Transcript
Page 1: R r8VYVZ^a]R } Wác VfV DeRUeeVZ] · lekts, deren Ursprün-ge weit ins letzte Jahr-tausend zurückrei-chen. Experten vermuten, dass sich unter der dicken Patina aus Prüfungsangst,

ZUM SONNTAGKantate

Von Pastor Ulrich Pohl

Singen? Um Him-mels willen!?“

Genau – um Him-mels willen! Gottzum Lob und zur Eh-re, zum Dank undauch zur Klage, zumGlückund in der Not.Das Repertoire unse-res Gesangbucheshält für jedes Lebens-gefühl zwischen himmelhoch-jauchzend und buchstäblich zuTode betrübt ein Lied bereit.

Kantate! Auf Deutsch: Singt!So heißt der morgige Sonn-tag. Ganz simpel Motto undAufruf zugleich, entnommendem Anfang des 98. Psalms. Dasteht: „Singt dem Herrn einneues Lied! (...) Trompetenund Posaunen jauchzet vordem Herrn!“ Daher also sin-gen und spielen am SonntagKantate neben der Orgel so vie-le Chöre und Bläsergruppen inden Gottesdiensten. Singt! Ge-sang wird morgen groß ge-schrieben!

„Ich singe Dir mit Herz undMund“, dichtet Paul Ger-hardt. So ist es. Singen gehtdurch den ganzen Körper. AusAtem wird Klang, der Puls-schlag wird zum Rhythmus,

Liedtexte und Melo-dien bewegen unserDenken und Fühlen.Singt! Die Töne brin-gen uns zum Schwin-gen innerlich und ir-gendwie auch aufein-ander zu. Singenwirkt einfach ge-meinschaftsstiftend,sei es in der Schul-

klasse, im Gesangverein, imFußballstadion oder eben imGottesdienst. Singen wirkt frie-densstiftend und die Spracheder Lieder – die alte wie dieneue – will unseren Glaubenstärken. Also singt! Und denktum Himmels willen daran: Esgeht gar nicht in erster Linieum Perfektion. Gott freut sichüber die Stimmgebildeten undüber die Alltags- und Gele-genheitssängerebensowieüberdie, die früher als Brummeridentifiziert und mit Triangelin der Hand in die hintersteReihe komplimentiert wur-den.

Singt und stellt vielleicht wieMartin Luther fest: „Die Mu-sik ist die beste Gottesgabe. Sieist das größte, ja wahrhaft eingöttliches Geschenk (...).“

[email protected]

KOMMENTARHochschulstandort und ein neuer Stadtteil

Aufbruch im WestenVon Joachim Uthmann

Mit der MedizinischenFakultät erlebt die Bie-

lefelder Hochschullandschafteinen neuen Schub. Investi-tionen von 470 Millionen Eurosind allein dafür im Gespräch.Daneben weitet sich die Uniaus, braucht Ausweichflächenfür die jahrzehntelange großeSanierung und hofft auf Aus-gründungen und mehr Ko-operation mit der Wirtschaft.

Das erfordert Platz. Mit derFreigabe der lang gehegtenLangen Lage in Dornberg fürden Campus Nord mit der neu-en Fachhochschule vor zwölfJahren richtet sich der Blicknach Westen. Weil die Stadtdie Idee der Wissenschafts-stadt vorantreibt, wird der Flä-chenbedarf noch steigen.

Und mit neuen Hochschul-einrichtungen kommen auchmehr Menschen. Professoren,mehr aber Studenten und wei-tere Mitarbeiter. Sie im Ostender Stadt anzusiedeln, wäre we-nig sinnvoll. Die Folge: Diefreie Landschaft im Westen bö-

te sich an. Weil dorthin auchzwei Stadtbahnlinien (3 und 4)zu verlängern wären, ließe sichöffentlicher Nahverkehr orga-nisieren. Und im Westen lebtes sich gut.

Doch der Preis ist für Dorn-berg und die Umwelt hoch.Deshalb flammt der Streit er-neut auf. Dass die Stadt Plänefür einen ganz neuen Stadtteilmit 10.000 Einwohnern nichtfrüh öffentlich diskutierenlässt, nährt das Misstrauen undmacht die Umsetzung im End-effekt eher schwieriger.

Der Rat sitzt in der Zwick-mühle. Weitere Wissenschafts-einrichtungen drängen zumCampus Nord, Gewerbe istnoch angedacht, Wohnungenfehlen. Da wird Raum für Sied-lungserweiterung benötigt.Der Griff auf die freie Land-schaft tut aber weh – geradeder Paprika-Koalition, in derUmweltparteien mit den Tonangeben. Das Thema könntezur Zerreißprobe werden.

[email protected]

Citec

FachhochschuleBielefeld

UniversitätBielefeld

Hof Hallau

Karte: © OpenStreetMap-Mitwirkende; NW-Grafik: Schultheiß

Hollensiek

Thomashof

Wellensiek

BrockmannsHof

Großdornberger Straße

Wit t

e br e

i t e

Am P

ogg e

n poh

l

Röteweg

Babenhauser

Bach

Grünewaldstr.Schloßhofstraße

Leihkamp

Quelle: Ortsteilentwicklungsplan Babenhausen,Stadt Bielefeld, 2017/2019

Joha

nnisb

ach

Babenhauser Straße

Bavostraße

Voltm

anns

traße

Zehlendor

fer D

amm

Dürer

straße

Wertherstraße

Deppendo

rfer

Str

aße

Stadtbahn

MittleresJohannisbachtal

= Potentielle Erschließungsflächen

= Geplante Erschließungsflächen

GANZ SCHÖN FLOTTMANNGraue TheorienVon Jürgen Rittershaus

Die UniversitätBielefeld ist

eine 13-chorige, neu-gotisch bis neuroti-sche Hallen-Uni, diemehrfach kreuzför-mig angelegt ist. Einewuchtige Kathedralebürgerlichen Intel-lekts, deren Ursprün-ge weit ins letzte Jahr-tausend zurückrei-chen. Experten vermuten, dasssichunterderdickenPatinaausPrüfungsangst, Feinstaub, Ge-dankenabrieb und Beton so-gar noch die ursprünglich ro-manischen Formen finden las-sen. Man hofft nun, diese beider großen Sanierung bis 2064freilegen zu können.

Die Optik des Gebäudes hatvon Anfang an polarisiert undführte dazu, dass viele Men-schen den Glauben an die mo-derne Architektur verloren ha-ben. Die Hauptkritikpunktelauten immer noch Minimal-Ästhetik, Nähe zu modernenIndustriebauten und nüchter-ner Funktionalismus – aberauch angetrunken betrachtetgewinnt die Universität nicht

an Charme. Beson-ders erdrückendwirktdasBetongebir-ge, wenn man direktdavor steht. Doch jeweiter man sich ent-fernt, desto mehrkommen Poesie undAnmut zur Geltung– ein Phänomen, dassbei zeitgenössischenBauten häufig zu be-

obachten ist. Aus der Nähe be-sehen, scheinen sie den Be-trachter zu erschlagen, erst mitzunehmender Entfernungkann sich die Ästhetik entfal-ten. Manchmal muss man so-gar erst gänzlich in eine ande-re Stadt ziehen, um festzustel-len, dass es dort noch schlim-mer ist.

Nun wird die Schmiedegrauer Theorien 50 Jahre alt –eine Tatsache, die irgendwietröstlich ist. Denn wenn manschon mit 50 so hässlich seindarf und trotzdem attraktiv fürso viele junge Menschen ist,muss ich mir im Alter keine Ge-danken um mein Aussehenmachen.

[email protected]

Rückschlag für Vorzeigeprojekt von Hochschulen undWirtschaftWissenschaftsstadt: Stadt muss Neubaupläne für „Think Tank“ auf Campus Nord verschieben und gibt Innovationszentrum für

Medizinische Fakultät frei. Millionen an Fördergeld sind zurückzuzahlen. Noch keine Lösung für Start ups

Von Joachim Uthmann

¥ Bielefeld. Bielefeld sieht sichauf dem Weg zur Wissen-schaftsstadt. Die neue Medizi-nische Fakultät versprichtFortschritte. Doch die PlänehierfürundfürneuegroßePro-jekte zur Stärkung der Hoch-schulen haben ihre Tücken.Das Land fordert hohe För-dersummen zurück, Baupläneauf dem Campus Nord verzö-gern sich und für Start ups feh-len Alternativen.

Unter Zugzwang sind Uni-versität, Stadt und Land, weildie neue Medizinische Fakul-tät ins Innovationszentrum(ICB) an der Morgenbreedeziehen soll, das eigentlich fürNeugründungen und Start upsgebaut wird.

Problem hier ist zum einen,dass ins ICB 11,8 MillionenEuro Fördergeld fließt, umGründer zu unterstützen, dasjetzt plus Strafzinsen aber zu-

rückgezahlt werden muss.Stadt und ihre 75-Prozent-

Tochter BGW, die das ICB er-richtet, sagen, sie seien außenvor. „Die daraus resultieren-den Kosten werden von derUniversität über den Miet-preis abgedeckt“, heißt es ineiner Vorlage von Stadtkäm-merer Rainer Kaschel (CDU)für den Hauptausschuss desRates. Der BGW entstehe keinNachteil: „Deren Gesamtren-tabilität aus der Investition istpositiv.“ Das ICB kostet über30 Millionen Euro.

Das zweite große Problemist, dass die Stadt jetzt schnellErsatzflächen oder -räume fürStart up-Unternehmen findenmuss, um Ausgründungen ausden Hochschulen zu fördern.Anfangs hoffte sie dabei auf ein„Regionale“-Projekt namensBRIC, das die Zusammen-arbeit von Uni, FH und Wirt-schaft stärken und für das aufdem Campus Nord ein Neu-

bau entstehen sollte. Kosten:20 bis 25 Millionen Euro.

Dafür sollten Regionale-Mittel genutzt werden, für dieaber die Frist 2022 abläuft. Soviel wie erhofft wird es nicht ge-ben und so schnell lässt sichdas Projekt nicht umsetzen.Deshalb müsse das Konzept„umfassend modifiziert“ wer-den, heißt es in der Vorlage.

Exzellenzcluster fürRoboterforschungläuft aus

Da sind Stadt, Hochschu-len und Wirtschaft schon aufdem Weg: Sie machen aus„BRIC“ ein „Think Tank OWLBRIC“. Das konzentriert sichaber darauf, dass hiesige Unter-nehmen und Hochschulen ge-meinsam an Projekten arbei-ten. Für Start ups wäre da keinPlatz. Außerdem muss auf an-dere Fördertöpfe gesetzt wer-

den. Die Folge: Projekt undNeubau verschieben sich deut-lich über 2022 hinaus.

Und für die Gründer feh-len alternative Standorte. Beider Uni heißt es dazu: „Wirprüfen wie Stadt, FH und IHKverschiedene Möglichkeiten inUni-Bauten und Umgebung“,so Sprecherin Sandra Sieraad.Sinnvoll wäre es, wenn Startups möglichst „unmittelbar ander Fachforschung angesiedeltwerden könnten“.

Da könnte das Citec eineRolle spielen, das sich mit Ko-gnitiver Interaktionsfor-schung beschäftigt, zuletzt aberdas Exzellenzcluster für Ro-boterforschung verlor. Dasläuft am Jahresende aus, ver-sprach Millionen Euro. Bei derStadt könnte man sich das Ci-tec mit als Übergang für Startups vorstellen. Sieraad sagtaber: „Das Citec läuft weiter.“

IHK-HauptgeschäftsführerThomas Niekamp setzt dar-

auf, dass in der ZwischenzeitRäume von Uni und FH ge-nutzt werden können: „Inhalt-lich sollte es keinen großenZeitverlust geben. Think Tankist eine zentrale Investition.“

Den Weg frei will die Stadtfür die Medizinische Fakultätmachen. Dafür soll der Ge-sellschaftervertrag der ICBGmbH, die das Innovations-zentrum betreiben sollte, so ge-ändert werden, dass die Uni diefür Start ups gedachten Flä-chen mieten und auf Dauerkaufen kann. Der Rat soll dasam 6. Juni beschließen.

Für die Medizinische Fa-kultät erwartet Uni-RektorGerhard Sagerer im Endaus-bau 2025 rund 2.000 Studen-ten und 96 Professoren. Ins-gesamt sollen Umbauten, Aus-stattung und Umzüge rund 470Millionen Euro verschlingen.Wichtiges Ziel ist es, Hausärz-te für unterversorgte Gebieteauszubilden.

Kritik an„Geheimplan“ für neuenStadtteilStreitthema: Umweltverbände und Initiative vor Ort befürchten hohen Flächenverbrauch und Verkehrschaos im

Westen, wenn Wohnungen für 10.000 Einwohner entstehen. Die Pläne sollten öffentlich gemacht werden

Von Joachim Uthmann

¥ Bielefeld. Bisher sei alles „ge-heim“, beklagen die Bielefel-der Umweltverbände. Die Bau-verwaltung habe Pläne in derSchublade, zwischen CampusNord und Babenhausen rund110 Hektar mit einem neuenStadtteil für 10.000 Einwoh-ner bebauen zu lassen. Das hin-ter verschlossenen Türen zuplanen, ohne Öffentlichkeit,Bürger und Verbände einzu-beziehen, sei „ein Unding“.

Obwohl selbst sie die Plä-ne, die 4.900 neue Wohnein-heiten enthalten sollen, nichtgenau kennen, wandten sichdieVereine„progrün“,BUND,Naturschutzbund, Naturwis-senschaftlicher Verein sowiedie Initiative „Bielefeld natür-lich“ an die Presse, um Druckzu machen. Tilman Rhode-Jüchtern (pro grün): „Wir wol-len erst einmal informiert wer-den und die Pläne sehen.“

Denn die Kritiker einer gro-ßen Bebauung auf den Frei-flächen in Babenhausen be-fürchten erhebliche Einschnit-te in die schützenswerte Land-schaft. Zwar müsse eine Stadtwie Bielefeld, wenn die Ein-

wohnerzahl wachse, Wohnun-gen bauen lassen. „Doch da-für fehlt ein Gesamtkonzept“,sagt Claudia Quirini (Natur-wissenschaftlicher Verein).

„Hier wird nicht bezahlba-rer Wohnraum geschaffen“, soWiebke Homann (NABU),„sondern werden wie mit derGießkanne große Freiflächenvergeben, teils für Professo-ren-Häuser“. Schon am Hol-lensiek, wo aktuell ein neuesWohngebiet entsteht, koste-ten Häuser teils 450.000 Euro.

Hintergrund für die angeb-lich neuen Pläne ist ein Be-

schluss der BezirksvertretungDornberg, die sich gegen ersteÜberlegungen aus dem Rat-haus, deutlich größere Flä-chen zur Erschließung imStadtbezirk zu prüfen, ge-wehrt hatte. Sie hatte sich nachlangere Debatte nur auf die Ab-rundung vorhandener Sied-lungen eingelassen.

Daraufhin ließ die Verwal-tung zwei Gutachter die ers-ten Überlegungen konkretisie-ren – mit dem Ergebnis, dassrund 110 Hektar näher in denBlick rücken. Eine nicht-öf-fentliche Arbeitsgruppe der

BZV berät darüber. Erst dem-nächst soll in der Bezirksver-tretung darüber diskutiert wer-den. BezirksbürgermeisterPaul John (Grüne) verweistdarauf, dass man Stillschwei-gen vereinbart habe.

Für die Paprika-Koalition istdasThemaheiß.Einerseitspro-pagieren die Parteien, dieLandschaft zu schonen, ande-rerseits treiben sie die Wis-senschaftsstadt mit dem Aus-bau der Hochschulen und demdafür benötigten Wohnraumvoran. Konflikte beim Dorn-berger Ortsentwicklungskon-zept sind da absehbar.

Die Verbände fordern mehrDialog mit den Bürgern. Be-troffene wie Berthold Griese,der dort wohnt und aktiv inder Initiative ist, wollen betei-ligt werden. Sie haben das Ge-fühl, dass deutlich größer ge-plant wird, als es ihnen vorge-stellt wird. „Wenn wir früh ein-bezogen werden, kann mankorrigieren“, sagt Rhode-Jüch-tern: „Sonst gibt es hinterherwieder den Krawallmacher-Vorwurf. Wir wollen aber kei-nen Spaßbremse sein.“

Doch das Gebiet in Baben-hausen ist sensibel. Auf der

einen Seite ist der schützens-werte Babenhauser Bach, diemeisten Flächen sind Äcker mitfruchtbarem Lößlehm. „Biele-feld sollte das Pfund als Stadtmit Grün und viel Lebens-qualität nicht verspielen“, sagtQuirini.

Die Verbände befürchtenzudem, dass 20 Hektar für Ge-werbe ausgewiesen werdenkönnten, weitere Flächen fürWissenschaftseinrichtungenund die Stadtbahnlinie 4 durchdie freie Landschaft verlängertwürde. Große Zweifel hegensie, dass der Verkehr, der durcheinen so großen Stadtteil ent-steht, von den kleinen Stra-ßen im Westen zu bewältigenist. Immerhin kämen 20.000Fahrzeugbewegungen pro Taghinzu.

„Da ist es zu einer neuenNordumgebungsstraße nichtmehr weit“, sagt Quirini: „Unddie würde noch mehr Land-schaft zerstören und die Siek-täler durchschneiden.“ DieVerbände erinnern die Partei-en auch an ihre Plakate zurEuropawahl: „Da ist viel vonKlima- und Artenschutz dieRede. Hier können sie bewei-sen, dass sie es ernst meinen.“

Besorgt: Adalbert Niemeyer-Lüllwitz, Wiebke Homann, TilmanRhode-Jüchtern, Claudia Quirini und Berthold Griese wehren sichgegen zu großen Landschaftsverbrauch. FOTO: MIKE-DENNIS MÜLLER

LokalesSAMSTAG/SONNTAG18./19. MAI 2019 BI2