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NEUE METHODEN DER ERFORSCHUNG - MGH …tudines monasticae durch B. Alhers zu erwähnens), Arbeiten von A. Wilmarts) und G. Morin4) zu Zeugnissen klösterlicher Oherliefemng. Sozialgeschichtlicher

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NEUE METHODEN DER ERFORSCHUNG DES MÖNCHTUMS IM MITTELALTER

VON

JOACHIM WOLLASCH

DIE Erforschung des Mönchtums im Mittelalter hat sich nach dem Ende des zweiten Weltkrieges nicht ohne Bruchstellen entwickelt. Davor hatte eine Fülle gestanden. Neben den Werken, die in der Beobachtung der Ursprünge des Mönchtums auf dessen Wesen hin- wiesen'), gab es durchaus weit gefächert Impulse zur methodischen Erforschung des als Reformmönchtum verstandenen Mönchtums im Mittelalter. Hier wären z. B. Edition und Untersuchung der Consue- tudines monasticae durch B. Alhers zu erwähnens), Arbeiten von A. Wilmarts) und G . Morin4) zu Zeugnissen klösterlicher Oherliefemng. Sozialgeschichtlicher Sichtweise, wie sie sich nach dem zweiten Welt- krieg allgemein durchsetzte, im Blick auf das mittelalterliche Mönch- tum hat U. Berliere mit seinen Untersuchungen zu Konventsstärken

') So etwa A. Harnack, Das Mönchtum. Seine Ideale und seine Geschichte 8.-10. Auflage 1921, K. Holl, Enthusiasmus und Bußgewalt beim griechi- schen Mönchtum 1898, ders., Ober das griechische Mönchtum, Ges. Anf- sätze zur Kirchengeschichte 11 (1928), K. Heussi, Der Unprnng des Mönch- tums (1936) U. a. ?) B.Albers, Consuetndines Monasticae 1-5, (1900-1912), ders., Unter- suchungen zu den ältesten Mönchsgewohnheiten (Veröff. ans d. kirchen- histor. Sem. München 2. Reihe Nr. 8, 1905). Weitere Arbeiten sind ebd. zitiert. Die Verbrüdernngen von Deutz hat er in StMBO 16, 1595, S. 96 ff. herausgegeben. 3, Z. B. A. Wilnzart, Le couvent et la bibliothique de Cluny Vers le milieu du XIc sikcle (Rev. Mabillori 11, 1921, S. 89-124) od. ders., Une riposte de l'ancien monachisme au manifeste de Saint Bernard (Rev. Ben. 46, 1934, S . 296ff.), ders., Le poime apolog6tique de Pierre le V6nirabie et les poimes connexes (ebd. 51, 1939, S. 53 ff.). ') G. Moßn, Les quatre plus anciens calendriers du Mont-Cassin (Rev. Ben. 25, 1908 - gleichzeitig mit E. A. Loews Arbeit über die ältesten Kalendarien aus Monte Cassino), ders., Un fragment du Rouleau mor- tuaire du Cardinal Binedictin Milon de Palestrina (Rev. d'Hist. eccl. 4, 1903, S. 241 8.).

Histori~me Zeitsdiiift, 225. Band 35

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530 Historische Zeitsclrrifr Band 225 (19771

und Mösterlichen Verbrüderungen vorgearbeitets). Alle genannten Autoren gehörten selbst dem Benediktinerorden an. Dies gilt auch für R. Molitor mit seinem Ansatz „Aus der Rechtsgeschichte bene- diktinischer Verbinde"6). Rechts- und verfassungsgeschichtlich orien- tiert, dabei aber bis zu den von der Voikskunde beobachteten Bräu- chen geöffnet sind G. Schreibers Bücher über Kurie und Kloster und Gemeinschaften des Mittelalters von 1910 und 19487). Ober die grundlegenden Leistungen Sackurss), Tomeks*) U. a. führten nicht nur die von der Diplomatik geprä@en Arbeiten H. Hirschslo), A. Brackmannsll) und Th. Mayers'" hinaus, sondern insbesondere, was G. Tellenbach auf eine vom Schlüsselwort liberras her erschlossene Gesamtschau der Investiturstreitszeit hin über monastische Reform- richtnngen geschrieben bat's). Ein Jahr davor war „Le monachisme clunisien" von G. de Valous erschienen, jenes zweibändige Werk, in dem nach Sackurs eher von außen dargestellter Geschichte der Clu- niacenser diese in ihren klösterlichen Lebensgewohnbeiten erforscht werden solltenl4). Auf eine Gesamtschau aus henediktinischer Sicht angelegt ist die sechsbändige, seit 1948 erschienene Histoire de l'or- dre de Saint-Benoit von Pb. Schmitz';), während die Cistercienser in

5) U. BerliC~e, Le nombre des moines dans les anciens monasteres (Rev. Ben. 41, 1929, S. 231ff. u. 42, 1930, S. 19ff.L ders., Les fraternites monastiques et leur r6le juridiqne (Acad. Royale de Belgique, Cl. des Lettres et des Sc. mor. et pol., Memoires, Coll. in 8O, 2e sir., t. 11, 1920), um nur diese Arbeiten hier zu nennen. 6) R. Molitor, Ans der Rechtsgeschichte bcnediktinischer Verbande 1-3 (1928-1933). ') G. Schreiber, Kuriennd Kloster im 12. Jh. (Kircbenrechtl. Abh. hg. v. U. Srirrz 6548) 2 Bde. 1910, ders, Gemeinschaften des Mittelalters (1948). 8) E. Sackur, Die Cluniacenser in ihrer kirchl. und allgem. gesch. Wirk- samkeit bis zur Mitte des 11. Jhs. 1 (1892) und 2 (1894) (ND: 1971). 8 ) E. Tomck, Studien zur Reform der dt. Klöster im 11. Jh. 1. Teil (1910). 13 Vorab H. Hirsch, Die Klosterimmunität seit dem Investiturstreit (1913). ") VgI. bes. den Neudruck der Arbeiten A. Brackmanns unter dem Titel „Zur politischen Bedeutung der kluniazensischen Bewegung" durch d. Wiss. Buchges. Darmstadt 1955 (Libelli 26). 12) Th. Maver. Fürsten und Staat. Studien zur VerfassunEseesch. d. dt. . . ~ittelalters'(l950). 13) G. Tcllenbnch, Libertas. Kirche n. Weltordnung im Zeitalter des Inve- stiturstreites (Forsch. z. Kirchen- U. Geistesaesch. 7, 1936, bes. S. 94% 114 ff. U. 204 f.).

- i4) G. de Valous, Le Monachisme clunisien des origines an XVe siecle. Vie interieure des monasteres et oreanisation de l'ordre 2 Bde. (1935, 21970). '9 Ph. Schmitz, Histoire de 1'o;dre de Saint Benoit 1-6 (1948/49).

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J . Wollasclz, Erforschung des Mönchtums inz Miiirlalfei 531

den ersten Nachknegsjahrgängen der Analecta sacri ordinis Cister- ciensis an die Edition ihrer frühesten Quellen gingen. Die stattliche Ausgabe der cisterciensischen Generalkapitelsbeschlüsse hatte schon vor dem Krieg Canivez vorgelegt1G). Wie eine teilweise Vorwegnah- me dessen, was derzeit als Histoire des mentalites im Gespräch ist, mutet an, was J. Leclercq O.S.B. 1948 unter dem Titel La vie parfai- te an monastischen Zeugnissen des Mittelalters ausgebreitet und be- sprochen hat, nachdem er bereits 1946 über die Spiritualität des Pier- re de Celle und über Abt Petrus Venerabilis von Clnny vielbeachtete Bücher veröffentlicht hatte").

Vieles Wichtige ist in diesen Andeutungen nicht genannt. Und doch genügen sie schon, um zu erkennen, daß im Neuanfang nach dem zweiten Weltkrieg von der Erforschung des mittelalterlichen Mönchtums manch frühere Fährte übersehen und weiterführende Perspektiven offensichtlich gar nicht erkannt worden sind. Das er- weist K. Hallingers O.S.B. ,,Gone-Kluny", seine 1950/51 in 2 Banden erschienenen „Studien zu den monastischen Lebensformen und Ge- gensätzen im hoch mittel alter“^^). Unter dem modern klingenden Titel verbirgt sich nicht eine historische Darstellung. Vielmehr sind an den Anfang des Werkes Thesen gestellt, in deren Ableitung analytisch, logisch-systematisch, deduktiv Ergebnisse und Bestätigungen für die- se aus den Quellen zu finden versucht werden. Die Auffassung des hochmittelalterlichen Reformmönchtums als eines - in ,,Junggorze" und ,,JungklunyU nochmals erneuerten - Dualismus zwischen ,,Reichsmönchtum" und „burgundischem", ,,westlichema, „erobe-

' 6 ) J. Canivez, Statuta Capitulorum Generalium Ordinis Cisterciensis ab anno 1116 ad annum 1786, X Bde. (1933-1941). Die frühesten Quellen der Cisterciensergeschicbte liegen nun vor: Les plus anciens textes de Citeaux. Introduction et edition des textes par J. de la Croix-Bouton et Jean B. van Dnmme, Achel, 1973 (Gteaux. Commentarii Cistercienses. Studia et Documenta 11). 17) J. Leclercq, La vie parfaite. Points de w e sur i'essence de l'6tat religieux (Tradition monastique 1, 1948), ders., La spiritualite de Pierre de Celle (19461, ders., Pierre le Venerable (1946). ' 8 ) K. Hallinger, Gorze-Kluny. Studien zu den monastischen Lebensfor- men und Gegensätzen im Hochmittelalter, 2 Bde. (Studia Anselmiana XXII/XXIII U. X X I V p Rom 1950/51).

35.

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532 Historische Zeifsclirift Band 225 (1977)

rungslustigem" und ,,reichsfeindlichem" Mönchtum mutet im Rück- blick auf die Jahre n a h dem Ende des 2. Weltkricges befremdend archaisch an. Im Zug zur Sozialgeschichte geradezu zu~ckgehliehen nimmt sich Hallingers Postulat des ,,monarchischen Prinzips der Fi- liation'' aus und sein Versuch, klösterliche Reformbewegungen über „Äbteaustausch" und ,,Äbtereihen", nicht aber über das je in einem Kloster zwischen Abt und Konvent gefundene Verhältnis zu verfol- gen. Nach dem, was bis zum 2. Weltkrieg an Erforschung des mittel- alterlichen Mönchtums schon geleistet und vor dem, was noch nicht geleistet war, erwartete man nicht die Aufiindung wie immer gearte- ter Gesetzmäßigkeiten aus benediktinischer oder anderer ,,Innenop- tik"lg), sondern methodische Hilfen zur Durchdringung der kiösterli- d e n Überlieferung und der klösterlichen Gemeinschaften, von denen diese Oherliefemng hervorgebracht worden ist. Denn zu wenig wußten und wissen wir noch von den Konventen der einzelnen Klö- ster und vom Vorgang einer Reformbewegung. Es verwundert daher nicht, daß Hallingers Buch in einem und demselben Jahr 1952 solch unterschiedliche Beurteilungen erfuhr:

',Die Differenzierung innerhalb der monastischen Bewegung bil- det das Thema, das in dem voluminösen neuen Buche auf denkbar breitester Materialbasis und mit scharfsinnigster Durchdringung des Stoffes e n d g ü l t i g (Sperrung vom Verf.) gelöst wird. Auf Ein- zelkorrekturen durch spätere Detailforschung muß man gefaßt sein, aber daß das Ergebnis im Prinzip noch einmal erschüttert werden könnte, ist eine schwer voliziehbare Vorstellung~O)." Und:

„Vf. steigert sich im Eifer des Beweisens leider in eine Art von immer stärker werdender Schwarzweißmalerei zugunsten Gorzes hinein, die auf den kritischen Leser zunächst nur befremdend wirkt, ihn aber zuletzt - und das ist bedauerlich - an der Haltbarkeit der so gefundenen Resultate zweifeln l'aßt. Angesichts der weitreichenden Folgerungen für die allgemeine Geschichte wird die Forschung daher nicht umhin können, Hallingers Ergebnisse an Hand seines Materials nochmals in den Einzelheiten zu überpNfen21)."

'9) S. U. Anm. 42. 20) Th. Sckiefler, Cluniazensische oder gorzische Reformbewegung? (Arch. f. mittelrhein. Kirchengesch. 4, 1952, S. 24ff., neugedr. in: Cluny. Beiträge zu Gestalt und Wirkung der cluniazensischen Reform (Wege der For- schung 241) hg. V. H. Richter 1975, S. 63). ") Besprechung durch F. Weigle in DA 9, 1952, S. 585.

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I . Wollasch, Erforschung des Mörzchtums im Mittelalter 533

Dies ergab sich denn auch in der Folgezeit. Mehrfach wurden im Blick auf die fehlenden methodischen Grundlagen des Buches Hallin- gcrs dessen Ergebnisse in Frage ge~tellt2~). Um so verwunderlicher, daß 1971 ein unveränderter Nachdruck seines Buches erschienen ist?%). Erstaunlich auch, daß 1975, während die Erforschung gerade der von Cluny ausgegangenen Reformbewegung in vollem Fluß ist, ein Band ,,Clunyt' in der Reihe „Wege der Forschung" gedruckt wurde, in dem eine Rezension von 1952, die Hallingers Hauptthema als ,,endgültig gelöst" crklart hatte, wiederholt worden istza). Gleich- zeitig mit dem Neudruck der rühmenden Rezension des Buches Hal- lingers konnte dieser in der HZ 221 (1975) J. Wollaschs Schrift, „Mönchtum des Mittelalters zwischen Kirche und Welt", Münster- sche Mittelalter-Schriften 7 (1973), die sich mit seinen methodischen Vorstellungen insgesamt auseinandersetzt, ungewöhnlich negativ re- zensieren, ohne den Lesern der H Z mitzuteilen, daß dann eine Aus- einandersetzung mit dem eigenen Buch enthalten istzj). Um Hallin- gers hierbei gewählte Polemik für sich sprechen zu lassen26) und zu einer Versachlichung zu kommen, handelt der vorliegende Beitrag nur von vorhandenen bzw. fehlenden Methoden in der Erforschung des mittelalterlichen Mönchtums. Das erscheint unabweisbar, da sich Hallinger in seiner genannten Rezension gegen den methodischen Ansatz in der rezensierten Schrift, die Wösterlichen Gemeinschaften

Neben der Rezension Weigles seien hier genannt H. Dauphin, Monastic Refoms from the Tenth Century to the Twelfth (The Downside Review 70, 1952, S. 62 E.), J. Stiennon, CIuny et St. Trond (1955), J. Leclercq, Cluny fut-il ennemi de la culture? Rev. Mabillon 47, 1957, S. 172ff.1, G. Tellenbach, Zum Wesen der Cluniacenser (Saeculum 9, 1958, S. 370 E.), J. Wollnsdi, H.-E. Mager U. H . Diener, Neue Forschungen über Cluny und die Cluniacenser hg. V. G. TeIlenbach (1959). 2s) Neudr. Styria, Graz 1971. ?') Wie Anm. 20. St. Wcinfurter hält in seiner Besprechung (HZ 224 (1977), S. 682ff.) den Sammelband für einen „gut gelungenen Band'' (ebd. S. 686), in dem ,,zweifellos signifikante Beiträge" „der vergangenen 65 Jahre'' (ebd. S. 683) vereinigt seien, nennt jedoch nicht die Kriterien dieser Beurteilung. ' 5 ) K. Hallinger in HZ 221 (1975), S. 657459. ") Daß sie bisweilen verletzend sein kann, paßt schlecht dazu, daß K. Hal- linger die Teilnahme an einem wissenschaftlichen Gespräch im Dt. Histor. Institut in Rom im Oktober 1964 abgesagt und das danach in einem per- sönlichen Gespräch in der Bibl. Ap. Vaticana gemachte Angebot Wol- laschs, das Ms. des später von ihm rezensierten Buches v o r dem Druck zur Verfügung und zur Diskussion zu stellen, abgelehnt hat.

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des Mittelalters aus der Uberlieferung, vorab aus jener, die spezifisch über die klösterlichen Gemeinschaften aussagt, zu erforschen, ge- wandt und der 200 Seiten zählenden Schrift vorgehaiten hat, nur „ein Arbeitsprogamm für die Zukunft" zn seinP7). Aber wie kann man ein zweibindiges, über 1000 Seiten umfassendes Werk über das mittelalterliche Mönchtum anhand der Necrologien und Consuetudi- nes monasticae schreiben, in dem zentrale Probleme „endgültig ge- löst'' worden sein sollen, bevor überhaupt Necrologien und Consue- tudines in wissenschaftlich brauchbaren Editionen vorliegen? Diese Schwierigkeit hatte Hallinger irn Blick auf die Necrologien zwar nicht bemerkt. Darauf wird zurückzukommen sein. Wohl aber sah er sie hinsichtlich der Consuetudines. 1956, ais er in Spoleto über die Gründung des Corpus Consuetudinum monasticarum berichtetezs), hatte er erklärt: „Siccome senza la conoscenza deUe consuetudines la sociologia delle nforme non & attuabile, e siccome neanche alcuni saggi composti alla svelta possono farci progredire in questa materia, io ho promosso la fondazione di un'associazione per la pubblicazione delle consuetudines monasticaezs)." Inzwischen sind neun Bände des Corpus erschienen"), darunter freilich nicht die Consuetudines aus Cluny und keine aus Gorze - und doch soU über ,,Gorze-Kluny" ,,endgültig" gearbeitet worden sein. Kein Zweifel, daß der erste vor dem zweiten Schritt, die Edition bzw. deren methodische Vorberei- tung, also ein „Arbeitsprogramm für die Zukunft", vor den volumi- nösen Ergebnissen postulierter Gesetzmäßigkeiten hätte getan wer- den müssen.

I . Gorze: Ursprung einer autogenen Reformbewegung?

„Das methodische Kernstück, zugleich eine bahnbrechende Neuerung", so steht in Schieffers neugedruckter Wertung des Werkes Hallingers, „mit deren Hilfe der Verfasser völlig unbekannt geblie- bene Tatsachen und Zusammenhänge aufdeckt, ist die Durchmuste- m g der nüchternen Nekrologien, die er in virtuoser Technik zum Sprechen zu bringen weiß: so ergeben Vermerke wie de i~osrris,

2') Hnllinzer (wie Anm. 25), S. 659. 28) K. Hallinger, Progressi e problemi della ricerca sulla nforma pre- gregoriana (I1 Monachesimo nell'alto Medioevo e la formazione della civilti occidentale = Settimane di studio del Centro Italiano di studi sull'alto medioevo 4, Spoleto 1957, S. 264 8.).

Ebd., S. 264. ZO) CCG hg. v. K. Holringer 1-9 (1963-1976),

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J. Wollasclz, Erforsciiuizn des Möizchrurns in2 Mittelaltei- 115

n(osfrae) ~(ongregationis), fr(ater) n(oster) Aufschlüsse über die Herkunft von Äbten; aber die Einträge, die zur Anniversarienvcrle- snng bei der Prim bestimmt sind, lassen auch ganz allgemein erkennen, welche klösterlichen Gemeinschaften in Verbindungen zueinander standen - also die denkbar wertvollste Erhärtung der Filiationsmsammenhänge, und obendrein ein Erkenntnismittel, das zugleich als schlagendes argumentum e silentio umkehrbar ist, denn das Fehlen oder gar das Abreißen von Nckrologheziehungen eröffnet erst recht die überraschendsten Ausblicke31)." Und: ,,Dafür feiert jetzt die Auswertung der Nekrolognotizen wahre Triumphe. . ."39

Die Differenzierung innerhalb der monastischen Bewesng, das Thema, das endgültig gelöst worden sein soll, das Ergebnis, das im Prinzip nicht mehr erschüttert werden könnte, lautet etwa: „Das von Lothringen her geprägte Mönchtum des Hochmittelalters erhebt sich als eigene, selbständige Größe, gegliedert in bestimmte Filiations- gnippen, geformt in eigenständigen Traditionsbahnen, verwachsen mit der Idee vom Reich, kulturoffen sowie durch Tracht, Verfassung und Consuetudo von ailen westlichen monastischen Formen geschie- den33)." In Schieffers Bericht ist es Hallingers „These, daß das Mönchtum seit der ersten Hälfte des 10. Jh.s Träger einer autogenen Reformbewegung war, die nicht in Cluny, sondern im lothringischen Gorze ihren Ursprung hat-34)). Oder: ,,Abschließend ist das Werk gewiß nur für die Frage, die das konkrete Thema bildet, d. h. für den enddt igen Nachweis, daß das Reichsmönchtum, konservativ in der Tradition Benedikts von Aniane stehend, einen eigenen, über St. Ma- ximin nach Gorze als Ausgangspunkt znrückführbaren, aber von Cluny unabhängigen Reformkreis gebildet hatss)."

Dieses wie auch immer variiert niedergeschriebene Ergebnis wurde, wie schon angedeutet, nicht in einer historischen Darstellung, sondern analytisch, logisch-systematisch, deduktiv3G), in Ableitung von bestimmten, an den Anfang des Werkes gestellten Thesen ent- wickelt. „Das monarchische Prinzip der Filiation" wurde postu- liert3?), auch wenn es historisch erst die Cistercienser waren, die jen-

31) Schieffer (wie Anm. 20), S. 64 f. 3 3 Ebd., S. 69. $3) KR. Hnllingcr (wie Anm. 18), Bd. 2, S. 983. 34) Schieffer (wie Anm. 20), S. 64. 35) Ebd.. S. 89. 4 Vgi. ebd., S. 64 f. :") Hailiiiger (wie Anm. IS), Bd. 1, S. 15 f.

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seits der Grenzen des Deutschen Reiches, in dem Herr über die Klöster des Reiches der König und Kaiser gewesen ist, den Orden in der rechtlich festgelegten Form von Filiationen (generafio, iinea usw.) geschaffen habenaa), und die Frage geistig-geistiich entstande- ner Filiationen nicht ein vorgegebenes Prinzip, sondern ein Suchbild für die Erforschung des mittelalterlichen Mönchtums darstellt39), um so mehr, als in Benedikts Regel, nach der das von Hallinger unter- suchte Mönchtum orientiert war, die Möglichkeit eines die Mauern der einzelnen Abtei überbordenden, andere Klöster erfassenden mönchischen Lebens und die Möglichkeit eines wie immer struktu- rierten Klösterverbandes nicht angesprochen ist. Postuliert wurde das ,,Gesetz vom Reformgegensatz", der sich auf mehreren Kemgebieten monastischen Lebens dartun ließedo). Auch hierfür stand als a pnori - „AnalogieG' der clnniacensisch-cisterciensische Gegensatza'). Wie dieser sich im ganzen und im einzelnen darstellt und wie gleichzeitig die Kontakte zwischen Cluniacensem und Cisterciensern aussahen, war freilich nicht Gegenstand des Buches Hallingers. Der Anspruch, mit dem solche Gesetzmäßigkeiten an den Anfang der Studien ge- stellt wurden, war derjenige der benediktinischen ,,Innenoptik''4~). Unbeschadet ihres Wertes ist sie nur die Innenoptik eines deutscher) Benediktiners der Zeit nach dem 2. Weltkrieg43).

Für die Thesen, von denen Hallinger seine Untersuchungen ableitete, suchte er in den QueUen Bestätigungen. Wo es sich um einzelne Werke der Geschichtsschreibung, Hagiogaphie, Brief- und Streitschriftenliteratur usw. oder um diese oder jene Urkunde handelte, ließen sich stets Interpretationsmöglichkeiten finden. Ge- setzmäßigkeit aber, die den von ihm postulierten Gesetzen ent- spräche, suchte HaUinger vorab in zwei Quellengruppen: in den

a8) Dazu neuerdings Wollasch (wie S. 533), S. 171 R. a8) Vorlä~fig sind noch nirgends die Kriterien dafür festgelegt, wann eine geistig-geistliche ,,Filiation" im Sinn einer Tochter-Mutter-ähnlichen Orien- tiemng eines Klosters an einem anderen gegeben sei. ' O ) Haflinger (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 15 U. passim. U ) Ebd., Bd. 1, bes. S. 418. *?) Ebd., Bd. 1, bes. S. 12 U. 24 U. öfters, zuletzt in Umkehrung als Vor- wurf für Nicht-Benediktiner mit ihrer „Außen-" bzw. „Schuloptik" in HZ 221 (1975), S. 658 f.; vgl. auch Schiefer (wie Anm. 20), S. 82 U. 88. 43) Vgl. Z. B. die Kritik an Hallingers Ansatz durch I. Leclercq O.S.B., Pour Une histoire de la vie i Cluny (Rev. d'Hist. eccles. 57, 1962, S. 385- 408 n. 783-812), (nicht zufriedenstellend) übersetzt in: Cluny (wie Anm. 201, S. 254-318 „Zur Geschichte des Lebens in Cluny".

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J . Wollasclt, Erforschung des Mönchtums im Mittelalter 537

Necrologien und in den Consuetudines monasticae44). Hier entsteht von vorneherein ein fundamentales methodologisches und erkennt- nistheoretisches Problem: Die mittelalterliche kiösterliche Oberliefe- ning bildete nicht den Ausgangspunkt für Untersuchungen ihrer Eigenart und für daraus sich ergebende Einsichten. Es war schon auf die eigenwillige Reihenfolge: erst 1000 Seiten Untersuchung und Ergebnisse, die im Kernstück „endgültig" sein sollen, danach Grün- dung einer Edition der Quellen, auf denen die Untersuchung aufgebaut hatte, hinzuweisen. Und es kam nicht die Frage der Korrelation zwischen je eigener FragesteUung und dem, was einc Oberlieferung in ihrer Eigengesetzlichkeit an Aussagen bereithält, ins Bewußtsein. Vielmehr wurden die Quellen als Material, das vorge- gebene Thesen zu bestätigen hatte, unter den Strich zu den Anmerkungen gezwungen. Daher sprach Schieffer zu Recht von „denkbar wertvollste(r) E r h ä r t U n g der Filiationszusamrnenhän- ge" und von „ A u s W e r t U n g " „der Nekrologbeziehungen", die ,,wahre Triumphe feiert"'5). So kommt es, daß Hallinger in dem ,,methodische(n) Kernstück" seiner Studien zwar entschieden die Er- forschung der Necrologien zur Erkenntnis des hochmittelalterlichen Reformmönchtums forderte und selbst Hand anlegte, sich jedoch nicht Rechenschaft über die methodischen Grundlagen der Necrolo- gienerforschung ablegte. Genau an diesem Ausgangspunkt unter- scheidet sich die von ihm als ,,Arbeitsprogramm für die Zukunft" getadelte Schrift Wollaschs von seinem eigenen Opus. Was würde man von Urkundenuntersuchungen, die unter Verzicht auf die Diplo- matik gemacht worden wären, halten?

2. Das Necrolog voit Goric

Geht man nicht von der These aus, im hochmittelalterlichen Reformmönchtum hätten die Refonnrichtungen des burgundischen Cluny und des von Gorze geprägten Reichsmönchtums einander feindlich gegenübergestanden, sondern geht man von der Necrolo- gienüberlieferung aus, dann lautete die Frage: Was sagen die aus Gorze und Cluny überkommenen Necrologien über Gorze und Clu- ny aus? Hallingers Buchtitel folgend fragt man zuerst nach der ne- crologischen Oberlieferung aus Gorze. Hallinger benutzte ,,Le

'4) Hnllinger (wie Anm. 181, Bd. 1, S. 18 ff.: „Das liturgische Prinzip der Consuetudo" und „Das Prinzip der Nekrologie". 45) Schiefer (wie Anm. 20), S. 64 U. 69.

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.I. Wollasch, Erfo~~sclzurz,~ des Möizc/iruins in1 Miffelaliei. 539

Dijon fest59, während N. Bulst in seiner Arbeit über Wilhelm von Volpiano zu ähnlichen Ergebnissen von Dijon aus gekommen istj2). Die auszugsweise Kopie des G o m r Necrologs mit ihren ca. 600 Namen - viele Mönchsnamen sind im Lauf des Abscbreibens (vom 21. März an) vom Kopisten weggelassen worden - zeigt, daß die mei- sten Kloster, die im Totenbuch von Gorze durch Äbte und Mönche vertreten waren, es auf nicht mehr als vier Mönchseinträge bei den Gorzem gebracht haben. Demgegenüber sind dort 26 Mönche von S. Benigne eingetragenss). Dem entspricht, daß das von Hallinger nicht benutzte Totenbuch von S. Benigne aus dem 12. Jh. aus der Hs. 634 der Bibliothek von Dijon zahlreiche Goner Mönche verzeichnet hat und sich unter den in der gleichen Hs. enthaltenen Aufzeichnungen von Verbriiderungsverträgen solche über einen Verbrüderungsver- trag zwischen S. Benigne und Gorze befindenj4).

Man braucht nur Hallingers Filiatiooskarten neben die Karten zu halten, auf die Parisse den Befund des Gorzer Necrologs eingezeichnet hat, um zu sehen, wie weit die Vorstellung der Gorzer Filiationen von der necrologischen überlieferung entfernt ist. Wo sind die 160 auf Reichsgebiet gelegenen, nach Hallinger zur Gorzer Reformbeweyng gehörenden Klöstersi) in der necrologischen Ober- lieferung der Abtei Gorze? Hat es einen Zusammenhalt der vielen Filiationen der ,,autogenenu Gorzer Reformbewegung im Totenge- denken gegeben - bei deren gleichzeitiger Abschließung nach außen, besonders nach allem, was mit Cluny zu tun hatte? Im schlecht überlieferten Gorzer Necrolog spiegelt sich davon jedenfalls nichts. Trifft man in besserer Necrologienüberlieferung bei ciner der zahkeichen Gorzer ,,Filiationen" auf Spuren eines solchen Zusam- menhalts? Trotz der zentralen Stellung, die St. Maximiu zu Trier in

jl) Ebd., S.23 U. 27. :*) N. Bulst, Untersuchungen zu den Klosterreformen Wilhelms von Dijon (962-1031) (Pariser Histor. Studien 11,1973, S. 261 U. 106 E.). 33) Pa~isse (wie Anm. 46), S. 43. 5') Ein& Facsimile-Ausgabe der Necrologien von S. Benigne de Dijon im Rahmen des von K. Schmid und J. Wollasch beg~ndeten Quellenwerkes Societas et Fratemitas in Zusammenarbeit mit N. Bulst soll in den von K. F. Werner herausgegebenen Beiheften zur „Francia" erscheinen. Der Verbrüdemngsvertrag zwischen S. Benigne und Gorze ist notiert in Bibl. de Dijon; Ms. 634 fol. 124r. 65) Hallinge~ (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 45; demgegenüber erwähnt Schieffer (wie Anm. 20), S. 65, 169 Klöster.

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540 Historische Zeirschrifr Balid 225 (1977)

HaUingers Untersuchungen einnimmt56), begnügte er sich mit dem von Hontheim im 18. Jh. gedruckten Necrologien-Conglomerat, nahm nicht Kenntnis von F. X. Kraus' alter Edition der ältesthe- kannten Necrologhandschrift aus St. Maximin und berücksichtigte nicht die noch unveröffentlichte Trierer Hs. eines Necrologs von St. Maximin, die herauszugeben E. Wisplinghoff sich vorgenommen hatj7). Die necrologische Uberlieferung von Trier hält tatsächlich nicht entfernt den Vergleich etwa mit dem sogenannten Mersehurger Totenhuch aus, das den Reicbsepiskopat insgesamt im Blick hat, auch nicht den Vergleich mit den Fuldaer Totenannaien und ihrer kontinuierlichen Perspektive durch das Reich der Karolinger, Otto- nen und Salier58). Die necrologiscben Zeugnisse aus St. Maximin, erst geraume Zeit nach der Blütezeit unter den Ottonen entstanden, gehen ein ausgesprochen provinzielles Beziehungsfeld der Trierer Abtei wieder5Q).

3. „lunggorzer" und „Jungkluniazenser"?

Für Hailingers Darstellung der über Münsterschwarzach aufge- fächerten „Junggorzer" Reformbewegung war das Michelsberger Totenhuch aus Bamberg von besonderer Bedeutung, das im 12. Jh. wie kein anderes Necrolog die Namen der Äbte und Mönche des mainfränkischen Felicitasklosters bewahrt hateo). Doch war vor kur- zem zu zeigen, daß Hailinger bei der Benutzung dieses Totenbuches

Vel. dazu Schiefler (wie Anm. 20). S. 66 ff. s7j V ~ I . W~Ilnrch (wie's. 533), S. 74, Anm. 226, E. Wisplinghoff, Unter- suchungen zur frühen Geschichte der Abtei St. Maximin bei Trier von den ~nfängen bis etwa 1105 (Quellen U. Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 12, 1970, S. 43, Anm. 82). $8) Siehe dazu vorläufig die Wisplinghoffs Beobachtungen überholenden Ergebnisse bei G. Althoff, Eine Prümer Mönchsliste im „Liber Aureus" (Frühmittelalterliche Studien 7, 1973, S. 243 E.). Das grundlegende Werk „Die Klostergemeinschaft von Fulda im früheren Mittelalter". Unter Mit- wirkung von G. Althoff, E. Freise, D. Geuenich, F.-J. Jakobi, H. Kamp, 0. G. Oexle, M . Sandmann, J . Wollnsch, S. Zörkendörfer, hg. V. K . Schrnid (Münsterscbe Mittelalter-Schriften 8), befindet sich im Druck. $9 Ober die necrologischen Zeugnisse aus St. Maximin siehe neben der in Anm. 58 zitierten Arbeit Alfhoffs die Bemerkungen bei K. Sdimid und J . Wollasch, Societas et Fratemitas. Begründung eines kommentierten Quellenwerkes zur Erforschung der Personen und Personengnippen der Mittelalters. Berlin-New York 1975, S. 24f., Anm. 58. Bo) Hallinger (wie Anrn. 181, Bd. 1: S. 346 E.

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3. Wollasclz, Ei.forschur~g des Möftchtuins iriz Mittelalter 541

von unzulänglichen Editionen, nicht von der Bamberger Handschrift und deshalb schon im Hinblick auf die Entstehungszeit des Michels- berger Necrologs von irrigen Voraussetzungen ausging@l). Was er für die „Junggorzer" Reformbewegung in Anspmch nahm, gehört in den Context einer nach der Hirsauer f,,jungkluniazensischen") Reform auf dem Michelsberg geschdenen Necrologanlage, deren Breite ebenso wie das Klostergründungswerk des Bischofs Otto von Bam- berg nicht nur benediktinische Strömungen, sondem auch cistercien- sisches Mönchtum erfaßte. Eine necrologische Oberlieferung, die auch nur in Spuren Selbständigkeit, Geschlossenheit und Dauer einer Goner Reformbewegung vom 10. bis ins 12. Jh. spiegelte, fehlt. An Hallingers These einer eigenständigen junggorzischen Reformbewe- gung hatte schon K. U. Jäschke mit dokumentierter Begründung ge- rüttelt62). Geradezu gewaltsam erscheint jedoch Hallingers Einfüh- rung des Beg& „JungMuny". Denn hatte ihm der Begriff „Junggor- ze" dazu dienen sollen, „den Eigenstand des Gorzer Mönchtums" . , n ach - Sperrung Hallingers - dem vorübergehenden Eingriff Klnnys"63) in seiner Ausstrahlung auf andere Gemeinschaften zu be- zeichnen, so war ja in Cluny ein Ereignis, das dem der Reform Wilhelms von S. Benigne de Dijon in Gorze entsprochen hätte, nicht eingetreten, da Cluny anders als Gone seine Äbte von der Gründung an kontinuierlich aus dem eigenen Konvent erhalten und keine Reform von außen erfahren bat.

Hallingers Registerposition ,,Jungkluny" verweist denn auch auf die Aussage „40 Jahre nach dem Entstehen der Junggorzer Richtung traten die betont kluniazensischen Ableger des Burgundischen Mönchtums in Hirsau, St. Blasien und Siegburg auf"64) und auf die Registerposition Hirsau.

Nun ist aber Cluny, als sich Wilhelm von Hirsau an Clunys Consuetudines orientierte, nicht jünger, sondem älter geworden. Und warum sollte man die Hirsauer, weil sie sich an Clunys Consuetudi- nes ausrichteten, diese dabei durchaus den eigenen Verhältnissen an- passend - Constitutiones Hirsaugienses sind eben nicht identisch mit Ulrichs von Cluny Consuetudines -, als Jungkluniazenser bezeich- nen? Niemand würde behaupten, daß sie juristisch zur Cluniacensis

6 ' ) Dazu und mrn folgenden Wollasch (wie S. 533), S. 93-135. '=) K. U. Jäschko, Zur Eigenständigkeit einer Junggorzer Reformbeweyng (Z. f. Kirchengesch. 81,1970, S. 17 E.).

Hallinger (wie Anrn. 18), 1, S. 319. B*) Ebd., 1, Si 325.

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542 Historische Zeitschrift Band 225 (1977)

ecclesia gehört hätten, von Cluny abhängig gewesen wären. Und bei aller Freundschaft zwischen Wilhelm von Hirsau und Ulricb von Clnny, unbeschadet der Vermittlung cluniacensiscber Bräuche an Hirsau, ist bckannt, daß Uhich in seiner epistola nuncupatoria zu den Consuetudines drastisch auf die in Hirsau und Cluny diametral entgegengesetzte Behandlung der couversi hinweist und Wilhelm von Hirsau tadeltsj).

Ging Hirsau unbeschadet seiner Sympathien für Cluny seine eigenen Wege im Mönchtum des deutschen Reiches, so nannten sich seine Äbte und Mönche nie Cluniacenser, schon gar nicht ,,Jungklu- niazenser". Wo aber, wie in St. Stephan/Würzhurg, die Mönche auf- schrieben, ihre Bräuche wären secu~tdum morem Cluniacensium, sprach Hallinger von den Junggoner Reformbräuchen aus St. Ste- phau/Würzburgc~). Hätte St. Blasien als „jungkluniazensischer Ahle- ger" zu Cluny gehört, dann wäre eine eigene Verbrüderung Clunys mit St. Blasien propter caritate~n et ordinis observanfiam, quam ibi invenit - Hugo V. Cluny67) - wohl nicht geschlossen worden. Denn Cluny schloß Verbrüderungen nicht mit „Ablegernf' (sachlich: mit ihm rechtlich unterstellten Klöstern), nicht innerhalb seiner selbst, der Cluniacensis ecclesia, sondern mit rechtlich selbständigen Part- nern. Wie St. Blasien so berief sich auch Siegburg auf Fruttuaria, nie auf Cluny68). Und Fruttuaria gehörte nicht zur Cluniacensis eccle- sia.

Aus Hirsau, Fruttuaria und Sieghnrg sind keine Necrologien auf uns gekommen. Was wir aus dem St. Blasianer Necrologfragment6s) und aus der noch unveröffentlichten Anlage des älteren Totenbuches von S. Savino di Piacenza erfabren70), verweist uns auf Zusammen- hänge mit Hirsau und S. Benigne de Dijon, keineswegs auf eine in sich geschlossene „jungkluniazensische", auch nicht unmittelbar auf die cluniacensische Refombewegung.

OS) Ulrichs epistola nuncupatoria in: L. BAchery, Spicilegium sive Collec- tio veternm aliquot Scriptorum Bd. 1 ('1723), S. 641 f.; vgl. dazu Grund- mann (wie Anm. 123). ") S. U. Anm. 137. ei) DA 17 (1961), S. 445. 68) Vgl. Lampert V . Hersfeld, Ann. ad a. 1075 (MG Scriptor. rer. germ. in us. schol. bg. V. 0. Holder-Egger *1956, S. 244 f.). 68) Vgl. WoIlasch (wie S. 533), S. 89 ff. ") F. Neiske, Das ältere Necrolog von S. Savino in Piacenza. Edition und Untersuchung der Anlage (Diss. phil. Masch. Munster 1976).

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J . Wollasclz, E~forschung des Möizciirunzs im Mittelalter 543

4. Gegenprobe bei Cluny?

Auf solche Warnsimale vor allzu rasch aufgestellten Thesen zur Differenzierung des hochmittelalterlichen Reformmönchtums hätte Hallinger, entsprechend dem Titel seines Werkes „Gorze-Kluny" eine Gegenprobe anhand der cluniacensischen Necrologüberliefe- mng hinweisen können. Für eine derartige Gegenprobe beschränkte sich Hallinger in seinem 1059 Seiten umfassenden Werk auf neun Zeilen71). Er erinnerte dort an A. Moliniers Hinweis, man könnte das aus Cluny selbst verlorene Necrolog ans den Necrologien bestimm- ter cluniacensischer Klöster rekonstmieren. Hallinger nannte die Cluny unterstellte Abtei S . Martial de L i o g e s und das Pariser Clu- niacenserpriorat S. Martin-des-Champs. Er ist jedoch Moliniers Hin- weis nicht nachgegangen. Er stellte nicht das Mißverhältnis zwischen dem Nameninhalt der betreffenden anszugsweisen Necrologeditionen und der Namenmasse in den Handschriften der Necrologien fest72). Er benutzte weder diese cluniacensischen Necrologien noch die aus- zugsweise Edition des Totenbuches aus dem Cluniacenserpriorat Longpont bei Parisis), auch nicht die seit 1909 bereitstehende, voll- ständige Ausgabe des Totenbuches von Münchenwiler (Villars-les- Moines)i4), das mit seinen 10 000 Einträgen in Wirklichkeit im ersten cluniacensischen Frauenkloster Marcigny-sur-Loire, mit Cluny selbst uniert, entstanden ist7<), ganz zu schweigen von den noch unver- öffentlichten, in Moliniers Les obituaires francais von 1890 durchaus auffmdbaren Necrologien der Cluniacenser aus Moissac, Beaumont- sur-Oise, Pontoise und S. Saulve bei Valenciennes76).

") Hallin~er (wie Anm. lS), Bd. 1, S. 26. Die ebd. in Anm. 74 zitierte Nr. aus Moliniers Werk ist nicht 192, sondern 392. 72) Dazu Schpnid U. Wollasdi (wie Anm. 59), S. 25 E. mit Anm. 61-64.

RHF, Obituaires I, 1 (1902), S. 519-530. Hier sind wenigstens die irn Necrolog enthaltenen Namen von Amts- und Würdenträgern mitgeteilt, nicht jedoch die Tausende Namen verstorbener Mönche. ") Das Necrologium des Cluniacenser-Peorates Münchenwiler (Villars-les- Moines) hg. V. G. Schnürer (Collectanea Friburgensia N.F. 10, 1909). 75) J. Wollasch, Ein cluniacensisches Totenbuch aus der Zeit Abt Hugos von Cluny (Frühmittelalterliche Studien 1, 1967, S. 40-43). 76) Wie Anm. 72. Zu erwähnen ist hier noch das Necrolog von S. Jcan de Montierneuf/Poitiers (15. Jb.), mit dessen Hilfe F. Villard, Recueil des documents relatifs h l'abbaye de Montierneuf de Poitiers (Archives historiques du Poitou 59, 1973, S. 443 E.) die Äbteliste dieses Klosters kntisch redigiert hat. Jean-Loup Lernaftre hat dankenswerterweise Ein- blick in seinc Dokumentation zur Neubearbeitung des Molinier (vgl. I.-L.

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Obwohl Hallinger Gorze u n d Cluny darstellen wollte und dies besonders anhand der Totenhücher, ließ er sich so die größte Ne- crologienüberlieferung überhaupt, die uns aus dem Mittelalter über- kommen ist, die einzige necrologische Dokumentation eines Klöster- verbandes, nicht nur eines Klosters, einen Bestand von ca. 75 000 Namenbelegen, im 11. und 12. Jh. an unterschiedlichen Orten, in voneinander entfernten Landschaften und doch aus gemeinsamer monastischer Provenienz aufgezeichnet, entgehen. Eine solche Aus- sparung der cluniacensischen Necrologien bei der Untersuchung der Totenbücher zur Erkenntnis des hochmittelalterlichen Reform- mönchtums konnte nicht ohne schwerwiegende Folgen bleiben. In Hallingers Buch ist die Größe Cluny entweder übersehen oder als bekannt vorausgesetzt worden. Beides macht den Titel „Gorze- Kluny" unstimmig, die Aufstellung eines Reformgegensatzes zwi- schen Cluny und Gorze, gar noch als eines Gesetzes, hinfällig.

Schon nach diesen Feststellungen kann soviel festgehalten wer- den: Die schematische Fiktion einer Gorzer Reformbewegung, die vom 10. bis zum 12. Jh., über die Refonn Wilhelms von Volpiano in Gorze hinweg, in Gestalt von Filiationen kontinuierlich ins deutsche Reich hineingewirkt hatte und dies als Reformgegensatz zu anderen Bewegungen, vorab der cluniacensischen, mag einem Zeitgenossen des 20. Jh.s, der in den Kategorien von Orden und Kongregationen denkt, naheliegen, hält indes der necrologischen Üherlieferung nicht stand. Demgegenüber wäre es aufgmnd der erhaltenen Totenhücher aus cluniacensischen Klöstern, welche die necrologische Uherliefe- rung eines Klösterverhandes, wenn auch nur noch fragmentarisch und mannigfach gebrochen, darstellen, durchaus möglich, Ausstrah- lung und Zusammenhalt der cluniacensischen Reformhewegung zu erforschen, wenn sich jemand die Mühe macht, zuvor eine Edition dieser reichhaltigen Necrologien vorzubereiten und das riesige Na- mengut erstmals vollständig bekanntzumachen. Indem aber nur aus dem Raum der Cluniacensis ecclcsiß, nicht aber aus Gorze und sei- nem Einflußraum die necrologische Uberliefemng eines Klösterver- bandes geschaffen worden ist, zeigt die necrologische Üherlieferung allein schon die Unvergleichharkeit der Größen Gorze und Cluny.

Lemallre, Repertoire des documents necrologiques francais. Les provinces de I'Ouest - Ec. prat. des Htes. Et. IVc Section, Annuaire 197411975, Paris 1975, S. 1019-1026 quater) gewährt.

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I . Wollarch, Erforsch~ing des Mörzchtums irn Mittelalter 545

5. Verfehlte Necrologien-Auswertung

Wie unvenichtbar auch die Kenntnis der einzigartigen Zeugnis- se cluniacensischen Totengedenkens bei der methodischen Grundle- gung der Erforschung mittelalterlicher Necrologien erscheint, so wä- re es auch bei einer Beschränkung auf Necrologien aus dem Reichs- gebiet77) sicher möglich gewesen, auf wesentliche methodische Erfor- dernisse der Necrologienerforschung zu stoßen. Hallinger war die Funktion eines Necrologs, die klösterliche Gewohnheit, nach dem capitulum zur Prim, wenn der Regeltext gelesen war, die Namen der Heiligen des Tages aus dem Martyrolog, diejenigen der Toten, deren Jahrtagsgedächtnis begangen werden sollte, aus dem Necrolog aufzu- rufen, um liturgische (und sozial-caritative) Leistungen für sie zu erbringen, vertraut. Es hatte also am nächsten gelegen, bei der Be- nutzung eines Necrologs zuerst festzustellen, ob es sich um eines handelte, das von einer Persönlichkeit, sozusagen als privater Ge- denkkalender, geführt worden ist, oder um ein Necrolog, das von einer Gemeinschaft - sei es eine klösterliche oder eine solche von Chorherren oder ein Domkapitel -geführt worden ist's).

Dann wäre in jedem einzelnen Fall zu überprüfen gewesen, ob ein Totenbuch vorliegt, das im Zusammenhang eines Kapitelsbuches mit aii den Texten, die ein solches enthalten konnte, auf uns gekom- men ist, vorab, ob es zusammen mit einem Martyrolog angelegt und benutzt worden ist. Zur Ktarung dieser Voraussetzungen einer metho- dischen Erschließung mittelalterlicher Totenhücher sind die mei- sten Necrologeditionen nicht geeignet, weil sie, wenn sie nicht über- haupt nur schmale Auszüge wiedergeben, fast nie die ursprüngliche Einheit von Martyrolog und Necrolog eines Kapitelsbuches reprodu- zierenia). Immer wieder arbeitete HaUinger mit auszugsweisen Edi- tionen oder mit solchen, die mehrere Necrologien unterschiedlicher Zeitstufen zu einem einzigen verschmolzen, und bekam dadurch nicht bestehende Überlieferungseinheiten in den Blickso). Und auch bei

,,Nekrologien aus dem Reichsgebiet" überschrieb Hallinxer (wie Anm. 18) S. XXII die Position Necrologien seines Quellen- und Literaturver- zeichnisses. 78) Zu dieser Problematik Schtnid und Wollasch (wie Anm. 59), S. 36 f. 'O) Zur Gestalt des Kapitelsbuches Wollosch (wie S. 533), S. 58ff., zu Namen in Kalendern Schniid U. Wollasch (wie Anm. 59), S. 34 f., vgl. neuerdings 0. G. Oexle, Memoria und Memorialüberlieferung im frühen Mittelalter (Frühmittelalterliche Studien 10, 1976, S. 74 ff.). $0) Beispiele bei Wollnsch (wie S. 533), S. 73 ff. U. öfters.

Historische Zeilsdirift, 225. Band 36

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Benutzung der Necrologeditionen in den MGH konnte er nicht den jeweiligen originalen Zusammenhang von Martyrolog und Necrolog beachten, weil dort Martyrologien unberücksichtigt bliebeu81). Wenn also die Kenntnis der Praxis des Primkapitels nicht eine Oberprüfung der jeweiligen Handschrift herausforderte, so mag man dies allenfalls daraus verstehen, daß sich Hallinger unter den Zwang gestellt hat, aus Necrologien einander entgegengesetzte Reformrichtungen zu be- weisen; zu beweisen, daß in den Totenbüchern der Klöster gleicher Reformrichtung nur deren Äbte, niemals andere eingetragen worden seien. So konnte es sein, daß Hallinger das Fehlen der Äbte von Cluuy im Necrolog von St. Emmeram/Regenshurg als Bestätipng seiner Thesen begrüßte, dabei aber übersab, daß schon bei der Anla- ge des Martyrolog-Necrologs dieses Klosters Abt Odilo von Cluny als Heiliger ins Martyrolog aufgenommen worden ist, nachdem man einen anderen dort stehenden Heiligennamen getilgt hatte$?). Anstatt jedes Totcnbuch in seiner handschriftlichen Gestalt und Umgebung ernst zu nehmen, hat Hallinger die Necrologien nur noch als ein Reservoir behandelt, dem man die je zu dieser oder jener Reform- richtung gezählten Äbte entnehmen könnte.

Die durchwegs unterbliebene Benutzung der rnittelalterlichcn Necrologien in ihren Handschriften mußte zu zahlreichen Fehlein- schätzungen dieser überlieferung und zu ungezählten Irrtümern und Fehlern führenEs). Nur so konnte sich von vorneherein das Mißvcr- ständnis einstellen: „Die uns überlieferten Totenbücher gehen auf zeitgenössische Einträge zurück, die unmittelbar unter dem Eindruck einer soeben verschiedenen Persönlichkeit niedergeschrieben sind. Gelingt es, die nüchternen Namenreihen zum Reden zu bringen, so gewinnen wir damit erstrangige geschichtliche Zeugnisse, die in die allernächste Nahe des Geschehens selber führens4))."

Nur so envartete Hallinger von der Necrologforschung „mit Sicherheit" ,,zeitgenössische Nachrichten über die Herkunft der Äb- te"8;). Er unterschied also nicht zwischen dem Eintragsbestand, den eine Necrologanlage - oft von einer Hand - aufwies, der sich auf Jahrhunderte zuvor Verstorbene beziehen konnte, so wie gleichzeitig

8') Ebd., S. 59, Anm. 188. 8s) Vgl. G. Tellenbndi in seiner Einführung zu Neue Forschnngen übcr Clunv und die Clnniacenser he. V. G. Tellenbach (1959) S. 7 f. M) Beispiele bei Wollosch (wies. 533), S. 73-134.' M) Hallinser (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 20.

Ebd., Bd. 1, S. 21.

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J . WoIl<;sch, Erforscizun~ des ?döi~chtums irn Mittelaltei- 547

die Namen anderer Verstorbener aus der Vorlage nicht in die Anlage des neuen Necrologs übernommen worden sind, und denjenigen, meist von zahlreichen Händen vorgenommenen Einträgen ins Necro- log, die ad hoc zu einem Todesfall erfolgten. Wenn in einem Necro- log, das 1092/1093 mit einem Bestand von Ca. 5000 Einträgen ange- legt wurde, Verstorbene des 10. Jh.s eingeschrieben und nach dem Rang ihres Amtes hintereinander zu einem Tagesdatum angeordnet wurden, während andere bei der Anlage nicht ans der Vorlage über- nommen wurden, so haben wir es zwar mit einem zeitgenössischen Zeugnis der Jahre 1092/1093 im necrologführenden Kloster zu tun, nicht aber einfach mit zeitgenössischen Angaben über die im Necro- log eingetragenen Verstorbenensc). Vielmehr erlaubt uns die zeitliche Bestimmung einer Necrologanlage anhand der äußeren und i ~ e r e n (mit Hilfe identifizierter Personen gewonnenen) Merkmale und die Unterscheidung zwischen Anlagebestand und Ad-hoc-Nachträgen die Stärke der im Totengedenken beibehaltenen und abgestreiften Tradi- tionen und Bindungen einzuschätzen. Und ist, wie im hier gemeinten Beispiel, die Anlagehand des Necrologs identisch mit der Hand, die das Martyrolog geschrieben hat, so läßt sich die Analyse der Entste- hung der Handschrift nur im originalen Zueinander von Martyrolog und Necrolog leisten. Die methodologische Forderung lautet daher, den Aufoau und das Gefüge des einzelnen Necrologs zu erkennen und dadurch eine unentbehrliche Voraussetzung zu seiner Edition und historischen Auswertung zu schaEen.

6. Prinzipien der Necrologforschung

Wie anders als unter dem Eindruck ausmgsweiser Necrologedi- tionen anstelle des originalen Handschriftenbefundes und aus dcm von Hallinger postulierten „monarchischen Prinzip der Filiation" könnte man verstehen, warum in Haliingers Werk nur „Äbtereiben" in Necrologien gesucht wurden, ohne daß darauf geachtet worden wäre, welche Gemeinschaften in einem Mösterlichcn Totenbuch nicht allein durch ihre Äbte, sondern durch einige oder gar alle ihre Mön- che vertreten waren? Ob sich zwei klösterliche Gemeinschaften mit- einander so eng verbunden haben, daß sie in ihrem Totengedenken nicht nur die Namen ihrer Äbte, sondern auch diejenigen ihrer Mön-

Die Anlage des Necrologs von Marcigny-sur-Loire ist datiert worden von J. Mehne, Cluniacenserbischöfe (Frühmittelalterliche Studien 11, 1977, S. 246 R.).

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548 Historische Zeitschrift Band 225 (1977)

che bewahrten, oder ob eine klösterliche Gemeinschaft in ihr Toten- buch von einer anderen Gemeinschaft nur deren Abt oder Äbte ein- tragen ließ, macht doch einen fundamentalen Unterschied aus. Denn wie Hallinger selbst bemerkt hattea'), waren ja mit den Verstorbe- neneinträgen auch Almosenleistungen in beachtlicher Höhe verbun- den. Während der Toteneintrag eines Abtes auch dessen persönliche Bedeutung und Ausstrahlung spiegeln kann - nicht unbedingt eine Verbindung seines Klosters mit dem necrologführenden -, so bewei- sen reihenweise Einträge von Mönchen eines Klosters im Totenbuch eines anderen eine besondere Verbindung beider Gemeinschaften. Aus Verbrüderungsverträgen kennen wir diese Differenzierungen im Zusammenhalt eines gemeinsamen Totengedenkens zur Genügess). Beim Sammeln von Äbteeinträgen in Necrologeditionen achtete Hal- linger fast durchwegs nicht darauf, ob in den betreffenden Necrolog- bandschriften vor, im oder nach dem Necrolog Notizen über einge- gangene Verbrüderungsverträge stehen. Oder wenn in St. PeterISalz- burg, auf der Reichenau oder in St. Gallen Verbrüdemngsbücher und Totenbücher gleichzeitig geführt wurden, so gilt es genau zu untersuchen, wann Einträge einzelner Personennamen und solche ganzer Namenlisten (2. B. klösterlicher Konvente) allein im Verbrü- demngsbuch, allein im Totenbuch oder aber in beiden Büchern niedergeschrieben wurden. Will man nicht monastische Reformbewe- gung ausschließlich als Handeln von Äbten begreifen und hoffen, man könnte dieses ohne Rückbczug eines Abtes auf den von ihm geführten Konvent verstehen, dann muß man die Mönchseinträge in den Totenbüchem genau so ernst wie jene von Äbten nehmenEs). Es ist also ein unabdingbarer methodischer Gmndsatz der Necrologien- forschung, den gesamten Namenbestand eines Totenbuches zu

") Hallinser (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 25. 88) Erwähnt seien hier nur die Verbrüderungen St. Blasiens (vgl. J. Wol- los&, Muri und St. Blasien. Perspektiven schwäbischen Mönchtums in der Reform, DA 17, 1961, S. 420 B.), des Michaelsklosters in Bamberg (vgl. Wollasch, wie S. 533, bes. S. 102, Anm. 301) und von S. Benigne de Dijon (vgl. Sckmid U. Wollasch, wie Anm 59, S. 19 Anm. 45 U. oben Anm. 54). 8%) Die in diesem Zusammenhang von H. Zimmermann in seiner Rezen- sion der Schrift von J. Woliasch, Mönchtum des Mittelalters zwischen Kirche und Welt in MIÖG 82 (1974), S. 432, angestellte Vermutung, die Ka~itelfolee ..Die Herrschaft der Äbte". ..Die klösterlichen Gcmeinschaf- - . ien", .,Die rnonchisclie H~wi<ung" kjnntc eine shr\inolo:+,chc Ahfolgc wicdcr~cbcn sollen, rrcllt, wie /immcrminri 33.0. belbsi als mciglich <in- riuniu. 11it\ächliih ein MißvcrsränJni\ d ~ r . Die Ka~itelanfince dcr rczen- sierten Schrift zeigen es schon.

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I . Wollasch, Erforschung des Mönchtums im Mittelalter 549

erschließen und mit demjenigen anderer Necrologien zu vergleichen, nicht aber sich auf bestimmte Einträge und Eintragsgnippen zu beschränken.

Die Einträge eines Totenbuches spiegeln ja erst zusammenge- nommen und vom necrologführenden Kloster her zusammengesehen dessen Beziehungsfeld in bestimmten Zeiträumen. Dabei ist es keineswegs selbstverständlich, daß ein solches Beziehungsfeld im Zusammenhang einer monastischen Reformbewegung steht. Nicht jedes Totenbuch ist Ausdrnck einer Reform. Das im Totenbuch gespiegelte Beziehungsfeld eines Kiosters kann ebenso den Charakter eines bischöflichen Eigenklosters, adeliger Herrschaft über ein Klo- ster oder die Prägung eines Reichsklosters besitzen. Dies gilt in besonderer Weise für Necrologien des Reichsgehietes, die Halünger vorab im Blick hatteso). Hallinger nahm dagegen an, daß Einträge, die nicht den Toten der necrologführenden Gemeinschaft gewidmet waren, von engsten, zwischenklösterliche Verbindungen abhängig gewesen seien*') und berief sich dafür auf die Einsiedler Consuetudi- nes und die Sandrat-Consuetudines des 10. Jh.s. In der Anmerkung dazu zog er aus den Consuetudines-Texten nur die Bemerkung „abbas ve1 monachus de fraterna vel coniuncta congregacione ef eiusdem Religionis . . . nomeizque eius notetur in breviario er in martirologio" heraus**). Hallingers nächstanschließende Aussage: „Jeder diese Grenze überschreitende Eintrag bedurfte überdies noch einer eigenen Weisung des Abtes."S3) sollte mit dem nächsten Consuetudinessatz gedeckt werden: ,,Hoc quoque pofest abbas facere de quibuscumque voluerit*4)." Hier spricht der Quelientext aber nicht von einer zusätzlichen eigenen Weisung des Abtes, sondern davon, daß den Toteneintrag ins Kapitelshuch (breviarium er martirologium) der Abt vornehmen kann, für wen immer er es wili. Tatsächlich behandelt der Context der von Haiiinger puuktueli herausgezogenen Consuetudinesaussageu das festliche Glockenläuten und erwähnt ausdrücklich als Anlaß dafür auch das Eintreffen der Todesnachncb- ten von König, Herzog, Bischof, Abt, Kanoniker oder Nonne „illius civitatis vel alicuius karissimi amici" im Klosterss). Damit fassen wir

90) Vgl. Woll& (wie S. 533), S. 135. X) Hnllinger (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 25. gp) Ebd., Bd. 1, S. 25, Anm. 68. 6s) Ebd., Bd. 1, S. 25. =) Ebd., Bd. 1, S. 25, Anm. 69. 95) B, Albers, Consuetudines monasticae 5 (1912), S. 51 U. 76.

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550 Hisforisclre Zeifschrift Band 225 (1977)

das ganze Beziehungsfeld einer klösterlichen Gemeinschaft, wie es immer wieder in den Einträgen der Necrologien abgesteckt wurde. Inwiew-eit es unter dem Zeichen einer Reformbewegung entstanden sei, bleibt von FaU zu Fall und von Toteubuch zu Totenbuch erst zu untersuchen. Als ungeschichtlich jedenfalls erweist sich Hallingers Einschränkung der in den Necrologien wiedergegebenen klösterli- chen Beziehungsfelder auf Reformbewegungen und -mgehörigkeiten.

In diesem Zusammenhang erweist es sich wiederum als verhang- nisvoll, daß Haflinger mit seiner Sicherheit „Der jeweilige Sprachge- brauch eines Totenbuches laßt sich ja ohne besondere Anstrengung feststellengC)." nicht darauf kam, daß in den von ihm benutzten Edi- tionen immer wieder Zusatzhezeichnungen und Randbemerkungen zu den Nameneinträgen der Verstorbenen, wie sie in den Hand- schriften enthalten sind, fehlen. Diese handschriftlichen Zusätze, auch in den Necrologienansgahen der MGH oft nicht mitgeteilt, ge- ben wichtige Aufschlüsse über Weihegrad und Profeßzugehörigkeit eingetragener Verstorbener, über deren Stand in der Welt, deren Schenkungen an das necrologführende Kloster sowie über die liturgi- schen und sozial-caritativen Leistungen beim Tod und Anniversartag einzelner Personeng'). Hallinger be-nindete seine Auffassung, eine necrologführende Gemeinschaft hatte sich „strengstens nur auf jene Fremdeinträge" im Necrolog ,,beschränkt, die sich durch besondere Nahe empfahlengs)", mit dem logisch einleuchtenden Argument: „Es ist War, keine Gemeinschaft konnte sich für die Dauer ein unkontrol- liertes Anwachsen eines derartigen Totendienstes leisten. Man heden-

Hallinger (wie Anm. 181, Bd. 1, S. 21. s') Die von Hallinger nicht benutzte Handschrift des Micheisberger Necro- logs enthalt in vielen Fallen Zusätze, die in der Edition Schweitzers von 1844 nicht oder falsch gclesen worden sind (vgl Wollasch, wie S. 533, S. 91ff.). Baumanns Edition des St. Blasianer Necrologfragments in den MGH Necrol. 1, S. 323-329, gibt nicht die zahlreichen, durch Verweis- Zeichen an die Namenseinträge gebundenen Marginalbemerkungen wieder (vgl. WollascIz, wie Anm. 85, S. 429). Hallinger (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 268, schrieb zwar von der ,,Sanblasianer Bündnisliste" (- gemeint sind offensichtlich die Verbrüdemngsverträge des Schwarzwaldklosters mit anderen Gemeinschaften -), arbeitete aber ebenso wenig mit dem Necro- logfragment selbst wie H. Jakobs, Der Adel in der Klosterreform von St. Blasien (Kölner Histor. Abh. 16, 1968), obwohl dieser öfters, bes. S. 153 U. 279, sehr umfassende Beurteilungen des Totengedenkens der im Reich gelegenen Reformklöster und der im Bereich Cinnys gelegenen Klöster gewagt hat.

Hallinger (wie Anm. 18), Bd. I, S. 25.

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1. Woilasch, E ~ o r s c / z u ~ ~ g des Moi~ciituins iriz Miftelalto. 551

ke, wenn sich die Toteneinträge wahlios mehrten, dann nahm allein schon die Rezitation der Namensliste in der Prim kein Ende mehr, dann wuchsen Gebetslasten und Totenopfer ins Ungemessenes8)!" Man wird in der Necrologienüberlieferung selbst sehen, inwieweit diese ,,Innenoptik" eines heutigen Benediktiners dem Selbstver- ständnis mittelalteriicher Benediktinerklöster im Bezug auf das To- tengedenl<en und den Erwartungen mittelalterlicher Menschen ge- genüber klösterlichem Totendienst entspricht oder nicht entspricht. Treffen wir hier auf ein Problem, das vielleicht in der ganzen Litera- tur über hochmittelalterliche, monastische Reformbewegungen noch zu wenig beachtet wurde, obwohl es untrennbar zum hochmittelalter- lichen Reformmönchtum gehört hat?

XI.

Neue Methoden der Erforschung des Mönchtums und der monastischen Bewegungen

Wenn nicht jedes Necrolog mit dem Beziehungsfeld einer Ge- meinschaft, das es wiedergibt, von vorneherein schon als Zeugnis für die Zugehörigkeit eines Klosters zu einer Reformrichtung und als Zeugnis für einen Vorgang in einer monastischen Refonnbewegung des Hochmittelalters gelten kann, sondern zunächst nnahhängiz vom Blick auf monastische Reformbewegungen des Hochmittelalters den je spezifischen Standort eines necrologführenden Klosters in der Ge- sellschaft einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Raumes he- zeichnet, wie kommen wir dann methodisch mit der Erforschung der Necrologien den Reformbewegungen des hochmittelalterlichen Mönchtums auf die Spur? Ist der gesamte Namenbestand eines To- tenbuches im Rückgang auf die Handschrift - mit besonderer Beach- tung dcr dort stehenden Zusatzvermerke zu Nameneinträgen und der dort enthaltenen Angaben zu Verbrüderungen - und im Vergleich mit anderen Necrologien sowie nicht-necrologischen Quel- len entschlüsselt worden, dann wird das Beziehungsfeld der necrolog- führenden Gemeinschaft als ganzes sichtbar und es entsteht die Möglichkeit, dieses anhand der gegebenen Zeugnisse zu dserenzie- ren. Dann wird zu unterscheiden sein, inwieweit die im Necrolog eingetragenen Würden- und Amtsträger, Könige, Papste, Bischöfe, Herzöge, Grafen, Äbte nsw., die der necrologführenden Gemein- schaft meist eine ansehnliche Gabe für ihr Totengedenken geboten

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552 Historische Zeitschrift Band223 (1976)

haben, etwas über die politische Bedeutung aussagen, die eine geist- liche Gemeinschaft in der sie umgebenden Gesellschaft erreicht oder wieder verloren hat, und auf der anderen Seite, inwieweit eine necrologfübrende Gemeinschaft in ihrem Totenbuch außer den Namen ihrer eigenen Mitglieder die Namen der Verstorbenen einer benachbarten oder entfernten Gemeinschaft bewahrt oder aufgege- ben hat und damit in gegenseitiger Verbrüderung eigene Aufwen- dungen an liturgischen und sozial-caritativen Verpflichtungen zu erbringen hatte.

Mit außernecrologischen Quellen wird sich dabei ausmachen las- sen, ob vorhandene Beziehungen einer necrologführenden Gemein- schaft zu anderen Gemeinschaften nachbanchaftlicher Art, aufgmnd der Zugehörigkeit zur selben Herrschaft entstanden oder den An- schluß an eine Reformbewegung anzeigend waren. Verbrüderung und Austausch von Todesnachrichten zwischen zwei Gemeinschaften können die Zugehörigkeit beider zur selben Reformrichtung bezeich- nen, so etwa im Fall von S. Benigne de Dijon, Fruttuaria, Fecamp, St. Blasien usw.*Q). Daß jedoch nicht in jedem Fall Verbrüderung und Austausch von Todesnachrichten zwischen mehreren Gemein- schaften deren Zusammengehörigkeit zur selben Reformrichtung an- zeigen müssen, ergibt sich bereits aus den zahlreichen Verbrüderun- gen und Necrologbeziehungen zwischen Klöstern auf der einen und Domkapiteln und Chorherrenstiftern auf der anderen Seite, die wir in der überlieferung antreffen. Im Totenbuch des Bamberger Mi- chelsberges, von Hallinger in besonderer Weise für die Darstellung seiner ,,Junggorzer Bewegung" herangezogen, das in Wirklichkeit nach der Hirsauer Reform auf dem Michelsberg angelegt worden ist, stehen noch im Anlagebestand, in einer Zeit, in der sich die Benedik- tiner angesichts des aufstrebenden Cistercienserordens als nos Clu- niacenses verstanden, die Toteneinträge für benediktinische und ci-

") Dies beweisen die in Anm. 54 genannten Notizen über die Verbrüde- rungsverträge des Benignusklosters. Wenn in diesem Zusammenhang auch Cluny und cluniacensische Klöster auftauchen, so kommt dies daher, daß S. Benigne, nachdem den cluniacensischen Professen unter Abt Wilhelm von Volpiano solche gefolgt waren, die ihre Gelübde nicht dem Abt von Cluny, sondern demjenigen von S. Benigne leisteten, sich im Totengeden- ken nicht mehr als cluniacensische, sondern nur noch als mit den Clnnia- censern verbrüderte Gemeinschaft betrachtete. Das laßt sich auch sehen, wenn man beobachtet, seit wann die ursprünglich auf der den eigenen Konventualen vorbehaltenen Versoseite eingetragenen Cluniacenser unter den Verbrüderten auf der jeweiligen Rectoseite begegnen.

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J . Woll&, Erforschung des Möiichrums ir?~ Mittelalter jjj

sterciensische Äbte und Mönche, die den Michelsbergem als fratres und pleni fratres galten, zusammen'00).

I . Profep und Klosterverband

Daher vermag die Differenzierung beim Bestimmen von klöster- iichen Beziehungsfeldem nach Entschlüsselung des gesamten Na- menbestandes der betreffenden Totenbücher, die sich, wie gesagt, im Necrologienvergleich und in der Zusammenschau der necrologischen mit den nicht necrologischen Quellen der necrologführenden und anderer Gemeinschaften ereignet, bestenfalls Zugangswege zu Re- formbewegungen des hochmittelalterlichen Mönchtums zu beschil- dern. Sie führt aber noch nicht in den Innenraum einer Reformbewe- gung. Konnten sich nämlich Personen mit Gemeinschaften und Ge- meinschaften unterschiedlicher Art miteinander verbrüdern und ihre Todesnachrichten austauschen, dann mußte es für die Mönche und für die mönchischen Gemeinschaften, die eine eigene Reformbewe- gung bildeten, ein gemeinsames Cbaraktermerkmal geben, das noch stärker als Verbrüderung war. Die Mönche, die zu einer und dersel- ben klösterlichen Gemeinschaft als Brüder für immer gehören woll- ten, legten ein und dieselben Mönchsgelübde in die Hände eines und desselben Abtes im Kloster eines und desselben hl. Patrons. Deshalb war die gemeinsame und selbe Profeß die engste rechtliche Klam- mer, mit der die Brüder in einer Gemeinschaft miteinander und nach außen erkennbar verbunden wurden. Ergriff nun das monastische Leben einer klösterlichen Gemeinschaft in einer Reformbewegung andere klösterliche Gemeinschaften, dann bot sich zum engstmögli- chen Zusammenschluß und als Grundlage für ein klosterübergreifen- des Selbstbewußtsein einer Reformbewegung die gemeinsame Profeß an.

In der Zeit vor dem hochmittelalterlichen Reformmönchtum hatte dies der Abtbischof Pirmin erkannt, als er die monaiteria seiner peregrini in der Fremde durch dieselbe Regel und durch die gemein- same Profeßformel miteinander zusammengeschlossen hattelol). Und

'00) Vgl. Wollosdt (wie S. 533), S. 101 ff. U. 107 ff., zu dem ,,nos Clunin- censes" ebd. S. 183, Anm. 609. 101) Ebd., S. 26, mit Anm. 57 und - im Bezug auf A. E. Angencndr, Monachi peregrini. Studien zu Pirmin und den monastischen Voistellun- gen des frühen Mittelalters (Münstersche Mittelalter-Schriften 6, 1972) - A m . 53. Zuletzt hat A. E. Angenendf, Pinnin und Bonifatius. Ihr Ver- hältnis zu Mönchtum, Bischofsamt und Adel (Mönchtum, Episkopat und

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554 fiistoi.ische Zeitschrift Band 225 (1977)

als auf der Höhe des Investiturstreites der Abt und die Mönche von S. Benigne de Dijon die aus Verdun vertriebenen Mönche des Konvents von S. V a ~ e bei sich aufnahmen, entstand eine Fingere Auseinandersetzung darüber, ob diese eine neue Profeß, diejenige von S. Benigne, schwören sollten. Dazu wurde ein Gutachten Lanfrancs von Canterbury und ein Ratschlag Hugos von Cluny eingeholt'o2). Dementsprechend herausgehoben erscheinen dann auch in dcr ii'beriiefemng die Verbrüde~ngs- und Necrologbeziehungen zwischen den Gemeinschaften aus Dijon und Verdun103).

Die Klöster, deren Mönche dieselbe Profeß in die Hände des- selben Abtes legten, waren demnach auf ein Hauptkloster ausgerich- tet, dessen Abt den Mönchen mehrerer Klöster dieselbe Profeß ab- nahm. Vom Hauptkloster war die Reform ausgegangen. Dieses bil- dete Ausgangs- und Sammelpunkt der Reformbewegung, die ohne ein gemeinsames Selbstverständnis ihrer Träger nicht denkbar wäre. Reformbewegung (nicht nur Rcform) fand die rechtliche Gestalt des Klöstern-erbandes, den die Profeß zusammenschloß'0~). Dies war die geschichtliche Vorstufe für die aus Reform erwachsenen Orden des 12. Jh.s. Deshalb müßte methodisch die Frage lauten: Was gibt uns

Adel zur Gründungszeit des Klosters Reichenau hg. V. A. Boist 1974 = Vorträge U. Forsch. hg. vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalter- liche Geschichte 20), S. 268, wohl von Profess und stabilitas in Pirmins peregrini-Klöstern gesprochen, aber nicht die Bedeutung des unus modus petitionis für die Verbandsbildung der Pirminklöster berührt. '02) Hugo V . Flavigiiy, Chron. L. I1 (MG SS 8, S. 468 f . U. 472 f.). Io3) Siehe die Verbrüderung zwischen S. Benigne und S. Vanne in Bibl. de Dijon, ms. 634, fol. 123" und diejenige Sancfi Benigrzi Divionensis quin specialiter nobis in societaie vincti sunt in S.Vanne (Paris, B. N. ms. Nouv. acq. 1417 p. 51). Die zahlreichen Einträge von Mönchen aus S. Vanne im Necrolo& von S. Benigne aus dem 12. Jh. und die vielen, Mönche von S. Benigne betreffenden Eintrage im spät überlieferten Necro- log von S. Vanne sind noch ungehoben, weil sie in den Auszügen, die bis jetzt allein von den genannten Totenhüchern veröffentlicht wurden, fehlen. Ior) Diesen Zusammenhang von Reformbewegung, Klöstervcrband und Funktion einer klosterübergreifenden Profess hat R. Moliior, Aus der Rechtsgeschichte benediktinischer Verbände 1 (1928), S. 125, wo es zu erwarten gewesen wäre, und sonst nicht angesprochen. Um solche Fest- steiiungcn, die nicht wciterführen und dem betreffenden Autor meist nicht gerecht werden, zu vermeiden, wurde bei Wollnsch (wie S. 533) auf Zitate Molitors verzichtet. Hallinger hat dies in seiner Rezension in HZ 221 (1973, S. 657, moniert. Offenbar war ihm nicht gegenwärtig, daß „Die mönchische Bewegung'' gerade nicht die Ziele von Molitors „Rechtsgeschichtew verfolge.

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.I. Woliasch. Ei.forschun^~ des MÖ~ZCII~LI I~IS ini Mitteiniter 775

die Necrologienüberlieferung für das Kennenlernen einer Reformbe- wegung: her, die sich die rechtliche Gestalt eines Klösterverbandes gegeben, eine Gemeinschaft aller derer, welche dieselbe Profeß ge- schworen haben, gebildet hat? Zur Antwort auf die Frage wird man auf jene Necrologienüberlieferung verwiesen, die necrologische Do- kumentation eines Klösterverbandes darstellt. Daß sich diese nicht unter den Totenbüchern des Reiclisgebietes findet, versteht sich dar- aus, daß sich im Deutschen Reich Abteien, die ihr Recht vom König und Kaiser erhielten, nicht ohne weiteres andere Klöster anschließen und einen Klösterverband mit gemeinsamer Profeß bilden konnten. Tatsächlich ist bisher nur eine einzige necrologische Dokumentation eines I<lösterverbandes bekannt geworden, die cluniacensische. An ihr also bleibt zu untersuchen, was sie über monastische Reformbe- wegung im hohen Mittelalter aussagt.

2. CI%niacensisclzes Toieizgedeizkei~ und seilte E~fovschung

Zuerst sind die aus cluniacensiscben Klöstern erhaltenen Necro- logien, da sie entwcder nur ganz auszugsweise oder noch gar nicht veröffentlicht worden sind, zu edierenlos). Dabei werden unter Ne- crologien aus cluniacensischen Klöstern allein solche verstanden, die aus rechtlich zu Cluny gehörenden Abteien und Prioraten stammen, nicht etwa solche aus Klöstern, die einmal vorübergehend einen clu- niacensiscben Professen zum Abt oder eine Gruppe cluniacensischer Mönche als Griindungs- oder Wiedcrgründungskonvent hatten und danach, weil rechtlich von Cluny unabhängig, wieder ihre eigenen Wege gingen. Die Edition der aus cluniacensischen Klöstern auf uns gekommenen Totenbücher stellt eine neue Aufgabc dar, für die in bisherigen Necrologien-Editionen Methoden noch nicht entwickelt worden sind, weil noch nie die necrologische Oberlieferung eines

'0:) Dazu Schmid U. Wollasch (wie Anm. 59), S. 25 ff. Die im folgenden angedeuteten Vorarbeiten zu einer solchen Edition sind im Projekt B ,,Personen und Gemeinschaften'' des Sonderforschungsbereichs 7 ,,Mittel- alterforschung" an der Westfäl. Wilhelms-Universität im Gang; vg1. vor- läufig den Bericht in Frühmittelalterliche Studien 10 (1976), S. 457ff., der durch meinen unveröffentlichten Bericht bei der Begutachtung des SFB 7 durch die DFG am 24. Vi. 76 überholt werden konnte. S. auch H. Fuhrmann, MGH, Bericht für das Jahr 1975176 (DA 52, 1976, S. VIII); MGH Gesamtverzeichnis 1976, S. 38 und K. Schmid, Gedenk- und Toten- bücher als Quellen in: MGH, Mittelalterliche Textüberliefemngen und ihrc kritische Aufarbeitung (19761, S. 76-85.

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556 Historische Zeitschrift Band225 (1977)

ganzen Klösterverbandes ediert worden ist. Der Benutzer der Edition will den Inhalt der cluniacensischen Totenbücher vollständig und so vor sich sehen, daß er die Einträge der einzelnen cluniacensischen Necrologien miteinander vergleichen kann. D. h.: er braucht eine synoptische Edition. Diese Katte ca. 75 000 Namenbelege - soviele enthalten die bisher bekanntgewordenen cluniacensischen Necrolo- gien - überschaubar, d. h. in parallel zueinander stehenden Namen- reihen, die wie parallelisierte Register die Eintrage in deren origina- ler Abfolge wiedergeben, darzubieten. Erst eine Edition in solch syn- optischer Anlage vermag Instrument zur Erkenntnis einer Reform- bewegung zu werden. Die von den Herausgebern zu leistende Iden- tihiening der in den cluniacensischen Totenbüchern eingetragenen Personen hatte in umfassendem Necrologienvergleich, an den Hand- schriften selbst verifiziert, aber auch anhand der vielen Tausende cluniacensischer Urkunden, der Consuetudines und der anderen nichtnecrologischen Quelien der Cluniacenser zu erfolgen.

3. Vorbereitung einer Edirion der Necrologien

Angesichts der hier gebotenen Zahlenverhaltnisse, angesichts des europäischen Einzugsbereichs Clunys und im Blick auf den codicolo- gisch-palaographisch-scriptorienkundlich Befund der cluuiacensi- schen Necrologien, der nicht von der Erforschung der cluniacensi- schen Schreibschule(n) losgelöst untersucht und dargestellt werden kann, werden wir auf eine Edition der cluniacensischen Necrologien noch Jahrzehnte warten müssen. Hinzu kommt, daß eine solche Menge von Namen und Daten, denkt man auch an die außerbalb der Geschichtswissenschaft stehenden Interessenten an diesem einzigarti- gen Material - Namenknndler, Philologen der Romanistik und Ger- manistik, Statistiker, Liturgiewissenschaftler usw. -, am sachgemäße- sten mit Hilfe der EDV aufgenommen, gespeichert und abrufbar ge- halten wird. Eine derartige, interdisziplinär und international zu lei- stende Edition mit all den dazugehörenden Begleituntersuchungen wird also in einer Abfolge vorbereitender Schritte begonnen werden müssen.

Am Anfang wird eine mit Hilfe der EDV erstellte Synopse der cluniacensischen Necrologien stehen, in der zum ersten Mal der voll- ständige Nameninhalt der cluniacensischen Totenbücher mitgeteilt wird, damit alle daran interessierten Mediaevisten ein Arbeitsinstru- ment in die Hände bekommen, mit dem sie selbst weiterarbeiten,

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J . Wollasclz, Erforsclzung des Mönchtums irn Mittelalter 557

vergleichen und die zu schaffende Edition rechtzeitig kritisch mitför- dem können. Gleichzeitig werden wir uns auf anderen Wegen der Edition nähern: mit Facsirnile-Ausgaben der frühesten bekannten cluniacensischen Totenbücher, die mit einer historischen und einer codicologisch-paläographischen Einleitung versehen und von auto- matisch lemmatisierten Namenregistern ersdilossen werden, um so die Voraussetzungen zu schaffen, die handschriftlichen Befunde für die Edition untersuchen und angemessen berücksichtigen zu können. Der genannten Synopse, so ist geplant, folgen Kommentarlieferun- gen, in denen die Belege zur Identifiziemng der in den cluniacensi- schen Necrologien eingetragenen Personen und zu deren Beziehun- gen, die sie zu den Cluniacensern oder zu deren Standort, den sie innerhalb der Cluniacenser hatten, nachgewiesen werden. Die Be- gleituntersuchungen zu einzelnen cluniacensischen Klöstern oder zu Familien, aus denen Cluny und seine Klöster rekrutiert und dotiert wurden, oder zu Persönlichkeiten, die für die Cluniacensis ecclesia eine bedeutende Rolle spielten - Begleituntersuchungen, die sich aus der Identifizierungsarbeit ergeben, stellen weitere gleichzeitige Schrit- te auf eine Edition der cluniacensischen Necrologien hin dar.

Schon jetzt erlaubt die eben skizzierte Vorbereitung einer Edi- tion des Totengedenkens der Cluniacensis ecclesia weiterführende Perspektiven zur Erforschung einer hochmittelalterlichen Reformbe- wegung. Hatte Hailimger, wenn er bei seinem Vergleich von Necrolo- gien aus dem Reichsgehiet, die aus ganz verschiedenen Zeiten stam- men, diesen oder jenen Abt der Gorzer Reformbewegung zuordnen wollte, immer wieder Schwierigkeiten der Identifizierung und mußte öfters dazu Zutlucht nehmen, einen Mönch von X. in einem Necro- log A mit einem gleichnamigen Abt von Y. in einem Necrolog B gleichzusetzen103, so bieten die cluniacensischen Necrologien Ober- einstimmungen ihrer Einträge, bis hinein in die Reihenfolge zu den einzelnen Tagen, in vier- bis fünfstelliger Größenordnung. Hier ist der synoptische Befund jedem interpretierenden Identifizierungsver- such als Nachweis haushoch überlegen.

Die cluniacensischen Necrologien, die uns überliefert sind, ent- standen an weit voneinander entfernten Orten, in der Gascogne, im Limousin, im Brionnais, in der Ile de France und hoch irn Norden Frankreichs und entstammten doch der selben monastischen Prove-

'W) Ein typisches Beispiel bei Hallinger (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 380; vgl. dazu Woll& (wie S. 533), S. 75, Anm. 231.

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558 Hisfoi.ische Zeitsclirifr Band 225 (1977)

nienzlo'). Sie ermöglichen es, ihre- wie eben gesagt - vier- bis fünf- steüigen Gemeinsamkeiten, das Cluniacensische der cluniacensischen Necrologienüberlieferung, festzustellen, damit aber zugleich das aus dieser Gemeinsamkeit Herausfallende, den Eigenraum, den sich in^ nerhalb der Cluniacensis ecclesia ein Kloster vorbehalten hat.

Grenzt man die Anlage- und Nachfolgehande der cluniacensi- schen Necrologien im Handschriftenvergleich u n d aufgrund der von ihnen eingetragenen, sicher datierbaren Personen (z. B. Könige, Kai- ser, Papste, Äbte, Bischöfe, Herzöge, Grafen, bekannte Mönche und Autoren usw.) zeitlich einj so erhalt man ein dcn bisherigen For- schungsstand berichtigendes, homogenes Erzebnis. Die erhaltenen cluniacensischen Totenbücher sind von der Mitte des 11. Jh.s an, im Abhatiat Hngos von Cluny angelegt wordcn, eine zweite Gruppe während des 12. Jh.s'o8). Man kommt so zu erstaunlich genanen Da- tierungen, die etwas über die Funktion des Totcngedenkens in einer klösterlichen Reformbewegnng des Hochmittelalters erkennen lassen. Nachdem Moissac der Clzlniaceizsis ecclesia eingegliedert worden war, nahmen sein MartyroIog und Necrolog cluniacensische Prägung an, ohne daß die in Moissacs lange Vergangenheit weisenden Heili- gen- und Toteneinträge ans der Zeit vor dem Anschluß an Cluny verlorengegangen wären'o"). Genau zn dem Zeitpunkt, da S. Martial de Limoges der Abtei Cluny untergeordnet wurde, legte man in S. Martial ein Necrolog an, das so massive cluniacensische Eintrags- schübe aufnahm, daß zwischen den vor und nach der Clunifizierung des Klosters Verstorbenen und ins Necrolog Eingetragenen mit Hilfe der Kürzeln le(movicemis) und cl(uniace~lsis) unterschieden wur- deno). Auf Jahresfrist genau ließ sich die Anlage des Totenbnches datieren, die Elsendis für das mit Cluny unierte, erste Frauenkloster der Cluniacenser, Marcigny-sur-Loire, nach dem Höhepunkt des In- vestiturstreites geschaffen hatlos).

Im Vergleich stellt sich heraus, daß in Clunys Pariser Priorat S. Martin-des-Champs die Buchführung der gemeinsam cluniacensi- scben Toteneinträge gegen Ende des 12. Jh.s am vollständigsten vor- genommen worden ist, während das Lokalkolorit im etwa gleichzei- tig angelegten Totenbuch des besonders weit von Cluny entfernten Priorates S. Saulve bei Valenciennes besonders beherrschend er-

1°7 Wie Anm. 72 U. 76. '08) Hierzu und zum folgenden vgl. MeIzne (wie Anm. 86). 10" VV. wolIasm (wie Anm. 751, S. 433. .. . .

"O) Ebd., S. 426 U. 433.

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J . Wollasci~, Erfoi-scliuizg des A.1öi2chruiizs irn Mittelalter 559

scheintlil). Das den erhaltenen cluniacensischen Necrologien ge- meinsame Namenp t macht eindmcksvoli kund, daß der Austausch der Todesnachrichten innerhalb der Cluniacensis ecclesia über große Raume hinweg funktioniert hatlll). Es bietet ein unaustauschbares Anschauungsmaterial für die Frage der Kommunikation im 11. und 12. Jh.

Im Necrologienvergleich und wenn wir, wie erwähnt, das Zeug- nis der cluniacensischen Necrologien mit jenem der cluniacensischen Consnetudines und Urkunden und anderen nichtnecrologischen Quellen zusammensehen, vermögen wir Anlage- und Redaktions- eigenheiten der einzelnen cluniacensischen Necrologien kennenzuler- nen. So fällt auf, daß in den frühen Necrologien der Abteien Mois- sac und S . Martial de Limoges, die nach ihrer eigenen langen Ge- schichte erst den Cluniacensern rechtlich angeschlossen worden sind, die mit Moissac und S. Martial Verbrüderten in je eigener Eintrags- form in den Necrologien einen beachtlichen Raum einnehmenno). Demgegenüber hat Elscndis, als sie 1092/93 ein Martyrolog-Necro- log für das mit Cluny unierte Frauenkloster Marcigny-sur-Loire anf- gmnd offensichtlich genauer Informationen und Vorlagen angelegt hat, neben der großen Columne für die nostre congregarionis rnona- chi in der engen Columne für die familiares izostri fast nur solche Verbrüderte aufgenommen, die dem eigenen Wohltäterkreis um Marcigny m g e h ö r t e n ~ ~ ~ ) . In diesem dominierte freilich das Ge-

"') Das ergibt der synoptische Befund der im Projckt B des SFB 7 in Münster mit Hilfe des hiesigen Rechenzentrnms automatisch parallelisier- ten Necrologien der Cluniacensis ecclesla in aller Eindeutigkeit. Diese Synopse soll demnächst als Arbeitsinstrument in einem in Lichtsatz ge- dmckten Paperback veröffentlicht werden. X?) Die Art und Weise des Nachrichtenaustausches wird anhand der Necrologien in Zusammenschan mit den Bestimmungen der Consuetu- dines darüber und mit den anderen Quellen cluniacensischer Provenienz wie Äbte-Viten, Briefen nsw. zu untersuchen sein. Wichtige Erkenntnisse dürften dabei namenkundliche Beobachtungen vermitteln. (Vgl. D. Geuc- iticlz, K. Schrnid, J. Wollasch, Auf dem Weg zu einem neuen Namenwör- terbuch des Mittelalters - erscheint demnächst mit den Vorträgen des 12. Internat. Kongresses für Namenforschung, der 1975 in Bern stattfand.) 1x3) Dazu und zum folgenden vorläufig Wollasch (wie Anm. 73, S. 418 U. 423; vgl. dazu J. Richnrd, Le Cartulairc de Marcigny-sur-Loire (1049-1144) (1957). Zum Eiaenaut des Necrologs von Marcigny gegenüber den anderen Cluniacensisch~n '3fotenbüchern gehört freilich auch der Cluny zugewandte und um Kaisenn Adelheid gruppierte Personenkreis. Ihn dürfte Elsendis ihrer Vorlage ans Cluny entnommen haben.

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schlecht der Herren von Semur-en-Brionnais, das Geschlecht also, dem Abt Hugo von Cluny entstammte. Aber zahlenmäßig kam ein Verhältnis zwischen Cluniacensermönchen (und Cluniacensennnen in Marcigny) und mit Cluny-Marcigny Verbrüderten im Necrolog zustande, das Ca. 10:l zu bezeichnen wäre. Vollends die Totenbücher aus den Cluniacenserpnoraten S. Martin-des-Champs und Longpont mit ihren mehr als 30 000 und Ca. 18 000 Einträgen verdeutlichen, wie sich die Cluniacenser zunehmend in ihren Totenbüchern auf die Einträge der eigenen Mönche konzentrierten und der Anteil an Ein- trägen Verbrüderter verschwindend klein wurde. Dem entspricht es, wenn wir aus den cluniacensischen Consuetudines erfahren, daß die Termine für ein summarisches Gedenken der familiares zunah- men"4).

Diese Aussagen erfahren freilich eine erhebliche Einschränkung dadurch, daß wir nichts über das Verhältnis zwischen Mönchs- und familiares-Einträgen in den verlorenen Necrologien der Abtei Cluny selbst wissen. Wir können nicht ausschließen, daß die mit Cluny rechtlich verbundenen Klöster aus einer Necrologvorlage der Abtei Cluny zwar die Mönchseinträge übernahmen, nicht auch alle jene für

"9 Das dreimal im Jahr - zu Beginn der Fastenzeit, nach Peter und Paul sowie nach Allerheiligen - begangene Gedenken pro familiaribus über- nahm Cluny aus der Odilozeit (Cons. Farfenses 11, LXIII - B. Albers, Consuetudines monasticae 1, 1900, S. 204) in den Abbatiat Hugos: vgl. Bernards Ordo Cluniacensis I, XXVI U. LXXIII - M. Herrsott, Vetns disciplina monastica (1726), S. 200 U. S. 266 und Ulrichs Consuetudines 11, XXXIII - L. d'Achery, Spicilegium sive Collectio veterum aliquot Scrip- torum 1 (21723), S. 702, die freilich a.a.0. trotz der Nennung des 1. Fasten- sonntags, des Gedenkeus nach Peter und Paul und nach Allerheiligen von Quatuor uices in unno sprechen. Dieses 4. Gedenken nun hat Hugo von Cluny für den Montag nach der Pfingstoktav, also nach dem Sonn- tag Trinitatis, zusätzlich eingerichtet (J. Ramackers, Analekten zur Ge- schichte des Reformpapsttums und der Cluniazenser in: QFIAB 23, 1931132, S. 47 f.). Bernard erwähnt es in seinem Ordo Clun. 11, 25 - S. 334 ebenso wie UIrich in seiner Consuetudinesredaktion I, XXVI - S. 657. Das zunehmende Pauschalgedenken darf gewiß als Versuch der Ratio- nalisiemng eines riesig angewachsenen Totengedenkens verstanden wer- den. So berichtet Bernord in seinem Ordo I. LXXIVRLI von der con- suetudo, daß weiter entfernt wohnende veibrüderte' - in Montmajour und Marseille - die Todesnachrichten aus ihren Klöstern bis zum Jahres- ende oder einem günstigen Ubersendungstemin auflaufen lassen und dann gemeinsam verschicken sollten - er sic pro omnibus fit unum Offi- cium cum genernli Missa, er caeteris, quae solent fieri pro nostris, excepta praebenda, er breviunl transmissione, uc Regulae onnotatione.

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J . Wollasch, Erforsciiung des Mö~~clztunis Nn Mittelalter 561

Wohltäter, um Platz zu behalten für Einträge, die man den regional auftretenden Wohltätern des je eigenen Klosters widmen würde. Es konnte sich der Gedanke einstellen: So haben die Cluniacenser zn- gunsten ihrer selbst mehr und mehr jene vernachlässigt, denen sie das Totengedenken versprochen hatten. Der Einwand t a t zweifellos zu, wenn man ihn auf das durch den Necrologeintrag gewährleistete individuelle Gedenken von Jahr zu Jahr bezieht. Doch abgesehen davon, daß den Verbrüderten, denen man für ihre Gaben liturgische und sozial-caritative Gegenleistungen schuldig war, ihr Recht mehr- mals im Jahr in Form summarischen Gedenkens und verbunden mit Sonderleistungen zugute kam, muß folgendes in Erinnemng gebracht werden:

4. Totengedenken und soziale Leistung

Gerade die Einträge der eigenen Mönche zogen neben liturgi- schen Leistungen Armenspeisungen auf Kosten der gedenkenden klösterlichen Gemeinschaft nach sich: Die durch den Tod eines Bru- ders freigewordene Tagesration erhielt ein Armer und sollte sie im Gedenken an den Verstorbenen annehmen. Was darüber in den Consuetudines Clunys, in den Dehreten und Statuten der Äbte Odilo, Hugo und Petms Venerabilis, aber auch in Urkunden aus Cluny steht, führt uns eine speziell mit dem Totengedenken verbundene Armensorge vor Augen, die tatsächlich gegenüber den Maßstäben eines heutigen Benediktiners unwahrscheinlich anmutet und - gerade im Fall Clunys - znm wirtschaftlichen Niedergang der Abtci im 12. Jh. wesentlich beigetragen hatnj). Die Konzentration auf das To- tengedenken und Seelenheil der eigenen Professen ließ die Gemein- schaft immer höhere Leistungen für die lebenden Armen, die das Kloster besuchten, auf sich nehmen.

Schon als Abt Odilo mit seinem Konvent das Fest AUerseelen an den Alierbeiligentag anschloß, Gedenken für alle Verstorbenen und Leistung für omnes supervenientes pauperes einführte, leitete ihn das Motiv, für die eigenen Brüder aliquid . . . plus more solito zu tunn6). Antrieb für eine derart ausgedehnte Armensorge, die - aufschluß- reich genug -von den Cisterciensem und den anderen Mönchsorden des 12. Jh.s nicht mehr weitergeführt, sondern in eine symbolische

113 Dazu J. Woilardt, Gemeimschaftsbewußtsein und soziale Leistung im Mittelalter (Frühmittelalterliche Studien 9, 1975, S. 280 E.). 116) Ebd., S. 274, Anm. 34.

Histotis&e Zoitr&iiit, 225. Band 37

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562 Historische Zeiiscl~rift Band 225 (1977)

Armenspeisung von täglich drei Präbenden mit einem pauschalen Gedenken an die eigenen Mönche und familiares umgewandelt wur- de">), ist also das Selbstverständnis der die Reformbewegung tragen- den Gemeinschaft gewesen. Das Gemeinschaftsbewußtsein erforderte im Totengedenken die Verbindung mit den Lebenden, die Verant- wortung für die Ärmsten unter diesen. Denn weil die verstorbenen Brüder solche Verantwortung nicht mehr wahrnehmen konnten, tat es stellvertretend für sie die Gemeinschaft, um damit ihren Toten vor Gott zur Rechtferti,wng zu verhelfen11~). Sollte hier nicht ein wesent- liches Moment für die Anziehungskraft klösterlicher Reformbewe- gungen im hohen Mittelalter liegen? Wird hier nicht etwas von der Eigenart der cluniacensischen Reformbewegung sichtbar? Was auch anderswo geübt wurde - Totengedenken mit Armenspeisung -, ist in Cluny offenbar mit einzigartiger Intensität, Extensität und Konse- quenz getan worden.

An dieser Stelle gilt es zu bedenken, daß nicht nur in Cluny, sondern in allen Klöstern Clunys solches Totengedenken und solche Armensorge geleistet werden sollte und geleistet wurde"8). Wie aber konnte ein Priorat die Last Zehntausender von Armenspeisungen tragen, die sich aus den Zehntausenden früher verstorbener Clu- niacenserprofessen ergaben? Was dazu in den Consuetudines und Verlautbamngen der Äbte Clunys aufgeschrieben wurde, läßt sich an den Handschriften der cluniacensischen Totenbücher bestätigen: Wenn Abt Petms Venerabilis in der Krise Clunys, wie man weiß, die Tages-Einträge im Necrolog auf fünfzig reduzierte'zo) - das bedeute- te immer noch jährlich gut 18 000 Armenspeisungen -, so muß das

Vgl. J. Wollasch, Neue Quellen zur Geschichte der Cistercienscr (Z. f. Kirchengeschichte 84, 1973, S. 230 E.).

VgI. WOII~SCII (wie Anm. 115), S. 274 f. "9 Aus den vielen Zeugnissen dafür seien hier nur genannt die brief- lichen Vercinbarungen des P ~ ~ N s Damiani mit Abt und Konvent von Cluny (Mignc, P. L. 144, col. 372f. U. 377f.), die Verfügung Hugos von Cluny über das Gcdenken der auf den Friedhöfen der Cluniacenser liegen- den Verstorbenen (J. Ramackcrs, wie Anm. 114) und die Urkunde über die Verbrüderung Clunys mit St. Blasien (DA 17, 1961, S. 445 f.). In Beriiards Ordo Clnniocensis I, XXVI De societate nostra danda extraneis (wie Anm. 114), S. 200, heißt CS von den Leistungen für die Verbrüder- ten, daß sie non solun? apud nos, sed etiam in cunctis locis noslris geleistet würden. Ulriclzs Text s. U. Anm. 131. I") Statuta Petri Venerabilis Abbatis Cluniacensis IX (114617) hg. V.

G. Constnble (Corpus Consuetudinum Monasticamm 6, 1975), Nr. 32, S. 66 f.

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J. Wollasciz, Ei-forschung des Möi~clzru~fzs im Mittelalter 563

verlorene Necrolog von Cluny, das vor dieser Verfügung benutzt wurde, mehr als I8 000 Namen enthalten haben. Tatsächlich finden wir in dem nach dem Dekret des Petrus Venerabilis angelegten To- tenbuch von S.Martin-des-Champs, abgesehen von den umfangrei- chen Ad-hoc-Einträgen und Nachträgen, einen Anlagebestand von nahezu 23 000 Namen, der sich auf verstorbene Cluniacenser des IO., 11. und 12. Jh.s bezieht. Den Professen aber, die in S. Martin-des- Champs selbst gestorben und ins Totenbuch eingetragen worden sind, stellte man dort ein m über den Namen. So kam das Pariser Priorat anstatt auf 23 000 auf 700 Armenspeisungen jahrlichlzl). Maßzahl für die Armenspeisungen, die im 12. Jh. in der Cluniacensis ecclesia während deren wirtschaftlichen Niederganges zu leisten wa- ren, wurde die jeweilige Konventsstärke eines Cluniacenserklo- ~ t e r s ' ~ ~ ) . Daß man in cluniacensischen Necrologien innerhalb der eingetragenen Cluniacenser die Mitglieder des je eigenen necrolog- führenden Klosters durch Buchstaben oder Kreuzzeichen markierte, erlaubte die Einlösung des Versprechens der Armenspeisungen zum Totengedenken. Es verdient dabei Beachtung im Hinblick auf das Selbstverständnis einer Reformbewegung, daß trotz der Beschrän- kung der Armenspeisungen die vollständige Buchführung der Toten- einträge für alle Professen der klosterübergreifenden Gemeinschaft angestrebt worden ist.

Ebenfalls im Vergleich der necrologischen und der Consuetudi- nesüberliefemng der Cluniacenser wird neben der Frage der Armen- sorge ein weiteres sozialgeschichtliches Problem beleuchtet: Entgegen den Gebräuchen der meisten Necrologien ans deutschen Klöstern unterscheiden die cluniacensischen nicht zwischen Priestermönchen und Laienbrüdern, zwischen Mönchen mit Angabe des Weibegrades und conversi. Dem entspricht es, daß auch in den Consuetudines und Urkunden der Cluniacenser die Priestermönche allein in der liturgi- schen Handlung von den Conversen abgehoben erscheinen, während sonst im Kloster nicht der Weihegrad, sondern das Profeßalter maß- gebend sein soMel2s).

'2') Dies stellte J. Mehne, Eine Totenliste aus S. Martin-des-Champs (Frühmittelalterliche Studien 10, 1976, S. 227 f.) fest. '$9 Vgl. Hugos V. Cluny Verfüguns über das Gedenken der auf den Friedhöfen der Cluniacenser liegenden Verstorbenen (wie Anm. 119). 1") W. Teske, Laien, Laienmönche und Laienbrüder in der Abtei Cluny. Ein Beitrag zum „Konversen-Problem" I. Teil (Frühmittelalterliche Stu- dien 10, 1976, S. 248 E.). Der I1.Teil folgt in Frühmittelalterliche Stu-

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564 Historische Zeitschrift Band 225 (1977)

Dic erhaltenen Necrologien der Cluniacenser können veran- schaulichen, welche Möglichkeiten die necrologische ~heriieferung eines Klösterverbandes, bereitet man ihre Edition methodisch vor, eröffnet, eine monastische Reformbewegung des hohen Mittelalters in ihrer Eigenart und in ihrer Wirkung zu erforschen. Weitere Quel- len, die sich dafür ausschöpfen lassen, kommen hinzu. So bleibt der frühneuzeitlich erhaltene Rotulus, der ein knappes halbes Tausend mit Cluny verbrüderter geistlicher Gemeinschaften aufführt, auf sei- ne mittelalterliche Substanz hin m untersuchen'"). Urkunden Cln- nys, die Briefe seiner Äbte und andere Zeugnisse verweisen uns auf Clunys Verbrüderungen'2s). Und in den Necrologien der Klöster, die einmal einen Cluniacenser zum Abt hatten, sowie in den Necrolo- gien anderer cluniacensischer Klöster findet man Toteneinträge von Äbten und Mönchen der Cluniacensis ecclesia und Notizen über Verbrüderungen mit den Cluniacensem, so wie wir aus den cluniacensischen Totenbüchem erfahren, welche Professen Clunys in nicht cluniacensischen Klöstem Äbte geworden sind - auch Gorze fehlt nicht . . ,126) -, und welchen Anteil Mönche von Cluny in der kirchlichen Hierarchie d a 10. bis 12. Jh.s als Bischöfe, Erzbischöfe, Kardinäle genommen haben'27). Man würde die Necrologien und ihre Erforschung nicht nur verabsolutieren, sondern müßte auch ihren Anssagegehalt unvollständig und verzerrt wiedergeben, steUte

dien 11 (19771, S. 288ff. Nach U. Lewald (Rhein. Vjbl. 18, 1953, S. 306s. U. ZRG, Kan. Abt. 75, 1958, S. 396ff.L H. Grundmann, Adels- bekehrungeu im Hochmittelalter. Conversi und nutriti im Kloster (Adel und Kirche, Festschr. f. G. Tellenbach hg. V. J. Fleckenstein und K. Schmid 1968, S. 325 ff.) U. I. Dubois, L'institntion des convers au XiIe sikcle (I laici nella ,,societas chnstiana" dei secoli XI e XII. = Atti della terza Settimana intemazionale di studio, Mendola 1965 - Milano 1968, S. 183 ff.) setzt sich Teske von der Wberliefemg der Abtei Cluny (nicht der gesamten Cluniacensis ecclesia) her kritisch mit Hallingers Thesen zum Konversenproblem auseinander. I") Dies wird nach einer Nen-Edition der Quelle möglich sein. In der vorliegenden Edition (RHF, Obituaires 6, 1965, S. 472-481) sind die Namenlisten aus zwei Crberliefeningen zu einer Liste zusammengefügt worden. '25) Vgl. vorraufig die Beispiele bei Schmid-Wollasch (wie Anm. 59), S. 27 mit Anm. 65. lP" So ist Abt Heinrich d. Gute von Gorze (f 1. 5. 1093) in den clunia- censischen Totenbüchem von S. Martial de Limoges, Marcigny-sur-Loire, S. Martin-des-Champs und Longpont übereinstimmend unter den Profes- sen von Cluny eingetragen worden. '9 Vgl. Mehne (wie Anm. 86), S. 241 U.

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J . Wollasch, Erjorschurlg des Mönchtums irn Mittelalter 565

man nicht die Untersuchung der Necrologien im Zusammenhang mit der jeweiligen Gesamtüberlieferung geistlicher Gemeinschaften an. Mehnnals war zu erwähnen, wie wichtig es ist, die Feststellungen und Bestimmungen der Consuetudines mit der Buchführung der Necrologien zusammenzusehen.

5. Consuetudines

Gerade die von den Totenbüchern bereitgehaltenen sozialge- schichtlichen Aufschlüsse werden erst auf dem Hintergrund der Con- suetudiies und Urkunden recht zu fassen sein. Dies erweist sich auch angesichts einer neuen Studie über die Armut in den Consuetudines monasticae, die aUe jene Angaben der Consuetudines, die von der Armensorge im Zusammenhang mit dem Totengedenken handeln, unberücksichtigt gelassen hat'28). An dieser Stelle mag nur für die zahlreichen Skeptiker, denen noch ein Necrologzeugnis in jedem Fall ein schwächeres Zeugnis als eine Königsurkunde zu sein scheint, und für jene, die mit Hailinger Necrologien und Consuetudiies aus- schließlich als monastisch-refonngeschichtliche Quellen behandeln, daran erinnert werden, daß den Zeugnissen des Totengedenkens auf vielfältige Weise auch Rechtskraft zukam.

Die rechtlich verbindliche Profeß des Mönches, auch wenn es die professio in extremis eines Bischofs oder Papstes war, gab das An- recht auf einen bestimmten Totenbucheintrag und die daran hän- genden liturgischen und sozialcaritativen Leistungenl"). Und hatte es im 10. Jh. im Reichsgebiet nach Ausweis der Einsiedler Consuetudi- nes oder der sogenannten Sandrat-Statuten noch im Ermessen des Abtes gelegen, wem ein Emtrag ins Necrolog mit den daranhängen-

'1") W . Wirters, Pauvres et pauvret.5 dans les coutumes monastiques du moyen-2ge (Emdes sur I'histoire de la pauvret6 hg. V. M. Mollat 1, 1974, S. 177-215).

Nach den betreffenden Bestimmungen der Consuetudines Clunys aus dem 11.16. nimmt Petms Venerabilis diesen Sachverhalt gerade dort, wo er das Totengedenken und die daran bängenden Leistungen kürzen muß, wieder auf: Statrrtum est, ut defunctis fratribus nostris, universis scilicet professis, die anniversarii quo recitari nomina eorum a lectore, sicuti mos est in capitalo, solent, quinquqinta prnebendae dentur.. . (Statuta hg. V. G. Constable, wie Anm. 120, Nr. 32, S. 66). Zur clunia- censischeu professio in extremis P. Stephans IX. siehe J. Woilasch, Die Wahl des Papstes Nikolaus 11. (Adel U. Kirche, Festschr. f. G. Tellenbach, wie Anm. 123, S. 205ff.); im Hinbli& auf Bischöfe und Kardinäle vgl. Mehne, Cluniacenserbischöfe (wie Anm. 86).

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566 Historische Zeitsclrrifi Bafld 225 (1977)

den Verpiiiditungen gewidmet wurde'ao), so bedurfte es vom 11. Jh. an z. B. in Cluny auch der Zustimung des Konvents, wann jemand die societus et fraternitas der Cluniacenser erlangen und namentiich ins Totenbuch eingehen sollte. Eine solche Verbrüderung ging als beurkundeter Rechtsakt unter Verwendung bestimmter Texte und Zeichen im Kapitelssaal vor sich. Das lehren die Consuetudines'3') ebenso wie die Urkunden's') oder etwa die Briefe des Petrus Damia- ni, die er für sein Totengedenken an Abt und Konvent von Cluny richtete, nacbdem er von seiner bekannten Legation nach Frankreich in scine Einsiedelei nacb Font'Avellana zurückgekehrt war183). Nach- dem schließlich die Cistercienser im 12. Jh. die Institution des Mönchsordens geschaffen hatten, wurde die Aufnahme ins Totenge- denken des Cistcrcienserordens eine Sache, die auf dem Generalkapi- tel behandelt und als Generalkapitelsbeschluß geregelt wurde, auch wenn wir festzusteuen haben, daß in den einzelnen Cistercen von den Generalkapitelsbeschlüssen abweichende Wege gegangen worden sind'"). Aufs engste mit der Aufnahme ins Totengedenken einer

'30) Wic Anm. 94. ' 5 ' ) Ulrich, Cons. XI, XXXIII - d'Achdry (wie Anm. 114), S. 702: item sunt plerique Fideles Christi tanz pauperes, quain divites, qui cuin adducti in Capitulum nostrum vencrint, petunt, ut ipsi quoquc increaniur Iiabere fraternitateni nostrarn: annuitur, et cum libro eis datur, ut partcm ct com>nunionem hobcant de o>nrtibus bonis quac ullo rnodo fiunt vel iri orationibrrs, vel in eleemosynis. non solrrm npud nos, scd etiailz in cunctis locis, quae iiostri jilris esse videntur. Den entsprechenden Passus gibt Bernard in seinem Ordo I, XXVI im Kapitel De societate nostra danda extraneis - Herrgott (wie Anm. 114) S. 200.

AIS ein Beispiel von vielen sei herausgegriffen die Verbrüderung zwischen Bischof und Domkapitel von Orleans und Abt und Konvent von Cluny Ca. 1060 (A. Bernard et A. Bruel, Recueil des chartes de l'abbaye de Cluny 4, 1888), Nr. 3364, S. 460: . . . decrevirnus lzoc inde cx utraque parte mernoriale fieri, et n itobis et ab illis et in nostro ct in suo capitulo ct vocibus ct signis co,ifiimori. '3s) Pelrus Dnniiani, Briefe VI, 2 - Migne, P. L. 144, Sp. 372f. und VI, 4 - ebd., Sp. 377f.: Quarnobrem omiies in capitulo residentes comniuni judicio staiuisiis, ei schedulis inscri per rescripiionis articuIum decrevistis: i ~ t et vos, et posteri vcslri seinper in anniversario rnei obifus insigne ali- quid agcretis. . . '34) Dazu vgl. Woliascl~ (wie Anm. 117), bes. S. 229 ff. Vor den Cister- ciensern hielten auch Benediktiner eine Art ,,Kapitel" ab, auf denen Ver- hrüdeningen eingegangen wurden. Zu deren Rechtscharakter vgl. schon U. Berliere, Les fraternites monastiques et leur r6le juridique (wic Anm. 5).

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J . Wollasch, Erjorschifizg des Möizciziu~~~s iin Mittelalter. 567

klösterlichen Gemeinschaft war ja auch die Frage eines Begräbnisses auf dem Klosterfriedhof oder in der Klosterkirche durch die Mönche verbunden, für das immer wieder Schenkungen an die Klöster ge- macht worden sind's%).

Wie unentbehrlich sich nun die Consuetudines als Wegweiser zum alltäglichen Lehen in den mittelalterlichen Klöstern, zu den dort herrschenden Wertvorstellungen und Ansprüchen auf Vorbildlichkeit je eigener Gewohnheiten darbieten - man mißhraucht sie, wenn man sie a b diakritische Elemente zu einer schematischen Einteilung des hochmittelalterlichen Mönchtums in gegensätzliche Reformrichtun- gen einsetzen will, wie dies Hallinger in die Literatur eingeführt hat. Schon einige Beispiele können das veranschaulichen:

Abt Hugo von Cluny ließ zwei Mönche aufschreiben, was an Bräuchen klösterlichen Lebens in Cluny herkömmlich geübt würde, und es entstanden zwei voneinander unterschiedliche Fassungen clu- niacensischer Gewohnheiten mönchischen Lehens im Kloster's". In St. Stephan/Würzhurg hat man Regulares usus i~~onachor-um secuiz- dum morem Clur~iacensium aufgeschrieben. Hallinger aher bezeich- nete diese Bräuche als „Junggorzer Reformbräuche aus St. Stephan in Würzhurg"l37). Was gilt - die zeitgenössische Selhstbezeichnung der Mönche oder die heutige nachträgliche Zuordnung eines Histori- kers? Waren die einzelnen inhaltlichen Bestimmungen das Kriterium der Zuordnung, so müßten wir auf eine solche verzichten. Hallinger selbst hatte nämlich zu vermerken: „Die Bräuche von St. Stephan in Würzburg weisen betont kluniazensische Züge auf . . . Diesen Punk- ten lassen sich aher mit der gleichen Bestimmtheit mindestens ebenso viele Elemente der Gnrzisch-Lothringischen Überlieferung entge- genstellen'3s)." Wenn entsprechend der Beweglichkeit, die viele Be-

' 8 5 ) So schenkte 2.B. eine Petronilla z. 2. des Abtes Hugo an Cluny, iit ipsi fratres (V. Cluny) >ne scpultrirt trodßnt, sicat ipsain cni predictrcs patcr (A. Hugo V. Cl.) socicrarern ipsius loci et omniont locorui,i ad ipsuni pertineritiurn concessit. (A. Bernard et A. Bruel, wie Anm. 132, Bd. 4, Nr. 3233, S. 359). Vorarbeiten für eine statistische Untersuchung aller zum Zweck des Begräbnisses in Cluny gemachten Schenkungen hat D. Pocck in seiner Zulassungsarbeit zur wiss. Prüfung für das Lehramt an Höheren Schulen in Freiburg i. B. 1973 geleistet.

Ordo Cluniacensis Bcrnards (wie Anm. 114) u. d. Consuetudincs Ulriclzs (wie Anm. 114). '37) K. Haliingcr, Junggorzer Reformbräuche aus St. Stephan in Würz- burg (Würzburger Diözcsangeschichtsbiätter 25, 1963). '"1 Ebd., S. 111.

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J . Wollmch, Ei.iorsclzune des Mönclifuiizs bn Mittelalter 560

,,Urspningskontamination"~4~) oder der Wirkungsgeschichte eines Textes gegeben ist, dem die Lacbmannsche Methode nicht gewachsen sein kann, dann sind es die Gebrauchstexte der Consuetudines mona- sticae auf ihren Wandemgen von Kloster zu Kloster.

Wie solite man „mit den herkömmlichen Regein der Textkritik" eine Consuetudo edieren können, die im Original den Text des U1- rich von Cluny und eine davon abweichende Interlinearversion in S.Martial de Limoges bietet'"), oder einen sogenannten ,,Bernhard- text", der für Corbie „adaptiertt', dort als Statuta Eremberti überlie- fert worden istlas)? Diese Frage stelit sich vor der Wendung der Lorscher Chronik von der ,,defensio gorziensis seu cluniacensis ordi- nis" gegen Hirsauer Einfluß im Jahr 1105. Hatte der Chronist 1169/70 das „seu cluniacensis" zugefügt, dann hätten wir - so hat man schon gesagtlae) - ein Beispiel dafür, daß in dieser Zeit nicht mehr einzelne Refomrichtungen gegeneinander standen. Stammte die Fomulierung jedoch schon aus der Zeit des beginnenden 12. Jh.s, so entspräche sie der Zusammengehörigkeit von Cluny nnd Gorze, die entstanden war, seit der Cluniacenser Abt Wilhelm von S. Benig- ne de Dijon Gorze reformiert hattel47). So hatte ja schon Lampert von Hersfeld Gorze, Cluny und das von Fruttuaria aus reformierte Siegburg in einem Satz nennen könnenl48). Es scheint, als stünden hier Probleme der Textedition an, die in ganz vergleichbarer Weise gerade gegenüber rechtsgeschichtlich wesentlichen Texten des Mittel- alters aufgeworfen sind149).

Die Consuetudimes monasticae eignen sich nicht zu einer sche- matischen Einteilung des hochmittelalterlichen Mönchtums in ge- gensätzliche Reformrichtungen, sondern sie geben Einblick in die Interdependenz von Klöstern und Klöstergnippen des Mittelalters. Sie ermöglichen es, die Anziehungskraft einer Reformbewegung zu

"5) Ebd., S. 13. "4) Vgl. dazu Wollasch (wie S. 5331, S. 54, A m . 178. "5) H~l l inge~ (wie Anm. 140), S. 104. 149 Tellenbach (wie Anm. 82), S. 9. 1") Vgl. I. Wollasch, Reform und Adel in Burgund (Investiturstreit und Reichsverfassung hg. V. J . Fleckenstein 1973 = Vorträge U. Forsch. XVII hg. V. Konstanzer Arbeitsbreis f. mittelalterl. Gesch., bes. S. 288 f.). '48) Lamperti mon. Hersfeldensis Opera hg. V. 0. Holder - Egger (MG Scriptor. rer. germ. in us. schol. 1894, N.D. 1956, Annales ad a. 1075, S. 244 f.); vgl. dazn I. Wollasch, Kaiser Heinrich 11. in Cluny (Friihmittel- alterliche Studien 3, 1969, S. 342, Anm. 82). "8) Siehe Fuhrmann (wie Anm. 1421, S. 14.

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verfolgen, indem man beobachtet, welche Klöster ihre Gewohnheiten an bestimmten Zentren monastischer Reformbewegung nach eigener Aussage ausrichten wollten oder die entsprechenden Consuetudines übernahmen und den Gegebenheiten des eigenen Hauses anpaßten. Der Name Gorze als Herkunftsort einer Consuetudo, die in anderen Klöstern nachgeahmt wurde, begegnet erst in Zeugnissen, die nach dem Abbatiat des Cluniacensermönches Wilhelm von Volpiano, des Abtes von S . Benigne de Dijon, in Gorze entstanden sind'so). Für Gorze kennt man nicht wie für Cluny eine Consuetudines-überliefe- rung, die kontinuierlich die Bräuche des Lebens in einem Kloster vom 10. bis zum 12. Jh. wiedergibt. Statt dessen trifft man für das 10./11. Jh. auf Consuetudines aus dem Gebiet des deutschen Reiches, die zu einer Gmppe von Klöstern des Ottonenreiches hinleiten, in denen Varianten ähnlicher Gewohnheiten, freilich schon in zahlrei- chen Punkten den cluniacensischen Bräuchen entsprechend, üblich waren'si). Man kann also den Consuetudines auch die Nabe oder Ferne eines Klosters zum Mittelpunkt einer Reformbewegung able- sen.

6. Cluny und Refor~?zklösrei. wie Gorze

Baut man seinen Beobachtungsstand nicht mit Hallinger auf von vorneherein gegebene Postulate bestimmter Prinzipien, sondern nimmt den Ausgangspunkt in der mittelalterlichen Oherlieferung selbst, wie sie uns vorgegebcn ist, dann könnte man, ohne im einzel- nen der noch zu leistenden Erforschung der mittelalterlichen Necro- logien und Consuetudines vorzugreifen, sagen: Refomklöster wie Gorze bat es innerhalb und außerhalh des deutschen Reiches zahl- reich gegeben, und immer bildeten sich wieder - nicht unabhängig von dem Herrschaftsbereich, in dem sie lagen - Gruppcn enger zn- sammenstehender Klöster, die ihr Mönchtum erneuern wollten. Aber

'ja) Dabei meinte Lainpert V . Hersfeld (wie Anm. 148) noch nicht einmal expressis verbis die Vorbildhaftigkeit einer Consuetudo im Sinn des ter- minus technicus „consuetudo monastica". Der Redaktor der sogen. Sand- rat-Statuten jedoch sagte mit keinem Wo& diesc stammten aus Gorze. Vielmehr stellte er, was er von Trier und Gorzc wußte, dem gegenüber, was er auf der Reichenau und in Regensburg gesehen hatte, und stellte es den noch unbekannten Adressaten (si vos in consuerudine vultis haberc) als gleichgewichtig dar (B. Albers, Consuetudines monasticae 5, 1912, S. 7). 'j') Vgl. dazu H. Keller, Kloster Einsiedeln im ottonischen Schwaben (Forsch. z. oberrhein. Landesgesdi. 13, 1964, S. 141ff., bes. S. 145 mit Anm. 33).

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J . Wollasci?, Erfoi'sciiuizg des Möizciiiunls iin Mirtelalier. 571

nur einmal hat es eine monastische, jegliche politische Grenzen über- springende Reformbewegung gegeben, die sich die rechtliclie Gestalt eines Klösterverbandes schuf, eine eigene necrologische Dokumenta- tion und eine über Jahrhunderte kontinuierliche Consuetudines- Überiiefcmng hinterlassen und in ihrer geschichtlichen Wirkung die Gründung des Mönchsordens im 12. Jh. durch die Cistercienser und damit die Selbstbestimmung des Mönchtums vorbereitet hat: in Clu- ny. Wie anders wäre zu verstehen, daß sich danach im 12. Jh., als dic Cistercienser Europa ,,eroberten", die alten, schwarzen, benediktini- schen Mönche gegenüber den neuen, weißen, cisterciensischen, gleichwohl auf die Benediktsregel verpflichteten Mönchen als 110s

Clu~ziacenses auffassen konnten und dies gerade auf dem Gebiet des Deutschen ReichesEZ)?

Währcnd der Dmcklegung erst wurde bekannt zu Anm. 88: D. Geuenicii, Verbrüdemngsverträge als Zeugnisse der monastischen Reform des 11. Jahr- hunderts in Schwaben (ZGOrh 123, 1975, S. 17-30), zu S. 548: M. Borgolte, Eine Weißenburger Ubereinkunft von 776177 zum Gedenken der verstor- benen Brüder (ZGOrh 123,1975, S. 1-15).

1") Hallinger (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 183, Anm. 14, vgl. dazu Wollarch (wie S. 533), S. 183 mit Anm. 609.

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