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Die Zukunft der Arbeit Marco Annunziata, Chief Economist, GE Stephan Biller, Chief Manufacturing Scientist, GE

Die Zukunft der Arbeit - ge.com · Cloud-basierter Analytik („ig Data“) mit Industriemaschinen („ig Iron“) eröffnet enorme Chancen auf Produktivitätssteigerungen. Wie wir

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Die Zukunft

der Arbeit Marco Annunziata, Chief Economist, GE

Stephan Biller, Chief Manufacturing Scientist, GE

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Einleitung

In der Industrie ist ein gewaltiger, tiefgreifender und

weitreichender Umbruch im Gange. Er verändert

unsere Art, Produkte zu entwickeln und herzustellen,

sowie deren Leistungsumfang grundlegend. Er macht

die komplexen Liefer- und Vertriebsnetze, die die

globale Wirtschaft zusammenhalten, schneller,

flexibler und widerstandsfähiger. Er befähigt

Menschen, ihre Kreativität und ihren

Unternehmergeist auf einer breiteren und

dezentraleren Basis zu entfalten. Er definiert die

Wettbewerbslandschaft in zahlreichen Branchen neu

– mit weitreichenden Folgen, die sich in

internationalen Handelsmustern und der globalen

Wachstumsverteilung widerspiegeln werden. Und er

wirkt sich aufgrund bedeutender Fortschritte im

Gesundheitswesen, im Energiesektor, im

Verkehrswesen und in unserer Arbeitsweise auf den

Alltag jedes Einzelnen von uns aus.

Dieser Wandel ist die „Zukunft der Arbeit“. Sie

wird bestimmt von drei wesentlichen Faktoren:

Die erste treibende Kraft ist das sogenannte

Industrial Internet (industrielles Internet). Die

Grenzen zwischen der physischen und der digitalen

Welt verschwimmen zusehends. Die Integration

Cloud-basierter Analytik („Big Data“) mit

Industriemaschinen („Big Iron“) eröffnet enorme

Chancen auf Produktivitätssteigerungen. Wie wir in

früheren Studien gezeigt haben,1 erlaubt uns der

rasche Preisrückgang bei elektronischen Sensoren

sowie bei der Speicherung und Verarbeitung von

Daten nun die Sammlung gewaltiger Mengen an von

Industriemaschinen produzierten Daten. Mithilfe

moderner Analysen können wir so Erkenntnisse

gewinnen, die Effizienzsteigerungen ermöglichen.

Maschinen wie Gasturbinen, Triebwerke, Lokomotiven

und medizinische Geräte werden vorausschauend,

reaktionsfähig und sozial, wodurch sie besser in der

Lage sind, nahtlos miteinander und mit uns zu

kommunizieren. Die von ihnen erzeugten Daten

werden intelligent; sie erreichen uns automatisch und

verzögerungsfrei, wenn wir sie benötigen, und

ermöglichen uns das Beheben von Fehlern, bevor

diese zu Problemen werden. Auf diese Weise werden

Ausfallzeiten verhindert, die Produktivität einzelner

Maschinen verbessert – da Triebwerke weniger

Treibstoff verbrauchen und Windkraftanlagen

billigeren Strom produzieren – und die Effizienz ganzer

Systeme erhöht, was weniger Verzögerungen in

Krankenhäusern und im Flugverkehr zur Folge hat.

Die zweite treibende Kraft ist das sogenannte

Advanced Manufacturing (fortschrittliche

Fertigung). Im Zentrum der Idee des Advanced

Manufacturing steht die Fähigkeit, Konzeption,

Produktentwicklung, Fertigung, Lieferkette, Vertrieb

und Wiederaufarbeitung in einem geschlossenen,

intelligenten System – einer Brilliant Factory – digital

zu vernetzen. Neue Herstellungsmethoden wie die

additive Fertigung bzw. der 3D-Druck ermöglichen es

uns, vollkommen neue Teile und Produkte mit neuen

Eigenschaften zu erzeugen.

1 Marco Annunziata und Peter C. Evans, „The Industrial Internet: Pushing the Boundaries of Minds and Machines“, GE White Paper, November 2012; und „The Industrial Internet @ Work“, GE White Paper, Oktober 2013.

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Sie geben uns außerdem mehr Handlungsspielraum,

um Prototypen schneller und kostengünstiger zu

produzieren. Die Ingenieure können ein Bauteil

„drucken“, es testen und auf Grundlage der

Testrückmeldungen den digitalen Entwurf rasch

anpassen und nochmals eine verbesserte Version des

Teils drucken – und all das mit ein und derselben

additiven Fertigungsmaschine.

Dies beschleunigt den Kreislauf von Konzeption,

Prototypentwicklung und Produktion. Anpassungen

des Produktionsprozesses sowie der Lieferketten-

und Vertriebslogistik können in Echtzeit berechnet

und durchgeführt werden.

Diese Entwicklung wird aus der traditionellen Fabrik

eine Brilliant Factory machen. Strategien zur

Minderung von Risiken und zur Steigerung der

Belastbarkeit können leichter erarbeitet werden. Sie

werden darüber hinaus zu einem integralen

Bestandteil des automatischen Reaktions-/

Regulierungssystems der Brilliant Factory. Zudem

wird das Advanced Manufacturing, wie wir später

sehen werden, eine Verschiebung in Richtung

dezentraler Produktion, Mikrofabriken und

individualisierter Massenfertigung beschleunigen.

Die dritte treibende Kraft ist das sogenannte

Global Brain (globales Wissen). Technischer

Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum tragen

zu einem fundamentalen Wandel der Rolle bei, die

Menschen im Produktionsprozess einnehmen.

Der technische Fortschritt, insbesondere auf dem

Gebiet des Hochleistungsrechnens (High-

Performance Computing, HPC)2, der Robotik und

künstlichen Intelligenz, erweitert das Spektrum der

Aufgaben, die von Maschinen besser als von

Menschen ausgeführt werden können. Damit

einhergehen können schmerzhafte kurzfristige

Kosten, da manche Berufe verdrängt und manche

Fähigkeiten nicht mehr gefragt sein werden. Doch

führt dies zu einer drastischen Steigerung der

Leistungsfähigkeit und des wirtschaftlichen Werts

derjenigen Gebiete, in denen der Mensch

unübertroffen ist: Kreativität, Unternehmergeist und

zwischenmenschliche Fähigkeiten.

Aufgrund des Wirtschaftswachstums erhalten

unterdessen auch viele Millionen weiterer Menschen

einen Internetzugang sowie die Zeit, diesen zu

nutzen, da ein besserer Zugang zu Lebensmitteln,

sauberem Wasser und Gesundheitspflege wertvolle

Stunden freisetzen wird. Weitere Millionen von

Menschen werden in den Kreis derjenigen

aufgenommen, die den weltweiten Wissensbestand

sowohl erschließen als auch erweitern können. Das

globale Wissen – die kollektive Intelligenz von

Menschen rund um den Globus, die durch digitale

Kommunikationsnetze verbunden sind – wird größer

und einflussreicher werden.3 Das globale Wissen ist

praktisch die menschliche Version von HPC.

Open-Source-Plattformen und Crowdsourcing sind

zwei der wirkungsvollsten Möglichkeiten, das kreative

und unternehmerische Potenzial des globalen

Wissens auszuschöpfen. Angesichts einer

Entwicklung, die für größere Flexibilität und größere

Belohnungen sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf

Arbeitnehmerseite sorgen – und die Beziehungen

zwischen diesen beiden Gruppen neu definieren wird

–, ist die Industrie zunehmend auf beide

Möglichkeiten angewiesen. Arbeitgeber werden auf

einen größeren Talentpool zugreifen können, der

abhängig von der zu bewältigenden Aufgabe variieren

könnte. Arbeitskräfte erhalten dagegen größere

unternehmerische Kontrolle über ihre Fähigkeiten

und Talente.

Die Zukunft der Arbeit wird zu einer enormen

Beschleunigung von Produktivität und

Wirtschaftswachstum führen. In unserer Publikation

„Minds and Machines“ nahmen wir eine Schätzung

der wichtigsten wirtschaftlichen Vorteile, die allein

aus dem Industrial Internet erwachsen können, auf

Grundlage einer eingehenden Prüfung

branchenspezifischer Effizienzsteigerungen vor.4

Einige Wirtschaftswissenschaftler argumentieren,

dass moderne Innovationen nicht annähernd die

2 High-Performance Computing nutzt die Vorteile von „Clustern“, d. h. einem Verbund zusammengeschalteter Computer, gewöhnlich auch als „Knoten“ bezeichnet. Mit der koordinierten Rechenleistung der Cluster kann eine viel höhere Leistung erreicht werden, wodurch umfangreiche, hochkomplexe Probleme in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik gelöst werden können.

3 Der Begriff „Global Brain“ wurde ursprünglich von Peter Russell (1983) in seinem Buch „The Global Brain: speculations on the evolutionary leap to planetary consciousness“, Los Angeles, JP Tarcher geprägt. 4 In „The Industrial Internet: Pushing the boundaries of minds and machines“ schätzten wir, dass eine mithilfe von Technologien des Industrial Internet erreichbare Effizienzsteigerung von 1 % Einsparungen in Höhe von 90 Mrd. US-Dollar im Öl- und Gassektor, 66 Mrd. im Energiesektor, 63 Mrd. im Gesundheitswesen, 30 Mrd. in der Luftfahrt und 27 Mrd. im Schienenverkehr ergeben würde.

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verändernde Kraft und die potenziellen

wirtschaftlichen Auswirkungen der industriellen

Revolution haben,5 wir aber glauben, dass die

Zukunft der Arbeit eine ebenso umwälzende

Wirkung haben wird wie die industrielle

Revolution, wenn nicht eine sogar noch

umwälzendere.6 Unsere Lebensqualität wird sich

dadurch erheblich verbessern.

Dieser Wandel erfolgt nicht von heute auf morgen.

Der Keim dazu wurde vor einiger Zeit gelegt und

brauchte Zeit, um sich zu entfalten.

Wir erreichen nun jedoch das Stadium, in dem die

beschriebenen Veränderungen entscheidend an Fahrt

aufnehmen werden. Um einen von Ray Kurzweil

geprägten Ausdruck zu verwenden: Wir betreten nun

die zweite Hälfte des Schachbretts – die Phase, in der

Veränderungen plötzlich viel deutlicher in

Erscheinung treten, in der Science-Fiction schneller

Wirklichkeit wird.7

Dieser Wandel geschieht nicht von selbst. Wir müssen

in die neuen Technologien investieren und

Organisationen sowie Betriebspraktiken anpassen.

Wir benötigen ein robustes Cybersicherheitskonzept,

um sensible Informationen und geistiges Eigentum zu

schützen und kritische Infrastrukturen vor Cyber-

Angriffen zu bewahren. Das Bildungswesen muss sich

weiterentwickeln, um sicherzustellen, dass Schüler

über die richtigen Kompetenzen für diese sich rasch

wandelnde Wirtschaft verfügen. Kontinuierliche

Weiterbildung und Umschulungen werden

notwendig sein, um die Auswirkungen

vorübergehender Störungen auf dem Arbeitsmarkt

abzufedern. Dafür sind Zeit und Investitionen

erforderlich, aber diese Welle technischer

Innovationen wird unsere Lebensweise grundlegend

verändern.

Diese Publikation stellt den Auftakt eines

fortlaufenden Forschungsprojekts dar und zielt darauf

ab, den Rahmen für die Zukunft der Arbeit

abzustecken und die drei sie formenden Faktoren zu

untersuchen. In den nachfolgenden Publikationen

werden wir die Funktionsweise der Brilliant Factory

ausführlicher beleuchten, die entstehende Interaktion

zwischen Technik und dem globalen Wissen erörtern,

das Potenzial technischer Entwicklungen wie Robotik

und künstlicher Intelligenz untersuchen und die

Folgen für die Wettbewerbs- sowie die

gesamtwirtschaftliche Landschaft beurteilen. An

dieser Stelle werden wir die sich abspielenden

Veränderungen in einem allgemeineren Licht

betrachten. Außerdem sind wir bemüht, ganz

konkrete Beispiele anzuführen, um diese

Veränderungen mit Leben zu füllen.

5 Robert Gordon, „The Demise of US Economic Growth: Restatement, Rebuttal and Reflections“, NBER Working Paper 19895, Februar 2014; und „Is US Economic Growth Over? Faltering Innovation Confronts The Six Headwinds“, NBER Working Paper 18315, August 2012. 6 Die industrielle Revolution erstreckte sich über einen Zeitraum von etwa 150 Jahren, beginnend in der Mitte des 18. Jahrhunderts, und kann als in zwei unterschiedliche Zeiträume geteilt betrachtet werden: die erste industrielle Revolution, ausgelöst durch die Erfindung der Dampfmaschine, und die zweite industrielle Revolution mit Beginn um 1850, in der mit der Entwicklung des Verbrennungsmotors und der Elektrizität eine breitere technologische Beschleunigung beobachtet werden konnte. Da sich die beiden Revolutionen entlang eines Kontinuums entwickelten, verwenden wir den gängigen Begriff „industrielle Revolution“, um uns auf die beiden Zeiträume zusammen zu beziehen. 7 Ray Kurzweil (2000), „The age of spiritual machines: When computers exceed human intelligence“, Penguin.

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Wir betreten eine Welt, in der die Maschinen, mit denen wir arbeiten, nicht nur intelligent sind, sondern brillant.

1. Das Industrial Internet

Die Grenzen zwischen der physischen und der

digitalen Welt verschwimmen zusehends. Die

Integration Cloud-basierter Analytik („Big Data“) mit

Industriemaschinen („Big Iron“) – das Industrial

Internet – eröffnet enorme Chancen auf

Produktivitätssteigerungen. Industriemaschinen

werden mit einer wachsenden Zahl elektronischer

Sensoren ausgestattet, mithilfe derer sie viel mehr

sehen, hören und fühlen können als jemals zuvor,

wobei sie ungeheure Datenmengen generieren.

Diese Daten werden anschließend mithilfe komplexer

Analyseverfahren durchsucht. Die daraus

gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen es uns,

Maschinen – und damit Flotten von Flugzeugen und

Lokomotiven und ganze Systeme wie Stromnetze

oder Krankenhäuser – auf vollkommen neue und

effizientere Art zu bedienen.

Brillante Maschinen

Elektronische Sensoren gibt es zwar schon eine

Weile, doch sinkt ihr Preis rapide, und dank der

Fortschritte im Bereich Cloud Computing sind auch

die Preise für die Speicherung und Verarbeitung von

Daten stark rückläufig. Dies bewirkt eine

beschleunigte Skalierbarkeit des Industrial Internet.

Wir betreten eine Welt, in der die Maschinen, mit

denen wir arbeiten, nicht nur intelligent sind, sondern

brillant. Sie sind vorausschauend, reaktionsfähig und

sozial: Flugzeugtriebwerke, Lokomotiven,

Gasturbinen und medizinische Geräte sind in der

Lage, nahtlos miteinander und mit uns zu

kommunizieren.

Die Daten werden intelligent; sie erreichen uns

automatisch und verzögerungsfrei, wenn wir sie

benötigen. Wir müssen nicht erst nach ihnen suchen.

Während viele Industrieanlagen bereits seit einiger

Zeit mit Sensoren und Software ausgestattet werden,

ist Software traditionsgemäß physisch in Hardware

eingebettet, und zwar so, dass die Hardware bei

jedem Softwareupgrade ausgewechselt werden muss.

Wir beginnen, Technologien wie eingebettete

Virtualisierung, Multi-Core-Prozessoren und

fortgeschrittene Cloud-basierte Kommunikation in

der gesamten industriellen Welt einzusetzen. Diese

neue softwaredefinierte Maschineninfrastruktur

ermöglicht die Virtualisierung der

Maschinenfunktionalität in der Software und

dadurch die Entkopplung der Maschinensoftware

von der Hardware. Darüber hinaus sind wir damit in

der Lage, Industrieanlagen automatisch und aus der

Ferne zu überwachen, zu steuern und zu

aktualisieren. In anderen Worten: Die Software von

Industrieanlagen der neuen Generation kann aus der

Ferne aktualisiert werden, ohne die Hardware im

Geringsten zu verändern – ganz wie die Software auf

unseren Smartphones, die neue Funktionen im

Handumdrehen aktiviert.

Keinerlei ungeplante Ausfälle

Dadurch können wir auf eine vorbeugende,

zustandsorientierte Wartung umstellen. Wir werden

Störungen von Maschinen beheben können, bevor

es zu Schäden kommt, anstatt sie nach einem

festgelegten Plan zu warten, und wir werden

ungeplante Stillstände nahezu vollständig

verhindern können: keine Stromausfälle, keine

Flugverspätungen und keine Betriebsstilllegungen

mehr.

Zehn Prozent der Flugverspätungen und -

annullierungen werden derzeit von ungeplanten

Wartungsereignissen verursacht und kosten die

Luftfahrtindustrie weltweit schätzungsweise

8 Milliarden US-Dollar – ganz zu schweigen von den

Folgen für uns alle, denken wir nur an die

Unannehmlichkeiten, den Stress und die verpassten

Besprechungen, während wir hilflos in einem

Flughafenterminal warten. Zur Behebung dieses

Problems hat GE ein selbstlernendes

vorausschauendes Wartungssystem entwickelt, das

in jedem Flugzeug installiert werden kann, um

Probleme vorherzusagen, die einem menschlichen

Bediener entgehen könnten. Während des Fluges

kommuniziert das Flugzeug mit den Technikern am

Boden; bis das Flugzeug landet, wissen die Techniker

bereits, ob etwas gewartet werden muss. Allein für

US-amerikanische Fluglinien könnte dieses System

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über 60.000 Verspätungen und Annullierungen

pro Jahr verhindern und mehr als 7 Millionen

Passagieren dazu verhelfen, pünktlich an ihrem

Ziel anzukommen.

Für das Gesundheitswesen stehen mit dem Industrial

Internet ebenfalls enorme Gewinne auf dem Spiel;

eine Reduzierung der bestehenden Ineffizienzen um

nur ein Prozent könnte zu Einsparungen von mehr als

60 Milliarden US-Dollar weltweit führen.

Krankenschwestern wenden heute durchschnittlich

21 Minuten pro Schicht für die Suche nach

Apparaturen auf – Zeit, die bei der Pflege der

Patienten fehlt. Die mit dem Industrial Internet

verbundenen Technologien ermöglichen

Krankenhäusern die elektronische Überwachung und

Vernetzung von Patienten, Personal und

medizinischen Apparaten und verkürzen somit die

Zeit zwischen der Entlassung eines Patienten und der

Bereitstellung eines Bettes für Neuaufnahmen um

jeweils nahezu eine Stunde. Wenn man operiert

werden muss, kann eine Stunde entscheidend sein; es

bedeutet, dass mehr Patienten behandelt und mehr

Leben gerettet werden können.

Ähnliche Fortschritte sind im Energiesektor zu

beobachten, einschließlich erneuerbarer Energien wie

Wind. Fernüberwachung und -diagnose, mithilfe

derer Windturbinen miteinander kommunizieren und

den Anstellwinkel ihrer Rotorblätter bei veränderten

Windbedingungen koordiniert justieren können,

haben zur Senkung der Stromerzeugungskosten in

Windparks auf weniger als fünf Cent pro kWh

beigetragen. Vor zehn Jahren beliefen sich die

entsprechenden Kosten auf über 30 Cent – sechsmal

so viel.

Plattformen und Werkzeuge zur Zusammenarbeit

Werkzeuge und Anwendungen des Industrial Internet

helfen Menschen auch dabei, schneller und

intelligenter zusammenzuarbeiten. Unsere Arbeit

wird dadurch nicht nur effizienter, sondern auch

lohnender. Sichere und zuverlässige Cloud-basierte

Plattformen versetzen Teams aus Ärzten und Pflegern

heutzutage in die Lage, sich rasch zu Patientenfällen

zu beraten, zeitgleich auf Bilder und Berichte

zuzugreifen und gemeinsam an Diagnose- und

Behandlungsplänen zu arbeiten. Indem die Berichte

und Kenntnisse anderer besser genutzt werden,

können Mitarbeiter der Gesundheitsbranche den

gesundheitlichen Zustand ihrer Patienten verbessern.

Derartige Systeme gründen auf integrierten digitalen

Softwareplattformen, die eine Kombination aus

Datenerfassung und -speicherung sowie neue

Analysemöglichkeiten und neue Arten der

Zusammenarbeit unterstützen. Diese Plattformen

können ein Standardverfahren zur Verfügung stellen,

um Analysen auf industrieller Ebene durchzuführen

und Maschinen, Daten und Personen zu vernetzen.

Sie können auf Maschinen, lokal oder in der Cloud,

eingesetzt werden und unterstützen Technologien für

verteiltes Rechnen und Big-Data-Analysen,

Anlagendatenverwaltung, Maschine-zu-Maschine-

Kommunikation und Mobilität – all das in einer

sicheren Umgebung, in der betriebliche Daten

geschützt sind und der Zugriff auf Maschinen,

Netzwerke und Systeme abgesichert ist.

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Die Fertigung definiert das Konzept der Massenproduktion neu und ermöglicht eine Verschiebung in Richtung dezentraler Fertigung, Mikrofabriken und individualisierter Massenfertigung.

2. Advanced Manufacturing

„Unsere Art, Dinge herzustellen“ verändert sich.

Eine weitreichende Welle industrieller Innovationen

verändert den Produktionsprozess in jeglicher

Hinsicht. Neue Verfahren und Werkstoffe bedeuten,

dass wir neue Dinge auf eine neue Art und Weise

herstellen können. Wir können unsere aus Daten

gewonnenen Erkenntnisse zur Umstrukturierung der

Liefer- und Vertriebsnetze nutzen, die eine einzelne

Fabrik an ihre Kunden, Vertriebshändler und

Lieferanten anbinden, und zwar so, dass eine

Erhöhung von Geschwindigkeit und Flexibilität

möglich ist. Der Zyklus, der mit der Konzeption und

Prototypentwicklung beginnt, dann zur Produktion

übergeht und schließlich mit der Anwendung beim

Kunden und der Instandhaltung endet, verkürzt und

beschleunigt sich.

Da die Fabrik selbst intelligent wird – mehr als nur

intelligent, brillant –, kann sie schneller und

effizienter als jemals zuvor Situationen vorhersehen,

sich anpassen und reagieren. Mit Advanced

Manufacturing können Betriebsleiter und Ingenieure

die Folgen konzeptioneller Produktänderungen in der

Fabrikhalle simulieren und Lieferketten und

Produktionsprozesse in Echtzeit als Reaktion auf

unerwartete Ereignisse umstellen. Advanced

Manufacturing definiert das Konzept der

Massenproduktion neu und ermöglicht eine

Verschiebung in Richtung dezentraler Fertigung,

Mikrofabriken und individualisierter Massenfertigung,

eine Entwicklung, auf die wir im Folgenden näher

eingehen werden.

Neue Produktionsprozesse und neue Werkstoffe

Obwohl es sich um keine neue Entwicklung handelt,

hat der Prozess der additiven Fertigung bzw. des „3D-

Drucks“ Schlagzeilen gemacht – und die Gründe dafür

sind leicht nachzuvollziehen. Neben dem eingängigen

Spitznamen befindet sich die additive Fertigung

zudem in einem Stadium, in dem Amateure zuhause

oder in einer Garage experimentieren können.

Die Technologie gibt es bereits seit den 1980er-

Jahren, als Charles Hull erstmals einen Prozess

entwickelte, den er Stereolithografie nannte (ein

weit weniger eingängiger Name als 3D-Druck!), und

damit ein dreidimensionales Objekt anhand eines

digitalen Plans erzeugte, indem bestimmte

Werkstoffe schichtweise hinzugefügt wurden. Im

Laufe der folgenden drei Jahrzehnte wurde das

Verfahren verfeinert, wodurch die Präzision erhöht

und die Bandbreite an nutzbaren Werkstoffen

erweitert werden konnte. Während bei den ersten

Experimenten ein Photopolymer zum Einsatz kam,

das sich mithilfe eines UV-Lasers verfestigte, nutzten

die späteren Generationen von 3D-Druckern

pulverisiertes Plastik und Metall.

Einige 3D-Drucker können mit mehreren

Werkstoffen arbeiten, sodass die von ihnen

produzierten Objekte eine Kombination

verschiedener physikalischer Eigenschaften

aufweisen können. Aus diesem Grund können

additive Fertigungsverfahren inzwischen zur

Herstellung medizinischer Implantate und

industrieller Komponenten wie Bauteile für

Flugzeuge und Gasturbinen – und vielleicht sogar

menschlichem Gewebe – eingesetzt werden.8

Warum ist der 3D-Druck von derart

einschneidender Wirkung? Dafür gibt es fünf

wichtige Gründe:

1. Additive Fertigungsverfahren ermöglichen die

Entwicklung und Produktion neuer Teile und

Produkte, die mit herkömmlichen

Fertigungsverfahren nicht hergestellt werden

könnten. So können bei Brennkammer-

Komponenten für die Magerverbrennung bei

Flugzeugtriebwerken, die auf diese Weise

hergestellt wurden, mehr als zwanzig zuvor

getrennte Bauteile in einem Bauteil vereint

werden. Indem geometrisch komplexe

Strukturen, wie beispielsweise Halterungen für

Flugzeugtriebwerke, additiv hergestellt

werden, kann das Gewicht dieser Teile

erheblich reduziert werden.

2. Die additive Fertigung unterscheidet sich

grundlegend von herkömmlichen

„subtraktiven“ Verfahren, die auf dem Gießen,

Schneiden, Bohren, Fräsen und Verbinden von

8Anonym: „Printing a bit of me“, The Economist, 8. März 2014.

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Additive Fertigungsverfahren ermöglichen eine verstärkt lokale, dezentrale und anpassungsfähige Produktion, die die Lieferketten in ihrer heutigen Form komplett verändern wird.

Werkstoffen beruhen. Während bei subtraktiver

Fertigung bis zu 90 Prozent des Rohmaterials

„verschwendet“ werden, ist bei additiven

Fertigungsverfahren nahezu das gesamte

gedruckte Material Teil des Endprodukts.

3. Additive Fertigungsverfahren ermöglichen die

Schaffung eines komplett neuen Innovations-

Ökosystems, indem für die Entwicklung auf

Crowdsourcing zurückgegriffen wird. Mit

Crowdsourcing-Plattformen, wie beispielsweise

GrabCAD, können Hersteller entwicklerische

Herausforderungen veröffentlichen, die von

Hunderten Ingenieuren auf der ganzen Welt

aufgegriffen werden. GE führte vor Kurzem

einen solchen Aufruf nach einer Halterung für

Flugzeugtriebwerke durch und erhielt

annähernd 700 Einträge. Der ausgewählte

Entwurf (aus Indonesien) verringerte das

Gewicht um über 80 Prozent.

4. Additive Fertigungsverfahren sind äußerst

flexibel, da man auf derselben Maschine ganz

unterschiedliche Teile drucken kann (wenn

auch größen- und werkstoffbedingte

Einschränkungen bestehen).

5. Aufgrund ihrer Flexibilität ermöglicht die

additive Fertigung eine verstärkt lokale,

dezentrale und anpassungsfähige Produktion,

die die Lieferketten in ihrer heutigen Form

komplett verändern wird.

Obgleich additive Fertigungsverfahren die

Vorstellungskraft der Öffentlichkeit beflügelt haben,

werden nur 0,02 Prozent aller Waren in den

Vereinigten Staaten mithilfe des 3D-Drucks

produziert.9 Können die Vorteile additiver

Fertigungsverfahren auf „herkömmliche“

Großserienfertigungen ausgeweitet werden? Die

Antwort lautet „Ja“. Wir gehen davon aus, dass

bis 2020 über 100.000 Teile von GE Aviation

additiv gefertigt werden, wodurch das Gewicht

eines einzigen Flugzeugs um 1.000 Pfund

(umgerechnet rund 453 Kilo) reduziert werden

könnte, und der Treibstoffverbrauch infolgedessen

sinken würde.

Dieser Fortschritt wird von zwei wesentlichen

Faktoren beschleunigt: (1) Hochleistungsrechnen

(High-Performance Computing, HPC) und (2) das

Aufkommen von „Big Data“ in Fabriken und

Lieferketten. Gemeinsam werden diese

Entwicklungen erhebliche Verbesserungen von

Fertigungsprozessen und -systemen ermöglichen und

zu einem Paradigmenwechsel in der Produktion

führen.

Wir bezeichnen dieses neue Paradigma als Brilliant

Factory.10 11 Zwar sind viele Elemente der Brilliant

Factory nicht neu,12 die nachstehend beschriebene

Systemintegration und die Rückkopplungsschleifen

jedoch schon. Mithilfe von HPC und internet-

ähnlichen Datengeschwindigkeiten in Fabriken

können Fabriken und Lieferketten genau modelliert

und in Echtzeit optimiert werden.

9 Wohlers Associates: „Additive Manufacturing and 3D Printing State of the Industry“, Wohlers Report 2013, Mai 2013, wohlersassociates.com.

10 Biller, Stephan: „GE’s Brilliant Factory“, EmTech Conference 2013, MIT, Cambridge, MA. 11 Furstoss, Christine: „Digital Thread: Creating a Self- Improving, Brilliant Factory“, CIO Review, Dezember 2013. 12 Siehe beispielsweise www.smartmanufacturingleadershipcoalition.org

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Durch die Schaffung einer Rückkopplungsschleife von Konzeption über Produktentwicklung, Fertigungstechnik, Fertigung und Lieferkette zu Dienstleistungen und wieder zurück zur Entwicklung können Fabriken die Lernzyklen zwischen Fertigung und Entwicklung verkürzen und somit für eine schnellere Produktentwicklung und einwandfreie Fabrikeinführungen sorgen.

Die Brilliant Factory

Wie auch im Falle des Industrial Internet greifen die

physische und die digitale Welt ineinander: Jede

Komponente der Wertschöpfungskette erzeugt eine

wachsende Menge von Daten, die mithilfe hoch

entwickelter Analysemethoden schnell in

Erkenntnisse übersetzt werden können, die

wiederum über die relevanten Komponenten des

Systems hinweg sofort kommuniziert werden. Das

Grundprinzip der Brilliant Factory ist einfach: die

Schaffung einer digitalen Verbindung oder eines

„Fadens“ über drei wichtige Bereiche der

Wertschöpfungskette hinweg:

(1) Entwicklung von Fertigungssystemen,

(2) Betrieb von Fertigungssystemen und

(3) Servicearbeiten (siehe Abbildung 1).

Durch die Schaffung einer Rückkopplungsschleife

von Konzeption über Produktentwicklung,

Fertigungstechnik, Fertigung und Lieferkette zu

Dienstleistungen und wieder zurück zur

Entwicklung können Fabriken die Lernzyklen

zwischen Fertigung und Entwicklung verkürzen

und somit für eine schnellere Produktentwicklung

und einwandfreie Fabrikeinführungen sorgen.

Der Fertigungsprozess beginnt mit der Konzeption,

aus der ein digitaler Plan hervorgeht. Christine

Furstoss von GE erklärt:

Sobald ein Entwurf feststeht, wird er in digitaler

Form an die Fertigungstechnik übermittelt. Hier

werden die Fertigungsprozesse modelliert und

simuliert. Sind die Merkmale herstellbar? Wird das

gefertigte Bauteil eine Struktur aufweisen, die den

Belastungen, denen es während seines Gebrauchs

ausgesetzt sein wird, standhält? Welche

Kompromisse können gemacht werden, um im

Hinblick auf eine Verbesserung der Teileerträge mehr

Spielraum zu erhalten? Dies sind nur einige der

vielen Fragestellungen, zu denen Tests und

Simulationen durchgeführt werden können.

Außerdem werden Fabrikabläufe und das

Fabriklayout, Roboter und Fertigungskontrollen vor

der eigentlichen Produktion simuliert und

optimiert.13

13 Furstoss, Christine: ebd.

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Grafik 1: Die Brilliant Factory

Sobald der Produktentwurf und das Design der

Fertigungssysteme virtuell überprüft wurden, werden

die Fertigungsparameter und weitere Programme

und Kontrollen in die Fabrikhalle übertragen.

Intelligente Maschinen empfangen und übersetzen

die Daten anschließend, um das jeweilige Bauteil

oder Produkt physisch herzustellen.

Die Fabrik ist digital vernetzt – Maschinen mit

Maschinen, Maschinen mit ausführenden Systemen

in der Produktionshalle und Fabriken mit Lieferanten

und Vertriebsmitarbeitern – und schafft eine

durchweg transparente Lieferkette.

Lieferanten müssen in diesen Faden ebenfalls

eingebunden werden, um ihr Innovationspotenzial

innerhalb dieses Ökosystems auszuschöpfen.

Mit HPC-Analysen, Simulationen und Algorithmen

werden Produktion, Logistik, Lager und

Produktangebote für Fabrik, Lieferkette und

Handelsgeschäfte in Echtzeit optimiert. Das ist

insbesondere bei Auftreten unerwarteter Fehler

wichtig; ein Roboter funktioniert möglicherweise

nicht richtig (oder er wird laut Algorithmen mit hoher

Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten 15

Minuten ausfallen), ein Lieferant signalisiert, dass sich

die Lieferung von Teilen verzögert, oder ein

Mitarbeiter ist nicht anwesend. Furstoss beschreibt:

Die Brilliant Factory erleichtert die Anpassung an

Probleme im Zusammenhang mit Durchsatz,

Qualität und Abwicklung und optimiert das

erweiterte Unternehmen in Echtzeit. Tatsächlich

reagiert die Brilliant Factory aufgrund ihrer

Vorhersagefähigkeit in vorausschauender und

präventiver Weise sogar auf Probleme, die noch

nicht einmal eingetreten sind, und ergibt schließlich

eine Fabrik, die im wahrsten Sinne des Wortes

niemals stillsteht. Das aus dem Fertigungsprozess

gewonnene Wissen kann augenblicklich in die

virtuelle Fertigungsstufe weitergeleitet werden, um

Änderungen und Verbesserungen vorzunehmen.

Nachdem sie getestet wurden, können neue und

verbesserte Prozesse für ihre Implementierung an

die Brilliant Factory zurückgesendet werden

(Rückkopplungsschleife Produktion). Wenn ein

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Produkt schon länger bei einem Kunden im Einsatz

ist, muss es gewartet werden. In dieser Phase können

viele neue Erkenntnisse über den Gebrauch und die

Schwachpunkte des Produkts ermittelt werden. In der

Tat kann die Wartung von Teilen bei 100 Prozent der

Produkte als eine Fehlermöglichkeits- und -

Einflussanalyse betrachtet werden, deren

Erkenntnisse zur Verbesserung des Entwicklungs- und

Fertigungsprozesses herangezogen werden können

(Rückkopplungsschleife Entwicklung). Die

Rückkopplungsschleifen in der Produktion wie auch in

der Entwicklung erfassen Informationen und

generieren neues Wissen, das bei der Entwicklung

und Fertigung neuer und bestehender Teile von

Nutzen ist. Dies ist der Kernpunkt der sich selbst

optimierenden Brilliant Factory von GE. Wir schaffen

ein wahrhaft offenes, gemeinschaftliches

Innovationsmodell, das neue Informationen so erfasst

und auf diese reagiert, dass Produktentwicklungs-

und Fertigungsprozesse sowie -systeme fortlaufend

verbessert werden. Wirklich erstaunlich ist, dass wir

bald einen Punkt erreichen, an dem Maschinen in der

Lage sein werden, diese Optimierungen mithilfe von

Echtzeitanalysen und -kontrollen selbst durchzu-

führen.14

Durch das Advanced Manufacturing erhalten wir

zudem eine genetische Karte bezüglich Werkstoffen,

Produktion, Verwendung und Wartungshistorie jeder

Fertigungseinheit. Die Kenntnis der optimalen

Produktgenealogie hilft Ingenieuren bei der

schnelleren und präziseren Ursachenbestimmung

möglicher Leistungsdefizite oder Qualitätsprobleme –

die daraufhin mit ebenso zeitnahen und gezielten

Maßnahmen angegangen werden können. Das

Advanced Manufacturing bietet ferner sofortige

Bestandsinformationen genau der Produkte, die von

einem Problem betroffen sein könnten, und führt so

zu einer beträchtlichen Senkung der

Produktrückrufrate.

Des Weiteren können Verfahren des Advanced

Manufacturing den potenziellen Anwendungsbereich

von Aufbereitungsarbeiten in hohem Maße

ausweiten: Mit Aufbereitungsarbeiten ist der gezielte

Austausch von kaputten oder schlecht funktionieren-

14 Furstoss, Christine: ebd.

den Teilen in einer Maschine bei Beibehaltung der

Basiskonstruktion gemeint. Bei Wiederaufbereitungen

können gegenüber der Fertigung neuer Teile bis zu 90

Prozent der Energie eingespart werden, mit

entsprechenden umweltspezifischen Vorteilen (im

Vergleich: Die Energieeinsparungen durch Recycling

belaufen sich in diesem Zusammenhang auf weniger

als 5 Prozent).15

Die Auswirkungen

Die Innovationen im Bereich Advanced Manufacturing

stellen eine regelrechte industrielle Revolution dar.

Neue Verfahren bringen neue Produkte mit neuen

Funktionen und Eigenschaften hervor.

Indem die physischen Beschränkungen herkömmlicher

Fertigungsverfahren überwunden werden, wird das

Spektrum an Produktionsmöglichkeiten erweitert. Und

wenn es sich bei den Produkten um Industrie-

maschinen handelt, führen diese Weiterentwicklungen

zu Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen,

etwa wenn leichtere Flugzeugtriebwerke weniger

Treibstoff benötigen.

Und was sogar noch wichtiger ist: Durch die

Kombination neuer Fertigungsverfahren mit der

datengesteuerten Leistungsfähigkeit des Industrial

Internet können wir Konzeption, Produktentwicklung,

Fertigungstechnik, Fertigung, Lieferkette und Vertrieb

in einem geschlossenen, intelligenten digitalen Faden –

der Brilliant Factory – miteinander verbinden.

Das Ergebnis ist eine enorme Steigerung von

Geschwindigkeit und Effizienz: eine schnellere

Rückkopplungsschleife zwischen Konzeption,

Prototypentwicklung, Produktion und Kundenerlebnis,

mit deren Hilfe der gesamte Produktionsprozess in

Echtzeit und automatisch an unerwartete Umstände

angepasst werden kann. Dadurch ist sichergestellt,

dass es auf Produktionssystemebene zu keinerlei

ungeplanten Ausfällen kommt. In der Brilliant Factory

können Strategien zur Minderung von Risiken und zur

Steigerung der Belastbarkeit leichter erarbeitet

15 Siehe John W. Sutherland, Daniel P. Adler, Karl R. Haapala und Vishesh Kumar, „A Comparison of manufacturing and remanufacturing energy intensities with application to diesel engine production“, CIRP Annals – Manufacturing Technology, 2008.

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werden. Sie werden darüber hinaus zu einem

integralen Bestandteil des automatischen Reaktions-

/Regulierungssystems der Brilliant Factory.

Da mit derselben additiven Fertigungsmaschine

verschiedene Teile gebaut werden können, kann die

additive Fertigung auch den Skaleneffekt selbst

verändern. Klassischerweise müsste eine Fabrik mit

jeder Maschine eine sehr große Anzahl identischer

Einheiten produzieren, um Größenvorteile zu

erzielen. Da additive Maschinen flexibler sind,

können Fabriken denselben Grad an

Kapazitätsauslastung erreichen, obgleich sie

zahlreiche Produkte mit unterschiedlichen

Merkmalen herstellen. Wenn wirtschaftliche Effizienz

nicht mehr von der Massenproduktion identischer

Einheiten abhängt, wird es unter wirtschaftlichen

Gesichtspunkten möglich sein, die Anzahl

verschiedener Versionen eines bestimmten Produkts,

das von derselben Fertigungsanlage produziert

werden kann, deutlich zu erhöhen.

Die Herstellung kundenspezifischer Produkte

wird nahezu genauso einfach und

kosteneffizient sein wie Massenfertigungen.

Mit dem Advanced Manufacturing ist eine

individualisierte Massenfertigung möglich.

Darüber hinaus erhöht das Advanced Manufacturing

die Flexibilität sowohl auf Fabrikebene als auch auf

Ebene des gesamten Fertigungssystems. Die

Größenordnung ist auch weiterhin ausgesprochen

wichtig, doch wird es zu einer zunehmenden

Dezentralisierung kommen, da sich die Produktion

verstärkt auf kleinere Fertigungsanlagen bzw.

Mikrofabriken stützt. Daraus könnten sich einige

weitere Vorteile ergeben:

Größere Möglichkeiten einer gemeinsamen

Unterbringung von Forschung, Entwicklung und

Fertigung, womit eine Beschleunigung des

Innovationsprozesses einhergeht.

Größere Möglichkeiten, die Produktion marktnäher

zu gestalten und die Produktionskette im Hinblick auf

Faktoren wie Transportkosten oder lokale inhaltliche

Anforderungen zu optimieren (obgleich der optimale

Standort von Fertigungsanlagen letztendlich von

einer Vielzahl von Schlüsselfaktoren abhängt,

einschließlich der Verfügbarkeit qualifizierter

Arbeitskräfte, der Qualität der Infrastruktur, des

allgemeinen Geschäftsumfelds sowie der

Regulierung und Besteuerung).

Die Flexibilität, Arbeitsplätze in Gegenden zu

schaffen, in denen die benötigten Talente verfügbar

sind, diese jedoch unter eingeschränkter

geografischer Mobilität leiden. Während sich der US-

amerikanische Markt zum Beispiel allmählich von der

Rezession im Jahr 2008 erholte, war das

Beschäftigungswachstum teilweise wegen

verringerter Arbeitskräftemobilität gehemmt, da die

Menschen aufgrund von Hypothekenschulden, die

den Verkehrswert ihrer Häuser überstiegen,

gebunden waren und nicht in Staaten mit besseren

Beschäftigungsmöglichkeiten umziehen konnten. Mit

Mikrofabriken könnten die Arbeitsplätze zu ihnen

kommen.

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3. Das Global Brain

Neue digitale Kommunikations- und

Analyseinstrumente fördern eine größere Flexibilität

und Vernetzung von Maschinen. Eine vergleichbare

Entwicklung verändert die menschliche Seite der

Gleichung. Aufgrund des technischen Fortschritts

werden sich immer mehr Arbeitskräfte auf ihre

Kreativität und ihren Unternehmergeist besinnen –

Bereiche, in denen Menschen gegenüber Maschinen

eindeutig im Vorteil sind. Das globale Wissen – die

kollektive Intelligenz von Menschen rund um den

Globus, die durch digitale Kommunikationsnetze

verbunden sind – wird wachsen und einflussreicher

werden, da viele Millionen weitere Menschen Zugang

zu Bildung und zum Internet erlangen und dadurch in

der Lage sind, den weltweiten Wissensbestand

sowohl zu erschließen als auch zu erweitern. Open-

Source-Plattformen und Crowdsourcing sind zwei der

wirkungsvollsten Möglichkeiten, das kreative und

unternehmerische Potenzial des globalen Wissens

voll auszuschöpfen. Unternehmen sind zunehmend

auf beide angewiesen, um für größere Flexibilität und

größere Vorteile sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf

Arbeitnehmerseite zu sorgen – und die Beziehungen

zwischen diesen beiden Gruppen neu zu definieren.

Technologie bringt Kreativität und

Unternehmergeist hervor

Von der Mechanisierung der Landwirtschaft bis zu

den ersten Automatisierungen in der Industrie hat

uns die Verlagerung von Aufgaben vom Menschen auf

Maschinen allmählich von zahlreichen körperlich

anstrengenden oder eintönigen, sich wiederholenden

Aufgaben befreit. Dieser Prozess ist noch nicht

abgeschlossen: Wir delegieren solche Aufgaben an

Maschinen, für die diese besser geeignet sind und die

sie mit mehr Leistung, Konsistenz und Präzision

ausführen können, und konzentrieren uns auf die

Bereiche, in denen der Mensch im Vergleich im

Vorteil ist.

In dem Maße, wie die Brillanz von Maschinen und

Fabriken steigt, wird auch Ausbildung und Können ein

höherer Stellenwert beigemessen. In den

vergangenen Jahrzehnten ist ein Anstieg des

„Hochschulbonus“ bzw. eine Vergrößerung der

Schere beim durchschnittlichen Einkommen von

Hochschulabsolventen und Schulabgängern zu

beobachten.16 Dies fällt in eine Zeit, in der die Anzahl

der Hochschulabsolventen gestiegen ist. Das heißt,

dass obwohl das Angebot an hoch qualifizierten

Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt gestiegen ist,

die Nachfrage nach entsprechenden Leistungen nicht

gedeckt werden konnte, da diese noch schneller

gestiegen ist. Der technologische Wandel hat zu einer

Steigerung der Produktivität hoch qualifizierter

Arbeitskräfte geführt, wodurch diese nun wertvoller

und gefragter sind. Dieses Phänomen bezeichnen

Wirtschaftswissenschaftler als „durch Qualifikation

ausgelösten technischen Fortschritt“. 17

16 Siehe beispielsweise Daron Acemoglu, „Technology and

Inequality“, NBER Reporter 2003; Acemoglu stellt fest, dass diese

neue Art von Innovation, bei der sich neue Technologien und

hoch qualifizierte Arbeitskräfte ergänzen und deren Produktivität

und Löhne steigen, im Gegensatz zum technologischen Wandel

des 19. Jahrhunderts steht, bei dem Fachkräfte durch die

Automatisierung tendenziell ersetzt wurden. 17 Jan Tinbergen, „Substitution of Graduate by Other Labor“, Kyklos 27, 1974, bezog sich erstmals auf einen Wettlauf zwischen Bildung und Technik: Technologische Innovationen erhöhen zwar die Produktivität von Fachkräften und damit den Wert von Bildung, doch wenn die Anzahl an Fachkräften aufgrund der Bildung die Nachfrage übersteigt, werden die Löhne fallen. Eine aktuellere Behandlung dieser Thematik, in der die Auswirkungen für die Vereinigten Staaten ausführlich besprochen werden, finden Sie in Claudia Goldin und Lawrence F. Katz, „The Race Between Education and Technology“, Harvard University Press, 2008; und in der Rezension von Daron Acemoglu und David Autor: „What does Human Capital Do? A review of Goldin and Katz’s The Race Between Education and Technology“, Journal of Economic Literature, 2012.

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Das Bild ist jedoch komplexer und differenzierter.

Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa

ist seit den 1990er-Jahren eine Polarisierung von

Arbeitsplätzen und Löhnen zu beobachten, d. h., die

Zahl der gut bezahlten Arbeitsplätze, die eine hohe

berufliche Qualifikation voraussetzen, wie auch die

Zahl der schlecht bezahlten Arbeitsplätze für gering

qualifizierte Arbeitnehmer ist im Verhältnis zu den

Arbeitsplätzen auf der mittleren Ebene gestiegen.

Darüber hinaus ist im Verhältnis zu Löhnen im

Mittelfeld eine Steigerung bei den Löhnen des

oberen und unteren Bereichs zu erkennen. In

anderen Worten: Die Technologie verdrängt sich

wiederholende Routineaufgaben von Arbeitern und

Angestellten, erzeugt jedoch auch eine verstärkte

Nachfrage nach kreativen, hoch qualifizierten

Arbeitskräften (Fach- und Führungskräfte) sowie

nach gering qualifizierten Arbeitskräften für

Positionen, bei denen Anpassungsfähigkeit und

zwischenmenschliche Fähigkeiten gefragt sind.18

Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. In dem Maße,

wie brillante Maschinen besser kommunizieren und

sich selbst regulieren können, werden weniger

routinemäßige Eingriffe durch den Menschen

erforderlich sein. Robotik, künstliche Intelligenz und

Hochleistungsrechnen bauen sukzessive die

Fähigkeiten von Maschinen aus und erweitern das

Spektrum der Aufgaben, die Maschinen effizienter

oder kostengünstiger als wir bewältigen können.

Intelligente Stromnetze sind Realität, unsere Häuser

werden intelligenter, und selbstfahrende Autos

gehören möglicherweise schon früher als gedacht

zum Straßenbild. Immer mehr Tätigkeiten, die sich

wiederholen oder mit Data-Mining-Methoden zu

bewältigen sind, werden in Zukunft effizient an

Maschinen übertragen.

Dementsprechend wird sich ein größerer Teil der

menschlichen Arbeitskraft auf Aufgaben verlagern,

die ein erhöhtes Maß an Kreativität erfordern.

Kreativität bedeutet in diesem Zusammenhang die

Fähigkeit, eigenständig zu denken und neue Lösungen

aufzuzeigen – eine Fähigkeit, die durch die Verfügbar-

18 Siehe Daron Acemoglu und David Autor, „Skills, Tasks and Technologies: Implications for Employment and Earnings“, NBER Working Paper 16082, Juni 2010; Daron Acemoglu und David Autor: „What does Human Capital Do? A review of Goldin and Katz’s The Race Between Education and Technology“, Journal of Economic Literature, 2012, sowie David Autor, Frank Levy und Richard J. Murnane, „The Skill Content of Recent Technological Change: An Empirical Exploration.“ Quarterly Journal of Economics, 2003.

keit leistungsfähigerer Technologie verstärkt wird.

Der Übergang wird nicht schmerzlos über die Bühne

gehen. Technologischer Fortschritt ist disruptiv, und

so wie Aufgaben zwischen Menschen und Maschinen

neu verteilt werden, wird es Berufe und Fähigkeiten

geben, die verdrängt bzw. überflüssig werden. Damit

sind echte menschliche, gesellschaftliche und

wirtschaftliche Übergangskosten verbunden, denen

mit einer Kombination aus Umschulungen und

sozialen Sicherungsmaßnahmen begegnet werden

muss.

Doch technischer Fortschritt wird auch in Zukunft für

Beschäftigungsmöglichkeiten und höhere Einkommen

sowohl bei Gering- als auch Hochqualifizierten

sorgen. In der Tat bewirkt technischer Fortschritt eine

Ankurbelung von Produktivität und Wirtschafts-

wachstum und erzeugt damit eine höhere Kaufkraft;

dies führt wiederum zu einer größeren Nachfrage

nach neuen Waren und Dienstleistungen.19 Um

sicherzustellen, dass die Bildungssysteme und die von

Unternehmen gesponserten Schulungsprogramme

das Qualifikationsangebot eng auf die sich

verlagernde Nachfrage abstimmen, sollte dieser

Prozess genau überwacht werden.

Tatsächlich zeichnet sich eine wichtige Tendenz ab:

die Entstehung neuartiger Berufe. Maschinenbau-/

Digitaltechnik-Ingenieure, die sowohl die physische

Maschine als auch ihre relevanten Daten verstehen,

19 Es ist schon seit Langem anerkannt, dass technologische Innovationen als Triebkraft für Produktivität und Wirtschaftswachstum eine Schlüsselrolle einnehmen, ein Umstand, der durch die Formalisierung von Robert Solow, „A Contribution to the Theory of Economic Growth“, Quarterly Journal of Economics, 1956, der im Laufe der folgenden Jahrzehnte umfassende theoretische und empirische Abhandlungen folgten, große Bekanntheit und Einfluss erlangte. Ein für die Auseinandersetzung im Rahmen unserer Publikation ausgesprochen wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass der Wachstumsschub der US-amerikanischen Wirtschaft Mitte der 1990er-Jahre zahlreichen Studien zufolge weitgehend den Fortschritten der Informations- und Kommunikationstechnologie der vorhergehenden Dekade geschuldet ist, siehe beispielsweise Kevin Stiroh, „Information Technology and the US Productivity Revival: What Do the Industry Data Say?“ Staff Report, Federal Reserve Bank of New York, Nr. 116, Januar 2001; sowie Barry Bosworth und Jack Triplett, „Productivity Measurement Issues in Services Industries: ‚Baumol’s Disease‘ Has Been Cured“, Economic Policy Review der Federal Reserve Bank of New York, September 2003; sowie Barry Bosworth und Jack Triplett, „Services Productivity in the United States“, in „Hard-to-measure goods and services: Essays in Honor of Zvi Griliches“, University of Chicago Press, 2007.

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Angesichts der zunehmenden engen Verflechtung von physischer und digitaler Welt werden wir aufgrund zusätzlicher neuer Tätigkeiten gezwungen sein, uns mit Hardware und Software gleichermaßen gut auszukennen.

werden sehr gefragt sein; ebenso wie Führungskräfte,

die sowohl ihre Branche als auch die zugehörigen

Analysemethoden verstehen und das Unternehmen

so umstrukturieren können, dass neue Technologien

in vollem Umfang genutzt werden. Angesichts der

zunehmenden engen Verflechtung von physischer

und digitaler Welt werden wir aufgrund zusätzlicher

neuer Tätigkeiten gezwungen sein, uns mit Hardware

und Software gleichermaßen gut auszukennen.

Crowdsourcing und Zusammenarbeit in Open-

Source-Plattformen

Ein kennzeichnendes Merkmal der die Zukunft der

Arbeit prägenden Innovationen ist ihre Fähigkeit, eine

größere Menge potenzieller Ressourcen zu nutzen,

wobei das Beziehungsgeflecht aufgrund der

Verschiebung und Anpassung von Beziehungen an die

jeweilige Problematik variabel ist.

Benötigen Maschinen Unterstützung, können sie

sofort untereinander und mit uns kommunizieren

und sich somit die Unterstützung entweder von einer

anderen Maschine holen oder im Rahmen eines

Eingriffs durch einen Techniker. Betriebe können

über eine Online-Plattform auf einen größeren

Lieferantenpool zugreifen, oder Produktentwickler

können aus dem Feedback eines umfangreichen

Kundenstamms rasch konzeptionelle Änderungen

ableiten. Dasselbe Prinzip gilt für menschliche

Fähigkeiten.

In unserer vorhergehenden Arbeit20 haben wir

erörtert, inwiefern einige der Anwendungen des

Industrial Internet genau darauf abzielen, jeder

Arbeitskraft den Echtzeitzugriff auf das Wissen und

Know-how aller übrigen Kollegen zur Verfügung zu

stellen. Dies kann als Anzapfen des „globalen

Gehirns“ eines einzelnen Unternehmens betrachtet

werden. Ein viel größerer Mehrwert kann allerdings

durch die Erschließung des wahren,

uneingeschränkten globalen Gehirns erzielt werden –

der kollektiven Intelligenz von Menschen rund um

den Globus, die durch digitale Kommunikationsnetze

verbunden sind. Das ist die menschliche Version des

Hochleistungsrechnens.

Open-Source-Plattformen und Crowdsourcing sind

zwei der wirkungsvollsten Möglichkeiten, die

Kreativität und den Unternehmergeist des

dezentralen weltumspannenden Talentpools

freizusetzen. Sie eröffnen jeder Person, die über

genügend Wissbegier und einen Internetzugang

verfügt, die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und

Kenntnisse auf neue Probleme anzuwenden, auch in

völlig anders gelagerten Bereichen und Disziplinen.

Sie erleichtern Start-ups die Kapitalbeschaffung und

Personalgewinnung.

Unternehmen fangen an, diesen Zusammenhang zu

erfassen, und greifen häufiger und in größerem

Umfang auf Crowdsourcing sowie Open-Source-

Wettbewerbe und -Kooperationen zurück. In

Abschnitt 2 haben wir einige der anfänglichen

Erfahrungen von GE in diesem Bereich dargestellt,

und wir sind der Überzeugung, dass sich dieser

Trend noch verstärken wird. Durch den Zugriff auf

ein größeres Angebot an talentierten Arbeitskräften

kann nicht nur von den Fähigkeiten und Erfahrungen

einer größeren Anzahl von Fachexperten profitiert

werden, sondern auch von den neuen Sichtweisen

brillanter Persönlichkeiten unterschiedlicher

Disziplinen, die in der Lage sind, ein bestimmtes

Problem aus unkonventionellen Blickwinkeln zu

beleuchten.

Neue Plattformen und Unternehmen, die sich zum

Ziel gesetzt haben, den Zugang zum globalen Gehirn

zu erleichtern, sind bereits entstanden, wie

beispielsweise GrabCAD für Ingenieure und

20 Marco Annunziata und Peter C. Evans, „The Industrial Internet @ Work“, GE White Paper, Oktober 2013.

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computergestützte Konstruktion sowie Kaggle für

Datenwissenschaftler. Für die Vergrößerung solcher

Gemeinschaften werden sowohl Experimente als

auch organisatorische Anpassungen vonnöten sein.

Innovationsfreudige Unternehmen müssen das

richtige Maß an laufenden, nachhaltigen

firmeninternen Anstrengungen und einer offenen

Zusammenarbeit finden. Fragen des geistigen

Eigentums müssen angemessen geklärt werden, und

möglicherweise sind neue Vergütungssysteme zu

erarbeiten. Der wirtschaftliche Anreiz ist jedoch

einfach zu verlockend, um diesen Prozess nicht weiter

voranzutreiben.

Das globale Gehirn ist bereit, in den kommenden

Jahrzehnten enorm anzuwachsen und

leistungsfähiger zu werden. Schnellerem

Wirtschaftswachstum in großen Schwellenländern

und einem deutlichen Kostenrückgang für

Rechenleistung ist es, neben der rasanten

Verbreitung von Mobilfunknetzen, zu verdanken,

dass Millionen weitere Menschen Zugang zum

Internet haben werden – selbst wenn dies nur in

Form einer „Wandnische“ im Stil von

Geldautomaten oder über ein Smartphone möglich

ist.

Der wirtschaftliche Fortschritt bringt auch verstärkt

Zugang zu sauberem Wasser, Lebensmitteln und

besserer medizinischer Versorgung mit sich.

Wertvolle Stunden, die zuvor zur Deckung des

Existenzbedarfs aufgewendet wurden, können nun

stattdessen – zumindest teilweise – in die

Erschließung und Erweiterung des globalen

Wissensschatzes investiert werden. In einem

weltumspannenden zusammengeschalteten

Netzwerk, das in der Lage ist, Beiträge überall auf der

Welt abrufbar zu machen, können viele hundert

Millionen weitere Menschen lernen, denken und

Probleme anpacken.

Dieser Prozess wird die Beziehung zwischen

Arbeitgebern und Arbeitnehmern neu definieren und

beiden größere Flexibilität einräumen.

Arbeitgeber erhalten Zugriff auf einen größeren

Talentpool, der abhängig von der zu bewältigenden

Aufgabe variieren kann. Arbeitskräfte erhalten

größere unternehmerische Kontrolle über ihre

Fähigkeiten und Talente. Mehr Menschen werden

sich für eine freiberufliche Tätigkeit entscheiden, als

Berater arbeiten oder den Arbeitsplatz häufiger

wechseln. Eine hohe Fluktuation ist in der Hightech-

Branche gang und gäbe. In einer schnelllebigen

Umgebung lernen, wachsen und entwickeln sich

talentierte Arbeitskräfte auch schneller weiter.

Wenn sich das industrielle Umfeld beschleunigt,

wird diese Entwicklung auch in der Industrie zu

beobachten sein.

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Das globale Wissen – die kollektive Intelligenz von Menschen rund um den Globus, die durch digitale Kommunikationsnetze verbunden sind.

Schlussbemerkungen

Die Zukunft der Arbeit ist von einem tiefgreifenden

Umbruch geprägt, der vorangetrieben wird von der

Verflechtung der digitalen und der physischen Welt,

der Entstehung neuer Entwicklungs- und

Produktionsverfahren und einem fundamentalen

Wandel der Rolle, die Menschen im

Produktionsprozess spielen. Die meisten dieser

Veränderungen sind schon seit längerer Zeit im

Gange, doch nehmen sie nun eine Dynamik und

Ausmaße an, dass sich die Industrie, wie wir sie

kennen, rapide verändern wird.

Das Industrial Internet nutzt das Potenzial von Big

Data, um eine neue Generation brillanter Maschinen

zu erschaffen, die vorausschauend, reaktionsfähig

und in der Lage sind, miteinander und mit uns nahtlos

zu kommunizieren. Verfahren des Advanced

Manufacturing wie der 3D-Druck bringen nicht nur

neue Produkte hervor, sondern ermöglichen auch

eine schnellere Rückkopplungsschleife zwischen

Konzeption, Prototypentwicklung, Produktion und

Kundenerlebnis. Sie sind der Auslöser für eine

datengesteuerte Umstrukturierung der Liefer- und

Vertriebsnetze, die die einzelne Fabrik an ihr

Ökosystem aus Kunden, Vertriebshändlern und

Lieferanten anbindet.

All dies wird dazu führen, dass der gesamte

Produktionsprozess in Echtzeit und automatisch an

unerwartete Umstände angepasst werden kann,

wodurch sichergestellt ist, dass es auf

Produktionssystemebene zu keinerlei ungeplanten

Ausfällen kommt. Diese Veränderungen ermöglichen

wiederum eine schnellere Verschiebung in Richtung

dezentraler Fertigung, auch bedingt durch den

verstärkten Rückgriff auf Mikrofabriken.

Aufgrund des technischen Fortschritts werden sich

immer mehr Arbeitskräfte auf ihre Kreativität und

ihren Unternehmergeist besinnen – Bereiche, in

denen Menschen gegenüber Maschinen eindeutig im

Vorteil sind. Das globale Wissen – die kollektive

Intelligenz von Menschen rund um den Globus, die

durch digitale Kommunikationsnetze verbunden sind,

– wird wachsen und einflussreicher werden, da viele

Millionen weitere Menschen Zugang zu Bildung und

zum Internet erlangen und dadurch den weltweiten

Wissensbestand sowohl erschließen als auch

erweitern können.

Dieser Wandel braucht Zeit, um sein volles Potenzial

entfalten zu können. Wir müssen daher in neue

Technologien investieren und Organisationen sowie

Betriebspraktiken anpassen. Wir benötigen ein

robustes Cybersicherheitskonzept, um sensible

Informationen und geistiges Eigentum zu schützen

und kritische Infrastrukturen vor Cyber-Angriffen zu

bewahren. Das Bildungswesen muss sich

weiterentwickeln, um sicherzustellen, dass Schüler

über die richtigen Kompetenzen für diese sich rasch

wandelnde Wirtschaft verfügen. Kontinuierliche

Weiterbildung und Umschulungen können die

Auswirkungen unvermeidlicher vorübergehender

Störungen auf dem Arbeitsmarkt abfedern.

Die Zukunft der Arbeit benötigt Zeit und

Investitionen, doch wird sie das

Produktivitätswachstum steigern und die Konjunktur

ankurbeln. In nachfolgenden Publikationen werden

wir die Dynamik und die Auswirkungen dieses

revolutionären Wandels ausführlicher betrachten, der

jedoch eine Neuordnung der Wettbewerbslandschaft

sowohl auf Unternehmens- als auch auf Länderebene

herbeiführen und die Art und Weise, wie wir arbeiten

und leben, grundlegend – zum Besseren – verändern

wird.