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BEFREIUNGSSCHL GE IN DIE MAGENGRUBE. LEBEN UND WERK.

I

[1997 2000] Irgendwo muss es ja nun mal losgehen. Und da das Psychologisieren und Privatisieren ungeachtet aller wechselnden Trends der Kunstgeschichts- und Kunstkritikschreibung in dieser ersten Untersuchung der Kunst Tim Berresheims auen vorgelassen werden soll, fangen wir am besten standesgem mit dem Knstlerdasein ab dem Zeitraum seines ominsen Eintrittes in die dafr vorgesehene Hochschule an: dem Beginn der sogenannten, latent schleierhaften und doch zugleich offiziell sankionierten Ausbildung zum Knstler also, die ungeachtet aller naheliegenden Einwnde und kulturhistorischen Erosionen der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte als biografisches Ma aller Dinge die Zeiten berdauern konnte und noch immer im nahezu gesamten Spektrum der Kunstvermittlung, das heit von der staatlich gefrderten Gruppenausstellung ber die privatwirtschaftlich gesponserte Youngsterschau bis hin zu den Verkaufsgesprchen in Galerien und Prsentationen in selbstausbeuterischen Ausstellungsrumen, als potentieller Joker (...war Schler von...) regelmig aus dem Hut gezaubert wird. Diese vermeintliche Zsur vermag nun und die Kunstvermittlung mit ihrem Wunsch nach klar strukturierten Biografien und Hierarchien dankt es ihr die Situation des (jungen) Knstlers als gesellschaftlich verhaftetes Wesen ebenso zu berblenden wie die Tatsache, dass sie die technische, stilistische und ikonographische Ausrichtung der knstlerischen Entwicklung zu einem Zeitpunkt beeintrchtigt, an dem dessen (sub-)kulturelle Sozialisation auch im Bezug auf das, was spter als das Werk bezeichnet werden wird einigermaen fortgeschritten sein kann beziehungsweise muss. Ab und an aber spielt dieser ganze Apparat einfach so gut wie keine Rolle, wie im Falle des 1975 geborenen Tim Berresheim, dem in dieser Phase das heit hier in den 1990er Jahren weniger (wenn berhaupt) die Bildende Kunst denn Musik, insbesondere Punk und Hardcore, das Dasein ertrglich zu gestalten vermochten. Dieses Faible wurde in den 00er Jahren noch verlagert und intensiviert, trat er doch im Anschluss an seine schon nach kurzem abgebrochene Ausbildung nicht nur als Bildender Knstler, sondern auch als Musiker und Produzent experimenteller und elektronischer Musik nachhaltig in Erscheinung. Doch zurck zur Akademie: gerade als sich das vergangene Jahrzehnt seinem Ende nherte, begann Berresheim seine Ausbildung an der Kunstakademie Braunschweig, nachdem er sich ebenda zu Beginn jenes Jahres erfolgreich mit einigen Fotografien beworben hatte,

die in den sechs Monaten zuvor angefertig wurden. Dass es letzten Endes berhaupt zu diesem Schritt kam, ist das Resultat eines einjhrigen Praktikums, das er im Sommer 1997 bei dem Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor Burkhard Driest absolvierte. Neben den sthetischen und philosophischen Grundlagen von Driests Arbeit, die sich insbesondere in den Drehbchern und Dramentheorien wiederfanden, hinterlie die Besessenheit, mit der der eigene kreative Output an eine gehrige Portion Misanthropie gekoppelt und in Einem als notwendiges Schutzschild, potentieller Ausweg und permanente Rckzugsmglichkeit empfunden wurde, bei Berresheim tiefe Spuren. Driests nachhaltiger Einfluss war demnach die Motivation fr die Entscheidung, bei einer Filmklasse vorstellig zu werden. Bis dahin machte Berresheim in jeglicher Hinsicht einen weiten Bogen um die Bildende Kunst, denn er mied die Doppelmoral und Verlogenheit des Kunstbetriebs ebenso wie er es unterliess, auch nur ein Artefakt herzustellen zumindest bis zu der zielgerichteten Produktion fr die Aufnahmeprfung. Dass es trotzdem nie zu der anvisierten Ausbildung bei der Filmemacherin Birgit Hein kommen sollte, lag unter anderem an Hartmut Neumann, seinem Professor der einjhrigen Grundklasse, der das scheinbar schlummernde Interesse an Bildender Kunst und insbesondere auch seine ungeahnte Begeisterung fr die jngere Kunstgeschichte zu wecken vermochte, woraufhin er nicht nur Ausstellungskataloge wlzen, sondern auch die ersten Bilder produzieren sollte. An die fnfzig Acryl- und lgemlde drften es sein, die Tim Berresheim in diesem recht kurzen Zeitraum anfertigte, wobei diese aber allesamt zerstrt oder unauffindbar, auerdem als irrelevant abgehakt sind und soviel Respekt muss sein demnach im weiteren Verlauf keine Rolle spielen sollen.

II9

[20002002] In diesen beiden ersten Semestern eignete sich Tim Berresheim whrend seiner Wochenendbesuche im Rheinland also im doppelten Sinne fernab der Akademie vllig neue Gestaltungsmglichkeiten an, die mit den Resultaten der Braunschweiger Produktion radikal brachen und die Entwicklung einer grundlegend vernderten Bildsprache frderten, an deren Ende geraume Zeit spter unverkennbar der vielzitierte eigene Stil stehen wird. Die Rede ist von Arbeiten, die am Computer enstanden demjenigen Medium also, mit Hilfe dessen der Autodidakt Berresheim seit nunmehr fnf Jahren so

gut wie smtliche seiner bildnerischen und musikalischen Werke produziert. Nachdem im Sommer 2000 die ersten Computerbilder entstanden waren, trat er zwar wenige Monate spter fr ein weiteres Semester in Braunschweig bei dem geschtzten Bildhauer und Fotografen Johannes Brus an, doch sollte sich alsbald herausstellen, dass die Tage an der Hochschule gezhlt waren. Bereits nach wenigen Wochen des Wintersemesters wurde deutlich, dass die standardisierten und ritualisierten Sprech- und Verhaltensmuster der Studentenschaft vor allem im Hinblick auf die fast schon erbrmliche Auseinandersetzung mit Ausdrucksformen jenseits der als traditionell erachteten Techniken weder kreative Reibungen noch anregende intellektuelle Auseinandersetzungen versprachen und es sich als unabdingbar erwies, den vor kurzem eingeschlagenen Weg besser andernorts weiterzuverfolgen. In dieser Situation nun kam die Nachricht mehr als gelegen, dass im selben Jahr Albert Oehlen an der Kunstakademie Dsseldorf seine Lehrttigkeit begann, einer der wenigen Knstler, die sich berhaupt mit dem Computer als Mittel der Bildherstellung auch jenseits der computergenerierten Grafik oder des Collagierens und Montierens beschftigten. Genau zehn Jahre zuvor, 1990, enstand Oehlens erstes Computerbild. Seitdem konnte er zentrale Fragestellungen, die bereits in seiner Malerei aufgeworfen wurden so zum Beispiel die Aspekte der Banalisierung und der Knstlichkeit auf das neue Medium bertragen und gleichzeitig anhand dieses Transfers vom Realen ins Knstliche die Konturen der jeweiligen Medien schrfen und darberhinaus ihre Kombinationsmglichkeiten austarieren.1 Vor diesem Hintergrund war es fast zwangslufig, dass Berresheim Anfang 2001 nach Dsseldorf ging, um sich mit Oehlen unabhngig von den Regularien des Ausbildungsbetriebes auszutauschen. Die daraufhin folgende, knapp eineinhalb Jahre, bis zu der gemeinsamen Beteiligung an der Gruppenausstellung Offene Haare, offene Pferde Amerikanische Kunst 1933 45 whrende, intensive Zusammenarbeit ereignete sich in der Grauzone zwischen den potentiellen Arbeitsverhltnissen Schler Lehrer, KnstlerAssistent und Betriebskollegen. Dass Berresheim so viel nur abschliessend zum Thema Knstlerausbildung whrend all dieser Zeit nicht in Dsseldorf, sondern noch bis Anfang 2002 offiziell in Braunschweig eingeschrieben war, sei hier zumindest als Funote fr die Chronisten erwhnt.

Die erste Ausstellungsbeteiligung Tim Berresheims fand im Rahmen der Gruppenausstellung Superschloss statt, die als Abschluss einer vierteiligen, von Knstlern zusammengestellten Ausstellungsreihe im Mrz 2002 in der Stdtischen Galerie Wolfsburg zu sehen war. Unter den elf Superschloss-Knstlern befanden sich mit Michael Bauer, Stefanie Popp und Andr Linpinsel auch einige, mit denen er in den kommenden zwei Jahren als Knstler oder Kurator zusammenarbeiten sollte. Am nachhaltigsten war hierbei zweifelsohne der Austausch mit Michael Bauer, einem Studienkollegen aus Braunschweig, der seine Ausbildung ein Jahr frher begann und (da haben wirs wieder) bei Walter Dahn studierte. Bauer war der erste und bis zu den spter folgenden Kollaborationen mit Jonathan Meese und Thomas Arnolds einzige, mit dem Berresheim Gemeinschaftsarbeiten erstellte. Im Vorfeld der Wolfsburger Ausstellung trafen die beiden darberhinaus den weitreichenden Entschluss, noch im gleichen Jahr den Ausstellungsraum Brotherslasher ins Leben zu rufen. In der Stdtischen Galerie jedenfalls konnte man den Eindruck gewinnen, als ginge es in dem Raum, den sie bespielten, darum, mit den whrend der zweiwchigen Aufbauphase entstandenen Arbeiten das grtmgliche Spektrum bildknstlerischer Ausdrucksformen abzudecken. Neben kollaborativen Installationen, Skulpturen, Videos, einem Text sowie dem Poster Brotherslasher in Blde zeigte Berresheim hier auch eigene lgemlde und erste Computerprints. Bereits einen Monat nach Superschloss wurde nun die besagte Gruppenausstellung im Klnischen Kunstverein erffnet, an der neben Albert Oehlen und Tim Berresheim unter anderem auch die beiden Berliner Knstler Andr Butzer und Markus Selg teilnahmen, die bald darauf ebenfalls Einladungen von Brotherslasher annehmen sollten. Offene Haare, offene Pferde Amerikanische Kunst 1933 45 war eine ausufernde Hommage der insgesamt sieben Knstler an den 1920 nach New York emigrierten und bis heute weitgehend unbeachtet gebliebenen russischen Knstler und Schriftsteller John Graham. In den weiten, lichten Raum wurden zu diesem Anlass zahlreiche Zwischenwnde eingezogen, sodass die mandernde Ausstellungsarchitektur mit ihren zustzlich geschaffenen Schauflchen in diesem Gebude, das alsbald der Abrissbirne zum Opfer fallen und von dem berchtigten Klner Loch abgelst werden sollte, wie ein furioser Schlussakkord wirkte und dabei die allerorts vernehmbare, 10

selbstbewusste Rckkehr der Malerei in die zeitgenssische Kunst dokumentierte.2 In einem dieser neu geschaffenen Zwischenrume befanden sich fnf groformatige Computerprints beziehungsweise -bilder von Berresheim, die sich von denen Albert Oehlens vor allem darin unterschieden, dass sie ihnen in der mannigfaltigen Offenheit seien es die inhaltlichen Anschlussmglichkeiten, die die semantischen und ikonografischen Referenzen gewhrleisten, oder auch die materialsthetische Transparenz nicht folgen. So werden dort beispielsweise Spuren des Produktions- und Gestaltungsprozesses, also Pixelstrukturen, beibehalten, um auf der Grundlage dieser Zeichen der computerspezifischen Undeutlichkeit eine neue Art Gemlde zu erzeugen. Die von Oehlen anvisierte Knstlichkeit lsst sich auch und gerade in der Kombination aus Computerkunst und Malerei, das heisst deren disparaten Perfektionsgraden in der (Nach-)bearbeitung des Dargestellten in mindestens zwei verschiedenen Gren vor dem Bildschirm und vor der Leinwand , weiterverfolgen. Hierbei wiederum bestimmen Improvisation und Zufall anstelle vorgngiger Gedanken an Phantasielandschaften und Gitterfiguren oder vektorgenerierte Krper 3 die letztendliche Gestaltung. Darberhinaus sorgen wie dies insbesondere bei den sogenannten Plakaten, Computercollagen der spten 90er und frhen 00er Jahre der Fall ist integrierte Fotografien beziehungsweise gefundenes Bildmaterial aus dem Internet ebenso wie die zumeist absurden oder humorigen Textpassagen dafr, dass die Szenerien von verschiedenen Bedeutungstrgern berlagert werden [Abb. 1]. Anders verhlt es sich bei den Computerbildern Berresheims, die sich bereits in der Klner Ausstellung zum Zwecke der Klarheit und inneren Geschlossenheit des Dargestellten gegen diese Formen der Offenheit, die das Bildgeschehen durchkreuzen, zu wehren versuchen auch wenn es, zugegebenermaen, noch an die anderthalb Jahre dauern wird, bis die diesem Vorhaben zugrundeliegende Hermetik als eine der entscheidenden Aspekte in Berresheims Kunsttheorie in vorerst letzter Konsequenz umgesetzt werden sollte. Auf zwei der Arbeiten waren erstmals seine mittlerweile typischen Gitterfiguren zu sehen [Abb. 2], die das Skelett und die Gliederpuppe, wie sie noch in einem der in Wolfsburg gezeigten Prints (Visual Energy, 2002) verstrickt in einer vielsagenden Kampfeshandlung, aus der letztlich kein Sieger hervorgehen sollte zu sehen waren, als anthropomorphe

Bildelemente ablsten. Die Rolle dieser ikonographisch und kunsthistorisch ungleich aufgeladeneren Hauptakteure bernahmen nun diese identifikationsstiftenden, gleichzeitig hochgradig befremdlichen und lebensgroen Protagonisten, die hier noch mit vorsichtigen, alsbald jedoch als strend empfundenen und entfernten Zugestndnissen an die Konventionen der Auenwelt (zum Beispiel Frisur oder Kleidung) versehen sind.

III

[20022003] Drei Monate nach Beendigung der Ausstellung im Klnischen Kunstverein, im Oktober 2002, erffnete Tim Berresheim zusammen mit Michael Bauer ebenfalls in Kln, unweit des nahezu fertiggestellten Mediaparks, den Ausstellungsraum Brotherslasher. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als sich nur einige Fuminuten davon entfernt mit April in Parking Meters, kontor und dem Schnittraum einige weitere Ausstellungsrume in der seit Anfang der 00er Jahre recht vitalen Nordstadt befanden, deren beste Tage aber in dieser Hinsicht leider bald gezhlt sein sollten, gaben doch alle drei im Laufe des folgenden Jahres wegen Schlieung oder Umzug in das Belgische Viertel mit seiner entsprechend hheren Galeriendichte diesen Standort auf. Doch nicht nur vor diesem Hintergrund erschien die Erffnung von Brotherslasher wie ein fast antizyklisches Unterfangen: auch die Lage im Kellergeschoss eines Hauses an der vielbefahrenen Erftstrasse und in unmittelbarer Nhe des neben Klnarena und Coloneum grssten stdtisch gefrderten Kulturindustrie-Komplexes garantierte nicht unbedingt das einschlgige Laufpublikum. Dass es aber ein paar Wochen dauern sollte, bis selbst die kunstinteressierte Klner Teilffentlichkeit von der neuen rtlichkeit erfuhr, war sicherlich auch das Resultat einiger logistischer Nachlssigkeiten; so fehlte beispielsweise auf der ersten Einladungskarte zur Erffnung das dazugehrige Datum oder aber musste einige Zeit ins Land streichen, bis die erste Mitteilung an die hiesige Presse verschickt wurde. Nichtsdestotrotz drfte all das nur mit Einschrnkung fr das schleppende Interesse zumindest in Teilen der avancierten Klner Kunstszene verantwortlich sein, sind diese Aspekte doch fr die dort ansssigen Trffelschweine und berhaupt fr die urbane InCrowd erfahrungsgem nur in eingeschrnktem Mae von Belang. Die eigentlichen Hrden, die hier den Zugang zu Brotherslasher erschwerten, lagen naheliegenderweise im knstlerischen Selbstverstndnis der Unternehmung begrndet. Das beginnt bei 11

der ungewhnlich offensiven, gleichzeitig sinnfreien Namensgebung und setzt sich in der programmatischen Ausrichtung fort, die sich, neben Prsentationen unbekannter Knstler aus der Wolfsburger Schau, insbesondere in regelmigen Einladungen an Knstler aus dem umtriebigen Umfeld der ehemaligen Maschenmode (Berlin) bzw. Akademie Isotrop (Hamburg) niederschlug. Gerade mit dieser Entscheidung lie sich vermitteln, dass die Begeisterung fr bestimmte Ausdrucksformen bzw. die Lust an einer mutmalich gemeinsamen Haltung seinerzeit schwebte ja auch der zweifelhafte Begriff der Gesinnung in der Luft ebenso wie der Wunsch, in Kln nur ansatzweise (zum Beispiel bei Hammelehle und Ahrens) reprsentierte Knstler zu zeigen, wichtiger waren als die eigene Profilierung im Windschatten neuer Positionen. Gleichzeitig wurde damit ein Exempel fr die gewiss nicht gerade neue Erkenntnis statuiert, dass sich in Kln manches nur schwerer vermitteln bzw. etablieren lsst als eben in Berlin oder Hamburg. Das aber ist ein anderes Thema. Dieser Einsicht ist natrlich nur bedingt mit einer entsprechend sperrigen sthetischen Auenwirkung und Vermittlung des Ausstellungsraumes beizukommen, fr die sich Brotherslasher zum Beispiel mit der eigenwilligen je nachdem hchst unterhaltsamen oder geschmacksverirrten Motivwahl fr die schier unzhligen Einladungskarten, Poster, CDs und Katalogumschlge, die oftmals mit der Ausstellung oder der Veranstaltung an sich nicht allzuviel zu tun hatten, entschied. Hat man diese potentiellen Hrden erst einmal hinter sich gelassen, traf man auf Prsentationen und Publikationen, die sich in ihrer Serisitt faktisch von denen kommerzieller Galerien kaum unterschieden und oft biederer (und auch herzlicher) daherkamen als dies bei manch andereren selbstverwalteten Rumen der Fall ist. Doch mit dieser eigentlich allumfassenden sthetischen Strategie wurde von Beginn an die unverrckbare Nhe von Bildender Kunst im Allgemeinen zu gestalterischen Fragen im Besonderen in den Blick genommen, darberhinaus aber auch die mannigfaltige Rolle von Gestaltung im weitesten Sinne als tragendes Element der Imageproduktion eines solchen Raumes sowie seiner impliziten Ausschlussmechanismen und dadurch generierten soziokulturellen Zusammenhnge und zwar unabhngig davon, was darin letztendlich gezeigt wird. Feierlich erffnet wurde Brotherslasher mit einer gemeinsamen Ausstellung von Berresheim und Bauer mit Jonathan Meese, in deren Zentrum drei lebensgroe, bekleidete Puppen standen.

Im Gegensatz zu der wohl berhmtesten aller historischen Ausstellungen mit Puppen-Objekten, der Exposition International du Surralisme 1938 in der Pariser Galrie des Beaux-Arts, in der insgesamt sechzehn weibliche Schaufensterpuppen von jeweils einem anderen Knstler eingekleidet wurden, waren hier die drei Beteiligten sowohl fr die Gestaltung der jeweiligen Figuren als auch fr deren Outfit zustndig. Im Laufe der nun darauffolgenden zwei Jahre sollten von Berresheim lediglich einzelne, kleinere Arbeiten im Rahmen von drei weiteren Gruppenausstellungen zu sehen sein bei Keiner ist besser oder eventuell besser, der ersten bersichtsschau mit insgesamt 14 Knstlern im Sommer 2003, und im Frhjahr 2004 anlsslich von Ganz oben, der ersten Prsentation nach dem Umzug in das Erdgeschoss desselben Hauses, sowie bei Screamers, einer Hommage an die legendre, aber leider weitgehend in Vergessenheit geratene, gleichnamige Punkcombo aus Los Angeles. Zu dem Zeitpunkt war lngst klar, dass sich Berresheims Interesse an Musik nicht nur in der kuratorischen Praxis erschpft, denn bereits zeitgleich zur Brotherslasher-Erffnung, also im Oktober 2002, erschien die erste Schallplatte von und mit Tim Berresheim, die er zusammen mit dem bis dato ausschlielich als Bildenden Knstler (und Gelegenheitsschaupieler) bekannten Jonathan Messe unter dem Projektnamen Die Ahabs einspielte. Berresheim lernte Meese zu Beginn jenes Jahres kennen und dessen baldiger Wunsch, gemeinsam zu musizieren, sollte, wie sich mittlerweile resmieren lsst, auf extrem fruchtbaren Boden fallen. Nach dem Erstlingswerk der Ahabs nahmen die beiden in den kommenden drei Jahren (Stand: September 2005) unter den verschiedensten Pseudonymen u.a. Haircar, Trepanation und Wir sind die Musiker bereits acht Alben und fnf Singles auf, die allesamt auf Tim Berresheims Label New Amerika verffentlicht wurden.4 Die weiteren Schallplatten, die im Jahr darauf auf den ersten Longplayer folgten das Album Swing Your Thing der Bergkapelle Mount Everest sowie vier 7s gaben auch den Ausschlag fr die ersten bildknstlerischen Kollaboration der beiden. Anlsslich der Releaseparty, die im Dezember 2003 in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts stattfand, waren an jenem Abend zwlf Ausdrucke zu erwerben, schwarz-weisse Computerprints Berresheims, die fast durchweg einzelne, von Meese in krftigem Rot bermalte Elemente vornehmlich Konterfeis der Musiker der Schallplattencover und -labels zeigen [Abb. 3]. 12

IV

[2003] Nur wenige Wochen vorher, Mitte November, fand im Projektraum der Galerie Hammelehle und Ahrens die erste Einzelausstellung von Tim Berresheim statt. Die beiden Betreiber, die im Jahr zuvor von Stuttgart dort wurde ihre Galerie Anfang 1994 gegrndet nach Kln gezogen waren, sind whrend ihrer regelmigen Besuche bei Brotherslasher auf die lgemlde Bauers und die Computerbilder Berresheims aufmerksam geworden und erffneten ihnen die Mglichkeit, in ihrem Privaten Projektraum im Galeriehaus ads1a, einem ehemaligen Umspannwerk in Kln-Riehl, das 2002 von dem Klner Architekten Bernd Kniess vielbeachtet umgebaut und von insgesamt vier Galerien bezogen wurde, auszustellen. Unter dem Motto Let me help zeigte Berresheim ein halbes Dutzend Arbeiten, die allesamt 2003 entstanden waren und trotz der Tatsache, dass es sich um seine erste Einzelprsentation handelte, in mehrerlei Hinsicht eine Zsur in seinem noch jungen uvre markieren. Zu sehen waren unter anderem die beiden bislang letzten Gemeinschaftsarbeiten mit Michael Bauer, die sogenannten Sexperimente (in l und als Computerprint). Whrend Bauer im Anschluss, so auch in seiner unmittelbar auf Let me help folgenden Projektraumausstellung Die Tne meiner Flte, der lmalerei treu bleiben sollte, verabschiedete sich Berresheim nach diesem kurzen Rckfall vorerst kategorisch von den Gepflogenheiten traditioneller Bildherstellung und ihren buchstblichen Spuren der persnlichen Handschrift, um seine Figuren, Objekte und Szenerien von nun an ausschlielich am Computer wenige Monate spter auch unter Zuhilfenahme der Digitalkamera zu entwerfen. Gleichzeitig beinhaltete die Ausstellung die letzten Arbeiten, in denen sich Zahlen oder Worte als auerbildliche, reglementierte Bedeutungstrger zu diesen Gestaltungselementen gesellten oder Werke, in denen absurd anmutende Schttelreime und frivoler Humor eine zugegebenermaen verschwindend geringe Rolle spielten. Vielleicht mag dies als letzte Sptfolge einer bierseligen Studentenzeit abzuhaken sein; jedenfalls ist es ein weiterer Beleg dafr, dass es scheinbar noch ein Weilchen dauern wird, bis junge, mnnliche, in Deutschland sozialisierte Knstler davon Abstand nehmen werden, zumindest zu Beginn ihrer Ausbildung und/oder Karriere eine Runde kippenbergern zu mssen. Glcklicherweise verstand es Berresheim, mit sofortiger Wirkung, davon erstmal die Finger

zu lassen. Doch ungeachtet all dessen war das Herzstck von Let me help, das nicht nur aufgrund seiner immensen Ausmae (250 x 400 cm) die weiteren Arbeiten in den Schatten stellte, sondern auch die Richtung einer man muss es so sagen vllig eigenstndigen Bildsprache vorgab, die in den beiden darauffolgenden Jahren akribisch weiter verfolgt und moduliert werden sollte, ganz ohne Zweifel The Muse [Abb. 4]. Die Erinnerung an die erste vehemente, fast schon verstrende Begegnung mit diesem berdimensionalen Bild whrend der Erffnung an jenem verregneten, dsteren Sonntagsptnachmittag ist noch immer sehr prsent: die nasskalte Fahrt zu dem abseits der innerstdtischen Ballungsrume des Kunstverkaufs gelegenen Galeriehaus und der anschlieende Weg durch das Treppenhaus hinauf in den zweiten Stock, wo beim Betreten des Ausstellungsraumes jeder Anflug einer herbstlich-bedchtigen Stimmung unvermittelt von der Wucht dieser Komposition, die isoliert an der gegenberliegenden Wand hing, zerschmettert wurde. Man konnte sich im ersten Moment fr den ungemtlichen Weg nicht wirklich entschdigt fhlen, ganz im Gegenteil. Die klirrend klare, gleichzeitig verstrend gestaltete Kombination der menschlichen Krper mit fast ausschliesslich abstrakten Formen, dazu der unheimliche, im wahrsten Sinne des Wortes haltlose Bildaufbau und die mehr als nur schleierhafte Ikonografie der dargestellten Situation gingen einher mit der Gewissheit, dass hier jedweder rezeptionssthetischer Sicherheit, in der man sich htte wiegen knnen und seien es die letzten vertrauten Rettungsanker wie der Halt an der Geste des vertrauten Pinselstrichs oder aber das in der jngeren Vergangenheit zuhauf kalkulierte Triggern kunsthistorischer und/oder popkultureller Verweise der Boden unter den Fen weggezogen wurde und einen in beklemmender und doch staunender Ratlosigkeit in doppelter Hinsicht in der Klte stehen lie. In dieser Situation nun drngte sich mir, so pathetisch das auch klingen mag, zum ersten Mal nach einigen Jahren des Umherirrens auf Kunstmessen, Gruppenausstellungen und Rundgngen der kaum mehr fr mglich gehaltene Eindruck auf, etwas Unvergleichliches, wenn nicht Unvorgngiges gesehen zu haben und infolgedessen tagelang immer wieder aufs Neue von dieser Bildsprache eingeholt zu werden, die einem in dieser gefhlten Mischung aus Beklemmung und Faszination ums Verrecken nicht die Entscheidung abnehmen will, ob man dieser idiosynkratischen 13

Vehemenz nun lieber aus dem Weg gehen oder jetzt erst recht die Auseinandersetzung damit suchen soll. In diesen Momenten stellte sich zwangslufig die Frage, ob der Ausstellungstitel vor diesem Hintergrund geradewegs als blanker Hohn zu verstehen war oder ob nicht gerade mit der hermetischen Geschlossenheit der Szenerie und der daraus resultierenden Fragen nach der Wechselwirkung von bildnerischen Elementen und Bedeutungstrgerschaft eine ber die eigenen Darstellungsmodi hinausreichende, erkenntnistheoretische Hilfestellung angeboten wird, die einen weitaus greren Komplex die Wahrnehmung bildknstlerischer Elaborate und die ihrer Produktion und Rezeption gleichermassen eingeschriebenen Machtverhltnisse in den Blick nimmt. Doch dazu spter mehr. Malerei spielt bei diesem ersten berdimensionalen Computerbild, bei dem wie auch bei allen darauffolgenden Arbeiten die am Bildschirm entstandene Komposition als Unikat in Form von Lsungsmittelfarbe auf Leinwand bertragen wurde, nur noch als Sujet eine Rolle und so sind just Pinsel und Palette die einzig identifizierbaren Objekte. Zum Zeitpunkt dieser technizistisch-allegorischen Abschiedserklrung an die Malerei jedoch war deren fr manche unerwartet machtvolle Rckkehr an die Pole Position des Kunstbetriebs in vollem Gange. Denn bereits zu Beginn der 00er Jahre konnte sie sich, nachdem in den 1990er Jahren Interdisziplinaritt, Institutionskritik und Theorieanbindung Oberwasser bekommen und die vor allem von der Malerei mittransportierten Mythen der Moderne zwangslufig in Frage gestellt hatten, erneut als heiestes Eisen am Kunstmarkt etablieren. Gerade 2003 wurde diese Entwicklung auch in Deutschland durch entsprechende Groausstellungen, so zum Beispiel im Frhjahr Painting Pictures im Kunstmuseum Wolfsburg oder Lieber Maler, Male Mir in der Frankfurter Schirn nobilitiert, zeitgleich machte mit der ausufernden Gruppenausstellung Deutschemalereizweitausendunddrei im Frankfurter Kunstverein auch erstmals die nationale Variante des Junge MalereiDiskurses, die sptestens seitdem auf einer bengstigenden Erfolgswelle schwimmt, ihre Ansprche geltend. So wirkte The Muse am Ende dieses Jahres wie ein ultimativer Kommentar auf die vergessen geglaubten Mythen, die diese Welle wieder anschwemmte, sprich: das von der geheimnisvollen Aura des Ateliers umfangene leidende (mnnliche) Knstlersubjekt, das in einem Moment genialischer Erleuchtung von der (weiblichen)

Muse geksst wird und zwangslufig mit dem Pinsel als Bindeglied zwischen der eigenen Krperlichkeit und dem Bildtrger die Leinwand berhrt, auf der schlielich die vielgerhmte eigene Handschrift verewigt wird. Doch nicht nur in dem dialektischen Spiel zwischen theoretischer Anwesenheit und materieller Abwesenheit von Malerei fungiert The Muse wie eine Art Scharnier, sondern auch in seiner einschneidenden Rolle in Tim Berresheims knstlerischer Entwicklung der vergangenen fnf Jahre. Ist es doch sein erstes Hauptwerk, in dem sich die einzelnen Bildelemente die Raumgestaltung, die unnachahmliche Prsenz der Protagonisten, die Ausarbeitung der abstrakten Formen oder die Konstellation der Objekte nach den bis dato zaghaften Versuchen selbstsicher behaupten knnen und ber The Muse hinaus den Stellenwert sthetischer Axiome erlangen, auf die er in kommenden Arbeiten wird zurckgreifen knnen. Es bleibt aber bis heute das einzige Einzelwerk, das unabhngig von Reihen, Gruppen oder zumindest Pendants entstand und mit einem eigenen Titel, unabhngig von dem Titel einer Ausstellung beziehungsweise ungeachtet einer nominellen Unterordnung unter die jeweilige Serie, aufwarten kann. Das sollte sich kurze Zeit spter ndern.

V

[2004] Die antropomorphen, zumeist unbekleideten und unbehaarten, teilweise deformierten Figuren wurden schon bald nach Let me help zu einem unverkennbaren und grundlegenden Element in der Kunst Tim Berresheims. In den vergangenen zwei Jahren spielten sie zumindest in smtlichen groformatigen, in der Regel 200 x 180 cm messenden Arbeiten eine entscheidende (Doppel-)Rolle als beklemmendes Sujet und gleichzeitig zentrales konstruktives Element im Bildaufbau. Dies trifft demnach auch auf die beiden einfigurigen, Anfang 2004 entstandenen Bilder der Obey-Reihe zu, deren Isolationismus die beklemmende Intensitt von The Muse noch zu bertreffen vermag. Die erneut mnnlichen Protagonisten verharren in einer geknstelten, ja peinlich berhrenden Haltung im Bildvordergrund und geben trotz ihrer dominanten Position den Blick in einen diffus dsteren, jedoch aufwendig ausgeleuchteten Raum frei, in dem lediglich die ausgeprgten Schatten und Spiegelungen einer Handvoll rtselhafter Objekte Orientierungshilfen bieten [Abb. 5]. Diese Fixpunkte werden zwar von dem ber die Leinwand navigierenden Blick dankbar akzeptiert,

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doch intensivieren sie zugleich dieses leicht gereizte Gefhl der Ratlosigkeit, das bereits den ersten Eindruck des enigmatischen The Muse begleitete. Die Schrauben der inneren symbolischen Geschlossenheit werden hier noch ein Stckchen weiter angezogen, sodass selbst die Entschlsselung etwaiger interner Bedeutungen oder Beziehungen auf der Strecke bleibt. Gerade diese Kultivierung der Ratlosigkeit lsst dasjenige auen vor, was Berresheim unter dem Begriff der Welt der Vereinbarungen subsumiert, der sich als Kampfansage an die Exklusionen der Bildwissenschaften und, noch grundlegender, der Verstndigungswelt an sich mit dem Prinzip der Hermetik als zweitem zentralen Aspekt seiner Kunsttheorie im Abgesang auf die Mechanismen der Auslegung vereint. In dieser radikalen Kritik an Interpretation und Verstndigung und insbesondere in der dadurch bedingten Gleichgltigkeit gegenber den Prinzipien der Referentialitt und/oder Authentizitt liegt ferner die Frage nach der bereits angedeuteten Wechselwirkung der Bildgegenstnde zwischen ihren Rollen als Bedeutungstrger auf der einen und reinen Bildelementen auf der anderen Seite begrndet. Der technologisch ausgeklgelten Ausfhrung der beiden Arbeiten zum Trotz, die momentan in diesem Punkt ihrer Zeit weit voraus zu sein scheinen, vermgen die Darstellungen gerade in diesem oszillierenden Moment den Faden aus einer lngst vergangene Epoche aufzugreifen und weiterzuspinnen. Zu Beginn der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts wurde bekanntlich erstmals die Autonomie der Malerei, die sich in den darauffolgenden fnfzig Jahren bis hin zu ihrer vollstndigen Abstraktion weiterentwickeln sollte, propagiert. Das aufkeimende Pldoyer fr Knstlichkeit und Widersprchlichkeit auch als emanzipative Abgrenzung zu dem gerade neu aufkommenden Medium Fotografie diente dem Ziel, die jahrhundertealte Forderung nach einer rein abbildenden Kunst hinter sich zu lassen. Als Edouard Manet 1861 im Pariser Salon sein erstes Hauptwerk, Der spanische Snger oder auch Der Gitarrenspieler [Abb. 6] prsentierte, das er ebenfalls wie Berresheim zum Zeitpunkt von The Muse im Alter von 28 Jahren vollendet hatte, lie er ein verdutztes, bis dato ausschliesslich in der Exegese biblischer Ereignisse, historischen Rekonstruktionen und den Allegorien der Realisten geschultes Publikum zurck. Die Kritik an seiner allzu alltglichen Darstellung des musizierenden und singenden Mannes in einem diffusen, von der intensiven Farbigkeit weniger Objekte und dem

ausgeprgten Spiel von Licht und Schatten akzentuierten Raum, entzndete sich eben an jenen Details, die zugunsten ihrer Funktion als Bildelemente den von den Traditionalisten eingeforderten Wahrheitsgehalt auen vor lieen sei es das zusammengewrfelte Gewand des Musikers, der angeblich falsche Gebrauch der Hnde an der Gitarre oder seine angestrengt geknstelte Krperhaltung. Das Gros der Kritiker vermochte diese Autonomiebestrebungen nicht zu akzeptieren, und so schien es nur selbstverstndlich, dass man seinerzeit (e)inen Manet mit seiner groflchigen Malerei, seinen motivischen Khnheiten, mit diesen unerklrlichen Physiognomien, die sich nicht gegen den Betrachter ffnen wollen, nichts erzhlen oder verraten5 nur ungern gewhren lassen wollte. Diese Charakterisierung der Manetschen Kombination aus Rumlichkeit, Motivik und Krperlichkeit liest sich wie eine vorlufige Beschreibung der Obey-Reihe, wobei dort insbesondere die angesprochenen Inkommensurabilitten der Figuren auf einem anderen Plateau jenseits der Irritationen, die von einer per se identifizierbaren Person, zum Beispiel einem einsamen Gitarrenspieler, ausgehen knnen stattfindet. Berresheims Bilder erteilen jeglicher potentieller Komplizenschaft mit der auerbildlichen Realitt oder auch den kanonisierten Zeichenreservoirs eine Absage und geben vermeintliche Sicherheiten preis, die den Rezipienten zur Exegese oder Ermchtigung zur Verfgung stehen knnten. Damit wird pathetisch formuliert ex negativo die Machtfrage gestellt, denn hier steht nichts geringeres als die Bedingungen dieser Wissenskonfigurationen zur Debatte. Auf den ersten Blick berraschend wird bei diesem Unterfangen Malerei teilweise reintegriert, wenn auch nicht rehabilitiert. Geschieht dies doch nicht als triumphale Rckkehr eines expressiven Sahnehubchens auf die unerbittlich scharfen Konturen des Computerbildes, sondern als Kontrast zu einem der letzten rezeptionssthetischen Refugien, dem grtmglichen, assoziativen Spielraum, den die reine Abstraktion erffnet. Die Gestaltung einzelner gemalter Details, das heit deren Gre, Form und Farbe, waren bereits zum Zeitpunkt der Anordnung der Bildelemente am Bildschirm festgelegt worden, da die Schatten (des Kopfes) und Spiegelungen (des an der linken Hand herabhngenden Objektes) vor dem jeweils entsprechenden Farbauftrag entstanden. Oder vielleicht doch umgekehrt? Diese verwirrende Kombination verschiedener Techniken ist aber keineswegs nur spielerisches Nebeneinander divergenter Ausdrucks15

formen, sondern ein im ersten Moment unscheinbarer, doch umso nachdrcklicherer Kommentar auf die Verneigungen vor vermeintlich grenzberschreitenden Multimedia-Praktiken. Hier wird nicht aufeinandergetroffen und schon gar nicht interveniert, denn die einzelnen Medien werden eingesetzt, um ihre entsprechend klischeebehafteten Zuschreibungen in diesem Fall unterkhlte Computerkunst versus expressive Malerei in ihre Grenzen zu weisen und in dieser Synchronizitt den Blick fr ihre jeweilige Verfasstheit zu schrfen. Zu sehen waren die Obey-Bilder erstmals im Rahmen der Gruppenausstellung White Boy, die Berresheim zusammen mit Michael Bauer und Stefanie Popp Anfang 2004 im Berliner Ausstellungsraum Autocenter bestritt. Daneben zeigte er sieben kleinformatige Prints (Echte Gefhle), die weitgehend unabhngig von den groformatigen Computerbildern eine Spur zu seinen unzhligen anderweitigen gestalterischen Ttigkeiten, den Schallplattencovern sowie den Flyern und Katalogen fr Brotherslasher, legten. Bei drei dieser Fotografien Portrts, die von Totenkopfmasken bedeckte menschliche Gesichter zeigen wird dieser Zusammenhang umso deutlicher, als diese bereits in dem Ende 2003 erschienenen Heft New Amerika. Hitbeat for Music Lovers. No. 1 auftauchten. In dieser ersten die BrotherslasherKataloge ausgenommen von Tim Berresheim gestalteten und herausgegebenen Publikation werden er selbst sowie seine Arbeiten an keiner Stelle erwhnt, sondern lediglich all seine musikalischen Projekte und Pseudonyme genannt und mit streckenweise hchst skurrilen, gefundenen Abbildungen konfrontiert. Darberhinaus diente das Heft auch als erste Bekanntmachung des Labels New Amerika, das Berresheim nun offiziell zur Katalogisierung der von ihm miteingespielten und produzierten Tontrger ins Leben gerufen hatte und sptestens seit seinem Umzug nach Kln im Februar 2004 im Verbund mit dem dortigen Vertrieb a-musik professionell betreibt.6

VI

[2004] Im Sommer des selben Jahren bndelte Tim Berresheim die unterschiedlichen Bettigungsfelder zum Zwecke des synsthetischen Rundumschlages Dont call us piggy, call us cum, den er zusammen mit seinem mittlerweile regelmigen Kollaborateur Jonathan Meese veranstaltete. Das Vorhaben schlug sich in zwei zu diesem Anlass eingespielten Tontrgern, der LP Dont call us piggy und der 7

Call us cum, nieder, dem ersten und bislang einzigen Konzert des Duos, das im Ladenlokal von a-musik am Kleinen Griechenmarkt stattfand, einer umfassenden Publikation und der gleichnamigen Ausstellung in der Galerie Hammelehle und Ahrens. Auch in diesem Rahmen stie man wieder auf einige der mittlerweile sieben (Band-)namen (neu hinzu kamen beispielsweise Haircar und Pignick), die in krakeligen Schriftzgen nebst sprlichen Figurationen auf ausrangierten Holztren verewigt wurden. Jeweils eines dieser bearbeiteten, auratischen ReadyMades flankiert als denkbar grter Gegensatz und doch integraler Bestandteil die erneut einfigurigen, in hchstem Mae artifiziellen und przisen Computerbilder. Jedenfalls trifft dies auf vier der fnf, allesamt Tea and Coffee betitelten und durchnummerierten Konstellationen zu. Eine Ausnahme bildet in mehrerlei Hinsicht das Triptychon Tea and Coffee 5 [Abb. 7], in dem zwei Tren, auf denen die Vornamen der beiden den Platz der diversen Knstlernamen eingenommen haben, Verwendung fanden. Sie rahmen ein im Vergleich zu den anderen Werken doppelt so groes Bild (220 x 360 cm), auf dem die stehende der beiden Figuren unbemerkt ihrem aufrecht sitzenden, ebenfalls dem Betrachter zugewandten Gegenber ein T-Shirt zuwirft, dessen Vorderseite die zerknitterten Konterfeis von Berresheim und Meese zeigt. Mit der Abbildung dieses bedruckten Bekleidungsstckes hlt die auerbildliche Realitt konkreten Einzug in eine Darstellung, wenn auch in hochgradig selbstreferentieller Manier: die Figur wird ihrerseits zum Fan der Musik, die von ihrem eigenen Erzeuger verffentlicht wurde. Smtliche der dementsprechend nachvollziehbaren Verweise in der Tea and Coffee-Reihe beschrnken sich ausschlielich auf diejenigen Personen bzw. Produkte, die mit diesem wuchernden, von der Ausstellung ausgehenden Gesamtkunstwerk im Zusammenhang stehen. Auf die Spitze getrieben wird die Verschachtelung von bildknstlerischen und musikalischen Ausdrucksformen in dem Computerbild zu Tea and Coffee 4, das eine Abbildung des LP-Covers Dont call us piggy von Tim und Jonathan (oder Tim und Jonathan ?) zeigt, auf dem wiederum Berresheim und Meese zu sehen sind. Indem also die fr die verschiedenen Formationen verantwortlichen Individuen Tim und Jonathan in der Werkreihe ebenso benannt werden wie die einzelnen Projekte, indem die eigenen Produkte ebenso zum Bildgegenstand gereichen wie die spezifischen Subjektivitten und indem sich erneut reich16

lich schleierhafte ikonografische Details wie zum Beispiel die allgegenwrtigen Hanteln auf unterschiedlichsten Reprsentationsebenen als Element des Schallplattencovers, im Katalog zu den Knstlern und in den Computerbildern zu den Figuren gehrig wiederholen, liefert dieses Musik, Skulptur, Computerkunst, Lyrik, Malerei, angewandte Kunst und Fotografie umfassende Gesamtkunstwerk seine eigene Dekonstruktion gleich mit. Die hchst stimmungsvolle, im Detail sperrige Knstlichkeit der Bilder wird mit der materiellen Simplizitt der konstruierten Zuschreibungen diverser Autorschaften kombiniert. Beide leisten ihren Beitrag dazu, dass trotz der ausufernden Ausmae des gesamten Unterfangens eine wohlige synsthetische Rundumversorgung, die die Konturen der einzelnen Gattungen zugunsten des atmosphrischen Gesamteindruckes verunklrt, von vornherein ausgeschlossen werden kann. Das Gegenteil ist der Fall, denn gleich an mehreren Stellen wird Distanz erzeugt und die Wahrnehmung fr die einzelnen Bestandteile des Ganzen geschrft: sei es die beschriebene Kollision der unterschiedlichsten Materialien, die eigenwillige, teilweise fragwrdige Wahl der Namen und Titel oder vor allem die Dokumentation der Produktionsbedingungen von Musik und Kunst in dem Katalog, der sowohl Auszge der Lyrics von Jonathan Meese enthlt als auch Fotos von den beiden in privater Atmosphre, die stellenweise als Vorlagen zu der Gestaltung der Figuren Verwendung gefunden zu haben scheinen. Im Unterschied zu manch anderen Allianzen von Bildender Kunst und Musik mit ihren tautologischen All-Over Strategien man denke nur an so unterschiedliche Anstze wie die Installationen Carsten Nicolais oder die Videoarbeiten von Rodney Graham werden hier nicht die grenzberschreitenden Vereinbarkeiten und Berhrungspunkte, sondern die Brche zwischen den Genres und zwischen der Produktions- und der Reprsentationssphre thematisiert. Dieses allumfassende, aber transparente Prinzip der Synsthesie ruft Bertolt Brechts Kritik am Wagnerianischen Gesamtkunstwerk in Erinnerung, in dessen Gegenentwurf (d)er groe Primatkampf zwischen Wort, Musik und Darstellung (...) einfach beigelegt werden (kann) durch die radikale Trennung der Elemente. Solange Gesamtkunstwerk bedeutet, dass das Gesamte ein Aufwaschen ist, solange also Knste verschmelzt werden sollen, mssen die einzelnen Elemente alle gleichermaen degradiert werden, indem jedes nur Stichwortbringer fr das andere sein kann. Der Schmelzproze erfasst den Zuschauer,

der ebenfalls eingeschmolzen wird und einen passiven (leidenden) Teil des Gesamtkunstwerks darstellt. Solche Magie ist natrlich zu bekmpfen. Alles, was Hypnotisierversuche darstellen soll, unwrdige Rusche erzeugen muss benebelt, muss aufgegeben werden.7 Neben den Computerbildern, deren lebensgroe Protagonisten von Meese im Nachhinein aber scheinbar, wie ein ratloser Blick aus nchster Nhe offenbart, nicht in direktem Auftrag auf die Leinwand bemalt wurden, den angesprochenen Tren sowie einer Handvoll privater, nicht als verkufliche Kunstwerke deklarierter Schnappschsse von den beiden, zeigte Berresheim in dieser Ausstellung zum ersten Mal nach einem bislang einmaligen Versuch im Rahmen der Brotherslasher-Gruppenausstellung Ganz oben zwei Fotoarbeiten (School of Tim und School of Jonathan), in denen die im Umgang mit den dreidimensionalen, vektorgenerierten Krpern erworbenen Erfahrungen zur Anwendung kamen. Die menschenleeren Situationen im Wald beziehungsweise im Park [Abb. 8] wurden von Berresheim selbst mit der Digitalkamera festgehalten, sodass die Figuren und einzelnen Objekte am Computer in die vorgefundene Szenerie eingelassen und im Gegensatz zur Collage oder einer beliebigen anderen Mixed Media-Konstellation sich zu einem zweifelsohne glaubwrdigen Teil des Bildes entwickeln knnen. Erneut wird also das Paradigma multimedialer berlappungen herausgefordert, doch geschieht dies hier von einer gnzlich anderen Seite aus, die diesen hehren Anspruch mit seinen eigenen Waffen zu schlagen versteht. Mithilfe des Compositing einer Technik, die dank der vermehrten Kombination von Animations- und Realfilm in den vergangenen 25 Jahren (ein frhes Beispiel hierfr wre Don Chaffeys Elliot und das Schmunzelmonster von 1977) recht populr wurde gelingt eine irritierend vereinheitlichte Bildsprache, in der eine Trennung der unterschiedlichen Bestandteile beim besten Willen nicht mehr mglich zu sein scheint. Nur wenige Monate nach Beendigung von Dont call us piggy, call us cum nahm Tim Berresheim zum ersten Mal und direkt in seiner Doppelfunktion als Knstler und Ausstellungsraumbetreiber an einer Kunstmesse, der Art Cologne, teil. Am Ende des Ganges, in dem Hammelehle und Ahrens eines seiner Obey-Bilder prsentierten, befand sich im Rahmen der erstmalig eingerichteten Sektion Young Contemporaries die Brotherslasher-Koje. Zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Heike Freudenthal 17

zeigten Berresheim und Bauer neben mittlerweile etablierten Knstlern, die dem Hause nach wie vor nahestanden (Butzer, Selg) auch eine Auswahl weniger bekannter, in erster Linie von ihnen vertretenen (Popp, Linpinsel) sowie all die Brotherslasher- Kataloge, Editionen und im Verbund mit a-musik eine Vielzahl von Knstlerschallplatten. Der Stand sorgte gerade mit dieser kurzweiligen Mixtur nachhaltig fr Eindruck, sodass dem Programm und der Kombination des Gezeigten hufig Lob zuteil wurde, das Adressbuch und der Email-Verteiler sich kontinuierlich fllten und nicht zuletzt die Verkufe die khnsten Hoffnungen bertrafen. Nichtsdestotrotz lieen sie es danach dann doch lieber bleiben, denn die Unternehmung Art Cologne besttigt genau das, was bei Brotherslasher schon in den vergangenen zwei Jahren regelmig thematisiert wurde: dass scheinbar vor allem Vermittlungsstrategien und Image des Ausstellers, nicht das erhoffte bedingungslose Interesse an knstlerischen Ausdrucksformen, von Relevanz sind. Jetzt erst, whrend der Nobilitierung dank der Integration in die Messehallen, konnten, wollten und mussten viele nicht mehr ber der Raum hinwegsehen; nun also waren Kunstinteressierte auch und vor allem aus Kln hei auf die nchste Einladungskarte, erklrten sich Journalisten bereit, ber Brotherslasher zu berichten und konnten Sammler nicht nein sagen. Das knnte man zwar als erfreuliche Anlsse zum Neubeginn interpretieren, doch ist es andererseits nur allzu konsequent, das Experiment gerade hier, am Ende eines ereignisreichen Jahres, mit Pauken und Trompeten zu beenden und sich nach diesem passenden Kommentar zum Kunstbetrieb auf die eigenen Arbeiten zu konzentrieren.

VII

[2005] Im ersten Werkkomplex, der nun in diesem Jahr entstand, spielten Fotografien im Vergleich zu Dont call us piggy, call us cum eine tragendere Rolle. Danish Blue, so der Titel des Ganzen, beinhaltet neben sieben einfigurigen Computerprints eine gleiche Anzahl kleinerer Fotoarbeiten (30 x 40 cm), wobei die Zuordnung potentieller Pendants in dieser Konstellation nicht obligatorisch ist, sondern den Betrachtern berlassen wird. Der augenscheinlichste Unterschied zu den letztjhrigen Arbeiten besteht nun darin, dass diesmal Objekte in die vor Ort vorgefundene Situation eingearbeitet wurden. Mit dieser erstmaligen Entscheidung zuungunsten von Figuren untermauern die beiden Danish Blue-Reihen vor dem Hintergrund ihrer dialektischen Beziehung

in diesem Spiel der An- und Abwesenheit von Krperlichkeit die These, dass in Berresheims bisherigem Werk im allgemeinen Mglichkeiten und Bedingungen von Bildproduktion, Bedeutungstrgerschaft und Rezeptionsmechanismen einer permanenten Reflexion unterzogen werden. Bei den groformatigen Computerbildern stechen zwei architektonische und figurative Elemente besonders ins Auge: einige der weiten Bildrume werden durch zustzlich eingezogene Wnde in ihrer gesamten Hhe vertikal gegliedert, auerdem sind hier in allen sieben Fllen ausschlielich weibliche, zumeist unbekleidete Figuren zu sehen [Abb. 9]. Darberhinaus nahmen Intensitt und Diversifikation der Beleuchtung und der Farbigkeit erneut im Vergleich zu den vorhergegangenen Arbeiten zu, sodass der Danish Blue-Komplex die bislang theatralischsten der Computerbilder beinhaltet. Verstrkt wird dieser Eindruck durch die Tatsache, dass in fast allen Bildern der klassische kunsthistorische Untersuchungsgegenstand des Faltenwurfs, der bereits seit dem frhen Mittelalter unzhlige Generationen von Bildhauern und Malern herausgefordert hat, eine prominente Rolle spielt. In all diesen Werken also, in denen nicht die narrativen, anekdotischen oder referentiellen Belange von Interesse sind, sondern das Ausloten von Farb- und Formexperimenten, die Anordung der Elemente und ihre internen Beziehungen im Bildraum sowie die Suche nach dem perfekten Lichteinfall beziehungsweise Schatten- und Faltenwurf im Dienste einer in sich geschlossenenen, unvorgngigen visuellen Erfahrung, werden diese knstlichen Statthalter der Krperlichkeit entsprechenden non-figurativen Farbflchen und Konturen vorgezogen. Gerade dieses fr die Betrachter identifikatorische, aber auch unheimliche Element steht einer lapidaren und geflligen Fluchtmglichkeit in abstrakte oder assoziative Gefilde im Wege, sodass einen diese nicht unbetrchtliche Hrde zu einer Auseinandersetzung mit bildinternen Fragestellungen fast schon in die Knie zu zwingen vermag. Gleichzeitig aber verlangt diese physiologische Penetranz, die ja in ihrer buchstblichen und semantischen Nacktheit einen integralen Bestandteil der Hermetik dieser Bilder ausmacht, eine intensive Bereitschaft zur berwindung und Konzentration, die sich fast zwangslufig als Belohnung sozusagen auf die grundstzliche Wahrnehmung von Bildern bertrgt. Und dafr muss man eigentlich dankbar sein. Die Danish Blue-Fotografien hingegen verzichten zwar 18

vllig auf die Darstellungen menschlicher Krper beziehungsweise ihrer computergenerierten Simulationen, verstrken aber gleichzeitig in deren Abwesenheit den Eindruck, dass diese Figuren bis dato nicht als Auslser existenzialistischer Gedankenspiele, sondern in erster Linie als Konstruktionselemente derart unnachgiebig eingesetzt worden sind, formulieren sie doch mit ihren allzu konkreten Objekten, die deren Stelle einnehmen, eine erneute Absage an das weite Feld der persnlichen Assoziationen und das frei flottierende Spiel der kunst- und kulturhistorischen Referenzen. Indem die in mutmalich drflicher Umgebung zu nchtlicher Stunde abgebildeten geometrischen Formen unzweideutig akkurat geschnittenen Kseecken und Baguettestangen hneln [Abb. 10], wird dem gedanklichen Spielraum, den in diesen Fllen abstrakte Formen htten gewhrerleisten knnen, von vornherein Einhalt geboten, denn gerade diese allzu konkreten, sich selbst gengenden Formen zwingen ebenfalls zur Reflexion bildinterner Gesichtspunkte wie Aufbau, Komposition und Beleuchtung es sei denn, Sie legten Wert darauf, sich allen Ernstes ber die Kombination von Schimmelkse und weiblichen Figuren Gedanken zu machen. Nicht nur auf sthetischer, auch auf technischer Ebene sehen sich die Rezipienten mit der befremdlichen Geschlossenheit dieser neuartigen Ausdrucksformen konfrontiert, denn die Medienkompetenz selbst von Kunstkritikern und Kunsthistorikern drfte bei den Computerprints und Fotografien an ihre Grenzen stoen. Whrend die Aneignung der technischen Grundlagen von Malerei, Bildhauerkunst und Druckgraphik gngiger Bestandteil kunstgeschichtlicher Einfhrungsseminare oder praxisorientierter museumspdagogischer Kurse ausmacht, drften sich zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige Kunstwissenschaftler finden, die auch nur annhernd die technischen Verfahrensweisen dieser letzlich hochkomplexen Arbeiten nachvollziehen bzw. vor diesem Hintergrund einer adquaten Bewertung unterziehen knnten. Das mag kein gnzlich neues Phnomen sein, doch zumindest ist es Wasser auf die Mhlen derer, die schon seit einigen Jahren eine Annherung der Kunstgeschichte an die Visual Studies fordern, die auch aufgrund der Komplexitt und Vielfalt der Medien von den traditionell primr technischen Bewertungskriterien und Klassifizierungen Abstand nehmen. In der Tat stiee man bei der Zuteilung der Computerbilder unter primr materialsthetischen Prmissen rasch an seine Grenzen. Welchen Sinn wrde es machen, diese Arbeiten lediglich aufgrund der Tatsache, dass ein betrchtlicher Teil von ihnen

ausschlielich am Computer entstanden ist, in die Behelfsrubrik Neue Medien zu verbannen? Anders gefragt: ist nicht nachweislich die Geschichte der Malerei und der Fotografie in diesem Zusammenhang von weitaus grerem Interesse als die jngste Geschichte computerbasierter Kunst, wie sie seit Mitte der 90er Jahre Stichwort Interaktive Kunst auf Rummelpltzen wie zum Beispiel der festen Sammlung des Karlsruher ZKM gezeigt werden? Und lsst die Kunst Tim Berresheims nicht von daher medienspezifische Diskurse hinter sich, um gleichzeitig die Mechanismen und Definitionsgrundlagen der Kunst- und Bildwissenschaften zu hinterfragen? Neue Medien hin oder her, immerhin sind die Arbeiten in erster Linie eines: Bilder. Der Computer ist hier lediglich Mittel zu dem anvisierten Zweck, Bildrume, Figuren, Objekte sowie deren Konfigurationen und Konstellationen so przise wie nur denkbar darzustellen, um sie schlielich auf einem adquaten Bildtrger zu prsentieren. Erst dann ist die Arbeit vorhanden, wenn sie in dieser Form als Original es gibt lediglich einen zertifizierten Ausdruck und keine Auflagenarbeiten ihren relativen Status, in dem sie selbst nach ihrer Vollendung auf der Festplatte verbleibt, hinter sich gelassen hat.

VIII

[2005] Auch mit der jngsten Werkgruppe, in der er zusammen mit dem Klner Maler Thomas Arnolds computergenerierte Figuren mit Fotografie und Malerei kombiniert, stellt Berresheim die Trennung zwischen vermeintlich neuen und traditionellen Medien ein weiteres Mal auf den Prfstand. Gemeinsam fertigten sie 20 Arbeiten an, die unter dem Slogan FYW im Juni in dem Dsseldorfer Ausstellungsraum UBERBAU zu sehen waren und in dem gleichnamigen Katalog begleitet von einer einfhrenden Geschichte aus der Feder Jonathan Meeses dokumentiert sind. Die Schwarz-Weiss-Fotografien wurden ausschlielich nachts aufgenommen und zeigen verlassene Orte an den unwirtlichen Auslufern stdtischer Bebauung. Zune, Tore, Pfeiler, Gelnder, Treppen und Gestrpp beherrschen gemeinsam mit den durchweg schneebedeckten Bden Stimmung und Bildaufbau. Im Gegensatz zu Meese, der im Rahmen von Dont call us piggy, call us cum nur einzelne Partien der Computerfiguren in rot und schwarz bemalte, bedient sich Arnolds der gesamten Farbpalette und macht in einigen Fllen auch nicht davor halt, die Krper vollstndig

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zu bemalen [Abb. 11]. Die Sujets der FYW-Bilder erinnern an die nachkolorierten, unheimlichen Fotografien des Surrealisten Hans Bellmer, der seine selbstgebauten Puppen seit den 1930er Jahren in Wldern oder huslicher Umgebung in Szene setzte. Seine zweite Puppe, die er 1935 entwickelt hatte und die seitdem das Modell seiner erotomanischen Fotografien war, erlaubte ihm dank seiner neuartigen Konstruktionen die Loslsung von den Ordnungsprinzipien des menschlichen Krperbaus [Abb. 12]. Mithilfe des zentralen Kugelelementes, um das einzelne Gliedmaen in mannigfaltiger Variation angebracht werden, vermochte er einzelne Krperteile neu anzuordnen und zu vervielfachen und selbst organische Vernderungen durch arithmetische Formen der Verdoppelung und der Multiplikation zu simulieren. Doch bleibt diesen syntagmatischen Metamorphosen nach wie vor das Korsett der Mechanik umgelegt. Deren rhythmisierende und repetitive Abfolgen kennzeichnen die Herstellung dieser abnormen Figuren wie sie die fordistischen Arbeits- und Produktionsverhltnisse ihrer Entstehungsphase charakterisieren. Im Gegensatz dazu ist Tim Berresheim ein paradigmatischer Knstler des Postfordismus, sind doch die kleinsten Einheiten seiner dreidimensionalen Figuren entsprechend ihrer Entstehung in einer nachindustriellen, computergesttzen Informations- und Dienstleistungsgesellschaft lediglich Informationen. Die vektorgenerierten Krper in der FYW-Reihe sind noch deutlicher als ihre Vorgnger starken Permutationen, Wucherungen und Ausdehnungen unterworfen. Die digitalen Umformungen ereignen sich jedoch unabhngig von Zentren und Basen, ausserdem ist die Gestaltung ihrer Knstlichkeit fr den Betrachter im Gegensatz zu den akkumulativen Anordnungen um Bellmers Kugellager nicht nachvollziehbar. Diese wurden ihrerseits auch regelmig mit den sprachlichen Formen des Anagramms und des Palindroms oder der Idee der semantischen Befreiung in Verbindung gebracht.8 Berresheims Manipulationen dagegen sind weder auf kleinste Bedeutungseinheiten zu reduzieren noch handelt es sich bei ihnen um neucodierte Auslser wie auch immer gearteter Phantasmen. Insofern ist es nur konsequent, dass die Figuren nicht als Projektionsflchen funktionieren und lediglich Bestandteile von Bildern sind, die sich den Exklusionen sprachlich vermittelter gemeinsamer Nenner entziehen. Trotz dieser Unvereinbarkeiten sind diese und auch alle anderen angesprochenen Werke Tim Berresheims nicht als

Pldoyer fr eine Rckkehr zu der Unverfnglichkeit des lart pour lart misszuverstehen, denn die unausweichliche Intensitt der Betrachtung vermag, wie bereits deutlich wurde, den Blick fr anderweitige Produkte Bildender Kunst sowie fr Bildsprachen und -politiken im allgemeinen zu schrfen. Diese in den Bildern angelegte Transferleistung erinnert in der Sensibilisierung fr zumindest eine bestimmte Form der Wahrnehmung an ein musikalisches Werk mit ebenfalls pdadogisch-analytischen Folgeerscheinungen. Es handelt sich um eine Komposition, die Berresheims Dogma des hchstmglichen Grades an Knstlichkeit zugegebenermassen diametral gegenbersteht: John Cages Komposition 433, die ihren Titel aufgrund der entsprechenden Lnge der sagenumwobenen Urauffhrung des Pianisten David Tudor 1952 in Woodstock/New York verdankt. Die drei Stze dieses Stckes wurden dadurch markiert, dass Tudor zu Beginn eines jeden Satzes den Deckel des Pianos hebt und am Ende wieder schliet, jedoch in dem dazwischenliegenden Zeitraum nichts unternahm. Dennoch wurde durch die Markierung der Anfangs- und Endpunkte dasjenige, was sich whrenddessen ereignete, also smtliche zuflligen Nebengerusche zur Musik erklrt. Da fr Cage das Nicht-intentionale von grter Bedeutung ist, ignoriert er die tradierte Vorstellung des Knstlersubjekts und lsst im denkbar grten Gegensatz zu Berresheim das hchste Ma an auerknstlerischer und -knstlicher Wirklichkeit zu. An zwei Punkten jedoch treffen sich die extrem widersprchlichen sthetischen Entwrfe: zum einen in der hermetischen Strenge hier das hchste Mass an Knstlichkeit, dort das hchste Mass an Realitt; zum anderen in der konzentrierten Darreichung hier die Verdichtung der Bildelemente, dort Verdichtung der Ereignisse. In beiden Fllen wird sowohl der Symbolik als auch der Referenzialitt eine klare Absage erteilt, denn sowohl bei Berresheim als auch bei Cage stehen die Bedingungen menschlicher Wahrnehmung, das heisst die eigene Krperlichkeit, in unmittelbarem Zusammenhang mit dem prsentierten Werk. All diese Elemente sensibilisieren ber die Rezeption des abgeschlossenen Werkes hinaus den Umgang mit bildnerischen und klanglichen Darbietungen. Der von Cage in den 1950er und 1960er Jahren nachhaltig beeinflusste Minimalmusiker und Fluxusknstler La Monte Young konstatierte dereinst, dass das Schreiben ber Kunst in etwa so sinnlos wre wie ber Architektur zu tanzen. Da hat er 20

gewiss nicht so Unrecht. Wer wei, vielleicht wre es in der Tat angebrachter, ber die Kunst Tim Berresheims zu musizieren anstatt seitenlang Papier vollzuschreiben. In der mutmalich hoffnungslosen Versuchsanordnung fr eine adquate musikalische Umsetzung wrde dann ein tief wummernder, extrem verzerrter, doch wohliger Bass beginnen; kurz darauf wrde eine messerscharf abgemischte Gitarre mit gehrig mehr Hhen als Steve Albini je zu mischen wagte die subsonischen Schwingungen sezieren, deren przise abgetrennte Portionen in der Folge mit leisen, aber spitzen Schreien konfrontiert werden wrden. Fehlt also nur noch das Schlagzeug. Doch an dieser Stelle setzt dann natrlich der funky rollende Drumcomputer ein, denn die Hermetik muss ja gewahrt bleiben. Es msste schon mit dem Teufel zugehen, sollte sich der Raum vor der Bhne nicht alsbald leeren. Sollten Sie sich doch gentigt fhlen, das Tanzbein zu schwingen, wrden Sie gewiss schneller als Ihnen lieb ist den deformierten Physiognomien der Computerprints hneln. Vielleicht sollten Sie es aber lieber bleiben lassen und stattdessen einfach die Fresse halten. Das wrde wahrscheinlich auch nicht schaden. Tut mir leid, aber irgendwo muss es ja nun mal enden. Wolfgang Brauneis

1 vgl. Leeb, Susanne, Metamalerei. Interview mit Albert Oehlen, in: Texte zur Kunst, Dezember 1999, 9. Jhg., Heft 36, S. 53 57 2 Man denke nur an den Ausstellungszyklus Painting on the Move, der ebenfalls im Frhjahr 2002 parallel zur Art Basel in drei Baseler Museen zu sehen war und den neuesten Trend auf dem Kunstmarkt mit einer kunsthistorischen Legitimation versah, die an Nachdrcklichkeit nichts zu wnschen brig liess. Ausserdem entwickelten sich im Schatten derartiger Blockbuster seinerzeit ungeachtet der unterschiedlichen Strategien, knstlerischen Anstze oder der nach aussen transportierten Haltung stetig die Hypes um die jungen, deutschen Maler der sogenannten Neuen Leipziger Schule oder der Berliner Galerie Guido W. Baudach (seinerzeit noch Maschenmode). 3 vgl. ebd., S. 55 4 vgl. dazu Brauneis, Wolfgang, Sinners Devotion, in Kat. Tim Berresheim und Jonathan Messe, Dont Call Us Piggy Call Us Cum, Kln, Galerie Hammelehle und Ahrens, 2004, o. S. (S. 4 8) 5 Keller, Horst, Edouard Manet, Mnchen 1989, S. 34 6 Fr weitere Informationen zu New Amerika siehe: www.na-o.com 7 Brecht, Bertolt, Anmerkungen zur Oper, in: ders., Versuche 112. Heft 14, Berlin 1963, S. 101107; hier S. 104 8 vgl. Mller-Tamm, Pia und Sykora, Katharina, Puppen Krper Automaten. Phantasmen der Moderne, in: dies., Puppen, Krper, Automaten. Phantasmen der Moderne, Dsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 1999, S. 65 93; hier S. 84

Abb. links: Tim Berresheim, Obey 1, 2004 Computerprint und l auf Leinwand 200 x 180 cm Left image: Tim Berresheim, Obey 1, 2004 computerprint and oil on canvas 200 x 180 cm

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Abb.1: Albert Oehlen, Plakat (Esther Freund 1999), 1999, inkjet plot, 220 x 170 cm, Privatsammlung [Kat. Albert Oehlen, Terminale Erfrischung, Hannover, Kestner-Gesellschaft 2001, Abb. 43] Image 1: Albert Oehlen, Poster (Esther Freund 1999), 1999, inkjet plot, 220 x 170 cm, private collection [Cat. Albert Oehlen, Terminale Erfrischung, Hannover, Kestner-Gesellschaft 2001, image 43]

Abb. 2: Installationsansicht Offene Haare, offene Pferde Amerikanische Kunst 193345, Klnischer Kunstverein 2002 [Kat. Offene Haare, offene Pferde Amerikanische Kunst 1933-45, Kln, Klnischer Kunstverein 2002, S. 16] Image 2: installation view Offene Haare, offene Pferde Amerikanische Kunst 193345, Klnischer Kunstverein 2002 [Cat. Offene Haare, offene Pferde Amerikanische Kunst 193345, Kln, Klnischer Kunstverein 2002, page 16]

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Abb. 3: Tim Berresheim und Jonathan Meese, Releaseparty bei Contemporary Fine Arts Berlin, Dezember 2003 Image 3: Tim Berresheim and Jonathan Meese, Releaseparty at Contemporary Fine Arts Berlin, December 2003

Abb. 4: Tim Berresheim, The Muse, 2003 Computerprint 250 x 400 cm Image 4: Tim Berresheim, The Muse, 2003 Computerprint 250 x 400 cm

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Abb. 5: Tim Berresheim Obey 1, 2004 Computerprint und l auf Leinwand 200 x 180 cm Image. 5: Tim Berresheim Obey 1, 2004 computerprint and oil on canvas 200 x 180 cm

Abb. 6: Edouard Manet Der spanische Snger oder auch Der Gitarrenspieler, 1860, l auf Leinwand, 147,3 x 114,3 cm, New York, Metropolitan Museum of Art [Horst Keller, Edouard Manet, Mnchen 1989, Abb.8] Image 6: Edouard Manet The Spanish Singer, also known as The Guitarist, 1860, oil on canvas, 58 x 45 inches, New York, Metropolitan Museum of Art [Horst Keller, Edouard Manet, Munich 1989, image 8]

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Abb. 7: Tim Berresheim und Jonathan Meese Tea and Coffee 5, 2004 Teil A: l auf Tre, ca. 220 x 90 cm Teil B: Computerprint/l auf Leinwand, 200 x 360 cm, zweiteilig Teil C: l auf Tre, ca. 195 x 90 cm Image 7: Tim Berresheim and Jonathan Meese Tea and Coffee 5, 2004 part a: oil on door, approx. 220 x 90 cm part b: computerprint/oil on canvas, 200 x 360 cm part c: oil on door, approx. 195 x 90 cm

Abb. 8: Tim Berresheim und Jonathan Meese School of Tim, 2004 l auf Photo 180 x 120 cm Image 8: Tim Berresheim and Jonathan Meese School of Tim, 2004 oil on photo 180 x 120 cm

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Abb. 9: Tim Berresheim, Danish Blue 4, 2005 Computerprint 200 x 180 cm Image 9: Tim Berresheim Danish Blue 4, 2005 computerprint 200 x 180 cm

Abb. 10: Tim Berresheim, Danish Blue 5, 2005 Computerprint 200 x 180 cm Image 10: Tim Berresheim Danish Blue 5, 2005 computerprint 200 x 180 cm

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Abb. 11: Tim Berresheim und Thomas Arnolds FYW 3, 2005 Photo 40 x 30 cm Image 11: Tim Berresheim and Thomas Arnolds FYW 3, 2005 Photo 40 x 30 cm

Abb.12: Hans Bellmer La Poupe. Seconde Partie, o.J. (1936) Fotografie, Originalabzug, Silbergelatine, handkoloriert, 12,1 x 9,3 cm, Berlin, Kupferstichkabinett [Kat. Begierde im Blick. Surrealistische Photographie, Hamburg, Kunsthalle 2005, S. 146] Image 12: Hans Bellmer La Poupe. Seconde Partie, o.J. (1936) photograph, original copy, silver gelatine, hand coloured, 12,1 x 9,3 cm, Berlin, Kupferstichkabinett [Cat. Begierde im Blick. Surrealistische Photographie, Hamburg, Kunsthalle 2005, page 146]

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