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Sonderdruck Ausgabe 2-2016 Thema das Monats Sprachförderung und interkulturelle Schule H 6185 SCHUL VERWALTUNGS BLATT 2-2016 für Niedersachsen Amtsblatt des Niedersächsischen Kultusministeriums für Schule und Schulverwaltung Verlag Hahnsche Buchhandlung Marktstraße 12 · 31224 Peine

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SonderdruckAusgabe 2-2016

Thema das MonatsSprachförderung und interkulturelle Schule

H 6185

SCHULVERWALTUNGSBLATT

2-2016

für NiedersachsenAmtsblatt des Niedersächsischen Kultusministeriums für Schule und Schulverwaltung

Verlag Hahnsche BuchhandlungMarktstraße 12 · 31224 Peine

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Thema des MonatsSprachförderung und interkulturelle Schule

Regelklasse besonders geeignet? Wann kann der Komplett-Umstieg stattfinden? Welche Folgemaßnahmen (Förderunter-richt) sind vorzusehen? Hier schlagen sich die gemachten Er-fahrungen unter anderem in individuellen Stundenplänen nie-der, die Regelunterricht mit Sprachförderstunden ganz nachpersönlichem Profil verbinden.

Die zunehmende Präsenz der „Seiteneinsteiger“ ist nicht nureine organisatorische und pädagogische Herausforderung fürdie Schule, sondern auch für ihre Schülerschaft. Mitschülerin-nen und Mitschüler in der Regelklasse sind wichtige Partnerder Integration. Sie sind zugleich Nutznießer der zusätzlichenkulturellen und sprachlichen Vielfalt, die mit den neu zuge-wanderten Kindern und Jugendlichen Einzug hält. Die inter-kulturelle Schule, die lange durch die Migration aus der Türkeisowie Süd- und Osteuropa geprägt war, wird so ein erseitsnoch facettenreicher. Andererseits ist sie gefordert, ihren We-senskern deutlich zu bestimmen. Welche Werte, welche Re-geln sind für alle verbindlich? Welche neuen Sonderwegeetwa bei der Sprachenwahl können wir eröffnen? Wie sichernwir Unterrichtsqualität und Aussagekraft der Abschlüsse?

Die auf den folgenden Seiten versammelten vier Schul-Bei-spiele für Sprachförderung und interkulturelle Schule legenein lebendiges Zeugnis ab für das Engagement von Schulen inNiedersachsen bei der Bewältigung dieser neuen Aufgaben.

Das vergangene Jahr stand im Zeichen einer verstärkten Mi-gration aus Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland undalso auch nach Niedersachsen. Das Durchschnittsalter derFlüchtlinge ist niedrig; darunter sind viele schulpflichtige Kin-der und Jugendliche. Diese sollen nicht nur möglichst schnellim Alltag handlungsfähig werden, sondern auch in mög lichstvielen Fächern am Unterricht in unseren Schulen teilnehmenkönnen. Dadurch werden die Chancen für Bildungserfolg undgesellschaftliche Teilhabe erhöht, im Interesse der Betroffe-nen und der Gesellschaft insgesamt.

Der Schlüssel für die schulische und gesellschaftliche Integra-tion ist die Sprache. Der Runderlass „Förderung von Bildungs-erfolg und Teilhabe von Schülerinnen und Schülern nichtdeut-scher Herkunftssprache“ vom 1.7.2014 beschreibt die ver-schiedenen Maßnahmen zur sprachlichen Förderung. Dazugehört neben dem sprachsensiblen Regelunterricht die Ein-richtung von Sprachlernklassen, von Förderkursen und vonFörderunterricht.

Viele Schulen in Niedersachsen nutzen dieses Angebot zu-sätzlicher Ressourcen bereits, viele weitere kommen zurzeitneu hinzu. Sie werden dabei unterstützt durch die schulfach-lichen Dezernentinnen und Dezernenten sowie die Fachbera-tung Interkulturelle Bildung der Niedersächsischen Landes-schulbehörde, durch die zurzeit 15 Sprachbildungszentren so-wie durch Fortbildungsangebote des Niedersächsischen Lan -desinstituts für schulische Qualitätsentwicklung und der Re-gionalen Kompetenzzentren für Lehrerfortbildung.

Parallel zum Aufbau und Ausbau der Unterstützungsstruktu-ren wächst das Knowhow in den Schulen selbst. Das beginntbei der Anmeldung in der Schule: Welche Informationenbraucht man über die neuen Schülerinnen und Schüler, undwie kann man sie ermitteln? Bei der Beantwortung dieser Fra-gen helfen neue Formulare, neue Checklisten und die Zusam-menarbeit mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern, mit Mi-grantenorganisationen, mit der Sozialarbeit.

Das setzt sich fort bei der Gestaltung des Unterrichts inSprachlernklassen und anderen Förderformaten: WelchesLehrwerk für Deutsch als Zweitsprache oder Deutsch alsFremdsprache kommt in Betracht? Wie setze ich es ein? Wel-che weiteren Unterrichtsmedien, insbesondere zur Binnendif-ferenzierung nach individuellem Lernstand, stehen zur Verfü-gung? Welche räumliche Ausstattung braucht der Unterricht?Zur Klärung solcher Fragen intensiviert sich der Austauschunter den beteiligten Lehrkräften einer Schule oder mehrererSchulen an einem Ort im Rahmen einer Arbeits- oder Fach-gruppe oder überörtlich im Rahmen der Netzwerkarbeit desregionalen Sprachbildungszentrums.

Schließlich werden Erfahrungen mit dem Übergang in den Re-gelunterricht gesammelt. Kann oder muss dieser Übergangganz früh beginnen? Welche Fächer sind als Türöffner in die

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Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte gabes an der Paul-Sillus-Schule in Jever schon lange. „Aber daswaren oft Migrantenkinder der dritten Generation, deren El-tern bereits in Deutschland zur Schule gegangen waren“, er-zählt Meike Roder, seit 2010 Rektorin der Ganztagsgrund-schule. Das wurde erst ab Mai 2015 anders, als plötzlich zweitschetschenische Kinder ohne Deutschkenntnisse vor der Türstanden. Es folgten noch vor den Sommerferien Kinder aus Al-banien, Montenegro und Tschetschenien und nach den Som-merferien Kinder aus Afghanistan, Syrien, Bosnien, Mazedoni-en und erneut Tschetschenien.

Eine wichtige Stütze bei der Bewältigung der neuen Aufgabe„Aufnahme von schulischen Seiteneinsteigern“ ist die zustän-dige Sozialarbeiterin der Stadt. Sie kündigt die Neuzugängenicht nur an, sondern begleitet sie und ihre Eltern auch zumAnmeldegespräch in die Schule, die als einzige Ganztags-grundschule in Jever für diese Schülerschaft besonders ge-eignet ist. Die Führung eines solchen Gesprächs ist eine be-sondere Herausforderung, denn oft steht keine gemeinsameSprache zur Verfügung. „Wir haben jetzt dank des Oldenbur-ger Sprachbildungszentrums Bildkarten und Schriftkarten, mitderen Hilfe die Eltern zumindest verstehen können, von wel-chem Thema gerade die Rede ist“, sagt Frau Roder.

Aus diesen ersten Gesprächen wurde schnell deutlich, dass dieneuen Kinder eine sehr unterschiedliche Vorbildung mitbrin-gen. Die afghanischen Kinder zum Beispiel hatten in ihrem ei-genen Land keine Schule besucht und waren auf der Fluchtlediglich drei Monate auf eine türkische Schule gegangen.Da gegen brachten die russischsprachigen Kinder aus Tschet-schenien gute schulische Vorkenntnisse mit.

Die Kinder wurden ausnahmslos zunächst in Regelklassenaufgenommen und dafür über alle Klassen verteilt. Aber sieerhalten seit einiger Zeit außerdem täglich zwei StundenDeutsch-Förderunterricht parallel zum Regelunterricht, unddas in zwei nach Alter getrennten Gruppen. Die Jüngeren ge-hen in die Gruppe für Erst- und Zweitklässler, die Älteren indie für Dritt- und Viertklässler. Den Unterricht erteilen zwei

Im Zeitraffer zur interkulturellen Grundschule

Neue Schülerinnen und Schüler finden ihren Platz in der Paul-Sillus-Schule in Jever

Dozentinnen von der Volkshochschule, die im Rahmen des Bil-dungs- und Teilhabepakets finanziert werden. Es werde mitviel unterschiedlichem Material gearbeitet, darunter eineDeutsch-als-Fremdsprache-Mappe eines Schulbuchverlags.„Aber insbesondere für die Jüngeren sind auch Spiele wie Me-mory sehr hilfreich“, erklärt Meike Roder.

Für das zweite Schulhalbjahr ist eine Sprachlernklasse bean-tragt worden, damit noch besser auf die besonderen Bedürf-nisse der Kinder eingegangen werden kann. Mindestens zehnWochen lang sollen sie in dieser Klasse schwerpunktmäßigDeutsch lernen, dann je nach individuellem Kenntnisstand all-mählich verstärkt in den Regelunterricht gehen. Meike Roder:„Das fängt mit Kunst, Sport, Musik an und bezieht allmählichimmer mehr Fächer ein.“ Diese Mischung aus Sprachlernklasseund Regelunterricht werde zwangsläufig zu individuellenStun denplänen führen, angepasst an die Bedürfnisse undMöglichkeiten jedes Kindes. Ein schuleigenes Sprachförder-konzept liefert dafür den Rahmen.

Für die Sprachlernklasse stehen zwei Lehrkräfte aus demStammkollegium bereit, die durch eine Mathematik-Lehrerinder Schule unterstützt werden. Die Lehrkräfte nehmen zurzeitan der Weiterbildungsmaßnahme „Qualitätsentwicklung inSprachlernklassen für Lehrkräfte in der Grundschule“ – durch-geführt vom Niedersächsischen Landesinstitut für schulischeQualitätsentwicklung – teil, um sich auf die neue Aufgabevorzubereiten.

Ergänzend gehört zum Sprachförderkonzept der Paul-Sillus-Schule neben Deutsch als Zweitsprache auch die Förderungder Herkunftssprachen. So konnte eine vor kurzem zugezoge-ne Mutter syrischer Herkunft, die in ihrer Heimat als Grund-schullehrerin tätig war, als ehrenamtliche Lehrerin gewonnenwerden. Sie hilft einer Kleingruppe von Kindern arabischspra-chiger Eltern dreimal die Woche von 14 bis 15 Uhr, die Kennt-nis ihrer Elternsprache zu sichern und auszubauen. Eine rus-sischsprachige pädagogische Mitarbeiterin der Schule sorgtfür ein ähnliches Angebot für die russischsprachigen Kinderaus Tschetschenien.

Die Paul-Sillus-Schule wurde von dem plötzlichen Auftauchenechter schulischer Seiteneinsteiger zwar zuerst überrascht,aber sie hat sich inzwischen gut darauf eingestellt. Ein beson-ders schönes Beispiel sind die afghanischen Kinder, die An-fang November nach Jever kamen und in die örtliche Förder-schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen eingeschult wur-den. Die Förderschulleiterin merkte bald, wie viel Potenzial inden Kindern steckte, und empfahl Meike Roder, sie bei sichaufzunehmen: „Die beiden Kinder lernen schnell.“ Seit dem 1.12.2015 nehmen sie am Unterricht der 3. Klasse teil und er-halten zusätzliche Unterstützung von einer ehrenamtlichenIntegrationslotsin. Diese hatte als Ehefrau eines mehrfach in-ternational versetzten Offiziers selbst „Migrantenkinder“ groß-gezogen. Sie weiß, wie sich diese Kinder fühlen und mit wel-chen Schwierigkeiten sie umgehen müssen. Jetzt will sie hie-sigen Migrantenkindern helfen.

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Die Fichteschule liegt in einem Stadtteil mit einem hohen Anteil von Familien mit Zuwanderungsgeschichte, niedrigemEinkommen und erhöhtem sozialen Handlungsbedarf. DieGrundschule mit ihren derzeit 271 Schülerinnen und Schülernin 13 Klassen und einer Sprachlernklasse hat langjährige Er-fahrung mit kultureller Vielfalt in der Schüler- und Eltern-schaft. Deshalb reagiert sie mit einer gewissen Gelassenheitauf aktuelle und sich abzeichnende Neuzugänge von Kindernnichtdeutscher Herkunftssprache ohne Deutschkenntnisse. DieSchulleiterin Cornelia Heimbucher weiß, dass sie sich auf dieLehrkräfte, aber auch auf die Unterstützung durch Eltern ver-lassen kann.

Das Kollegium hat sich im Rahmen des Projekts DaZNet(Netzwerk für Deutsch als Zweit- und Bildungssprache, Mehr-sprachigkeit und Interkulturelle Kompetenz in Niedersachsen)seit 2010 im Bereich Sprachbildung und Sprachförderung fitgemacht. Unter anderem wurden schulinterne Lehrerfortbil-dungen zum Thema durchgeführt. Das Ziel war, Sprachbildungfür alle und Sprachförderung für besonders Unterstützungsbe-dürftige im Alltag aller Klassen und Fächer fest zu verankern.

Dazu gehören Poster und Lernplakate in den Klassenräumen,auf denen man Vorbildformulierungen und Wortschatzhilfenfindet. Dazu gehören Methoden wie die Rekodierung von all-tagssprachlichen Schüleräußerungen in Bildungssprache. Da-bei wird eine Schüleräußerung wie „Wenn die Tiere, wenn eskalt wird, verschwinden…“ im Lehrermund zu „Während desWinterschlafs…“. Dazu gehört schließlich, sich generell mehrZeit für die Spracharbeit zu nehmen und dies als Lerngewinnfür die Kinder, nicht als Zeitverlust für die Lehrkraft wahrzu-nehmen.

Besonders intensiv ist naturgemäß die Spracharbeit in derSprachlernklasse, die es jetzt im zweiten Jahr an der Fichte-schule gibt und die hauptsächlich von einer Lehrerin mitSchwerpunkt Deutsch und einer Kollegin mit SchwerpunktMathematik betreut wird. Dort sind derzeit 20 Kinder ver-schiedener Klassenstufen und Herkunftssprachen zusammen-gefasst, die nur geringe Deutschkenntnisse besitzen.

Viele dieser Kinder stammen aus EU-Ländern: Bulgarien, Grie-chenland, Polen, Rumänien, Spanien, dazu aus Ghana. DieBürgerkriegsländer Afghanistan, Irak und Syrien sind noch garnicht vertreten. „Das ist keine einfache Schülerschaft” sagtFrau Heimbucher. „Eine relativ große Gruppe hat dieselbe Her-kunftssprache und neigt dazu, nur diese untereinander zusprechen.“ Deshalb verteilt man die Kinder der Sprachlernklas-se für einen guten Teil des Unterrichts wieder auf die Regel-klassen. Dank der vielen sprachsensiblen Lehrkräfte klappt dasgut. Die Sprachlernklasse ist zum Ort für die gezielte individu-elle Förderung geworden.

Wichtige Verbündete für die Lehrkräfte an der Fichteschulesind die Eltern. Deren Mitwirkung beschränkt sich nicht aufdie Teilnahme an Elternsprechtagen und Klassenelternaben-den. Zusätzlich gibt es einen offenen Ort der Information unddes Austauschs: das Elterncafé. Zum Elterncafé lädt die Schu-le alle Eltern einmal im Monat ein, in der Regel montags von

Das sprachsensible Kollegium als Stütze

An der Fichteschule in Hannover sind auch die Eltern wichtige Verbündete

8 bis 9 Uhr. Bei diesem Treffen wird immer ein pädagogischesThema mit Elternbezug besprochen, zum Beispiel „Wie macheich Hausaufgaben mit meinem Kind?“ oder „Wie viel und wel-cher Umgang mit Computer und Internet ist für mein Kindunschädlich bzw. sinnvoll?“ Die Teilnahme schwankt zwischeneiner Handvoll und 30 Personen, je nach Attraktivität des The-mas und Verfügbarkeit der Eltern. Das Publikum ist bunt ge-mischt und reicht von alteingesessenen Hannove ra nern bis zuMigranten aus Ghana.

Eine besonders wichtige Mittlerrolle den Eltern gegenüberspielen die Rucksackmütter. Das sind speziell ausgebildeteMütter mit Zuwanderungsgeschichte, die sich im deutschenAlltag und in der Schule gut auskennen und dieses Wissengeduldig an andere Migrantinnen und Migranten weiterge-ben. Eine der gegenwärtigen Rucksackmütter ist eine tamili-sche Mutter, deren Kind bereits auf eine weiterführendeSchule geht. Sie ist nicht auf tamilische Eltern „spezialisiert“,sondern spricht auch mit arabischen, russischen und türki-schen Müttern. Inzwischen ist sie über die Rolle als Rucksack-mutter in den Rang einer pädagogischen Mitarbeiterin in derGanztagsschule mit entsprechendem Salär aufgestiegen – ei-ne kleine Erfolgsgeschichte.

Vergleichsweise niedrigschwellig ist dagegen die Elternmitar-beit bei Feiern in der Schule, etwa beim Schulfest im Sommeroder Herbst. Da steuern die Eltern typische Speisen aus ihrenLändern bei. „Ich probiere sie alle“, berichtet Cornelia Heim-bucher. Ihr Lieblingsgebäck mit Migrationshintergrund heißtübrigens Guewecke und stammt aus Algerien.

Als interkulturelle Schule profitiert die Fichteschule nicht nurvon der kulinarischen Vielfalt der Herkunftsländer der Schüle-rinnen und Schüler bzw. ihrer Familien, sondern auch von dersprachlichen Zusatzkompetenz ihrer Lehrkräfte. Seit Jahrenachtet Rektorin Heimbucher darauf, dass Bewerberinnen undBewerber für neue Stellen nutzbare eigene Sprachkenntnissemitbringen. So hat sie Muttersprachlerinnen von Russisch,Spanisch und Türkisch und eine Lehrkraft mit persischen Wur-zeln gewinnen können, unabhängig von den Lehrkräften, diedie Herkunftssprachen Russisch, Arabisch und Türkisch unter-richten.

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Von der Förderstunde zur SprachlernklasseFür Migrantenkinder gab es lange Einzelförderstunden zusätz-lich zum Regelunterricht. Das reichte meistens, da die Kinderin der deutschen Alltagssprache handlungsfähig waren. Aberals vor ein paar Jahren die Zuwanderung von Flüchtlingeneinsetzte, wurde klar: Eine neue Struktur ist nötig, um diesenKindern ganz ohne Deutschkenntnisse den Einstieg zu erleich-tern. Zum Schuljahr 2013/14 wurde eine Sprachlernklasseeingerichtet. Als Lehrkraft konnte eine Quereinsteigerin ge-wonnen werden: eine aus Russland stammende Kollegin, dieaus eigener Erfahrung von den Hürden der deutschen Spracheund den Besonderheiten der deutschen Kultur wusste. Ihr ste-hen eine Fachlehrerin für Mathematik und Physik sowie fürKunst und Sport zur Seite.

Die Kinder in der Klasse verteilen sich gleichmäßig über dasAltersspektrum von 11 bis 15 Jahren. Die Gruppe umfasst zur-zeit 18 Kinder aus acht verschiedenen Nationen, zwölf Jungenund sechs Mädchen. Sie verbringen nur in den ersten Wochenihre ganze Zeit in der Sprachlernklasse und werden dann einerRegelklasse zugeteilt, an deren Unterricht sie in sprachlichwenig anspruchsvollen Fächern teilnehmen. Aber die Sprach-lernklasse bleibt ihre Basis, hier haben sie ihr schulisches Zu-hause. Da die Bedürfnisse sehr unterschiedlich sind, ist Bin-nendifferenzierung das tägliche Brot der Lehrkräfte, die in ei-nigen Stunden zu zweit eingesetzt sind. „Die Doppelbesetzungist für einen wirksamen Unterricht sehr hilfreich“, sagt Chris -tian Hottel.

Eine wichtige Rolle für den schulischen Erfolg spielt bei denKindern der Sprachlernklasse die Unterstützung durch das El-ternhaus. Bei drei Kindern der Sprachlernklasse seien die El-tern besonders engagiert, sagt Hottel. Ein syrischer Junge, dererst im Herbst gekommen sei, habe durch seinen eigenenFleiß, die Unterstützung der Eltern und zusätzlichen Nachmit-tagsunterricht ein Niveau erreicht, das den Wechsel ans Gym-nasium nahelege.

BerufsorientierungVielleicht werden nicht alle, die jetzt in der Sprachlernklasseder Bleickenschule sitzen, einen guten Schulabschluss schaf-fen. Aber die Schule fühlt sich auch für den Übergang in denBeruf zuständig und kann dank guter Kontakte in die örtlicheWirtschaft Brücken bauen zum künftigen Arbeitgeber. ImJahrgang 8 gehen alle Achtklässler, also auch die diesemJahrgang zugeordneten Sprachlernklassenschüler, freitags indie Berufsbildenden Schulen und schnuppern dort in zwei Be-

Deutsch als Zweitsprache und Portugiesisch als Herkunftssprache

Die Bleickenschule Cuxhaven ist stolz auf die Vielfalt ihrer Schülerschaft

reiche hinein. Zur Auswahl stehen zum Beispiel Gastronomie,KFZ, Holzwerkstatt, Bäckerei, Körperpflege, Druck & Medien.Im Jahrgang 9 steht ein dreiwöchiges Praktikum auf dem Pro-gramm, an dem nach individueller Absprache die Schülerin-nen und Schüler aus der Sprachlernklasse auch teilnehmen.

Herkunftssprachlicher UnterrichtDas Kollegium der Bleickenschule hat sich in den letzten Jah-ren stark verjüngt, denn jedes Jahr sind zwei oder drei jungeLehrkräfte als Ersatz für Pensionäre hinzugekommen. ZumKollegium gehören neben der russischstämmigen Sprachlehr-kraft zwei Portugiesen. Sie übernehmen unter anderem denherkunftssprachlichen Unterricht in Portugiesisch.

Die Kinder der Klassen 5 bis 7 bekommen dienstags, die derKlassen 8 bis 10 mittwochs zwei Stunden Portugiesisch-Un-terricht. Daran nehmen etwa 15 Schülerinnen und Schülerteil; 49 der 260 Schülerinnen und Schüler haben einen portu-giesischen Pass und weitere einen persönlichen portugiesi-schen Zuwanderungshintergrund. Der herkunftssprachlicheUn terricht dient zur Stabilisierung und Erweiterung derSprachkenntnisse in der Sprache der Eltern. Eine gute Portu-giesisch-Note macht sich gut auf dem Zeugnis und wertet zu-gleich diese Sprachkompetenz auf.

Herkunft und Heimat88 der 260 Schülerinnen und Schüler der Bleickenschule ha-ben eine ausländische Staatsangehörigkeit; viele weiteredürften – trotz deutscher Staatsangehörigkeit – eine Migrati-onsgeschichte haben. Das findet Schulleiter Christian Hottelspannend und ermuntert seine Schülerinnen und Schüler, ih-rer Herkunft nachzugehen. Im Rahmen des Programms „Com-munauten” der Stiftung Niedersachsen recherchierten zumBeispiel Neunt- und Zehntklässler zum Thema Migration inCuxhaven, drehten dazu einen Film und konnten so zum Teildie eigenen Wurzeln in einen größeren historischen Zusam-menhang einordnen. Zur Sprachlernklasse der Bleickenschulegibt es ebenfalls einen Film, der mit Unterstützung der StadtCuxhaven von Profis gedreht wurde und in dem die Kinderselbst zu Wort kommen. Darin ist vom schweren Abschied vonder alten Heimat und von den Hürden beim Ankommen dieRede, aber auch von ersten Erfolgen und von einer neuen Be-ziehung zum Aufnahmeland. Der vielversprechende Titel desFilms: „Neue Liebe“. (https://vimeo.com/129107296)

Die Bleickenschule Cuxhaven ist schon lange eine interkulturelle Schule. Das begann mit den Kindern der sogenannten Gastar-beiter in der Fischindustrie, deren Muttersprache Portugiesisch oder Spanisch war, und es setzt sich heute mit den Flüchtlings-kindern fort. „Zu uns als Hauptschule kommen viele, die in anderen Schulformen wegen mangelnder Sprachkenntnisse abgewie-sen werden“, sagt Schulleiter Christian Hottel. „Und wir geben jedem eine Chance.“

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Anerkennung durch Abschlüsse

Das Felix-Klein-Gymnasium in Göttingen bietet neben dem International Baccalaureate auch das Deutsche Sprachdiplom

Das Felix-Klein-Gymnasium (FKG) in Göttingen hat ein inter-nationales Profil. Es bietet seit Jahren neben dem Abitur dasInternational Baccalaureate Diploma als Abschluss an, für dasin den Jahrgängen 11 und 12 ein englischsprachiges Pro-gramm durchgeführt wird. Außerdem gibt es in jedem Jahr-gang eine bilinguale Klasse Deutsch / Englisch, in der ein Teildes Fachunterrichts in englischer Sprache stattfindet.Während diese Angebote die Weltsprache Englisch in denMittelpunkt rücken, kommt seit einigen Jahren auch die Ziel-sprache Deutsch verstärkt in den Blick. Dafür ist bereits 2012eine Sprachlernklasse eingerichtet worden. Sie soll die Kinderund Jugendlichen der Jahrgänge 5 bis 10 fördern, die mit ge-ringen Deutschkenntnissen an die Schule kommen und Bil-dungserfolg im deutschen System anstreben. Auch hier ist einanerkannter Abschluss im Spiel: das Deutsche Sprachdiplomder Kultusministerkonferenz (Stufe I).

Der Unterricht in der Sprachlernklasse findet in einem Raumstatt, der als Lernwerkstatt eingerichtet ist. So kann man in-dividuell an der Kompetenz arbeiten, die man verbessernmöchte, zum Beispiel das Hörverstehen an der Hörstation, dieLesekompetenz in der Leseecke. Ohnehin sind die 20 Schüle-rinnen und Schüler im Alter von 11 bis 17 Jahren selten allegleichzeitig in dem Raum. Sie haben nämlich individuelle undregelmäßig neu angepasste Stundenpläne, die sie mit der Zeitimmer stärker an ihre jeweilige Regelklasse binden. „InFächern wie Kunst, Musik, Sport, aber auch Englisch sind dieKinder der Sprachlernklasse von Anfang an im Regelunter-richt“, erläutert Silke Neumann, die die Fachgruppe Deutschals Zweitsprache leitet. Die Fachgruppe besteht aus sechsLehrkräften verschiedener Fächer, darunter vier, die vom Nie-dersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsent-wicklung als Expertinnen und Experten für das DeutscheSprachdiplom ausgebildet worden sind.

entdeckt, hier lernt man anlass- und jahreszeitbezogen deut-sche Gebräuche und Feste kennen. Aber zentral ist natürlichdie deutsche Sprache, und hier heißt das Etappenziel Deut-sches Sprachdiplom Stufe I, das 2015 erstmals von neunSchülerinnen und Schülern des Felix-Klein-Gymnasiums er-worben wurde. Es attestiert Sprachkompetenz auf der Ni-veaustufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrah-mens für Sprachen. Das ist eine Anerkennung, die zum Wei-terlernen motiviert – bis hin zu einem vollwertigen deutschenSchulabschluss. Für das Weiterlernen gibt es nach der Sprach-lernklasse einen Anschluss-Förderkurs im Umfang von zweiWochenstunden.

Woher kommen die Kinder in der Sprachlernklasse? Aus zehnverschiedenen Nationen, berichtet Silke Neumann, darunterEstland, Indien, Kroatien, USA. Es sind auch zwei Flüchtlings-kinder aus Syrien dabei: Das Mädchen ist eine unbegleiteteMinderjährige, die in einer Pflegefamilie untergebracht ist. DerJunge lebt bei einem Onkel, während die Mutter mit den an-deren Kindern noch in einem Flüchtlingslager in der Türkei ist.

Der Schulalltag einer Schülerin der SprachlernklasseChristin aus Syrien ist erst seit wenigen Monaten in Deutsch-land. Sie geht in die 10. Klasse, entsprechend ihrem Alter undihrer schulischen Vorbildung. Sie hat bereits einen mittlerenSchulabschluss aus ihrem Heimatland, der ihr im nächstenSchuljahr den Besuch des International Baccalaureate oderder Oberstufe erlauben wird. Im Moment konzentriert sichChristin auf den Erwerb der deutschen Sprache und lerntDeutschland, Göttingen und das FKG kennen. Hier ihr Stun-denplan:

Christin spricht gut Englisch, sodass sie am Englischunterrichtder 10. Klasse teilnehmen kann – und auch am bilingualenUnterricht Erdkunde und Geschichte. In der Sprachlernklasseerhält sie neben Deutsch auch Unterricht in Mathematik undBiologie. Dieser Unterricht ist speziell auf die Bedürfnisse vonDeutschlernenden ausgerichtet. Eine besondere Herausforde-rung hat Christin sich selbst gesetzt: Da sie sehr interessiertan politischen Zusammenhängen ist, möchte sie den deut-schen Politikunterricht besuchen, auch wenn das sprachlichnoch schwierig ist.

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

1./2. Sprachlernklasse: Deutsch

Sprachlernklasse: Deutsch

Sprachlernklasse: Kommunikation 10k3: Englisch Sprachlernklasse:

Deutsch

3./4. 10k3: Erdkunde bilingual

10k3: Politikwissen-schaften

Sprachlernklasse: Deutsch

Sprachlernklasse: Mathematik 10k3: Sport

5./6. Sprachlernklasse: Integration 10k3: Kunst Sprachlernklasse:

Biologie Sprachlernklasse: Deutsch

Sprachlernklasse: Deutsch

Mittagspause

8./9. 10k3: Geschichte bilingual AG

Zum Unterricht in der Sprachlernklasse gehört neben derSprache Deutsch auch Unterricht in den Fächern Biologie undMathematik für Seiteneinsteiger sowie ein „Mini-Integrati-onskurs“. Hier wird bei kleinen Exkursionen die Umgebung

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– Unterrichtsberatung und -unterstützung (individuelleFörderung von Schülerinnen und Schülern hinsichtlichDeutsch als Bildungssprache und Deutsch als Zweitspra-che, differenzierende Unterrichtsformen unter dem As-pekt der Mehrsprachigkeit, Sprachbildung im Fachunter-richt)

– Sprachfördermaßnahmen (Konzeptentwicklung für undEinrichtung von Sprachlernklassen und anderen Sprach-fördermaßnahmen, rechtliche Grundlagen und Erlasse,Methoden, Materialien und Qualitätssicherung der Arbeit)

– Vorschulische Sprachförderung (Methoden und Materiali-en zur Unterstützung von Sprachlernprozessen, z. B. Scaf-folding, Leseförderung: Methoden, Materialien und Pro-jekte (z. B. Lesestart), Gestaltung des Übergangs Kita-Grundschule)

– Schulentwicklung (konzeptionelle Verankerung der Sprach-förderung in Schulprogrammen und schuleigenen Arbeits-plänen, Prozessbegleitung bei der Implementierung vonSprachfördermaßnahmen, Implementierung von Sprach-bildung in schuleigene Fortbildungskonzepte)

Sprachbildungszentren und Fachberatung Interkulturelle Bildung

Die Niedersächsische Landesschulbehörde hält zwei sich ergänzende Beratungs-und Unterstützungssysteme bereit.

Mehr Informationen über die Sprachbildungszentren gibt es auf der Website der Niedersächsischen Landesschulbehörde untersprachbildung.landesschulbehoerde-niedersachsen.de.

Sprachbildungszentren in Niedersachsen

Fachberatung Interkulturelle Bildung (IKB)Die Fachberaterinnen und Fachberater IKB sind im Bereich der interkulturellen Schulentwicklung tätig. Das ist ein weit gefass -ter Begriff, der mit vielfältigen Aufgaben verbunden ist. Dazu gehören Beratung bei:

– der Konzepterstellung für das Schulprogramm

– der Entwicklung einer Willkommenskultur der Schule

– der Wahrnehmung und Vertiefung interkultureller Inhalte in den Schulfächern

– dem Abbau von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus

– der Auswahl von Fortbildungsangeboten im Bereich interkulturelle Bildung

– der Einbeziehung des Herkunftssprachlichen Unterrichts in die schulische Arbeit.

Beratungsanfragen zu Sprachförderung und interkultureller Bildung sind über das Beratungs- und Unterstützungsportal derNiedersächsischen Landesschulbehörde an die Sprachbildungszentren bzw. die Fachberatung IKB zu richten.

Sprachbildung und Sprachförderung durch SprachbildungszentrenDie zurzeit 15 Sprachbildungszentren beraten und unterstützen Schulen aller Schulformen im Bereich der durchgängigenSprachbildung, der Sprachförderung von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunft und der vorschulischen Sprach-förderung. Sie entwickeln darüber hinaus Netzwerke und arbeiten eng mit Kooperationspartnern vor Ort zusammen. Die Bera-tungs- und Unterstützungsangebote richten sich an Schulleitungen, Steuergruppen, Fachkonferenzleitungen, Arbeitsgruppenund Kollegien zu folgenden Themenbereichen:

Stade

Hildesheim

Göttingen

SalzgitterBraunschweig

Wolfsburg

LüneburgOldenburg I+II

DelmenhorstMeppen

Osnabrück

CelleHannoverStadt

HannoverRegion