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Donnerstag, 18.05.17 — 20 Uhr Freitag, 19.05.17 — 20 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal Lintu & Gluzman

Lintu & Gluzman - NDR.de - Das Beste am Norden · Donnerstag, 18.05.17 — 20 Uhr Freitag, 19.05.17 — 20 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal Lintu & Gluzman

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Donnerstag, 18.05.17 — 20 Uhr Freitag, 19.05.17 — 20 Uhr

Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal

Lintu& Gluzman

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J E A N S I B E L I U S ( 1 8 6 5 – 1 9 5 7 )

TapiolaSinfonische Dichtung op. 112Entstehung: 1926 | Uraufführung: New York, 26. Dezember 1926 | Dauer: ca. 18 Min.

Largamente – Allegro moderato – Allegro – Allegro moderato

A L B A N B E R G ( 1 8 8 5 – 1 9 3 5 )

Konzert für Violine und Orchester„Dem Andenken eines Engels“Entstehung: 1935 | Uraufführung: Barcelona, 19. April 1936 | Dauer: ca. 30 Min.

I. Andante – Allegretto II. Allegro – Adagio

Pause

C A R L N I E L S E N ( 1 8 6 5 – 1 9 3 1 )

Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche“Entstehung: 1914 – 16 | Uraufführung: Kopenhagen, 1. Februar 1916 | Dauer: ca. 38 Min.

I. Allegro – II. Poco allegretto – III. Poco adagio quasi andante – IV. Allegro

Ende des Konzerts gegen 22.15 Uhr

H A N N U L I N T U

DirigentV A D I M G L U Z M A N

Violine

N D R E L B P H I L H A R M O N I E

O R C H E S T E R

Einführungsveranstaltungen mit Habakuk Traberjeweils um 19 Uhr im Großen Saal der Elbphilharmonie

Das Konzert wird am 19.06.2017 um 20 Uhr auf NDR Kultur gesendet.

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J E A N S I B E L I U S

Tapiola op. 112J E A N S I B E L I U S

Tapiola op. 112

Als Jean Sibelius 1926 sein Opus 112 an den Verlag Breitkopf & Härtel schickte, stieß er zunächst auf Rat­losigkeit: Wer oder was in aller Welt, so fragte man sich in Leipzig, war Tapiola? Sibelius, der die Inspiration zu dem gleichnamigen Werk „gänzlich in der Natur bzw. in etwas, das man in Worten nicht ausdrücken kann“ erhalten hatte, erklärte, Tapiola stehe für die unend­lich einsamen finnischen Wälder, die sich hunderte von Kilometern weit über das Nordland erstrecken. Der Titel leite sich aus dem finnischen Nationalepos „Kalevala“ ab – von der Waldgottheit Tapio, jener ele­mentaren Naturgewalt des hohen Nordens, die in per­sonifizierter Form als Urvater der Gnome, Trolle und Luftgeister mit seiner weitverzweigten Familie das düstere Reich zwischen Unterholz und schwindeler­regenden Wipfeln beherrscht. Auf der Basis dieser Ausführungen entstand in einer der Leipziger Verlags­redaktionen ein programmatisches Gedicht, welches in verkaufsfördernder Absicht nach Art „neudeutscher“ Programmmusik der Partitur vorangestellt wurde (siehe linke Spalte).

Der amerikanische Dirigent Walter Damrosch, der „Tapiola“ gemeinsam mit der New Yorker Sinfonischen Gesellschaft in Auftrag gegeben hatte, scheint das Wesen von Sibelius’ Werk sofort erfasst zu haben. Kurz vor der erfolgreichen Premiere, die am 26. Dezember 1926 in New York stattfand, schrieb er an den Kompo­nisten: „Wir stehen ganz im Bann der düsteren Kiefern­

Da dehnen sich des Nordlands düstre WälderUralt-geheimnisvoll in wilden Träumen;In ihnen wohnt der Wälder großer Gott, Waldgeister weben heimlich in dem Dunkel.

Gedicht, das der „Tapiola“­Partitur vorangestellt ist

wälder; wir hören die heulenden Winde, deren eisige Töne vom Nordpol selbst zu kommen scheinen. Durch alles huschen die Geisterschatten von Göttern und seltsamen Wesen, die die nordische Mythologie be­völkern; sie flüstern ihre Geheimnisse und tanzen ihre mystischen Tänze zwischen Zweigen und Bäumen.“

Naturgemäß setzte sich Sibelius mit seiner einsätzigen Komposition über alle Lehrbuchdefinitionen und die von den Theoretikern erdachten Formmodelle hinweg, um in brillanter Instrumentation ein visionäres Werk zu schaffen, das im Charakter eines musikalischen Kontinuums unterschiedliche Klangfelder aneinander­reiht. Dabei ist die Komposition, ungeachtet ihrer gro­ßen Tempovielfalt und der variantenreich verwendeten Instrumentenkombinationen, im Grunde mono the ma­tisch angelegt. Denn das zweitaktige Streicher t he ma, welches gleich zu Beginn der langsamen Einleitung exponiert wird, bildet die Grundlage einer Folge von sinfonischen Variationen, die sich hinsichtlich ihrer musikalischen Charaktere – vom schwergewichtigen Allegroteil über ein luftiges Holzbläserintermezzo hin zu einem huschenden Scherzo, in dem sich ein Dialog zwischen Holzbläsern und Streichern ausbildet – deut­lich voneinander absetzen. Gegen Ende dieses Pro­zesses steigert sich die Musik mit Tremolandofigu ren der Streicher in Ehrfurcht gebietendem Crescendo zu einer naturalistische Züge annehmenden Sturmdar­stellung (nicht zufällig hatte Sibelius kurz vor „Tapiola“ die musikalische Untermalung zu Shakespeares Dra­ma „Der Sturm“ geschrieben). Nach dem Abklingen der Naturgewalten endet das bis dahin durchgehend in Moll gehaltene Werk in einem lange ausgehaltenen H­Dur­Streicherakkord, der abschließend doch noch ein Gefühl von Ruhe und Vollendung vermittelt.

Harald Hodeige

Z I T A T E Z U M W E R K

Zuweilen hört man das weh-mütige, sich immer wieder wiederholende Munkeln des Waldgeistes, zuweilen tanzen die Wichtelmännchen hitzig, zuweilen wiederum schreit ein einsamer Wanderer in der Einöde seinen Lebensschmerz gegen den Himmel. Ein schönes Werk, technisch der Sinfonie Nr. 7 nahe.

Der finnische Komponist und Dirigent Leevi Madetoja nach der Uraufführung von „Tapiola“

Auch wenn Sibelius nichts an-deres komponiert hätte, dieses Werk wäre ausreichend, um ihm einen Platz unter den Großmeis-tern aller Zeiten zu garantieren.

Der Sibelius­Forscher Cecil Gray

Jean Sibelius (1923)

„Im Bann der düsteren Kiefernwälder“

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Requiem voller Symbolik„Sie verbreitete Scheu mehr noch als Schönheit um sich, eine Engels­Gazelle vom Himmel!“ Mit diesen Worten beschrieb Elias Canetti einmal Manon Gropius, die Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius. Auch Alban Berg war einer der vielen Wiener Künstler, die das Wesen der jungen Manon verzauberte. Der frühe Tod der 18­Jährigen an Kinderlähmung traf ihn im April 1935 tief. So war es ihm ein Bedürfnis, jenes Werk, das gerade auf seinem Schreibtisch lag, ihrem Andenken zu widmen. Aus dem Violinkonzert – eigent­lich eine aus Finanznöten angenommene Auftrags­arbeit für den Geiger Louis Krasner – wurde ein Requi­em für den „Engel“ Manon. Dass es zugleich sein eigenes Requiem werden sollte, konnte Berg nicht ah­nen: Kurz nach Vollendung der Partitur verursachte ein Insektenstich eine Blutvergiftung, der der Kompo­nist am Heiligen Abend 1935 erlag. Das Violinkonzert wurde posthum in Barcelona uraufgeführt. Berg hat sein populärstes Werk nie gehört.

Zur mythischen Aura, die Bergs Opus ultimum aus diesen Gründen umgibt, hat der Musikwissenschaftler Douglas Jarman sogar noch eine weitere Komponente hinzugefügt: Bereits viele Wochen vor Manons Tod stand der Formplan des Konzerts fest. Die Folge aus vier durch Tempo und Charakter unterschiedenen Teilen entsprach dabei laut einer Tagebucheintragung Bergs offensichtlich dem Motto des durch „Turnvater Jahn“ ins Leben gerufenen Deutschen Turnvereins: „Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei“ – hier nur in umge­kehrter Reihenfolge. Dem „freien“ Beginn sollte also ein „fröhliches“ Scherzo folgen, woraufhin „fromme“ Choralvariationen von einem „frischen“ Allegro ab­

A L B A N B E R G

Violinkonzert

D E M A N D E N K E N E I N E S

E N G E L S

Warum hatte die kleine schuld-lose Manon mit ihren 18 Jahren so viel mehr zu leiden als andere Menschen. Es war der strahlends-te Ostermontag, an dem sie end-lich erlöst wurde … Es war einer jener Tode, angesichts derer der gläubigste Mensch, daran zweifeln muss, dass die Güte eine Eigenschaft Gottes sei.

Der Schriftsteller Franz Werfel, mit dem Alma Mahler nach ihrer Trennung von Walter Gropius – kurz nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Manon – zusammenlebte

Manon Gropius

A L B A N B E R G

Violinkonzert

gelöst werden sollten. Als plausibelste Erklärung für diesen rückläufigen – und damit ja entstellten – Auf­griff eines bekannten deutsch­patriotischen Slogans kommt für Johnson ein privater Akt der Auflehnung des von den Nazis als „entartet“ verunglimpften und mit Aufführungsverbot belegten Komponisten in Frage. Man fühlt sich unmittelbar an die Werke Schostakowitschs erinnert, in denen auf ähnliche Wei­se politische und persönliche Botschaften versteckt sind. Und so wie Schostakowitsch sich in seiner Musik durch die klingenden Initialen seines Namens ver­ewigte, hat Berg laut Johnson seinem Violinkonzert ebenfalls autobiographische Züge durch Zahlensym­bolik verliehen. So vereine der letzte Takt 230 die beiden Zahlen 23 und 10, die Berg in vielen anderen Werken mit sich selbst oder seiner letzten großen Liebe Hanna Fuchs in Verbindung brachte ...

Was immer man auch glauben will, fest scheint jeden­falls zu stehen, dass das Programm eines Porträts der Manon Gropius nicht die erste und einzige Idee hinter Bergs Violinkonzert war. Auch die Zwölftonreihe, auf der das Werk beruht, war schon gefunden, als Berg sich aufgrund des traurigen Anlasses dazu entschloss, einen Choral von Johann Sebastian Bach („Es ist ge­nug“) zu zitieren. „Ist das nicht merkwürdig“, konnte er deshalb seinen Schüler Willi Reich fragen, „die ersten vier Töne des Chorals (eine Ganztonfolge) entsprechen genau den letzten vier Tönen der Zwölftonreihe, mit der ich das ganze Konzert baue?“ Diese Zwölftonreihe ist übrigens auch noch in anderer Hinsicht bemerkens­wert: Berg ging von den vier Saiten der Violine (g­d­a­e) aus und füllte sie mit Terzen auf, so dass sich in der Reihe ganz tonale Dreiklänge ergeben – ein Grund für die vergleichsweise leichte Zugänglichkeit und Klang­schönheit des Violinkonzerts. Es wurde, begünstigt auch durch die Attraktivität des berührenden Pro­

E I N B A C H - Z I T A T

Als Alban Berg für den letzten Abschnitt seines Violinkon­zerts einen geeigneten Choral suchte, wurde er in der Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort“ BWV 60 von Johann Sebastian Bach fündig: An deren Ende steht der berühmte, mit drei Ganztonschritten beginnende Choral „Es ist genug“. In Ver­bindung mit dem Text darf diese eigenwillige Tonfolge dort als eine Art „Himmelsleiter“, als musikalisches Symbol für das Überschreiten des Lebens­bereichs zum Tod verstanden werden, wobei aus dem Ge­samtzusammenhang der Kan­tate aber auch deutlich wird, dass der Mensch dem Tod mit Zuversicht und Hoffnung auf die eigene Auferstehung ent­gegenblicken darf. Genau die­ser inhaltliche Konnex ließ den Choral für Bergs Anliegen so passend erscheinen. Widmete er sein Violinkonzert nach dem Tod der 18­jährigen Manon Gropius „dem Andenken eines Engels“, so öffnet das Zitat des Bach­Chorals am Ende ge­wissermaßen die Tür zum Himmel. Bachs Musik wird hier zum Signum des Trostes und der Erlösung.

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A L B A N B E R G

ViolinkonzertA L B A N B E R G

Violinkonzert

gramms, zum einzigen atonalen Solo­Konzert, das heute weltweit zum Standardrepertoire gehört.

Ein tatsächlich „frei“ wirkendes Vorspiel, in dem die Geige zunächst ihre vier leeren Saiten erklingen lässt, eröffnet das Werk. „Wer Berg kannte“, erklärte Theodor W. Adorno, „mag das als ironisch­makabre Anspielung darauf verstehen, dass er, bei der Auftragskomposi­tion, sich selbst erst in Stimmung bringen musste. Der Doppelsinn jenes Wortes ist auskomponiert: vom unbeseelten Ausprobieren der leeren Saiten, noch dies­seits der eigentlichen Komposition, wird gleitend die volle expressive Intensität erreicht“. Mit dieser Inten­sität schildert der folgende Andante­Satz gemäß Bergs eigener Erläuterung das sanft­träumerische Wesen der Manon Gropius. Ein deutlich an Bergs großes Vorbild Gustav Mahler erinnerndes, wienerisches Ländler­ Scherzo (Allegretto) berichtet sodann auch von Humor und Anmut des Mädchens. Das Zitat des Kärntner Volksliedes „Ein Vogerl auf’m Zwetschgenbaum“ er­innert ferner daran, dass Berg sein Violinkonzert am Wörthersee, unweit der sommerlichen Aufenthalts­orte von Brahms und Mahler, komponierte.

Für den zweiten Teil des Werks musste Berg, dem ja nunmehr die Idee von „Tod und Verklärung“ vor­schwebte, die ursprünglich geplante Reihenfolge von Choralvariationen mit abschließendem „frischen“ Allegro umdrehen. Die auskomponierte Solo­Kadenz, die als Allegro daher am Anfang steht, beschreibt die Krankheit der Manon, wobei sich in Bergs Skizzen Kommen tare wie „Rufe“, „Stöhnen“ oder – für den Höhepunkt – „Lähmungsakkord“ finden. Auf den letzten Ausbruch antwortet der Bach­Choral, der dar­aufhin „in der Variationstechnik des Choralvorspiels durchgeführt wird, nochmals durchtönt vom Kärntner Lied, in einer Traurigkeit, an die Worte nicht heran­

reichen … Der Abschied, von dem die Musik tönt, scheint der von Welt, Traum und Kindheit selber.“ (Adorno). Einen deutlichen Hinweis aber auf die Ver­klärung, auf das ewige Leben nach dem irdischen Tod birgt der Schluss, in dem Berg jenen offenen Akkord aufgreift, mit dem schon Mahlers „Lied von der Erde“ zu den Worten „Ewig, ewig“ ausklang.

Julius Heile

K U N S T D E R V E R M I T T L U N G

Die Zwölftonreihe, die Alban Berg seinem Violinkonzert zu Grunde legte, ist klug erdacht: Es lassen sich aus ihr sowohl die tonalen Zitate des Bach­ Chorals oder einer Kärntner Volksweise herleiten als auch krass dissonante Klänge wie diejenigen im 2. Teil. Dem etwa von Theodor W. Adorno erhobenen Vorwurf des allzu Popularisierenden, Simplen oder Konventionellen sowie der Kritik an vermeintlichen Stilbrüchen musste derselbe gestrenge Autor daher in einem Atemzug entgegensetzen, dass sich „Bergs Kunst der Vermitt­lung in keinem seiner Werke höher als dem letzten abge­schlossenen“ niederschlug. „Bergs Neigung, tonartliche und zwölftönige Komplexe konstruktiv miteinander zu durchdringen“, so Adorno, „ist im Konzert zur reinsten Konsequenz geführt.“

Alban Berg (1932)

Die ersten Pläne zu seiner Vierten Sinfonie fasste Carl Nielsen im Frühjahr 1914. An seine Frau Anne Marie schrieb er am 3. Mai: „Ich habe eine Idee zu einer neu en Arbeit, die kein Programm hat, die aber ausdrücken soll, was wir unter Lebensdrang oder Lebensäußerun gen verstehen, also: alles was sich rührt, was Leben will, was man weder als böse noch als gut, niedrig oder hoch, groß oder klein bezeich­nen kann, sondern wo man einfach nur sagen würde: ,Das ist Leben‘. Ich muss ein Wort oder einen kurzen Titel finden, der das aussagt“. Fast zwei Jahre lang arbeitete Nielsen an dem Werk. Mitte Januar 1916 schließlich war es soweit: Nielsen hatte die Sinfonie vollendet. Bereits am 1. Februar dirigierte der Kom­ponist die Uraufführung in Kopenhagen. Einen Titel hatte er auch gefunden: „Det Uudslukkelige“, zu Deutsch: „Das Unauslöschliche“.

„Musik ist Leben“

C A R L N I E L S E N

Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche“

Nielsens 4. Sinfonie gehört zu den herausragenden Beispielen einer Sinfonik, die sich ohne Traditions-verweigerung dem Neuen stellte und die zudem in ihrem humanen Gestus nicht veralten kann. Wulf Konold

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C A R L N I E L S E N

Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche“C A R L N I E L S E N

Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche“

C A R L N I E L S E N

Carl Nielsen wurde 1865 (im gleichen Jahr wie Jean Sibelius) in Sortelung auf Fünen als Sohn eines Anstreichers geboren. Er lernte Violine und Trompete und erhielt mit 14 Jahren eine Stelle im Militärorchester in Odense. Nach dem Violinstu­dium am Konservatorium in Kopenhagen war er zunächst Geiger am Königlichen Thea­ter, trat aber auch schon mit eigenen Kompositionen hervor. 1905 quittierte er seinen Dienst im Orchester und konzentrierte sich fortan auf seine Arbeit als Komponist und Dirigent. Mit Werken wie der Oper „Maske ra­de“ oder der Dritten Sinfonie wurde er international be­kannt. Neben Niels Wilhelm Gade ist Nielsen bis heute der wohl berühmteste und bedeu­tendste Komponist Dänemarks. Anders als viele skandinavi­sche Kollegen treten bei ihm folkloristische Elemente in den Hintergrund. In seinen sechs Sinfonien prägte er eine un­verwechselbar persönliche Har­monik und Instrumentation aus und ging seinen ganz ei­genen Weg zwischen Spätro­mantik und Expressionismus.

Die Uraufführung war ein großer Erfolg: „Wer sich dieses Meisterwerk anhörte, muss sich darüber im Klaren sein, dass hier ein Hauptwerk der dänischen Musik aus der Taufe gehoben wurde“, hieß es in einer Kritik. Doch es gab nicht nur begeisterte Stimmen: „Deine Musik ist die Hölle, und ich möchte nicht in die Hölle“, musste sich der Komponist von seinem Freund Thomas Laub anhören. In der Tat hatte sich Nielsens Tonsprache in der Vierten Sinfonie beträcht­lich weiterentwickelt: Die Musik ist weit dissonanter und aggressiver als in all seinen vorherigen Werken; gelegentlich wird die Grenze zur Atonalität gestreift. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich mannigfache Konflikte persönlicher und allgemeiner Art in diesem Werk widerspiegeln. 1914 hatte Nielsen sein Amt als Kapellmeister des Königlichen Theaters Kopenhagen nach diversen Streitigkeiten niedergelegt; die Ehe mit der Bildhauerin Anne Marie Brodersen drohte zu scheitern, da Nielsen es mit der Treue nicht allzu genau nahm, und nicht zuletzt zeigte sich der Kom­ponist durch die Geschehnisse des Ersten Weltkriegs erschüttert und beklagte, dass das Nationalgefühl allgemein zu einer Art „geistiger Syphilis“ geworden sei, „die die Gehirne auffrisst und mit irrsinnigem Hass aus den leeren Augenhöhlen grinst.“

Der erste der vier unmittelbar ineinander übergehen­den Sätze entfesselt zu Beginn die Gewalten des Chaos. Die Tonarten D und C stehen gegeneinander, und ein regelrechtes Thema schält sich aus dem Ge­schehen noch nicht heraus. Wenn sich der Sturm beruhigt, erscheint ein in parallelen Terzen der Kla­rinetten geführtes gesangliches Thema, das sich am Ende des Finales als das eigentliche Motto der Sin­fonie herauskristallisieren wird. Die Durchführung ist vom Konflikt zwischen diesem Thema und den Energien des Satzanfangs geprägt. In der Reprise

jedoch kommt das Thema nicht mehr vor, und die Musik leitet über zum zweiten Satz, einem pastoralen Intermezzo von anrührender Schlichtheit, fast allein den Holzbläsern vorbehalten. „Wir sind im Kinder­land, wo alle gut und unschuldig sind“, bemerkt der Komponist. Doch der Frieden währt nicht lange. „Wie ein Adler im Wind“ (wiederum Nielsens Worte) wird die weit gespannte Melodie des langsamen Sat­zes getragen, unterstützt von Streicherpizzicati und Pauken. Der Charakter der Musik ist schmerzlich – leidenschaftlicher als beinahe alles, was Nielsen zuvor komponiert hat. Zu dieser Melodie gesellen sich an­dere Motive: ein Choral, eine Dreitonfigur und schließ­lich ein litaneihaftes, durch Tonwiederholungen cha­rakterisiertes Thema, das zu einer groß angelegten kontrapunktischen Entwicklung Anstoß gibt. Nach einem Höhepunkt in E­Dur, der Zieltonart des Werks, beruhigt sich das Geschehen.

Ein wildes Streicher­Fugato leitet über ins Finale, in dem die Konflikte zu einer Lösung geführt werden – aber nicht ohne neuerliche Kämpfe: In diesem Satz tritt ein zweites Paar Pauken in Erscheinung, das sich mit dem anderen Paukenpaar wilde Duelle liefert. Es ist dies nicht nur ein seine Wirkung nicht verfeh­lender Effekt, sondern es ergibt auch musikalisch Sinn, indem die Pauken in einer nach E tendierenden tonalen Umgebung geradezu wütend auf dem d­Moll­Dreiklang (der Tonart des Werkanfangs) beharren. Am Schluss kehrt das Terzenthema aus dem Kopfsatz wieder und beschließt die Sinfonie im kräftig bestä­tigenden E­Dur.

Thomas Schulz

D A S U N A U S L Ö S C H L I C H E

Durch den Titel „Das Unaus-löschliche“ hat der Komponist versucht, mit einem Worte das anzudeuten, was nur die Musik selbst völlig auszudrücken imstande ist: den elementaren Willen zum Leben. Die Musik ist Leben und unauslöschlich wie dieses. Somit könnte das Wort, das der Komponist als Titel seines Werkes gebraucht hat, überflüssig erscheinen; er hat es indessen verwendet, um den streng musikalischen Charakter seiner Aufgabe zu unterstrei-chen. Es soll demgemäß kein Programm sein, sondern ein Wegweiser durch das eigene Gebiet der Musik.

Carl Nielsens Vorwort zur Par­titur seiner Vierten Sinfonie

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D I R I G E N T

Vadim Gluzman

Vadim Gluzman setzt die große Geigertradition des 19. und 20. Jahrhunderts fort, die er mit der Frische und Dynamik der Gegenwart belebt. Der israelische Geiger tritt regelmäßig mit bedeutenden Orchestern auf, darunter das Chicago, San Francisco Symphony, London Philharmonic, London Symphony Orchestra, das Gewandhausorchester Leipzig sowie die Münchner Philharmoniker. Gern gesehener Gast ist er auch bei den Festivals in Verbier, Ravinia, Lockenhaus, Colmar und Jerusalem, bei der Kronberg Academy, beim Fes­tival Pablo Casals und North Shore Chamber Music Festival in Northbrook/Illinois, das er gemeinsam mit seiner Ehefrau und langjährigen Kammermusikpart­ne rin am Klavier, Angela Yoffe, gründete. Zu Gluzmans breit gefächertem Repertoire zählt insbesondere auch die zeitgenössische Musik. In der aktuellen Saison spielt er gleich zwei Uraufführungen: Sofia Gubaiduli­nas Tripelkonzert für Violine, Cello und Bayan mit der NDR Radiophilharmonie unter Andrew Manze sowie Elena Firsovas Konzert für Violine und Cello mit dem Deutschen Symphonie­Orchester Berlin unter Tugan Sokhiev. Gluzmans jüngste CD ist den Werken Sergej Prokofjews gewidmet. Zahlreiche seiner Aufnahmen wurden mit renommierten Preisen ausgezeichnet.

1973 in der Ukraine geboren, wurde Gluzman in Lett­land von Roman Sne und in Russland von Zakhar Bron unterrichtet. Nach seinem Umzug nach Israel im Jahr 1990 studierte er bei Yair Kless. Seine Lehrer in den USA waren Arkady Fomin, Dorothy DeLay und Masao Kawasaki. Zu Beginn seiner Karriere wurde er von Isaac Stern gefördert. Gluzman spielt die Stradivari „Ex­Leopold Auer“ (1690), die ihm von der Stradivari Society Chicago zur Verfügung gestellt wird.

H Ö H E P U N K T E 2 0 1 6 / 2 0 17

• Australien­Tournee mit dem Sydney und Melbourne Symphony Orchestra• Konzerte mit dem Chicago Symphony, BBC Symphony, Baltimore Symphony und NHK Symphony Orchestra, dem Deutschen Symphonie­ Orchester Berlin, Orchestre de Paris sowie Orchestre Phil­ harmonique de Radio France• USA­Tournee mit dem Orpheus Chamber Orchestra • Leitung des Franz Liszt Chamber Orchestra in Budapest • Fortsetzung der Arbeit als künstlerischer Berater und Gastsolist der Kammer­ musikreihe des ProMusica Chamber Orchestras in Columbus/Ohio

V I O L I N E

Hannu Lintu

H Ö H E P U N K T E 2 0 1 6 / 2 0 17

• Konzerte mit dem Deutschen Symphonie­Orchester Berlin, Staatsorchester Stuttgart, Radio­Symphonieorchester Wien, Luzerner Sinfonieor­ chester, Orquesta Sinfónica de Galicia, St. Louis Sympho­ ny, Toronto Symphony, Balti­ more Symphony und Detroit Symphony Orchestra• Russland­Tournee mit dem Finnish Radio Symphony Orchestra• Rückkehr zum Opernfestival von Savonlinna mit Aulis Sallinens „Kullervo“• Jean Sibelius’ „Kullervo“ in einem besonderen Projekt mit der Finnischen National­ oper Helsinki und deren Ballett sowie dem Choreo­ graphen Tero Saarinen

Hannu Lintu ist seit 2013 Chefdirigent des Finnish Radio Symphony Orchestra und hatte zuvor Positionen als Chef des Tampere Philharmonic Orchestra, als Erster Gastdirigent des RTÉ National Symphony Orches­tra sowie als Chefdirigent des Helsingborg Symphony und Turku Philharmonic Orchestra inne. Darüber hinaus gastierte er etwa beim Cleveland Orchestra, Gulbenkian Orchestra, Orchestre de Chambre de Lausanne, Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi, BBC Scottish Symphony, Iceland Symphony and Seoul Philharmonic Orchestra. 2015 dirigierte er einen Zyklus aller Sibelius­Sinfonien in Tokio mit dem New Japan Philharmonic und Finnish Radio Symphony Orchestra. 2016 unternahm er mit seinem Orchester und der Geigerin Leila Josefowicz eine Tournee durch Österreich. Regelmäßig ist er auch an der Finnischen Nationaloper in Helsinki zu erleben und dirigierte hier u. a. „Parsifal“, „Carmen“, „Tristan und Isolde“ oder Sallinens „King Lear“. Weitere Opernengagements führten ihn etwa nach Tampere und Tallin. Zahlreiche CD­Einspielungen dokumentieren Lintus künstleri­sches Schaffen und wurden zum Teil für den Grammy oder den Gramophone Award nominiert. Zuletzt er­schien eine Aufnahme der Klavierkonzerte von Prokof­jew mit Olli Mustonen und dem Finnish Radio Sym­phony Orchestra. Auf anderen CDs sind etwa Mahlers Erste Sinfonie, Enescus Zweite, Werke von Magnus Lindberg oder Messiaens „Turangalîla­Sinfonie“ zu hören. Lintu studierte Cello und Klavier an der Sibelius­ Akademie in Helsinki, wo er später auch sein Dirigier­studium bei Jorma Panula ablegte. Er nahm an Meis­terkursen bei Myung­Whun Chung an der Accademia Chigiana in Siena teil und erhielt den 1. Preis beim Nordic Conducting Competition 1994 in Bergen.

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TELEMANN FESTIVAL 24.11. BIS 03.12.2017 | HAMBURG

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Hamburg

Ein Festival von NDR Das Alte Werk in Kooperation mit Elbphilharmonie Hamburg. 

Unterstützt von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und der Kulturbehörde Hamburg. 

AKADEMIE FÜR ALTE MUSIK BERLIN NDR BIGBAND DOROTHEE OBERLINGER MIRIWAYS PARISER QUARTETTE ORATORIUM  BERNARD LABADIE  BAROQUE MEETS JAZZ   TAG DES GERICHTS  JEAN RONDEAU OPER  URBAN STRING 

FREIBURGER BAROCKORCHESTER  ELBIPOLIS  NDR CHOR LES TALENS LYRIQUES GIOVANNI ANTONINI CHRISTOPHE ROUSSET 

MORALISCHE KANTATEN HAMBURGER RATSMUSIK TELEMANN ET LA FRANCE 

ENSEMBLE RESONANZ SELIGES ERWÄGEN IL GIARDINO ARMONICO

Ausführliche Informationen unter ndr.de/telemann-festival

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T H E AT R E O F V O I C E S

P A U L H I L L I E R

LeitungI R I S O J A

MezzosopranC H R I S W AT S O N

BaritonO R B I S Q U A R T E T T

C H R I S T O P H E R B O W E R S -

B R O A D B E N T

Orgel und Klavier

Ein Abend mit Musik von A R VO PÄ R T:

· Teil 1: Kirchenmusik – Chor und Orgel· Teil 2: Kammermusik und Gesang· Teil 3: Nachtmusik mit Chor

St. Johannis-Harvestehude, HamburgFreitag, 09.06.17 — 20 Uhr

Karten zu 20 Euro, ermäßigt 10 Euro

K O N Z E R T T I P P

Porträtkonzert Arvo Pärt

mit Paul Hillier

Arvo Pärt

Herausgegeben vomN O R D D E U T S C H E N R U N D F U N K

Programmdirektion HörfunkOrchester, Chor und KonzerteLeitung: Andrea Zietzschmann

N D R E L B P H I L H A R M O N I E O R C H E S T E R Management: Achim Dobschall

Redaktion des Programmheftes Julius Heile

Die Einführungstexte von Julius Heile und Thomas Schulz sind Originalbeiträge

für den NDR. Der Einführungstext von Dr. Harald Hodeige erschien erstmals in der

Saison 2011/2012 beim Sinfonieorchester Wuppertal.

FotosAKG­Images / IAM (S. 5)

Culture­Images (S. 6)AKG­Images / De Agostini Picture Lib. /

A. Dagli Orti (S. 8)AKG­Images / Fototeca Gilardi (S. 10)

Kaapo Kamu (S. 12)Marco Borggreve (S. 13)

Eric Marinitsch / Universal Edition (S. 15)

NDR MarkendesignDesign: Factor, Realisation: Klasse 3b

Druck: Nehr & Co. GmbHLitho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

ndr.de/elbphilharmonieorchesterfacebook.com/NDRElbphilharmonieOrchester

youtube.com/NDRKlassik

I M P R E S S U M

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Ich möchte„

unbekannteswie möglich betreten.

Hören und genießenUKW-Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur, im Digitalradio über DAB+

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Regelmäßige Sendetermine: NDR Elbphilharmonie Orchester | montags | 20.00 UhrDas Sonntagskonzert | sonntags | 11.00 Uhr

DAS NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER AUF NDR KULTUR

Ich möchte so vielunbekanntes Terrain

“IRIS BERBEN

wie möglich betreten.

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