Max Seltmann Heft 12

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    Heft 12. Bethanien

    Inhaltsverzeichnis01. Nach der Kreuzigung, im Hause eines

    Templers02. Das Grab ist leer03. In der Gewalt des Tempels04. In Zweifel und Herzensnot05. Auf der Flucht06. In Bethanien

    01. Nach der Kreuzigung im Hause eines TemplersDurch die Straen von Jerusalem wankte ein junger Priester; er stand noch unterdem Schrecken des auf Golgatha Geschehenen, und das Beben der Erde sowiedie, ungewhnliche Finsternis verursachten in ihm eine Furcht, die sich fast zurTodesangst steigerte: O Jesus,Du hast ausgelitten! Doch mir hast Du heute meine schwere Schuld gezeigt.Wenn ich doch gutmachen knnte, was ich in meiner Unerfahrenheit Dirangetan! 0 Jehova, wenn wir nun einen Unschuldigen gerichtet haben? Wiewirst Du uns strafen.Nun kam er an die elterliche Behausung; auf sein Klopfen ffnete seineSchwester, sah ihm ins Gesicht und fragte erschrocken: Wo kommst du her,Ruben? Die Mutter ist voll Angst und Sorge um dich und fast krank geworden!

    Ach la mich in Ruhe, ich bin wie gefoltert, ich mu allein sein!Aber Ruben, Mutter verlangt so sehr nach dir!, wendete Ruth ein.Morgen, Schwester, heute Vermag ich es nicht! Denn ich habe Erschtterndeserlebt beim Tode eines Unschuldigen! Gr die Mutter; gute Nacht!Nun war er allein! Allein mit sich und seinem Gewissen! Immer wieder drangendie Worte Jesu peinigend in sein Inneres: Vater, vergib ihnen! Denn sie wissennicht, was sie tun! Und diesen Menschen haben wir gerichtet? 0 Gott, oJehova! Warum waren wir nur so blind? Warum haben wir dem Hohepriesteralles geglaubt? Lange und bange Stunden verbrachte er in diesem qualvollenund zerrissenen Zustand; immer sah er den Blick Jesu auf sich gerichtet mit derstummen Frage: Was tat Ich dir, da du dich an Meinen Schmerzen freuenwolltest? O Jesus, vergib mir, ich habe Dich nicht kennen wollen!, bat erlaut, doch nun ist es zu spt!Der alte Vater aber fand in dieser Nacht auch keine Ruhe, denn seine Frau lagwie im Fieber, da sich die innere Zerrissenheit ihres Sohnes unbewut auf ihreSeele legte. Endlich tagte der Morgen, und sie verlangte sogleich nach Ruben.Beruhige dich, Mutter, Ruben schlft noch, sprach Ruth, deine Angst warunbegrndet; bald kommt er zu dir.Ruth besorgte nun das Morgenmahl; da kam Ruben in die Kche und sprach:

    Schwester, ich mu euch verlassen! Ich fhle mich wie Kain und mu ruhelosvor mir selber fliehen, denn gestern half ich Jesu morden! Er aber war dochGottes Sohn!

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    Ruben, antwortete Ruth, wir Frauen durften ja nie etwas sagen ber den euchso verhaten Nazarener; und nun ihr endlich am Ziel seid, klagst du dich an?Weit du, wie schwer die Mutter um deinetwillen gelitten hat? Mutter hat denNazarener tief verehrt und sagte noch gestern: Er wird alle Seine Feinde

    zermalmen und sie wie Spreu in alle Winde zerstreuen! Wir wissen nicht, wiees um Ihn steht, da wir uns eingeschlossen hielten; aber um dich hat Mutter sosehr gebangt. Nun willst du uns verlassen? Dies wre der Mutter Tod!Liebe Ruth, sprach Ruben, knntest du dich in meine Lage versetzen, sowrdest du sagen: Ja, fliehe! Fliehe vor dir selber, denn du hast dich an demHeiligen Gottes versndigt! Und diese Snde fordert Shne.Dies verstehe ich nicht!, entgegnete Ruth, du httest Jesus morden helfen?Wie kannst du dich selber dieser Schuld bezichtigen? Ich meine, das htte dochder Hohepriester zu bestimmen!Schwester, du kannst von dem Nazarener nur das wissen, was der Vater und

    ich hier im Hause besprachen; aber es war ja alles ganz anders! Um mich zuverstehen, will ich dir mein Herz ffnen, und du magst hineinschauen, wie esdarin aussieht. Also: Jesus ward verurteilt! Im Tempel hatten alle ihre Freudedarber! Wie man dann mit dem Verurteilten umging, das gefiel mir ja nicht;doch was wollte ich ndern? Ich folgte dem Zug und sah mit kalten Augen denSchrecken, den mancher erlebte, weil sein Freund und Helfer ihm genommenwurde. Das Wehklagen der Frauen berhrte mein Herz nicht, denn in mir war esnoch tot! Endlich war Golgatha erreicht und die Kreuzigung begann- Hier warich begierig, wie Jesus sich wohl verhalten wrde. Aber da erlebte ich etwas,was ich nicht fr mglich gehalten hatte: ich sah das auf der Erde liegendeKreuz und sah Jesus und erbebte in diesem Augenblick! Ich sah die Kreuzigungund wollte Einspruch erheben, aber ich war wie gelhmt Als die Knechteendlich unter vielen Mhen das Kreuz aufrichteten, mu Jesus ohne Besinnunggewesen sein, denn es dauerte eine ganze Weile, bis sich Seine Brust wieder hobund senkte; dann rief er laut: , Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, wassie tun! Da, Schwester, fiel eine Binde von meinen Augen, und meine Schuldwurde mir offenbar! Denn ein Schuldiger stirbt anders. Nur Einer, der bei denMenschen um Liebe und Verstehen ringt, kann so sterben! Ich wollte michbeschmt davonschleichen, aber die rmischen Soldaten lieen niemanden

    gehen. Blutenden Herzens mute ich mit ansehen, wie ein Unschuldigergrauenvoll litt, nur weil wir glaubten, Er sei dem Tempel gefhrlich! Du kannstdir die Angst derer nicht vorstellen, die aus Neugierde mit hinaus nach derSchdelsttte geeilt waren, als nun die Erde erbebte, als es finster wurde und diedrei Kreuze schwer anklagend in die Hhe ragten! Denn um die Kreuze war esnicht finster. Kannst du nun meine Zerrissenheit verstehen und meine Furcht,wie Jehova uns noch richten wird?Bruder, es ist erschtternd, was du mir erzhlt hast!, sprach Ruth. Dochwillst du nicht mit dem Vater sprechen? Ich kann dir nur sagen, wenn derNazarener allen vergeben hat, wie du erzhltest, so htte Er ja auch dirvergeben! Wenn du aber in dir noch Schmerz und Reue fhlst, so gehe dochzum Hohepriester, damit er dir wieder Ruhe und Friede gebe! Ich mchte dichaber bitten, sprich zuerst mit dem Vater; schweige aber vor der Mutter! Und mit

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    dem Fortgehen , da besinne dich auf deinen Gehorsam, den du, als DienerJehovas, Gott und den Eltern schuldig bist. Und nun komm, Ruben! Die Mutterwird erst ruhig, so sie mit dir gesprochen hat.Beide traten ins Schlafgemach, und die Mutter sprach erfreut: O Jehova! Dir

    Preis und Dank! Mein Sohn lebt und ist gesund! Nun werde auch ich wiederfroher.Ruben fragte liebevoll: Mutter, warum sorgst du dich um meinetwillen? Liegtunser aller Leben nicht in der Hand Jehovas?Ja, mein Sohn!, antwortete die Mutter, doch httest du den Glauben, denJehova fordert, so wrest du gestern fern geblieben, als man den HeiligenJehovas gefangen nahm! Nun frage ich dich, Ruben: wo ist der Heilige Gottes?Und du, bist du verschont geblieben von Seiner Macht und Strke? Rede! MeinHerz kann nicht zur Ruhe kommen, so ich nicht die volle Wahrheit wei.Mutter, fasse dich!, sprach Ruben ernst. Jesus ist tot! Ist vom Tempel

    gekreuzigt worden. Doch Vater und ich sind genau so schuldig wie die ndernTempler! Erst heute wei ich: Er war Gottes Sohn! Unschuldig hat er diesen Toderleiden mssen! Darum bleibt kein anderes Urteil fr mich brig: ich binmitschuldig an Seinem Tode! Wie Vater darber denkt, wei ich nicht, denn seitgestern sah ich ihn nicht mehr.Die Tr zum Nebengemach aber war offen, und der Vater hatte jedes Wortgehrt; darum trat er nun unter die Seinen und fragte: Wessen klagst du dichan, Ruben? und auch mich? Hier am Lager deiner kranken Mutter? Bist du dirberhaupt bewut, was du in deiner Erregung alles gesagt hast? Mir entging keinWort.Vater, sprach Ruben, dann brauche ich ja nicht mehr zu wiederholen, wessenich mich anklage! Httest du erlebt, was ich gestern auf Golgatha erleben mute,wrdest du mich vielleicht besser verstehen; aber ihr seid ja trunken vor Freude,da es euch gelungen ist, diesen Heiligen Gottes zu vernichten! Da ich mitzugestimmt habe beim groen Rat, bereue ich tief und betone offen, da ichben will, bis Jehova mein Herz wieder ruhig macht! Darum kann ich nichtmehr im Hause, nicht mehr in Jerusalem bleiben; denn das Kreuz von Golgathaist mein Richter!Ruben!, beruhigte der Vater, das Beben der Erde und die Finsternis haben

    wohl diese Furcht und diese Gedanken in dir aufsteigen lassen. La den Sabbatund Nachsabbat vergehen, dann wirst du dich genau so freuen wie wir, da dieGefahr der Vergiftung unserer Heiligen Lehren durch den Nazarener endlich einEnde hat.Vater! entgegnete Ruben erregt, du lsterst Gott und entehrst denUnschuldigen! Ein Mensch, der fr seine Peiniger und Marder in der schwerstenund schmerzlichsten Stunde seines Lebens noch Gedanken der Verzeihung hatund sie in Worte edelster Frbitte kleidet, kann kein Feind unserer Gottes-Lehresein! Ihr aber wollet euren Irrtum nicht einsehen; darum ladet ihr alle Schuld aufdiesen gttlichen Dulder! Vater, es ist immer dasselbe, wessen ihr Ihnbeschuldigt! Und ich Verblendeter , ich glaubte euch und stimmte von Herzeneurem Urteil zu in der Annahme, Jehova und dem Volke einen guten Dienst zuerweisen

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    Ruben! Du bist mein Sohn! Und ich als dein Vater mahne dich an deine Pflichtals Sohn! Du hast dich jeden Vorwurfs zu enthalten! Was der Tempelbeschlossen hat, und was wir gut hieen, ist richtig! Niemand kann auftreten undsagen, da wir verkehrt gehandelt htten. Wo war denn Jesu Macht und

    Herrlichkeit? Wo waren alle Seine Freunde? Zerstoben in nichts! Denn nochlebt der Gott unserer Vter und hat uns, Seinen Dienern, das Rcheramtbergeben.Vater!, rief Ruben, es hat keinen Zweck, da wir weiter reden, denn du stehstganz auf der Seite des Tempels! Ich aber trenne mich von euch und werde beianderen nach Trost, Vergebung und Frieden suchen! Ich habe dem sterbendenJesus in die Augen geschaut und fhle noch immer Seinen anklagenden Blick!Und mir ist, als wenn von Seinem Blick und von Seinen Augen mehr Heilausginge als vom ganzen Tempel und seinen Dienern.Du bleibst!, sprach Enos streng, und verlt das Haus nicht! Auch du bist

    von dem Nazarener beeinflut; du bist mir ein rgernis! Und deshalb wollen wirheute fasten, damit wir nicht noch mehr Schuld auf uns hufen. Du Ruth, bleibstbei der Mutter, ich aber gehe in den Tempel.Ja, gehe nur in deinen Tempel, sprach die Mutter, was fragst du nach denDeinen! Dir ist der Tempel alles, aber wir sind dir nichts. Sterben knnte man,dann sprichst du immer noch: Im Tempel ist man Gott am nchsten! Mit Rubenkann ich nun endlich offenen Herzens reden!So bist wohl auch du erfllt von der Lehre des Nazareners?, erwiderte Enosbse; aber wartet nur, bald werdet ihr die starke Faust des Tempels spren!Rechne ja nicht auf Rcksicht, weil du mein Weib bist und mir Kinder geborenhast. Es fehlt nur noch, da auch du, Ruth, sagtest: ich bekenne mich zu demNazarener!Ruth sprach sanft: Vater, aus deinen Worten klingt nur Ha, und in all denletzten Monaten hrten wir nichts anderes von dir. Httest du gestern abendRuben gesehen, so wrdest du wohl deinen Worten einen anderen Ausdruckgeben, denn Ruben mu etwas erlebt haben, was uns allen noch unbegreiflichist. Zu dem Nazarener kann ich mich nicht bekennen, weil ich noch nicht mitIhm zusammengekommen bin , dank deiner Wachsamkeit. Wenn ich mir aberden Ha berlege, der in allen Dienern Jehovas lebt, dann, Vater, graut mir vor

    euch! Aber gehe nur ruhig in den Tempel, ich sorge mit Ruben fr die Mutter.rgerlich verlie der alte Priester, ohne ein Mahl genommen zu haben, dasHaus. Ruben war ber seinen Vater erbittert und sprach grollend: Es ist immerdasselbe! Darum kann ich nicht hier bei euch bleiben. Doch heute wird Vaternicht so bald zurck kommen, und so bleiben wir noch in Liebe zusammen.Die Schwester ermahnte ihn: Ruben, nun sei aber nicht mehr so verbittert, dennes mu doch ein gnstiges Zeichen fr dich sein, da du immer noch den Blickdes Gekreuzigten fhlst. Mutter und ich haben oft ber Jesus gesprochen, wirkonnten zwar auch nicht alles glauben, was wir von anderen ber Ihn hrten,aber eines mu wahr sein: nie hat Er etwas Liebloses ber einen Menschengesagt. Darum, denke ich, brauchst du dir keine Vorwrfe zu machen, Er wirdauch dir verziehen haben, wenn Er am Kreuze ausrief, wie du sagtest:

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    Vater vergib ihnen! Als die Magd uns gestern erzhlte, Jesus sei dem HohenRate gefangen vorgefhrt worden, schickten wir sie sogleich wieder fort, umWeiteres zu erfahren; sie brachte uns die Botschaft? Er wird gekreuzigtwerden!

    Ruben klagte; Mutter, ein Weh lebt in mir, wie ich es noch nie empfundenhabe. Was ntzt mir eure Liebe, da ich mir nicht vergeben kann! Wie oft htteich Gelegenheit gehabt, mit dem Nazarener zusammen zu treffen, aber ichwollte nicht, ich ging Ihm aus dem Wege. Mein eingeimpfter Ha lie mich dieGelegenheit nicht wahrnehmen, doch nun ist es zu spt!Die Mutter bat: Ruben, denke daran, da Jesu Sendung noch nicht zu Ende seinkann! Lebt Er auch nicht mehr, so hatte Er doch Vorsorge getroffen und hat sichJunger erwhlt. Diese Jnger werden bestimmt nicht zu allem schweigen.berhaupt wollen wir erst abwarten, wie sich ganz Israel zum Tode Jesu stellt,denn Er war ja aller Freund und Wohltter.

    Ruben lchelte: Mutter, deine Worte sind wie Balsam auf mein wundes Herz!Du hast wohl auch zu denen gehrt, die Jesus so lieb hatten, und hast in Ihm denMessias erschaut?Ja, mein Sohn, sprach die Mutter offen, ich liebe Ihn auch jetzt noch, undSein Tod kann diese Liebe nicht zum Erlschen bringen. Ich habe immergehofft, auch euch noch berzeugen zu knnen von Seiner wahrhaft gttlichenSendung! Aber nun ist er doch ein Opfer Seiner Feinde geworden.Aber mich, Mutter, wolltest du doch nicht berzeugen?, sprach Ruth. Wohlsprachst du manchmal sehr lieb und gut von Jesus, aber von einer Bekennerinfr Ihn und Seine Lehre hast du mich nichts merken lassen.Die Mutter seufzte: Kind, ich hatte meine Grnde, indem ich Vater und Rubenfrchtete. Ich hoffte auf einen gnstigen Zufall, aber nun ist Jesus tot, und wirwollen abwarten, was weiterhin geschehen mag.Am spten Abend erst kehrte der Vater aus dem Tempel heim; doch sein kalter,triumphierender Blick tat allen weh, weshalb sie sich zeitig zurckzogen.In Ruben vollzog sich in dieser Nacht eine gewaltige Wandlung. Nachstundenlangem Ringen mit sich schlief er erst gegen Morgen ein, und beimErwachen schien alles um ihn so viel heller zu sein. O Gott!, fragte er, washabe ich nur in dieser Nacht erlebt? Wo war ich denn in meinen Trumen?

    Beim Morgenmahl, ohne den alten Vater, erzhlte nun Ruben lebhaft: Langesehnte ich vergeblich den Schlaf herbei und mute immer wieder ber meineganze Lage nachdenken; da fhlte ich auf einmal wieder den Blick desNazareners auf mich gerichtet. Sein Auge blickte so mild, doch war es mir, alsob der stumme Schmerzensausdruck um Seinen Mund sagen wollte: -Habe ichnoch nicht genug um dich gelitten? Da brach mein ganzes Ich schmerzlich zu-sammen, und ich rief flehend: Jesus, kannst Du wirklich mir vergeben? Dennauch an meinen Hnden klebt dein Blut! Da war es mir, als wenn ich nochmalshrte: Vater, vergib ihn, er wute nicht, was er tat! Endlich kamen mirerlsende Trnen, und ich schluchzte: 0 Jesus, so Du wirklich noch bist undmir vergeben kannst, da will ich mich an Deine Jnger wenden und von ihnenlernen, wie ich meine Schuld gutmachen kann. Da zog durch meine Kammerein Wohlgeruch, und wie weggehaucht war all mein Seelenschmerz! Ich labte

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    mich an diesem wundersamen Duft und schlief ein. Und nun hrt, was mirtrumte: Von zwei Knaben werde ich gefhrt auf einen hohen Berg; die Sonneumstrahlt die ganze Gegend, und ich sehe, wie zahllose Scharen lichtgekleideterWesen sich uns nhern; ich wollte die Knaben fragen, da legt einer seine kleine

    Hand auf meinen Mund und zeigt mit der anderen nach all den Scharen, die zuuns hinauf pilgern. Wo wollen sie wohl alle hin, denke ich still, sie haben dochkaum Platz hier oben? Die Knaben fhren mich nun nach einer anderen Seitedes Berges, und auch von dort ziehen Unzhlbare zu uns nach oben- Als dieersten uns schon ganz nahe sind, stehen pltzlich alle still, drehen sich um undschauen nach der Niederung, und jetzt erst sehe auch ich in die wunderschneEbene unter uns! Da durchzuckt ein heller Blitz das ganze All, aus denWolken lsen sich lichte Gestalten und sammeln sich auf der Erde, am Fueunseres hohen Berges, und pltzlich steht Jesus mitten unter ihnen und ruft indie lautlose Menge:

    .Heute ist eure heie Sehnsucht erfllt! Endlich ist die Zeit gekommen, wo euereLiebe keine Fesseln mehr angelegt sind. Ihr alle habt das leere Grab geschaut,habt euch berzeugt, da der Tod und die Grabesnacht keinen Anteil an Mirhaben! Was euch allen unbegreiflich schien, ist erfllt: Ich habe den Todberwunden! berwunden fr alle, die da guten und willigen Herzens sind! Sowie Ich nun Brder im Erdenleben erfllen werde mit diesem berwindergeiste,so werde Ich euch erfllen mit Kraft und Weisheit aus Meiner ewigen Liebe! Sosetzet nun Mein Werk fort! Das ganze All, es steht euch offen! Es gibt nun keinHindernis mehr; denn Mein Geist ist der Sieger-Geist, ist das Leben, welchesimmer wieder neues Leben schafft! Was der Erde Ich als Eigentum gegeben,drft ihr tragen in alle Welten, in alle Sonnen. So wie euch jetzt eine Sonnespendet ein wunderbar herrliches Licht, so werdet ihr Licht-Spender manchenSonnen! Ihr habt erlebt: Der Liebe grtes Wunder auf dieser armen Erde!Durch Mich ist nun alle Armut befhigt, das herrlichste Leben sich zu eigen zumachen! So gebet allen Kunde von Mir und lasset euch treiben von dem Geiste,der Mich trieb und vollendet, was Ich begonnen! Mein Segen und Meine Liebesei euer Teil! Verschwunden waren alle, nur die zwei Knaben waren noch beimir; der Berg schien nicht mehr so hoch, und als ich mich umsehe, bin ich aufdem lberge. Dann spricht der eine Knabe: Wundere dich ber nichts! Was du

    eben schauen durftest, war Gnade, die nur wenigen zuteil geworden! Da du umVerzeihung gebeten hast und gut machen willst, so gab der Herr dir den BeweisSeiner Liebe und die Antwort, da Er deine Liebe annimmt! Da wir dir dasberherrliche nicht lnger zeigen drfen, liegt an dir, da deine Seele noch zufest mit dem Irdischen und Materiellen verbunden ist. Aber noch ist dieseGnade nicht zu Ende! Darum komm, auch du darfst einen Blick werfen in dasGrab, und sollst in deiner Seele Grund zeichnen das mchtigste aller Wunder: Er hat den Tod berwunden! Rasch sind wir angelangt; Tausende ziehenvorber und blicken hinein in das Grab; und so habe ich Mue, alle dieseGestalten mir anzusehen; alle Vlker und Stmme mssen sich hierzusammengefunden haben, doch ber allen lagert ein tiefes Schweigen. Zweiherrliche Gestalten in strahlenden Gewndern halten mit ihrem Blick alle inOrdnung; aus dem Grabe aber leuchtet ein helles Licht und erhellt matt die

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    ganze Umgebung. Nun schaue auch ich ehrfurchtsvoll hinein in die Hhle, einWohlgeruch duftet uns entgegen, und ich sehe zwei Jnglinge freundlichgren. Wir alle sammeln uns um das Grab; da spricht ein Engel: .Hret undvernehmet das Wort, welches die ewige Liebe fr euch mir ins Herz legt: Die

    Liebe zu euch und allen Menschen war die Triebkraft zu diesem gewaltigenOpfer! Was ihr nicht glauben wolltet, ist Wirklichkeit geworden: Der Herr lebtund wird ewig leben! Und wir alle drfen mit Ihm leben! Aber diesem Lebensind Bedingungen gestellt, und diese lauten: Lebet, wie der Herr gelebt, undfolget Seiner Lehre nach im rechten Geiste wahrer Demut und Hingebung! Dannwerdet ihr alle inne werden: Er ist der Herr, und ihr seid zu Seinen Kindernberufen und zu Trgern seines Geistes! Der Frieden des Herrn aber sei euerTeil!Die beiden Knaben fhren mich noch ein Stck Weges, und beim Abschied sagtder eine noch: Wenn du dieses eben Erlebte dir zu eigen machen willst, dann

    denke nicht mehr so viel an dich sondern lebe fr Jesus! Er lebt auch frdich und schuf dir Mittel zu deiner Erlsung! So eigne du dir diese Mittel an undlebe nur fr Jesus! Dann wird Er bald auch deinem Grabe entsteigen, in welchesdu Ihn legtest in dir! Gottes Segen mit dir!Ich war allein und wollte unserer Behausung zueilen, dachte noch ber all dasErlebte nach und gewahrte nicht, wie mir zwei finstere Mnner folgten. Als siemich einholten, fragte der eine: .Wo kommst du her, da du so glcklichaussiehst? Ich antwortete: .Vom Grabe Jesu, welches leer ist, das aber vonEngeln bewacht wird Da schlug er mich nieder und schrie: Du Lgner, willstdu mir Mrchen erzhlen? Flehend rief ich in meiner Not: 0 Jesus hilf mir!Im selben Augenblick stand schon mein kleiner Knabe bei mir, und vor seinemfesten, sehr ernsten Blick entflohen die beiden! Ich erwachte und bedauere nochjetzt, da es nur ein Traum war!Mein Sohn, sprach die Mutter beglckt-, ist der Traum nicht auch einHimmelsgeschenk? Und stehet nicht geschrieben. da sich der Herr auchdurch Trume offenbaren kann? Mir hast du damit viel gegeben, darum dankeich dir und dem ewigen Gott fr alles eben Gehrte.Der Vater aber hatte auch jedes Wort gehrt, trat durch die angelehnte Tr undsprach erregt: Mir habt ihr auch genug gegeben und es wird Zeit, da ich euch

    zur Besinnung bringe! Hier herrscht nur einer und dieser bin ich! Und ichbestimme ber euer Tun und Denken. Gelobt sei Gott, da dieser Nazarenernicht mehr lebt und keinen Schaden mehr anrichten kann! Du, Ruben, und ich,wir gehen sogleich in den Tempel, der Hohepriester wird sich wundern, in direinen Abtrnnigen kennen zu lernen.Vater, ich gehe mit dir, sprach Ruben ernst, um euch allen zu sagen, wieverblendet und irregeleitet ihr seid! Was kann mir noch der Tempel zufgen?Hat er nicht meine Seele vergiftet mit dem ewigen Ha, hat mir dauernd gedrohtso ich nicht im blinden Gehorsam mich fgte, whrend der Herrliche undErhabene uns eine neue Lehre brachte, die uns allen Unsagbares schenkenwollte. Ihr glaubt, Jesus gettet zu haben! Aber Er lebt und wird immer leben!

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    Schweige, du Ehrloser, rief Enos, ich wei jetzt: ihr alle seid Ungetreue undVerrter des Tempels! Ich kenne nur ein Ziel und dieses lautet: Die Giftsaat desNazareners tot, fr ewig tot zu treten!Gut, Vater, tue nach deinem Willen, sprach der Sohn- ich aber sage dir jetzt

    in dieser Morgenstunde: Jesus ist schon Sieger! Denn Sein Grab ist leer!Schweige!, donnerte nochmals der Alte, meine Geduld ist zu Ende!ngstlich schwiegen auch die Mutter und Ruth, denn so bse sahen sie denVater noch nie. Da sprach Ruben: Wir wollen uns nicht frchten, sondernhoffen auf den ewigen Gott! Ich mache mich fertig und gehe mit nach demTempel.02. Das Grab ist leer!In Jerusalem war groe Aufregung. Die Straen waren voller Menschen, dienach dem Tempel strmten; wie ein Lauffeuer durcheilte die Straen die Kunde:

    Das Grab des Heilands Jesus ist leer!Vater und Sohn eilten schweigend nach dem Tempel, aber dem alten Enos wardinnerlich schwl bei diesen Reden und er war froh, als sich die Tore zumTempel ffneten; doch auch hier herrschte groe Unruhe, die Templer wartetenauf den Hohepriester, welcher sich mit einigen ltesten eingeschlossen hatte,denn die Kunde: Das Grab ist leer hatte alle ihre Berechnungen undVoraussetzungen zerstrt.Ruben beteiligte sich nicht an ihren Gesprchen, denn in seinem Herzen keimteder Same zu etwas Edlerem; und als sich die Aufregung noch steigerte, verlie

    er unauffllig den Tempel und ging nach der Herberge am lberg, welcheLazarus gehrte. Die Sonne stand schon hoch am Himmel; es waren viele Gsteim groen Gastzimmer, doch als er eintrat, verstummte jede Unterhaltung. Erwunderte sich, da man ihm die gewohnte Ehrung als Priester nicht darbrachte;der Herbergswirt fragte den neuen Gast nach seinen Wnschen. Ruben aberbesann sich und sagte: Heute komme ich nicht als Priester, sondern suche nacheinigen Freunden Jesu. Immer konnte man sie hier treffen, doch heute sehe ichkeine.Der Wirt antwortete: Lieber Freund, da darfst du nicht in priesterlichem Kleidekommen! Denn Jesu Freunde wissen, wie sehr ihr sie verachtet und verfolgt! So

    ich dir aber Auskunft geben kann, so stehe ich gerne zu Diensten. Rubensprach enttuscht: Ja, es ist besser, ich gehe wieder; denn mir glaubt ja dochkeiner, da ich jetzt kein Templer mehr bin.Der Wirt betrachtete ihn mitleidig und sprach: Freund, so du Kummer und Leidin dir trgst und weit nicht wohin, suche Lazarus in Bethanien auf! Der wreder rechte Trster fr dich; dort wirst du bestimmt keine Enttuschung erleben.Zur Tre herein kamen neue Gste; einer von ihnen rief laut, da es alle hrenmuten: Freunde und ihr alle, hret, was ich euch berichte: Der Heiland undWundermann Jesus ist von den Toten auferstanden!

    Der Wirt. der mit Ruben ganz in der Nhe stand, fragte erstaunt; Joseph, wasredest du hier so bestimmt: Der Meister lebt und ist nicht im Tode verblieben?Joseph aber antwortete strahlend: Hast du von Jesus etwas anderes erwartet,lieber Freund? Hat Er nicht oft genug gesagt: Wer an Mich glaubet, der wird

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    das ewige Leben durch Mich erhalten! Da Er doch Selbst das Leben und dieWahrheit ist!Der Wirt mute gestehen: Mein Freund und Bruder im Herrn! Gewi sind diesWorte des Meisters! Aber ich nahm diese Worte rein geistig und wendete sie fr

    das jenseitige Leben an. Denn oft muten wir doch auch hren, da Er Selbstauch noch den Tod erleiden werde!Joseph sprach: Recht hast du, Bruder! Aber Er ist doch der Herr und wutebestimmt, was Er sagte. Wre Er im Tode verblieben, wre Seine Lehre vomewigen Leben bald, gar bald in Vergessenheit geraten.Nun drngten sich die Gste zu den Sprechern und lauschten begierig ihrenWorten; da sprach einer: Was der gute Freund erzhlen will, gehrt uns allen!Darum bitte ich dich, gib uns ber dein Gehrtes genaueren Bescheid! Denn eshandelt sich doch um Jesus, den man uns genommen.Beruhigt euch, liebe Freunde, alles sollt ihr erfahren, sprach Joseph. Wie ihr

    fast alle wit, bin ich mit Maria, der Mutter unseres Herrn und Meisters,befreundet; mit groer Sorge war ich erfllt ber das grausame Geschick, das siebetroffen hatte. So war ich auch heute in der Nhe des Grabes, als zwei Frauenmir entgegen kamen und erzhlten, das Grab sei nur von zwei leuchtendenJnglingen bewacht, die uns den Auftrag gaben, allen zu verknden, der Herr seiauferstanden! Nun wollte ich mich selber von der Richtigkeit dieser Aussagenberzeugen und ging direkt nach dem Grabe; Soldaten aber hatten allesabgesperrt. Ich gab dem Unterfhrer ein gutes Wort und durfte hineinschauen,und wirklich, das Grab war leer! Nur Tcher und Binden lagen dort, aber vonden Jnglingen sah ich nichts. Ich bin hierher geeilt, um Seine Jnger zu finden;denn ich mu bekennen: ich glaube den Frauen, da der Herr lebt!Ruben hrte alles mit Ruhe an; doch pltzlich entstand in ihm ein Drngen, ermute reden: Freunde! Stoet euch nicht an meinem Kleide oder daran, da ichein Priester bin; mich trieb es hierher, da ich in meiner inneren Not jemandensuchte, der mir Verstndnis entgegenbringt. Seit der Kreuzigung kmpfe icheinen furchtbaren inneren Kampf, da ich erkennen mute: Wir haben einenUnschuldigen gerichtet! Bei meinem Vater stie ich auf Nichtverstehen, ja, ichmute seine Verachtung ertragen! Im inneren Kampfe mit mir rief ich den Herrnund Gott Jehova um Hilfe und bat den Heiland Jesus innig um Vergebung. Er

    war mir gndig, und in dieser Nacht durfte ich, im Traume, den Meister lebendunter Tausenden von Engeln sehen und hren. Dann durfte ich in das leere Grabschauen, und zwei Jnglinge verkndeten strahlenden Auges: Der Herr istauferstanden! Freunde, ich bin glcklich ber diese Botschaft! Ich brauche Jesusnicht mehr zu frchten, er lebt!Joseph sprach jetzt erstaunt: Du bist Ruben, des Enos Sohn! Wir kennen euchbeide, ihr seid Feinde des Herrn und Meisters! Ist deine Aussage aber wahr,dann werde doch unser Freund! Doch dann mtest du dich vom Tempel undvom Vaterhause trennen. Nur der kann Sein Jnger werden, der das ehrlicheWollen besitzt, Ihm nachzufolgen! Deine Schuld, die dich drckt, wird dir vonallen vergeben werden, die im Geiste des Meisters sich fr Seine heilige Sacheeinsetzen! Darum bringe erst alles in Ordnung und dann komme wieder. Es ist

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    genug, da der Herr verraten wurde von einem, der sich zu Seiner Jngerscharbekannte. Einen zweiten Verrter mchte ich nicht in unserer Mitte sehen.Ruben bekannte: Du hast recht, da du nicht ohne weiteres meinen Wortenglaubst! Darum gehe ich und werde nach deinem Rat handeln. Ruben ging. Es

    wurde Nachmittag; die Straen hatten sich geleert und er war froh, endlichwieder daheim zu sein.Die Schwester empfing ihn mit den Worten: Der Vater war hier und suchtedich! Als wir ihm sagten, du seiest noch nicht zurck, ist er ganz erregtwieder fortgegangen; er drohte, dich gefangen nehmen zu lassen, da du einVerrter seiest!Ruth, sehe ich wie ein Verrter aus?, fragte Ruben sanft. Heute, da ich imBegriff stehe, ein ganz neues Leben zu beginnen, will mich der Vater zwingen,das alte Leben weiter zu fhren? Nein! Mag kommen, was da will, imTempel sieht midi niemand mehr! Frage nichts Unntzes, ich bin froh, diese

    groe Schuld nicht mehr auf meinem Gewissen lastend zu fhlen. Gib mir zuessen, mich hungert nach Speise und nach Liebe.Whrend Ruth das Mahl bereitete, konnte Ruben der Mutter alle seineEindrcke vom Tempel und von der Herberge erzhlen. Hast du in derHerberge auch Bekannte getroffen?, fragte die Mutter ngstlich. Da du einengroben Fehler begangen hast, wirst du nicht einsehen wollen, aber wie kann manim Priestergewand offen fr den Heiland werben, wo du doch weit, da dieSchergen des Tempels alles belauschen? Wrest du verkleidet gewesen, es wrebesser fr dich.Ruben bat: Mutter, sorge dich um nichts! Morgen frh suche ich den Besitzervon Bethanien auf; dort geniee ich solange Schutz, bis ich mich vom Tempelgelst habe. Nun ich dies feste Ziel habe, sorge ich mich nicht mehr, denn Jesushat mir einen Beweis Seiner Liebe gegeben!Der Klopfer ertnte. Der Vater kommt, rief Ruth und eilte, um zu ffnen. IstRuben hier?, fragte der alte Enos; Ruth bejahte. Es ist gut, sprach Enos; dabemerkte sie, da der Vater nicht allein war, noch zwei Priester betraten dasHaus. In der Wohnung, wo sich die Mutter mit Ruben befand, trat nun Enos mitden beiden ein:Da sitzt der Verrter! Fragt ihn selbst, er war am lngsten mein Sohn!

    Vater!, rief Ruben, mit diesen Worten beweist du mir aufs neue eureBlindheit und euren Ha. Alle Vorgnge an diesem Tage mten doch dir unddem ganzen Tempel die Augen geffnet haben! Aber wie es scheint, haben sieeuch nur noch verbitterter und gehssiger gemacht.Schweige!, rief Enos bitter, stehe Rede den beiden Beauftragten! Denn frdich habe ich kein gutes Wort mehr, du Ungetreuer!Ruben, sprach nun Joab, einer der beiden Priester, du bist angeklagt, dieInteressen des Tempels nicht mehr zu vertreten und dich zu den Bekennern desGekreuzigten gesellt zu haben. Antworte mir treu und ehrlich, wie es sich freinen Diener Jehovas geziemt. Bedenke aber auch, welche Folgen dir entstehen,so du nicht der Wahrheit gem redest.

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    Mit welchem Rechte spielst du dich zu einem Richter zwischen mir undmeinem Vater auf?, fragte Ruben erregt; so du die Wahrheit aber wissenwillst, so ist es ja nicht mehr ntig zu fragen, denn mein Vater wei ja um alles.Joab sprach weiter: Ruben, nicht zwischen dir und deinem Vater, sondern

    zwischen dem Tempel und dir sind Differenzen schwerster Art! Denn du hastdeinen Eid gebrochen und das Haus Jehovas geschndet. Du weit auch, welcheFolgen deiner harren! Wir wissen um deine Rede in der Herberge am lberg,wir wissen auch, da du gewillt bist, weiterhin den Tempel zu verraten!Joab, du warst immer einer der Verstndigsten, so einer dich um Rat und Hilfeanging, entgegnete Ruben, doch vom Nazarener wolltest du ja nichts wissen und bist geflissentlich bei Seite gegangen, wenn gegen Ihn etwasunternommen werden sollte! Einstimmig aber fiel die letzte Beschlufassungaus, wo der Stab ber Jesus gebrochen wurde. Ihr habt es nicht fr ntiggehalten, auch die abwesenden Priester um ihre Meinung zu befragen; und die

    vom Hohepriester Geladenen waren ja ausgesprochene Gegner des Nazareners.Auch ich gehrte zu denen; als ich mich aber weiden wollte an den Schmerzendes Verhaten, erlebte ich einen Umschwung meiner Gefhle! Denn mir wurdeklar, da es mehr als ein Irrtum, da es Mord war, was wir verbten an dem zumTode Verurteilten! Voller Schmerz und Reue darber, da ich selber mich zuSeinen Mrdern rechnen mute, verlebte ich eine furchtbare Nacht! Doch Seinanklagender und aber auch verzeihender Blick berwltigte mich so, da ich,wie einst Jakob, im heien Gebete ringen mute um Erlsung und Klarheit! Undin diesem Ringen mit mir und in mir fiel es wie Schuppen von meinen Augen!Und manches wurde mir klar, worber ich noch nie nachgedacht hatte. In derfolgenden Nacht erlebte ich, da Jesus von Nazareth nicht mehr im Grabe,sondern lebendig war und zahllosen Engelswesen erschien und auch zu ihnenredete. Mag es auch nur ein Traum gewesen sein! Als aber in der Herberge, zuder es mich mit Gewalt hinzog, die Kunde offenbar wurde: Jesus lebt! da,lieber Joab, fiel auch die letzte Fessel, die mich noch an den Tempel band! Undmorgen htte ich mich bestimmt vom Tempel gelst.Ruben, du magst recht haben, so du von dir sprichst, antwortete ihm Joab,aber du gehrst nicht dir, sondern dem Tempel! Was der Rat beschlo undausfhrte, mu frei von jeder Kritik sein. Httest du geschwiegen vor jedermann

    und httest du eine Zeitlang noch gewartet, wrest auch du zur Ruhe gekommen!Aber du stelltest dich offen auf die Seite unserer Feinde; damit aber hast du dichstrafbar gemacht! Denn noch band dich dein Eid, und noch bist du Priester, undso mut du die Folgen tragen!Deine Worte klingen, als wrest du mir wohlgesinnt, entgegnete Ruben, aberich fhle auch deinen Ha, den du auf alle bertrgst, die zum Nazarener stehen! So sei dir und jedem gesagt: Der Tempel hat in mir alles erttet, was mich jemit ihm verband! Mein Leben gehrt nicht mehr mir, sondern demAuferstandenen, der mir Beweise Seiner Vergebung schenkte und in mir denEntschlu belebte, nur Ihm und Seiner Sache zu dienen! Eure Drohungenschrecken mich nicht mehr! Denn so Jesus lebt, brauche ich euch und denTempel nicht zu frchten.

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    Der andere Priester, Hosea, war ganz entsetzt und sprach mahnend: Ruben,berlege deine Worte recht und wge sie genau! Es knnte doch sein, da dichdein Entschlu bitter enttuschen wird! Denn auf Gnade und Vergebung vomTempel aus ist nicht zu rechnen; du weit, es wird scharf zugegriffen und keiner

    verschont, der seinem Gott und seinem Glauben untreu wird.Ruhig entgegnete Ruben: Ich frchte mich nicht vor euch! Denn euer Gott undeuer Glaube ward ja zum Deckmantel eures Handelns aus der tiefsten Hlle. Ihrseid ja gar keine Menschen mehr, sondern ha- und blutgierige Bestien. AberJesus lebt und ist Sieger auch ber den Tod geworden! Und auch Seine Lehrewird, trotz Tempel und seinen Dienern, ewig Sieger bleiben!Nun hrt ihr selbst, was ihr nicht fassen wolltet, sprach der Vater; statt zubereuen, mchte er uns bekehren! Darum waltet eures Amtes und nehmet keineRcksicht! Er ist mein Sohn nicht mehr! Nun aber trat die Mutter zu den Mnnern und sprach entschlossen: Aber er ist

    mein Sohn! und ich, seine Mutter, bitte euch:Verlasset unser Haus und macht es nicht zu einem Klage- und Trauerhaus! Auchich fhle die Wahrheit aus Rubens Munde! Darum, wre es nicht richtiger, soihr seine Worte einer gerechten Prfung unterziehen wrdet? Du, Enos, schmedich, deinen Sohn vor das Forum des Tempel-Gerichtes ziehen zu wollen! Denn, was dort einmal ist, bleibt auch dort!Enos aber rief erregt: Schweige! Und nimm dich in acht, da nicht auch dunoch an die Reihe kommst! Denn jetzt mu scharf zugegriffen werden!Ruben bat: Mutter, beruhige dich und sei ohne Furcht! Jesus lebt! Und indiesen zwei Worten liegt unser Heil und unsere Hilfe, aber auch derUntergang des Tempels! Ich gehe mit! Wir knnen sofort gehen, denn ichbin ohne Sorge und wei bestimmt: Der Tausenden geholfen hat, wird auch mirhelfen!03. In der Gewalt des TempelsRuben stand vor dem Hohen Rat, vor dem Hohenpriester, innerlich ruhig,und auf die Frage des wortfhrenden Priesters:Bekennst du dich schuldig, das Heiligste des Tempels verraten und dich zuden Nazarenern bekannt zu haben? antwortete er: Schuldig? Ja!

    Schuldig, das Heiligste entweiht zu haben, war ich, solange ich mich zu euchbekannte und in euren fanatischen Ha gegen Andersdenkende mit einstimmte! Solange war ich schuldig! Nun aber, wo ich meine und eure verkehrte undsndige Art erkennen durfte, ist es mir, als ob alle Schuld abgewaschen sei! Daich die Gte und Barmherzigkeit des Auferstandenen rhmte, ist meine heiligePflicht! Denn wie ein Verrter mte ich mir vorkommen, so ich es nicht getanhtte oder heucheln wrde, noch einer der eurigen zu sein!Du redest von dem Auferstandenen und meinst wohl den geraubtenLeichnam? Es wre noch zu untersuchen, inwieweit auch du mit schuld bist

    an diesem Raube!, sprach nun Joab listig.Ruben aber rief erregt: Wieder eine neue Lge! Alles, was ihr sagt, mu ja mitLgen bekrftigt sein! Und immer habt ihr es gut verstanden, eure Lgenschmackhaft als Wahrheit ndern vorzusetzen. Ist euch denn niemals in den Sinn

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    gekommen, da letztlich doch alles offenbar wird? Sehet auf den Vorhang! Diesist die Sprache Gottes, da alles offenbar werden mu, und wenn es bis insAllerheiligste versteckt wird! Warum sind eure Bemhungen erfolglos, denSchaden auszubessern? Weil Gott uns allen zeigen will, da in dem Gottes-

    Sohne Jesus Seine Wahrheit und Sein Heiliges Wort lebendig zu uns Menschengekommen sind!Joab aber sprach bse: Es bedarf keiner Worte weiter, deine Schuld isterwiesen! Nur eins knnte dich noch vor Strafe retten:so du widerrufst und mit allem Eifer versuchst, deine Schuld gutzumachen.Ihr redet von meiner Schuld!, sprach Ruben, mir ist, seit ich all die innerenKmpfe und die Gedanken des Zweifels berwunden habe, so wohl wie nochnie in meinem Leben! Und warum? Weil ich den Blick aufgefangen, den dergroe Dulder mir schenkte! Und in diesem Blick lag so viel Liebe undVerzeihen! Dies ist mein Bekenntnis! davon kann ich nichts widerrufen!

    Der Hohepriester trat nun nahe an Ruben heran und sprach:Verblendeter! Willst du denn wirklich den Tod und das Verderben? Du kennstdoch unsere Gesetze zur Genge! Was du von dem Auferstandenen wissenwillst, sind ja Mrchen. Was der Nazarener war, ist bewiesen: ein sterblicherMensch, wie jeder andere auch! Um von den Toten aufzuerstehen, htte er sichnicht erst tten lassen brauchen. Dort am Kreuz war Gelegenheit, uns seineKraft und Macht zu beweisen! Doch er selbst rief ja vor Schmerz verzweifeltaus: Mein Gott! Warum hast du mich verlassen? Siehe, wir sind die HterJehovas und haben nchtern diese Sachen zu prfen und zu berwachen; darumhre meine Mahnung: Prfe dich ernstlich und streng, und dann will ich dichnochmals hren! Bis dahin aber bleibst du im Tempel, in sicheremGewahrsam.Also doch gefangen und von aller Welt abgeschnitten, sprach Ruben. Nun,wehren kann ich mich jetzt nicht, aber beten werde ich zu Gott, dem Ewigen undHerrlichen, da ich ganz erfllt werde von dem, was in Gott lebt und webt!Einmal mu sich die Wahrheit Gottes doch offenbaren! Bis dahin heit es nunausharren! Man fhrte ihn in ein sicheres Gewahrsam, worin nur ein Tisch und eine Bankstanden, ab als Gefangenen. Dann war er lange allein. Inbrnstig betete er in

    dieser Stille Groer und heiliger Gott! Abgeschnitten von aller Welt und denMeinen befinde ich mich hier und will nun ber alle meine Irrtmer und Fehlernachdenken! Da ich bisher immer gute Zeiten hatte, wird es mir schwer werden,diese Tage der Prfung zu erdulden! Da bitte ich Dich aus tiefstemHerzensgrund um Beistand und Hilfe! Wie Du Hiob durch das Leid fhrtest, sofhre Du auch mich und erweise Dich an mir als Der, Der da helfen und errettenkann! So wie Du Jesus erflltest mit Kraft, so erflle auch mich, damit ich Dichstets loben und preisen kann! ber meine Eltern und Schwester aber halteDeine starke Hand um Jesu Liebe willen! Amen!

    04. In Zweifel und Herzens-NotIm Hause Enos aber war Leid und Kummer eingezogen: der Sohn lebte seit dreiWochen gefangen im Tempel, und die Mutter konnte diesen Schmerz nicht

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    berwinden, obgleich Ruth unermdlich bemht war, sie, die im Fieber immerwieder nach ihrem Sohn rief, zu trsten. Der alte Enos stellte deshalb wiederholtbeim Hohen Rat den Antrag auf Befreiung seines Sohnes, aber seine Bittenwurden abgewiesen! In diesem inneren Zwiespalt mit dem Tempel wurde er

    unsicher, und jetzt wirkten die Worte seines Sohnes sich aus: Ihr seid ja ineurem grenzenlosen Ha gar keine Menschen mehr! Er mute nun an sichselber erfahren, wie hart und lieblos die Herren des Tempels sein konnten.Wieder war es nahe an Mitternacht, die Mutter rief im Fieber nach Ruben, aberdie khlende Hand von Ruth versagte. In ihrer Angst rief sie den Vater, dererschrocken war ber das Aussehen seines Weibes, das ihm entgegenrief: Gehefort, du Unnatrlicher! Du allein bist an allem Jammer und Elend schuld! Gehenur in deinen Tempel und freuet euch, da ihr Unschuldige in den Tod treibenknnt! Aber noch ist ein Wchter ber Israel! Was willst du noch hier bei uns?Sorge dafr, da Ruben zurckkehrt, oder es geht mit mir zu Ende! Dann hast

    du nicht nur deinen Sohn, sondern auch mich auf dem Gewissen!Miriam, beruhige dich! Ich will versuchen, alles gutzumachen, will mich nocheinmal bemhen, da Ruben die Freiheit wieder erhlt, sprach der Alte, aberein Zittern befiel ihn, so da Ruth besorgt fragte: Vater, glaubst du wirklich,da noch alles wieder gut werden kann?Meine Ruth, sprach der Vater, ich glaube jetzt: ich tat euch Unrecht! Wie ofthabe ich schon versucht, seine Freilassung zu bewirken, sogar beim Hohen Ratbin ich gewesen, aber vergebens! Man sagte mir, Ruben solle widerrufen!Dies tut er aber nicht. Ich selbst kann nicht mehr bitten und kann auch nichtbeten zu Jehova! Dazu fehlt mir der wahre Glaube! Wenn du wtest, in welcheharten Zweifel ich in dieser Not schon geraten bin! Solange ich dem Tempeldiente und Gott und Gottes Wort verkndete, war dies nur eine Sache desKopfes auf Grund meiner Befhigung. Nie htte ich es fr mglich gehalten, daman in solche Herzensnot kommen kann! Das Traurigste aber ist, da ich nieetwas tat, um mir eure Liebe und euer Zutrauen zu erringen! Wir sind Priester!Alle unsere Handlungsweisen schienen uns richtig, und niemandem stand einRecht zu, sie zu verurteilen! So wurde ich alt und blieb immer derselbe, undwre dieser Nazarener nicht gekommen, knnte alles gut sein!Ruth sprach leise: Vater, mit dem Vergangenen retten wir Mutter und Ruben

    nicht! Wenn du noch einen Funken Liebe fr sie in deiner Brust trgst, danneile, eile! Stirbt Mutter, dann, Vater, trgst du die Schuld an ihrem Tode!Hre auf, Kind! Ich will ja alles versuchen, damit eilte der alte Enos in denTempel, innerlich und uerlich ein gebrochener Mann.Der Hohepriester war nicht anwesend, aber dafr viele andere, und man hattenochmals beschlossen, die Nazarener mit strengen Augen zu bewachen, denndie Stimmen mehrten sich, die bekundeten, Jesus lebe wahr und wahrhaftig! Dakam der alte Enos, trat vor die Ratsversammlung und bat nochmals innig um dieFreilassung seines Sohnes. Sei es nur auf einige Tage! Mein Weib stirbt, so ichihr nicht den Sohn zurckbringe! Nehmt mich als Geisel, behaltet mich an seinerStatt, aber beurlaubt meinen Sohn!Ist es so schlimm?, fragte Hosea, der doch ein Freund des Hauses war, oderist es nur eine krankhafte Laune deines Weibes?

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    berzeugt euch selbst!, sprach Enos, aber lat mich einmal zu meinem Sohn!Nach langem Hin und Her endlich wurde es dem Vater erlaubt, seinen Sohn zubesuchen. Zu Miriam aber begaben sich die Freunde Joab und Hosea.In Ruben waren aber nun doch Zweifel gekommen; seine Gebete verloren an

    Kraft; die Nchte wurden immer qualvoller, und in ihm nagte es: Tat ich rechtoder nicht? Wenn ich Jesus ntzen will, brauche ich vor allem meine Freiheit,aber wie sie erhalten? Das enge, dunkle Gemach erdrckte ihn fast, und dieLangeweile machte ihm das Leben unertrglich. Oft schon betete er: O HerrJesus, wenn Du lebst, warum hilfst Du mir nicht? Warum lt Du es zu, da ichgefangen sitze? Aber alles in ihm und um ihn blieb stumm! Er nahm keineSpeise mehr zu sich, das Leben war ihm nichts mehr! In einer solchen trbenStimmung kam sein Vater zu ihm.Ruben fragte mde: Du kommst wohl nachschauen, ob ich noch nicht soweitbin, da ich zu allem Ja und Amen sage? Wahrlich, eure Mittel sind gut, um

    Steine zu erweichen! 0, zum Verzweifeln ist es hier!Ruben, hre mich an, bat der Vater; ich komme heute zu dir, um dir einetraurige Kunde zu bringen. Die Mutter ist schwer krank und verlangt nach dir!Um sie zu retten, ist es ntig, da du heimkommst, und sei es auch nur fr einigeTage. Ich habe mich selbst als Geisel angeboten, damit du fr einige Tage dasGefngnis verlassen kannst. An mir liegt nichts mehr, denn mein Vertrauen zumTempel ist fast erschttert! Nie htte ich geglaubt, da Hartherzigkeit so weh tunkann! Und wo ich hoffte, da der Tempel mir nur ein wenig entgegenkme,mute ich erfahren, da die Templer ein Entgegenkommen gar nicht kennen!Um es mit wenigen Worten zu sagen: mir ist der Tempel zuwider geworden.Vater! rief Ruben, fr dich ist es zu spt, um vom Tempel loszukommen,denn dein ganzes Sein ist mit ihm verwachsen! Siehe, fast bin ich nun auchschon so weit, wie mich der Tempel haben will! Ich bin am Ende meiner Kraft!Ich kann nicht lnger den Mut aufbringen, um fr eine Sache zu kmpfen und zudulden, fr die mir die Beweise fehlen! Wohl kann ich den Blick des sterbendenJesus nicht vergessen! Und dies ist das einzige, fr das ich Beweise habe! Dasandere aber sind Erlebnisse, die auch falsch sein knnen. Wie habe ichgerungen, geprft und gebetet, habe gebetet mit zerrissenem und blutendemHerzen, aber in mir und um mich ist es stumm geblieben! Lange halte ich es

    hier nicht mehr aus, und dann wrde ich aus Verzweiflung noch etwas ganzanderes tun.Mein Sohn, sprach Enos, wenn du dem Hohen Rat mitteilst, was du mir ebensagtest, und deine Erlebnisse als einen Irrtum betrachtest, dann steht ja deinerFreilassung nichts mehr im Wege! Und fr deine Mutter wrest du der rettendeEngel.Vater, wenn mein Erleben aber kein Irrtum war, was dann? besann sichRuben; drfte ich jemals meine Stimme erheben und die Liebe und die Gedulddes sterbenden Jesus rhmen? Noch widerrufe ich nichts; denn noch kann derAuferstandene mir die Freiheit bringen.Und deine Mutter?, fragte Enos traurig; ich mchte dich bitten, bringe diesesOpfer um deiner Mutter und Schwester willen!

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    Vater, ich leide um Jesu willen, erwiderte Ruben entschlossen, und warteimmer noch auf Ihn! Wenn ich auch widerrufe und dann in die Freiheitzurckkehren knnte, wrde doch der Kampf in mir nicht zur Ruhe kommen!Aber dem Tempel gnne ich den Triumph auch nicht, mich wieder in seine alten

    Bahnen gebracht zu haben! Denn mich friert, so ich an den Tempel nur denkeund an all seine Diener mit den steinernen Herzen! Lieber mache ich einEnde.Pltzlich wurde die Tr geffnet, zwei Diener kamen und forderten die beidenauf, zum Hohen Rat zu kommen. Was ist denn geschehen?, fragte Enos dieDiener; diese aber konnten keine Auskunft geben, und so gingen sie und tratenin den Ratssaal ein. Der stellvertretende Hohepriester kam den beiden entgegenund sprach:Ruben! Noch bist du ein Priester und Diener des Tempels, und durch zweiZeugen haben wir Kenntnis erhalten, was du deinem Vater, einem bewhrten

    Priester und Diener Jehovas, soeben offenbart hast! Es ist uns eine Freude, dadu wieder dahin gekommen bist, wo wir dich zu sehen wnschen! Doch htedich in Zukunft, jemals wieder unter Nazarenern zu weilen, denn dann mtedich die ganze Strenge des Tempels treffen. Wir warten noch auf die beidenPriester, die nach deiner Mutter schauen; ist es dringend erwnscht, so stehtdeinem Heimgang ins Elternhaus nichts mehr entgegen!Enos wollte noch etwas erwidern, da kamen auch schon in aller Eile Joab undHosea zurck und bekundeten: Hchste Eile tut not!, und so wurden unter denbesten Wnschen Vater und Sohn rasch entlassen! Ruben war mde undkraftlos, der alte Enos nicht minder; kummervoll eilten sie heim; es galt ja, dieMutter zu retten. Endlich, endlich daheim! Ruth fhrte die beiden zur Mutter,und ihr Kommen bewirkte Wunder, denn in der Mutter erwachte ein neuesLeben! Wie im Traume noch sprach sie; Nun bist du wieder da! Aber um dichkreisen schwarze Raben, die dir am liebsten die Augen aushacken mchten! Duaber, Enos, hast ein paar Nachteulen mitgebracht!Ruben sprach erregt: Vater! Seit wann redet die Mutter irre? Nein, dies istkein Irre-Reden, sondern ich sage euch nur, was ich um euch sehe!, erklrte dieMutter.Mutter, schaue uns an und nicht, was dir um uns als Erscheinung entgegentritt!

    Denn ich mchte dich wieder gesund sehen und bin gekommen, dank der GnadeGottes, dich zu pflegen! Blicke voll Vertrauen auf den groen Gott! Dann wirddir froh und leicht! Nun aber schlafe, whrend ich bei dir bleibe! Der alte Vateraber sorgte, da Ruben wieder zu Krften kam.Anderen Tages kamen Joab und Hosea und waren erfreut, da sich im Hausealles zur Besserung gewendet. Der Vater fragte:Sagt mal, Freunde, wie kam es, da auf einmal der Freilassung nichts mehrhinderlich war? Whrend ich mir so oft die grte Mhe gab und sogar dasOpfer auf mich nahm, als Geisel dort zu bleiben!Enos, sprach Hosea, als du gestern nach dem Tempel gingst, wurdest duschon beobachtet und wir wuten, wie es bei euch stand, denn dein ganzesGebaren verriet Not und Kummer. Wir untereinander waren uns schon einig,da etwas fr dich geschehen msse, aber der Hohepriester wollte nichts davon

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    hren. Da dieser nun seit einigen Tagen abwesend ist, beschlossen wir, dir zuhelfen, sobald dein Sohn nur den Willen zeigte, seine Torheit zu bereuen! Als dubei deinem Sohn wrest, belauschten euch zwei Priester; da wir von ihnenhrten, wie Ruben nun eingestellt ist, wurde uns klar, da wir hier durch Milde

    mehr erreichen als durch Strenge!Enos sprach: Aber Freunde, noch ist nicht bewiesen, da mein Sohn sich vollund ganz dem Tempel wieder zuwenden wird! Jetzt ist er fr nichts zu haben,da die Gefangenschaft ihn sehr mitgenommen hat; mir selbst geht es auch nichtgut, darum knnt ihr von uns heute nichts erwarten!Bruder Enos!, sprach Hosea, alles geht vorber! Auch diese vergangenenTage werdet ihr vergessen und werdet wieder die Alten sein wie vorher! Ruben fragte erregt: Meinet ihr, da ich jemals vergessen knnte, was mir inden vergangenen Wochen an Leid, Kummer und inneren Kmpfen begegnet ist? Eines aber versichere ich euch: Alles sehe ich von nun an mit anderen

    Augen! Nie mehr werde ich so lenkbar sein wie frher! Denn ein anderes, einGewaltigeres ist in mir rege geworden und drngt mich, zu suchen und nachdem zu forschen, was mir bisher ganz fremd und unbekannt war. An Alterberragt ihr mich ums doppelte; ich wnschte, ihr httet auch die ntigeErfahrung dazu, da knnte ich euch um Aufschlu und um Klarheit bitten berdas, was in mir nach Licht und Aufklrung verlangt!Hosea wollte begtigen: Mein Ruben! Verirre dich nicht auf Wege, die du nichtzu gehen hast! Begnge dich mit dem, was dir der Tempel und die Schriftgeben, dann wirst du wohl fahren. Was jetzt in dir nach Klrung drngt, kommtallmhlich wieder ins Gleichgewicht; es ist noch keiner gekommen, der dabekundete:Seit ich mich vom Tempel trennte, bin ich glcklicher! Darum nimm meinen Ratan, der aus Zuneigung zu dir entspringt, und bleibe dem Tempel und Jehovatreu!Ruben erwiderte: Ich mte dir danken fr die vterliche Art, die du mirgegenber anwendest, aber ich kann nicht! Denn ein Neues ist ber michgekommen, dessen ich mich nicht erwehren kann. Ich wei, da ich zu euchnicht davon sprechen darf, aber ihr seid ja unsere Freunde, darum erlaubt mirnur eine einzige Frage und gebt mir offene Antwort: Glaubet ihr, da Jesus von

    Nazareth schuldig war?Ob schuldig oder nicht!, sprach Hosea, er hatte den Tod verdient, da er dasVolk vom Tempel trennte und uns mit seiner Lehre unmglich machte.Diese Antwort kann mich nicht befriedigen, entgegnete Ruben, da darin zumAusdruck kommt, da nur um eurer Interessen willen Jesus sterben mute!Knnte es nicht mglich sein, da sich der Tempel irrte und ein Fehlurteil fllte?Hier liegt mein Zweifel! Hier fehlt das berzeugende eures Rechtes! Und durchmeine Gefangenschaft sind meine Zweifel nur noch grer geworden! Ist Jesusschuldig? Dann kann ich mir nicht erklren, wie Er noch Liebe und Vergebungdenen entgegenbringen konnte, die Ihm auf so grausame Art das Leben nahmen!Ist aber Jesus unschuldig, so verstehe ich nicht, da sich im Tempelkollegiumkeiner fand, der da offen fr Seine Unschuld eintrat. Gebt mir Licht undKlarheit! Ohne diese kann ich zu keinem Frieden kommen!

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    Ruben!, sprach Hosea, du fragst viel und sorgst dich um Nichtiges. Warumhast du nicht dagegen gestimmt, wenn dir an der Unschuld des Nazareners soviel lag? Was geschehen ist, ist geschehen! Und durch eine Klarstellung, obschuldig oder nicht, kann diese Kreuzigung nicht ungeschehen gemacht werden!

    Dieser Nazarener macht uns sowieso schon viel Sorgen! Darum ist es Pflicht,da wir, als die Vertreter des Hauses Jehova, ernst und treu zusammenstehenund uns nicht beunruhigen lassen von der Frage:war der Nazarener schuldig oder nicht? Freunde, so lat mich schweigen!, sprach Ruben ergeben. Ich mu sehen,da ich allein mit mir fertig werde. Gott, der Ewige und Heilige, an den ich nuninnig glaube, kann allein mir helfen! Beide Priester waren froh, da Rubendas Gesprch beendete und verabschiedeten sich bald darauf.Als sie das Haus verlassen hatten, fragte der Vater bekmmert: Mein Sohn!Willst du denn durchaus wieder ins Tempelgefngnis zurck, da du dich so

    offen zu einem Verteidiger des Nazareners machst? Sei froh, da man dir soentgegengekommen ist und dich wieder auf freien Fu setzte; es wrde michnicht wundern, so man dich bald wieder zurckholte.Vater, sprach Ruben, jetzt bin ich noch ein Freier und werde mich hten, hierauf die zu warten, die nur horchen knnen! Denkst du, die Priester wolltenwissen, ob es der Mutter oder uns besser geht? Ich glaube vielmehr, da siemich nur frei lieen, um dich nicht zu verlieren. Ich wei ja nichts weiter vonJesus, als was ich erlebte! Da sich aber noch mehr abgespielt haben mu, hrteich aus den Reden des Hosea, weil er von so viel Sorgen sprach. Vater, ichwerde heimlich das Haus verlassen und mich in fremden Schutz begeben, da ichmich vom Tempel lsen mu; denn zwischen mir und dem Tempel steht derGekreuzigte!Enos hrte schweigend die Worte seines Sohnes; lange, lange kmpfte er mitseinem alten Glauben, dann sprach er ernst: Ruben, mein Sohn! Gehe mit Gott!Und ich sage dir, zwischen dem Tempel und mir stehst du!Ich?, sprach Ruben betroffen, warum ich, mein Vater? Hast du uns nichtimmer als Fremde behandelt, und war dir der Tempel nicht alles?Eben, weil mir der Tempel alles war, versetzte Enos bitter, und ich TorFamilienglck und -leben als nichts achtete, darum mute ich wohl diesen Dank

    der Templer erleben, als ich so oft meine Bitte vorbrachte, um dich frei zubekommen! Htte nur ein einziger gesagt: Der Enos brgt mit seiner Gesinnungfr seinen Sohn!, siehe, das wre mir ein Dank gewesen! Aber so waren nurHartherzigkeit, Lieblosigkeit und Ha ihr Dank!Vater, reden wir nicht mehr davon, sprach Ruben, da wir uns in dieserStunde, wo wir uns trennen mssen, doch erst richtig gefunden haben! La michvon Mutter und Ruth Abschied nehmen. Ich glaube, wenn ich in Sicherheit bin,wird Mutter auch ruhiger!Als die Mutter aus Rubens Munde hrte, da seine Freiheit und Sicherheitgefhrdet wren, sprach sie ergeben: Mein einziger Sohn! Ja, gehe, ehe es zuspt ist! Und nimm Ruth mit dir, damit ich erfahren kann, ob du in Sicherheitbist! Denn du hast ja ein bestimmtes Ziel im Auge, sonst wrdest du nicht soeilig an den Aufbruch denken knnen!

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    Ja Mutter, nach Bethanien lenke ich meine Schritte und hoffe, dort bei demBesitzer Aufnahme und Zuflucht zu finden. Finde ich in Bethanien aber nicht,was ich suche, so komme ich wieder und bleibe Priester im Tempel! Finde ichaber, was ich so ntig brauche, dann sollt auch ihr nicht im Ungewissen bleiben;

    dann werde ich ein Priester fr Jesus!

    05. Auf der FluchtNach einer Stunde verlieen zwei junge Menschenkinder durch eine kleinePforte leise das Elternhaus; Ruben in Verkleidung und Ruth durch einenSchleier unkenntlich gemacht. Eilig suchten sie nur Nebenstraen und kamenungesehen ans Tor, das, da es Mittag war, vllig unbewacht war. KlopfendenHerzens durchschritten sie das Tor und eilten so schnell wie mglich nach demKydrontal, um von dort nach dem lberg zu gelangen. Noch einmal schauten siezurck nach dem Stephanustor und nach der Gottesstadt, da sprach Ruth:

    Bruder, ich wollte, ich wre ein Mann! Nie mehr kehrte ich zurck nach denSttten der Lge und des Hasses und suchte nur noch das Heil, das mich vollund ganz befriedigte!Ruth, sprach Ruben, es ist nicht leicht fr mich, da ich doch ins Ungewissegehe! Ich kenne den Herrn von Bethanien nicht und wei nicht, ob er mirHeimat und Schutz bieten wird. Wir jungen Templer wurden ja wie Gefangenegehalten und durften mit den lteren nie Besuche in die Ferne machen. Wennman, wie ich hoffe, meinen Wnschen entgegenkommt, so werde ich bald vomTempel frei sein! Doch wir wollen ausschreiten, damit wir ungefhrdet nach

    Bethanien kommen.Auf der Strae zogen Kaufleute in Begleitung von Soldaten nach Jericho; daschlssen sich die beiden Wanderer an und so fiel es nicht auf, da sie jederBegegnung aus dem Wege gingen. Ein Gefhrt begegnete ihnen und sieerfuhren, da darin Lazarus sa, der Herr von Bethanien. Erschrocken sahensich beide an, und Ruben sprach bedauernd: O, so finden wir den Herrn nichtzu Hause.Aber jemand wird schon da sein!, trstete Ruth. Dann mu ich eben berNacht dableiben, wie ich es der Mutter schon sagte.Von weitem sah man seitlich Bethanien liegen; aber sie wanderten weiter, da sie

    nicht wuten, ob Spher vom Tempel auf dem Wege waren; und es war gut so,denn die Templer paten genau auf, wer nach und von Bethanien ging. Erst vonder Nordseite her wanderten beide durch blhende Grten und grnende Feldernach Bethanien und die Sonne neigte sich, als beide ermattet in den groen Hofeintraten.06. In Bethanien!ber den Hof kam gerade ein freundlicher, junger Mann ihnen entgegen,bewillkommnte beide und lud zur Einkehr ein. Wie wohltuend berhrte es beide,

    so freundlich eingeladen zu werden; aber noch mehr beglckte es sie, als spterMaria sie begrte: Seid willkommen in Bethanien, wer ihr auch sein mget!Betrachtet euch als zum Hause gehrig und fhlet euch wie daheim. Zwar istmein Bruder jetzt nicht anwesend, aber heute noch kehrt er wieder zurck. Im

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    Geiste und in der Liebe Jesu aber wollen wir wie eins werden!"Ruben sprach: Wenn schon bei den ersten Worten unserer Begegnung eureLiebe so fhlbar ist, da sind schon alle unsere Sorgen wie verschwunden; ich binein Flchtling! Nicht nur aus dem Tempel und aus dem Elternhaus, sondern

    auch vor mir selber floh ich hierher in der Hoffnung, das zu finden, wonachmein Herz, berhaupt mein ganzes Sein sich so sehnt!"Der junge Mann, der beide fhrte, sprach einladend: Strket euch und ruhetrecht aus, Bethanien ist der Liebe geweiht und ein jedes Sehnen wird, so es inunseren Krften liegt, gestillt. Es ist ja der Liebe hchstes Sehnen, alles Leidund allen Kummer zu heilen, um das unruhvolle Herz wieder ruhig zu machen,damit es fhig werde, aufzunehmen das neue und gnadenreiche Leben aus demGeiste Jesu, unseres Herrn und Meisters!"Ruth", sprach Ruben bewegt, dies ist ein anderer Ton als in Jerusalem! Wieim Himmelreich fhle ich mich."

    Nun kam auch Martha und begrte in ebenso herzlicher Weise dieGeschwister. Rasch waren Brot und Wein zur Stelle, an einem Tische nahmenalle Platz, und die Schwestern stellten nun den jungen Mann als den JngerJohannes vor. Nun erzhlte Ruben von allem, was seine Seele beschwerte.Johannes aber sprach ermunternd: Mein lieber, lieber Bruder! So du hierbleiben willst, bis der Herr und Meister Selbst dir neue Wege ebnet, und du indir erkennst, da du dann auch neue Aufgaben zu erfllen hast, so mchte ichdich in der Folge Theophil nennen; denn es liegt nicht nur daran, da derMensch einen Namen besitzt, sondern ein rechter Name soll auch den Menschenbesitzen! Du willst Kmpfer und Erfller sein, darum trage diesen neuen Namenund sei versichert, da in diesem Moment, wo du wahrhaft das Neue undHerrliche willst, alles Vergangene in dir wie ausgelscht wird! Mit dem Willenzum wahrhaft Guten erkennst du auch den Herrn und Meister Jesus immer mehr,der, obwohl gestorben, dennoch lebt und uns sogar mehrere Male schon aufsNeue unterwiesen hat, nicht nachzulassen in der Ttigkeit zum Guten undWahren! Wir alle hier in Bethanien und viele, viele Freunde wissen: Der Herrlebt! Er ist wahrhaft vom Tode auferstanden!"Theophil sprach erfreut: O ich danke dir, Johannes, fr deine Worte, die michinnerlich so beschwingen! Noch mehr aber fhle ich mich beglckt, da ich aus

    deinem Munde einen neuen Namen erhielt! Und es will mir scheinen, als ob duschon in mir einen anderen Menschen, als ich bisher war, schauen kannst! Werso lange in Klte, in Lieblosigkeit und Rechthaberei leben mute wie ich, demtun sich Himmel auf, so man in eure Sphre kommt! Wie reich bin ichentschdigt worden fr die bittere Gefangenschaft in dieser einen Stunde! Undich wage kaum daran zu denken, da ich in diesem Glck bleiben darf! 0Schwester Ruth! Wie bedrckt mich der Gedanke, da du heim mut zu Mutterund Vater, whrend ich hier bleiben darf!"Schwesterchen", sprach Martha, pflege deine Mutter so weit, da auch sie baldnach Bethanien kommen kann! Dann ist kein Grund mehr zum Sorgen! Hier beiuns ist Raum fr viele."Ihr Menschen hier in Bethanien", sprach Ruth verwundert, was tragt ihr frein besonderes Leben in euch, indem ihr einem jeden, der nach Bethanien

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    kommt, sogleich helfen, ja ihn beglcken wollt? Fr mich ist es ein Wunder,solche Menschen kennen zu lernen! Dazu in einer Zeit, wo berall Selbstsucht,Neid und Ha regieren! Mein Vater und auch mein Bruder sind Priester, alsoDiener Gottes! Aber zu einem Ton von Liebe und Glck fr andere konnten sie

    sich nie aufschwingen. Oft unterhielt ich mich mit meiner Mutter ber Jesus vonNazareth, und wir bewunderten Seine Kraft sowie auch Seine Zuneigung zuallen armen und kranken Menschen. Heute aber erlebe ich ein Neues, welchesich aber doch ganz natrlich finde! Und es macht mich unsagbar glcklich, damein Bruder in dieser eurer Mitte wahrhaft froh werden kann. Ach, knntenmeine Eltern nur einmal dieses Glck genieen!"Liebe Ruth", sprach nun Maria, dein Vater ist schon fter bei meinem Brudergewesen, hat aber von diesem Geist und dem Leben hier nichts bemerkt! ImGegenteil, voll Groll und mit Fluchen verlie er Bethanien, und warum? Weilnur der alles als schn, gut und beglckend fhlen kann, der Schnes, Gutes und

    Glcklichmachendes in sich trgt. Von Jesus, unserem herrlichen Meister,wissen wir, da nur die Herzen befhigt sind, wahrhaft und getreu im gttlichenLiebes-Sinn zu handeln, die erkannt haben, da Eigen-Liebe und Eigen-Sinn diegroen Hindernisse sind, die ein Menschenherz im Streben nach dem Guten undWahren zum Stillstand bringen! Hat sich der Mensch von diesen Fesseln nunernstlich befreit, dann erlebt er erst, wie wenig er bisher wirklich gelebt hat! Frdeinen Bruder soll diese Stunde der erste Beweis fr die Wahrheit unserer Lehresein! Denn nichts tun wir ohne einen bestimmten Grund. Der Hauptgrundunserer Handlungen ist stets der: Wie gewinne ich meine Mit- undNebenmenschen, damit ich mit ihnen im Geiste eins werde? Denn ich wei, daein jedes Herz, wenn es sich mit mir verbunden fhlt, sich auch diesen Geist undLiebeszug aneignen will, der andere in die Herzens- und Lebens-Gemeinschafteinschliet."Ich verstehe euch gut", antwortete Ruth, aber kommt es nicht auch vor, daUnwrdige eure Liebe empfangen und euch mit Undank lohnen? Seid ihr danicht enttuscht? Und kommen da nicht Gedanken, wo ihr bereut, Gutes undLiebes ihnen angetan zu haben?" Schwester", sprach Maria, fr eine wahreLiebestat gibt es niemals etwas zu bereuen! Denn nicht um des Ansehens oderum des Dankes willen, sondern wahrhaft nur um der Liebe willen ben und

    pflegen wir diesen Geist, der uns schon so viel, so Reiches und Herrlichesbrachte! Kommt es vor, wie z.B. bei deinem Vater, da er unsere Liebe undunser Entgegenkommen nicht achtet und beachtet, da fragen wir uns stets:Haben wir es doch noch an etwas fehlen lassen? Und wir sind erst dannberuhigt, so in unseren Herzen die Zustimmung kommt: Ihr habt im Geiste derLiebe richtig gehandelt! Glaube es, liebe Schwester Ruth, eine Liebe, und sei sienoch so klein, trgt den Keim himmlischer Herrlichkeiten in sich und lohnt undbelohnt den Nehmenden wie den Gebenden! Freilich, auf die Zeit darf ich nichtwarten, so sich noch keine Frucht der ausgesten Liebe zeigen will. Wir alle hierin Bethanien haben nur das Verlangen, in allen Dingen mglichst so zu handeln,wie eben der Meister gehandelt htte! Seine Liebe, die alle menschliche Liebeso hoch berragt, ist uns in allen Dingen das Vorbild! Darum, mag kommen,wer da will, Bethanien ist und bleibt eine Pflegesttte Seiner groen Liebe!"

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    deine Sache in die Hand nimmt; er wird bestimmt das Richtige finden. Wenn duwillst, kannst du jetzt mit mir hinaus in den groen Garten gehen, wo wir nochviele Arbeiter beschftigen knnen; deine Schwester aber wird lieber bei denFrauen bleiben."

    Von Herzen gern", sprach Ruth, da kann ich wenigstens fr unsere Mutternoch recht viel erfahren von dem Heiland, den wir ja nie hren durften."Ich gehe gern mit dir", sprach Theophil, da ich doch zu keiner Ruhe komme,ehe ich nicht mein knftiges Schicksal kenne." Wie erstaunte er ber den groenGarten, durch den mitten hindurch ein breiter, schner Weg ging und rechts undlinks Gemse und Frchtestrucher, gut gepflegt, das Auge entzckten! Owelche Ordnung in diesem Garten", sprach er bewundernd, da sieht man, wiedie Liebe ttig war! In meines Vaters Garten sieht es dagegen wenig schn aus,er wird ja auch von fremden Leuten versorgt."Bruder", entgegnete Johannes, alles und ein jedes Ding gibt zurck das zuvor

    Empfangene. Wir wissen, da, wenn wir eine jede Verrichtung mit Liebe undFreude ausfhren, uns auch Dankbarkeit und Freude zurckkommt! Schaueeinmal diese Feigen- und Dattelbume an, mit welcher Wonne erfllen sie dasHerz, da sie schon so viel Frucht angesetzt haben! Wem, meinst du wohl, wemdie Ernte gehrt?"Nun, dem Besitzer Lazarus doch", antwortete Theophil, denn einen zweitenBesitzer wird der Garten wohl nicht haben!"Schlecht geraten, Bruder Theophil!", lchelte Johannes. Alles, soweit dublicken kannst, ist Eigentum der Liebe, die bei uns durch Jesus eingekehrt ist!Dieser Ertrag ist schon von vornherein bestimmt fr die Armen undHilfsbedrftigen; doch dort weiter links, wo die lbume stehen, liegt derwertvolle Grund dieses Besitztums. Alle Huser, die du hier siehst, sindWohnungen, und dahinter liegen die Stallungen. Eine jede Familie lebt mit ihrenKindern fr sich, und doch sind wir alle nur eine Familie! Die Alleinstehendenwohnen dort vorn links vom groen Wohnhaus und werden vom Hausherrnbekstigt. Die groen Vorratskammern und Scheunen liegen ganz hinten, undauch in ihnen ist der Segen der sprechendste Beweis, da wir ohne die geringsteSorge noch tausend Arbeiter mehr beschftigen knnten!"Wie gro sind denn die Besitzungen dieses Menschenfreundes? Und wieviel

    Arbeiter sind hier beschftigt?" Bruder Theophil, wie gro das Besitztum ist, entzieht sich meiner Kenntnis.Schau hin, auch der halbe lberg gehrt uns, und mehr als 500 Arbeiter sindhier wohl schon beschftigt, und ein jeder fhlt sich wohl und zufrieden. Auchist es ein besonderes Zeichen unserer Brderlichkeit, da wir keine Aufseher,sondern nur Arbeits-Einteiler haben; denn es ist keiner mehr und keiner weniger,sondern im richtigen Sinne ist eigentlich ein jeder Mitbesitzer. Die Freude strahltaus allen Augen, so Lazarus oder seine beiden Schwestern bei ihren Leuteneinkehren; kannst du nun verstehen, was es heit: Bethanien eine Pflegesttteder groen Liebe!"Lieber Johannes", sprach Theophil, du nennst mich immer Bruder! Aber nochnicht habe ich den Beweis erbracht, da ich dein Bruder bin! Du opferst mirdeine Zeit und verfgst ber sie, als wrest du Herr deiner Zeit; ist es wirklich

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    dem Herrn und Besitzer gleich, ob du ttig bist oder nicht? Nach welchenRichtlinien ist denn eigentlich eure gesamte Ttigkeit aufgebaut?"Bruder Theophil! Deine Fragen sind berechtigt, da du ja vor der Wahl stehst,ein Bewohner und Arbeiter in Bethanien zu werden. Also hre: Wir handeln

    stets nach dem Gesetz der Liebe, welches lautet: Alles, was du willst, das mandir tue, tue zuvor dem anderen! Weiter handeln wir nach dem herrlichen Vorbildunseres Meisters, der uns praktisch zeigte, da wir nur zum Dienen und umglcklich und zufrieden zu machen unser ganzes Sein einzusetzen haben! Diesist alles, mit wenig Worten dir gesagt! Aber ein Menschenleben reicht nicht aus,um diese hohen Aufgaben zu vollbringen! So sind wir alle denn tglich bemht,Vollzieher Seines Willens zu werden! Und Sein Segen kehrt wahrhaft sichtbarbei uns ein!"Bruder Johannes! Jetzt nenne ich dich auch Bruder!", entgegnete Theophil.Wenn dem so ist, dann lege ich meine Priesterwrde gern ab und bleibe bei

    euch als der geringste Arbeiter. Welchen Frieden und welch sorgenfreies Seinlebt hier ein jeder, whrend dort im Tempel "Bruder, rede nicht weiter!", unterbrach Johannes ihn ernst, und wirf nichtSchatten, sondern nur Licht auf all das Verkehrte! Alles, was wir sind und seindrfen, ist Gnade ber Gnade! Ist es doch die ewig erbarmende Liebe selbst, dieuns dieses Erdenleben in seinem wahren Sinn offenbarte und vorlebte! Und nurdadurch sind wir im groen Vorteile all denen gegenber, die dieses Leben undWirken der ewig wahren Liebe noch nicht erfassen und erkennen durften. Es istnicht nur so, da uns in unserem irdischen Erdenleben das Bewutseingeworden ist: Wir durften die groe Macht und Herrlichkeit Gottes in unseremMeister erschauen! , sondern wir haben erlebt und erleben noch tglich diesesWunderbare und Unaussprechliche Seiner groen Liebe, die uns Menschen zuEmpfngern Seiner herrlichsten Gnadengaben machen will!"Bruder Johannes", entgegnete Theophil, mir ist, als sei ich herausgezogen auseiner Welt des Hasses und Neides und darf nun erleben eine Welt der Freudeund des himmlischen Friedens. Sage nur noch dies eine: Sind wirklich alle hierbei dem Menschenfreunde Lazarus so beglckt wie du, oder gibt es hier dochauch noch Unzufriedene?"Bruder! Denke ja nicht, da dieser innere Frieden und dieses Glck unserer

    Bettigung hier in Bethamen nur eine Zugabe sei, weil wir den Herrn undMeister anerkannten", entgegnete Johannes. Nur ein tglicher heiliger Kampfmit uns selbst kann diesen Frieden in uns zeitigen. Heiliger Kampf, sage ich,weil er sich um das Heiligste handelt, nmlich um unser Leben und Sein frewig! Hast du dich aber durchgerungen zu diesen groen, herrlichenLebensideen und Gedanken, dann kommt die Folge von selbst! Dich treibt danndas neue Leben, in diesem Sein nie die Hnde und Fe ruhen zu lassen,sondern zu schaffen und zu wirken aus diesem Geiste, da erst diese Ttigkeituns wahrhaftes Glck bereiten kann. Darum, mein Bruder, wie ich schonsagte, lerne Jesus kennen! Denn Er ist! Er lebt in diesem Leben! Er ist unsereganze Liebe und Seligkeit! Aber ein solches Leben ohne Ihn wre fr unsundenkbar!"Von Sden her erklangen Tne wie von einem Hrn; da sagte Johannes: Man

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    alten Demetrius die Hand reichend: Im Namen Jesu heie ich dich und deinenSohn willkommen in Bethanien, dieser Pflegesttte wahrer Jesus-Liebe!Mchtest du hier erfahren und erleben der Liebe heiligstes Leben, damit auch duempfangen kannst den Geist, der uns alle belebt! Dir aber, mein junger Bruder",

    zu Ursus gewendet, mchte ich eine Sehnsucht ins Herz legen, da du berall,wohin auch deine Schritte dich lenken, ein Bethanien aufbauen mchtest!" Dann kam auch Lazarus und sagte: Ihr meine Lieben! Mit des Herrn Hilfe istalles schon in Ordnung gebracht; nun gebet euch der heiligen Herzens-Ruhe hin,denn nun sorgt die Liebe fr euch!" Es wurde das Nachtmahl aufgetragen;fleiige, hilfsbereite Hnde brachten in kurzer Zeit, was nur mglich war:Frchte aller Art, Honig, Brot, kaltes Fleisch und gengend Wein, um Hungerund Durst zu stillen; und nach kurzem Gebet beteiligten sich alle frhlich andem Mahle. Lazarus unterhielt sich mit Ursus und Demetrius leise, da erzwischen beiden seinen Platz hatte. Theophil aber sa neben Johannes, der

    schweigsam sein Mahl einnahm; er sah wohl oft zu Ruth hin und suchte ihrenBlick, aber Maria besprach noch vieles mir ihr. Allen schmeckte die gute, abereinfache Kost, nur Theophil konnte nichts essen; wie Schleier legte es sich vorseine Augen; am liebsten wre er hinausgegangen, um seinen tiefen Schmerz zuverbergen. Johannes beobachtete seinen Schtzling, schwieg aber, da er wute,da des Herrn Geist mchtig an ihm arbeitete!Da bemerkte Ursus, der Rmer, da mit Theophil innerlich etwas nicht inOrdnung sei und fragte Lazarus: Wie kommt es, da dieser Bruder hier sounfrei ist? Trgt er Herzeleid und Kummer? Lazarus antwortete: Bruder, es istein neuer Gast; ich habe ihn erst kurz begrt. Da er Kummer und Sorgen hat,beweist schon, da er nach Bethanien gekommen ist! Denn seit Jahren istBethanien eine Zufluchtsttte fr alle bedrckten und sorgenvollen Herzen! Daist es leicht zu erkennen, wer alte oder neue Freunde sind. In der Zeit, wo ihrnoch hier weilen werdet, knnt ihr viele solche Schicksale erleben und darauslernen! Denn uns allen ist ja die herrliche Aufgabe geworden, zu helfen, zulindern und zu heilen! Wenn das Mahl beendet ist, wollen wir versuchen, ihnfroher zu stimmen."Lieber Lazarus, kommen nur eure Freunde nach Bethanien?", fragte Ursuswieder, oder wohl auch Fremde, die die Absicht haben, euch zu schdigen?"

    Da bin ich ganz ohne Sorgen!", antwortete Lazarus, der Herr hat uns einGeschenk vermacht, welches unbestechlich ist, nmlich zwei groe Hunde. Vonweitem wittern sie schon das Fluid eines jeden Ankommenden, und Freundeoder Menschen mit gutem, ehrlichem Willen knnen ungehindert nherkommen;aber so da Fremde, Templer oder gar Feinde kommen, da darf es keiner wagen,einen Schritt nur nher zu treten; durch gewaltiges Bellen melden sie dieAnkunft solcher Fremden und wir sind gewarnt und handeln dann im Geiste desHerrn, damit uns jeder Vorwurf erspart bleibt.So hat dieses Geschenk des Herrn doch einen sehr guten Zweck zu erfllen",entgegnete Ursus. Wie auch beim Markus sowie in dem Fischerdrfchen esschien, als wenn der Herr mit solchen Geschenken mehr die Zukunft bedachteals die Gegenwart!"So ist es auch", antwortete Lazarus, aber mit dem Zeitpunkte, wo des Herrn

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    Geist und Liebe vernachlssigt oder verleugnet wrde, gehen auch dieseSegnungen zu Ende!"Also wirkt unsichtbar doch berall des Herrn Geist'., sprach Ursus, und soverstehe ich nun erst, da Er euch nicht fehlte und auch Sein Tod nicht euren

    Glauben an Ihn erschttern konnte!"Doch, mein Bruder!", entgegnete Lazarus ernst. Er fehlte uns von frh bisspt. Wenn wir auch wuten, im Geiste ist Er uns nahe, so waren doch die TageSeines Hierseins stets herrliche Festtage! Erstens bernahm Er die Sorge fralles, und zweitens waren wir selber von allem Irdischen enthoben! Was tat es,so wir nicht schliefen? Er strkte uns mit wunderbarer Frische! Was schadete es,so wir das Essen vergaen? Er sttigte und strkte uns durch das EinflieenSeiner Kraft! Und oft, oft lebten wir schon im Himmel, whrend Engel unserenErdendienst versahen!"Bruder Lazarus", fragte Ursus, sehnst du dich da nicht wieder zurck nach der

    Zeit, wo der Herr und Meister Einkehr in deinem Hause hielt und euch solcheFreuden bereitete?"Mein teurer Bruder! Hre, was ich dir jetzt sage, und grabe diese Worte fest indeinen Herzensgrund", antwortete Lazarus. Nach jener Zeit sehne ich michnicht mehr, da mein Verhltnis zu Jesus ein viel, viel Herrlicheres geworden ist!Solange Er noch Mensch war, habe ich in meinem menschlichen Empfinden oftdas Bedrfnis und die Sehnsucht gehabt, wieder mit Ihm, und seien es nurStunden, zusammen zu sein! Warum wohl, wirst du fragen. Weil der Herrunserer Schwche, unserer Sehnsucht entgegenkam und alle bel in unsbeseitigte, durch die wir schwach und sehnschtig wurden! Aber siehe: Erbrachte das schmerzlichste Liebes-Opfer um unser aller ewig Glck undhinterlie nun uns allen fr immer Seinen herrlichen Geist, der in uns alles dasbewirken soll, was Er vorher persnlich in Seiner Liebe uns allen tat. Frherwaren wir die Nehmenden, aber jetzt sind wir die Gebenden! Ich wei, da ichnun Sein lebendiges Werkzeug, sein Seiner Liebe dienendes Kind sein darf!Darum bin ich glcklich, weil ich sein darf, wozu mich Seine Liebe wrdigmachte. Bis ich mir diese Anschauung zu eigen mache, wird es noch geraumeZeit dauern", meinte Ursus nachdenklich, da ich ja auf das Glck verzichtenmute, solche Seligkeiten bei Ihm zu genieen wie ihr und andere." Sage das

    nicht, Bruder Ursus!", antwortete Lazarus, der Herr wei um alles, wei auchum deine Liebe! Darum lebe ganz der Gegenwart in dieser Liebe! In ihr ist derHerr gegenwrtig!Das Mahl, das fr Theophil viel zu lange dauerte, war beendet; da sprachLazarus zu ihm: Lieber junger Freund und Bruder! Komm mit hinaus zu derRuhebank unter dem groen Baum, dort wollen wir beide eins werden, damit dudeiner Last entledigt wirst und ich Gelegenheit finde, als Mittler des Herrn dirhelfend die Hand zu reichen."Theophil antwortete erfreut: Gerne komme ich mit! Doch bitte ich, meineSchwester Ruth auch mit einzuladen, da sie nicht hierbleiben kann, sondernnach Jerusalem zurck mu."Lazarus war einverstanden und mit einem freundlichen Gru verlieen die dreidas Mahl. Nun seid beide ganz offen, wie auch mein Herz fr euch offen

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    steht!", sprach Lazarus einladend. Unser Herr Jesus aber mge das Rechte unsfinden lassen!"Theophil erzhlte erst stockend, dann flieend alles, was ihn so bedrckte, waser erlebte und erleiden mute, und Lazarus unterbrach ihn auch nicht ein

    einziges Mal. Als aber Theophil fertig war, erzhlte Ruth von dem Leben imElternhause, und wie hart und lieblos der Vater mit der Mutter und ihr war; Nurder Tempel war seine Liebe und dem Tempel galt sein Leben! Wir gehenzugrunde, wenn dieser Zustand so bleibt; darum helft uns, ihr guten Menschenin Bethanien!"Lazarus sprach trstend: Ja, helfen wollen und werden wir auch! Aber was wirdmit eurem Vater? Sehet, bis nach Jerusalem reicht meine Hilfe nicht! Darummsset ihr schon nach Bethanien bersiedeln; es ist Raum und Arbeit genughier! Aber ihr msset es freiwillig tun, da ich euch nicht ntigen darf! Du Ruth,gehst morgen vormittag heim und lt sobald wie mglich deine Mutter

    hierherbringen, damit sie gesund wird, da sie, wie ich herausfinde, einekrankhafte Liebe zu deinem Bruder hat. Will sie bleiben, dann gut! Ihr alle habteuren freien Willen. Du aber, mein Theophil, willst du der Gnade und derLiebe Jesu dich wrdig machen, dann brich mit deiner Vergangenheit und werdeeine Neugeburt im Geiste und im Lichte der Wahrheit Jesu! Keiner kann dirhelfen, wenn du nicht zuerst selber Hand ans Werk legst! Doch jeder von unskann dich untersttzen, so dein Wille lebendige Tat wird. Siehe, bis jetztstandest du unter der Zuchtrute des Gesetzes! Von nun an aber stehst du unterder frsorgenden und leiderlsenden Liebe! Doch deine Ziele seien von nun annicht mehr nach dem leiblichen Wohlergehen gerichtet, sondern darauf, da duden Willen Gottes tust! Sein Wille aber lautet: Liebe deinen Nchsten! Dennauch er ist, genau wie du selber, ein Kind aus Seiner Liebe! So lasset uns nunhineingehen; wir vergessen leicht, da auch noch andere auf uns warten!"Als sie in die groe Stube traten, waren Ruth und Theophil erstaunt, wie vielesich noch eingefunden hatten, die atemlos den Erzhlungen des Demetriuslauschten, und was alles sich beim alten Markus ereignete, als Ursus vorSehnsucht, den Herrn zu schauen, fast krank geworden wre! Beim Eintreten derdrei schwieg nun Demetrius, aber Lazarus bat: Erzhle und erfreue nur weiterunsere Herzen, denn wir alle haben eine herzliche Freude, so neue Liebes-

    Beweise des Herrn offenbar werden!"Demetrius aber entgegnete: Meine Freunde, es ist genug fr heute! Lasset nunauch uns etwas erfahren, was unsere Herzen mit neuer Liebe zu Ihm erfllt. Esgeht uns so wie einem Hungrigen, der nicht satt werden kann und immer nachneuer Speise verlangt. Siehe, Bruder Lazarus, dein Bote nach dem Heilbade desMarkus hat uns so viel erzhlt von den Wundertagen in Bethanien, da wir demHerzenszuge nicht widerstehen konnten, hierher zu reisen. Nun sind wir hier ander Sttte, die so erfllt ist von herrlichen Erinnerungen, da Sein Fu diesenErdboden heiligte!" Meine Brder", begann Lazarus, nichts tun wir lieber, als von dem zu zeugen,dem wir alles zu danken haben! Doch wo sollen wir anfangen und wo aufhren?Denn alles war ja Gnade, war Seine sichtbare Liebe! Sehet, Jesus kam ja nie, umuns Zeugnis zu geben von Seiner Kraft und Macht, sondern um uns einzuweihen

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    in den herrlichen Geist Seiner Liebe, welcher Sein vollkommenes Leben war,und uns hineinzufhren in dieses Reich' Seiner Liebe und groen Herrlichkeit!Das Herrlichste, was ich euch bezeugen mu, ist:da, wo der Herr weilte, waren Himmel und Erde in eins verschmolzen! Fr den

    Herrn gab es nur ein Ziel; uns allen zu zeigen, wie auch wir dieseVollkommenheit erreichen knnen! Um uns aber den hohen Wert der rechtenVollkommenheit im Menschen zu zeigen, erlebten wir Dinge, die einemWeltgesinnten, nach Irdischem Strebenden vllig unglaublich, ja fast trichterscheinen mssen! Darum, lieber Bruder, wollen wir uns recht Zeit nehmen mitdem Erzhlen, denn ich hoffe doch, euch noch recht lange hier zu haben! Andiesen Wunder-Dingen aber hngen wir nicht im geringsten; nur Seine Liebeund Sein vollkommenes Innen-Leben sind es, die hier in Bethanien sprechensollen, und zwar durch unser aller Tun! Als einmal der Herr mit mir allein obenauf dem Sller sa, sprach ich:

    ,Herr! Ewigkeiten reichen nicht zu, um dir die Dankbarkeit auszudrucken, dieich und wir alle Dir schulden fr das, was Du uns zeigtest und gabst an irdischenwie an geistigen Gtern.' Da sagte der Herr: Bruder Lazarus, da hast du wohlrecht! Aber Ich bin nicht gekommen, um euch zu Schuldnern zu machen, indemIch euch Meine Macht, Kraft und Herrlichkeit offenbare, sondern, um euchanzuspornen, gleich Mir ein neues, vollkommeneres Leben zu leben, welchesverwurzelt und verankert ist im ewigen Ur-Leben Gottes! Dieses Leben ist dannheilig und stellt, die Ordnung' aller Dinge wieder her. Darum siehe, alle dieherrlichen Eigenschaften im Menschen, seien es Liebe, Weisheit, Ernst undWille, mssen in der Ordnung, ja mssen pure Ordnungen sein! Dann erstergnzt sich in dir eins mit dem anderen und dann hat sich auch die Wandlungschon, wie von selbst, in dir vollzogen als das groe heiumstrittene Ziel: dasEins-Werden mit dem Ewigen! Hat sich diese innerste Verbundenheit mit demgroen Gottes-Leben in dir vollzogen, dann ist alles, was du tust, nun erst deinWerk! Warum dein Werk? Weil Gott, in Seiner herrlichen Vaterliebe, alles alsdas Werk Seines liebenden und dankbaren Kindes gern ansehen will! Wenn dunun von Dankbarkeit reden willst, so mte auch Ich von Dankbarkeit reden!Doch Ich glaube, da dies