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Probleme der Nahrungsverweigerung durch den
(geriatrischen ?) Patienten am Lebensende
Peter FaschingGeriatriezentrum Baumgarten
Wien
DefinitionenKachexia, Kachexie»Auszehrung«; allgemeine Atrophie des Organismus infolge tiefgreifender Störung aller Organfunktionen. Zeichen: starke Abmagerung, allgemeiner Kräfte-verfall, Appetitlosigkeit, Apathie.Tritt auf bei Geschwulstleiden (»Tumorkachexie«), chronischen Infektionskrankheiten (z.B. bei Tuber-kulose) u. Stoffwechselstörungen (v.a. bei Leber- u. Nierenerkrankungen) sowie als Alterserscheinung(= senile K.), als Vergiftungsfolge (u.a. bei Blei-vergiftung), bei Unter- u. MangelernährungAus: Medizin Lexikon, Urban & Schwarzenberg, 1995
DefinitionenMarasmusein über Monate bis Jahre ablaufender Auszehrungs-, Entkräftungsprozeß; vgl. Kachexie; alimentäres Dystrophiesyndrom
M. senilisder körperliche u. geistige Abbau im hohen Alter
Aus: Medizin Lexikon, Urban & Schwarzenberg, 1995
FAKTOREN, DIE DAS EIN-JAHRES-ÜBERLEBEN BEI LANGZEITPFLEGEPATIENTEN BESTIMMEN
nach Flacker und Kiely (1998), JAGS 46: 1012-5)
Risk Ratio
Score funktionaler Fähigkeiten* > 4 2,50Gewichtsverlust** 2,26Kurzatmigkeit 2,08Schluckprobleme 1,81Männliches Geschlecht 1,76BMI < 22 kg/m2 1,75Herzinsuffizienz 1,57Alter > 88 Jahre 1,48
*Score funktionaler Fähigkeiten (MDS): Bewegung im Bett, Bewegung/Transfer, Fortbewegung, An-/Auskleiden, Essen/Trinken, Toilettenbenutzung, persönliche Hygiene** 2,5 kg in den letzten 30 Tagen bzw. mehr als 5 kg im letzten halben Jahr
Ernährung bei dementiellenErkrankungen
• Dementielle Erkrankungen entwickeln sich bis zu ihrer Manifestation über viele Jahre
• Änderungen des Essverhaltens und der Gewichtsverlust gehören zu den Erstmanifestationszeichen!
Ernährung bei dementiellenErkrankungen
Energie-Bedarf pro Tag: etwa 35 Kilokalorienpro Kilogramm Körpergewicht bei Hirn-funktionsstörungen (A. Spindler et al. 1998) Die Atrophie des mesialen temporalen Cortex bei M. Alzheimer ist mit Gewichtsverlust assoziiert
bei gesunden Älteren liegt der Bedarf um 5 bis 10 Kilokalorien / kgKG niedriger
Ernährung bei dementiellenErkrankungen
Energie-Bedarf pro Tag: etwa 35 Kilokalorien pro Kilogramm Körpergewicht (A. Spindleret al. 1998)
40 KgKG entsprechen 1400 kcal/d50 KgKG entsprechen 1750 kcal/d60 KgKG entsprechen 2100 kcal/d70 KgKG entsprechen 2450 kcal/d
Empfehlung für die tägliche Wasseraufnahme (DGE)
1 ml/kcal Zufuhr
1.5 ml/kcal Zufuhr bei spezifischem Bedarf (körperl. Akt., Hitze)
Feste Nahrungsmittel bringen etwa 0.33 ml/kcal (Oxidation)
Für Menschen > 65 Jahre: mindestens 1 Liter durch Getränke
Da im Alter höhere Anfälligkeit für Dehydration: 1.5-2 Liter(falls keine KI durch Herz- oder Nierenkrankheit)
Gegenüberstellung PEG - nasogastrische Sonde
Vorteile PEG Nachteile PEG
Effiziente enterale Langzeiternährung Invasiv, Komplikationen
Bessere Toleranz als nasogastrische Sonde
Perorale Nahrungsaufnahme möglich
Erleichtert und fördert Rehabilitation
Hohe Akzeptanz beim Pflegepersonal
Einfache Handhabung auch ambulant
Gegenüberstellung PEG - nasogastrische Sonde
Vorteile der nasogastr. Sonde Nachteile nasogastr. Sonde
schnell verfügbar nasopharyngeale Irritation
einfache Applikation gastroösophagealer Reflux
kurzfristig verwendbar schlechte Compliance,
häufige Selbstentfernung
häufige Malnutrition
Indikationen einer PEG in der Geriatrie
Funktionelle und organische Störungen, von denen zu erwarten ist,dass sie die orale Nahrungsaufnahme länger als 4 Wochen entscheidend einschränken.
•Neurologisch: nach Insult; bei ALS, MS, M.Parkinson•Neoplastisch: TU. des Pharynx, Ösophagus, Cardia•Nicht-neoplastische Stenosen•Bestrahlungsstenosen•Essstörungen bei Demenz (in Diskussion)
Ziele einer PEG Anlage in der Geriatrie: Erhalt von Lebensqualität
•Sicherung der Grundpflege•Flüssigkeits- und Nährstoff Versorgung•Verhinderung einer Katabolie, Exsikkose•Sicherung der medizinischen Therapie•Medikamentenapplikation•Vorraussetzung schaffen für therapeutische Maßnahmen (Mobilität, Körperfunktionen, ADL- Fähigkeit)•Erhalt von Körpersubstanz und Muskelmasse
Die Kontraindikation für PEG in der Geriatrie sind:
•Fehlende Diaphanoskopie (eventuell ultraschallkontrolliert möglich)•Passagewirksame Magenausgangsstenose •Schwerwiegende Gerinnungsstörung•Schwerwiegende Funktionsstörung des GI, z.B. Peritonitis, Ileus•Massiver Aszites•Finaler / praefinaler Zustand•Fehlendes Einverständnis
Komplikationen des Setzens einer PEG
•Methoden-bedingte Letalität 0-0,3%
•Schwere therapiebedürftige Komplikationen1-3% (Aspiration, Peritonitis, Sepsis, Abszesse, Blutungen,cardio-pulmonal Ereignisse)
•Häufigste Komplikation: Wundinfektion 5-10%
•Nicht mobilisierbare innere Halteplatte “ Buried Bumper “
Zusammenfassung von Prim.Wemse GZW Wien
Da die PEG bei Patienten mit inadäquater oraler Nahrungsaufnahme eine kostengünstige , komplikationsarme und einfach handhabbare Möglichkeit zur Aufrechterhaltung einer adäquaten, physiologischen enteralen Ernährung darstellt, wird die Indikation zur PEG-Anlage in der Geriatrie zunehmend häufiger gestellt. Nach retrospektiver Analyse zeigt sich jedoch, dass hochgradig demente Patienten, die aufgrund ihres fortgeschrittenen cerebralen Abbaus nicht mehr essen können oder wollen, von der Anlage einer PEG nicht profitierten.Ein multiprofessionelles Assessment vor PEG Anlage kann die Langzeitresultate verbessern und soll daher routinemäßig durchgeführt werden. Ethische Gesichtspunkte werden dabei eine zentrale Rolle spielen.
3 rezente Publikationen zum Thema„PEG-Sonde beim (hochgradig) dementen geriatrischen Patienten“
1 Finucane TE, Christmas C, Travis K.Tube feeding in patients with advanced dementia. A review of evidence.JAMA 282: 1365-1370, 1999
2 McCann R.Lack of evidence about tube – feeding – food for thought (editorial).JAMA 282: 1380-1381, 1999
3 Gillick MRRethinking the role of tube feeding in patients with advanced dementia.N Engl J Med 342: 2206-2210, 2000 (sounding board)
Keine kontrollierten, prospektiven Studien, sondern Meinungen !!!
Ergebnis:
Laut derzeit vorliegender Daten
1 Kein gesicherter Vorteil im Überleben (Mortalität)2.Kein Vorteil in der Aspirationsprophylaxe3.Keine Verhinderung von Pneumonien (Infektionen)4.Keine Verhinderung von Dekubitus5.Kein Nachweis einer Verbesserung der Lebensqualität6.Mögliche sonden-assoziierte Komplikationen7.eventuell weniger Pflegezuwendungerhöhter Bedarf nach freiheitsbeschränkenden Maßnahmen u.Sedierung
Konsequenzen
Indikationsstellung zur PEG individuell durchleuchten !!!(Berücksichtigung der Co-Morbidität, Diskussion mit sozialem Umfeld zur Abschätzung des mutmaßlichen Patientenwillens, Aufklärung und Gespräch mit gesetzlich bestimmtem Sachwalter)Patientenverfügung – schriftlich, mündlich; Vertrauensperson)
Beobachtung des Patienten und Berücksichtigung der Konsequenzen der PEG auf dessen Wohlbefinden und Lebensqualität(Notwendigkeit freiheitsbeschränkender Maßnahmen und Sedierung; wiederholte Aspiration ?)
Alternativen bei der Essenseingabe erwägen(„Saugflasche“, Flüssigkeitsverdicker, HNO-bzw. logopädische Begutachtung bei Schluckstörungen)Bei Besserung des AZ „Eßtraining“ und kontinuierliche Überprüfung der Notwendigkeit der PEG.
Zusammenfassung
Beim derzeitigen Stand des Wissens nach Kriterien der „evidence-based“ medicine ist die Indikation zur PEG-Sonde beim hochgradig dementen geriatrischen Patienten kritisch und individuell zu stellen.
Gesicherte Indikationen zur PEG-Sonde (z.B. Schluckstörung nach Insult) gelten jedoch ohne Einschränkung auch für den hochbetagten (geriatrischen) Patienten unter Berücksichtigung seiner individuellen Gesamtsituation.
(Medizin-) ethische Überlegungen haben in jedem Fall Berücksichtigung zu finden
Was ist damit gemeint ???
Was bedeutet Nahrungsverweigerung am Lebensende ?
Patient isst nichts/zu wenig („passive“ Verweigerung)
Patient spukt aus, presst Mund zu („aktive“ Verweigerung)
Patient „kann“ nicht essen, obwohl er prinzipiell will (organische Funktionsstörung des Schluckaktes;Unbedingt Differentialdiagnose erforderlich: Insult, DAT, Tumor)
„(Patho-) Physiologische“ Einstellung der Nahrungsaufnahmeam biologischen Lebensende (noch nicht „Terminalphase“)
Undiagnostizierte interkurrente Erkrankung (Harnwegsinfekt, Pneumonie, Herzisuffizienz, Depression,...)
Was bedeutet Nahrungsverweigerung am Lebensende ?
Entspricht fehlende Nahrungszufuhr Liebesentzug, Vernach-lässigung, Verwahrlosung, Pflegemißstand, Qual, ...?
Ist „Zwangs“- ernährung (Nahrungszufuhr ohne oder gegenausdrückliche Zustimmung) Gewalt, wider die Natur, eigenmächtigeHeilbehandlung, Verlängerung des Leidens ... ?
Können Begriffe für Bedürfnisse wie Hunger und Durst direkt voneinem gesunden Menschen auf einen Patienten am Lebensendeübertragen werden ?
Ist enterale/parenterale Ernährung medizinische Therapie,Deckung der minimalen Bedürfnisse, Teil der Pflege ?
Was bedeutet Nahrungsverweigerung am Lebensende ?
Wie ist enterale/parenterale Flüssigkeitszufuhr zu bewerten ?
Sind Nährstoffzufuhr und Flüssigkeitszufuhr gleichwertig zuBeurteilen ? Zwar keine Ernährung mehr, aber „iatrogene“Flüssigkeitszufuhr (enteral, parenteral, subkutan ?)
Ist das Vorenthalten/Abbrechen von Nährstoffzufuhr eine Medizinischer Therapieverweigerung/Abbruch vs. Antibiotikatherapie
Wer kann/soll/muß /darf die Entscheidung im Einzelfall treffen(Arzt, Sachwalter, Verwandter, Ethikkomission, Gericht, Gutachter)
Was bedeutet Nahrungsverweigerung am Lebensende ?Welche Entscheidungskriterien sind verfügbar ?
Aktive Verweigerung und fehlende Zustimmung (bei voller oder partieller Urteilsfähigkeit)
Starke Indizien für den mutmaßlichen Patientenwillen bei nichturteilsfähigen Patienten (persönliche Kenntnis, Patientenverfügung,Glaubhafte Aussagen des sozialen Umfeldes)
Grunderkrankung und Prognose (Insult; Demenz; Malignom)
Therapieziel und mögliche Therapiedauer (Rehabilitation nach Insult)
Wissenschaftliche Evidenz für Ernährungsthearpie bei der entsprechenden Diagnose
Was bedeutet Nahrungsverweigerung am Lebensende ?Welche Entscheidungskriterien sind verfügbar ?
Zu erwartende Konsequenzen auf die „zugeschrieben“Lebensqualität (günstig: Verhinderung rez.Aspiration;Ungünstig: Bedarf nach freiheitsbeschränkenden Maßnahmen)
Konsensuelle Meinung im betreuenden interdisziplinären Team(Arzt, Pflege, Therapeuten, Psychologen,...)Konsensuelle Meinung mit der Familie bzw. dem sozialen Umfeld
Will der Patient schlucken/oder schiebt er den Bissen nur herum.
Ausschöpfung aller gebotenen Alternativmöglichkeiten der„natürlichen“ Nahrungsaufnahme („Schnullerflasche“;Alternative Kost; ausreichend Personalresourcen zur händischenNahrungseingabe = PEG soll nicht der bequemste Weg sein.)
Rezente Arbeiten zum Thema:
Quill TE. Retrospective: Dying and decision making –Evolution of end-of-life options.N Engl J Med 350: 2029-32, 2004
Morrison RS, Meier DE. Palliative Care.N Engl J Med 350: 2582-90, 2004
Mitchell SL, Buchanan JL, Littlehale et al. Tube-feeding versus hand-feeding nursing home residents with advanced dementia:A cost comparison. J Am Med Dir Assoc 4: 27-33, 2003
Rezente Arbeiten zum Thema:
The A-M, Pasmann R, Onwuteaka-Philipsen B, Ribbe M, van derWal G. Withholding the artificial administration of fluids and food from elderly patients with dementia: ethnographic study.Brit Med J 325: 1326-31, 2002
Ganzini L et al. Nurses´ experiences with hospice patients whoRefuse food and fluids to hasten death.N Engl J Med 349: 359-65, 2003
Weiterführende Literatur:
Journal für Ernährungsmedizin 3/2001: Themenheft: Ernährungstherapie in der Geriatrie. www.kup.at/ernaehrungsmedizin
Journal für Ernährungsmedizin 4/2002: Themenheft: Praxisbezogene Empfehlungen zur Ernährungstherapie in der Geriatrie.www.kup.at/ernaehrungsmedizin