeren Gruben er-
setzt und damit Grabenunterbrechungen entfernt.
Die einzelnen Erdwerke zeigen eine unter-
schiedliche Anzahl an Grabenunterbrechungen,
die nicht alle zweifelsfrei als „Tore“ interpretiert
werden können. Oftmals scheint es sich um blo-
ße Lücken zwischen Gruben zu handeln. Einige
Unterbrechungen sind jedoch durch mehr oder
weniger komplexe Strukturen als Eingänge bzw.
Tore ausgewiesen: Diese reichen von einfachen
Gräbchen im oder am Durchlass (z.B. Heilbronn-
Klingenberg, Bruchsal „Aue“, Vignely), bis zu
komplexen Konstruktionen, welche vormals als
„Bastionen“ bezeichnet wurden (z.B. Maizy,
Noyen-sur-Seine, Grisy, Urmitz, Calden) und von
denen die eindrucksvollste in Calden immerhin
Grundriss desErdwerks von Urmitz(nach Eckert 1991)
Grundriss des Erd-werks von Bazoches
60 Die Michelsberger Kultur
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:52 Uhr Seite 60
21 m lang und 11 m breit ist. Die Funktion dieser
Einbauten bleibt vorerst unbekannt. Jeweils der
Gesamtinterpretation folgend, sollen sie in Ur-
mitz Verteidigungszwecken gedient haben, in Cal-
den waren sie hingegen ein „rituelles Element“,
das den Zugang reglementiert. Unabhängig von
ihrer tatsächlichen Funktion bezeichneten die Kon-
struktionen markant den Durchgang zwischen
dem Erdwerkinneren und der Außenwelt.
Ganz unterschiedlich sind offenbar auch die
Innenflächen der Erdwerke gestaltet. Manche, z.B.
der Michaelsberg, Klingenberg oder Mairy, haben
eine große Dichte an Strukturen geliefert, andere,
wie z.B. Urmitz oder Ilsfeld, weit verteilte einzel-
ne Gruben, wieder andere, wie Calden oder Not-
tuln, weisen keinerlei Siedlungsspuren auf. Das
Fehlen von Spuren im Innenraum kann zumindest
in einigen Fällen durch Erosion verursacht worden
Die Erdwerke 61
Schematische Rekonstruktion derHolzarchitektur imBereich einer Gra-benunterbrechungam Erdwerk von Calden (nach Raet-zel-Fabian 2000,Abb. 10 u.11)
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:53 Uhr Seite 61
sein. So werden in der Regel nur die tieferen Vor-
ratsgruben (Silos) gefunden. Strukturen, die als
Häuser interpretiert werden können, wie z.B. die
„Halbgrubenhäuser“ in Urmitz oder große, kom-
plexe Grundrisse wie in Mairy, sind hingegen sel-
ten – ein Umstand, der auch für die unbefestigten
Siedlungen gilt.
Auf den zweiten Blick: Ein einheitliches PhänomenTrotz aller Unterschiede zeigen die Michelsberger
Erdwerke deutliche Gemeinsamkeiten und ihre
Errichtung wie auch Nutzung scheint einem fest-
gelegten Schema zu folgen. Dazu gehören die
unterbrochenen Gräben mit ihren verschiedenen
Bau- und Nutzungsphasen. Die Gräben wie auch
Gruben im Innenbereich waren mit Keramik, aber
auch mit Knochen von Menschen und Tieren
verfüllt und gehen damit oftmals nicht auf All-
tagsaktivitäten zurück. Die eingangs erwähnte
Vielfalt erscheint daher eher gradueller Natur.
Stattdessen wird deutlich, dass die Errichtung der
Erdwerke der Michelsberger Kultur einem fest-
gelegten Schema folgt, dessen Logik eher von
den Bedürfnissen eines Rituals als von Überle-
gungen seiner Nutzung bestimmt wird.
Ursprung und VerbreitungDie Erdwerke mit unterbrochenem Graben des
Jungneolithikums stehen in einer langen Tradi-
tion, die im Folgenden kurz betrachtet wird. Die
frühesten Erdwerke dieses Typs sind schon aus
der Zeit der Bandkeramik bekannt. Durch Be-
fundbeobachtungen an der Anlage von Rosheim
im Elsass weiß man, dass die Gräben aus Einzel-
gruben bestehen, die über einen Zeitraum von
mehreren Generationen entlang eines vorbe-
stimmten Verlaufs ausgehoben wurden. Die ein-
zelnen Gruben hatten eine kurze Nutzungsdauer
und wurden verfüllt, bevor sie von späteren Gru-
ben geschnitten wurden. Sind die Überschnei-
dungen sehr zahlreich, wie z.B. im Fall der Anla-
ge von Herxheim (Rheinland-Pfalz), verschwinden
die Erdgrate zwischen den einzelnen Gruben und
im Grabungsbefund erscheint ein durchgehen-
Die Erdwerke 63
der Graben, der in Wirklichkeit jedoch niemals
existiert hat. Die enorme Vielfalt in Größe und
Form der aneinandergereihten Gruben lässt an
verschiedene Bautrupps denken, die nicht nach
einheitlichen Vorgaben arbeiteten. Der Nachweis
dieser „Pseudogräben“ bzw. „Grubenanlagen“
verändert die bisherige Auffassung der Erdwerke
völlig und schließt eine Interpretation als Vertei-
digungsanlage aus. Nachgewiesen ist dieser Erd-
werkstyp vorläufig für die Bandkeramik und im
Elsass auch für die zweite Hälfte des Mittelneoli-
thikums, d.h. für die Zeit unmittelbar vor der Her-
ausbildung der Michelsberger Kultur.
Die besten Beispiele von solchen segmentier-
ten Grabenanlagen des Mittelneolithikums (4900–
4300 v.Chr.) finden sich im Pariser Becken, aber
auch im Elsass, in Polen und in Niederösterreich.
In der zuletzt genannten Region zeigen Fundorte
wie Puch und Kammegg, dass das Prinzip des
unterbrochenen Grabens, zumindest in einigen
Fällen, auch beim Bau von Kreisgrabenanlagen
der Lengyel-Kultur angewandt wurde. Mit Aus-
nahme der Elsässer Befunde, die der zweiten Hälf-
te des Mittelneolithikums angehören, wissen wir
momentan nicht, ob alle diese Erdwerke in der
gleichen Weise angelegt wurden wie die Gruben -
anlagen der Bandkeramik. Unregelmäßigkeiten
Grundriss desErdwerks von Balloy
0 50m
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:53 Uhr Seite 63
im Verlauf, die Vielfalt in Größe und Form der Gru-
ben sowie die immer wieder auftretenden Über-
schneidungen sind jedoch geeignet, die Hypo-
these zu bestätigen. Für die ersten Erdwerke der
Michelsberger Kultur, die im Pariser Becken die
Erdwerke des Mittelneolithikums unmittelbar ab-
lösen, stellt sich dieselbe Frage. Auch hier wissen
wir nicht, ob es sich bei diesen Erdwerken um
Grubenanlagen handelt. Der Grund für diese Un-
kenntnis ist die Tatsache, dass kein Erdwerk des
Jungneolithikums je unter diesem Gesichtspunkt
ausgegraben und ausgewertet wurde.
Dabei mangelt es nicht an Beobachtungen, die
das Augenmerk auf eine mögliche Grubenstruktur
der Michelsberger Erdwerke lenken. In Mayen wa-
ren die Ausgräber von der Vielfalt hinsichtlich der
Breite und der Form der Gruben überrascht und
erklärten dies mit unterschiedlichen Bautrupps.
Getreppte Grabensohlen sind ein Indiz für Über-
schneidungen und auf beiden Seiten einer Grube
bzw. eines Grabenabschnittes abgelagerter Aus-
hub könnte gegen eine Verteidigungsfunktion
sprechen.
Entsprechende Beobachtungen lassen sich an
den Erdwerken machen, die in ausreichend großer
Fläche und Sorgfalt erfasst wurden. Auch wenn
diese Einzelbeobachtungen bislang nicht ausrei-
chen, um nachzuweisen, dass die Michelsberger
Erdwerke Grubenanlagen waren, so veranschau-
licht das Modell des Erdwerks vom Typ Rosheim
zum jetzigen Zeitpunkt am besten die festgestell-
te Vielfalt und zwingt dazu, zumindest einige Erd-
werke, wie z.B. Noyen, Ilsfeld oder Bruchsal
„Aue“, unter dem Aspekt der Grubenanlagen zu
betrachten. Selbst bei den späten Anlagen mit
längeren Grabensegmenten, wie z.B. Klingenberg,
Michaelsberg oder Calden, bemerkt man Unre-
gelmäßigkeiten in den Gräben, die auf die Tätig-
keit verschiedener Bautrupps hinweisen könnten.
Die Kontinuität zu den Grubenanlagen des
Früh- und Mittelneolithikums äußert sich auch in
den Funden: Deponierungen menschlicher und
tierischer Überreste, von denen noch im Abschnitt
über die Funktion die Rede sein wird, treten seit
der Bandkeramik auf. Im Erdwerk von Menne ville
(Pariser Becken) wurden in Gruben menschliche
Überreste verschiedener Art gefunden: Skelette in
anatomischem Verband, Teilskelette und einzelne
Knochen. Sie waren mit tierischen Überresten
vermischt, deren Zusammensetzung sich deut-
lich von einfachem Hausabfall un terscheidet. Am
spektakulärsten sind Gehörne vom Urrind. Sie
bilden eine Art Leitmotiv in der Entwicklung der
Anlagen mit segmentiertem Graben. Im Erdwerk
von Balloy (Cerny-Gruppe; 4800–4500 v.Chr.), im
Mündungsgebiet der Yonne in die Seine gelegen,
fanden sich neben Depots aus Ur-Gehörnen und
Rinderunterkiefern tierische Überreste, die als
Überbleibsel von Festmahlen gedeutet werden
können. Die Verbindung zwischen unterbroche-
nen Gräben und rituellen Aktivitäten, welche die
Deponierung von ausgewählten menschlichen
und tierischen Überresten einbezieht, ist dem-
Grabenabschnittdes Erdwerks vonBruchsal „Aue“
64 Die Michelsberger Kultur
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:53 Uhr Seite 64
nach seit dem Früh- und Mittelneolithikum nach-
gewiesen.
Die Besonderheiten des Erdwerks von Balloy
machen es – zusammen mit den anderen Erd-
werken der Cerny-Gruppe – zu einem Vorläufer
der Michelsberger Erdwerke. Die Erdwerke der
Cerny-Gruppe finden sich im Kerngebiet der die
Cerny-Gruppe um 4500 v.Chr. ablösenden Noyen-
Gruppe, welche die Grundlage der Michelsberger
Kultur bildet. Die Charakteristika der Michelsber-
ger Erdwerke sind dort bereits alle vertreten, mit
Ausnahme der Deponierungen von menschlichen
Überresten. Da diese nicht in jedem Erdwerk der
Michelsberger Kultur auftreten, ist ihr Fehlen je-
doch kein Argument gegen die Hypothese einer
Abfolge Cerny–Noyen–Michelsberg. Zur typolo-
gischen Kontinuität gesellt sich eine topografi-
sche Beobachtung: In Villeneuve-la-Guyard folgt
auf einen Graben der Cerny-Gruppe einer der
Noyen-Gruppe und in Crécy-sur-Serre ist die Gra-
benfolge Cerny–Bischheim–frühes Michelsberg
belegt. Die ältesten Gräben der Michelsberger
Kultur wurden in Noyen (Seine-et-Marne) und in
Bazoches-sur-Vesle (Aisne) gefunden. Bazoches
zeigt durch den unregelmäßigen Verlauf seiner
Gräben und die Vielfalt seiner Gruben deutliche
Anklänge an die segmentierten Anlagen der Cer-
ny-Gruppe sowie an die des Früh- und Mittelneo-
lithikums.
In Noyen wird ein erstes Erdwerk mit unregel-
mäßigen Gruben durch ein zweites Bauwerk er-
setzt, dessen Gruben größer und auch regelmä-
ßiger sind. Dieser Prozess der Standardisierung,
bei dem ein unregelmäßiger Graben mit sehr
unterschiedlichen Gruben durch einen regelmä-
ßigen Graben mit längeren Gruben ersetzt wird,
könnte auch bei zwei Erdwerken der älteren Mi-
chelsberger Kultur – nämlich Ilsfeld (Seidel 2008)
und Bruchsal „Aue“ (Regner-Kamlah 2009) – statt-
gefunden haben.
Die Ausbreitung der Erdwerke mit unterbro-
chenen Gräben nach Norden (Belgien) und Osten
(Deutschland) verläuft parallel zu jener der Mi-
chels berger Kultur. Die Erdwerke der älteren
Ausbreitungsphase sind am zahlreichsten und
spektakulärsten. Wie die frühe Datierung der vor-
Bruchsal „Aue“:Rindergehörne amGrabenkopf in Fund-lage
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:53 Uhr Seite 65
er keine Spuren einer Innenbesiedlung kannte. Er
bemerkte jedoch, dass wegen fehlender Quellen
im Fall einer Belagerung die Wasserversorgung
nicht gesichert sei. In den 1930er- und 1940er-
Jahren kam durch Rest und Paret die Interpreta-
tion als Viehkral auf. In den 1960er-Jahren brach-
te dann Maier Argumente für eine kultische
Funktion der Anlagen neu in die Diskussion ein.
Als Argumente für eine Verteidigungsfunktion
wurden die Wall-Graben-Systeme, die Topografie
(Lage auf einer Anhöhe oder am Lauf eines Flus-
ses), die Konstruktionen an den Durchlässen
(„Bastionen“), menschliche Überreste in den Grä-
ben (Gewaltopfer) und verkohlte Holzreste (Pali-
saden, Brustwehren o.Ä.) angeführt. Eine Prüfung
der topografischen Lagen zeigt aber, dass das Ver-
teidigungspotenzial des Geländes selten von den
Erbauern ausgeschöpft wurde. Viele der älteren
„Höhen-Erdwerke“ wurden in Wirklichkeit am Ab-
hang und nicht auf dem Berggipfel selbst errichtet.
Schließlich wurde auch die Tatsache, dass
manche Bauwerke an einem Flusslauf errichtet
wurden, als Beleg für eine Verteidigungsfunktion
angeführt. Die Anlage von Urmitz entkräftet dieses
Argument weitgehend. Die eingefasste Fläche (ca.
1 km2) und die Länge des Grabens (ca. 2500 m)
sind angesichts der Größe neolithischer Popula-
tionen nur wenig vereinbar mit den Ansprüchen
einer wirksamen Verteidigung, außer man stellt
sich richtige Armeen vor, was im neolithischen
Kontext schwer vorstellbar ist. Die zahlreichen
Grabenunterbrechungen sprechen ebenfalls ge-
gen eine Verteidigungsanlage, zumal – wie in
Mayen – der Grabenaushub sowohl auf der ei-
nen als auch auf der anderen Seite abgelagert
wurde. Auch die Tatsache, dass die Toreinbauten
einen monumentalen Charakter besitzen, ist kei-
nesfalls ein zwingendes Argument für eine Wehr-
funktion. Sie könnten auch dazu bestimmt gewe-
sen sein, die Besucher zu beeindrucken.
Eher an eine Verteidigungsfunktion lassen die
Erdwerke der spätesten Michelsberger Kultur den-
ken. Diese Anlagen mit langen Grabensegmenten
sind in natürlicher Verteidigungsposition errichtet,
etwa in Spornlage, wie Ranstadt-Dauernheim
Grundriss desErdwerks von Wind-mill Hill
66 Die Michelsberger Kultur
gefundenen Keramik anzeigt, z.B. in Miel, Urmitz
oder Ilsfeld, könnte der Bau eines Erdwerks zu
den „Gründungshandlungen“ bei der Ansiedlung
der neuen Kultur gehört haben. Einige dieser frü-
hen Erdwerke bleiben mehrere Jahrhunderte lang
wichtige Zentren, und die entsprechenden Ge-
genden sind auch in der Folgezeit verschiedent-
lich durch eine Häufung von Erdwerken gekenn-
zeichnet. Das gilt z.B. für das Aisne-Tal, die
Gegend um Bruchsal und um Heilbronn sowie
das Nordharzvorland. Die Hypothese, dass sich
um Pioniersiedlungen zentrale Orte entwickelten,
knüpft sich an die Beobachtung, dass in man-
chen Regionen, in denen die Michelsberger Kul-
tur später auftritt (z.B. im Elsass), Erdwerke bis-
lang vollständig fehlen.
FunktionWelche Funktion die Erdwerke der Michelsberger
Kultur erfüllten, wird nach wie vor diskutiert. Seit
Beginn der Forschung kreisen die Interpretationen
um das Thema Verteidigungsanlage. Lehner
sprach Urmitz und Mayen als Fliehburgen an, weil
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:53 Uhr Seite 66
(Hessen) oder Heilbronn-Klingenberg. Hervorzu-
heben ist, dass so gut wie keine Ortskontinuität
zwischen diesen späten Erdwerken und den Erd-
werken der klassischen Michelsberger Kultur nach-
gewiesen werden kann.
Nicht zuletzt die große Zahl der Öffnungen wä-
re ein Indiz für eine Interpretation als Viehkral.
Als weitere Argumente hierfür werden hohe An-
teile an Rinderknochen (bis 90%) an den Tierkno-
chen verschiedener Anlagen (z. B. „Hetzenberg“)
und die oft dünnen oder ganz fehlenden Nut-
zungsspuren im Innenraum angeführt. Schließlich
wird die Lage einiger Erdwerke entlang alter Ver-
kehrswege mit der Nutzung als „ Basisstation“
entlang von Routen einer saisonalen Fernweide-
wirtschaft in Verbindung gebracht (s. S. 88–89),
ein Modell, das jedoch nicht auf alle Michelsber-
ger Erdwerke übertragbar ist.
Die Frage nach der Funktion hängt letztlich mit
der Bauart der Erdwerke zusammen. Folgt man
der Annahme, dass die Erdwerke mit unterbro-
chenen Gräben der Michelsberger Kultur das Er-
be der Grubenanlagen der späten Bandkeramik
sind, muss der Hypothese einer zeremoniellen
Funktion der Vorrang gegeben werden.
Bislang wurden als Argumente für eine zere-
monielle Nutzung der Erdwerke menschliche
Überreste – einzelne Knochen, Teilskelette und
Schädelkonzentrationen –, etwa aus den Gräben
von Obereisesheim „Hetzenberg“, Heidelsheim
„Altenberg“ oder „Goldberg“ angeführt, ausge-
wählte Tierknochen, wie die Urgehörne von Berg-
heim und Bruchsal „Aue“ oder die Hirschgewei-
he von Bazoches, Teile von Tierkadavern, die von
Opfergaben oder Festen stammen könnten (Mai-
ry, „Hetzenberg“, „Altenberg“) oder kaum zer-
brochene Gefäße („Hetzenberg“; „Goldberg“; Ba-
zoches; Bruchsal „Aue“, „Altenberg“). Zwar
erlaubt es der Forschungsstand kaum, diese The-
matik weiter zu vertiefen, und einige Befunde ent-
ziehen sich einer rituellen Interpretation, doch
scheint die Aus übung von Ritualen offensicht-
lich. In deren Zusammenhang kam es zu Be-
handlungen menschlicher und tierischer Körper
und zur Zerstörung und Deponierung von Gefä-
ßen. Diese Art der Überreste findet man in vielen
Erdwerken.
Die Art der ausgeübten Rituale ist in jedem Fall
schwer zu rekonstruieren, was sich auch in der
vorsichtigen Benutzung des Ausdrucks „zeremo-
nielles“ Erdwerk widerspiegelt. Die umfassendste
Interpretation für eine rituelle Funktion ist jene, die
für das dänische Erdwerk von Sarup vorgeschla-
gen wurde. Dieser Fundort aus der zweiten Hälf-
te des 4. Jt. v.Chr. gehört der Trichterbecherkultur
an und reiht sich in die Tradition der Erdwerke mit
unterbrochenen Gräben ein. Der Ausgräber sieht
Sarup als einen Versammlungsplatz, den mehre-
re verstreute Gemeinschaften in regelmäßigen
Abständen aufsuchten, um in der Ausübung ihrer
Rituale ihre Zusammengehörigkeit zu bekräftigen
(Andersen 1997). Seiner Auffassung nach stellten
die Erdwerke unter anderem einen Ort dar, an
dem die Verstorbenen behandelt wurden, bevor
man sie endgültig in den Megalithgräbern der
Umgebung bestattete. Eine Funktion im Rahmen
der Totenbehandlung wurde für die Michels -
berger Erdwerke bereits von anderer Seite erwo-
gen (s. Beitrag Jeunesse S. 90–95).
Die Erdwerke mit unterbrochenen Gräben las-
sen sich nach diesem diachronen Überblick neu in
den Kontext eines Langzeitphänomens einord-
nen, das sich über zwei Jahrtausende – vom Ende
des 5. bis zum Ende des 4. Jt. v.Chr. – erstreckte.
Die Perspektive hat es erlaubt, sich von den for-
schungsinternen Diskussionen des Jungneoli -
thikums freizumachen. Ein Weiterkommen in
diesen Fragen kann letztlich nur durch die Weiter-
führung systematischer Untersuchungen erreicht
werden, die alle Befunde und Funde eines Erd-
werkes einschließen. Fortschritte sind erstens nur
durch Berücksichtigung neuer Arbeitshypothesen
– wie z.B. der hier formulierten – zu erzielen und
zweitens in der Weiterführung systematischer
Untersuchungen der freigelegten mit den Erd-
werken in Zusammenhang stehenden Befunde.
Beispielhaft seien hier die Untersuchungen zu
den menschlichen Überresten aus den Heilbron-
ner Erdwerken durch J. Wahl genannt (Wahl
2008).
Die Erdwerke 67
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:53 Uhr Seite 67
Teilrekonstruk-tion des Erdwerksvon Sarup I (nachAndersen 1997, Fig. 73)
Die gesellschaftliche Bedeutung der ErdwerkeDie zeitgleiche Existenz von Erdwerken und un-
befestigten Wohnsiedlungen führte zur Annah-
me einer Siedlungshierarchie, in welcher Erd-
werke den Rang von Zentralplätzen einnehmen.
Diese Überlegung wurde fortgeführt, unter der
Vorstellung, diese räumliche Organisation bilde
eine hierarchische Gesellschaftsorganisation ab.
Der Ort der Erdwerke könnte zugleich der Ort ei-
ner oder mehrerer für die Gesellschaftsstruktur
wichtiger Personen oder Rituale sein. Schließlich
wurde der Standpunkt geäußert, die Existenz
dieser Zentralplätze lasse auf eine zentralisierte
Macht schließen und diese sei mit einem „Häupt-
lingstum“ gleichzusetzen. Auch wenn die her-
ausgehobene Stellung unserer Erdwerke unan-
fechtbar ist, gibt es nach dem derzeitigen For-
schungsstand nichts, was dazu zwingt, in der
zentralen Stellung der Erdwerke das Abbild einer
gesellschaftlichen Hierarchie zu sehen. Noch we-
niger Anhaltspunkte gibt es für die Vorstellung,
dass ein Erdwerk als Residenz eines „Häuptlings“
diente, der über die offenen Wohnsiedlungen des
jeweiligen Gebietes gebot. So liegen die Erdwer-
ke im Nordharzvorland, mit einer bislang uner-
reichten Zahl von 26 Anlagen, oft kaum 5 km von-
einander entfernt. Ähnliches gilt für die Gegenden
um Bruchsal und Heilbronn. Entweder waren die
Territorien nur klein oder es gab keine Territo-
rien oder die Erdwerke waren nur jeweils derart
kurz in Nutzung, dass sie nie gleichzeitig bestan-
den. Im Gegensatz dazu erlaubt die Hypothese der
Grubenanlage, das Erdwerk als gemeinschaftli-
ches Bauwerk anzusehen, das ein Identitätssym-
bol für mehrere verstreute Gemeinschaften dar-
stellt, woraus sich eine ähnliche Funktion wie jene
der Kollektivgräber ableiten lässt, die zur gleichen
Zeit durch ihre beeindruckende Monumentalität
die Landschaft an der europäischen Atlantikküste
kennzeichnen.
Jenseits der Grenzen der Michelsberger KulturDer Exkurs zu den Bauwerken des Früh- und
Mittelneolithikums hat gezeigt, dass Erdwerke mit
unterbrochenem Graben schon lange vor der Mi-
chelsberger Kultur existierten. Ihre Verbreitung
68 Die Michelsberger Kultur
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:53 Uhr Seite 68
erstreckt sich über die räumlichen und zeitlichen
Grenzen der Michelsberger Kultur hinaus.
Erdwerke mit unterbrochenen Gräben erleben
in Mittel- und Westeuropa vom Ende des 5. bis
zum Anfang des 4. Jt. v.Chr. eine beachtliche Ver-
breitung. In der Tat sind sie in einem weiträumi-
gen Gebiet, das sich über den Südwesten, den
Westen und die Mitte Frankreichs erstreckt, anzu-
treffen, ebenso auf den Britischen Inseln und in
einigen Kulturen der östlich angrenzenden Ge-
biete, wie z.B. in der Altheimer Kultur in Bayern.
Das zuletzt genannte Beispiel zeigt, wie die Über-
nahme durch eine neue Kultur mit einer Neudeu-
tung „nach dem lokalen Geschmack“ einherge-
hen kann. Die quadratische Form und die geringe
Größe der Altheimer Erdwerke machen aus ihnen
nämlich die direkten Nachfolger der kleinen Erd-
werke der vorangehenden Münchshöfener Kultur.
Sehr wahrscheinlich – wenn auch bislang nicht
nachweisbar – ist, dass die der Michelsberger Kul-
tur entliehene Form hier und da mit neuen sym-
bolischen Inhalten gefüllt wurde – und umgekehrt
die späte Michelsberger Kultur Anleihen machte.
Andere Kulturen, obwohl sie der Michelsberger
Kultur in anderen Bereichen nahestehen, legten
zu keiner Zeit Erdwerke mit unterbrochenem Gra-
ben an, z.B. im süddeutschen bzw. nordost-
schwei zerischen Raum die Schussenrieder und
die Pfyner Kultur.
Die Verbreitung jenseits der kulturellen Gren-
zen hat sich in mehreren Wellen vollzogen. In
Frank reich legt das Chasséen seit den Anfangs-
zeiten der Michelsberger Kultur vor 4000 v.Chr.
Erdwerke mit segmentierten Gräben an. Eine
zweite Welle, zeitgleich mit der jüngeren Mi-
chelsberger Kultur, beginnt um 3800 v.Chr. und
erfasst England, Westfrankreich, Bayern und
Mitteldeutschland. Die dritte Welle schließlich be-
rührt erst nach dem Ende der Michelsberger Kul-
tur, in der zweiten Hälfte des 4. Jt. v.Chr., Bevöl-
kerungsgruppen in Norddeutschland und
Südskandinavien, jene der Trichterbecherkultur.
Damit vergehen rund 2000 Jahre zwischen den
ersten Anlagen mit unterbrochenen Gräben am
Ende des Frühneolithikums und den Bauwerken,
die an den Beginn des Endneolithikums datieren.
SchlussfolgerungenAuch wenn die Michelsberger Erdwerke mit unter-
brochenem Graben nicht, wie früher angenom-
men, die ersten Ausprägungen des Prinzips sind,
das ihrer Anlage zugrunde liegt, sind sie doch un-
bestreitbar dessen vollendeter Ausdruck. Ausge-
hend von den kleinen Erdwerken von Cerny, die
ihrerseits auf bandkeramische Prototypen zu-
rückgehen, werden seit der ältesten Phase der
Michelsberger Kultur große Anlagen errichtet, die
zugleich die sichtbarsten Wahrzeichen der neuen
Kultur sind und deren Ausbreitung nach Osten be-
gleiten. Einige dieser „Stamm“-Erdwerke zogen
regional eine Errichtung neuer Bauwerke nach
sich. Auch wenn die Verteidigungsfunktion lange
Zeit die bevorzugte Deutung der Bauwerke war,
treten ihnen heute Argumente für eine zeremo-
nielle und gesellschaftliche, aber auch wirtschaft-
liche Funktion zunehmend zur Seite. Bleibt auch
die Bedeutung der Knochenreste in den Erdwer-
ken immer noch weitgehend im Dunkeln, scheint
es nicht ausgeschlossen, dass die Opferung von
Tieren oder Menschen in Zukunft nachgewiesen
wird.
Die gesellschaftliche Dimension der Bauwerke
ist auf ihren kollektiven Ursprung zurückzufüh-
ren. Die Eigenschaften der Erdwerke reichen nicht
aus, um sie zum Häuptlingssitz einer hierarchisch
organisierten Gesellschaft zu machen – eine Or-
ganisationsform, die sich im Übrigen auch nicht
durch andere Funde und Befunde der Michels-
berger Kultur belegen lässt. Unter den vorge-
schlagenen Hypothesen ist jene einer Gemein-
schaftsanlage, die als Versammlungsplatz klei-
nerer verstreuter Gemeinschaften diente, bei
Weitem die überzeugendste.
Lit: Andersen 1997 – Bertemes 1991 – Dubouloz u.a. 1991 – Eckert 1990 –Eckert 1992 – Jeunesse 1996 – Matuschik 1991 – Meyer 1995 – Meyer /Raetzel-Fabian 2006 – Regner-Kamlah 2009 – Seidel 2008 – Wahl 2008 –Whittle u.a. 1999
Die Erdwerke 69
046_101_B_MICH_Kultur.qxd:Beitrage_ANA.qxd 22.10.2010 17:53 Uhr Seite 69