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«Die Wahrheit muss heraus!» – Pfalzrätliche Strafuntersuchung gegen Joseph Antoni Egger aus Tablat wegen Totschlags und Leichenschändung 1775 Dissertation der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde einer Doktorin der Rechtswissenschaft vorgelegt von Miriam Lendfers von Arosa (Graubünden) Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Lukas Gschwend und Prof. Dr. Hans Vest Dissertation Nr. 3518 Dike Verlag Zürich/St. Gallen 2008

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«Die Wahrheit muss heraus!» – PfalzrätlicheStrafuntersuchung gegen Joseph Antoni Egger

aus Tablat wegen Totschlags undLeichenschändung 1775

Dissertation der Universität St. Gallen,

Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde einer

Doktorin der Rechtswissenschaft

vorgelegt von

Miriam Lendfersvon

Arosa (Graubünden)

Genehmigt auf Antrag der Herren

Prof. Dr. Lukas Gschwend und

Prof. Dr. Hans Vest

Dissertation Nr. 3518

Dike Verlag Zürich/St. Gallen 2008

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Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen.

St. Gallen, den 23. Juni 2008

Der Rektor:

Prof. Ernst Mohr, PhD

Die gleiche Arbeit ist erschienen als Band 4 der Schriftenreihe «Europäische Rechts- und Regionalgeschichte», herausgegeben von Prof. Dr. Lukas Gschwend und Prof. Dr. René Pahud de Mortanges ISBN 978-3-03751-117-6

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Juni 2008 an der Universität St. Gallen (HSG) als Dissertation angenommen. Nachdem bereits während meines rechtswissen-schaftlichen Studiums mein Interesse für rechtshistorische Zusammenhänge geweckt und gefördert worden war und ich im Rahmen meiner Diplomarbeit erste Erfahrungen mit der qualitativen Analyse eines frühneuzeitlichen Krimi-nalfalls sammeln konnte, habe ich mich an die vorliegende Studie gewagt. Das Stiftsarchiv St. Gallen geniesst international Bekanntheit und Ansehen. Den-noch lagern dort aufgrund der vorhandenen Fülle an Quellenmaterial bedeuten-de Mengen an Akten und Dokumenten, die auf eine Aufarbeitung warten. Die vorliegende Arbeit soll dazu einen – zugegebenermassen äusserst kleinen – Bei-trag leisten.

Zur Archivarbeit allgemein und zum Studium der frühneuzeitlichen Strafak-ten des Stiftsarchivs St. Gallen im Besonderen ermuntert und motiviert hat mich mein Doktorvater, Prof. Dr. Lukas Gschwend. Dafür und für seine stets hilfrei-che und äusserst kompetente Unterstützung möchte ich mich ganz herzlich be-danken. Für die Übernahme des Koreferats und das grosse Interesse an meiner Arbeit bin ich Prof. Dr. Hans Vest dankbar.

Zu dieser Arbeit mit sehr wertvoller Hilfe beigetragen hat weiter lic. phil. Lo-renz Hollenstein, Stiftsarchivar. Er nahm sich immer wieder Zeit, meine vielen Fragen zu beantworten und stand mir mit Rat zur Seite. Auch sein Stellvertreter Dr. phil. Peter Erhart zeigte stets Interesse an meiner Arbeit und gab mir Anre-gungen. Beiden wie auch Silvia Bärlocher, Sekretärin des Stiftsarchivs, danke ich herzlich.

Grosse Unterstützung erhielt ich durchgehend von meinem Partner lic. iur. Benedikt van Spyk, der mir mit vielen befruchtenden Diskussionen und kriti-schen Anmerkungen zur Seite stand. Dankbar bin ich auch meiner Schwester lic. rer. publ. Corina Lendfers sowie lic. iur. Manuela Studach, Rechtsanwältin, und Heidi Becker, M.A. Law, für das stets «offene Ohr», das Interesse an mei-ner Arbeit und die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts.

St. Gallen, im Juli 2008 Miriam Lendfers

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Inhaltsübersicht

1

Inhaltsübersicht

Inhaltsverzeichnis .................................................................................................3

Zusammenfassung/Summary................................................................................9

1 Einleitung ....................................................................................................13

2 Die Kulisse: Alte Landschaft ......................................................................25

3 Vorgeschichte..............................................................................................51

4 Strafverfahren..............................................................................................63

5 Prozessrechtliche Beurteilung...................................................................103

6 Materielle Beurteilung...............................................................................157

7 Urteil und Strafe ........................................................................................185

8 Schlussbetrachtungen ................................................................................211

Anhang

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Inhaltsverzeichnis

3

Inhaltsverzeichnis

ZUSAMMENFASSUNG/SUMMARY .............................................................9

1 EINLEITUNG ...........................................................................................131.1 Einführung in die Thematik...............................................................................................13

1.2 Zielsetzung ...........................................................................................................................15

1.3 Methode................................................................................................................................15

1.4 Aufbau..................................................................................................................................23

2 DIE KULISSE: ALTE LANDSCHAFT..................................................252.1 Entstehung und Entwicklung.............................................................................................25

2.2 Die Zeit Abt Bedas...............................................................................................................28

2.3 Rechtssystem........................................................................................................................302.3.1 Gerichts- und Verwaltungswesen.....................................................................................30

2.3.1.1 Grundlagen .............................................................................................................302.3.1.2 Hohe und niedere Gerichtsbarkeit ..........................................................................332.3.1.3 Der Pfalzrat, das «höchste tribunal der gerechtigkeit» ..........................................37

2.3.2 Relevante Gesetzgebung ..................................................................................................432.3.2.1 Grundlagen .............................................................................................................432.3.2.2 Die Constitutio Criminalis Carolina.......................................................................442.3.2.3 Landsatzung und Landmandat der Alten Landschaft..............................................47

3 VORGESCHICHTE .................................................................................513.1 Der Täter: Joseph Antoni Egger........................................................................................51

3.2 Das Opfer: Catharina Himmelberger ...............................................................................55

3.3 Der Tag der Tat: Montag, 6. Februar 1775 ......................................................................56

3.4 Die Zeit bis zur Gefangennahme Eggers ...........................................................................573.4.1 Erste Verdachtsmomente..................................................................................................573.4.2 Aussprache mit dem Wirt .................................................................................................583.4.3 Gespräch mit Schwager und Stiefvater; Gefangennahme ................................................60

4 STRAFVERFAHREN ..............................................................................634.1 Besetzung des Gerichts .......................................................................................................63

4.2 Weitere am Verfahren beteiligte Beamte ..........................................................................67

4.3 Untersuchungshandlungen und erste Einvernahme Eggers............................................704.3.1 Zeugenaussage der Näherin Elisabeth Schafhauser am 13. Februar 1775.......................704.3.2 Zeugenaussage von Joseph Antoni Bensegger und Bestätigung von Johannes Kunz

am 14. Februar 1775.........................................................................................................70

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Inhaltsverzeichnis

4

4.3.3 Bergung der Leiche aus dem Galgentobel am 14. Februar 1775......................................714.3.4 Berichte des Fiskals Zollikofer vom 14. und 15. Februar 1775........................................714.3.5 Das «visum et repertum» von Leibarzt Rogg vom 15. Februar 1775...............................724.3.6 Stellungnahme des Chirurgen Wolff vom 15. Februar 1775............................................734.3.7 Erste Einvernahme Eggers am 15. Februar 1775 .............................................................74

4.4 Weitere Untersuchungshandlungen und zweite Einvernahme Eggers..........................764.4.1 Anzeige des Strumpfwebers Pankraz Rietmann am 16. Februar 1775............................764.4.2 Hausdurchsuchung am 16. Februar 1775 .........................................................................764.4.3 Aussage von Jacob Himmelberger am 17. Februar 1775 und dessen förmliche

Zeugeneinvernahme am 18. Februar 1775 .......................................................................774.4.4 Zweite Einvernahme Eggers am 17. Februar 1775...........................................................78

4.5 Weitere Untersuchungshandlungen und dritte Einvernahme Eggers...........................814.5.1 Öffnung des Grabs von Maria Baumann am 18. Februar 1775........................................814.5.2 Zurückkommen auf Zeugenaussagen vom August 1773..................................................824.5.3 Exkurs: Das Schicksal der Elisabeth Han.........................................................................834.5.4 Befragung des Knechts Franz Antoni Ritter am 18. Februar 1775...................................864.5.5 Anzeige des Wirts Christian Louis am 18. Februar 1775.................................................864.5.6 Zeugeneinvernahme von Carl Etter am 20. Februar 1775................................................874.5.7 Dritte Einvernahme Eggers am 20. Februar 1775 ............................................................87

4.6 Vierte Einvernahme Eggers am 21. Februar 1775 ...........................................................90

4.7 Weitere Untersuchungshandlungen und fünfte Einvernahme Eggers ..........................924.7.1 Zeugeneinvernahme von Eggers Stieftöchtern am 22. Februar 1775...............................924.7.2 Fünfte Einvernahme Eggers am 22. Februar 1775 ...........................................................92

4.8 Weitere Untersuchungshandlungen und letzte Einvernahme Eggers ............................954.8.1 Zeugeneinvernahme der Ehefrau am 23. Februar 1775....................................................954.8.2 Zeugeneinvernahme von Joseph Rüesch am 23. Februar 1775........................................974.8.3 Sechste und letzte Einvernahme Eggers am 7. März 1775...............................................984.8.4 Zeugeneinvernahme von Johannes Geser am 8. März 1775.............................................99

4.9 Beratung und «Rechtsgutachten»....................................................................................101

5 PROZESSRECHTLICHE BEURTEILUNG.......................................1035.1 Der Inquisitionsprozess und seine Grundlagen ..............................................................103

5.1.1 Abgrenzung zum Akkusationsprozess............................................................................1035.1.2 Entstehung und Entwicklung des Inquisitionsprozesses.................................................104

5.2 Zur Zweiteilung des Verfahrens ......................................................................................107

5.3 Der Beweis im Inquisitionsprozess ..................................................................................1085.3.1 Der Indizienbeweis.........................................................................................................108

5.3.1.1 Rechtshistorische Einordnung ..............................................................................1085.3.1.2 Indizien im Fall Egger ..........................................................................................111

5.3.2 Der Zeugenbeweis ..........................................................................................................1145.3.2.1 Rechtshistorische Einordnung ..............................................................................1145.3.2.2 Zeugen im Fall Egger ...........................................................................................118

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Inhaltsverzeichnis

5

5.3.3 Der Sachverständigenbeweis..........................................................................................1225.3.3.1 Rechtshistorische Einordnung ..............................................................................1225.3.3.2 Sachverständige im Fall Egger.............................................................................126

5.4 Generalinquisition.............................................................................................................1295.4.1 Erste Schritte in der Verbrechensaufklärung ..................................................................1295.4.2 Vorgehen bis zu Eggers Verhaftung...............................................................................131

5.5 Spezialinquisition ..............................................................................................................1345.5.1 Entwicklung und Stellenwert der Verfahrensrechte .......................................................1345.5.2 Exkurs: Fürstäbtische Verhaltensvorschriften für Anwälte und Pfalzräte.....................1375.5.3 Die Verfahrensrechte Eggers..........................................................................................1395.5.4 Das Verhör .....................................................................................................................140

5.5.4.1 Befragung des Angeschuldigten ohne Folter ........................................................1405.5.4.2 Folter und weitere Druckmittel.............................................................................1435.5.4.3 Verhöre Eggers nach Gefangennahme .................................................................147

5.5.5 Zeugeneinvernahmen .....................................................................................................1515.5.6 Haftbedingungen ............................................................................................................153

6 MATERIELLE BEURTEILUNG .........................................................1576.1 Totschlag ............................................................................................................................157

6.1.1 Historisch-kriminologische Grundlagen.........................................................................1576.1.2 Rechtliche Einordnung ...................................................................................................1616.1.3 Totschlag der Catharina Himmelberger..........................................................................165

6.2 Leichenschändung.............................................................................................................1686.2.1 Historisch-kriminologische und rechtliche Einordnung .................................................1686.2.2 Eggers Experimente........................................................................................................170

6.2.2.1 Vorbemerkung.......................................................................................................1706.2.2.2 Aberglaube und Wissenschaft im frühneuzeitlichen Wettstreit .............................1716.2.2.3 Die Geköpfte und die Wöchnerin ..........................................................................178

7 URTEIL UND STRAFE .........................................................................1857.1 Das Strafsystem .................................................................................................................185

7.1.1 Poena ordinaria und extraordinaria.................................................................................1857.1.2 Todesstrafe .....................................................................................................................1867.1.3 Freiheitsstrafen ...............................................................................................................1877.1.4 Landesverweisung und Galeerenstrafe ...........................................................................1937.1.5 Begnadigung und Urfehde..............................................................................................198

7.2 Bestrafung Eggers wegen Totschlags und Leichenschändung .....................................2017.2.1 Verurteilung zur Todesstrafe ..........................................................................................2017.2.2 Begnadigung zur Galeerenstrafe ....................................................................................2057.2.3 Vollzug ...........................................................................................................................208

8 SCHLUSSBETRACHTUNGEN............................................................211

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Inhaltsverzeichnis

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ANHANG............................................................................................................. IA Akten im Fall Egger....................................................................................................................i

B Personen im Fall Egger............................................................................................................. ii

C Quellen und Materialien...........................................................................................................iv

D Literatur .................................................................................................................................. vii

E Nachschlagewerke.................................................................................................................xxxi

F Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................................... xxxiii

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Zusammenfassung

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Zusammenfassung

Am 6. Februar 1775 verschwindet Catharina Himmelberger aus Rotmonten. Wenige Tage später gerät Joseph Antoni Egger aus Tablat in Verdacht, ihr et-was angetan zu haben. Unter Druck gesteht er, sie getötet zu haben, worauf die Obrigkeit aktiv wird. Egger wird im Turm hinter dem Wirtshaus «Hirschen» in St. Fiden gefangengesetzt. Das Verbrechen gelangt vor den Pfalzrat der Alten Landschaft, das «höchste tribunal der gerechtigkeit». Die Verhöre beginnen.

Bei der Bergung der Leiche Catharina Himmelbergers werden im Galgento-bel zwei weitere, verstümmelte Leichen gefunden, was den Fall zunehmend verzwickter erscheinen lässt und das Gericht vor einige Probleme stellt. Der Leibarzt von Abt Beda wird beauftragt, die Leichen zu begutachten und über seine Erkenntnisse schriftlich Bericht zu erstatten. Auch ein Wundarzt und zwei Hofbarbiere werden um ihre sachkundige Meinung ersucht. Es kommt zu einer Hausdurchsuchung auf Eggers Hof. Gräber werden aufgegraben und inspiziert. Das Gericht verhört eine Reihe von Zeugen. Immer wieder muss auch Egger Rede und Antwort stehen, wobei neben der Ergründung der Vorgehensweise beim Totschlag Catharina Himmelbergers der Fokus auf dem Motiv für die Lei-chenschändungen liegt.

Die vorliegende Studie verankert das pfalzrätliche Strafverfahren in der For-schung über die Strafrechtsgeschichte in der frühen Neuzeit. Der Fall wird im Sinne einer qualitativen Einzelfalluntersuchung unter Einbezug und Verwertung sämtlicher vorhandener Akten aufgearbeitet und analysiert. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Untersuchung der Vorgehensweise des Pfalzrats der Fürstab-tei St. Gallen. Neben der prozessrechtlichen Seite des Falles wird die materiell-rechtliche behandelt. Die Delikte des Totschlags und der Leichenschändung werden gesellschaftlich und rechtlich in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts eingeordnet. Schliesslich wird der Abschluss des Verfahrens mit der Verurtei-lung und dem Vollzug der Strafe, soweit dieser nachvollzogen werden kann, gewürdigt. Die Arbeit gewährt Einblick in die Strafrechtsverhältnisse einer Zeit, die an der Schwelle zur «modernen» Welt noch gar nicht so weit zurück liegt.

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Summary

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Summary

On February 6th 1775, Catharina Himmelberger from Rotmonten disappears. Rotmonten belonged to the monastery of St. Gallen. A few days later, Joseph Antoni Egger from Tablat is accused having laid his hands on her. Set under pressure he confesses having killed her, whereupon the authorities take actions. Egger is being held in custody in a tower behind the restaurant «Hirschen» in St. Fiden. The case is taken to court, to the so called «Pfalzrat», which is the «highest tribunal of justice». The questionings begin.

When recovering the corpse of Catharina Himmelberger, two more mutilated bodies are found in the Galgentobel. This makes the whole case seem even more intricate and the authorities are confronted with even more problems. Abbot Beda’s medical attendant is instructed to examine the bodies and give a full written account on his findings. Further, a surgeon and two barbers are being asked for their competent opinion. A house search is being done on the premises on Egger’s farm. Graves are dug up and inspected. The court is interrogating more and more witnesses. Time and again, Egger is obliged to give account of Catharina Himmelberger’s homicide. Moreover the questioning is focusing on the motive of the desecration of the bodies.

The present study anchors the criminal procedure of the «Pfalzrat» in the re-search of the history of criminal law in the early modern times. The case is worked up and analysed in terms of a qualitative exploration of an individual case, considering all preserved files. A main focus lies on the inquest of the pro-cedural methods of the «Pfalzrat». Besides the procedural law, the substantive law is being discussed. The crimes of homicide and desecration of corpses are socially and legally classified in the second half of the 18th century. Eventually, the conclusion of proceedings with the conviction and the enforcement of the sentence – as far as this can be retraced – is dissected. The study provides an insight into the criminal law of a time not so long ago, on the threshold of the modern world.

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Einleitung

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1 Einleitung

1.1 Einführung in die Thematik

Im Jahr 1775 beschäftigten den Pfalzrat der Fürstabtei St. Gallen erschütternde Verbrechen, die Joseph Antoni Egger aus Tablat zur Last gelegt wurden. Ein Totschlag mit einer Mistgabel und brutale Leichenverstümmelungen; war Jo-seph Antoni Egger ein kaltblütiger Gewalttätiger oder steckte etwas anderes hinter den von ihm verübten Taten?

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte eine unbekannte Autorschaft in St. Gallen eine kleine Schrift mit dem Titel «Kriminalgeschich-ten – aktengetreu erzählt»1. Das Büchlein enthält zwei Geschichten. Die erste handelt von «Joseph Anton Egger von Tablat, Todtschläger und Leichenräu-ber», die zweite von einem gewissen «Sebastian Hohl von Trogen, Goldmacher und Mädchenschänder». Dem Vorwort des Büchleins ist folgendes zu entneh-men:

«Wenn die Veröffentlichung vorliegender Straf-Fälle vielleicht einer entschuldigenden Ein-leitung bedürfen, so kann die Ursache hiezu jedenfalls nur in dem Umstande liegen, dass ihr Inhalt in gewissem Sinne als beinahe ‹zu interessant› erscheinen dürfte.»2

Der Fall Egger, ist dem Vorwort weiter zu entnehmen, fessle durch die «Selt-samkeit der Vergehen» und durch «die räthselhaft stumpfe Rohheit des Verbre-chers, die uns übrigens mehr mit sinnlichem Ekel als mit sittlichem Abscheu erfüllt».3 Die gebotenen Enthüllungen seien nach Kräften von den anstössigeren Bestandteilen gesäubert worden, sodass das Büchlein zwar nicht als Jugend-schrift angepriesen, doch aber Erwachsenen als ebenso belehrende wie unterhal-tende Lektüre übergeben werden dürfe, schliesst der anonyme Autor sein Vor-

1 Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860]. Das Erscheinungs-

jahr fehlt in der Schrift. Da der Autor auf S. 1 «die Eisenbahn von St. Gallen nach Ror-schach» erwähnt und diese seit 1856 in Betrieb ist (vgl. DIETZ [2005]), wurde das Büch-lein schätzungsweise in den 1860er-Jahren geschrieben.

2 Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], 1. Seite des Vor-worts (ohne Seitenzahl).

3 Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], 1. Seite des Vor-worts (ohne Seitenzahl).

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Einleitung

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wort.4 Möge der heutige Leser bei der Konfrontation mit dem Kriminalfall Eg-ger nun sinnlichen Ekel oder sittliche Abscheu empfinden; unberührt lassen die Geschehnisse und das Schicksal der Protagonisten dieses frühneuzeitlichen Fal-les keineswegs.

«Die Wahrheit müsse heraus» war eine der Wendungen, mit der das Gericht im Fall Egger im Rahmen der langwierigen Einvernahmen die Zunge des De-linquenten zu lockern versuchte.5 Insbesondere die Leichenverstümmelungen wurden als so ungeheuerlich und unverständlich empfunden, dass man sich mit Eggers Antworten lange nicht zufrieden gab und auf verschiedene Arten – so auch unter Androhung der Folter – versuchte, den auf ihn ausgeübten Druck zu erhöhen, um endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Diese Suche nach der Wahrheit um fast jeden Preis hat ihre Grundlage im In-quisitionsprozess, der den Akkusationsprozess allmählich ablöste und die Auf-klärung von Verbrechen von der Privatsache wegbrachte und zur Aufgabe der Landesobrigkeit machte. Die Notwendigkeit der hoheitlichen Verbrechensver-folgung beschrieb der Rechtsgelehrte BENEDIKT CARPZOV6 in der Vorrede zu seinem Peinlichen sächsischen Inquisitions- und Achtsprozess 1638 folgender-massen:

«Dass an dem exercitio der peinlichen Gerichte besonders aber an rechtmessiger Ausübung des inquisition processus wider die Verbrecher unnd Bestrafung der Übelthäter der Re-public und gemeinem Wesen höchlichen unnd viel gelegen wird von niemand leichtlichen in zweifel gezogen alldieweil hierdurch die Frommen bey ihren Haab und Gütern auch Leib und Leben geschützet hingegen die Bösen hinweg und aus dem Mittel gereumet andere von dergleichen Übelthaten unnd Verbrechungen abgeschrecket und also Fried und Einigkeit al-lenthalben erhalten zuförderst aber des lieben Gottes Ehre gesuchet und sein ernster Wille vollbracht wird dann in Warheit kein besseres Opffer dem beleidigten Gott geleistet noch derselbe anderer Gestalt als durch Hinrichtung unnd gebürlicher Bestraffung der Missethä-ter versönet werden mag.»7

4 Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], 2. Seite des Vor-

worts (ohne Seitenzahl). 5 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 127. 6 Benedikt Carpzov (1595-1666) gilt als der eigentliche Begründer der deutschen gemein-

rechtlichen Strafrechtswissenschaft. Eine übersichtliche Biographie findet sich bei KLEIN-HEYER/SCHRÖDER [1996], S. 87 ff.

7 CARPZOV [1638], S. 3.

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Einleitung

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1.2 Zielsetzung

Das Ziel der vorliegenden Studie ist, den Kriminalfall Egger aus dem Jahr 1775 aufzuarbeiten. Die Taten von Joseph Antoni Egger sowie das darauf folgende Strafverfahren werden in den geschichtlichen Kontext gestellt und aus einer rechtshistorischen Perspektive untersucht. Anhand der qualitativen Einzelfallun-tersuchung soll nicht nur ein Beitrag zur Geschichte der st. gallischen Stiftslan-de geliefert werden,8 sondern es wird ein Stück Strafrechtsgeschichte aus einer Zeit aufgearbeitet und analysiert, in der sich die bestehende Ordnung grundle-gend zu wandeln begann.

Man mag sich die Frage stellen, ob sich die qualitative Aufarbeitung eines einzigen historischen Kriminalfalls im Rahmen einer Dissertation im wissen-schaftlichen Diskurs behaupten kann. Zwar vermögen die Betrachtungen nur einen Ausschnitt von juristischen und sozialgeschichtlichen Begebenheiten ge-wisser Bevölkerungsschichten und gewisser Zeiten zu vermitteln und weisen somit kaum quantitativen Wert auf. Dennoch eignet sich nach Ansicht der Ver-fasserin gerade eine qualitative Untersuchung, verbunden mit der Aufarbeitung umfangreicher, bisher unbekannter Akten, äusserst gut dazu, Einblick in und Verständnis für eine Zeit zu verschaffen, die mit ihren Strukturen und Werten zwar vergangen ist, aber dennoch eine Grundlage der Entwicklungen der Ge-genwart bildet. Die Studie wird durch Beizug einschlägiger Literatur und Be-achtung aktueller Forschung breit abgestützt.

1.3 Methode

Mit einer Schnur zusammengebunden befindet sich im St. Galler Stiftsarchiv ein umfangreiches Bündel an Akten zum Kriminalfall Egger. Wie das ausführli-che Verhörprotokoll Eggers belegt, musste Joseph Egger dem fürstäbtischen Pfalzgericht zu 255 Fragen Rede und Antwort stehen, bevor über seine Taten beraten und geurteilt wurde. Untersucht wurde der Totschlag einer gewissen

8 Auch wenn die Zahl der Studien zur landesherrlichen Strafjustiz im Wachsen begriffen

ist, überwiegen zumindest für das späte Mittelalter Studien über die städtische Kriminal-justiz; m.w.H. SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 22.

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Einleitung

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Catharina Himmelberger, die angeblich eine Gläubigerin Eggers gewesen war. Weiter geriet Egger unter Verdacht, zwei Leichen geraubt und an ihnen grauen-hafte Verstümmelungen vorgenommen zu haben. Während der mehreren Wo-chen, über die sich das Verhör hinzog, wurden viele Zeugen befragt, es wurden medizinische Gutachten zu den gefundenen drei Leichen eingeholt und der Hofweibel, der Hatschier9 und der Totengräber mit Nachforschungen betraut. Schliesslich wurde ein rechtliches Gutachten erstellt, der Fall abgeurteilt und das Urteil vollstreckt. Der Kriminalfall Egger verfügt über umfangreiches, gut erhaltenes Quellenmaterial, das in der vorliegenden Studie aufgearbeitet und ausgewertet wurde.

Für die Kriminalitätsgeschichte sind Quellenbestände, vor allem Gerichtsak-ten, die ihre Existenz dem rechtlichen Kontroll- und Sanktionierungssystem verdanken, von grosser Wichtigkeit. Der Informationsgehalt solcher Quellen beschränkt sich nicht auf die gerichtliche Ebene. Die Quellen gewähren viel-mehr nicht selten Einblick in das Zusammenspiel zwischen dem formell-rechtlichen und dem informell-gesellschaftlichen Kontrollsystem; sie lassen das Recht und das Gericht als Teil der Gesellschaft plastisch hervortreten.10 Gerade die zahlreichen Gerichtsakten von frühneuzeitlichen Inquisitionsprozessen be-sitzen aufgrund ihrer Reichhaltigkeit und Ausführlichkeit jedoch den trügeri-schen Anstrich der Authentizität. Hier sind zwei Vorbehalte anzubringen.11 Der eine zielt auf die Aussergewöhnlichkeit des Handlungskontextes ab, der Aussa-gen von Delinquenten und Zeugen hervorbringt. Die hinter einem Gerichtsver-fahren liegende gesellschaftliche Wirklichkeit wird nur unzureichend und ver-zerrt abgebildet.12 Der zweite Vorbehalt betrifft den künstlichen Charakter von

9 Als Hatschiere (auch Hartschiere, Haschiere oder Harschiere) wurde ursprünglich die

kaiserliche Leibwache zu Pferde bezeichnet. Der Begriff leitet sich vom italieni-schen/spanischen «arciere» (Bogenschütze) und dies vom lat. «arcus» (der Bogen) ab, weil die Leibwache in alten Zeiten aus Bogenschützen bestanden hatte; vgl. KRÜNITZ,Bd. 22 [1789], Stichwort «Hatschier», S. 248. In der Stadt St. Gallen erscheint die Be-rufsbezeichnung des Harschiers offenbar erstmals 1766 und war identisch mit dem Stadt-diener, MOSER-NEF, Bd. 7 [1955], S. 165.

10 M.w.H. SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 12 f.11 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 62. 12 Dennoch erlauben historische Gerichtsakten eine Zugangsmöglichkeit zur Lebenswelt

und zu den Handlungsstrategien. Damit ermöglichen sie nicht nur die Thematisierung von

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Einleitung

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schriftlichen gerichtlichen Aussagen und weist auf die Informationsverluste des geschriebenen Wortes im Vergleich zum gesprochenen Wort hin. Die mündli-che Kommunikation verfügt gegenüber der schriftlichen über grössere semioti-sche Reichhaltigkeit, etwa durch Intonation und Prosodie. Bei schriftlicher Kommunikation ist es nicht möglich, perzeptionsgestützte Wissensdaten hinzu-zufügen, die Ebenenvielfalt sprachlicher oder sprachunterstützender Zeichen ist in der mündlichen Sprache grösser.13 Diese Informationsverluste treffen freilich auch die Kommunikation in der Gegenwart; bei historischen Gerichtsakten, de-ren Sprache einen anderen Entwicklungsstand aufweist als unsere heutige, ver-grössern sich die Informationsverluste zusätzlich.

Die Niederschriften von mündlichen Äusserungen im Rahmen eines frühneu-zeitlichen Strafverfahrens sind zudem mit einer gewissen Vorsicht zu lesen, weil eine angstfreie Interaktion zwischen Verhörendem und Verhörtem wohl nur selten möglich war. Auch war das soziale Gefälle oftmals beträchtlich, so-dass unterschiedliche Erfahrungs- und Bildungshorizonte aufeinander trafen, aber auch unterschiedliche sprachliche Codes verwendet wurden, was nicht sel-ten zu Missverständnissen führen musste.14

Für die Arbeit mit dem Quellenmaterial werden die Erkenntnisse der rechts-historischen Textexegese beachtet.15 Um wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden, sind die Einarbeitung der einschlägigen Literatur und die Auseinan-dersetzung mit den dort vertretenen Meinungen Voraussetzungen dieser Fall-analyse.16 Durch die Verarbeitung von geschichtlichen Forschungserkenntnissen wird bezweckt, die eigene Auslegung zu differenzieren und diese in Breite und

Kriminalität und Konflikt im engeren Sinn; m.w.H. SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999],S. 21.

13 BUSSE [1992], S. 135. Erschwerend bei den frühneuzeitlichen Gerichtsakten kommt die Filterfunktion der Schreiber hinzu: Flüchtigkeiten bei der Niederschrift, aber auch Verständigungs- und Sprachprobleme konnten eine Aussage verfälschen. Das Protokoll ist eher eine summarische und typisierte Zusammenfassung als eine individuelle Aussage; SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 64. Andererseits waren die Schreiber jedoch schon allein deshalb zur Detailgenauigkeit verpflichtet, weil die Protokolle in der Regel überge-ordneten Gerichtsinstanzen als Entscheidungsgrundlage dienten; SCHWERHOFF, Akten-kundig [1999], S. 65.

14 BEHRINGER [1996], S. 282. 15 Siehe etwa Erläuterungen dazu bei SENN/GSCHWEND [2004], S. 16 ff. 16 GSCHWEND/KRAMER, Textexegese [2004], S. 248.

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Tiefe zu verbessern. Da Fundstelle, Autor und Datum bei fast allen der auszu-wertenden Akten bekannt sind, erfolgt die Interpretation unter Berücksichtigung der durch diese Angaben eröffneten Erkenntnisperspektiven.17 Bei der Aufarbei-tung des historischen Hintergrunds wird stets darauf geachtet, nur die für die Quellen und deren Verständnis tatsächlich relevanten Gegebenheiten darzulegen und allenfalls (weiter) zu entwickeln.18 Die Einordnung in den rechtlichen, poli-tischen und verwaltungstechnischen Rahmen ist für die Kontextualisierung der Akten unerlässlich.19 Um die Gefahr unnötiger Weitschweifigkeit zu vermeiden, erscheinen allgemeine Darstellungen zur Entstehungszeit der Quellen nur inso-weit angebracht, als sie dem Forschungsgegenstand direkt dienlich sind.

Der Inquisitionsprozess mit obrigkeitlicher Verfolgung von Verbrechern und möglichst weitgehender materieller Ermittlung der Wahrheit zog eine zuneh-mende Verschriftlichung der Gerichtsbarkeit nach sich. Nun ermittelten immer häufiger spezialisierte Richter und Amtsleute, Verhöre und Zeugenbefragungen wurden durchgeführt und schriftlich festgehalten. Somit wird die Entstehung der Gerichts- und Kriminalakten in der Epoche des Spätmittelalters verankert.20

Bis weit in die frühe Neuzeit hinein kann jedoch nicht von einem abstrakten Streben der Herrschenden nach umfassender Dokumentation von Kriminalfällen gesprochen werden; vielmehr standen bei der Verschriftlichung der Strafjustiz jeweils ganz praktische Gesichtspunkte im Vordergrund, weshalb die einschlä-gigen Quellen grundsätzlich ein lückenhaftes Bild präsentieren.21 Die Aussage-kraft von Strafprozessakten für den frühneuzeitlichen Alltag ist denn auch sehr unterschiedlich.22 Das wachsende Bedürfnis nach Dokumentation der peinlichen Strafen – insbesondere der Todesstrafen – liegt nicht zuletzt in einem Wunsch nach Legitimation begründet. Zudem sollte wohl die exemplarisch verhängte

17 GSCHWEND/KRAMER, Textexegese [2004], S. 248. 18 GSCHWEND/KRAMER, Textexegese [2004], S. 248. 19 Die rein textimmanente Interpretation kann nicht zu tragfähigen Ergebnissen führen;

SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 298. 20 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 25 f. 21 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 26. Der Prozess der Ausbildung des Aktenwesens

gelangte im Wesentlichen im Laufe des 18. Jahrhunderts zum Abschluss; SCHMID GER-HARD [2003], S. 75.

22 Diese Aussagekraft dürfte grösser sein bei Akten über Straftaten, die tendenziell eher zum Alltag gehörten als andere (etwa Eigentumsdelikte, mitunter auch Totschlag); VALENTI-NITSCH [1992], S. 77 und 81. Siehe auch SCHULZE [1996], S. 322.

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gerechte Strafe im kollektiven Gedächtnis des Herrschaftsgebiets verankert werden.23

Gerade bei der Beschäftigung mit historischen Strafprozessakten ist man mitunter der Kritik ausgesetzt, nur ein von obrigkeitlichen Vorstellungen ge-prägtes Bild zu gewinnen, zur Selbstwahrnehmung der Menschen in ihrem sozi-alen Umfeld aber keinen Zugang zu bekommen. Es existiert die Befürchtung, beim Studium von Strafprozessakten den «Erzählkünsten» der Betroffenen auf den Leim zu gehen, was immerhin nicht überall als Nachteil gewertet wird.24

Nicht verkannt werden darf jedenfalls, dass erhaltene historische Kriminalakten über erstaunlichen Aussagegehalt und hohe Validität verfügen. Gerade die Gat-tungsvielfalt der Akten25 erlaubt oft eine umfassende Kontextualisierung und damit eine weitgehend objektive Rekonstruktion konkreter Straffälle. Dies er-möglicht die Erfassung einer historischen Wirklichkeit, die die Wahrnehmung und Verarbeitung von historischen Vorkommnissen durch den historischen Menschen erschliesst.26 Historische Kriminalfälle bilden nicht bloss rechtshisto-risches Anschauungsmaterial, sondern sind hilfreich, den Blick für ein breites, sozial- und kulturhistorisch geprägtes Verständnis der Strafrechtsgeschichte zu schärfen, wie wegweisende Erkenntnisse der historischen Kriminologie der

23 Mit Beispielen SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 32; SCHMID GERHARD [2003],

S. 75. 24 Einen Überblick über in diese Richtung zielende kritische Stimmen bietet SCHNABEL-

SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 296. Bezogen auf Verhörprotokolle sieht Z’GRAG-GEN [1999] die Herausforderung darin, diese bei der Auswertung einerseits auf Wider-sprüche und Plausibilität zu überprüfen, sie andererseits in einem breiteren Kontext zu be-trachten, S. 79. Mit Gefahren und Chancen der Arbeit mit Zeugenverhörprotokollen in der Forschung befasst hat sich FUCHS, Zeugenverhöre [2001], S. 141 ff., insbes. S. 142.

25 Diese beinhaltet etwa Verhöre von Verdächtigen, Zeugenbefragungen, medizinische oder rechtliche Gutachten, Untersuchungsberichte, Anklage- und Verteidigungsschriften sowie allenfalls Akten der unterschiedlichen Prozessinstanzen eines Falles.

26 SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 297, S. 299. Bezogen auf Zeugenverhöre weist SCHULZE auf die Vielzahl an Informationen hin, die durch die Beachtung des Le-benslaufs der Zeugen, ihrer Mobilität, ihrer Kenntnis der Welt ausserhalb ihres Umfelds, ihrer Kenntnisse von herrschaftlich-administrativen Strukturen und ihrem Bild von der Obrigkeit, allenfalls auch ihrer Selbsteinschätzung in der Gesellschaft, gewonnen werden können; SCHULZE [1996], S. 322. Siehe auch FUCHS, Gott [2000], S. 315 ff.

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1990er Jahre zeigen.27 Die bewusste Beschränkung auf die Untersuchung eines einzigen Kriminalfalls erlaubt es, auch Details des Falles und der Untersu-chungsmethode zu beachten, zu analysieren, zu würdigen und schliesslich in grössere Zusammenhänge zu stellen. So wird nicht nur Quellenstudium betrie-ben, sondern es erfolgt eine Auswertung sowie eine umfassende Würdigung des vorhandenen Materials.

Die Forschungsarbeit eines Historikers verlangt nach VON BRANDT unter an-derem die kritische Fähigkeit, die gefundenen Quellen möglichst fehlerfrei aus-zuwerten, also ihnen durch einen Schleier von Entstellungen und Lückenhaftig-keit, von Verworrenheit und Mehrdeutigkeit, von Widersprüchen, Tendenzen und Lügen ein möglichst hohes Mass an wahren Aussagen abzugewinnen.28

Auch in der kriminalhistorischen Forschung muss man sich dieses «möglichst hohe Mass von wahren Aussagen» zum Ziel setzen; Sicherheit oder absolute Gewissheit wird man kaum je erreichen können. Bei der Arbeit mit den histori-schen Strafprozessakten sind zur Ergründung eines möglichst hohen Wahrheits-gehalts folgende Fragestellungen nützlich: Konnte eine in den Akten vorkom-mende Person ein Interesse daran haben, im Prozess bewusst falsche Aussagen zu machen? Worin liegt dieses Interesse? Konnten hoheitlich eingesetzte Perso-nen ein Interesse an der durch parteiische Protokollführung erreichbaren Verfäl-schung der gehörten Aussagen haben, um den Prozess in eine andere Richtung zu lenken?29 Auch wenn sich bei der vertieften Beschäftigung mit einem histori-schen Straffall wohl unweigerlich Sympathien mit oder Antipathien gegen den Beteiligten einstellen, gilt es doch, der Versuchung zu widerstehen, nachträglich als eine Art Gericht zweiter Instanz zu fungieren und einzelne Delinquenten erneut zu verurteilen oder aber zu rehabilitieren.30

Akten sind im Archivgut eine Vereinigung von Schriftstücken zu mehr oder weniger festen Kompositionseinheiten.31 Die Aktenbildung begann sich wie er-

27 Vgl. den Überblick über die Erkenntnisse der historischen Kriminologie bei GSCHWEND,

Studentenmord [2002], S. 15. Siehe auch mit Schwerpunkt auf dem Aussagegehalt von Zeugenverhörprotokollen FUCHS/SCHULZE [2002], S. 9.

28 VON BRANDT [1998], S. 9. 29 SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 300. 30 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 65 f.31 FRANZ [2004], S. 52.

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wähnt bereits im ausgehenden Mittelalter zu entwickeln, als neben rechtserheb-lichen Urkunden auch mit der Aufbewahrung von Verwaltungsschriftstücken,Befehls- und Mitteilungsschreiben begonnen wurde. So wurden sämtliche Un-terlagen zu einem bestimmten Gerichtsprozess oder etwa zu einem Vertragsab-schluss gesondert gelagert und zusammengebunden.32 Diese «Bündel» stellen Sachakten dar und nicht mehr bloss eine Aktenserie, die älteste und am nächsten liegende Ordnungsform der einfachen chronologischen Reihung.33 Die Quellen des Kriminalfalls Egger stellen eine vermutlich vollständige Sachakte dar.

Sämtliche Akten des Kriminalfalls Egger sind in handschriftlicher Form er-halten. Für die wörtlichen Zitate aus den Akten des Falles sowie aus zahlreichen weiteren beigezogenen handschriftlichen Dokumenten werden folgende Trans-kriptionsregeln angewendet:34

Die Buchstaben «u», «v» und «w» werden entsprechend dem Lautwert wiedergegeben.

Der Buchstabe «s», der in den Akten verschiedene Schreibweisen kennt, wird stets als «s» bzw. «ss» wiedergegeben; auf «ß» wird verzichtet.

Bei Wörtern, die im Originaldokument mit Zeilenumbruch (Silbentren-nung) geschrieben sind, wird der Trennungsstrich weggelassen.

Sämtliche Wörter mit Ausnahme von solchen am Satzanfang sowie Na-men (Orts-, Flur-, Gewässer- und Personennamen) werden klein geschrie-ben.

32 FRANZ [2004], S. 52. 33 VON BRANDT [1998], S. 107. 34 Zur Erstellung der Regeln beachtet wurden die im Jahrbuch der historischen Forschung in

der Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahr 1980, abgedruckten «Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte», hg. vom «Arbeitskreis Editionsprobleme der frühen Neuzeit», v.a. S. 89, sowie die Regeln bei GUGGENHEIMER/SONDEREGGER, CD-ROM[2006].

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Reine Distinktionszeichen (z.B. auf «ÿ» und auf «ù» zur Unterscheidung von «n») werden weggelassen.

Abkürzungen35 und Ligaturen werden aufgelöst.

Den Familiennamen der Frauen wurde in den Gerichtsakten häufig die in je-ner Zeit typische weibliche Endung «-in» angehängt, beispielsweise Himmel-bergerin, Grossin oder dergleichen. Im wörtlichen Zitat entsprechender Textstel-len werden die Endungen übernommen. Da uns der Name ohne Endung jedoch geläufiger ist, wird bei der Nennung ausserhalb des Zitats auf die Endung «-in» verzichtet. Weiter werden dem Lesefluss hinderliche Zweitnamen (insbesondere zweite Vornamen) nach einer ersten Nennung – ausgenommen im direkten Zi-tat – nicht wiederholt, sofern Verwechslungen ausgeschlossen sind. Die Ortho-graphie weicht nicht selten massgeblich von der heutigen ab. Obwohl bei der Mehrheit der vorhandenen Dokumente ein und derselbe Schreiber tätig war, weist dasselbe Wort mithin eine unterschiedliche Schreibweise auf. Direkte Zi-tate alter Druckschriften erfolgen buchstaben- und satzzeichengetreu, wobei die Gross- und Kleinschreibung dem Original folgt.

Die Akten des Kriminalfalls Egger sind im Stiftsarchiv St. Gallen zwar zu ei-nem Bündel zusammengeschnürt, die einzelnen Aktenstücke weisen aber keine nachvollziehbare Ordnung auf. Zur Bearbeitung wurden sie deswegen gemäss dem im Anhang abgedruckten Aktenverzeichnis chronologisch sortiert, numme-riert und werden entsprechend zitiert. Dabei werden die Seiten der einzelnen Dokumente beziffert und nach diesen Seitenzahlen zitiert, obwohl diese auf den Handschriften fast immer fehlen. Das separat gebundene Verhörprotokoll von Joseph Egger umfasst 93 Seiten und enthält 255 Fragen. Die Zitate daraus erfol-gen wenn möglich unter Nennung der Ziffer der entsprechenden Frage bzw. Antwort.

Eine vom Ratssekretär Gross verfasste Abschrift des Verhörprotokolls findet sich im Kriminalprotokollbuch des Ledigen Pfalzrats.36 Um 1865 verfasste zu-dem der damalige Archivar des Stiftsarchivs St. Gallen, Eugen von Gonzen-

35 Getreu den in der Zeit der Entwicklung der Kurrentschriften herrschenden Bedürfnissen

nach Lesbarkeit und der Möglichkeit schneller Ausführung der Buchstaben (BOESELAGER [2004], S. 49 und 57) finden sich auch in den Akten Egger vermehrt Abbrevaturen.

36 StiASG, Bd. 1074, S. 3-77.

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bach, eine Abschrift des Verhörprotokolls (ohne die übrigen Dokumente), das im Staatsarchiv St. Gallen erhalten ist.37

1.4 Aufbau

Konzentriert man sich zu sehr auf vorhandene Quellen, so läuft man Gefahr, gewisse Zusammenhänge und Strukturen zu vernachlässigen oder gar nicht zu erkennen. Bevor materiell auf die Kriminalakten des Falls Egger eingegangen werden kann, ist daher eine Einführung in die relevanten historischen und ge-sellschaftlichen Hintergründe notwendig. Der Kriminalfall ereignete sich in der zu Neige gehenden frühen Neuzeit, also in der Blüte der Aufklärung, einer Zeit, in der viele Strukturen aufzubrechen begannen.

Kulisse des Kriminalfalls sind die st. gallischen Stiftslande des 18. Jahrhun-derts, das Gebiet der sog. Alten Landschaft. Nach einem Abriss über Entstehung und Entwicklung der Alten Landschaft wird in das ebenda in der ausgehenden frühen Neuzeit vorherrschende Rechtssystem eingeführt. Für die Fallstudie di-rekt relevante Bereiche wie das Gerichtswesen und die einschlägige Gesetzge-bung werden eingehender behandelt.

Das dritte Kapitel widmet sich der Vorgeschichte des Strafverfahrens. Der Protagonist Joseph Antoni Egger, seine Familie und sein direktes Umfeld wer-den vorgestellt. Weiter wird von seiner Bekanntschaft mit Catharina Himmel-berger und seiner Beziehung zu ihr berichtet. Nach ihrem Tod vergehen bis zur Gefangennahme Eggers mehrere Tage, auf deren bekannt gewordene Gescheh-nisse eingegangen wird. Im vierten Kapitel wird das Strafverfahren dargestellt, wobei die Untersuchungshandlungen in chronologischer Reihenfolge wiederge-geben sowie thematisch gegliedert werden. Dabei nehmen die Einvernahmen Eggers einen zentralen Platz ein.

Nach der Darlegung der Fakten erfolgt im fünften Kapitel eine prozessrecht-liche Beurteilung, die in die Erkenntnisse der frühneuzeitlichen Strafprozessfor-schung eingebettet wird. Mit Blick auf den durchgeführten Inquisitionsprozess

37 StaASG, Sig. AA 8 A 3-5.

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werden dessen entstehungsgeschichtliche Grundlagen erläutert. Besondere Be-achtung erhält das Beweisverfahren, das in die Bereiche des Indizienbeweises, des Zeugenbeweises und des Sachverständigenbeweises aufgegliedert wird. Nach einer rechtshistorischen Einordnung erfolgt jeweils eine detaillierte Sub-sumtion. In der Beurteilung wird der Zweiteilung des Verfahrens in General- und Spezialinquisition Rechnung getragen. Insbesondere im Rahmen letzterer werden die Verfahrensrechte des Angeschuldigten untersucht und die Verhör- und Fragetechnik der Untersuchenden gegenüber Egger einerseits und gegen-über den Zeugen und Aussagenden andererseits gewürdigt.

Joseph Egger wird nicht nur wegen Totschlags verhört. Angeblich hat er sich noch eines anderen Verbrechens schuldig gemacht, demjenigen der Leichen-schändung. Die im sechsten Kapitel vorgenommene materielle Beurteilung des Falles gliedert sich daher in die Betrachtung des Delikts des Totschlags einer-seits und jenem der Leichenschändungen andererseits. Die Delikte werden je-weils in ihren rechtshistorischen Kontext gestellt. Im Zusammenhang mit den Leichenschändungen gibt die Suche des Gerichts nach möglichen Motiven den Blick auf eine Erscheinung frei, die historisch eine grosse Vielfalt aufweist, aber keineswegs ein angestaubtes Thema längst vergangener Zeiten darstellt: den Aberglauben. Nicht nur dem Aberglauben, sondern auch dessem Gegner, der Wissenschaft, kommt insbesondere im 18. Jahrhundert eine erhebliche Bedeu-tung zu. Neben der Entwicklung der beiden Gebiete in der ausgehenden frühen Neuzeit wird ihre Korrelation näher betrachtet. Auf dieser Grundlage erfolgt schliesslich eine Beurteilung der von Joseph Egger an den Leichen vorgenom-menen «Experimente».

Das Urteil, das Joseph Egger im März 1775 trifft, hält Überraschungen bereit, auf die im siebten Kapitel nach einer Darlegung der historischen Entwicklung des Strafsystems eingegangen wird. Die Strafe ist ebenfalls – zumindest auf den ersten Blick – ungewöhnlich. Auch hier erfolgt eine Analyse.

Die Studie schliesst mit Schlussbetrachtungen zu den durch Quellenstudium und Quellenauswertung aus der Vergessenheit einer Archivschachtel herausge-arbeiteten Begebenheiten.

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Die Kulisse: Alte Landschaft

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2 Die Kulisse: Alte Landschaft

2.1 Entstehung und Entwicklung

Das aufgrund der Taten von Joseph Egger durchgeführte Strafverfahren fand 1775 statt. Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist eine Epoche, in der sich nicht nur gesellschaftlich vieles im Umbruch befand.38

Die Fürstabtei St. Gallen und die Stadtrepublik St. Gallen bildeten bis zum Jahre 1798 als sog. zugewandte Orte der Alten Eidgenossenschaft mehr oder weniger selbstständige Staatswesen. Im Gegensatz zu ihren katholischen Nach-barn im Fürstenland waren die Bürger der Stadt evangelischer Konfession.39

Wenngleich man sich im Laufe der Jahrhunderte zusammenraufte, war die Aus-gangslage des nachbarschaftlichen Verhältnisses von Fürstabtei und Stadt St. Gallen keine einfache.40

Das nach dem heiligen Gallus benannte Stift entwickelte sich aus dessen Zel-le, dem Ort in der einsamen, unwirtlichen Gegend, an dem sich der irische Got-tesmann im Jahre 612 als Einsiedler niedergelassen hatte. Die ersten Benedikti-ner, die seit Mitte des 8. Jahrhunderts im Kloster über Gallus’ Grab lebten, mochten wohl auch eher nach der abgelegenen Ruhe gesucht haben als nach politischem Leben. Doch der Grundbesitz des Stifts vergrösserte sich durch Schenkungen stetig, sodass eine über die Klostermauern hinausgreifende Ver-waltung notwendig wurde.41 Bereits im Jahr 818 erlangte das Kloster die Stel-lung einer Reichsabtei und die Immunität, was das Stift in einer ersten Blütezeit zu einer der bedeutendsten Stätten geistigen Lebens nördlich der Alpen mach-te.42 So entwickelte sich das Stift im Hochmittelalter zu einem Lehenstaat mit einer bedeutenden Ministerialität.43 Im 13. Jahrhundert verursachten strittige Abtwahlen und Kämpfe gegen Habsburg jedoch einen Niedergang. Die kurz nach 1400 ausbrechenden Appenzellerkriege brachten die Fürstabtei um einen

38 Siehe etwa VAN DÜLMEN, Gesellschaft [1993], S. 16 f., MÜNCH [1992], S. 11. 39 THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 15. 40 Näheres dazu bei EHRENZELLER ERNST [1988], S. 73 ff. 41 THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 16. 42 MÜLLER, Einleitung [1974], S. IX. 43 MÜLLER, Ordnung [1973], S. 246.

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Grossteil ihrer geschlossenen Grundherrschaft; erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gelang es Abt Ulrich Rösch44, dem «zweiten Gründer des Klosters St. Gallen»45, durch den Aufbau eines territorial abgerundeten und wesentlich vergrösserten Klosterstaats eine neue Blütezeit herbeizuführen.46 Die Verwal-tungstätigkeit von Abt Ulrich Rösch wird häufig als mustergültig beschrieben; ihm gelang es, durch den Erwerb von Niedergerichten, durch Rückkauf von verpfändeten Rechten und Gütern, durch Lösung der verpfändeten Reichsvogtei und durch Rechtsvereinheitlichung Grundsteine für einen modernen geistigen Territorialstaat zu legen.47

Die sog. Alte Landschaft, das angestammte Fürstenland, bildete seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts das Kernstück des neuen Staates48 und er-streckte sich auf das Gebiet zwischen dem Reichshof Rorschach und der Klein-stadt Wil, ohne die Stadt St. Gallen.49 Abt Ulrich Rösch regierte in der Alten Landschaft als absolutistischer Fürst, während das Toggenburg, die «Neue Landschaft», eine Art konstitutioneller Monarchie darstellte,50 in der neben dem Abt der Landrat politischen Einfluss hatte, was einen höheren Grad an Eigen-ständigkeit gewährleistete.51 Die Bevölkerung der Alten Landschaft versuchte verschiedentlich, mehr Freiheit und Unabhängigkeit vom Stift zu erlangen. Spä-testens nachdem 1559 durch den Eidgenössischen Schiedsspruch in Rapperswil die nominelle Leibeigenschaft der äbtischen Untertanen anerkannt wurde, war den Freiheitsbestrebungen jedoch auf lange Sicht – bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert – jede Aussicht auf Erfolg genommen.52

44 Ulrich Rösch, geb. 1426, gest. 1491, Abt von 1463 bis 1491. Biographie bei DUFT ET AL.

[1986], S. 149 ff. Siehe auch EHRENZELLER WILHELM [1938], S. 3 bis 12; HENGGELER[1929], S. 132 ff.

45 MÜLLER, Verfassung [1969], S. 378. 46 MÜLLER, Einleitung [1974], S. IX. STAERKLE schrieb, Ulrich Rösch habe das Stift aus

dem Abgrund der Verachtung und Verschuldung herausgezogen, STAERKLE, Hofstaat [1964], S. 37. BAUMGARTNER [1868] hielt fest, unter Ulrich Rösch habe alles wieder ei-nen höheren Schwung genommen, S. 47.

47 COZZIO [2005], S. 59 f.; BAUMGARTNER [1868], S. 48. 48 MÜLLER, Ordnung [1973], S. 246. 49 MÜLLER, Einleitung [1974], S. X. 50 COZZIO [2005], S. 60. 51 BAUMANN MAX [2003], S. 67. 52 Mit weiterführenden Hinweisen STAUB [1988], S. 10.

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Seit 1451 zählte die Fürstabtei zu den zugewandten Orten der Eidgenossen-schaft.53 Trotz der Bündnisse mit den Eidgenossen blieben die Äbte jedoch stets mit dem Heiligen Römischen Reich verbundene Reichsfürsten, was der Abtei eine ungewöhnliche Doppelstellung einbrachte.54 Alle Äbte hielten de iure an der Zugehörigkeit zum Reich fest und holten Bestätigungen der Reichslehen und Regalien ein. Faktisch waren die Bindungen aber lose, leistete das Stift doch weder Reichssteuer, noch besuchten die Äbte die Reichstage.55

Im 18. Jahrhundert bestand in der Fürstabtei ein leicht modifiziertes absolu-tistisches Feudalsystem. Der Fürstabt war geistlicher und weltlicher Herrscher zugleich. Doch aus früheren Zeiten waren gewisse alte Rechte bestehen geblie-ben, die Teilen der Bevölkerung ein sehr bescheidenes Mitwirkungsrecht in ad-ministrativen und juristischen Angelegenheiten ermöglichten.56 Den Fürstäbten gelang es nicht, diese Rechte ganz zu beseitigen; der Bevölkerung gelangt es jedoch auch nicht, sie zu erweitern.57 Regierungs- und Verwaltungsämter stan-den in der Regel nur wenigen vermögenden Magistratsfamilien zu. Im Zuge barocker Prachtentfaltung fand in der Verwaltung der Alten Landschaft eine ausgesprochene Aristokratisierung der hohen Beamten statt, die vom Abt zu adligen Gotteshausleuten erhoben wurden.58

Die Alte Landschaft war zum grössten Teil von Bauern bewohnt und kannte die dörfliche Dreifelderwirtschaft.59 Nur im Osten und Westen bestanden schüt-zende befestigte Städte.60 Während der Herrschaft des im Jahr 1718 gewählten Abts Joseph61 erlebte die Alte Landschaft eine friedliche und ruhige Entwick-lung. «Glücklich waret ihr übrigen Bezirke des Landes», schrieb der Ge-

53 PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 38 Rz. 56. 54 COZZIO [2005], S. 60 f. 55 MÜLLER, Einleitung [1974], S. X. 56 HÖHLE [1999], S. 426. ENGENSPERGER [1953] schrieb über jene Zeit in der Fürstabtei,

dass reiner Absolutismus als Staatsprinzip angenommen worden sei, wenn er sich auch, wie zugestanden werden müsse, in Form einer verhältnismässig milden Monarchie geäus-sert habe, S. 45.

57 HÖHLE [1999], S. 426. 58 LEMMENMEIER [2003], S. 43. 59 Zur Landwirtschaft im 18. Jahrhundert siehe LEMMENMEIER [2003], S. 15 ff.60 THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 19. 61 Joseph von Rudolphi, geb. 1666, gest. 1740, Abt von 1717 bis 1740, Biographie bei DUFT

ET AL. [1986], S. 170 ff.; HENGGELER [1929], S. 154 ff.

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schichtsschreiber Pater ILDEFONS VON ARX62 und fuhr fort: «Die Geschichte scheinet euer über die Toggenburger Händel vergessen zu haben; aber eben das ist der stärkste Beweis eures glücklichen Zustandes.»63 Durchgehend glücklich dürfte sich die Alte Landschaft zwar keineswegs präsentiert haben, litt doch auch sie etwa unter der schlimmen Hungersnot in den Jahren 1770/71 sowie unter einer erheblichen Teuerung. Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Le-ben auf dem ganzen Gebiet des späteren Kantons St. Gallen geriet in eine tiefe Krise, die vor allem Bauern, Kleinproduzenten und Heimarbeiter traf.64 Politisch ereignete sich aber im Fürstenland in jener Zeit bis zur allgemeinen Unrast in der Eidgenossenschaft und den zugewandten Orten ab den 1790er Jahren65 we-nig.

2.2 Die Zeit Abt Bedas

Im Jahr 1740 wurde Cölestin Gugger von Staudach66 der Nachfolger von Abt Joseph. Er war sehr geschickt und initiativ und konnte sogar die über 60 Jahre dauernden Streitigkeiten mit dem Toggenburg beilegen. Von der Geschichts-schreibung wurde er verschiedentlich gerühmt. So äusserte sich etwa ILDEFONS

VON ARX in seiner St. Galler Geschichte, es sei bewundernswert, «wie ein Prälat von so ausgedehntem Geschäftskreise eine so grosse Versammlung des Geistes beybehalten konnte».67 Bei seinem Tod hinterliess Abt Cölestin einen vorbild-lich organisierten Staat mit beachtlichem Stiftsvermögen.68

62 Geb. 1755, gest. 1833, ab 1827 Stiftsbibliothekar. Biographisches z.B. bei VOGLER WER-

NER, Geschichtsschreibung [1999], S. 389 ff. 63 VON ARX, Bd. 3 [1813], S. 591. 64 HÖHLE [1999], S. 427. 65 Siehe etwa THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 61 ff. und 87 ff. oder VON

ARX, Bd. 3 [1813], S. 633 ff. 66 Cölestin Gugger von Staudach, geb. 1701, gest. 1767, Abt von 1740 bis 1767, Biographie

bei DUFT ET AL. [1986], S. 172 ff.; HENGGELER [1929], S. 157 ff.67 VON ARX, Bd. 3 [1813], S. 612. 68 STAUB [1988], S. 5.

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Beda Angehrn69 wurde 1767 zum 72. Abt von St. Gallen gewählt. Er erfreute sich grosser Beliebtheit. «Heiter und offen war sein Blick, ohne Wolken die Stirne und weit entfernt von List oder Trug sein Herz»70, beschrieb WEIDMANN

im Jahre 1834 Abt Beda «den Gütigen», wie er von seinen Untertanen genannt wurde. Als Mensch habe er die seligen Gefühle von Freundschaft und Wohltä-tigkeit gekannt und süss seien ihm die Augenblicke gewesen, in denen er Leiden habe trösten können.71 Sofort nach seiner Wahl zum Abt machte er sich daran, den von seinem Vorgänger begonnenen Bau der Kathedrale zu vollenden. Dar-über hinaus begann er mit dem Bau der Neuen Pfalz, dem Klosterflügel, der heute das kantonale Regierungsgebäude beherbergt.72 Bei der Hungersnot, die im Winter 1770/71 den ganzen Bodenseeraum erfasste, bewahrte er seine Unter-tanen durch aus Italien importiertes Getreide, das er ihnen gratis oder billig ab-gab, vor dem Schlimmsten.73

Beda, der nach seinem Eintritt in das Stift und den Orden selbst während mehrerer Jahre Philosophie, «Gottesgelehrtheit» und beide Rechte74 studiert und später die «höheren Wissenschaften» gelehrt hatte,75 setzte sich während seines Wirkens als Abt nicht nur für die Ausbildung der Mönche ein, sondern bemühte sich auch um verbesserte Bildung der Bevölkerung, indem er für die Einführung der österreichischen «Normalschule»76 und einen neueren, klareren Katechismus eintrat. Diese Bestrebungen stiessen jedoch auf Widerstand bei den Untertanen selbst sowie bei konservativen Mönchen, die ein gebildetes Volk als mögliche Bedrohung der Klosterherrschaft fürchteten.77 Von den fortschrittlich anmuten-den Bestrebungen um bessere Bildung der Bevölkerung abgesehen, trat der Abt aufklärerischem Gedankengut freilich kritisch-ablehnend gegenüber, erlaubte

69 Beda Angehrn, geb. 1725, gest. 1796, Abt von 1767 bis 1796, Biographie bei DUFT ET

AL. [1986], S. 175 ff.; HENGGELER [1929], S. 160 ff. 70 WEIDMANN [1834], S. 2. 71 WEIDMANN [1834], S. 2.72 DUFT ET AL. [1986], S. 176. 73 STAUB [1988], S. 6; WEIDMANN [1834], S. 4 f; BAUMGARTNER [1868], S. 107. Dennoch

stiegen die Todesraten in jenen Jahren an; für Tablat und Rotmonten vgl. MENOLFI, Be-völkerungsentwicklung [1991], S. 107.

74 Kanonisches und römisches Recht. 75 WEIDMANN [1834], S. 2. 76 Vgl. unten Kap. 6.2.2.2. 77 STAUB [1988], S. 6.

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aber immerhin die Anschaffung aufklärerischer Werke für die Bibliothek. Abt Beda trieb zudem den Bau moderner Strassen in den Stiftslanden voran und be-günstigte damit auch Wirtschaft und Handel.78 Offenbar setzte Beda sich ausser-dem für mehr Milde in Strafverfahren und Strafurteilen ein. So verschonte er manchen Übeltäter vor der Todesstrafe und engagierte sich für dem Staat nützli-che Strafen wie Arbeitshaft oder Galeerenstrafe.79 Bei allem Lob fehlte Beda jedoch der haushälterische Sinn seines Vorgängers; zur Zeit seines Todes hinter-liess der Abt eine Schuldenlast, die eine Million Gulden80 bei Weitem überstie-gen zu haben scheint.81

2.3 Rechtssystem

2.3.1 Gerichts- und Verwaltungswesen

2.3.1.1 Grundlagen

Die Gerichtsorganisation der Alten Landschaft ab dem ausgehenden 14. Jahr-hundert zeichnet sich gegenüber der mittelalterlichen Gerichtsverfassung insbe-sondere dadurch aus, dass den äbtischen Gerichten neu die gesamte Bevölke-rung des Landes unterstand und auf Verschiedenheit der Stände oder der 78 TREMP [2005], S. 130, WEIDMANN [1834], S. 6 f. 79 PETER, [1997]. 80 Der Gulden ist eine Münze aus Gold mit einem Gewicht von 3.54 Gramm. Die erstmals

1252 in Florenz geprägte Münze erscheint in Schweizer Quellen bereits um 1300, erste Funde stammen aus dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts. Eine eigene Prägung setzte erst später und nur im deutschsprachigen Gebiet ein. Bei seiner Einführung im Spätmittel-alter entsprach der Gulden in der Regel einem Pfund lokaler Währung, Ende des 15. Jahr-hunderts war der Wert jedoch bereits auf zwei Pfund gestiegen. Im 18. Jahrhundert präg-ten neben anderen Orten auch Stadt und Fürstabtei St. Gallen Silbermünzen mit der Be-zeichnung Gulden, vgl. SCHMUTZ/ZÄCH, Gulden, e-HLS [2005]. Ein Gulden (fl.=florin) bestand aus 15 Batzen oder 60 Kreuzern und ein Kreuzer entsprach acht (bisweilen sie-ben) Hellern; EHRENZELLER ERNST [1988], S. 72 und S. 227; BAUMANN MAX [2003],S. 134. Ein Pfund war seit dem Frühmittelalter bis zur Einführung des Frankens 1850 in der Schweiz eine Recheneinheit zu 240 Pfennigen [SCHMUTZ, Pfund (Währung), e-HLS (2006)].

81 THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 93. Ildephons von Arx kritisierte Abt Beda in seiner St. Galler Geschichte wegen der Schuldenwirtschaft und bezeichnete ihn gar als charakterschwache Persönlichkeit und daher als unfähigen Regenten; VON ARX,Bd. 3 [1813], S. 640, 642, 646.

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Rechtstitel, unter denen sie unter die äbtische Herrschaft gelangt waren, grund-sätzlich keine Rücksicht mehr genommen wurde. Die Landeshoheit konnte so-mit alte Standesunterschiede überwinden und den Weg zum Staatsbürgertum ebnen.82

Der jeweilige Abt des Stifts St. Gallen liess die Regierungsgeschäfte teils durch geistliche, teils durch weltliche Beamte besorgen. Die wichtigsten geistli-chen Beamten waren der Dekan, Vorsitzender des Pfalzrates und Haupt des Konvents, der Statthalter und der Offizial83. An weltlichen Ämtern existierten neben demjenigen des Landshofmeisters, des Hofkanzlers und des Lehenvogts in St. Gallen jene des Hofammanns und des Lehenvogts zu Wil sowie mehrerer Vögte und Obervögte.84

Im 18. Jahrhundert wies die Alte Landschaft folgende Verwaltungs- und Ge-richtsorganisation auf: Die Ortschaften waren gebietsmässig eingeteilt in ein Oberamt und in ein Unteramt, das auch Wileramt genannt wurde und aus zwölf Niedergerichten85 bestand. Das Oberamt gliederte sich in das Landshofmeister-amt, das Rorschacheramt86, das Oberbergeramt87 und das Romanshorneramt88.

82 CAVELTI [1914], S. 81 f. 83 Der Offizial war der Vertreter des äbtischen Ordinariats, zuständig u.a. für die Überwa-

chung der Pfarrei und die Sorge für das Schulwesen, vgl. STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 5.

84 Obervögte zu Rorschach und zu Oberberg; im Toggenburg der Landvogt in Lichtensteig, der Vogt auf Iberg und der Vogt zu Schwarzenbach; im Rheintal der Vogt auf Rosenberg, der Vogt zu Blatten, der Gerichtsammann von Altstätten; im Reich der Vogt zu Neura-vensburg; HOLLENSTEIN LORENZ, Oberbeamte [2005], S. 76; GMÜR [1903], S. 1. ZurVogtgerichtsbarkeit im Mittelalter vgl. etwa GANAHL [1931], S. 71 ff.

85 Zuzwil, Lenggenwil-Thurstuden, Niederhelfenschwil, Zuckenriet, Niederbüren, Oberbü-ren, Schneckenbund (Bronschhofen, Rossrüti, Trungen), Thurlinden, Rickenbach, Berg-gericht (um Wuppenau), Hüttenswil und Wängi (die letzten vier ganz im Thurgau, Thur-linden zum Teil), vgl. MÜLLER, Einleitung [1974], S. XI.

86 Bestehend aus den vier Niedergerichten Rorschach, Goldach, Steinach und Mörschwil sowie den Schlössern Wartensee und Sulzberg mit kleinen eigenen Gerichtsbezirken als Lehen des niederen Adels, vgl. MÜLLER, Einleitung [1974], S. XI.

87 Bestehend aus den sieben Niedergerichten Gossau, Oberdorf, Andwil, Niederwil-Geb-hardschwil, Oberarnegg-Neuandwil, Waldkirch und Sitterdorf (im Thurgau), vgl. MÜL-LER, Einleitung [1974], S. XI.

88 Bestehend aus den fünf Niedergerichten Romanshorn, Kesswil, Dozwil, Herrenhof und Zuben, vgl. MÜLLER, Einleitung [1974], S. XI.

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Die Fürstabtei St. Gallen 1468-179889

Legende:

Die Ortschaft Tablat90, das Zuhause von Joseph Egger, war dem Landshof-meisteramt zugehörig. Dieses umfasste das Hofgericht mit den Hauptmann-schaften91 Straubenzell, Gaiserwald, Bernhardzell, Wittenbach, Berg, Rotmon-ten und Lömmenschwil sowie Tablat und Muolen und die im Thurgau gelege-nen Niedergerichte Sommeri, Hagenwil, Hefenhofen und Roggwil.92 Das

89 Quelle: ZANOLI MARCO, 2005, http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/3/3d/

Fuerstabtei_St_Gallen.png, (Datum des letzten Besuchs: 11. Juli 2008). 90 MAYER MARCEL, Tablat, e-HLS [2005]. 91 Die Hauptmannschaften wurden im Gegensatz zu den Gemeinden nicht von einem Am-

mann, sondern von einem Hauptmann regiert und besassen keine eigenen Offnungen; THÜRER, Staatswesen [1963], S. 57.

92 MÜLLER, Einleitung [1974], S. XI; HOLLENSTEIN LORENZ, Landshofmeisteramt, e-HLS [2005].

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Landshofmeisteramt unterstand im Gegensatz zum Rorschacheramt, das von einem Obervogt und einem geistlichen Statthalter verwaltet wurde, lediglich einem weltlichen hohen Beamten der äbtischen Regierung, dem Landshofmeis-ter, der auch den Vorsitz im Hofgericht als Hofammann bzw. Hofmeister führ-te.93 Der Landshofmeister war erster Minister des Abts mit Regierungs- und Richterfunktionen sowie mit diplomatischen Aufgaben wie der Vertretung an der Tagsatzung.94

Das äbtische Untersuchungsgefängnis war in einem Turm hinter dem Wirts-haus «Hirschen» in St. Fiden untergebracht, die Richtstätte befand sich auf dem Espen.95 Das Wirtshaus diente als Gerichtslokal bei den Einvernahmen der In-sassen des Gefängnisturms. Bei der Kapelle St. Fiden stand zu Zeiten von Abt Ulrich Rösch ausser der Kaplanei kein anderes Haus, weshalb der Abt für die Gerichtssitzungen das Wirtshaus bauen liess.96 Auch der Sitz des Niedergerichts Tablat befand sich im «Hirschen».97 Der Gefängnisturm wurde unter Abt Bern-hard98 gebaut, der in seinem Rechnungsbuch 1619 festhielt:

«Item hab’ ich ein Thurm und Gefangenschaft mit allen Notwendigkaitten, den Bluottpann und Malefizgericht desto besser und komlicher zue üben und verrichten, zue St. Fiden an dem Wirttshaus lassen bauwen, thutt solcher Bauwkosten, laut specificierter Rechnung, in allem – fl. 829.»99

2.3.1.2 Hohe und niedere Gerichtsbarkeit

Bei der Gerichtsbarkeit vor 1800 ist zwischen geistlicher und weltlicher zu un-terscheiden, wobei letztere die Einteilung in Hoch- und Niedergerichtsbarkeit kennt.100 Die geistlichen Statthalter des Abtes durften nach Kirchenrecht nicht

93 GMÜR [1903], S. 295; STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 4; STAUB [1988], S. 72; MÜLLER,

Offnungen [1964], S. 74. 94 HOLLENSTEIN LORENZ, Landshofmeisteramt, e-HLS [2005]. 95 ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 52. 96 VON ARX, Bd. 2 [1811], S. 361. 97 STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3. 98 Bernhard Müller, geb. 1557, gest. 1630, Abt von 1594 bis 1630, Biographie bei DUFT ET

AL. [1986], S. 161 ff. 99 StiASG, Bd. 879, S. 143b; Wiedergabe bei WEGELIN, Materialien [1855], S. 43. 100 DUBLER, Gerichtswesen, Kap. 1.2, e-HLS [2005]; CARLEN, Rechtsgeschichte [1988],

S. 31.

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über Leben und Tod richten, sodass diese Aufgabe den weltlichen Beamten übertragen wurde.101

Weil bei der Bestrafung Blut floss, nannte man die Hochgerichtsbarkeit auch Blutgerichtsbarkeit.102 Das Hoch- oder Blutgericht war zuständig für die Bestra-fung von Verbrechen gegen Leib und Leben wie Tötungs- und schweren Kör-perverletzungsdelikten sowie von Sexualverbrechen, Raub, schwerem Diebstahl und Verbrechen gegen die Obrigkeit.103 Auch Verbrechen gegen die Ehre konn-ten todeswürdig sein.104 Seit dem Hochmittelalter war die hohe Gerichtsbarkeit ein königliches Privileg, das unter anderem durch die Verleihung des hochge-richtlichen Rechts zum Richten über Leben und Tod, dem sog. Blutbann, le-hensrechtlich übertragen wurde.105 Grundsätzlich konnte für die Blutgerichtsbar-keit räumlich auch das Dorfgericht zuständig sein. In diesem Falle hatte ein Vertreter der Landesherrschaft, der Landvogt oder Amtmann, den Vorsitz.106

Als Symbol umfassender hoheitlicher Machtbefugnisse einer Herrschaft haf-tete dem Blutbann ein enormes Prestige an.107 Dem Kloster St. Gallen kam 1466 und 1487 die Verbundenheit mit dem Reich zugute: Es erhielt vom Reich für die Reichsvogtei Rorschach und weitere Vogteien den Blutbann108 mit der Auf-lage, dass die Abtei ihre Untertanen nach Reichsrecht zu beurteilen und zu stra-fen habe. Das übrige in der Abtei geltende Recht sollte hiervon nicht betroffen

101 «Ecclesia non sitit sanguinem» – die Kirche dürstet nicht nach Blut; SPECKER [1987],

Beitrag vom 31. Juli 1987; STAERKLE, Obervögte [1951], S. 23. 102 PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 106, Rz. 164. 103 HIRSCH [1922], S. 16 ff., zur Abgrenzung von Hoch- und Niedergericht S. 50 ff.; WIL-

LOWEIT [2005], S. 108. 104 CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 31. 105 MERZBACHER [1978], Sp. 172 f. Die Überzeugung der Stauferzeit, alle Gerichtsbarkeit

gehe vom König aus, hatte sich tief in das Bewusstsein der nachfolgenden Generationen eingegraben; WILLOWEIT [2005], S. 122.

106 SIMON, Grundherrschaft [1995], S. 18, sowie zur «Verdorfung» des Gerichts S. 16 f. 107 GSCHWEND/KRAMER, Gerichtshoheit [2005], S. 18. 108 Zum Wortlaut des Lehenbriefs Kaiser Friedrichs III. zuhanden des Gotteshauses St. Gal-

len betreffend den Blutbann für das Gericht Rorschach StiASG, Bd. 66, S. 87, abgedruckt bei WEGELIN, Materialien [1855], S. 31; sowie die beiden weiteren Privilegien zum Blut-bann von 1469 und 1487, StiASG, Bd. 66, S. 89 und 98, Auszüge abgedruckt bei WEGE-LIN, Materialien [1855], S. 32 bis 34; vgl. auch WILLI [1947], S. 149 f.; STAERKLE, Ober-vögte [1951], S. 23.

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sein.109 Die Blutgerichtsbarkeit wurde schliesslich auf das ganze Gebiet des Landshofmeisteramts ausgedehnt.110

Gemäss einer das Malefiz betreffenden Bestallungurkunde111 des Landshof-meisters aus dem Jahr 1775 verlieh der Abt dem Landshofmeister

«auss kayserl. gewalt und freiheit in dem ganzen hoffmeister-ambt, und anderen orthen, dahin wür ihne deputieren wurden, auch den pann mit der hand über das bluet und ue-belthäter zu richten, [sie] zu fangen, auch peinlich zu fragen, und die urthel über sie lassen zu fellen, nach jedes verdienen [...]».112

Der Landshofmeister sollte dem Abt die Gefangennahme des Delinquenten unter Angabe des Grundes anzeigen und schliesslich die Examination und den ganzen Inquisitionsprozess dem Hofkanzler oder einem vom Abt bestimmten Vertreter überlassen.113

Im Gegensatz zur Blutgerichtsbarkeit befasste sich die niedere Gerichtsbar-keit mit kleineren Delikten wie Raufereien, Übertretung von Marktvorschriften und Sittenmandaten, in aller Regel Ehrverletzungen und dergleichen.114 Nieder-gerichte deckten sich oft mit den Gemeindebezirken. Sie durften nur leichte Strafen verhängen, nicht aber schwere Körperstrafen oder gar Lebensstrafen.115

Verbreitet waren Geldbussen.116 Neben den erwähnten leichteren Strafsachen fiel insbesondere bei Klagen betreffend Güterbesitz und Geldschuld auch die Zivilgerichtsbarkeit in den Zuständigkeitsbereich der Niedergerichte. Weiter

109 GRAF [1996], S. 63.110 GMÜR [1903], S. 197. Siehe auch ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 53; WEGE-

LIN, Materialien [1855] , S. 42.111 Unter dem Begriff Bestallung wurde die Einsetzung in ein Amt oder in einen Dienst ver-

standen; Meyers grosses Konversations-Lexikon, Bd. 2 [1885], S. 818. 112 Bestallung des fürstl. st. gallischen landshofmeisters das malefiz betreffend, 1775,

Art. 17, StiASG, Rubr. 27, Fasz. 5. 113 Bestallung des fürstl. st. gallischen landshofmeisters das malefiz betreffend, 1775,

Art. 18, StiASG, Rubr. 27, Fasz. 5. 114 «Kleiner Frevel», vgl. SIMON, Grundherrschaft [1995], S. 26 f. Gemäss CARLEN betraf die

niedere Gerichtsbarkeit ab dem späten Mittelalter grundsätzlich alle Sachen der bäuerli-chen Bevölkerung ausser die Blutsachen; CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 31. Wei-tere Beispiele für Fälle niederer Gerichtsbarkeit bei HOLENSTEIN THOMAS [1934], S. 42; MERZBACHER [1978], Sp. 174.

115 BLESS-GRABHER, S. 265. Ausführungen mit weiteren Literaturangaben zur Hoch- und Niedergerichtsbarkeit bei GSCHWEND/KRAMER, Gerichtshoheit [2005], S. 17 f.

116 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 102.

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unterstanden ihnen das Pfandwesen und die Beistandschaften117 sowie verschie-dene Überwachungs- und Kontrollaufgaben.118

Eine klare Trennung der Zuständigkeiten von Hoch- und Niedergericht gab es jedoch nicht; oft umstritten war die Zuordnung der Körperverletzungsdelik-te.119 Vom Niedergericht konnte mithin der ehrliche Totschlag behandelt wer-den, wie dies die Offnungen in der Fürstabtei St. Gallen teilweise vorsahen. Diese Tat wurde in der Regel mit einer Geldstrafe gebüsst. Der Täter wurde nur dann mit dem Hochgericht bedroht, wenn die gütliche Verständigung mit den Hinterbliebenen des Erschlagenen nicht gelang.120 Der unehrliche Totschlag und der Totschlag über Friedegebot galten als Mord und damit als Fall für das Blut-gericht.121 Dort kamen die Bestimmungen der Constitutio Criminalis Carolina122

zur Anwendung.

Das Hofgericht des Landshofmeisteramts war als Niedergericht123 zuständig für sieben Hauptmannschaften.124 Es hatte seinen Sitz auf der Pfalz.125 Bis Mitte des 15. Jahrhunderts hatte Tablat zur Vogtei Wittenbach und mit dieser zum Hofgericht gehört. Etwa im Jahre 1458126 wurde ein eigenes Gericht Tablat ge-schaffen, wozu auch St. Fiden und St. Georgen gehörten. Es war wie das Hofge-richt ein Niedergericht.127 Das Tablater Gericht entschied über kleinere Rechts-händel und die in der Offnung von Tablat aus dem Jahre 1471 genannten Ver-gehen. Zudem vertrat es die Interessen der Gemeinde nach innen und aussen.128

1613 wurde dem Gotteshaus St. Gallen für das Gericht Tablat von Kaiser Mat-

117 DUBLER, Gerichtswesen, Kap. 1.2, e-HLS [2005]. 118 GSCHWEND/KRAMER, Gerichtshoheit [2005], S. 18. 119 PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 106, Rz. 164. 120 Mit Quellenangaben MÜLLER, Offnungen [1964], S. 88, Fn. 282; siehe auch S. 100 f. 121 MÜLLER, Offnungen [1964], S. 88, S. 101. 122 Siehe dazu unten Kap. 2.3.2.2. 123 STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3; VON ARX, Bd. 2 [1811], S. 605.124 Staubenzell, Gaiserwald, Wittenbach, Lömmenschwil, Bernhardzell, Rotmonten und

Berg.125 Heutiges Regierungsgebäude, ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 51. 126 Siehe zur Unsicherheit über das Entstehungsjahr der Gemeinde Tablat STAERKLE, Tablat

[1991], S. 28; vgl. auch HOLENSTEIN THOMAS [1934], S. 12.127 MENOLFI, Hofleute [1991], S. 85. 128 STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3. Siehe zum Gericht Tablat auch ENGENSPERGER

[1953], S. 29.

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thias129 der Blutbann verliehen.130 Abt Bernhard hatte dies beantragt, damit die Übeltäter nicht mehr auf die «ungefehr zwo stundt» entfernte Urteilsstätte in Rorschach gebracht werden müssten.131

2.3.1.3 Der Pfalzrat, das «höchste tribunal der gerechtigkeit»132

Das oberste fürstäbtische Gericht war der ebenfalls auf der Pfalz ansässige Pfalzrat. Er ist seit dem 14. Jahrhundert als Pfalzgericht urkundlich erwähnt, ab dem 16. Jahrhundert bis zum Ende seines Bestehens im Jahre 1799 wurde es als Pfalzrat bezeichnet.133

Der Pfalzrat war nicht nur eine Gerichts-, sondern auch eine Verwaltungsbe-hörde und bestand aus verschiedenen geistlichen Mitgliedern134 sowie aus Mit-gliedern des weltlichen Stands wie dem Hofmarschall, dem Landshofmeister, dem Kanzler, dem Lehenvogt und den Obervögten der einzelnen Ämter des Oberamts.135 Zwischen Pfalzrat und Vögten bestand eine enge Beziehung, was etwa in der mehr oder weniger intensiven Korrespondenz bei der Führung von Kriminalprozessen zum Ausdruck kommt.136 Bei Durchsicht der Protokolle fällt auf, dass der Pfalzrat jedoch wohl kaum jemals in voller Besetzung tagte.

Bei den Akten des Stiftsarchivs findet sich eine «ordnung, wie die pfaltz-räth sollen gehalten werden» aus dem Jahr 1636.137 Die Ordnung besteht aus zehn Artikeln. Diese befassen sich insbesondere mit dem von den Parteien vor Ge-richt geforderten Verhalten.138 Weiter legen sie fest, dass «fräffell undt täglich vorfallende händell alle monat abgestrafft und gericht werden [sollen], damit 129 Matthias, geb. 1557, gest. 1619, war von 1612 bis 1619 Kaiser des Heiligen Römischen

Reichs.130 Der kaiserliche Lehenbrief über den Blutbann vom 21. Oktober 1613 ist bei GMÜR

[1903], auszugsweise abgedruckt, S. 238 f. 131 StiASG, Bd. 66, S. 149. Die entsprechende Vorstellung Abt Bernhards und die kaiserliche

Konzession sind auszugsweise abgedruckt bei WEGELIN, Materialien [1855], S. 42. 132 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 4, Ziff. 1. 133 GSCHWEND, Pfalzgericht, e-HLS [2006]. 134 Dekan, Statthalter und drei weitere Konventualen, MOSER-NEF, Bd. 1 [1931], S. 341. 135 MOSER-NEF, Bd. 1 [1931], S. 341. 136 MEIER ALBERT [1911], S. 133. 137 StiASG, Bd. 314, S. 202 ff. 138 StiASG, Bd. 314, Art. 2 bis 5.

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nichts verscheine, und dass bös desto mehr verhüot unndt abgeschafft werde».139

Aus dem Jahr 1723 ist eine weitere Pfalzratsordnung im Stiftsarchiv erhalten.140

Diese wurde von Abt Joseph141 erlassen und umfasst neun Punkte. Ein besonde-res Anliegen in dieser Ordnung war dem Abt offensichtlich die Gewährleistung einer sauberen Aktenführung und -verwaltung.142 Diese kurze Pfalzratsordnung erachtete Abt Joseph aber nicht als ausreichend. Im Jahr 1733 schuf er ein aus-führliches, 119 handschriftliche Seiten umfassendes «concept hochfürstlicher st. gallischer pfalzrathsordnung». Darin hält «Wür Josephus von Gottes gnaden des Heiligen Römischen Reichs fürstabbte zu St. Gallen und St. Johann im Thurthal ritter des königlichen ordens der jungfräulichen verkündigung Mari-ae»143 folgende Kundschaft fest:

«[...] folgsam hoch- und nideren tribunalien und gerichten allermänniglich ein gleiches recht gehalten, mit pflichtmässigen eifer beförderet und mit unparteischem gemüeth ertheil-let werden möge: zue disem zihl und ende auch, gleich unsern in gott ruhenden herren vor-fahren in der regierung, alle die jenige, welche in unserm nammen und gewalth unsern fürstlichen pfalzrath allhier zu dirigieren, deme bei zu wohnen, auch dabei urtel und recht zu sprechen und zu vollziechen haben, mit besonderen ambtsinstructionen und verordnun-gen, wie ein jeder derselbe seine obligenheit zu beobachten habe, versehen. [...]»144

Diese «besondere pfalzrathsordnung»145 Abt Josephs enthält eine Vielzahl ausführlich dargelegter prozessrechtlicher Regeln für ein Gerichtsverfahren vor dem Pfalzrat. In der Ordnung wird dieser als «das höchste tribunal der gerech- 139 StiASG, Bd. 314, Art. 7. 140 StiASG, Bd. 324, S. 877 ff. 141 Abt Joseph wird als «ausgezeichneter Regent und Abt» beschrieben, dessen «Regierung

und Wirksamkeit eine wohlgeordnete in allen Richtungen [...]» war, BAUMGARTNER [1868], S. 104.

142 So legte Abt Joseph etwa Folgendes fest: «Erstlich von nun an alle unsere acta politica, tam publica, quam privata, sambt allen bissherigen geführten prothocollis, von all denen-jenigen, so dergleichen bey ihren handen haben möchten, unserm hofcantzler in das cantzley-archiv geliffert, von demselben aber das künfttig einkommende quo ad substan-tiam kurzlich rubriciert, nachgehendts auch niemandt keine acta ohne schein und mithin deren ordentliche restitution, von ihme mehr extradirt»; StiASG, Bd. 324, Punkt 1.

143 Eine solche Einleitung, die sich in ähnlicher Form etwa auch in Bestallungsurkunden findet, war in Form und Inhalt ganz und gar charakteristisch für einen fürstlichen Souve-rän aus der Zeit des Absolutismus; vgl. etwa den Ausschnitt aus der Bestallungsurkunde für Joseph Sartory von Rabenstein als Obervogt zu Rorschach bei SPECKER [1987], Bei-trag vom 1. September 1987.

144 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 2. 145 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 3.

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tigkeit in unsern stüfft st. gallischen landen» bezeichnet.146 Oberstes Haupt und Richter seien allein «wür147 und ein jeder regierender fürst, abbt und herr zu St. Gallen selbst».148 Wenn der Abt der Verhandlung nicht selbst beiwohnte, so war der Dekan sein Stellvertreter. War auch dieser verhindert, so hatte der Landshofmeister beim Abt nachzufragen, wer nun den Vorsitz übernehmen soll-te. Der Abt würde für die Verhandlung «das nöthige verordnen [...] damit keine saumsal erscheine, noch einige zeit in beförderung der justiz und der partheyen vernachlässiget werde».149 Damit der Pfalzratsordnung verlässlich nachgelebt werden könnte, sollte diese alle zwei Jahre vom Ratssekretär dem versammelten Rat vorgelesen und dem Präsidenten sowie jedem der Pfalzräte ein Exemplar ausgehändigt werden.150 Materiell-rechtliche Regeln enthält die Ordnung nicht.

Die Zuständigkeiten des Pfalzrats waren vielfältig. Er nahm die Stellung ei-ner Appellationsinstanz für alle Gerichte des Oberamts151 ein.152 Urteile aller Niedergerichte konnten an den Pfalzrat weitergezogen werden.153 In den Proto-kollen des Pfalzrats finden sich zahlreiche Prozesse wegen Ehrverletzungen und übler Nachrede, weitere wegen Kauf- und Erbangelegenheiten oder der «verlet-zung der guten nachbarschaft». Wichtigere Fälle wie etwa grössere Vergehen, die Errichtung von Testamenten o. ä. wurden nicht von den Niedergerichten behandelt, vielmehr entschied der Pfalzrat (bzw. der «Ledige» Pfalzrat154) dar-über direkt.155 Der Pfalzrat wachte zudem über die Gemeindeverwaltungen, und

146 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 4, Ziff. 1. 147 Gemeint ist damit der jeweilige Abt. 148 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 4, Ziff. 1. 149 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 6, Ziff. 3. 150 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 70. 151 Bestehend aus Landshofmeisteramt, Rorschacher Amt, Oberberger Amt und Romanshor-

ner Amt, siehe Kap. 2.3.1.1. 152 Für die Gerichte des Unteramtes war der sog. Wiler Pfalzrat Appellationsinstanz, siehe

MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 164. Dieser besondere Pfalzrat wurde wohl durch Abt Ulrich Rösch geschaffen, weil Wil die zweite Residenz des Abtes war, vgl. STAERKLE,Hofstaat, S. 47 f. Siehe auch THÜRER, Staatswesen [1963], S. 57.

153 STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3; VON ARX, Bd. 2 [1811], S. 606. 154 Siehe sogleich. 155 STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 3.

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zwar nicht nur in Verwaltungsstreitigkeiten, sondern auch in reinen Ermessens-fragen.156

Der Pfalzrat war die höchste und damit letzte Gerichtsinstanz.157 War das Ur-teil erst einmal gefällt, so sollte den Parteien nicht mehr viel Gehör erteilt, son-dern der Vollzug des Urteils beförderlich behandelt werden. Sollte eine Partei jedoch mit neuen, zuvor nicht bekannten Dokumenten oder Zeugen vorstellig werden oder sonst einen wichtigen rechtsbeständigen Grund geltend machen, so sollte sie an den Abt gelangen und um Revision ersuchen können. Dieser würde dann die gebührende Resolution darüber erteilen.158

Richtete der Pfalzrat über grössere Strafsachen, so nahm er den Charakter ei-nes Malefizgerichts an.159 Den Kriminalprotokollen160 ist zu entnehmen, dass er in den Fällen der Strafgerichtsbarkeit als «Lediger Pfalzrat» bezeichnet wurde, der in der Regel nur mit weltlichen Mitgliedern besetzt war. In gewissen Fällen von weit reichender Bedeutung führte jedoch der Abt den Vorsitz. Die Notwen-digkeit einer eigenen Instanz für Kriminalfälle begründete Abt Joseph in der Pfalzratsordnung 1733 folgendermassen:

«Wann es aber geistliche sachen in ihrer natur, aigenschafft, und rechten anbetrifft, so sol-len solche ad forum ecclesiasticum, die criminalia aber ad forum criminale verwiesen, folg-sam weder die instanzien, die grichten, noch die an einen jeden orth, und richter gehörige causae, personen und sachen vermischt werden.»161

Die Zuständigkeit des Pfalzrats als Malefizgerichts ist bisher kaum erforscht. Möglicherweise hatte der Ledige Pfalzrat sich für die einzelnen Strafverfahren zu den jeweiligen Blutgerichtsstätten – etwa den Obervogteien Rorschach und Oberberg – zu begeben. Dies würde erklären, weshalb Abt Bernhard 1613 daran 156 ENGENSPERGER [1953] zitierte diesbezüglich Fr. von Wyss, der sich betreffend die pfalz-

rätliche Kontrolle der Gemeinden dahingehend äusserte, dass dies die Art der Rechtspre-chung jener Zeit gewesen sei, die Rechtliches und Administratives nicht genau voneinan-der unterschieden und auf Zweckmässigkeit grosse Rücksicht genommen habe, S. 48.

157 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 54 f. 158 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 66 ff. 159 ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 52; BAUMANN MAX [2003], S. 58. Betreffend

Zuständigkeiten von Pfalzrat und Hofgericht siehe auch MOSER-NEF, Bd. 1 [1931], S. 341 ff.

160 Der Fall Egger findet sich im Stiftsarchiv St. Gallen in Bd. 1074 der Kriminalprotokolle, S. 3 bis 77.

161 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 17.

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gelegen war, den Blutbann auch in Tablat ausüben lassen zu dürfen; wie WILLI

festhält, war dieses Anliegen mit der günstigeren Lage für die Pfalzräte und da-mit der Reduktion der Kosten zu begründen.162

Im Register zu den im Stiftsarchiv St. Gallen vorhandenen Gerichtsprotokol-len findet sich für den Pfalzrat auch die Bezeichnung «Samstags- und Appella-tionsrath». Die Sitzungen fanden jedoch nicht etwa nur samstags statt. Gemäss Pfalzratsordnung sollten die Verhandlungen einmal wöchentlich jeweils am Mittwoch abgehalten werden. War dieser ein Feiertag, so sollte der Landshof-meister nach Rücksprache mit dem Abt einen anderen Wochentag festlegen.163

Die Gerichtsprotokolle belegen hingegen, dass die Verhandlungen an allen Wo-chentagen (selten sogar an Sonntagen) ohne erkennbare Regelmässigkeit statt-fanden. Kriminalprotokolle des Ledigen Pfalzrats sind im Stiftsarchiv St. Gallen für den Zeitraum von 1555 bis 1799 erhalten.

In der Pfalzratsordnung wurde verankert, dass an den jeweiligen Verhand-lungstagen die Sitzungen der Pfalzräte von Ostern bis Michaeli164 um acht Uhr und im Winter um halb neun Uhr vormittags «auf den gloggen streich» zu be-ginnen hätten. Auch die Gerichtsferien sind in der Ordnung festgehalten und dauerten von Weihnachten bis zum 6. Januar165, vom Sonntag vor bis Sonntag nach Aschermittwoch166, während der ganzen österlichen Zeit, in der Woche um Fronleichnam167 sowie in der Zeit «des würckhlichen heüet, schnitt, und weinle-se» und an «allen ganz, und halben feyrtägen das ganze jahr hindurch», wobei «auch auf die jahr- und marckt täge zu St. Gallen, Wyll, Liechtensteig, Ror-schach, Altstetten, und Bischoffzell, absonderlich in ansehen der jenigen, wel-che solche besuechen, behörige achtung zu haben» sei.168 Nicht zuletzt vor dem

162 WILLI [1947], S. 150.163 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 23, Ziff. 15. 164 Der Tag des Erzengels Michael ist der 29. September. Zu Begriff und Fest siehe Lexikon

der Bräuche und Feste [2007], S. 262 und S. 461. 165 «Vigilia Nativitatis Domini» bis «ad festum Epiphanie», StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Kon-

zept S. 26, Ziff. 17; zu den Begriffen und Festen siehe Lexikon der Bräuche und Feste[2007], S. 417 ff., S. 446, S. 466.

166 Gemäss StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 26, Ziff. 17 in der «ganzen wochen Quin-quagesimae»; zum Begriff siehe Lexikon der Bräuche und Feste [2007], S. 26 f.

167 Gemäss StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 26, Ziff. 17 in der «ganzen Corporis Christi woch»; zu Begriff und Fest siehe Lexikon der Bräuche und Feste [2007], S. 120 ff.

168 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 26 f., Ziff. 17.

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Hintergrund, dass das katholische Jahr auch im 18. Jahrhundert noch viele Fei-ertage kannte, wird deutlich, dass der Geschäftsgang an zahlreichen Tagen im Jahr nicht stattfinden konnte. In Einzel- und Landmandaten der Alten Land-schaft kommt der Feiertagsheiligung eine grosse Bedeutung zu; viele Sätze rich-ten sich gegen die Verletzung der Sonn- und Feiertage.169 Dass wie erwähnt in seltenen Fällen sogar Protokolleinträge von Verhandlungen am Sonntag vor-handen sind, vermag somit zu erstaunen.

Die vor dem Pfalzrat anfallenden Gebühren sind im Konzept von 1733 nicht geregelt. Es verweist jedoch auf eine Taxenordnung.170 Im Stiftsarchiv ist eine am 24. Juli 1783 erstellte Abschrift einer «taxen ordnung» erhalten, «das raths secretariat betreffend, wie solche in einer alten copia bey der hochfürstl. kanzley vorgefunden, und auf gnädigsten befehl sr. hochfürstlichen gnaden, dem darma-ligen herrn rats secretario Anton Pankrazius Bossart171 zu dessen verhalt bestel-let worden.»172 Aus welchem Jahr das ursprüngliche Exemplar der Taxenord-nung stammte, wurde in der Abschrift von 1783 nicht festgehalten. Die Taxen-ordnung führt auf sieben Seiten die Gebühren für verschiedene Handlungen vor dem Pfalzrat auf, so etwa die Einschreibgebühren, die Appellationsgebühren, die Gebühren für Rechtsschriften, Urteilsbriefe, Testamente und dergleichen. Neben solchen Bestimmungen enthält die Ordnung verschiedene Zulassungs-voraussetzungen. So konnte beispielsweise grundsätzlich an den Pfalzrat appel-liert werden, ohne dass man sich vorher beim Landshofmeister oder sonst wo melden musste, sofern die Appellation «jnnert der gewöhnlichen tage geschehe» und die Sache «appellabel» sei.173 Die gewöhnliche Einschreibgebühr betrug zwölf Kreuzer. Weiter wurde in der Taxenordnung geregelt, in welchen Fällen

169 Vgl. die Ausführungen mit Beispielen bei MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 242. In der

letzten Fassung des Landmandats sind sämtliche Sonn- und Feiertage aufgelistet, die «alle Gottshaus Leuth» halten sollten; Landmandat 1761, Art. 2, RQSG (Alte Landschaft), S. 111. Siehe auch VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 72 f.; MÜNCH [1992], S. 420 ff.

170 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 80. 171 Anton Pankraz Bossart war von 1783 bis 1797 Sekretär des fürstlichen Pfalzrats, später

Obersekretär der Verwaltungskammer des Kantons Säntis. Er wurde mit allen Mitgliedern der Kammer am 22. Mai 1799 verhaftet und abgesetzt; Historisch-biographisches Lexi-kon, Bd. 2 [1924], S. 319.

172 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Taxen ordnung, S. 1. 173 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Taxen ordnung, S. 1.

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welches Siegel mit welchem Wachs zu verwenden sei. Die Gebühren für Pro-zesse vor dem Ledigen Pfalzrat sind nicht explizit erwähnt.

2.3.2 Relevante Gesetzgebung

2.3.2.1 Grundlagen

Die Pfalzratsordnung von 1733 enthält Aussagen über das anwendbare Recht. So sollten sich die Pfalzräte

«[...] zu unparteilicher und gleicher administration der justiz folgendes zur richtschnur neh-men:

1. Unser fürstl. st. gall. landmandat sambt denen übrigen ausstruckentlich publicierten und üeblichen verordnungen der hochen obrigkeit.

2. Unser landt- und erbrecht, sprüch verträge, rechtmässig erlangte privilegia und freihei-ten, wie auch der gemeinden hoch-obrigkeitlich approbierte offnungen und einzüg.

3. die rechtmässige, billiche und von altem wohlhergebrachte guete ordnungen und ge-wohnheiten.

4. den rechtmässigen besiz- und üebung.

5. die gemeinen beschriben geist- und kayl. weltliche rechten in so weith solche in unsern landen anschlagen und observiert werden mögen.»174

Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Alten Landschaft im hohen Mittelalter und der frühen Neuzeit weist eine grosse Reichhaltigkeit auf. In der vorliegen-den Studie kann nur auf für den Fall Egger relevantes Recht näher eingegangen werden. Vom übrigen für das Pfalzgericht massgebenden Recht wird ein kurzer Abriss gegeben.

Durch die Fortentwicklung der Grundherrschaft war das Gebiet der Alten Landschaft in unzählige neue Gerichts- und Rechtskreise zerfallen, in denen eine Fülle neuen Rechts, sog. Hofrecht, entstand.175 Das alemannische Recht beeinflusste die Rechtsetzung und die Rechtsprechung indirekt und möglicher- 174 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 10 f., Ziff. 5 mit Unterziffern 1 bis 5. ENGENSPER-

GER [1953], der die Gemeinden betreffende Pfalzratsurteile untersucht hatte, wies darauf hin, dass die Urteile weniger auf strengem Recht als der alten Gewohnheit beruhten, S. 53.

175 GRAF [1996], S. 54; MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 155.

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weise auch direkt weiter. Der 1275/76 entstandene Schwabenspiegel176 etwa wurde in der heutigen Ostschweiz offiziell zwar nicht angewendet, wurde aber als subsidiäres Recht anerkannt und fand fragmentartig Eingang in die Rechte der Ostschweizer Gebiete. So zeugen beispielsweise die Weistümer von Tablat und Flawil von starkem Einfluss des Schwabenspiegels.177

2.3.2.2 Die Constitutio Criminalis Carolina

Bis ins späte Mittelalter kannte die Rechtsprechung im Heiligen Römischen Reich Elemente wie den Reinigungseid oder das Gottesurteil. Auch die Sühne durch Geldzahlung war verbreitet.178 Wie bereits erläutert, entwickelte sich die Hochgerichtsbarkeit als kaiserliches Privileg mit der Befugnis, über Leib und Leben von Menschen zu richten, erst im Hochmittelalter. Bestimmungen zum vom König verliehenen Blutbann finden sich etwa im Schwabenspiegel.179 Im Rahmen der Bemühungen um die Bekämpfung der Willkür und um klarere neue Gesetze einigte man sich am Wormser Reichstag von 1495 auf Reformen auf der Grundlage eines «Ewigen Landfriedens», der Fehde und Selbstjustiz unter-sagte, und gründete zur Unterstützung der Beschlüsse ein ständiges Reichs-kammergericht.180 Weiter entstand nach der Vorlage Johann von Schwarzen-bergs181 «Bambergischen Peinlichen Halsgerichtsordnung» von 1507 (CCB)182

176 Eine Übersicht dazu liefert KÖBLER [1997], S. 530. 177 GRAF [1996], S. 54 f., MOSEN-NEF, Bd. 5 [1951], S. 23 f.; S. 27. 178 FRAUENSTÄDT [1881], S. 46 ff.179 So Art. 92 des ersten Landrechtsteils des Schwabenspiegels. Dort heisst es u. a.: «[...] Wer

keinen Bann vom König hat, kann nicht richten, ausser zu Haut und Haar [...]», vgl.Art. 92 LandR I bei DERSCHKA [2002].

180 BLESS-GRABHER [2003], S. 268; WILLOWEIT [2005], S. 137 f. 181 In der aktuellen Forschung über die CCB wird der Nichtjurist Schwarzenberg zwar noch

als der politisch führende Kopf der Strafrechtsreform bezeichnet, man geht jedoch davon aus, dass bei der Redaktion die Rolle seiner juristischen Mitarbeiter (etwa die gelehrten Juristen von Egloffstein und von Rotenhan) wichtiger war, als man bislang glaubte; vgl. RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 51 f.; WESEL [2006], S. 396; LIEBERWIRTH [2006],Sp. 886.

182 Constitutio Criminalis Bambergensis, CCB; siehe statt vieler RADBRUCH, Carolina[1930], S. 317 ff.; KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 15 ff.; TRUSEN [1984], S. 99 ff.; EI-SENHARDT ULRICH [2004], S. 252 f., Fn. 351 f.

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die im Jahre 1532 verkündete «Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.183».184

Diese Constitiutio Criminalis Carolina (kurz: Carolina oder CCC) gilt als eines der wichtigsten Reichsgesetze des Heiligen Römischen Reichs. Sie war das letz-te grosse Werk der Reichsgesetzgebung.185 Durch sie wurde eine neue Epoche der deutschen Strafrechtspflege eingeleitet.186 Die Carolina war kein eigentliches Strafgesetzbuch, sondern eher eine Prozessordnung, die das «peinliche Verfah-ren» erneuern sollte, gleichzeitig aber Grundlage eines allgemeinen deutschen Strafrechts wurde und vielerorts bis ins ausgehende 18. Jahrhundert Anwendung fand.187 RADBRUCH bezeichnete die Carolina als Strafprozessordnung, in die ein Strafgesetzbuch eingeschalten sei.188 Neben den zahlreichen prozessualen Vor-schriften enthält die Carolina tatsächlich eine Reihe materiell-rechtlicher Be-stimmungen189, ist aber dennoch kein Strafgesetzbuch im heutigen Sinn. Es geht nicht um die Begründung der Strafbarkeit durch Festlegung des Straftatbestands im Gesetz; vielmehr setzt die Carolina das materielle Strafrecht als bestehend und im Wesentlichen bekannt voraus.190 Die Carolina bezieht sich nur auf «peinliche» Strafsachen, also auf mit Pein verursachenden körperlichen Strafen zu ahndende Taten. Leichtere Verfehlungen sind auf Klage des Verletzten im Zivilprozess in der Regel mit Geldbusse zu bestrafen.191 Am eingehendsten wer-den Tötungs- und Diebstahlsdelikte behandelt.192

183 Karl V., geb. 1500, gest. 1558, ab 1519 König des Heiligen Römischen Reichs, 1530 in

Bologna zum Kaiser gekrönt, Thronverzicht im Jahr 1556 zugunsten seines Sohnes Phi-lipp II. in Spanien und Burgund und zugunsten seines Bruders Ferdinand I. im Reich; SENN [2007], S. 450.

184 RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 49 ff.; SCHROEDER [1986], S. 333; EISENHARDT ULRICH[2004], S. 253 ff.

185 Zu den voneinander abweichenden Einschätzungen der Bedeutung der Carolina in unter-schiedlichen Zeiten siehe SCHILD, Rechtstag [1984], S. 119 ff.; RÜPING [1984], S. 161 ff.; GÜNTHER [1889], S. 286 f. Zur Entstehungsgeschichte mit weiteren Literaturhinweisen PÖLTL [1999], S. 37 ff.; im Weiteren BALDAUF [2004], S. 83 ff.; HATTENHAUER [2004], S. 424, Rz. 1206.

186 LIEBERWIRTH [2006], Sp. 889. HENKEL [1968], S. 39, bezeichnet die Carolina als den ersten grossen Wendepunkt in der deutschen Strafverfahrensentwicklung.

187 BLESS-GRABHER [2003], S. 268. 188 RADBRUCH, Carolina [1930], S. 323. 189 Insbes. Art. 104 bis 180 CCC; siehe auch LIEBERWIRTH [2006], Sp. 887. 190 KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 25. 191 KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 9.192 RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 52.

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Die Carolina erlangte auf dem heutigen Gebiet der Schweiz keine direkte Ge-setzeskraft, wurde aber in verschiedenen Regionen193 als subsidiäres Recht an-gewendet, wenn das eigene Recht eine Rechtsfrage nicht entschied.194 Im Ge-gensatz zu den meisten anderen Regionen der heutigen Schweiz verpflichtete die Fürstabtei St. Gallen ihre Vögte eidlich auf «die Rechtsprechung gemäss des heiligen Reichs peinlicher Gerichtsordnung».195 Sie hatten die «mit Druck gefer-tigte peinliche Halsgerichtsordnung gegenwärtig zu haben und nach derselben zu handeln».196 In Zweifelsfällen sollten sie sich beim Landesherrn oder bei Sachverständigen erkundigen.197 In der Fürstabtei wurde die Carolina also «sys-tematischer und mit bedeutend mehr Nachdruck von oben angewendet» als im restlichen Geltungsgebiet in der heutigen Schweiz.198 Neben dem Vogt mussten auch die beisitzenden Räte in ihrer Funktion als Untersuchungskollegium sowie die Schöffen auf die Carolina beeidigt werden; eine Praxis, die offenbar in der ganzen Alten Landschaft streng durchgeführt wurde.199 Im Verfahren machte sich der grosse Einfluss des Reichsgesetzes grundsätzlich vorteilhaft bemerkbar;

193 So in den drei Bünden des heutigen Graubündens, in Basel, im Gebiet des Fürstbischofs

von Basel, in Schaffhausen, im Wallis und im bernerischen Waadtland. In den Quellen von Luzern, Schwyz, Zug, Freiburg und dem Fürstentum Neuenburg finden sich Hinwei-se auf die Carolina, während sie die Stadt St. Gallen, Uri, Ob- und Nidwalden, Bern, Zü-rich, Solothurn und Genf nur unwesentlich beeinflusste; CARLEN, Rechtsgeschichte[1988], S. 41.

194 CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 41. Zu älteren Lehrmeinungen über die Geltung der Carolina PFENNINGER HEINRICH [1890], S. 80 f.

195 CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 41; siehe auch BLESS-GRABHER [2003], S. 269; SPECKER [1987], Beitrag vom 31. Oktober 1987.

196 Dies sahen etwa die Bestallungsurkunden der Obervögte vor; SPECKER [1987], Beitrag vom 31. Oktober 1987; MOSER-NEF, Bd. 7 [1955], S. 95 f. Das Stift St. Gallen verfügte neben Ausgaben der Carolina auch über Kommentarliteratur dazu, vgl. mit Quellenanga-ben MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 312, insbes. Fn. 92.

197 Mit Hinweis auf die entsprechendes vorschreibenden Bestallungen der Obervögte STAERKLE, Obervögte [1951], S. 24.

198 MEIER ALBERT [1911], S. 145. Dies könnte mit den Bedingungen zum Erhalt des Blut-banns zusammengehängt sein, vgl. die diesbezüglichen Ausführungen in Kap. 2.3.1.2. Siehe auch MOSER-NEF, Bd. 5 [1951], S. 30 f.; PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 122,Rz. 189.

199 MEIER ALBERT [1911], S. 137 und 145; siehe auch SPECKER [1987], Beitrag vom 31. Ok-tober 1987.

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man führte die Prozeduren vorsichtig aus und unterwarf etwa die Anwendung der Folter den Beschränkungen der Carolina.200

Das Pfalzgericht hatte gemäss oben zitierter Ziff. 5 der Pfalzratsordnung von 1733 die kaiserlichen Rechte und so auch die Carolina anzuwenden, «in so weith solche in unseren landen anschlagen und observiert werden mögen».201 Es ist anzunehmen, dass dieser Hinweis auf die Anwendung der kaiserlichen Rech-te als expliziter Verweis unter anderem auf die Carolina zu verstehen ist. Indi-zien dafür sind jedenfalls die eidliche Verpflichtung der entsprechenden Amts-träger der Alten Landschaft auf die Rechtsprechung nach der Carolina sowie etwa die Berufung auf die Carolina in den Akten zum Fall Egger.202

Betreffend materiell-rechtliche Bestimmungen griff man in der Fürstabtei für gewöhnlich wohl weitgehend auf die Carolina zurück, sind die Vorschriften der Pfalzratsordnung doch ausschliesslich formeller Natur. Die Pfalzratsordnung enthält im Übrigen eine Reihe von möglicherweise durch die Carolina beein-flussten formellen Vorschriften betreffend die Rechte der Parteien, so etwa zum rechtlichen Gehör, zum Beschleunigungsgebot bzw. Verzögerungsverbot und zur Verschwiegenheitspflicht der Pfalzräte oder deren Unparteilichkeits- und Unvoreingenommenheitsregeln.

2.3.2.3 Landsatzung und Landmandat der Alten Landschaft

Nach der Neuordnung des Landes durch Abt Ulrich Rösch im 15. Jahrhundert203

und der Entstehung der Alten Landschaft mit ihrer Verwaltungs- und Gerichts-organisation spielte die Vereinheitlichung und schriftliche Fixierung der Rechtsverhältnisse in den Gerichtsoffnungen eine bedeutende Rolle.204 Die gleichförmigen St. Galler Offnungen205 sind klar auf ein einheitliches, von der 200 MEIER ALBERT [1911], S. 141; vgl. Kap. 5.5.4.2. 201 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 11, Ziff. 5.5. 202 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 92. Mit der Diskussion in der älteren Lehre, ob

die häufig wiederkehrende Formel des «Richten nach kaiserlichem Recht» als Hinweis auf die Carolina zu werten ist, befasst hat sich PFENNINGER HEINRICH [1890], S. 81 f.

203 Vgl. oben Kap. 2.1. 204 MÜLLER, Ordnung [1973], S. 247; MOSER-NEF, Bd. 5 [1951], S. 24. 205 Eine beispielhalfte Nennung verschiedener Inhalte der Offnungen findet sich bei HO-

LENSTEIN THOMAS [1934], S. 22 ff.

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Herrschaft gesetztes Ziel ausgerichtet. Dennoch beruhen sie auf einer Vereinba-rung zwischen dem Herrn und der Gerichtsgemeinde.206 Der Inhalt der Weistü-mer der Niedergerichte war gewohnheitsrechtlich bestimmt. Die St. Galler Weistümer äussern sich kaum über das Blutgericht und seine Zuständigkeit.207

Bereits im 15. Jahrhundert ging das Kloster über die Neuordnung der örtli-chen Rechtsquellen hinaus und erliess 1468 eine allgemeine Landesordnung. Diese Ordnung wurde mit der raschen Verdichtung der Landesherrschaft bald Landsatzung genannt und nahm die Stelle der überlieferten Rechtsordnung des Mittelalters ein.208 In erster Linie war die Landsatzung der Sorge um einheitliche Rechtsverhältnisse in den Stiftslanden entsprungen, dies schon aus Gründen der Ökonomie und Verkehrssicherheit.209 Auf den Versuch der Eidgenossen im Jahr 1525, durch die Einführung einer Zustimmungspflicht bei sämtlichen Ergän-zungen der Landsatzung210 massgeblichen Einfluss auf die Gesetzgebung zu ge-winnen, reagierte die Fürstabtei schliesslich mit der Schaffung eines umfangrei-chen Landmandats.211 Gleichzeitig stoppte sie weitgehend die Weiterentwick-lung der Landsatzung, die dadurch faktisch an Bedeutung verlor.212 Verschiede-ne Inhalte des Landmandats, das immer weiterentwickelt wurde, widerspiegeln die bevormundende, alle Lebens- und Rechtsbereiche erfassende Tendenz des absolutistischen Staats.213 Die Vorschriften zur Wahrung der öffentlichen Ruhe

206 MÜLLER, Ordnung [1973], S. 247. Der gleichförmige Wortlaut der im Wesentlichen ein-

heitlich redigierten Offnungen veränderte sich in den rund drei Jahrhunderten ihrer Gel-tungsdauer kaum; MÜLLER, Offnungen [1964], S. 117.

207 Quellenangaben der wenigen kurzen Hinweise auf das Hochgericht nennt MÜLLER, Off-nungen [1964], S. 87, Fn. 275.

208 MÜLLER, Ordnung [1973], S. 248; MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 174 f. 209 MÜLLER, Einleitung [1974], S. XV sowie GRAF [1996], S. 57. 210 GRAF [1996], S. 58 f. 211 Unter dem Begriff «Mandat» wurde ursprünglich ein Auftrag verstanden, in der Praxis

des Spätmitelalters auch eine Weisung oder ein Befehl. Mittels Mandat machte der Staat der frühen Neuzeit die obrigkeitlichen Gebote und Verbote allgemein bekannt, MÜLLER,Landsatzung [1970], S. 185 f. Die einzelnen Mandate (z.B. jene gegen das Fleischessen an Festtagen und den Besuch reformierter Gottesdienste) wurden 1542 samt einigen bis dahin in der Landsatzung stehenden Artikeln überarbeitet und zu einem Sammelmandat zusammengefasst, MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 187.

212 MÜLLER, Ordnung [1973], S. 248. Die Terminologie im 18. Jahrhundert unterschied schliesslich nicht mehr scharf zwischen Landmandat und Landsatzung; MÜLLER,Landsatzung [1970], S. 185.

213 MÜLLER, Einleitung [1974], S. XVIII.

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Die Kulisse: Alte Landschaft

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und Sicherheit, die Bestimmungen gegen die häufigen Tätlichkeiten und zur Abwehr von Landstreichern und allem fahrenden Volk sind vielfältig.214

Dem in Landsatzung und Landmandat geregelten Rechtsstoff fehlt jede sys-tematische Ordnung; weder wird zwischen materiellem Recht und Prozessrecht noch zwischen öffentlichem und privatem Recht unterschieden.215 Strafrechtli-che Vorschriften enthalten Landsatzung und Landmandat nur wenige, sie regeln zudem weder die hochgerichtliche Zuständigkeit noch das peinliche Verfahren. Dies liegt zum einen daran, dass der den Niedergerichten zustehende Bereich durch die ausführlichen Bussenkataloge in den Offnungen geregelt war und zum anderen die Hochgerichte nach der Carolina zu verfahren hatten.216

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert unterblieb in der Fürstabtei die An-passung der Rechtsordnung an die rasch ändernden wirtschaftlichen und sozia-len Verhältnisse weitgehend, was MÜLLER mit der intensiven Traditionsgebun-denheit der Fürstabtei erklärte.217 Lediglich das Landmandat wurde 1761 ein letztes Mal überarbeitet. Bereits während der letzten Regierungsjahre Abt Bedas wurden zahlreiche Forderungen der St. Galler Gotteshausleute laut. Erst 1795 wurde der Druck jedoch so gross, dass schliesslich ein durch den Abt und das Volk gutgeheissener «Gütlicher Vertrag»218 zustande kam.219

214 MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 255. Es finden sich auch Vorschriften zur Feuer- und

Gesundheitspolizei.215 MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 235. 216 MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 260, siehe dort auch Fn. 83. 217 MÜLLER, Einleitung [1974], S. XXX. 218 Gütlicher Vertrag des Fürstlichen Stifts St. Gallen mit desselbigen Angehörigen, und

Gottshaus-Leuten der alten Landschaft, aufgericht und angenommen den 23. Wintermonat (= November) 1795, RQSG (Alte Landschaft), S. 378 ff. Im Gütlichen Vertrag verfügte Abt Beda gegen den Willen eines Teils des Kapitels die Abschaffung der Leibeigenschaft samt den damit verbundenen Abgaben. Zudem trat er wichtige obrigkeitliche Rechte, wie jenes der Richterwahl, ans Volk ab. Der Konvent billigte den Vertrag erst knapp zwei Monate später; VOGLER WERNER, Gütlicher Vertrag, e-HLS [2006].

219 MÜLLER, Einleitung [1974], S. XXX f.

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Vorgeschichte

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3 Vorgeschichte

3.1 Der Täter: Joseph Antoni Egger

«Er haisse Joseph Antoni Egger nicht gar 29 jahr alt220, verheurathet mit Elisabe-tha Germanin [...]»221, gab Joseph Egger nach seiner Festnahme zu Protokoll. Sein Vater Michael Egger sei 16 Jahre zuvor gestorben, seine Mutter lebe in zweiter Ehe. Er habe sieben «rechte» und zwei Stiefgeschwister.222 In seiner Studie zum Geschlecht Egger von Tablat und Rotmonten hatte der ehemalige Stiftsarchivar PAUL STAERKLE auch Daten zur Familie von Michael Egger zu-sammengetragen, die sich weitgehend mit den Angaben Eggers decken. Dem-nach war Michael Egger 1700 geboren und 1760 gestorben. Mit seiner Frau Anna Huber hatte er neun Kinder, wovon Joseph Antoni, geboren am 18. No-vember 1746, das zweitälteste war. Nach ihm wurden in den Jahren 1748 und 1749 zwei Mädchen geboren und beide auf den Namen Maria Anna getauft.223

Vermutlich starb das ältere der beiden Mädchen kurz nach der Geburt, was er-klären würde, weshalb Joseph Antoni Egger bei der Einvernahme vom 15. Feb-ruar 1775 angab, sieben leibliche Geschwister zu haben.

Die Eltern von Michael Egger, also die Grosseltern von Joseph Antoni Egger, hatten offenbar seit 1696 eine Liegenschaft bei der Kapelle St. Peter und Paul in

220 In der vorindustriellen Zeit war es sowohl in den Städten als auch auf dem Land nicht

unüblich, dass die Leute keine genauen Vorstellungen über ihr eigenes Lebensalter hatten, wie aus Gerichtsprotokollen und insbesondere aus Zeugeneinvernahmeprotokollen, in de-nen die Befragten nach ihrem Alter gefragt wurden, geschlossen werden kann. Oft wur-den lediglich runde Zehnerzahlen genannt; dazu FUCHS, Zeugenverhöre [2001], S. 150. Die Akten des Falls Egger zeigen hingegen, dass die Beteiligten meist eine recht genaue Vorstellung über das eigene Lebensalter hatten. So wusste Egger, dass er sich im Zeit-punkt der Einvernahmen im 29. Lebensjahr befand. Auch Elisabeth Han (46-jährig; Sti-ASG, Bd. 1073, S. 613) und Joseph Bensegger (36-jährig, Dok. 7, Zeugenaussage von Jo-seph Bensegger, S. 1) wussten ihr Alter genau zu benennen. Johannes Geser und Joseph Rüesch gaben an, 30 bzw. 40 Jahre alt zu sein (Dok. 17, Zeugenaussage von Joseph Rü-esch, S. 1; Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Antwort 1), wobei den Akten nicht entnommen werden kann, ob es sich hierbei um eine exakte Angabe oder eine Nähe-rung handelt.

221 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 1. 222 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 1. 223 STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 38.

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Rotmonten bewohnt.224 1697 hatten sie erstmals die Hintersassen-Steuer von Rotmonten zu zahlen.225 Michael Egger erschien 1724 im Hintersassen-Rodel noch als Hintersasse.226 Am 4. Juni 1743, also gut drei Jahre vor der Geburt von Joseph Antoni, wurde er in Rotmonten gegen eine Gebühr von 30 Gulden ein-gebürgert. Der Statthalter des Stifts musste die Einbürgerung bewilligen, wofür er die Hälfte dieser Gebühr bezog.227

Joseph Antoni Egger hatte nach Lage der Akten keine eigenen Kinder. Seit Advent 1770 war er mit Maria Elisabetha German verheiratet,228 die zwei Kin-der, Maria Barbara und Anna Maria Veronika, mit in die Ehe brachte. Maria German war die Witwe des verstorbenen Johannes Furrer aus Tablat, dem Vater von Maria Barbara und Anna Maria Veronika.229

Weiter äusserte Egger beim Verhör, er sei katholischer Religion. Dies war für die Bevölkerung der Alten Landschaft üblich; nach den Wirren der Reformation und insbesondere dem aggressiven Vorgehen von Zürich und dessen Reforma-tor Zwingli230 ab dem Jahre 1529 war es Abt Diethelm231 nach dem Zweiten Kappeler Landfrieden232 gelungen, im Fürstenland eine strenge Rekatholisierung durchzuführen.233 Dies glückte wohl auch deswegen, weil der Bevölkerung des 224 In der Einvernahme bezeichnete Egger seinen Vater denn auch als «Michael Egger bey

dem kirchele»; Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 1. Zur Kapelle siehe ZIEGLER ERNST [1977] (ohne Seitenzahl).

225 STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 39. 226 Als Hintersassen wurden in der frühen Neuzeit Leute bezeichnet, die sich unter einer

Landesobrigkeit niederliessen und dabei als Einwohner minderen Rechts im Gegensatz zu den alteingesessenen Stadtbürgern bzw. Gemeinde- oder Dorfgenossen nicht über das vol-le Bürgerrecht verfügten. Sie waren anders als blosse Aufenthalter (Gesinde, Dienstboten, Gesellen) dauerhafter in der Gemeinde ansässig und enger in die lokale Gesellschaft und Wirtschaft eingebunden. Oft verfügten sie über einen eigenen Haushalt; HOLENSTEIN ANDRÉ, Hintersassen, e-HLS [2005]. Da die Hintersassen die Infrastruktur der Gemeinde mitbenutzten, ohne dass sie selber oder ihre Vorfahren etwas dazu beigetragen hatten, musstens sie das jährliche «Hintersassengeld» als Gemeindesteuer bezahlen; MENOLFI,Hofleute [1991], S. 92.

227 STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 39 f. 228 Dok. 15, Zeugenaussagen von Eggers Stieftöchtern, S. 1. 229 Dok. 15, Zeugenaussagen von Eggers Stieftöchtern, S. 1. 230 Ulrich (Huldrych) Zwingli, geb. 1484, gest. 1531. 231 Diethelm Blarer von Wartensee, geb. 1503, gest. 1564, Abt von 1530 bis 1564, Biogra-

phie bei DUFT ET AL. [1986], S. 156 ff.; HENGGELER [1929], S. 139 ff. 232 Abgeschlossen im November 1531. 233 DUFT ET AL. [1986], S. 49; Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 6 [1931], S. 39.

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Fürstenlands das Szepter Zürichs nicht milder schien als der st. gallische Krummstab.234 In Nachwirkung des sog. Augsburger Religionsfriedens von 1555 setzte sich auch in der Alten Landschaft das Prinzip «cuius regio, eius religio»235

durch, wonach der Landesherr die Konfession seiner Untertanen bestimmte.236

Egger war nach Aussage seiner Frau beim Beten jeweils nicht allzu eifrig gewesen.237 Während der Verhöre rief Egger dennoch sehr häufig Gott an und benutzte Wendungen wie «in Gottes namen»238 oder «mein Gott»239, weiter gab er gelegentlich «Gott die ehre»240. Nachdem die Einvernahmen bereits mehrere Tage gedauert hatten, meinte Egger sogar, «er seye halt ein von Gott verlassener mensch».241

Joseph Egger war Lehensnehmer des Hofes «auf dem Espen». Das Gebiet Espen war in jener Zeit eine von Wittenbach und Tablat gemeinsam genutzte Allmend, die sich auf beide Seiten der Steinach erstreckte und auf der einige Höfe – wohl auch der von Egger bewirtschaftete Hof Espen – lagen.242 Ebenfalls auf dem Gebiet Espen befand sich an der Stelle der heutigen protestantischen Heiligkreuzkirche die äbtische Richtstätte.243 Sämtliche Verhöre Eggers wurden in St. Fiden im Wirtshaus «Hirschen» gehalten, während die meisten Zeugenbe-fragungen am Sitz des Pfalzrats im Klosterareal stattfanden. Der Pfalzrat tagte üblicherweise in der «gewöhnlich[en] pfaltzraths stuben» der «fürstl. residenz

234 STAERKLE, Tablat [1991], S. 33 f. 235 «Wessen Land, dessen Religion». Während der Reformationszeit gewann dieser Grund-

satz wieder stärker an Bedeutung. Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 zwischen Karl V. und dem Schmalkaldischen Bund war er Leitsatz; er stellte einen Kompromiss zwischen den katholischen und den protestantischen Landesherren dar, vgl. SENN [2007], S. 104 f; SENN/GSCHWEND/PAHUD DE MORTANGES [2006], S. 37, Rz. 23 und S. 176, Rz. 24; KÄSTNER [2006], Sp. 913 ff.; siehe auch AEBI [1914], S. 24; WILLOWEIT [2005],S. 168.

236 BAUMANN MAX [2003], S. 37. Zur Repression Andersgläubiger und ihrer Umsetzung in den Landes- und Polizeiordnungen in der Alten Landschaft MÜLLER, Landsatzung [1970], S. 238 ff.

237 Vgl. nachfolgendes Kapitel 4.8.1. 238 Z.B. Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 2, Antwort 10, Antwort 18 uvm. 239 Z.B. Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 55. 240 Z.B. Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 179. 241 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 170. 242 STAERKLE, Tablat [1991], S. 28. 243 ZIEGLER/SONDEREGGER/STUDER [2004], S. 52; GMÜR [1903], S. 197.

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im stüfft St. Gallen», konnte aber je nach Geschäft auch auswärts verhandeln und urteilen.244

Egger war als Bauer tätig und konnte gemäss seinen eigenen Aussagen sowie gemäss Bestätigung seiner Gattin weder lesen noch schreiben.245 Seine Frau be-richtete weiter, dass «er allzeit ein dunckhel mauser gewesen» sei. Er habe sich auf die Arbeit, auf Pferde und das Vieh verstanden, «sich niemahl recht lustig gezaiget, bey dem betten zu haus, und in der kirchen sich schläfrig erwiesen, doch aber jmmerhin früehe, und spath starckh, und vill gearbeitet».246 Die Zeu-gin Maria Catharina Gross betitelte Egger zudem später in ihrer Einvernahme wiederholt als Weibel;247 weitere Hinweise auf ein derartiges Amt gehen aus den Akten ansonsten jedoch nicht hervor.

Die Beziehung zwischen Egger und seiner Ehefrau konnte keineswegs eine innige gewesen sein; in ihrer Befragung durch das Gericht am 23. Februar 1775 liess sie kaum ein gutes Wort über ihren Mann verlauten. Dies brachte den Au-tor der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschienenen «Kriminalge-schichten» dazu, das Verhältnis zwischen den Ehegatten als «sehr kühl» zu be-zeichnen, «da ihre, der Frau, Angaben, das Gepräge grosser Kaltblütigkeit an sich tragen, gerade so, als hätte sie in fremder, ihr gleichgültiger Sache Zeugnis abzulegen gehabt».248 Auf die obrigkeitliche Frage, was ihr an ihrem Mann wäh-rend ihrer Ehe missfallen habe, was sie «Tadelhaftes» an ihm nennen könne, antwortete sie, dass sie von Egger bereits bei der Heirat habe wissen wollen, ob er Schulden habe. Er habe dies geleugnet. Erst im Nachhinein seien «ziemliche pöstlein» hervorgekommen.249 Nicht nur wegen seiner Schulden, auch wegen anderer Sachen habe er ihr öfter nicht die Wahrheit gesagt.250

Eggers Charakter aufgrund der vorhandenen Akten zu fassen, ist schwierig. Manchmal wirkt er schlau, fast gerissen. Dann wieder erscheint er erstaunlich 244 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 22 f., Ziff. 14. 245 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort auf Frage 220, Dok. 16, Zeugenaussage

der Ehefrau, S. 9. 246 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 8. 247 Dok. 4, Zeugenaussage von Maria Gross, S. 1, 2 und 4. 248 Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], S. 32. Vgl. zu den

Aussagen von Maria German im Weiteren Kap. 4.8.1. 249 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 4 f. 250 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 6.

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naiv, um nicht zu sagen beinahe dumm. Grundsätzlich erweckt Egger den Ein-druck, ein introvertierter Mensch gewesen zu sein, offenbar ein Einzelgänger. Gute Bekannte, Freunde oder Vertraute hatte er mit einer kleinen Ausnahme offenbar keine. Zumindest lässt sich aus den Akten nicht auf solche schliessen. Seine Taten führte Egger alleine aus. Er vertraute sich lange in keiner Weise jemandem an.

3.2 Das Opfer: Catharina Himmelberger

Am «montag vor liechtmess»251 im Jahre 1775, also am 30. Januar 1775, bezog die etwa 54 Jahre alte252 Catharina Himmelberger253 Herberge bei Zunftmeister Ziegler an der Langgass. Bisher hatte sie bei ihrem Bruder Jacob Himmelberger, Schuster auf dem Rotmonten, gewohnt.254 Nun zog sie an die Langgass, betonte aber gegenüber Maria Catharina Gross, der Frau des Zunftmeisters, dass sie nicht etwa wegen «streit oder ohneinigkeit» gegangen sei, sondern um im Alter einen kürzeren Kirchweg zu haben sowie «auch wegen dem dunckhlen haus».255

Catharina Himmelberger macht beim Studium der Akten den Eindruck einer resoluten, selbstständigen und sehr gläubigen Frau. Bis einige Jahre vor der Tat hatte sie offenbar bei verschiedenen Herren als Bedienstete gearbeitet.256 Wie Maria Gross später im Zeugenverhör berichtete, hatte Catharina Himmelberger am Sonntagabend, 5. Februar 1775, haufenweise Gersten und Bohnen gekocht, damit sie in den kommenden Wochen einen Vorrat hätte und deshalb an der Ar-

251 Dok. 4, Zeugenaussage von Maria Gross, S. 1. Lichtmess wird 40 Tage nach Christi Ge-

burt, also am 2. Februar, zelebriert. Das Fest beschliesst die Reinigungszeit Marias und gilt als Darstellungsfeier Jesu im Tempel. Die Lichtsymbolik von Kerzenweihe und Lich-terumzügen bezieht sich auf die Gleichsetzung Christi mit dem ‹Licht der Erleuchtung der Helden›, vgl. Wörterbuch des Aberglaubens [1989], S. 131 f.; Lexikon der Bräuche und Feste [2007], S. 220 f.

252 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 1. 253 Das Geschlecht der Himmelberger stammt offenbar aus Appenzell Inner- und Ausserrho-

den und leitet seinen Namen vom im Innerrhodischen liegenden Himmelberg ab; Histo-risch-biographisches Lexikon, Bd. 4 [1927], S. 224.

254 Dok. 12, Zeugenaussage von Jacob Himmelberger, S. 1. 255 Dok. 4, Zeugenaussage von Maria Gross, S. 4. 256 Dok. 3, erste Befragung Eggers und Amtsbericht, S. 1.

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beit nicht verhindert würde.257 Da ihr Umzug mit einigen Kosten verbunden ge-wesen war, beschloss sie zudem, Joseph Egger, der bei ihr offenbar noch Schul-den hatte, einen Besuch abzustatten und ihr Guthaben einzufordern. Als Egger nicht bezahlte und die Schuld offenbar sogar teilweise bestritt, nahm sie kein Blatt vor den Mund und beschimpfte diesen als «Spizbueb» und «Lieger».258

Ängstlich wirkte sie in keiner Weise: Sie suchte Egger in der Dunkelheit mor-gens um 5.30 Uhr auf259 – und dies obendrein allein, was ihr schliesslich wohl zum Verhängnis werden sollte.

Über die Beziehung zwischen Egger und Catharina Himmelberger ist den Akten kaum etwas zu entnehmen. Während der protokollierten langen Verhöre wurde Egger erstaunlicherweise nie befragt, woher er Catharina gekannt oder weshalb er bei ihr Schulden gehabt habe. Er schilderte nur, dass sie ihn mit ih-ren Beschimpfungen über Gebühr gereizt habe, weshalb er die Kontrolle verlo-ren und sie ungewollt totgeschlagen habe.

«Er habe halt just eine furckhen [Mistgabel] in handen gehabt, und seye taub gewesen».260

3.3 Der Tag der Tat: Montag, 6. Februar 1775

Bereits am Sonntag, 5. Februar 1775, wollte sich Catharina Himmelberger auf den Weg zu Eggers Hof «auf dem Espen» machen, um ihn zur Bezahlung seiner Schulden anzuhalten, wie sie Maria Gross mitteilte.

«Weillen aber der damahlige starckhe luft ihro die latern vor ihrem garten draussen verlo-schen, seye selbe wider zurückh, und in die stuben gekommen [...]»261

An der Messe am selben Tag traf Catharina Himmelberger zwar auf Egger, sie traute sich jedoch nicht, die Begleichung der Schulden bei ihm zu verlangen, da sie nicht wollte, dass jemand Zeuge davon werden würde und Eggers Frau,

257 Dok. 4, Zeugenaussage von Maria Gross, S. 3 f. 258 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 16. Lügner war ein häufig benutztes

Schimpfwort. Es wurde häufig kombiniert mit weiteren Schimpfworten, so etwa Böse-wicht oder Schalk; TOCH [1993], S. 316 ff.

259 Dok. 4, Zeugenaussage von Maria Gross, S. 3. 260 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 17. 261 Dok. 4, Zeugenaussage von Maria Gross, S. 2.

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Maria German, Kenntnis von der Bezahlung bekommen könnte. Am nächsten Morgen ging sie bereits um 5.30 Uhr los in Richtung Espen, wie Maria Gross später bei Gericht zu Protokoll gab.262 Erneut wollte Catharina Himmelberger verhindern, dass Maria German sie sah und von der Sache etwas erfuhr. Es ist denkbar, dass Catharina Himmelberger wusste, dass Egger seine Schulden grundsätzlich seiner Frau gegenüber abstritt,263 und ihn durch ihre Heimlichtue-rei schützen wollte. Möglicherweise wollte sie auch verhindern, dass Fragen nach der Ursache der Schulden gestellt würden. Wie Egger in einer ersten Be-fragung am 10. Februar 1775 aussagte, hätten Catharina und er alles über die Schulden «in der Stille behalten» und niemand hätte davon gewusst.264 Dies stimmte offenbar: Catharina hatte auch ihrem Bruder, dem Schuster Jacob Himmelberger, auf dessen Frage hin, wer ihr noch Geld schuldig wäre, nur zwei andere Schuldner preisgegeben und von Egger nichts erwähnt, «denckhend, er [ihr Bruder Jacob] müsse nicht alles wissen»265. Möglicherweise hatte sie aus der Ursache der Schulden bewusst ein Geheimnis gemacht. Dieses Geheimnis wur-de so gut gehütet, dass Catharina es mit ins Grab nahm und es heute nicht mehr aufzudecken ist.

Der 6. Februar 1775 verging, ohne dass Catharina Himmelberger zum Haus des Zunftmeisters zurückkehrte oder sonst etwas von ihr vernommen wurde.

3.4 Die Zeit bis zur Gefangennahme Eggers

3.4.1 Erste Verdachtsmomente

Am folgenden Tag, dem 7. Februar 1775, suchte Catharinas zweiter Bruder, der Maurer Joseph Himmelberger, morgens um 7 Uhr Egger auf seinem Hof auf und erkundigte sich nach dem Verbleib seiner Schwester. Er kehrte auch am Nachmittag nochmals wieder, erhielt aber von Egger jeweils nur die Auskunft, er habe sie nicht gesehen und mit ihr auch nichts zu schaffen gehabt, abgesehen

262 Dok. 4, Zeugenaussage von Maria Gross, S. 3. 263 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 4 f. 264 Dok. 3, erste Befragung Eggers und Amtsbericht, S. 1. 265 Dok. 4, Zeugenaussage von Maria Gross, S. 4.

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davon, dass er ihr etwas schuldig gewesen sei, dies aber längst bezahlt habe.266

Das erste kurze Verhörprotokoll Eggers trägt das Datum des 10. Februar 1775. Wer das Verhör führte, geht aus dem Protokoll nicht hervor. Egger wurde be-fragt, ob er Catharina Himmelberger kenne und wann er sie das letzte Mal gese-hen habe. Er leugnete rundweg, sie am in Frage stehenden Montag, 6. Februar, oder seither gesehen zu haben. Weiter gab er zwar zu, von ihr vor 4½ Jahren Geld geliehen zu haben. Dieses habe er jedoch längst zurückbezahlt.267

Am 11. Februar 1775 wurde Hofweibel Johannes Ackermann von der Obrig-keit beauftragt, Eggers Hof zu durchsuchen, was dieser in Anwesenheit von Jo-seph Himmelberger tat. Trotz angeblich gründlicher Suche fanden die beiden nicht die «geringste spuehr» von Catharina.268 Zwar hielt der Weibel fest, vor dem Tor auf dem Boden sei etwas Blut gewesen. Es habe sich aber deutlich ge-zeigt, dass Egger unlängst an jener Stelle «gemezget» habe und ein Stück des geschlachteten Tiers dort aufgehängt gewesen sei. Davon sei das Blut herunter-getropft. Dies habe auch Joseph Himmelberger gesehen. Man habe Egger nicht im geringsten fassen können.269

Doch Catharinas Brüder gaben sich nicht so rasch zufrieden; am Sonntag, 12. Februar 1775, suchte Joseph Himmelberger in Begleitung seiner Ehefrau einen gewissen Christian Louis auf, der an der Langgasse als Wirt tätig und mit Egger offenbar besser bekannt war. Sie baten Louis, Egger mit dem «verdacht einer mordthat an der Catharina Himmelbergerin» zu konfrontieren in der Hoff-nung, dass dieser, sollte er tatsächlich der Täter sein, gestehen würde.270

3.4.2 Aussprache mit dem Wirt

Als Egger am darauffolgenden Tag, dem 13. Februar 1775, mit einem Fuder «b’schütte» aus der Stadt die Langgass entlang ging, bat Louis ihn auf ein Wort

266 Dok. 3, erste Befragung Eggers und Amtsbericht, S. 2 f. 267 Dok. 3, erste Befragung Eggers und Amtsbericht, S. 1. 268 Dok. 3, erste Befragung Eggers und Amtsbericht, S. 3. 269 Dok. 3, erste Befragung Eggers und Amtsbericht, S. 3. 270 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 1.

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in sein Haus. Dort konfrontierte er ihn mit dem Verdacht, was er bei einer späte-ren Zeugenaussage folgendermassen beschrieb:

«[...] wann er möchte etwa einen fehlstreich im verdruss gethan haben, so solle er es doch einem vertrauten menschen anzaigen, denn er deponent271 wüsse, das die obrigkeit nur noch 2 tag ruehe, als dann gehe es wider auf ein neues an: worauf der Joseph antwortete, wann er wüsste, das er nacher S. Fiden272 müsste, und gezimiget [gefoltert] würde, so gienge er lie-ber aus dem Land; hienach deponent ihm erwiderte, und solches ausredete sagend, wann er ohnschuldig seye, solle er nicht fort, und wann er schon leyden müsse, so habe ja unser Gott auch villes umb unschuld gelitten [...].»273

Egger verliess daraufhin den Wirt bald mit den Worten, er müsse arbeiten gehen, wolle aber nachts mit ihm reden. Den ganzen Tag über fuhr Egger «b’schütte» auf sein Lehengut und kehrte abends wie angekündigt zum Wirt zurück.274 Dort zeigte er sich sichtlich aufgewühlt und äusserte sich folgender-massen:

«Es seye eine erschröckhliche sach das vatterland zu allen zeiten meyden /: repetendo :/ worüber Christian Louis erwiderte, Joseph, was ist dann dis für eine sach, ihr haben ja nichts, als wie ich höre, ein böses weib und darzu ville schulden, müsse auch tag und nacht villes werckhen; hingegen Joseph Egger erwiderte, er wollte alles bestreitten, und denen schulden red, und antwort geben können [...].»275

Egger lamentierte weiter über seine Schulden, sagte, er sei seinem Lehnherrn noch etwas schuldig, habe aber auf der anderen Seite beim Färber noch ein Gut-haben, das er eintreiben könne. Bei diesen Erläuterungen hatte Christian Louis gemäss seinen später zu Protokoll gegebenen Aussagen den Eindruck,

«dass Joseph Egger vast über den stuehl herunter gefallen, und ihme vast ohnmächtig wer-de; hienach deponent ihme zugesprochen, sagend, es seye kein sünden so gross, er komme auch wider zu gnaden auf welchen zuspruch hin Joseph Egger deutlich erwideret hat: ja Gottes namen, ich habe ihro der Catharina mit der furckhen [Mistgabel] einen streich gege-ben [...].»276

271 Der Begriff «Deponent» kommt vom Lateinischen «deponere» = ablegen, deponieren. 272 In St. Fiden befand sich das Gefängnis, vgl. Kap. 2.3.1.1. 273 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 1 f. 274 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2. 275 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 3. 276 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 3 f.

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Nun gestand Egger auf weitere Fragen des erschrockenen Louis, dass er Ca-tharina nach der Tat am Montagmorgen den ganzen Tag im Stall liegen lassen habe und sie in der darauf folgenden Nacht ins Galgentobel277 getragen und dort in die Stauden geworfen habe. Er bat den Wirt schliesslich «umb das bluet Christi willen zu dem fürsten zu gehen» und die ganze Geschichte zu erzäh-len.278 Der Wirt erklärte sich dazu bereit, worauf die beiden folgendes vereinbar-ten: Wenn nach Louis’ Anzeige Gutes zu hoffen sei, so werde der Wirt ein weisses Tuch unter sein Fenster hängen als Zeichen, dass Egger zu ihm herein-kommen könne. Wäre Schlechtes zu befürchten, so sollte der Wirt ein rotes Tuch zur Warnung aus dem Fenster hängen lassen. Die Frage des Wirts, ob Eg-ger seine Tat beichten wolle, verneinte er. Nachdem der Wirt Egger das Ver-sprechen abgenommen hatte, dass er «sich doch dise nacht nichts leydes anthuen» werde, gingen die beiden auseinander.279

3.4.3 Gespräch mit Schwager und Stiefvater; Gefangennahme

Eggers Schwager Joseph Antoni Bensegger hatte bereits am 11. Februar 1775 von der erfolglosen Hausdurchsuchung bei Egger gehört und diesen noch am selben Tag aufgesucht. Nach erfolglosem Drängen, die Wahrheit zu sagen, gab er vorerst auf, wie er später dem Gericht in der Befragung erläuterte.280 Seine Frau sowie Eggers Mutter Anna Huber überredeten ihre Männer jedoch, noch-mals eine Aussprache mit Egger zu suchen, woraufhin Joseph Bensegger und Eggers Stiefvater Johannes Kunz am 13. Februar 1775 abends um neun Uhr Eg-ger zuhause aufsuchten. Dieser wurde also kurz nach seiner Rückkehr von Christian Louis erneut zum Geständnis aufgefordert. Wenn er es nicht getan habe, so solle er sich «frisch» der geist- und weltlichen Obrigkeit stellen.281

277 Das Galgentobel ist die «wilde Schlucht», durch die seit 1856 die Eisenbahnlinie St. Gal-

len-Rorschach führt. Der Name rührte «unzweifelhaft von dem ehemals in der Nähe be-findlichen, etwa 20 Minuten von der Stadt entfernten Galgen her [...]»; Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, [ca. 1860], S. 1. Siehe auch ZIEGLER ERNST[1977] (ohne Seitenzahl).

278 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 5. 279 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 6 f. 280 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 1 f. 281 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 3.

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Vorgeschichte

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«Worüber der Joseph geantwortet, wie könnte mann sich frisch stellen, wann einer überall so in dem geschrey ist; er förchte nur dieses, mann nehme ihne nacher S. Fiden, schlage ih-ne an die marter, und [er] habe es doch gleichwohlen nicht gethan.»282

Die drei Männer diskutierten daraufhin weitere anderthalb Stunden lang über die vorgeworfene Tat und die Marter. Stiefvater und Schwager liessen nicht lo-cker, bis Egger die Tat schliesslich auch ihnen gestand. Aufgrund Catharinas ungerechtfertigter Geldforderung sei er so in Rage geraten, dass er sie im Kuh-stall, wo sie ihn aufgesucht habe, «zu todt geschlagen, und selbe allda in einen winckhel geworfen» habe. Später habe er sie in die Stauden hinaus getan.283

Nach dem Geständnis bat Egger seinen Schwager und seinen Stiefvater um Ver-schwiegenheit und kündigte an, der Wirt Louis werde am kommenden Tag die Tat anzeigen, «und wann es nicht recht für ihne ausfalle», so wolle er am Vor-mittag in die Kirche und am Nachmittag fort gehen.284

Daraufhin verliessen Joseph Bensegger und Johannes Kunz den Hof Eggers «jammerend und schreckhenvoll»285. Während der Stiefvater nachhause ging, suchte Joseph Bensegger den Schuster Jacob Himmelberger auf. Nachts um ein Uhr gingen beide gemeinsam mit dem Hatschier Greuter zu Hofweibel Acker-mann und erstatteten Anzeige.286 Eine Stunde später wurde Egger in seinem Haus verhaftet.287

282 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 3. 283 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 3 f. 284 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 4. 285 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 4. 286 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 5; Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eg-

gers, S. 1. 287 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 2.

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Strafverfahren

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4 Strafverfahren

4.1 Besetzung des Gerichts

Egger wurde in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1775 verhaftet. Am Mittwoch, 15. Februar 1775, wurde er erstmals dem Untersuchungsgremium vorgeführt. Er stand unter Verdacht, Catharina Himmelberger getötet und die Tat zu vertuschen versucht zu haben. Das Gericht war sich zu Beginn der Ein-vernahmen nicht darüber im Klaren, ob es sich um die Affekttat eines Tot-schlags oder um vorsätzliche Tötung handelte, steckte sie im Rahmen der Ver-höre doch einige Energie in die Klärung dieser Frage.

Die Einvernahmen Eggers, die Beratung des Gerichts sowie die Urteilsver-kündung fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Fürstabtei St. Gallen war bereits 1491 von Kaiser Friedrich III.288 das dem Inquisitions-prinzip entsprechende Privileg erteilt worden, das «Hochgericht mit bschlossner Thür zuhalte».289 Der jeweilige Abt durfte das Hochgericht durch seine Amtsleu-te und Räte bei geschlossener Tür abhalten; die Handlungen und Urteile muss-ten entgegen der bisherigen Gewohnheit nicht länger öffentlich ergehen. Der Kaiser hielt jedoch ausdrücklich fest, dass der Abt verständige Personen seiner geschworenen Räte einzusetzen hatte, die unparteiisch und gerecht richten wür-den. Weder «gunst, miet, gab, fründtschaft noch veindtschafft» noch anderes dürfe ihnen anzusehen sein.290

Das urteilende Gericht, der Ledige Pfalzrat, setzte sich im Fall Egger aus fol-genden weltlichen Beamten zusammen: Hofkanzler Joseph Ignaz Sartory von Rabenstein, der offenbar den Vorsitz führte; Pfalzrat von Seylern; Geheimrat Franz Anton Gugger von Staudach, Obervogt zu Rorschach; Franz Joseph Mül-

288 Geb. 1415, gest. 1493, Kaiser von 1440 bis 1493, Habsburger, Vater von Maximilian I.;

SENN [2007], S. 445. 289 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Freyhait von Kayser Friederich dem Dritten Abbt Gotthartt

erthailt, das man das Hochgericht zu beschlossner Thür, und nid offentlich halten mög, und wie man das besetzen soll, vom 16. August 1491.

290 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Freyhait von Kayser Friederich dem Dritten Abbt Gotthartt erthailt, 16. August 1491.

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Strafverfahren

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ler von Friedberg, Landvogt im Toggenburg; Joseph Ignaz Zweyfel, Obervogt von Oberberg; und Johann Anton Rudolf Rothfuchs, Obervogt von Blatten.

Joseph Ignaz Sartory von Rabenstein, geboren 1721, trat 1743 als Kammer-diener bei Abt Cölestin in Dienst und wurde ein Jahr später als Sekretär verei-digt. 1749 wurde er Lehenvogt und Richter des Pfalzgerichts, 1753 Obervogt auf Blatten291 und Amtmann in Altstätten. Ein Jahr später wurde er auf die wich-tigere Obervogtei Oberberg292 bei Gossau versetzt, wo er bis 1763 amtete.293 Er wurde häufig als äbtischer Gesandter eingesetzt, dies wohl nicht zuletzt auf-grund seiner guten Französischkenntnisse.294 Sartory von Rabenstein wurde 1763 zum Geheimrat ernannt und war von 1763 bis 1782 zudem Hofkanzler in der Fürstabtei.295 1768 wurden Sartory von Rabenstein und seine Nachkommen von Abt Beda aus der Leibeigenschaft befreit und in die Rechte des in den Stiftslanden befindlichen Adels eingesetzt. Ein Jahr später erhob Kaiser Jo-seph II.296 Sartory von Rabenstein in des Heiligen Römischen Reichs erblichen Adelsstand. Während der Jahre 1772 bis 1775 versah der Kanzler auch das Landshofmeisteramt. Nach Niederlegung des Kanzleramts wurde er 1783 Ober-vogt von Rorschach. Sartory von Rabenstein starb im Dezember 1791.297 Der Begriff des Kanzlers bzw. später des Hofkanzlers tauchte erst unter Abt Ulrich Rösch auf. Der Hofkanzler besorgte das Kanzleiwesen der Fürstabtei.298 Nach dem Konzept zur Pfalzratsordnung 1733 hatte er die Verhandlung zu eröffnen, die Befragung vorzunehmen und sich in der anschliessenden Beratung als «juris

291 Abt Ulrich Rösch kaufte die Burg Blatten bei Oberriet 1486. Während der darauffolgen-

den über 300 Jahre hausten dort die äbtischen Obervögte; FELDER [1970], S. 39. 292 Das Schloss Oberberg ging 1489 nach kurzer Herrschaft der Stadt St. Gallen zurück in

fürstäbtisches Eigentum. Es wurde Sitz des Obervogts, der das Oberbergeramt verwaltete; BREITENMOSER [1970], S. 127.

293 STAERKLE, Gossau [1961], S. 121. 294 Schweizerisches Geschlechterbuch, Band IV [1913], S. 458 f. 295 StiASG, Rep. 14a, Beamtenverzeichnis, Rubr. «Kanzler», S. 57 ff; Schweizerisches Ge-

schlechterbuch, Band IV [1913], S. 459. 296 Joseph II., geb. 1741, gest. 1790, war von 1765 bis zum Tod seiner Mutter Maria Theresia

1780 deren Mitregent und danach Kaiser. Er war Monarch im Sinne des aufgeklärten Ab-solutismus, förderte das Bildungs- und Gesundheitswesen sowie die Rechtspflege (Ab-schaffung der Folter); SENN [2007], S. 449.

297 Schweizerisches Geschlechterbuch, Band IV [1913], S. 460; STAERKLE, Obervögte[1951], S. 29; WILLI [1947], S. 310.

298 StiASG, Rep. 14a, Beamtenverzeichnis, Rubr. «Kanzler», S. 57 ff.

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consultus» zu betätigen.299 Somit ist anzunehmen, dass Sartory von Rabenstein die Verhöre im Fall Egger führte. Die Akten des Falles enthalten zum Befrager jedoch keinen expliziten Hinweis. Weiter sollte der Hofkanzler gemäss Pfalz-ratsordnung kontrollieren, ob der Ratssekretär das Protokoll ordnungsgemäss führte.300

Pfalzrat von Seylern entstammte vermutlich dem alten Wiler Geschlecht Sai-ler. Dr. med. Joseph Anton von Sailern war fürstlicher Leibarzt in St. Gallen gewesen und hatte 1728 von Karl VI. die Nobilitierung erhalten. Beim im Ver-fahren Egger mitwirkenden Pfalzrat von Seylern handelte es sich wahrschein-lich um Joseph Blasius (oder Basil), einen Sohn von Joseph Anton von Sailern, der als Pfalzrat und Fiskal amtete. Er war schliesslich auch Obervogt von Blat-ten, Schwarzenbach und von 1745 bis 1753 von Oberberg sowie anschliessend bis 1762 Landvogt im Toggenburg.301

Franz Anton Gugger von Staudach stammte aus Feldkirch. Er war der Cousin von Abt Cölestin. Von 1753 bis 1754 amtete er als Obervogt von Oberberg, von 1754 bis 1758 als Obervogt zu Rorschach, von 1758 bis 1763 als Hofkanzlerund von 1763 bis 1772 als Landvogt im Toggenburg. Weil er dort offenbar un-beliebt wurde, bat er Abt Beda um die Vogtei Rorschach, die er schliesslich von 1772 bis 1783 erneut verwaltete.302

Franz Joseph Müller stammte aus Näfels, wurde 1725 geboren und war Arzt. Er amtete als Zeugherr zu Glarus, bis er 1758 in den Dienst der Fürstabtei St. Gallen trat. Er wurde Pfalzrat und Obervogt auf Rosenberg, später in Ror-schach. Von 1772 bis 1775 war er Landvogt im Toggenburg, sodann Lands-hofmeister, zugleich Geheimer Rat und Minister des Abts. Er erhielt 1768 von Abt Beda das adelige Gotteshausmannsrecht, 1774 von Kaiser Joseph II. für sich und seine Nachkommen den Reichsritterstand mit dem Prädikat «von Friedberg». 1791 wurde er von Kaiser Leopold II. in den Freiherrenstand erho-ben. Der Abt entliess den unbeliebten, sehr konservativen Beamten jedoch 1795 299 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 31. 300 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 79 f. 301 Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 5 [1929], S. 786; STAERKLE, Gossau [1961],

S. 121; BÜCHLER [1992], S. 54. 302 STAERKLE, Gossau [1961], S 121; STAERKLE, Obervögte [1951], S. 28 f.; BÜCHLER

[1992], S. 54.

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als Landshofmeister. Von 1795 bis 1798 war er Hofmarschall, kehrte dann nach Näfels zurück, wo er 1803 starb.303 Franz Joseph Müller war der Vater des be-kannten st. gallischen Staatsmanns Karl Müller-Friedberg.304

Joseph Ignaz Zweyfel von Schänis war von 1763 bis 1775 Obervogt von Oberberg und von 1775 bis 1792 Landvogt im Toggenburg. Dann wurde er un-freiwillig in die Obervogtei Rorschach versetzt, wo er bis Ende 1798 blieb.305

Die Familie Rothfuchs stammt aus der Gemeinde Rorschach. Johann Anton Rudolf Rothfuchs war ab 1768 Vogt auf Blatten, von 1775 bis 1783 Obervogt von Oberberg, von 1783 bis 1796 Hofkanzler und zudem 1795 provisorischer Landshofmeister.306

Gemäss Protokoll wohnten nur Sartory von Rabenstein und von Seylern den sich über mehrere Wochen hinziehenden Ermittlungen und Einvernahmen bei. Am 3. März 1775, also sogar noch vor dem kompletten Abschluss der Verhöre, wurde der Fall von den erwähnten Mitgliedern des Ledigen Pfalzrats disku-tiert.307 Die Akten liefern keine Hinweise darauf, dass Gugger von Staudach, Müller von Friedberg, Zweyfel und Rothfuchs Egger je persönlich zu Gesicht bekommen hätten. Zwar ist anzunehmen, dass sie immerhin Kenntnis von den Verhörakten hatten; dies lässt sich mit den vorhandenen Quellen jedoch nicht belegen.

Den Einvernahmen im Fall Egger wohnte auch Lehenvogt Joseph Niklaus Ehrat bei. Als Lehenvogt war er dem Ledigen Pfalzrat grundsätzlich ebenfalls zugehörig.308 Bei der Beratung der Pfalzräte am 3. März 1775 war er jedoch of-fenbar nicht zugegen; im Protokoll wurde er jedenfalls nicht erwähnt.309 Denkbar ist, dass er als Pfalzrat amtete und lediglich bei der Beratung sämtlicher Räte verhindert war. Die Akten verraten diesbezüglich jedoch nichts. Ehrat, geboren 303 Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 5 [1929], S. 185; STAERKLE, Obervögte [1951],

S. 29. 304 Zu dessen Biographie: Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 5 [1929], S. 192. 305 STAERKLE, Gossau [1961], S. 121; STAERKLE, Obervögte [1951], S. 29; BÜCHLER [1992],

S. 54. 306 Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 5 [1929], S. 720; STAERKLE, Gossau [1961],

S. 121. 307 Vgl. das «rechtliche gutachten» in Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91. 308 MOSER-NEF, Bd. 1 [1931], S. 341. 309 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91.

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1746, trat 1772 als Fiskal in äbtische Dienste. Ab 1774 war er Lehenvogt zu St. Gallen. 1789 wurde er äbtischer Vogt auf dem süddeutschen Aussenposten des Klosters Neuravensburg, dessen Schloss den St. Galler Äbten in Notzeiten als Refugium diente. Ehrat galt als überaus fähiger Vertrauensmann des Abtes. Für diesen verfasste er auch politische Gutachten und Verfassungsentwürfe.310

4.2 Weitere am Verfahren beteiligte Beamte

Gemäss Protokoll waren bei den Befragungen Eggers in der Regel neben Hof-kanzler Sartory von Rabenstein, Pfalzrat von Seylern und Lehenvogt Ehrat der Fiskal Zollikofer und der Ratssekretär Gross anwesend. Den ersten beiden Ein-vernahmen Eggers wohnte auch der äbtische Leibarzt Rogg bei. Am Verfahren wirkte zudem Hofweibel Johannes Ackermann mit.

Fiskal Zollikofer war bei sämtlichen Einvernahmen Eggers zugegen. Ein Fis-kal amtete oftmals als öffentlicher Ankläger, der nicht mehr die Interessen eines privaten Klägers vertrat.311 Der Fiskal sollte gemäss dem Konzept zur Pfalzrats-ordnung 1733 «embsig» darauf achten, dass «in unserm land guete policey, und ordnung gehalten, das guet gepflanzt, und das böse verhüethet, und abgestrafft werde», wozu er dem Pfalzrat jederzeit beiwohnen sollte.312 Er sollte Landsat-zung, Landmandat und Ordnungen fleissig lesen und «allenthalben genueg-samme aufsicht, und kundtschafften bestellen, damit die übertretter derselbigen zeitlich entdeckt, selbige an behörde zur verantwortung vorgestellt, und zur ge-nüege verhört» würden.313 Die Pfalzratsordnung hielt fest, der Fiskal sei gemäss seiner Bestallung verpflichtet, alle eingehenden Strafen und Bussen dem Abt und dem Statthalter getreulich zu verrechnen. Explizit wurde erwähnt, er sei nicht befugt, jemandem eine Strafe zu erlassen.314 Der Fiskal war dem Pfalzrat zwar zugeordnet, amtete aber offenbar nicht als entscheidungsbefugter Teil des-

310 HOLLENSTEIN LORENZ, Oberbeamte [2005], S. 77 f; StiASG, Rep. 14a, Beamtenver-

zeichnis, Rubr. «Lehenvogt», S. 75. 311 Auch Schultheiss, vgl. RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 53 Rz. 104; HÄRTER [2000],

S. 463. 312 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 71. 313 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 72. 314 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 73 f.

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selben. So war Zollikofer bei der Beratung des Pfalzrats vom 3. März 1775 nicht zugegen.

Das Verhörprotokoll Eggers sowie die meisten übrigen Aktenstücke wurden vom Ratssekretär Gross verfasst. Joseph Anton Gross von Tablat war erst fürst-lich st. gallischer Kammerdiener gewesen, 1763 wurde er Ratssekretär. Ab 1777 nahm er das Amt des Obervogts zu Ravensburg ein.315 Der Ratssekretär hatte nach dem Konzept zur Pfalzratsordnung alle Schriften und Akten zu registrie-ren, in Ordnung und unter Verschluss zu halten. Er sollte bei allen gerichtlichen Handlungen und Justizgeschäften anwesend sein, musste die Namen aller je-weils anwesenden Pfalzräte im Protokoll vermerken, hatte alles316 im Protokoll festzuhalten, wobei er nichts weglassen und nichts hinzufügen sollte. Er sollte dem Reichen wie dem Armen ein gleicher Schreiber sein. Weiter hatte er ver-schwiegen zu sein über alles, was er im Rat erfahren sollte.317 In höheren und minderen Strafsachen sollte der Sekretär «weder extract, recess, noch urthel brieff hinaus geben, es wäre den sach, dass solches vor pfalzrath erkennt, und auf geziemendes ainhalten, und anfragen erlaubt wurde».318

Dr. Gerold Bernhard Rogg stammte aus Frauenfeld und amtete als äbtischer Leibarzt und Hofrat. Zum Leibarzt berufen wurde er 1760 unter Abt Cölestin. Bereits 1771 hatte das Pfalzgericht seinen Rat in zwei Streitfällen zwischen Chi-rurgen und enttäuschten Patienten in Anspruch genommen.319 1789 musste Rogg sein Amt als Leibarzt wegen Krankheit aufgeben, zwei Jahre später starb er.320

Im Fall Egger war er als Sachverständiger zwar teilweise auch bei den Einver-nahmen Eggers anwesend, von der Beratung der Pfalzräte am 3. März 1775 war er jedoch ausgeschlossen.

315 Historisch-biographisches Lexikon, Bd. 3 [1926], S. 757. 316 In der Ordnung aufgezählt sind «klag, antwort, red, und widerred, schlüss, und recht säz,

sambt denen augenscheinen kundtschafften, bericht, und rathschlägen, beschaidt, erkant-nussen, und urthlen», StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 75. Zu den Anforderungen an die Protokollierung vgl. etwa KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 2, § 32, S. 106 ff.

317 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 76 f. 318 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 82. 319 STAERKLE, Leibärzte [1968], S. 101; StiASG, Rep. 14a, Beamtenverzeichnis, Rubr. «Me-

dici», S. 162 ff. 320 STAERKLE, Leibärzte [1968], S. 101, 103.

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Im Rahmen seines Amts befasste sich Hofweibel Ackermann eingehend mit dem Fall Egger. Ein Weibel nahm mannigfaltige Aufgaben in Verwaltung und Gerichtswesen wahr. So war er u.a. Gerichtsdiener (auch Frondiener, Büttel), der die Parteien vorlud und Termine und Urteile verkündete. Er trat beim Male-fizgericht als Kläger auf und amtete als Gefangenenwärter. Allgemeine Ord-nungs- und Polizeifunktionen des Weibels bestanden etwa in der Fahndung nach Delinquenten, der Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit so-wie im Einziehen der Steuern.321 Gemäss der Pfalzratsordnung 1733 sollte der Hofweibel ein «glaubhaffter, frommer, redlicher» Mann sein. Er sollte Vorla-dungen, Bescheide, Befehle und weiteres je nach den Umständen schriftlich oder mündlich verkünden, wobei er dazu auch «ehrbare leüth», nicht aber «wei-ber oder kinder» beiziehen durfte.322 Der Weibel und sein Knecht sollten an den Orten, an denen sie «gebott ausrichten, schazungen, pfand, und executiones vornehmen, sich der gebühr, und gueter bescheidenheit gebrauchen, und nie-mandt mit wortten, oder wercken beschwären, oder beleydigen».323

In den Akten des Stiftsarchivs findet sich eine etwa aus dem Jahr 1750 stam-mende «bestallung eines ambtsdieners des Gottshaus St. Gallen».324 Sie regelt detailliert die Aufgaben des Amtsdieners. Es ist davon auszugehen, dass der Amtsdiener identisch ist mit dem in der Pfalzratsordnung erwähnten Hofweibel. Der Amtsdiener hatte im Amtshaus zu St. Fiden zu wohnen und durfte ausser zu Amtsgeschäften «ohne der obrigkeit oder eines herrn fiskal vorwüssen nirgen-deshin verreisen».325 Er hatte die Verdächtigen zu verhaften und die Gefangen-schaft zu überwachen. Gaben und Geschenke durfte er «bey höchster ohngnad nid annemmen», sondern musste alles offenbaren und anzeigen, «was zur voll-führung der justiz, und erhaltung obrigkeitlicher authorität, und rechten gerei-chen mag».326 In der Bestallung sind die Kosten, die der Amtsdiener für seine

321 HOLENSTEIN ANDRÉ, Weibel, e-HLS [2005]; KONRAD/HERIBERT [2004], S. 1717. 322 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 112 f. 323 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 116 f. Vgl. auch MÜLLER, Offnungen [1964], S.

75; STAUB [1988], S. 72; MOSER-NEF, Bd. 7 [1955], S. 159. 324 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 1. 325 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 1, Ziff. 1. Weder rauhes

Wetter noch die finstere Nacht noch sonst etwas, «aussert Gottes gewalt und ehehafte not» sollten ihn von seiner Verantwortung entlasten; S. 1, Ziff. 2.

326 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 5, Ziff. 12.

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Arbeit in Rechnung stellen durfte, detailliert nach Tätigkeitsbereich aufgelis-tet.327

4.3 Untersuchungshandlungen und erste Einvernahme Eggers

4.3.1 Zeugenaussage der Näherin Elisabeth Schafhauser am 13. Februar 1775

Die Näherin Elisabeth Schafhauser machte am Montag, 13. Februar, eine An-zeige, die kurz und etwas wirr protokolliert wurde. Sie sei am Samstag zuvor, also am 11. Februar 1775, bei einem Johannes Bersinger Ziegler in Wittenbach am Nähen gewesen, als abends um halb fünf Uhr der Knecht der Tobel-Mühle, Joseph, angekommen sei und berichtet habe, er sei mit dem Pferd durch den Wald gefahren,328 als er es «ohngemein» rauschen gehört habe. Der Knecht habe sich nicht getraut nachzuschauen, «was daselbst wäre», da es schon fast Nacht gewesen sei und ihn «ein grausen» überkommen habe.329 Die Näherin fügte an, der Knecht werde mehr sagen können.

4.3.2 Zeugenaussage von Joseph Antoni Bensegger und Bestätigung von Johannes Kunz am 14. Februar 1775

Die Aussage von Eggers Schwager Joseph Antoni Bensegger, der am Dienstag, 14. Februar 1775, also am Tag der Gefangennahme Eggers, «auf obrigkeitliches fürfordern» hin zur Zeugenaussage auf der Pfalz erschien, wurde bereits in Kap. 3.4.3 wiedergegeben. Bensegger berief sich nach Ende seiner Schilderung der Begegnung mit Egger am Abend des 13. Februar 1775 auf Eggers Stiefvater Johannes Kunz, der dem Gespräch ebenfalls beigewohnt hatte. Nachdem die Angaben von Bensegger protokolliert worden waren, bestätigte Kunz diese nach abgelegtem Handgelübde.330

327 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 6 f. 328 Gemeint ist wohl ein Pferdewagen. 329 Dok. 5, Zeugenaussage von Elisabeth Schafhauser. 330 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 5.

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4.3.3 Bergung der Leiche aus dem Galgentobel am 14. Februar 1775

Das Einvernahmeprotokoll Eggers enthält zu Beginn eine kurze Schilderung des Sachverhalts, soweit er dem Gericht bis vor dem ersten Verhör Eggers nach des-sen Festnahme bekannt war. Nachdem Joseph Bensegger in der Befragung mit-geteilt hatte, sein Schwager habe die Leiche von Catharina Himmelberger im Galgentobel in die Stauden geworfen, machten sich Fiskal Zollikofer, Leibarzt Rogg und Chirurg Wolff am Dienstag, 14. Februar 1775, dem Morgen nach der Festnahme Eggers, auf, die Leiche zu bergen. Sie fanden in der Nähe des Leich-nams von Catharina zwei weitere in ein Leintuch gewickelte Leichen, die sie begutachteten. Am Abend desselben Tages holte der Totengräber die Leichen ab und beerdigte sie bei «den ohnschuldigen kinder[n]».331

4.3.4 Berichte des Fiskals Zollikofer vom 14. und 15. Februar 1775

Zusammen mit Leibarzt Rogg und Chirurg Wolff untersuchte Fiskal Zollikofer die Leiche Catharina Himmelbergers nach deren Bergung, um das «visum et repertum»332 zu erstatten. Der Fiskal verfasste am Mittwoch, 15. Februar 1775, einen Bericht über die Besichtigung. Er beschrieb, wo und in welcher Lage man Catharina gefunden und was sie getragen hatte:

«[...] die kleidung bestunde in einem guetten hemmet, rothem leib-rockh, oder leibschorz-zen, rothgetrucktem kragen mit weissen strichlein (der fast am anfang des tobels gelegen) grünem muader, blauem unter- und aschenfarbigem oberrockh, der auch etwa 4 schritt von ihro entfehrnet gelegen, die strümpf waren roth, die schuhe aber mit gelb-kleinen schnallen eingethan».333

Der Fiskal berichtete auch über Wunden an Kopf und Genick. Wie diese be-schaffen seien, würden jedoch Rogg und Wolff mitteilen. In einem weiteren Bericht, den der Fiskal offenbar bereits am Dienstag, 14. Februar 1775, verfasst

331 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 2, Ziff. 2. Die Leichen wurden wohl in einem

Teil des Friedhofs beerdigt, in dem die Erde ungeweiht war. Dort wurden auch ungetauft gestorbene Kinder, andere «Nichtchristen» und Selbstmörder bestattet; siehe auch KNOTT[2006], S. 58 ff.; HAUSER ALBERT, Tod [1994], S. 56.

332 Medizinischer Befund. In der Stadt St. Gallen tauchte dieser Ausdruck offenbar erstmals 1759 auf; mit Quellenangabe MOSER-NEF, Bd. 7 [1955], S. 153.

333 Dok. 8, Amtsbericht von Fiskal Zollikofer, S. 2.

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hatte, hielt er fest, dass man «circa 19 schritt» unterhalb von Catharinas Körper ein Bündel erblickt und untersucht habe. Darin habe man zwei weitere tote Kör-per gefunden, wobei einer keinen Kopf mehr gehabt habe. Man habe diesen Fund «[...] dann der obrigkeit pflichtmässig anzuzeigen für nöthig erachtet, umb von selbiger weitere befehle zugegenwärthigen [...]»334. Diese habe zur Erstel-lung eines visum et repertum angehalten, das noch am selben Tag durch Rogg, Wolff und Zollikofer vorgenommen worden sei. Die toten Körper seien weib-lich gewesen. Der eine Körper sei «unzerrissen» gewesen, habe jedoch keine Eingeweide mehr gehabt und sei stattdessen mit Laub von Birn- und Kirsch-bäumen gefüllt gewesen. Vom anderen seien nur der untere Leib, eine Hand sowie die Haut vorhanden gewesen.335 Nach Vornahme des zweiten visum et repertum wurden die Leichen vom Totengräber abgeholt und beerdigt.336

4.3.5 Das «visum et repertum» von Leibarzt Rogg vom 15. Februar 1775

Der Leibarzt Rogg gab seine Beobachtungen bei der Untersuchung der Leiche von Catharina Himmelberger vom Dienstag, 14. Februar 1775, nicht zu Proto-koll, sondern verfasste tags darauf selbst ein Gutachten. Er beschrieb, in welcher Stellung die Leiche im Galgentobel gelegen habe, als er eingetroffen sei. Da die «schlimme laag des orths nicht gestattete nächeres und gründlicheres visum et repertum vorzunemmen», habe man den Körper ins Haus von Joseph Himmel-berger an der Langgass gebracht.337 Ihm, Rogg, sei ausdrücklich aufgetragen worden zu untersuchen, ob eine oder mehrere Wunden am Körper zu finden seien und ob diese an und für sich selbst tödlich oder «aber nur zu fälliger weis tödtlich geworden seyn möchten».338 Er habe vom Chirurgen Wolff, der ihm von der Obrigkeit zur Seite gestellt worden sei, und dessen Sohn den Leichnam ent-kleiden lassen und die Brust und den vorderen Leib visitiert, aber kein Merkmal ausgeübter Gewalt bemerkt. Dann habe er den Körper von hinten untersuchen lassen. Dort habe er gesehen, dass durch einen fürchterlich gewaltsamen Streich

334 Dok. 8, Amtsbericht von Fiskal Zollikofer, S. 3. 335 Dok. 8, Amtsbericht von Fiskal Zollikofer, S. 4 f. 336 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 2. 337 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 1. 338 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 1 f.

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die Wirbelsäule beim fünften und sechsten Halswirbel völlig entzwei geschla-gen worden sei, «so dass der kopf vor- und hinterwerths gewacklet».339 Der Arzt untermalte diese Beschreibung mit einer Skizze. Jene Verletzung allein könne als für jedermann tödlich erachtet werden. Von dieser Wunde zum «os occipi-ty»340, wo sich dieser unterhalb mit dem «os petroso»341 und oberhalb mit dem Oberhauptbein vereinige, bemerkte Rogg eine «starcke quantitet ausgetrettenen und gestockten gebluots unter der haut».342

Rogg berichtete von weiteren Wunden, einer oberhalb des linken Ohrs, einer beim Hauptwirbel und einer mittleren, bei der man nach Abschälen der Haut und Abwaschen der Stelle den eingedrückten Hirnschädel habe erkennen kön-nen.343 Auch dies skizzierte der Arzt. Ob jene Wunden von wiederholter Gewalt-tätigkeit her stammten oder beim Hinunterrollen in die Stauden des Tobels ent-standen seien, lasse sich eigentlich nicht bestimmen. Sicher sei jedoch, dass die drei Wunden am Kopf nicht vom aufs Genick geführten, für sich allein tödli-chen Streich herrühren könnten, da die Entfernung zu gross sei.344 Das Gutach-ten des Arztes hält das Beobachtete ausführlich unter Benennung der verschie-denen Knochen mit den lateinischen Fachbegriffen fest.

4.3.6 Stellungnahme des Chirurgen Wolff vom 15. Februar 1775

Auch der Chirurg Wolff, der als Hofbarbier amtete, verfasste am Mittwoch, 15. Februar 1775, einen kurzen Bericht über die zusammen mit Rogg durchge-führte Untersuchung der Leiche. Die Sektion habe gezeigt, dass das Hinterhaupt der Untersuchten lädiert, eingeschlagen, gespalten und zersplittert worden sei. Auch sei sie am Genick verwundet gewesen. Auf dieses «töttliche, und gewalt-

339 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2. 340 Der Os occipitale (Hinterhauptbein) ist Bestandteil der hinteren Schädelgrube und des

Schädeldachs am Hinterhaupt, PSCHYREMBEL [2004], S. 1327. 341 Der Os petroso (Felsenbein) ist Teil des Schläfenbeins und bildet die knöcherne Hülle für

das Innenohr, PSCHYREMBEL [2004], S. 558.342 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2. 343 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2 f. 344 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 3.

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same verfahren» könne nichts anderes folgen «als der schmertz, und bittere tott selbst». Dies attestierten die Hofbarbiere Vater und Sohn.345

4.3.7 Erste Einvernahme Eggers am 15. Februar 1775

Die erste Einvernahme Eggers erfolgte einen Tag nach seiner Festnahme am Mittwoch, 15. Februar 1775, in St. Fiden. Gleich zu Beginn des Verhörs gab er an, es «seye ihm leyd, dass er das ding gethan habe».346 Er gestand sogleich, der Catharina Himmelberger mit einer Mistgabel einen «streich in das knick gege-ben»347 zu haben. In seinem Schrecken habe er nicht gewusst, was er mit ihr ma-chen sollte. So habe er sie in den hinteren Teil des Stalls gelegt. Dort sei sie von Montag, 6. Februar, bis Freitag, 10. Februar, gelegen. Am Freitag habe er sie um vier Uhr morgens «auf die achsel genohmen», in den Tiergarten getragen und sie ins Tobel hinunter geworfen.348 Das Gericht befragte Egger daraufhin detailliert, wie er den Schlag ausgeführt habe. Ihm wurde sogar die Mistgabel gebracht, damit er dem Gericht den Schlag demonstriere. Auf die Frage, was für Wunden er dem Opfer beigebracht habe, antwortete er kaum. Er blieb bei seiner Aussage, mit nur einem Schlag «den kopf, wo die zöpf seyen» getroffen zu ha-ben.349 Daraufhin wurde er mit dem Ergebnis des visum et repertum konfron-tiert: Man habe eine Wunde am Genick gefunden sowie zwei weitere auf der linken Kopfseite zwischen Ohr und Genick. Die eine dieser beiden Wunden sei nicht tief gewesen, die zweite hingegen sei «bis auf das hirn hinein gegan-gen».350 Trotz dieser Ausführungen hielt Egger an seiner Darstellung fest, nur einmal zugeschlagen zu haben.

Zum Grund des Besuchs von Catharina Himmelberger befragt, sagte Egger aus, er sei ihr noch etwas schuldig gewesen. Er verneinte die Frage, ob er sie aufgefordert habe, ihn im Dunkeln zu so früher Stunde im Stall aufzusuchen.351

345 Dok. 10, Stellungnahme des Chirurgen und Hofbarbiers Wolff und dessen Sohns. 346 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 1. 347 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antworten 2 und 3. 348 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 3. 349 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 8. 350 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 10. 351 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 13.

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Sie habe zuviel gefordert und mit ihm «gezancket»352, habe gesagt, er sei ein «spizbueb» und ein «lieger»353 weshalb er sie mit der Mistgabel zum Stall hinaus habe jagen wollen. Er wisse nicht, weshalb er zugeschlagen habe. Er sei «taub» gewesen.354 Catharina Himmelberger habe 20 Batzen von ihm gefordert, er aber sei ihr nur noch einen Gulden schuldig gewesen. Daraufhin konfrontierte ihn das Gericht damit, dass er «anderwerths» vorgegeben habe, Catharina habe ei-nen Gulden gefordert, während er ihr nur 30 Kreuzer geschuldet habe.355 Am Freitag bei der ersten Befragung vor der Festnahme habe er sogar behauptet, ihr keinen Kreuzer mehr schuldig gewesen zu sein, sondern ihr alles bezahlt zu ha-ben. Mit diesen Widersprüchen konfrontiert, sagte Egger aus,

«[...] sie habe 20 bazen geforderet, und er habe anstatt des kantlichen ein gulden ihro wol-len damahlen ½ gulden geben und das er der obrigkeit vorgegeben, er seye ihro gar nichts schuldig, habe er gedenckt, er wolle sich damit ausreden.»356

Daraufhin erwiderten die Verhörenden, es zeige sich also, dass er schon letz-ten Freitag entschlossen gewesen sei, sich auf das Leugnen zu verlegen, wor-aufhin Egger um Verzeihung bat. Er behauptete, sonst nie gelogen zu haben.357

Weiter wurde Egger gefragt, warum er die Tat, die ihm – wie er sage – leid tue, «niemandem angezaigt, oder gleich darüber lermen gemacht» habe. Er habe in Gottes Namen nicht gewusst, was er tue, es habe ihm aber trotzdem leid getan, antwortete der Angeschuldigte.358 Das Verhör dieses Tages schloss mit ein paar Fragen zur Kleidung, die die Getötete angehabt hatte, und der Notiz, Egger sei «in das blockhaus wider verwahret worden».359

Egger hatte sich also nach anfänglich widersprüchlichen Angaben darauf festgelegt, der Catharina Himmelberger einen Gulden geschuldet zu haben, was 15 Batzen oder 60 Kreuzern entspricht. Weiter sagte er aus, seine Gläubigerin habe 20 Batzen von ihm gefordert. Der Streit zwischen den beiden brach offen-

352 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 14. 353 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 16. 354 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 17. 355 Wann und wo Egger sich dahingehend geäussert haben soll, verschweigen die Akten. 356 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 19. 357 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 20. 358 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 21. 359 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 13.

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bar wegen eines Betrags von lediglich fünf Batzen bzw. 20 Kreuzern aus. Dies entsprach grob geschätzt dem Einkommen eines unqualifizierten Tagelöhners.360

4.4 Weitere Untersuchungshandlungen und zweite Einvernahme Eggers

4.4.1 Anzeige des Strumpfwebers Pankraz Rietmann am 16. Februar 1775

Am Donnerstag, 16. Februar 1775, zwei Tage nach der Verhaftung Eggers, er-stattete ein gewisser Pankraz Rietmann361 auf der Pfalz Anzeige. Er war Bürger der Stadt St. Gallen und von Beruf Strumpfweber. Er gab zu Protokoll, dass sein Bruder Hansulrich Rietmann vor eindreiviertel Jahren an einem Samstag im Frühling während des Jahrmarktes die Stadt abends verlassen habe. Seither habe man nichts mehr von ihm gehört. Joseph Egger hatte offenbar auf seinem Hof Most ausgeschenkt. Da Hansulrich Rietmann auf dem Land in einem abgelege-nen Mosthaus bisweilen gerne ein Glas Most getrunken habe, äusserte Pankraz Rietmann nun die «muethmassung», sein Bruder könnte zu Egger auf den Hof gegangen und «allda ohnglückhlich geworden seyn».362

4.4.2 Hausdurchsuchung am 16. Februar 1775

Vor Beginn der erneuten Einvernahme Eggers am 17. Februar 1775 wurde im Protokoll festgehalten, Hofweibel Ackermann sei nach dem Verhör vom 15. Fe-bruar 1775 beauftragt worden, das Haus Eggers und den Stall samt Miststöcken genau zu durchsuchen, was er am 16. Februar getan habe. Im Stall fand Acker-mann eine Schürze und ein mit Blut besprengtes Halstuch. Seit dem Fund des Bündels mit den zwei noch unbekannten Leichen in der Nähe der Leiche von Catharina Himmelberger hatte sich der Verdacht «gemehret», einige von Catha-

360 Ein Pfund Brot kostete im 17. Jahrhundert im Durchschnitt etwa drei Kreuzer; BAUMANN

MAX [2003], S. 135. 361 Geb. 1706, gest. 1775, Weber, Fähnrich, Hauptmann; ALTHER [2004], S. 103, 107. 362 Dok. 11, Anzeige von Pankraz Rietmann.

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rinas Kleidern, insbesondere die «ermelschluten», könnten sich im Bündel mit den beiden Leichen befunden haben.363 So beschloss man, nicht nur Catharinas Bruder nach ihren Kleidern und «ermelschluten» zu befragen, sondern befahl zudem dem Totengräber, die beiden bereits wieder beerdigten fremden toten Körper samt Kleidern und den ominösen «ermelschuten» in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1775 erneut auszugraben und die Kleider dem Gericht zu bringen. Dies geschah, worauf die Kleider Jacob Himmelberger gezeigt wur-den.364

4.4.3 Aussage von Jacob Himmelberger am 17. Februar 1775 und dessen förmliche Zeugeneinvernahme am 18. Februar 1775

Am Samstag, 18. Februar 1775, wurde Catharinas Bruder Jacob Himmelberger, Schuster in Rotmonten, als Zeuge vorgeladen. Diese Einvernahme fand in St. Fiden im Wirtshaus statt und nicht auf der Pfalz. Bei ihrem Bruder Jacob Himmelberger hatte Catharina in den anderthalb Jahren bis zum Umzug an die Langgasse zu Zunftmeister Ziegler gewohnt. Deswegen vermutete das Gericht, er werde ihre Kleider kennen. Er gab denn auch zu Protokoll, die «ermelschlut-ten», die er tags zuvor, am 17. Februar 1775 vormittags, beim Totengräber ge-sehen habe, klar als diejenigen seiner Schwester zu erkennen.365 Dasselbe galt für ein Hemd und eine blaue Schürze, die ihm ebenfalls am Vortag im Wirts-haus gezeigt worden waren. Die Schürze habe sich Cathrina in der Stadt St. Gal-len extra färben lassen. Auch Jacobs Tochter Maria Anna, die am Vortag bei der Besichtigung der Kleider zugegen gewesen war, hatte die «ermelschlutten» of-fenbar sogleich erkannt.366 Am Ende der Befragung beteuerte Jacob Himmelber-ger, er wäre bereits am Vortag vor der Obrigkeit erschienen, wenn nicht der Herr Fiskal ihm gesagt hätte, er solle nachhause gehen.367

Da das Gericht bei der zweiten Befragung Eggers am 17. Februar 1775 be-reits darüber informiert war, dass der Bruder die Kleidung hatte identifizieren 363 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 14 f. 364 Dok. 2, Einvernahmeprotokolle Eggers, S. 15. 365 Dok. 12, Zeugenaussage von Jacob Himmelberger, S. 1. 366 Dok. 12, Zeugenaussage von Jacob Himmelberger, S. 1 f. 367 Dok. 12, Zeugenaussage von Jacob Himmelberger, S. 3.

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können, wurde bei einer entsprechenden Notiz im Einvernahmeprotokoll Eggers wahrscheinlich auf die informellen Äusserungen Jacob Himmelbergers am Vormittag des 17. Februar 1775 abgestellt, die er wohl im Wirtshaus auf Vor-zeigen der Kleider gegenüber Fiskal Zollikofer gemacht hatte. Die vereidigte Zeugeneinvernahme erfolgte jedoch gemäss Protokoll erst am 18. Februar 1775.

4.4.4 Zweite Einvernahme Eggers am 17. Februar 1775

Nach Wiedergabe der erwähnten Untersuchungshandlungen und Hinweis auf die Aussagen von Jacob Himmelberger im Protokoll wurde das Verhör Eggers am Freitag, 17. Februar 1775, wieder aufgenommen. Einleitend wurde der Ver-dächtige gefragt, ob er auf seinen Ausführungen in der ersten Befragung beharre oder ob er etwas abzuändern habe. Egger fiel daraufhin auf die Knie und beteu-erte, es tue ihm leid, der Catharina einen «streich» gegeben zu haben. «Er wüsse nicht anderes, und beharre darauf.»368 Auch nach nochmaliger Frage blieb er bei seiner Aussage, dass er der Catharina nur einen Streich versetzt habe «[...] auf das orth, wo die zöpf seyen, [...] und das sie sogleich umbgefallen, und maustodt gewesen» sei.369 Daraufhin konfrontierten ihn die Befragenden damit, man habe bei einer zweiten Visitation festgestellt, dass am Kopf drei Wunden und auf dem Nacken eine weitere Wunde seien. Diese könnten gemäss den Aus-sagen der beigezogenen erfahrenen Ärzte und Barbiere unmöglich von einem einzigen Streich stammen.370 Egger beharrte weiter auf seiner Darstellung. Die Untersuchenden wurde deswegen noch deutlicher und führten aus, die eine Wunde gehe auf dem Nacken grad über den Hals, als ob man dem Opfer den Kopf hätte abschlagen wollen, während die drei Wunden auf dem Kopf zu weit entfernt seien, um vom gleichen Schlag her zu rühren.371 Als Egger noch immer beteuerte «in Gottes namen nur einen einzigen straich gefüehret, und sonsten seiner lebtag nichts dergleichen getan»372 zu haben, merkte die Obrigkeit an,

368 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 26. 369 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 28. 370 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 29. 371 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 30. 372 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 30.

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«mann sage ihme rund heraus, er lüege ohnverschambt»373, liess die Sache dann aber vorerst auf sich beruhen.

Weitere Fragen betrafen die Kleidung Catharinas. Zudem fragte man Egger, weshalb er sein Opfer nach der Tat so lange unbedeckt im Stall liegen gelassen habe; ob er nicht befürchtet habe, jemand könne es bemerken. Dies verneinte Egger. Catharina sei zuhinterst im Stall gelegen hinter einer Tür, die das ganze Jahr geschlossen sei.374 Weitere Fragen drehten sich um die Fortschaffung der Leiche sowie das allfällige Vorhandensein von Eingeweihten oder Gehilfen. Egger sagte aus, niemand habe etwas gewusst oder ihm geholfen.375 Schliesslich wurde er wieder abgeführt.

Post prandium376 ging die Einvernahme weiter. Wieder wurde Egger ergeb-nislos nach Ergänzungen zu den bereits gemachten Äusserungen gefragt. Erneut wollte man wissen, «was ihn bewogen, solche [grausame that] zu begehen». Egger wusste keine andere Antwort, als dass er es «halt im zorn gethan» habe.377

Wenn es ihm tatsächlich leid tue, wie er sage, so hätte er die Tat doch jeman-dem angezeigt, das Opfer nicht so lange im Stall liegen lassen und es schliess-lich nicht auf seinen Schultern fort getragen, mutmasste die Obrigkeit. Darauf wusste Egger nichts zu antworten.

Schliesslich fragte man ihn, ob er ausser dem Opfer sonst noch etwas an je-nen Ort im Tobel getragen habe. Dies verneinte er «in instanti». Er sei sonst nie an diesem Ort gewesen und habe seiner Lebtag auch niemandem Leid zuge-fügt.378 Erneut wurde er ermahnt, er «solle sich wohl bedenckhen, was er rede, die obrigkeit könnte mehr wüssen, als er sich einbildet».379 Als Egger dazu noch immer nichts gestehen wollte, fragte man ihn nach Catharinas «ermelschluten». Die müsse er wohl auf dem Weg verloren und jemand anderes sie gefunden ha-ben, war Eggers Antwort.380 Der Befragende beschrieb schliesslich die «er-

373 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 31. 374 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 41. 375 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Fragen und Antworten 48 und 49. 376 Prandium: lat. für «zweites Frühstück». 377 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 54. 378 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 60. 379 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 61. 380 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 62.

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melschluten» und fragte Egger, ob ihm «das herz noch nicht schlotere». Egger verneinte.381 Schliesslich zeigte man ihm die «ermelschluten» und fragte ihn, was er dazu sage. Darauf stellte Egger die Gegenfrage, «in was er dann gelo-gen».382 Das wolle man ihm sagen: darin, dass er vorgebe, nicht zu wissen, wo-hin er die «ermelschluten» getan habe. So ging es noch einige Male hin und her; Egger stellte sich weiter unwissend. Offenbar setzte ihm das Verhör aber zu, äusserte er doch plötzlich, er wisse wohl, dass die Wahrheit ihm zu Heil- und Seligkeit verhelfe383 und jammerte schliesslich:

«Ach: sterben seye schwehr, schwehr; wolte gern alles, was er hätte, der obrigkeit überlas-sen, und dem allmosen nach, oder auf die gallery gehen, auch 4 finger sich abhauen lassen, wann er nur nicht sterben müsste [...].»384

Auf diese Äusserung hin wurde ihm gesagt, Gott habe für uns auch den Tod gelitten, er solle Mut und Herz fassen und alles reumütig bekennen. So gestand Egger schliesslich, bei den «ermelschluten» werde noch ein Mensch gewesen sein und korrigierte sogleich: Es seien zwei Menschen gewesen.385 Unter erneu-ter Ermahnung zur Wahrheit gab Egger an, einer der toten Menschen komme vom Kirchhof zu St. Fiden, der andere sei unter dem Galgen auf dem Espen ge-wesen. Der Befrager antwortete «solches seye durchaus nicht glaubwürdig, solle die obrigkeit nicht affen».386 Egger erwiderte, man solle den Totengräber an den angegebenen Stellen graben lassen und werde feststellen, dass es wahr sei. Bei den Toten handle es sich um «weibs persohnen».387 Die eine Tote habe er am Donnerstag nach der letzten Weihnacht ausgegraben, die andere gleich nach deren Enthauptung. Er wisse nicht, wie die Frau geheissen habe, die er auf dem Friedhof ausgegraben habe, meine aber, sie sei aus Guggeien und zwischen 30 und 40 Jahre alt gewesen. Er habe sie abends um sieben Uhr mit einer mitge-brachten Schaufel ausgegraben und auf den Schultern nachhause getragen.388

Die andere Tote sei jene gewesen, die vor zwei Jahren hingerichtet worden

381 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 64. 382 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 68. 383 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 72. 384 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 73. 385 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 74. 386 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antworten 75, 76, Frage 77. 387 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antworten 77, 78. 388 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antworten 79, 80.

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sei.389 Nach dem Motiv für diese Taten gefragt, antwortete Egger, er wisse es nicht, es sei ihm gewesen, als ob er dazu gezwungen worden sei. Die Enthaupte-te habe er fünf oder sechs Tage nach der Hinrichtung zuerst in seinen Stall ge-bracht, dann ins Tobel getragen und ihr mit einem Messer Hände und Füsse ab-geschnitten und diese mit nachhause genommen. Die Frau vom Kirchhof habe er seit Weihnachten zuhinterst im Stall gehabt. Mit diesem zweiten Körper habe er gar nichts gemacht, er habe in den Weihnachtsfeiertagen weder Rast noch Ruhe gehabt, sei gezwungen gewesen, ihn auszugraben.390 Er habe die Leiche dann am vorletzten Donnerstag, also wenige Tage nach dem Totschlag der Ca-tharina Himmelberger, hinausgetragen weil er gefürchtet habe, man würde den Stall durchsuchen.391

4.5 Weitere Untersuchungshandlungen und dritteEinvernahme Eggers

4.5.1 Öffnung des Grabs von Maria Baumann am 18. Februar 1775

Auf dieses Geständnis hin befahl man dem Totengräber und dem Hatschier Jo-seph Hofstetter, das von Egger beschriebene Grab auf dem Kirchhof zu öffnen und zu besichtigen. Der Hatschier berichtete am Samstag, 18. Februar 1775, post prandium auf der Pfalz über das Vorgefundene. Vor der Graböffnung habe er Egger gefragt, ob er den Körper mit oder ohne den Totenbaum392 herausge-nommen habe. Egger habe geantwortet, er habe den Deckel des Totenbaums mit einem Schroteisen hochgestemmt, den Körper herausgenommen, das Eisen im Grab liegen lassen und es wieder geschlossen.393 Daraufhin sei er, Hofstetter, mit 389 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 81. Hingerichtete wurden insbesondere

dann häufig in der ungeweihten Erde unter dem Galgen vergraben, wenn neben der Leib- und Lebensstrafe eine Ehrenstrafe oder die Exkommunikation verhängt worden waren, ILLI [1992], S. 63.

390 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 83. 391 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 84. 392 Während die Toten in der Schweiz des Spätmittelalters häufig in Leinwand eingenäht

bestattet wurden, fand insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert eine deutliche Verlage-rung zugunsten des Holzsargs, des Totenbaums statt, vgl. HAUSER ALBERT, Tod [1994], S. 25.

393 Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 1.

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dem Totengräber auf den Friedhof gegangen und habe beide Türen desselben verschlossen. Der Totengräber habe das bezeichnete Grab, das ziemlich einge-fallen gewesen sei, geöffnet. Der Leichnam sei nicht darin gewesen. Nach Schliessung des Grabes habe man noch das Nachbargrab geöffnet und «deutlich wahrgenohmen, das der cörper sich ordentlich darinnen befinde, sohin dieses wider zugemacht, und jhre verrichtung vollendet».394 Der Totengräber habe aus-gesagt, die ausgegrabene Tote sei Carl Etters Frau gewesen, eine Kindbetterin, die am letzten Stephanstag begraben worden sei.395 Nach der Vesper hielt Rats-sekretär Gross noch weitere, hier nicht weiter relevante Details der Grabbesich-tigung fest.

4.5.2 Zurückkommen auf Zeugenaussagen vom August 1773

Nachdem Egger gestanden hatte, eine vor zwei Jahren enthauptete und unter dem Galgen begrabene Frau ausgegraben zu haben, erinnerte man sich offenbar an eine Zeugenaussage, die anderthalb Jahre zuvor am 23. August 1773 auf der Pfalz zu Protokoll gegeben worden war. Der Sattlermeister Kaspar Wettach aus der Langgass hatte damals ausgesagt, er habe etwa am 13. August 1773 im Gal-gentobel Weiden geschnitten, als er zwischen den Stauden einen toten weibli-chen Körper bemerkt habe. Da kein Kopf dabei gewesen sei, habe er gleich ge-mutmasst, es handle sich um den Leichnam der enthaupteten Elisabeth Han. Beide Arme sowie die Füsse bis an die Knie seien weggehauen und fortgenom-men gewesen. Er sei gleich nachhause gelaufen und habe einen Nachbarn mit zur Leiche genommen. Dieser habe tags darauf dem Scharfrichter Anzeige er-stattet, der seinen Knecht zum Leichnam geschickt habe.396

Das Protokoll war am 25. August 1773 weitergeführt worden. Der Körper war tatsächlich jener der hingerichteten Elisabeth Han. Das Gericht hatte dem Knecht des Scharfrichters, Fideli Burckhard, befohlen, die Leiche wieder unter dem Galgen zu vergraben. Anschliessend hatte man ihn einvernommen. Auch er

394 Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 3. 395 Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 3. 396 Dok. 1, Zeugenaussagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,

S. 1 f.

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hatte bestätigt, dass der Körper von Elisabeth Han weder Füsse noch Arme ge-habt habe und das Fleisch bereits verwest gewesen sei. Auf Befehl des Scharf-richters habe er mit einem Nebenknecht die Überreste der Leiche abends unter dem Galgen «bey 3½ schuehe tief verlochet»397, wobei er festgestellt habe, dass der Kopf der Leiche noch im Loch gelegen sei. In jenem Loch befanden sich zudem zwei weitere Geköpfte. Der Knecht hatte gemutmasst, Elisabeth Han könne das Herz aus dem Körper genommen worden sein, da «spizbueben aller-hand abergläubische sachen damit trieben».398 Dies war 1773 jedoch nicht über-prüft worden.

Auch der Nebenknecht Franz Antoni Ritter war 1773 beeidigt zum Ganzen befragt worden. Er hatte die Angaben von Fideli Burckhard bestätigt.399

4.5.3 Exkurs: Das Schicksal der Elisabeth Han

Die handschriftlichen Protokolle des Ledigen Pfalzrats aus dem Jahr 1773 of-fenbaren die Geschichte von Elisabeth Han, die am 26. Juni 1773 auf dem Richtplatz auf dem Espen geköpft worden war. Hofkanzler Sartory von Raben-stein, Fiskal Zollikofer und Ratssekretär Gross waren am 22. April 1773 zu Ge-richt gesessen, nachdem am 18. April 1773 abends im «schenckhaus zu Stock-hen» Elisabeth Han, Melchior Burckard und Johann Joseph Demmer wegen ei-nes bei Degersheim400 verübten Diebstahls von den Hatschieren verhaftet wor-den waren.401 Das ausführliche Verhör der 46-jährigen, aus Waldkirch stammen-den Elisabeth Han brachte folgendes zu Tage: Bereits 23 Jahre zuvor war Elisa-beth Han wegen eines begangenen Kleiderdiebstahls im Rathaus zu Rheineck «gefänglich eingesezet» und schliesslich «neben den pranger gestellet, auch mit

397 Dok. 1, Zeugenaussagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,

S. 3. 398 Dok. 1, Zeugenaussagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,

S. 4. 399 Dok. 1, Zeugenaussagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,

S. 5. 400 Im Protokoll wird der alte Ortsname Degerschen verwendet; StiASG, Bd. 1073, S. 613. 401 StiASG, Bd. 1073, S. 613. Stocken ist heute ein Ortsteil im Westen der Stadt St. Gallen

nahe Bruggen.

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ruthen ausgehauwen» worden.402 Kurze Zeit später wurde sie in St. Margrethen und in Lustenau wieder beim Kleiderdiebstahl ertappt. Nach der erneuten Ver-haftung gestand sie, auch in Vaduz, Frastanz und Waldkirch gestohlen zu haben, weswegen sie 1751 in Hohenems nach abgeschworener Urfehde vom Scharf-richter eine Stunde lang an den Pranger gestellt und mit Ruten ausgehauen und schliesslich auf ewig aus dem Gebiet verwiesen worden sei. Das Gericht verifi-zierte diese Angaben durch das Einholen des Protokolls des damaligen Verfah-rens.403

Trotz dieser Strafen besserte sich Elisabeth Han nicht. Das Protokoll zum Verhör vom April 1773 listet auf neun Seiten weitere von ihr begangene Dieb-stähle auf. Sie hatte über zwei Dutzend Mal unter anderem in folgenden Orten gestohlen: Schaan, Dornbirn, Frastanz, Batschuns, Näfels, am Triesener Berg, in Triesen, Sargans, Werdenberg, Wangs, Trimmis, Wartau, Berschis, Salez, Seve-len, Buchs und Altendorf. Entwendet hatte sie häufig Kleider, etwa einen «wei-ber rockh, und weiber ermel»404, «hemmeter, und bethgewand»405, Hosen, dann aber auch Leintuch und Garn, Hemdsknöpfe und Hosenschnallen406, Tischtü-cher, Schuhe und «schnupftüecher»407 und eine Kupferpfanne.408 Immer häufiger hatte sie auch Geld gestohlen; weit über 100 Gulden gestand sie ein. Vielfach entwendete sie auch Esswaren, etwa Mehl, Salz, Schmalz und Speck sowie Zwetschgen und Kirschen.409 Bei vielen Einbrüchen in Häuser suchte sie nach dem regelmässig in der Nähe der Haustür versteckten Schlüssel, mehrmals drückte sie Bretter beiseite oder riss solche weg,410 einmal habe sie «an der hin-deren thür so lang gerottlet, bis der inwendig hölzerne nagel weeg gefallen» sei.411 Nicht selten sei sie oder ihr Sohn durch irgendein Loch ins Innere des Hauses gekrochen.412 Ihr Sohn half oftmals bei den Einbrüchen. Auch spannte

402 StiASG, Bd. 1073, S. 614, Ziff. 1. 403 StiASG, Bd. 1073, S. 614 f., Ziff. 2. 404 StiASG, Bd. 1073, S. 615, Ziff. 3. 405 StiASG, Bd. 1073, S. 616, Ziff. 8. 406 StiASG, Bd. 1073, S. 621, Ziff. 23. 407 StiASG, Bd. 1073, S. 622, Ziff. 25. 408 StiASG, Bd. 1073, S. 622, Ziff. 26. 409 StiASG, Bd. 1073, S. 617, Ziff. 10; S. 619, Ziff. 17 f.; S. 620, Ziff. 19; S. 622, Ziff. 25. 410 StiASG, Bd. 1073, S. 620, Ziff. 19, 22 und 23. 411 StiASG, Bd. 1073, S. 617, Ziff. 13; auch S. 620, Ziff. 21. 412 StiASG, Bd. 1073, S. 618, Ziff. 16; S. 619, Ziff. 17.

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sie mehrfach mit Hans Melchior zusammen und teilte nach dem gemeinsamen Einbruch mit ihm das Diebesgut.413 Die Beute verbrauchten oder verkauften sie jeweils.

Offenbar bemühte sich Elisabeth Han, 1773 aus der Gefangenschaft auszu-brechen. Sie habe mit dem Holz des Tischschragens und ihren Schuhen ein etwa zwei Schuhe hohes und einen halben Schuh breites und tiefes Loch in die Mauer gehauen, «seye aber einfältig gewesen, jndeme sie die kettenen noch an dem fues gehabt, und nicht hätte entrinnen können, gleichwohlen aber vermeinet sie könne alsdann gleich forth».414

Schliesslich wurde Elisabeth Han unter Hinweis auf die «ausweisung des Kayser Caroli des 5, und des heiligen reichs halsgerichtsordnung» wegen der vielen von ihr begangenen kleinen und grossen Diebstähle und weil die an ihr vollzogene «scharfe züchtigung» ihr keine Warnung gewesen sei, dem Scharf-richter übergeben.415 Von diesem wurde sie über die gewöhnliche Richtstrasse auf die Richtstatt geführt und «allda durch das schwerdt von dem leben zum dodt hingerichtet [...], ihro selbst zu wohlverdienter straf, anderen aber zu einem abscheuwen und exempel».416 Der Sohn von Elisabeth Han, Johann Joseph Demmer, wurde an den Pranger gestellt417 und mit Ruten gestrichen. Der Kom-plize Hans Melchior erlitt ebenfalls den Tod durch das Schwert.

Die beiden Hinrichtungen fanden am 26. Juni 1773 statt.418 Abt Beda erwähn-te in seinem Tagebuch die Hinrichtungen und wies darauf hin, ein 17- oder 18-jähriger Bub sei «pardoniert, und mit ruthen ausgehauen worden» und schliesst den Eintrag mit «fiat sancta justitia!».419

413 StiASG, Bd. 1073, S. 619, Ziff. 17; S. 620, Ziff. 19 und Ziff. 23; S. 622, Ziff. 25; S. 623,

Ziff. 27; S. 624, Ziff. 29. 414 StiASG, Bd. 1073, S. 623, Ziff. 28. 415 StiASG, Bd. 1073, S. 625. 416 StiASG, Bd. 1073, S. 625. 417 Es war Sache des Amtsdieners, den Verurteilten an den Pranger, in die Trülle oder die

Foltergeige zu stellen, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 3 Ziff. 8. Dafür sollte er 30 Kreuzer bekommen; S. 7. Abbildungen von Pranger, Geige und Trülle bei HINCKELDEY [1989], S. 312, 345, 461, 477.

418 StiASG, Bd. 1073, S. 626. 419 Tagebuch Abt Bedas, Eintrag vom 26. Juni 1773, StiASG, Bd. 283, S. 17.

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4.5.4 Befragung des Knechts Franz Antoni Ritter am 18. Februar 1775

Am Samstag, 18. Februar 1775, also nach den Enthüllungen Eggers zur Leiche von Elisabeth Han in der zweiten Einvernahme am 17. Februar, wurde Franz Antoni Ritter, der bei der Hinrichtung von Elisabeth Han als Nebenknecht des Scharfrichters tätig gewesen war, in den Zeugenstand berufen. Im Protokoll ist vermerkt, man habe den im August 1773 bereits an der Sichtung und Bergung des Leichnams beteiligten Knecht Fideli Burckhard nicht vorladen können, da sich dieser nicht mehr in des hiesigen Scharfrichters Dienst befinde. Ritter wur-de das Protokoll vom 25. August 1773 vorgelesen. Er äusserte nach abgelegtem Handgelübde, die Deposition sei durchaus richtig, er wisse nichts abzuändern. Er könne sich noch gar wohl erinnern, dass der gefundene Körper von Elisabeth Han aus nichts anderem bestanden habe als aus dem Leib selbst. Der Körper sei «von dem fleisch, haut, und jnngeweyd vollkommen ledig» gewesen, und es sei nichts anderes zu sehen gewesen als Rippen und Rückgrat.420

4.5.5 Anzeige des Wirts Christian Louis am 18. Februar 1775

Wie der Wirt Christian Louis am 13. Februar 1775 nach Eggers Geständnis in Louis’ Wirtshaus an der Langgasse mit Egger besprochen hatte, erstattete er am 14. Februar 1775 Anzeige, in der er «nach abgelegtem Handgelübd»421 sein Wis-sen wiedergab.422 Am Samstag, 18. Februar 1775, meldete Louis sich erneut bei der Obrigkeit mit folgender Anzeige: Am Vorabend, also offenbar am 17. Feb-ruar, habe er von dem «hafner Sylvester Blanckh»423 gehört, Egger habe «umb das neue jahr herumb an einem donnerstag hafner geschirr nacher Herisaw ge-füehret»424. Der Sohn dieses Blanckh hatte Egger offenbar begleitet. Auf dem Heimweg habe dieser den Buben angewiesen, alleine weiterzugehen mit dem

420 Dok. 1, Zeugenaussagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,

S. 5 f. 421 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 1. 422 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen in Kap. 3.4.2. 423 Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis. Unter «Hafner» wird heute ein Ofenbauer

verstanden. In früheren Zeiten wurde die Bezeichnung Hafner allgemein für Töpfer ver-wendet.

424 Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis.

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Hinweis, er müsse noch in die Vorstadt. Erst «nach verfluss ohngefähr 2 stun-den» sei Egger mit einem Bündel über den Schultern die Langgasse entlang ge-kommen.425

4.5.6 Zeugeneinvernahme von Carl Etter am 20. Februar 1775

Am 20. Februar 1775 wurde Carl Etter in St. Fiden als Zeuge unter Eid einver-nommen. Er gab zu Protokoll, seine Frau Maria Baumann sei am letzten heili-gen Weihnachtstag 31-jährig im Kindbett gestorben und am St. Johannestag426

auf dem Friedhof in St. Fiden beerdigt worden. Etter wurde nach Kleidung und Grabbeigaben seiner Frau befragt. Verschiedene Kleidungsstücke wurden ihm vorgezeigt, er äusserte sich darüber aber etwas unsicher und verwies auf die Frau seines Bruders Antoni Etter. Diese habe seine verstorbene Frau zusammen mit der Magd angekleidet. Er selbst sei damals «in vollem schreckhen gewe-sen».427 Befragt nach ihrem Gebiss, gab er zu Protokoll, er meine, sie habe «in dem oberen mund die vorderste 2 zähn zu kurz gehabt».428

4.5.7 Dritte Einvernahme Eggers am 20. Februar 1775

Am Montag, 20. Februar 1775, ging die Einvernahme Eggers in St. Fiden wei-ter. An jenem Vormittag war Leibarzt Rogg nicht anwesend. Man fragte Egger einleitend, ob er seinen Aussagen betreffend die zwei von ihm ausgegrabenen Leichen noch etwas hinzuzufügen habe, was er verneinte. Man liess ihn erneut beschreiben, wie er Maria Baumanns Leichnam ausgegraben und fortgeschafft hatte. Er sagte weiter aus, den Körper während 14 Tagen in seinem Stall liegen-gelassen und nicht mehr angeschaut zu haben. Auf die Frage, was er anschlies-send gemacht habe, antwortete er, er habe den Körper nur angeschaut und an-schliessend wieder mit Stroh zugedeckt. Danach habe er nichts mehr gemacht,

425 Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis. 426 Der Gedenktag des Apostels Johannes ist der 27. Dezember, zum Fest siehe Lexikon der

Bräuche und Feste [2007], S.173 f. 427 Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 7. 428 Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 6 f.

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bis er «der Catharina den streich gegeben»429. Er habe das Bündel mit dem toten Körper, den Körperteilen der Geköpften und den «ermelschluten» von Catharina schliesslich ins Galgentobel getragen.430 Man fragte ihn nochmals eindringlich, ob er nie etwas mit dem Körper der Wöchnerin gemacht habe. Da gestand Egger schliesslich, dass er am Donnerstag, als er das Bündel weggeschafft hatte, mit einem Messer der Leiche von Maria Baumann den Hals aufgeschnitten habe.431

Er wurde in der Folge angehalten zu demonstrieren, wie er den Schnitt gemacht habe. Die Frage, ob er noch andere Schnitte am Körper vorgenommen habe, verneinte Egger.432 Nach dem Grund für den Schnitt am Hals befragt, sagte Eg-ger aus, «er habe halt wollen sehen, ob sie noch bluete, oder ob alles jnnwendig schon verfaulet seye».433 Man fragte ihn, warum er dies habe wissen wollen, dies sei eine Torheit, worauf Egger antwortete, «er wüsse sonsten nicht das gerings-te».434 Wieder wurde Egger aufgefordert, nicht so «ohnverschambt» zu lügen, und er erfuhr, dass man den Körper begutachtet habe. Dies zeigte Wirkung: Eg-ger gestand, er habe dem Leichnam

«von dem herzgrüeble an bis ohngefähr zu dem, oder etwas unter den nabel den bauch auf-geschnitten, umb zu wüssen, ob schon alles faul seye, und wann noch etwas vorhanden wä-re, das solches im stall und nicht auf dem weg ausrünne.»435

Wieder wurde Egger gefragt, ob er sonst noch etwas am Leichnam gemacht habe, worauf er schliesslich zugab, man werde das Herz draussen gefunden ha-ben; es sei herausgefallen, als er die Leiche das Tobel «herunter trohlen» lassen habe.436 Ihm wurde daraufhin vorgehalten, solches sei unmöglich und eine Lüge, worauf er bekannte, das Herz noch im Stall herausgeschnitten zu haben, «und damit es in dem tragen nicht über ihne herunter rünne, habe er solches in den

429 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 95. 430 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 97 f. 431 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 99. 432 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 101. 433 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 102. 434 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 103. 435 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 104. 436 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 106.

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händen hinaus getragen».437 Weiter musste Egger genau beschreiben, wie er das Herz aus dem Körper herausgeholt hatte.438

Nach einem Unterbruch wurde das Verhör post prandium fortgesetzt. Man fragte Egger erneut, ob er die Wahrheit gesagt habe und bei seiner Aussage bleibe. Da gab er zu, an der Leiche von Maria Baumann noch einen Schnitt vom Bauchnabel zu den Schenkeln vorgenommen zu haben, damit «es auslaufe».439

Man diskutierte weiter über die verschiedenen Schnitte, weil Eggers Aussagen offenbar nicht mit den Ergebnissen der Begutachtung des Leichnams überein-stimmten. Schliesslich gab Egger an, neben dem Herz auch die Brust «heraus genohmen» zu haben.440 Diese habe aus Rippen bestanden. Er habe sie zusam-men mit dem Herz und dem Bündel den Abhang hinunterrollen lassen. Die Haut habe er am Körper gelassen.441 Das Gericht schenkte seiner Schilderung keinen Glauben und forderte ihn auf, er solle «mit der wahrheit umbgehen», es sei nicht möglich, ihm zu glauben.442 Doch Egger beharrte auf seiner Darstellung. Man drang weiter in ihn, wollte Gründe wissen, warum er die Leiche so «grewlich misshandelt» habe.443 Egger sagte nach einigem Hin und Her aus, auch «den rückhengrath» herausgeschunden zu haben, um den Körper zusammenlegen und besser wegschaffen zu können.444 Auf die Frage, woran Maria Baumann gestor-ben sei, gab Egger an, es nicht zu wissen, er habe aber gehört, sie solle eine «Kindbetterin» gewesen sein.445 Der Verhörende hakte nach und fragte, ob Eg-ger für sein Vorhaben eine Kindbetterin gebraucht habe, worauf er sagte, keine Antwort geben zu können, er wisse selbst nicht, was er für ein Vorhaben gehabt habe.446

Das Verhör schritt weiter zur zweiten Leiche, der geköpften Elisabeth Han. Egger sagte aus, er habe sie am ersten Donnerstag nach der Hinrichtung unter

437 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 106. 438 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Fragen und Antworten 107 bis 110. 439 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 113 f. 440 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 118. 441 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 121. 442 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 122. 443 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 127. 444 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 132. 445 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 142. 446 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 143.

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dem Galgen ausgegraben, ihr Hände und Füsse abgeschnitten und die Haut ab-gezogen und diese «zu oberst unter das stadeldach auf das strohe getragen und auch damit gedeckhet».447 Die Obrigkeit las ihm daraufhin die Aussage von Franz Antoni Ritter vom 18. Februar 1775 und schliesslich auch die Zeugenpro-tokolle mit den Aussagen von Wettach, Burckhard und Ritter vom 23. und 25. August 1773 vor, doch Egger beharrte darauf, das Fleisch und die Einge-weide des Leichnams nicht entfernt zu haben.448 Nach der mitgenommenen Haut, den Füssen und Armen befragt, gab Egger an, er habe alles unter seinem Stadeldach aufs Stroh gespannt. Die Mäuse hätten die Haut dann ziemlich zer-fressen.449 Erneut fragte man Egger unter Anrufung Gottes mehrmals nach dem Grund für diese Tat, ohne eine nachvollziehbare Antwort zu erhalten. So wurde beschlossen,

«mann wolle nun [...] mit examinieren aufhören, und ihme bedenckzeit geben, und gewär-tig seyn, ob er künftig im längern noch so halsstarrig seyn werde».450

4.6 Vierte Einvernahme Eggers am 21. Februar 1775

Das Gericht kam am nächsten Tag wiederum in Abwesenheit von Gerold Rogg zusammen. Man fiel gleich mit der Tür ins Haus und fragte Egger, ob er noch immer so wie am Tag zuvor lügen wolle. Egger bat die «gnädige obrigkeit» dar-aufhin um Vergebung, er wolle nun die Wahrheit sagen.451 Er habe sich halt ge-wundert, wie lange Menschenhaut unverwest bleiben könne. Vor etwa 14 Jahren habe ihm ein Zimmermann gesagt, die Haut des St. Bartholomäi liege noch ganz im St. Catharina Klösterli452 in der Stadt. Deswegen habe er dem Leichnam von

447 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 147. 448 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Fragen und Antworten 149 bis 153. 449 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antworten 154 f. 450 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 158. 451 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 159. 452 Im Jahr 1228 vermachten zwei angesehene Männer aus der Stadt St. Gallen ihre Hofstatt

am Brühl einer Gemeinschaft von Beginen. St. Katharina wurde 1266 durch die Annahme der Regel des heiligen Augustinus eine klösterliche Gemeinschaft, VOGLER MARIA THO-MA [1938], S. 4 und 7. 1368 traten die Frauen in den Dominikanerorden über. Im Zuge der Reformation wurde das Kloster 1527 unterdrückt und sein Vermögen eingezogen. 1555 mussten die Dominikanerinnen die reformiert gewordene Stadt verlassen. Erst 1605

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Elisabeth Han die Haut abgezogen.453 Die Frage, weshalb er Carl Etters Frau ausgegraben habe, beantwortete Egger noch immer nicht. Er sagte nur, er habe weder Frieden noch Ruhe gefunden, habe es tun müssen.454 Die Untersuchenden meinten daraufhin, Gott oder der Schutzengel hätten ihm dies gewiss nicht an-getan, es müsse etwas Böses dahinter stecken. Dies bestritt Egger. Es stecke nichts Böses dahinter, er habe auch seiner Lebtag sonst niemandem was getan.455

Man fragte erneut, warum er sich ausgerechnet diese Körper ausgesucht habe, was Egger nicht beantwortete. Danach gefragt, warum er Catharina die «er-melschluten» ausgezogen und in den Sack mit den Leichenüberresten gesteckt habe, meinte er, «er wüsse es nicht, denckhe wohl aus verhängnus Gottes, damit alles an den tag komme».456

Das Verhör kam auf die Tötung zurück. Es stellte sich heraus, dass Egger Ca-tharina Himmelberger den Hieb mit der Mistgabel verpasst hatte, als diese be-reits im Gehen begriffen gewesen war. Er habe sie fortjagen wollen und ihr «in der täube» von hinten den Hieb verpasst.457 Nachgelaufen sei er ihr aber nicht. Noch immer beharrte er darauf, nur einmal zugeschlagen zu haben. Die Obrig-keit wies ihn wiederum an, nicht mehr zu lügen. Er habe bereits zuvor so unver-schämt gelogen und sich nicht anders verantworten können, als dass er ein von Gott verlassener Mensch sei. Nun solle er in sich gehen und die Wahrheit be-kennen. Man zählte ihm die vier bei der Begutachtung gefundenen Wunden auf, doch Egger sagte, «er bitte umb das jüngste gericht willen umb verzeihung, er habe nicht mehr als einen streich gethan».458 Schliesslich fragte man ihn, ob man ihn durch den Henker zur Wahrheit bringen müsse, worauf Egger antwortete, er könne selbst dann nichts anderes sagen, wenn ihn des Schafrichters Knecht in vier Teile zerreisen würde.459

wurde für sie ein Neubeginn in Wil möglich, JAKOBER [1991], S. 4; THÜRER, Geschichte, Bd. 1 [1953], S. 123 ff.

453 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 160. 454 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 161. 455 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 162. 456 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 167. 457 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Fragen und Antworten 173 f. 458 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 181. 459 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 183.

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Die Befragenden führten schliesslich aus, man könne nicht ersehen, dass es Egger «gerüehret» hätte, sonst hätte er Catharina nach dem Hieb nicht gleich für tot gehalten, sondern sich um Hilfe bemüht. Doch Egger beteuerte erneut, es habe ihm Leid getan, er habe ungeschickt gehandelt, und es sei ihm am Don-nerstag und Freitag gar nicht wohl gewesen.460

4.7 Weitere Untersuchungshandlungen und fünfteEinvernahme Eggers

4.7.1 Zeugeneinvernahme von Eggers Stieftöchtern am 22. Februar 1775

Post prandium am Mittwoch, 22. Februar 1775, erschienen auf der Pfalz Maria Barbara und Anna Maria Veronica, die Töchter von Eggers Ehefrau Maria German und somit dessen Stieftöchter. Ihr leiblicher Vater, Johannes Furrer aus Tablat, war verstorben. Die Akten enthalten keine Angaben über das Alter der Töchter. Bei der Einvernahme vom 22. Februar 1775 wurden sie befragt, ob sie Kleidungsstücke vermissten. Der Hatschier Hofstetter zeigte ihnen eine alte Schürze, Strümpfe und alte Schuhe. Die Schürze war ihnen nicht bekannt, die Strümpfe und Schuhe hingegen erkannte Maria Barbara als die ihren. Die Strümpfe habe sie schon seit einem halben Jahr vermisst und gesucht, die Schu-he «unter einen trog, oder in einen winckhel gestellet», weil sie unbrauchbar gewesen seien. Nach dem Verbleib der Strümpfe habe sie ihre Mutter und ihren Stiefvater ergebnislos befragt.461

4.7.2 Fünfte Einvernahme Eggers am 22. Februar 1775

Ebenfalls post prandium wurde am 22. Februar 1775 das Verhör Eggers in St. Fiden weitergeführt. Neben dem Schreiber waren Hofkanzler Sartory von Rabenstein, Pfalzrat von Saylern, Lehenvogt Ehrat und Fiskal Zollikofer anwe-send. Auf die einleitende Frage, wie es ihm in Gefangenschaft ergehe, antworte-te Egger, «das ihme herzlich, und schmerzlich leyd seye, dass er müsse darinnen 460 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 188. 461 Dok. 15, Zeugenaussagen von Eggers Stieftöchtern, S. 2 f.

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sizen».462 Was ihm «im gemüeth gewesen» sei, als er der Catharina den Hieb verpasst habe? Nichts, antwortete Egger, sie hätten halt miteinander gezankt.463

Der Streit habe etwa eine Viertelstunde gedauert, wobei die Scheltworte gleich am Anfang geflossen seien.464 Die Frage, ob die Scheltworte Catharinas465 ihm weh getan hätten und die Ursache für seinen starken Zorn gewesen seien, bejah-te Egger mit dem Hinweis darauf, dass sie zudem mehr gefordert habe, als er ihr schuldig gewesen sei.466 Er habe ihr vor dem Hieb weder gedroht noch ihr etwas antun wollen. Wenn er gewusst hätte, dass es so käme, hätte er ihr sicher nicht einen solchen Hieb gegeben, er habe ja seiner Lebtag niemandem etwas zu Lei-de getan.467 Diese Aussage griff das Gericht auf und mutmasste «aus deme zeige sich, das er den streich nicht im zorn gethan, sondern geglaubt, es werde nicht disen weg kommen». Doch Egger beharrte darauf, zornig gewesen zu sein.468

Daraufhin konfrontierte man ihn damit, die Schimpfworte seien doch gleich am Anfang des viertelstündigen Streits geflossen; bis zum Hieb müsse sein Zorn vergangen gewesen sein. Dies bestritt Egger.469 Weitere Fragen, warum er mit einem so gefährlichen Gegenstand auf die sensible Stelle am Genick geschlagen habe, brachten keine neuen Erkenntnisse.

«Wie er bescheinen, und beweisen könne, dass er den streich im zorn gethan, und nichts böses im gemüeth gehabt habe? Auf dises komme es an: ansonsten könte jeder den anderen ohnbestraft todtschlagen, und sagen, er habe nichts böses im gemüeth gehabt, oder seye zornig gewesen.»470

Darauf antwortete der Befragte:

«Er könne solches weder bescheinen, noch beweisen, wünschte, das jemand sich gegen-wärthig befunden, oder [dass es] späther gewesen wäre, es wäre alsdann der werckhmann

462 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 195. 463 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 196. 464 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 198. 465 Sie hatte ihn Lügner und Spitzbub genannt, Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage

198; vgl. vorne Kap. 4.3.7. 466 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 199. 467 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 201. 468 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 202. 469 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 203. 470 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 208.

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allda gewesen, und der zorn hätte ihne aber gleichwohlen übernohmen, und diser hätte als-dann es gesehen, wie es zugegangen wäre.»471

Das Gericht war durch diese Antwort nicht befriedigt. Es sah in den Tatsa-chen, dass Egger die Leiche nach der Tat versteckt und später fortgeschafft hatte sowie unmittelbar nach dem Hieb ins Haus gegangen war, Hände gewaschen und gefrühstückt hatte, einen Hinweis darauf, dass er ein böses Gemüt habe. Eggers Protest half wenig. Man sagte ihm, seine wilde und böse Natur zeige sich auch darin, dass ihm ein Mensch oder viele Menschen egal seien, habe er doch die Leichname unter dem Galgen und auf dem Friedhof ausgegraben und ausgeschunden.472 Wieder beteuerte Egger Reue und präzisierte, betreffend den Körper vom Friedhof sei er gezwungen gewesen, den unter dem Galgen habe er jedoch aus freiem Willen ausgegraben und ausgeschunden.473

Man liess die geäusserten Vorwürfe vorerst stehen und fragte Egger, ob er um Neujahr herum für den Hafner an der Langgass Geschirr nach Herisau ge-fahren habe. Dies bejahte Egger und sagte aus, dessen Sohn sei bei ihm gewe-sen. Auf der Heimfahrt habe er beim Friedhof St. Fiden Halt gemacht und den Leichnam von Maria Baumann ausgegraben.474 Man liess auch dieses Thema bald fallen und wollte wissen, ob Egger lesen und schreiben könne, was dieser verneinte. Er könne auch sonst keine «andere[n] künste».475 Mangels Erkennbar-keit eines anderen Motivs vermutete die Obrigkeit schliesslich, Egger habe mit der Ausgrabung der Leichen und deren weiterer Behandlung abergläubische Zwecke verfolgt. Sie fragte ihn, ob er nie von Segensprechereien reden gehört habe, was Egger verneinte. Die ausgegrabenen und ausgeschundenen Körper würden aber doch vermuten lassen, es stecke etwas anderes hinter der Sache, worauf Egger antwortete, «es steckhe gewüss nichts darhinter».476 Wieder und wieder befragte man ihn ergebnislos nach dem Motiv für die Leichenschändun-gen. Schliesslich wollte man wissen,

471 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 208. 472 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Fragen 209 f. 473 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 210. 474 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Fragen und Antworten 215 bis 217. 475 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 221. 476 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 223.

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«ob er nicht gewust, dass das todtschlagen im göttlichen und menschlichen gesazen unter leib- und lebens-straff verbotten, und was er für eine entschuldigung habe»477.

Darauf antwortete Egger:

«Ja, das habe er gewust; könne aber keine endtschuldigung sagen, alss dass er nicht gewust, dass der streich so angehe, und wann er es gewust, so hätte er es nicht gethan, und seye in dem zorn gewesen».478

Was für eine Strafe er glaube, für die Leichenschändungen verdient zu ha-ben? Dies wisse er nicht, er müsse es der gnädigen Obrigkeit überlassen.479 Da-mit endete die Einvernahme jenes Tages.

4.8 Weitere Untersuchungshandlungen und letzte Einvernahme Eggers

4.8.1 Zeugeneinvernahme der Ehefrau am 23. Februar 1775

Offenbar entschloss man sich erst nach all diesen Verhören, Einvernahmen und Abklärungen, Eggers Ehefrau Maria Elisabetha German zu befragen. Sie er-schien am Donnerstag, 23. Februar 1775, auf der Pfalz und sagte aus, seit vier Jahren mit Egger verheiratet zu sein. Im ersten Ehejahr sei er oft abends spät nachhause gekommen und morgens sehr früh gegangen. Sie habe ihm dies schliesslich nicht mehr gestattet. Vor ein paar Monaten habe sie bemerkt, dass er zweimal eine halbe Stunde länger im Stall geblieben sei als er «hätte sollen». Er habe vorgegeben, das Ross und die Kühe geputzt und das Geschirr versorgt zu haben.480 Sie gab an, sich an einen Abend kurz nach der Hinrichtung von drei Menschen im Juli 1773 erinnern zu können. Es habe stark geregnet, und ihr Mann habe vorgegeben, er müsse das Pferd ins Trockene bringen. Sie sei ihm gefolgt, weil sie ihm habe helfen wollen. Da seien ihr jedoch die Hingerichteten eingefallen und sie habe «eine forcht überfallen».481 Sie sei schnell ins Haus zu-

477 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 232. 478 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 232. 479 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 234. 480 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 1 f. 481 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 4.

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rückgegangen. Als ihr Mann nachhause gekommen sei, habe er vorgegeben, auf der Suche nach dem Pferd durch alle Tobel gegangen zu sein.

Weiter fragte man sie, was ihr während der Ehe mit Egger an ihrem Mann missfallen habe, wie er sich aufgeführt habe und was sie «tadelhaftes» an ihm bemerkt habe.482 Als sie ihn geheiratet habe, habe sie von ihm wissen wollen, ob er Schulden habe. Dies habe er verneint. Es seien dann jedoch «zimbliche pöstlein» hervorgekommen, die er heimlich habe bezahlen wollen. Einmal habe sie Catharina Himmelberger ums Haus herum zu ihrem Mann in den Stall wan-deln sehen. Als sie daraufhin ihren Mann gefragt habe, ob er ihr was schuldig sei, habe er dies abgestritten und behauptet, sie habe Holz von ihm verlangt. Die Ehefrau fügte gleich an, dies habe sie ihrem Mann nicht geglaubt und ihn aufge-fordert, es ihr doch um Gotteswillen zu sagen, wenn er der Catharina Himmel-berger was schuldig sei, sie wolle ihm gern helfen, es zu bezahlen. Doch ihr Mann habe nicht zugegeben, Schulden bei Catharina gehabt zu haben. Wenn er es zugegeben hätte, wäre wegen «disem bizle geldt damahlen dis ohnglückh nicht erfolget».483

Maria German beschwerte sich schliesslich, ein von ihren Eltern geerbtes Tischtuch sei aus dem Kasten verschwunden. Sie habe ihren Mann danach be-fragt, aber er habe sich unwissend gestellt. Weiter gab sie an, weder sie noch ihre Töchter seien im Stall am Vieh vorbei weiter nach hinten gegangen.484 Dann sagte sie aus, dass ihr Mann an jenem Tag um die Jahreswende herum, als er des Hafners Geschirr nach Herisau gefahren habe, schmutzige Schuhe, Strümpfe und Hosen gehabt habe, obwohl der Schlittenweg gut und hart gewesen sei. Ihre Frage nach dem Grund habe er nicht beantwortet. Ungeschminkt gab Maria German schliesslich an, ihr Mann sei «allzeit ein dunckhel mauser» gewesen, er habe immer viel gearbeitet, sei nie «recht lustig» gewesen und habe sich beim Beten zu Hause und in der Kirche als schläfrig erwiesen.485

Weiter wollte das Gericht von der Ehefrau wissen, was für Schriften, Bücher oder anderes sie im Haus hätten und was für Leute Egger beherbergt oder ihnen

482 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 4. 483 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 5 f. 484 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 7. 485 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 8.

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Unterschlupf gewährt habe. Maria Germann antwortete, sie wisse nur von eini-gen Lehenbriefen, Güterzetteln oder Quittungen sowie drei Gebetbüchlein ihrer Töchter. Ihr Mann könne weder schreiben noch lesen. Im letzten Januar habe ein Maurer aus der Fremde bei ihnen im Stall übernachtet. Abends in der Stube habe dieser ihnen allerhand vom Krieg und von der Galeere, auf der er gewesen sei, erzählt, «sonsten aber nichts ohnrechtes von ihme gewahret, noch gehö-ret».486 Am Frühlingsjahrmarkt habe ein fremder «wurzengraber»487 mit seiner Frau vier oder fünf Nächte bei ihnen im Heu übernachtet. Ihr Mann habe mor-gens und abends dort die Tiere gefüttert, sie wisse aber nicht, was sie miteinan-der geredet hätten. Sie habe nichts Unrechtes bemerkt.488

Am Tag des Totschlags sei ihr Mann «gleich andere mahl» vom Füttern zum Morgenessen gekommen. Niemand habe ihm etwas angemerkt. Dies gelte auch für die Tage oder Zeiten, an denen er die toten Körper dem Hörensagen nach ins Tobel getragen habe. Nur als er letzthin mit ihr zum Herrn Hofkanzler gegangen sei, habe er gesagt, es sei ihm, als ob ihm Hände und Füsse abgeschlagen seien. Übrigens habe er die ganze Woche am Haag im Gut gearbeitet und «gebüsche-let».489

4.8.2 Zeugeneinvernahme von Joseph Rüesch am 23. Februar 1775

Gleichentags fand eine weitere Zeugeneinvernahme auf der Pfalz statt. Vorgela-den war der Tablater Joseph Rüesch, 40 Jahre alt und in Diensten beim Müller im Obertobel. Nach erstattetem Handgelübde sagte er aus, er sei von seiner frü-heren Dienststelle aus öfters zu Joseph Egger gegangen und habe bei ihm im Beisein anderer Leute ein Glas Most getrunken. Sonst habe er keinen Umgang mit ihm gehabt. Er habe nie geglaubt, dass Egger auch nur einen Vogel töten könnte.490 Auf die Frage, ob er einmal in Eggers Stall gewesen sei und was dort vor sich gegangen sei, antwortete Rüesch, er sei im letzten Herbst zweimal in

486 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 9. 487 Wurzengraber sammelten insbesondere Enzianwurzeln, um daraus Enzianbranntwein

herzustellen; VON HÖRMANN [1870], S. 360. 488 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 10. 489 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 10 f. 490 Dok. 17, Zeugenaussage von Joseph Rüesch, S. 1.

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jenem Stall gewesen. Das erste Mal, weil Egger ihn aufgefordert habe, ein Ross anzuschauen, das er in Staubenzell gekauft habe. Das zweite Mal habe er Heu angeschaut, das er Egger abgekauft habe. Beide Male sei über nichts anderes gesprochen worden als über Ross, Vieh, Heu und dergleichen. Er habe nichts Verdächtiges bemerkt, und Egger habe kein ungebührliches Wort zu ihm ge-sagt.491

4.8.3 Sechste und letzte Einvernahme Eggers am 7. März 1775

Am Dienstag, 7. März 1775, führten die Herren Sartory von Rabenstein, von Seylern, Zollikofer und der Ratssekretär Gross die letzte Einvernahme des An-geschuldigten durch. Seit der fünften Einvernahme waren also beinahe zwei Wochen vergangen. Man sagte Egger einleitend, er habe seit dem letztem Ex-amen Zeit und Platz gehabt, in sich zu gehen, und werde nun hoffentlich die Wahrheit sagen. Da entschloss er sich, doch endlich zu sprechen.

«Nichts anders, als das ihme ein Geyserwalder gesagt, er habe aus dem kirchhof einen tod-tenschedel in seinem taubenschlag gehabt, umb die tauben daraus trinckhen zu lassen, und in der meinung andere damit zu fangen; es habe aber in der nacht starckh gerumplet, mithin er solchen wider auf den kirchhof gethan, wo alsdann das rumplen aufgehöret. Inquisiten habe gewunderet, ob es deme so seye, und so rumple, folgsamb gedenckhet, er wolle es mit einem todten cörper aus dem kirchhof probieren; habe aber nichts gespüheret, noch ver-merckhet; auch ihne nachwerths gereuet; und wann er wider nacher Herisaw gefahren wäre, so hätte er disen cörper wider an sein voriges orth zurück gethan; das er aber ein solches unterlassen, seye die ursach weillen er sonsten nächtlicher weil niemahlen aus dem haus gegangen.»492

Er wurde daraufhin gefragt, ob er den Körper nicht, wie er gesagt habe, ge-zwungenermassen, sondern freiwillig und aus Wunder ausgegraben habe, wor-auf er aussagte, es sei ihm in den Weihnachtsfesttagen doch gewesen, als ob er es tun müsse. Man konfrontierte ihn damit, dass er den unter dem Galgen aus-gegrabenen Körper von Elisabeth Han ja bereits im Stall gehabt habe und die Probe wegen des Rumpelns mit diesem hätte machen können, weswegen es nicht nötig gewesen wäre, den zweiten Körper auszugraben. Egger meinte dar-

491 Dok. 17, Zeugenaussage von Joseph Rüesch, S. 2. 492 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 236.

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auf, er habe vom Galgen her nur die Haut gehabt, er könne keine andere Ursa-che angeben, man möchte sich darin doch nicht weiter aufhalten.493 Damit gab sich das Gericht nicht zufrieden, worauf Egger schliesslich berichtete, der Gai-serwalder habe vor seinen Leuten in der Stube gesagt, etwas vom Kirchhof in seinem Haus zu haben bedeute, dass man keine Rast noch Ruhe mehr habe, bis der Gegenstand wieder an seinem Ort sei. Dies habe er, Egger, nicht geglaubt und habe es ausprobieren wollen. Die Befragenden wurde ungeduldig, sagten, dies sei nicht wahrscheinlich, er solle nicht so unverschämt lügen und es nicht darauf ankommen lassen, die Wahrheit mit anderen Mitteln herauszubringen. Egger bat darum, ihm zu glauben. Er würde sich sonst ja zugrunde richten wol-len und mit Leib und Seele auf die Hölle zu gehen, wenn er die Obrigkeit be-ständig so anlügen würde.494 Der Gaiserwalder heisse Johannes Geser.495 Egger verneinte die Frage, ob ihm sonst jemand derartige Sachen erzählt habe; auf wiederholte Nachfrage sagte er, er habe mit niemandem sonst Umgang gehabt, sei allzeit bei seinen Leuten zuhause gewesen.

Die übrigen Fragen waren Vergewisserungen früherer Aussagen, die zu kei-nen neuen Erkenntnissen führten. So wurde das Verhör geschlossen.

Egger wurde dem Scharfrichter vorgeführt mit der Ermahnung, die Wahrheit zu bekennen. Ein letztes Mal wurde er gefragt, ob er der Catharina Himmelber-ger nur einen Hieb verpasst und nicht geglaubt habe, es würde so kommen. Weiter wollte man erneut wissen, ob er die anderen beiden Leichname in keiner anderen als der angegebenen Absicht ausgegraben habe. Auch im Angesicht des Scharfrichters blieb Egger bei seinen Aussagen, «wolle darauf leben, und ster-ben».496

4.8.4 Zeugeneinvernahme von Johannes Geser am 8. März 1775

Als letzter Zeuge wurde Johannes Geser «aus der hüthen in Geyserwald» am Mittwoch, 8. März 1775, auf die Pfalz geladen und einvernommen. Der ledige,

493 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Fragen und Antworten 238 und 240. 494 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 242. 495 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 245. 496 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 90.

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30 Jahre alte Sohn von Joseph Geser besass mit seinem Bruder Michael zu-sammen ein Gut. Er gab an, Egger sei um letzten Jacobi497 mit seiner Stieftochter Barbara zum Wein bei ihm gewesen. Er habe sie nachhause begleitet und sei danach wegen Barbara noch zweimal bei Egger gewesen.498 Die Frage, ob eine besondere Unterredung mit Egger stattgefunden habe, verneinte Geser. Er sei nur dreimal in Eggers Haus gewesen, habe nicht mit ihm geredet und wisse nicht einmal, ob er sein Freund oder Feind sei.499

Das Gericht fragte Geser, ob er Tauben habe, was dieser verneinte. Sein Bru-der habe aber welche. Ob er nicht mit Egger über die Tauben einen Diskurs ge-führt habe? Nein, er wisse nichts von einer solchen Unterhaltung, ausser es sei in der Trunkenheit geschehen.500 Geser wurde aufgefordert, dies nochmals zu überdenken, die Obrigkeit sei eines ganz anderen überzeugt. Doch der Befragte blieb dabei, höchstens betrunken im Beisein aller «hausleuth» etwas geredet zu haben, zumal er nie nüchtern in Eggers Haus gewesen sei.501 Als sieben Jahre alter Knabe habe er von einem Mann, der in St. Josephen beim Mesmer in Ar-beit gestanden habe, gehört, es sei im Württembergerlande ein Mann gewesen, der einen Kopf vom Galgen weggenommen und seinen Tauben daraus zu trin-ken gegeben habe. Dadurch habe er andere Tauben in seinen Schlag locken und an sich bringen können. Als der Mann jedoch über ein Leiterchen in seinen Tau-benschlag habe hinaufklettern wollen, habe er seinen Kopf verloren und sei schliesslich ohne Kopf gefunden worden. Als Knabe habe Geser dies auch aus-probieren wollen und habe von einem Grab auf dem Kirchhof zu St. Josephen ein kleines Totenbein genommen, dieses im Taubenschlag ins Trinkgeschirr gelegt in der Meinung, dadurch mehr Tauben zu bekommen. Stattdessen hätten Raubvögel seine eigenen Tauben geholt und seither habe er kein Glück mehr mit ihnen gehabt und sie schliesslich aufgegeben. Das Totenbein habe er etwa ein halbes Jahr lang in seinem Taubenschlag gelassen. Während dieser Zeit habe er nachts unruhige Stunden gehabt, da er immer gemeint habe, er sehe den Geist

497 Der Gedenktag des Apostels Jakobus dem Älteren ist der 25. Juli; Lexikon der Bräuche

und Feste [2007], S. 171 f. 498 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Fragen und Antworten 1 und 3. 499 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Frage und Antwort 4. 500 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Fragen und Antworten 5. 501 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Frage und Antwort 7.

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des Toten vor sich. Beim Tenntor502 habe er einmal einen grossen Geist gesehen und sich gefürchtet, weshalb er das Totenbein danach sofort wieder auf den Kirchhof an den Ort gebracht habe, von wo er es genommen gehabt habe.503

Er wurde daraufhin gefragt, ob er etwas gemerkt habe während der Zeit, in der das Gebein im Taubenschlag gewesen sei. Er habe nichts gemerkt, ausser in den letzten acht Tagen, «da es starckh gerumplet, als ob thier oder kazen he-rumb laufeten», und selbst wenn man ihm 1000 Gulden gegeben hätte, so wäre er in diesen Tagen nachts nicht mehr zum Taubenschlag hinauf gegangen.504 Er habe schliesslich gebeichtet, und der Beichtvater habe ihm auferlegt, das Gebein wieder zurückzubringen.505 Auf die Frage, ob er sich nicht erinnere, Egger diese Begebenheit erzählt zu haben, meinte Geser, davon wisse er nichts, hätte er aber etwas davon gesagt, so hätte er beigefügt, man solle keine solchen abergläubi-schen Sachen treiben.506

4.9 Beratung und «Rechtsgutachten»

Das Einvernahmeprotokoll Eggers verweist nach den letzten Befragungen auf ein «rechtliches guetachten», das am 3. hujus507 von mehreren Herren «mi-nistris», Obervögten und Räten verfasst worden sei. Beteiligt waren neben Hof-kanzler Sartory von Rabenstein und Pfalzrat von Seylern der Rorschacher Ober-vogt Franz Anton Gugger von Staudach, der Toggenburger Landvogt Franz Jo-seph Müller von Friedberg und die Obervögte Joseph Ignaz Zweyfel von Ober-berg und Johann Anton Rudolf Rothfuchs von Blatten. Obwohl im Einvernah-meprotokoll festgehalten wurde, das rechtliche Gutachten sei «abgefasset» wor-den, ist ein solches leider nicht (mehr) aktenkundig. Immerhin lässt sich der of-fenbar zusammengefassten Wiedergabe im Protokoll entnehmen, dass diskutiert

502 Die Tenne ist die Diele in der Scheune, worauf gedroschen wird. Oft wird der Begriff –

wie hier – für die Scheune selbst verwendet; KRÜNITZ, Bd. 182 [1843], S. 67, Stichwort «Tenne in der Landwirtschaft».

503 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Antwort 7. 504 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Frage und Antwort 8. 505 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Antwort 8. 506 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Frage und Antwort 9. 507 Gemeint ist der 3. dieses (Monats), also der 3. März 1775.

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worden war, ob Egger zu foltern sei, um verlässlichere Antworten auf die Fra-gen zu erhalten, ob er beim Totschlag «animum occidendi»508 gehabt und mit welchem Motiv er die beiden Leichname ausgegraben habe. Da jedoch keine Indizien auf ein weiteres begangenes Verbrechen vorhanden waren, beschloss man, Egger nicht «ad torturam» zu nehmen, zumal er sich bereits eines «homi-cidium dolosum»509 schuldig gemacht und somit die «poenam gladii»510, die To-desstrafe durch das Schwert, ohnehin schon auf sich gezogen habe.511 Nach Hinweis auf dieses «gutachten» wurde der Prozess

«für beschlossen gehalten, und gleichwie von dem gericht Tablath, der gemeind Rothmon-ten, und der eggerischen freundschaft durch einige ausschüss seiner hochfürstlichen gnaden umb entlassung der todesstraff underthänigst und demüethigst erbeten worden [...]».512

508 Tötungsabsicht; Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91. 509 Vorsätzliche Tötung. 510 Gladius = Schwert. 511 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91. 512 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91.

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5.1 Der Inquisitionsprozess und seine Grundlagen

5.1.1 Abgrenzung zum Akkusationsprozess

Im Mittelalter herrschte eine privatrechtliche Auffassung des Strafrechts vor. Ein Verbrechen wurde als Verletzung der Rechtsgüter der geschädigten Privat-person betrachtet, die Strafe war im Wesentlichen ein Recht des Verletzten und nicht ein Interesse des höchstens ansatzweise existierenden Staates.513 Nach dem Grundsatz «Wo kein Kläger, da kein Richter» war folglich die Einleitung von zivil- und strafrechtlichen Verfahren, die materiell noch nicht getrennt waren,514

Sache des Privatklägers.515 Der Kläger war zumindest für die zur Folterung not-wendigen Indizien beweispflichtig, der Beklagte konnte Gegenbeweise anbrin-gen.516 Beim Akkusationsprozess wurden die Parteien vom Gericht prinzipiell als gleichwertig betrachtet, was etwa in der Pflicht des privaten Anklägers zur Hinterlegung einer Kaution zum Ausdruck kam.517 Ziel des Verfahrens war die Feststellung der Schuld oder Unschuld des Beklagten, nicht etwa die rationale Aufklärung des wahren Sachverhalts oder die Suche nach anderen möglichen Tätern. Konnte die Schuld nicht zweifelsfrei geklärt werden, so griff man auf formal-irrationales Beweisrecht zurück: etwa den Reinigungseid oder das Got-tesurteil.518

Der sächsisches Gewohnheitsrecht enthaltende Sachsenspiegel519 EIKE VON

REPGOWS520, der zwischen 1220 und 1235 entstand und das wohl bedeutendste und berühmteste deutsche Rechtsbuch des Mittelalters ist, kannte weder Offi-

513 HENSEL [1979], S. 68. 514 PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 118, Rz. 182. 515 KABUS [2000], S. 29, KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 10 f. 516 SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 191, S. 198. 517 KLEINHEYER, Akkusationsprozess [1971], S. 39. 518 KABUS [2000], S. 29; vgl. zu Reinigungseid und Gottesurteil zudem VON KRIES [1878],

S. 3, MITTERMAIER [1834], S. 9, JANSEN [2004], S. 52 f.; SCHILD, Gottesurteile [1989], S. 230; BALDAUF [2004], S. 49 f.; SCHMOECKEL [2000], S. 232 und 450 ff.; VON HENTIG,Strafe, Bd. 1 [1954], S. 95.

519 Eine Übersicht bei KÖBLER [1997], S. 515. 520 Geb. um 1180, gest. ca. 1235; KÖBLER [1997], S. 120.

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zialprinzip noch Untersuchungsgrundsatz noch Ermittlungsverfahren (inquisi-tio). Der Prozess war ein Akkusationsverfahren, Eid und Gottesurteil oder unter bestimmten Voraussetzungen auch der Zweikampf waren als Beweismittel an-erkannt.521

Auch dreihundert Jahre später regelte die Carolina neben dem im Folgenden zu erläuternden Inquisitionsprozess noch immer das Akkusationsverfahren, und zwar als die ordentliche Prozessform.522 Noch im 16. Jahrhundert war der Streit um die Vorherrschaft zwischen den beiden Prozessformen nicht endgültig aus-gefochten.523 Selbst wenn ein privater Kläger auftrat, wurde das Verfahren zu-nehmend inquisitorisch.524 In der Praxis wurde das Inquisitionsverfahren nach vollkommener Rezeption aus dem italienischen Recht zur dominierenden Pro-zessform.525 Die neuere Forschung geht davon aus, dass der Akkusationsprozess bereits bei Erlass der Carolina keine nennenswerte Rolle mehr spielte.526 Dies dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass die erheblichen Sicherheits-leistungen, die dem privaten Kläger auferlegt wurden – ansonsten er sich gefan-gen setzen lassen und für den Ausgang des Verfahrens zivilrechtlich haften musste –, eine Anklageerhebung in den meisten Fällen verhinderten.527

5.1.2 Entstehung und Entwicklung des Inquisitionsprozesses

Der Herausbildung des peinlichen Strafrechts waren gesamtgesellschaftliche Entwicklungstendenzen voraus gegangen, die die Ausbreitung des Inquisitions-prozesses überhaupt erst ermöglichten. Die Gesellschaft gewann an Komplexi-

521 IGNOR [2002], S. 56 f. 522 RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 53, Rz. 104. Eine Vermischung von Akkusations- und

Inquisitionsprozess kennt die Carolina noch nicht, TRUSEN [1984], S. 116. Die Carolina nennt den Akkusationsprozess als Regelfall, den Inquisitionsprozess als Ausnahme, RÜ-PING [1984], S. 168; HÄRTER [2000], S. 463 f.; LIEBERWIRTH [2006], Sp. 887; siehe fer-ner auch BIENER [1827], S. 153, 158.

523 BRUNS [1994], S. 23. 524 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen und Literaturangaben bei HOFFMANN [1991],

S. 29 f. 525 MICHELS [2000], S. 16; JANSEN [2004], S. 51 m.w.H.; PÖLTL [1999], S. 40 f., S. 50 f.;

EISENHARDT ULRICH [2004], S. 251, Fn. 350. 526 JEROUSCHEK, Akkusationsprozess [2004], Sp. 127. 527 LIEBERWIRTH [2006], Sp. 887 f.

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tät, die nach neuen, nicht-privaten Ordnungs- und Rechtskonzepten verlangte.528

Mit dem Fernhandel weitete sich die Effizienz kapitalistischen Wirtschaftens aus, die «face-to-face-Gesellschaft» mit engem sozialem Verhältnis der Betei-ligten, in dem Ordnung durch gemeinschaftlichen Druck erhalten werden konn-te, begann sich zu öffnen und wurde dadurch aufgeweicht. Der unmittelbar ge-lebte Glaube an das Eingreifen des rechtliebenden Gottes verlor an Kraft.529 Der Einsatz des Rechts zur Schaffung rationaler Organisationsstrukturen in der kirchlichen, kommunalen und mitunter auch territorialen Verwaltung gewann an Bedeutung.

Bei schweren Friedbrüchen, die sich im Rahmen der Fehde530 ereigneten, wurde im entstehenden frühneuzeitlichen Staat mit den Landfrieden531 das im frühabsolutistischen Selbstverständnis zwingende Einschreiten der Landesho-heit eingeführt. Durch inquisitorisches Verfahren sollte die Fehde nach und nach effizient eingedämmt werden. Mit dem Schwerpunkt auf der materiellen Wahrheitsfindung gelangte die Verfahrensführung samt dessen Einleitung nun allmählich in die Hände der Obrigkeit.532 Diese neue Form der rationalen Unter-suchung sollte auch der Bekämpfung der Armutsdelinquenz der landschädlichen Leute533 dienen.534

Die Carolina bildete bis weit ins 18. Jahrhundert hinein die massgebliche Rechtsquelle des Inquisitionsprozesses.535 Der Inquisitionsprozess leitet seinen Namen vom lateinischen Wort «inquisitio» (Untersuchung) ab und bezeichnet nichts anderes als eine bestimmte Strafverfahrensart, einen Typus des Strafver-fahrens.536 Neu kamen im Inquisitionsprozess drei Verfahrensgrundsätze zum Tragen: das Offizialprinzip, das Untersuchungsprinzip und das Prinzip der ma-

528 BLAUERT [2000], S. 163.529 SCHILD, Frag [2002], S. 25. 530 Zur Fehde unten Kap. 7.1.4, Fn. 1076. 531 Siehe etwa PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 32, Rz. 43; S. 121, Rz. 188; SENN [2007],

S. 77 f. 532 PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 125, Rz. 194; SENN [2007], S. 217. 533 Dazu gehörten etwa Bettler, Diebe und dergleichen. 534 PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 125, Rz. 194. 535 PÖLTL [1999], S. 40. 536 IGNOR [2002], S. 16.

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teriellen Wahrheit.537 Bei der Offizialmaxime538 wird das Strafverfahren nicht wie beim Akkusationsprozess durch Klage eines Verletzten einer Straftat in Gang gesetzt, sondern von Amtes wegen durch die zuständigen Behörden bei Vorliegen des Verdachts einer Straftat. Das Untersuchungsprinzip besagt, dass sich die Untersuchenden über alle Umstände einer Straftat zu informieren ha-ben, «so zu erfindung der warheyt dinstlich»539. Hier setzt auch das Prinzip der materiellen Wahrheit an: Es geht darum, Schuld oder Unschuld des Verdächti-gen zu belegen, wobei das Gericht der Sache selbst auf den Grund zu gehen hat.540

Mittels der neuen Prinzipien wurde es möglich, Straftaten wirkungsvoller zu verfolgen. Die formellen Beweismittel des Eids und des Gottesurteils wurden zurückgedrängt. An ihre Stelle traten insbesondere der Zeugenbeweis541 und vor allem die Folter.542 Das Ermittlungsverfahren war ein wesentlicher Teil des In-quisitionsprozesses. Zur Bestrafung war das Geständnis des Angeklagten kon-stitutiv,543 ausser er wurde durch zwei Tatzeugen überführt.544 Aus einsichtigen Gründen kam es beim Inquisitionsprozess weit häufiger zur Anwendung der Folter als beim Akkusationsprozess. Im mittelalterlichen Parteiprozess führte das Geständnis nicht als Beweismittel, sondern als rechtsgestaltende Prozess-handlung des Beklagten zu dessen Verurteilung, weil es ihm die Führung des Entlastungsbeweises verunmöglichte. Dies änderte sich erst allmählich mit der – allerdings wohl auch diesbezüglich unterschiedlich konsequent angewende-ten – Carolina, die erstmals auch die Überprüfung eines freiwillig abgelegten Geständnisses vorschrieb.545 Es kam durchaus vor, dass im Wissen um die To- 537 IGNOR [2002], S. 17; JANSEN [2004], S. 55. 538 Art. 6 CCC trägt die Überschrift «Annemen der angegeben übelthetter von der oberkeyt

vnnd von ampts wegen». 539 Art. 8 CCC. 540 Ausführungen zu den drei Prinizpien bei IGNOR [2002], S. 17 f. 541 Vgl. Kap. 5.3.2. 542 POPPEN [1984], S. 10, § 2; GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 166; vgl. Kap.

5.5.4.2. 543 VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 23 f..544 Vgl. Kap. 5.3.1. 545 Art. 54 CCC; KLEINHEYER, Geständnis [1979] weist darauf hin, dass der Nachdruck und

die Sorgfalt, mit der die Carolina die Wahrheitskontrolle verlange, deutlich zeige, dass damit keineswegs Selbstverständliches ausgesprochen worden sei, S. 381, siehe auch S. 373 und 376.

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desstrafe freiwillig ein unrichtiges Geständnis gemacht wurde, weil allein diese Strafe Trost und Erlösung zu versprechen schien und daher angestrebt wurde.546

5.2 Zur Zweiteilung des Verfahrens

Die Carolina regelt das Verfahren ab Verhaftung des Beklagten. Ab dem 16. Jahrhundert wurden im juristischen Schrifttum und in der Praxis die Voraus-setzungen für die Verhaftung und das Tätigwerden der Untersuchungsorgane näher bestimmt. Im ersten Verfahrensabschnitt, der sog. Generalinquisition, hat-te die Obrigkeit festzustellen, ob überhaupt ein Verbrechen begangen worden war. Diejenigen äusseren Anzeichen eines Verbrechens, die zu besonderen Ver-folgungmassnahmen berechtigten, nannte man das corpus delicti. Nach heuti-gem Verständnis war corpus delicti also ein prozessualer Begriff.547 Die Lehre vom corpus delicti wurde schliesslich bei der Wendung des Blicks vom Prozes-sualen (was ist als geschehen anzunehmen?) zum Materiellen (wie ist Gesche-henes zu werten?) vom Begriff des Tatbestands verdrängt.548 Erst seit den 1830er-Jahren erhielt die Lehre vom corpus delicti einen wissenschaftlichen Boden im modernen Sinn.549

Im Rahmen der Generalinquisition mussten die Untersuchenden also das cor-pus delicti beweisen, erste Zeugen und Verdächtige summarisch einvernehmen und den mutmasslichen Täter festnehmen. Gelang dies, so folgte auf die Gene-ralinquisition die Spezialinquisition.550 Sie diente dazu, den dingfest gemachten Verdächtigen der festgestellten Tat zu überführen.551

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts begannen Rechtsgelehrte552, sich gegen die Zweiteilung des Verfahrens in General- und Spezialinquisition und für ein ein-heitliches Verfahren einzusetzen, und schafften die Basis für die freie Beweis-

546 SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 300. 547 JAKOBS [1993], S. 153. 548 JAKOBS [1993], S. 154. 549 GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 168. 550 HÄRTER [2000], S. 468. 551 POPPEN [1984], S. 73; HÄRTER [2000], S. 468; SENN [2007], S. 217. 552 Allen voran AUGUSTIN LEYSER, geb. 18. Oktober 1683, gest. 3. Mai 1752, ausführliche

Biographie bei EISENHART AUGUST [1883], Bd. 18, S. 519 ff.

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würdigung. Auf die Praxis des 18. Jahrhunderts hatten diese Ansichten jedoch keinen Einfluss.553

5.3 Der Beweis im Inquisitionsprozess

5.3.1 Der Indizienbeweis

5.3.1.1 Rechtshistorische Einordnung

Die Carolina kennt eine ausführliche gesetzliche Beweistheorie; die Vorausset-zungen für die Verurteilung sind genau umschrieben.554 Das Beweisrecht war insoweit formalisiert, als dass das Verhältnis der Beweismittel zueinander und ihr individueller Beweiswert festgelegt waren. Es bestanden damit gesetzliche Beweisregeln. Das Gericht musste eine Tatsache unter bestimmten Bedingun-gen als wahr annehmen. Neben Haupttatsachen, die unmittelbar auf die Tatbe-gehung bezogen sind, kennt die Carolina Hilfstatsachen oder Indizien, die indi-rekt den Schluss auf die Tatbegehung durch eine bestimmte Person zulassen.555

Die Indizienlehre hat in der Carolina grosses Gewicht.556 Sie wird bisweilen als gesetzgeberische Meisterleistung ihrer Zeit bezeichnet.557 In Art. 22 CCC558,der mithin als die entscheidende Vorschrift des carolinischen Beweissystems angesehen wird,559 hält die Carolina fest, niemand dürfe auf Anzeigung560, Arg-wohn, Wahrzeichen oder Verdacht hin verurteilt werden. Eine peinliche Strafe dürfe nur « aus eigen bekennen, oder beweisung [...] beschehen» werden. Der reine Indizienbeweis als Grundlage für einen Schuldspruch wurde durch die

553 POPPEN [1984], S. 86 f. 554 Hinweise dazu bei PÖLTL [1999], S. 41; GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 168. 555 JANSEN [2004], S. 56 mit weiteren Literaturangaben; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 53

f. Zur Entwicklung der Indizienlehre KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 17 f. 556 Mit den Indizien befassen sich die Art. 18 bis 44 CCC. 557 PÖLTL [1999], S. 48. 558 Ausführlich und mit weiteren Literaturangaben zu Art. 22 CCC PÖLTL [1999], S. 44 f. 559 PÖLTL [1999], S. 44. 560 Anzeigung = Indiz, Verdacht, Vermutung; mit dem Titel «Von begreiffung des wörtlins

anzeygung» umschreibt Art. 19 CCC den Begriff folgendermassen: «Item wo wir nach-mals redlich anzeygen melden, da wöllen wir alwegen, redlich warzeichen, argkwon, ver-dacht, vnd vermutung auch gemeynt haben, vnd damit die überigen wörter abschneiden».

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Carolina also ausgeschlossen.561 Nur die Unschuld oder Milderungsgründe konnten durch Indizien bewiesen werden, Art. 22 CCC bezieht sich also nur auf den Anschuldigungsbeweis.562 Weiter konnte auch die Kausalität zwischen Handlung und Erfolg durch Indizien bewiesen werden, wenn eine Handlung und ein tatbestandlicher Erfolg durch Geständnis, Zeugnis oder richterlichen Augen-schein bewiesen waren.563

Die Indizienlehre der Carolina ist detailliert, wobei die Aufzählung der Indi-zien beispielhaften Charakter hat.564 Die Indizien werden in zwei Gruppen unter-teilt: in gemeine Indizien, die sich auf alle Straftaten beziehen,565 und in beson-dere Indizien, die bestimmte Delikte betreffen.566 Bei der ersten Gruppe unter-scheidet das Gesetz weiter, ob das Indiz für sich allein (nahe Anzeige) oder nur zusammen mit anderen Indizien (entfernte Anzeige) zur Folter ausreichte.567 Für sich alleine genügte etwa das Auffinden eines dem Verdächtigen gehörenden Gegenstandes am Tatort,568 die Aussage eines Tatzeugen569 oder ein ausserge-richtliches Geständnis des Verdächtigen.570 Entfernte Anzeigen waren bei-spielsweise ein schlechter Leumund des Beschuldigten, der von redlichen und unparteiischen Leuten herrühren musste,571 ein besonderes Motiv572 oder das Ge-sehenwerden am Tatort oder in unmittelbarer Nähe desselben.573 War ein Indiz nicht offenkundig und damit gerichtsnotorisch, durfte das Gericht von einem

561 GLASER [1883], S. 90; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 54; m.w.H. MICHELS [2000],

S. 21, Fn. 125. 562 MICHELS [2000], S. 21, vgl. auch Art. 143 CCC betreffend den Rechtfertigungsgrund der

Notwehr.563 Art. 147 CCC, MICHELS [2000], S. 21; KRÖNER [1958], S. 21. 564 Art. 18 CCC. 565 Art. 25 CCC. 566 MICHELS [2000], S. 17; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 55. 567 PÖLTL [1999], S. 45 f.; MICHELS [2000], S. 17.568 Art. 29 CCC. 569 Art. 30 CCC. 570 Art. 32 CCC. 571 Art. 25 § 1 CCC. Zur Bedeutung des Leumunds siehe JEROUSCHEK, Inquisitionsprozess

[1992], S. 357 f. 572 Z.B. Neid oder Feindschaft, Art. 25 § 5 CCC. 573 Art. 23 § 2 CCC.

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Beweis der «anzeygung» nur ausgehen, wenn der den Indizien zugrunde liegen-de Sachverhalt durch zwei vollgültige Zeugen bestätigt wurde.574

Der Indizienbeweis war eines der Beweismittel zur Feststellung, ob der Tat-bestand eines Verbrechens gegeben war, was wiederum Voraussetzung für die Anwendung der Folter war.575 Bei Vorliegen eines nahen, eines besonderen oder mehrerer entfernter Indizien, die nach Ansicht des Gerichts576 dieselbe Stärke wie ein nahes oder besonderes Indiz erreichten, durfte gefoltert werden, wobei dem Angeklagten zuvor die Möglichkeit einzuräumen war, Entlastungsbeweise anzubringen.577 Auf normativer Ebene vermitteln die strenge Beweistheorie und die Regeln zur Anwendung der Folter jedoch ein etwas irreführendes Bild. Ins-besondere bei der Handhabung der Folter hatte der Richter ein nicht unbeachtli-ches Ermessen. Er konnte entscheiden, ob die vorhandenen Indizien einen Über-gang von der General- in die Spezialinquisiton578 zuliessen, und so den Weg zur Folter ebnen.579

Die Anforderungen an Indizien waren je nach zu beurteilendem Delikt unter-schiedlich.580 Für die Verurteilung aufgrund eines Tötungsdelikts musste der Tod eines Menschen durch das «corpus mortuum» bewiesen werden. Die stren-gen Beweisregeln konnten zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Gelang es etwa einem Täter, die Leiche unbemerkt zu beseitigen, konnte er nämlich trotz seines Geständnisses nicht mit der ordentlichen Strafe belegt werden.581

Beeinflusst von der damals herrschenden italienischen Doktrin, die den Aus-gleich zwischen der dem Schutz des Beschuldigten dienenden Lehre vom cor-pus delicti582 und dem Strafinteresse des Staates durch Zulassung von Indizien als subsidiärem Beweismittel erlaubte, sprach sich im deutschsprachigen Raum schliesslich BENEDIKT CARPZOV ebenfalls für den Beweis durch schwerwie-

574 Art. 22 CCC; MICHELS [2000], S. 16, vgl. unten Kap. 5.3.2. 575 Art. 22 CCC bestimmte, dass die Folter nur zur Anwendung kommen durfte, wenn ent-

sprechende Indizien vorlagen, vgl. PÖLTL [1999], S. 44. 576 Hier handelte es sich um eine Ermessensfrage; PÖLTL [1999], S. 47. 577 Art. 27 CCC, MICHELS [2000], S. 19. 578 Vgl. oben Kap. 5.2 579 GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 169. 580 PÖLTL [1999], S. 47 f. 581 KRÖNER [1958], S. 18. 582 Vgl. oben Kap. 5.2.

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gende Indizien als subsidiäres Beweismittel aus. Nach und nach wurde dieser Indizienbeweis allgemein anerkannt.583 Nach CARPZOVS Lehre berechtigten die Indizien auch zur Anwendung eines Reinigungseids oder der poena extraordina-ria584, wodurch der Anwendungsbereich des Indizienbeweises gegenüber der Carolina klar erweitert wurde. Auch CARPZOV gestand den Indizien hingegen keine vollständige Beweiskraft zu.585 Erst im Zuge der Aufklärung erlangte der Indizienbeweis einen neuen Stellenwert, wobei sich die Erfolge im Strafprozess-recht überwiegend erst im 19. Jahrhundert einstellten.586

5.3.1.2 Indizien im Fall Egger

An die Obrigkeit wurde bereits kurz nach dem Verschwinden von Catharina Himmelberger der Verdacht herangetragen, sie könnte von Egger umgebracht worden sein. Dabei handelte es sich um eine «anzeygung» im Sinne von Art. 19 CCC, die freilich für sich alleine keine peinliche Bestrafung erlaubt hätte (Art. 22 CCC). Eine «nahe Anzeige» im oben erläuterten Sinne, die zur Folter ge-rechtfertigt hätte, wäre etwa in der Aussage eines Tatzeugen oder einem ausser-gerichtlichen Geständnis zu erblicken gewesen. Einen Tatzeugen gab es nicht. Der erste Verdacht gegen Egger war also eine «entfernte Anzeige», die nur zu-sammen mit anderen Indizien die Anwendung der Folter erlaubt hätte. Ein sol-ches weiteres Indiz wäre etwa ein besonderes Motiv für die Tat gewesen. Das Motiv Eggers lag möglicherweise in der Umgehung seiner Zahlungspflicht ge-genüber Catharina Himmelberger. Da jedoch weder Bestand noch Höhe der Schuld ausgewiesen waren, liess sich in jenem Stadium des Verfahrens nicht zuverlässig beurteilen, ob Egger tatsächlich ein Motiv für die Tötung hatte. Weitere Indizien, wie etwa ein schlechter Leumund, lagen nach den Akten nicht vor.

Die Zeugenaussage von Elisabeth Schafhauser587 erfolgte am 13. Februar 1775, also noch vor Eggers Verhaftung. Die Näherin berichtete jedoch nur vom 583 KRÖNER [1958], S. 18 f. 584 Vgl. unten Kap. 7.1.1. 585 PÖLTL [1999], S. 56. 586 PÖLTL [1999], S. 59 ff.; GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 172 f. 587 Dok. 5, Zeugenaussage von Elisabeth Schafhauser.

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Hörensagen, gab wieder, was ein ihr bekannter Knecht ihr geschildert hatte. Ihre Aussage konnte deshalb höchstens ein entferntes Indiz dafür darstellen, dass im Wald etwas vorgefallen sein könnte. Rückschlüsse auf Egger und das von ihm gemäss ersten Vermutungen verübte Verbrechen liess die Aussage hingegen nicht zu. Da Egger noch in der Nacht auf den 14. Februar 1775 verhaftet wurde und sein Schwager Joseph Bensegger die Ermittelnden über den Verbleib der Leiche Catharinas aufklärte, erübrigte es sich, dem sehr vagen Indiz, das Elisa-beth Schafhauser geliefert hatte, nachzugehen.588

Gegenüber dem Wirt sowie gegenüber seinem Schwager und seinem Stiefva-ter gestand Egger die Tat am 13. Februar 1775. Von diesem Zeitpunkt an wäre demnach von einer «nahen Anzeige» auszugehen gewesen. Unabhängig davon, ob Egger auch gegenüber dem Gericht ein Geständnis abgeben würde, hätte er ab dem 13. Februar 1775 rechtmässig gefoltert werden dürfen. Die Leiche Ca-tharina Himmelbergers fand die Obrigkeit am 14. Februar 1775. Rasch konnte nachgewiesen werden, dass sie eines gewaltsamen Todes gestorben war. Am 15. Februar 1775 wurde Egger zu Beginn des ersten Verhörs nach seiner Gefan-gennahme vom Gericht gefragt, was er getan habe, worauf er sogleich zugab, Catharina Himmelberger einen «streich in das knickh» gegeben zu haben.589

Nach diesem Schlag habe sie sich nicht mehr geregt, sei gleich tot gewesen.590

Das Gericht verfügte also ab diesem Zeitpunkt im Verfahren über ein gerichtli-ches Geständnis, dass Egger das Opfer mit einem Schlag niedergestreckt hatte, und mit der Leiche über das corpus delicti. Eine Verurteilung wegen Totschlags der Catharina Himmelberger wäre damit grundsätzlich bereits am 15. Februar 1775 möglich gewesen.

Die Anzeige des St. Galler Stadtbürgers Pankraz Rietmann591 vom 16. Fe-bruar 1775, wonach sein Bruder bisweilen bei Egger ein Glas Most getrunken habe und vor eindreiviertel Jahren während des Jahrmarkts verschwunden sei, war derart vage, dass sie für das Gericht nicht einmal als entferntes Indiz taug-

588 Dies hätte etwa durch die Befragung des Knechts Joseph von der Tobler-Mühle und

schliesslich durch eine Durchsuchung des Walds an der von diesem angegebenen Stelle geschehen können.

589 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 2. 590 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 4. 591 Dok. 11, Anzeige von Pankraz Rietmann.

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lich war. Es sah offenbar keine Veranlassung, das Verschwinden von Hansul-rich Rietmann mit Egger in Zusammenhang zu bringen; sie konfrontierte Egger nicht einmal mit der Aussage Rietmanns. Auch betreffend die aufgefundenen verstümmelten Leichen vermochte die Anzeige kein Indiz zu begründen, zumal Fiskal Zollikofer bereits in seinem Bericht vom 14. Februar 1775 festgehalten hatte, es handle sich bei den beiden zusätzlich gefundenen Leichen um Frau-en.592 Da Egger den Totschlag der Catharina Himmelberger bereits gestanden hatte, war sein guter Leumund im Übrigen ohnehin bereits zerstört, sodass die Aussage Rietmanns auch diesbezüglich nichts mehr zu beeinflussen vermochte.

Während eine Verurteilung wegen Totschlags wie erwähnt grundsätzlich be-reits nach der ersten Einvernahme Eggers möglich gewesen wäre, konnte das Delikt der Leichenschändungen nicht so rasch aufgeklärt werden. Hier fehlte anfänglich ein Geständnis von Egger. Deswegen bemühten sich die Untersu-chenden, gegen ihn sprechende Indizien zu finden. Weil auch nach der Haus-durchsuchung vom 16. Februar 1775 nicht alle Kleidungsstücke Catharinas auf-gefunden worden waren – es fehlten insbesondere ihre «ermelschluten» –, musste der Totengräber die bereits begrabenen, noch nicht identifizierten, ver-stümmelten Leichen wieder ausgraben und die mit den Leichen begrabenen Kleider der Obrigkeit übergeben. So stellte sich heraus, dass das Bündel mit den Leichen(-teilen) von Elisabeth Han und Maria Baumann Kleidungsstücke bein-haltete, die Catharina Himmelberger am Tag des Totschlags getragen hatte. Dies war eine «nahe Anzeige», ein Indiz, das für sich allein die Folterung Eggers ge-rechtfertigt hätte, selbst wenn er weiterhin geleugnet hätte, mit den beiden zu-sätzlichen Leichen etwas zu schaffen gehabt zu haben. Dazu kam es jedoch nicht, weil Egger, durch das starke Indiz in die Enge getrieben, bereits bei der gütlichen zweiten Einvernahme vom 17. Februar 1775 die Entwendung der Lei-chen und die Verstümmelungen zumindest teilweise gestand.593

592 Dok. 8, Amtsbericht von Fiskal Zollikofer, S. 4. 593 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antworten 74 ff.

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5.3.2 Der Zeugenbeweis

5.3.2.1 Rechtshistorische Einordnung

Eine Verurteilung sollte erfolgen, wenn der Beschuldigte die Haupttatsachen gestand oder zwei Tatzeugen gegen ihn aussagten.594 Da die Ermittlungsorgane nur sehr beschränkte Möglichkeiten hatten, einen Täter aufzuspüren und ihn anzuklagen, war das Zeugenverhör das wichtigste Mittel, ausreichende Ver-dachtsmomente gegen einen Beschuldigten für die Durchführung eines Inquisi-tionsprozesses hervorzubringen.595 Die Carolina setzt für die Tauglichkeit des Zeugenbeweises voraus, dass die Aussagen der Zeugen auf deren eigenen Wahrnehmungen von Tatsachen beruhen. Werturteile, Meinungen, Rückschlüs-se oder Informationen vom Hörensagen genügten zum wirksamen Zeugenbe-weis somit nicht.596 In der Carolina sind einfache Zeugenaussagen – abgesehen von den selten vorhandenen zwei klassischen Tatzeugen – lediglich von sekun-därer Bedeutung. Sie dienten somit in der Regel nur als Hilfsmittel für die Zu-lässigkeit der Folter, konnten aber keine Grundlage für eine Verurteilung bilden. Bei jedem Angeschuldigten, der nicht durch zwei Tatzeugen überführt werden konnte, war das Geständnis für eine Verurteilung also zwingend notwendig.597

Der Stellenwert der Zeugenaussage definierte sich auch über das zu untersu-chende Delikt. Bei Straftatbeständen, bei denen der Gegenstand des Verbre-chens physisch vorhanden war, war man auf Zeugenaussagen freilich viel weni-ger angewiesen als bei Delikten wie etwa Gotteslästerung oder Majestätsbelei-digung, die allein in der mündlichen Äusserung des Delinquenten bestanden.598

Die Carolina enthält Regeln zu Voraussetzungen und Form des Zeugenbe-weises. Grundsätzlich bestand eine Zeugnispflicht.599 Über ein Zeugnisverweige-rungsrecht etwa von Familienangehörigen enthält die Carolina keine Angaben. Die Constitutio Criminalis Bambergensis von 1507 (CCB) verlangte noch, dass ein Zeuge nicht unter 20 Jahren und kein «Weibsbild» sein solle.600 Auf diese 594 Art. 67 CCC. 595 WITTKE, Alltag [2002], S. 295.596 FISCHER [1998], Sp. 1686. Vgl. Art. 65 und 67 CCC. 597 HAUSER ROBERT [1974], S. 7; HENKEL [1968], S. 42. 598 SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 299. 599 JANSEN [2004], S. 57. 600 Art. 76 CCB.

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Einschränkung verzichtet die Carolina ebenso wie auf den Ausschluss von An-gehörigen des Beschuldigten vom Zeugnis.601 KARITZKY geht jedoch davon aus, die Carolina habe mit Zeugen wohl nicht strenger verfahren wollen, als dies in den Prozessen jener Zeit ohnehin allgemein üblich gewesen sei.602 Der Klag-spiegel von 1425 und die Wormser Reformation von 1498 schliessen etwa Frauen und Jugendliche sowie gewisse Kategorien von Verwandten vom Zeug-nis aus.603 Mit KARITZKY kann angenommen werden, dass die dort geforderte Rücksichtnahme auf Verwandte und Hausgenossen durch die Vorschriften der Carolina nicht berührt werden sollte.604 Mitunter wurde dafür plädiert, Verwand-te nur dann mittels Folter zur Aussage gegen den Angeschuldigten zu zwingen, wenn man die Wahrheit nicht auf andere Weise ergründen könnte oder kein an-derer Zeuge vorhanden wäre.605 Dies dürfte sich freilich mitunter als schwacher Schutz der Verwandten erwiesen haben.

Wurde die Richtigkeit von Zeugenaussagen bestritten, so wurden unbekannte Zeugen nur zugelassen, wenn derjenige, der die Zeugen stellte, ihre Redlichkeit und ihren guten Leumund dartun konnte.606 Auch bekannte Zeugen mussten über einen guten Leumund verfügen.607 Bezahlte Zeugen waren unzulässig und soll-ten bestraft werden.608 Die Zeugeneinvernahme erfolgte unter Ausschluss des Beschuldigten und der Öffentlichkeit und war zu protokollieren.609 Ihr Resultat war dem Beschuldigten später zu eröffnen.610

Auch das Konzept zur Pfalzratsordnung 1733 verlangte von den Zeugen, sie sollten gut, ehrbar und tüchtig sein und über einen guten Leumund verfügen. 601 HAUSER ROBERT [1974], S. 8. Das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht von Familienan-

gehörigen führte jedoch längst nicht immer zu Aussagen, die den Verdächtigen schützen oder schonen sollten. Im Gegenteil wurde der Verdächtige oft durch einen Familienange-hörigen belastet, etwa mit der Intention, einen allenfalls lästigen Miterben auszuschalten; SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente [1996], S. 300.

602 KARITZKY [1959], S. 21. 603 KARITZKY [1959], S. 18 f. 604 KARITZKY [1959], S. 21. 605 ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 101, Sp. 176. 606 Art. 63 CCC. 607 Art. 66 CCC. 608 Art. 64 CCC. 609 Neben den Aussagen sollten auch die Gebärden des Zeugen protokolliert werden, Art. 71

CCC.610 GLASER [1883], S. 90 f.

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Weiter sollten sie nicht mit der Gegenpartei befreundet oder verwandt sein. Sollten aber keine anderen Zeugen beigebracht werden können, so konnten die-se doch genannt werden, wobei es schliesslich in der richterlichen Erkenntnis lag zu entscheiden, in wieweit solche Zeugenaussagen zulässig wären. Die Ad-vokaten sollten die Zeugen nicht «zur ungebühr verführen, oder mit muth, gelt, gab, oder versprechen, was anders zu sagen verleithen, als was die liebe wahr-heit erforderet».611

Die einvernommenen Zeugen mussten vor der Aussage in der Regel ein Ge-lübde ablegen. Dieses war ein feierliches Versprechen, das mit dem Einsatz der Ehre der gelobenden Person, im Gegensatz zum Eid jedoch ohne religiöse Bin-dung, gegeben wurde. Der Eid war demgegenüber eine Anrufung Gottes als Zeuge der Wahrheit einer Aussage oder eines Versprechens.612 Er war oft als bedingte Selbstverfluchung ausgestaltet, die in ritueller Gebundenheit und Form, etwa mit feierlichem Erheben der Hand oder mit Berührung von heiligen Gegenständen oder Körperteilen, geleistet wurde.613 Das Landmandat der Alten Landschaft von 1761 regelt beispielsweise die Gestik samt Bedeutung sowie die Worte der Selbstverfluchung ausführlich.614

Im Falle des Eidbruchs lieferte man sich den Kräften aus, auf die man den Eid geleistet hatte, so etwa Blitz, Feuer oder Wasser.615 Verletzte man das Ge-löbnis, so machte man sich zwar auch strafbar. Im Gegensatz zum Eid jedoch, der vor Gott und dem eigenen Gewissen bestehen musste, hatte das Gelöbnis nur vor dem eigenen Gewissen zu bestehen.616 Da die Landeshoheit ihre Amts-leute und Untertanen nur in beschränktem Masse kontrollieren konnte, diente der Eid zu Gott als willkommene Möglichkeit, die Untergebenen an ihre Pflich-ten zu binden, die Zeugen zur wahren Aussage zu bringen und bei Beamten Amtsmissbrauch vorzubeugen.617 Gerade bei Zeugenbefragungen diente die

611 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 99. 612 LUMINATI, Eidverweigerung [2008], S. 199. 613 Es wurden etwa der Bart oder die Brust berührt; MUNZEL-EVERLING [2007], Sp. 1249. 614 Vgl. die «Erklärung des Aydtschwurs» im Anhang zum Landmandat 1761, RQSG (Alte

Landschaft), S. 149 f. 615 SCHILD, Verfahren [1989], S. 130. 616 ZIEGLER STEPHAN [1997], S. 24. 617 ZIEGLER STEPHAN [1997], S. 24.

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mahnende Erinnerung an den geleisteten Eid als wichtige Waffe.618 Der Eid wurde durch Eidtafeln in Gerichtsräumen, abschreckende Geschichten über Eidbruch, Predigten und erbauliche Literatur popularisiert. Im Laufe der frühen Neuzeit wurde die Schwurpraxis jedoch allmählich eingedämmt.619 Im Strafver-fahren blieb weitgehend nur der Zeugeneid oder – wie im Fall Egger – das Handgelübde erhalten.620

Der Eid war in verschiedenen Lebenslagen zu leisten. Es wird zwischen dem gelobenden Eid621 und dem bekundenden, verpflichtenden Eid622 unterschieden. Der Eid war ein etwa von Zeugen, von Angeschuldigten, aber auch von den ver-schiedenen Pflichtenträgern des Staatswesens feierlich ausgesprochenes Ver-sprechen gegenüber dem Staatswesen und der Obrigkeit, gleichzeitig eine Bin-dung an Gott und eine Unterwerfung unter seine Gebote und Verbote.623 Das Landmandat von 1761 beispielsweise kannte explizit den «Amman- und Richter Aydt», der diese Amtsträger verpflichtete, ihre Arbeit rechtsgleich, unbestech-lich, unparteiisch und «umb des blossen Rechten willen, alles getreulich und ungefährde» auszuführen.624

Einen Eid leisten mussten auch die Pfalzräte in der Fürstabtei. Das Konzept der Pfalzratsordnung 1733 erinnert die Pfalzräte daran, dass sie in allen Rechts-

618 FUCHS, Gott [2000], S. 326, ferner S. 323. 619 Die im 18. Jahrhundert lauter werdenden Forderungen nach Toleranz stellten den Eid als

religiös fundiertes Zwangsmittel allmählich in Frage. Schliesslich erklärte etwa der Philo-soph Immanuel Kant (geb. 1724, gest. 1804) den Eid als mit der menschlichen Freiheit unvereinbar. Insbesondere nach 1800 verlangten Kritiker wenn nicht die vollständige Ab-schaffung des Eids, so doch seine Umwandlung in einen vernunftrechtlich begründeten, auf der Pflicht zur Wahrhaftigkeit beruhenden «bürgerlichen» Eid; LUMINATI, Eidverwei-gerung [2008], S. 204.

620 LUMINATI, Eid, Kap. 2, e-HLS [2005]. 621 Der gelobende Eid nimmt die Form eines Treueschwurs an und gründet bzw. festigt

Rechtsverhältnisse verschiedenster Art; MUNZEL-EVERLING [2007], Sp. 1250 ff. 622 Der bekundende Eid ist etwa der Reinigungseid im Beweisrecht; MUNZEL-EVERLING

[2007], Sp. 1253. 623 ZIEGLER STEPHAN [1997], S. 23; SCHMIDT HANS-JOACHIM [2006], S. 84. Eine (aus-

nahmsweise) ein Amt bekleidende Frau durfte oftmals keinen Eid schwören, sondern nur ein Gelübde ablegen. In der Fürstabtei St. Gallen mussten alle männlichen Untertanen ei-nen allgemeinen Eid zu Gehorsam, Treue und Wahrheit gegenüber dem Abt schwören, vgl. Anhang zum Landmandat 1761, RQSG (Alte Landschaft), S. 147 f.

624 Anhang zum Landmandat 1761, RQSG (Alte Landschaft), S. 148. Der Anhang kennt weiter den «Ammann-, Weibel- und Würthen-Aydt».

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sachen und was diesen zugehörig sei «allzeit ihrer zu der Gott geheilligten justiz leiblich geschwohrnen eyd, und dessen veranthwortung am jüngsten tag wohl in acht behalten, und darwider von keiner ley ursachen wegen wissentlich nicht handlen» sollten.625

Im 18. Jahrhundert gewann der Zeugenbeweis allmählich an Bedeutung. Im Zuge der Aufklärung wurden Stimmen gegen die Folter immer lauter.626 Ein ge-wisses Misstrauen begann sich zu entwickeln gegen dieses «Instrument der Wahrheitsfindung», was zu einer stärkeren Betonung der anderen Beweismittel führte.627 Man bemühte sich immer stärker darum, möglichst umfassende Ver-dachtsgründe schon zusammenzutragen, bevor man zum Instrument der Folter griff. Zu diesem Zweck begann man, vom Gesetz wegen Unglaubwürdigkeitausgeschlossene Zeugen zur Information des Gerichts zu vernehmen.628 Der Richter sollte alle Personen verhören können, von denen irgendeine Aufklärung zu erwarten war, wobei auch das Verhör der nächsten Angehörigen zugelassen bzw. gemäss dem im 18. Jahrhundert publizierenden Carolina-Kommentator FRÖLICHSBURG629 sogar empfohlen wurde.630

5.3.2.2 Zeugen im Fall Egger

Von Eggers Verbrechen gab es keine direkten Tatzeugen. Er erschlug Catharina Himmelberger frühmorgens unbemerkt in seinem Stall. Die Leiche von Maria Baumann grub er kurz nach Weihnachten abends um sieben, also in der Dun-kelheit, aus. Er hatte an jenem Tag mit dem Schlitten Geschirr für den Hafner der Langgasse nach Herisau gefahren, wobei ihn der Sohn des Hafners begleitet hatte. Auf dem Rückweg hatte Egger diesen vorausgeschickt mit der Bemer-kung, in der Vorstadt noch etwas erledigen zu müssen. Erst zwei Stunden später wurde er wieder gesehen, wie er mit einem Bündel über den Schultern die

625 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 68. 626 Vgl. Kap. 5.5.4.2. 627 KARITZKY [1959], S. 30. 628 KARITZKY [1959], S. 31. 629 Johann Christoph Frölich von Frölichsburg (gest. 1776) war Rechtsprofessor an der Uni-

versität Freiburg im Breisgau. 630 FRÖLICHSBURG [1759], 1. Buch, 18. Titel, Nr. 4 und 5.

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Langgasse entlang kam.631 Offenbar schöpfte deswegen jedoch niemand den Verdacht, Egger könnte eine strafbare Handlung begangen haben. Einen direk-ten Zeugen des Leichenraubs gab es nicht. Niemand bemerkte, dass das Grab von Maria Baumann leer war, obwohl es nach jenem Tag etwas eingefallen war.632 Auch die Leichenteile von Elisabeth Han transportierte Egger unbemerkt zu sich nachhause.

Im Laufe des Verfahrens wurden viele Zeugen befragt. Dies lässt darauf schliessen, dass das Gericht bestrebt war, den Fall ohne Folterung Eggers, son-dern durch andere Formen der Sachverhaltsabklärung aufzuklären. Man schien sich Mühe gegeben zu haben, von den Personen im Umfeld Eggers die eigenen Wahrnehmungen von Tatsachen erzählt zu bekommen. Wurde eine Information vom Hörensagen an die Untersuchenden herangetragen, vernahmen diese wenn möglich die Person, die eine direkte Wahrnehmung vom Erzählten haben konn-te, zusätzlich ein. So begnügte man sich nicht mit der Aussage von Kaspar Wet-tach vom 23. August 1773, der berichtete, die Überreste des Leichnams von Eli-sabeth Han gefunden zu haben, sondern befragte zwei Tage später noch Fideli Burckhard, den Knecht des Scharfrichters, nach seinen Wahrnehmungen im Zu-sammenhang mit dem Auffinden der Leiche. Sogar der Nebenknecht Franz An-toni Ritter wurde beeidigt zu seinen Wahrnehmungen befragt, obwohl er erst abends «zu dem verlochenden cörper» dazugekommen war.633 Obwohl die Zeu-genaussagen von Wettach, Burckhard und Ritter am 23. und 25. August 1773 bereits genau protokolliert worden waren, stellte das Gericht beim Aufrollen des Falles im Februar 1775 nicht unbesehen auf dieses Protokoll ab, sondern beor-derte Ritter nochmals in den Zeugenstand. Er bestätigte die ihm vorgelesenen Aussagen vom August 1773.634 Dieses Verhör verdeutlicht, dass das Gericht sich anstrengte, den Sachverhalt möglichst detailliert und sauber abzuklären. Freilich zeigt dieses Beispiel auch ein Problem der damaligen Zeugenbefragung: Was, wenn eine Tat schon längere Zeit zurück lag und der Zeuge weitergezogen, die

631 Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis; Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers,

Antworten 79, 80. 632 Dok. 14, Amtsbericht von Hatschier Hofstetter und Zeugeneinvernahme Etters, S. 2. 633 Dok. 1, Zeugenaussagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters. 634 Dok. 1, Zeugenaussagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,

S. 5 f.

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Alte Landschaft vielleicht sogar verlassen hatte? Da es kaum Möglichkeiten gab, den Verbleib einer Person nach deren Fortgang mit verhältnismässigemAufwand abzuklären, waren der Zeugeneinvernahme, die nicht in relativ kurzer Zeit nach einer Straftat erfolgt war, wohl enge Grenzen gesetzt.

Allen Hinweisen scheint das Gericht im Fall Egger aber trotz der breit ange-legten Zeugenbefragungen nicht auf den Grund gegangen zu sein. So wurde die Anzeige des Strumpfwebers Pankraz Rietmann vom 16. Februar 1775, in der dieser gemutmasst hatte, Egger könnte beim vor eindreiviertel Jahren erfolgten spurlosen Verschwinden seines Bruders seine Finger im Spiel gehabt haben,635

weder kommentiert noch scheint sie sonst irgendwie verwertet worden zu sein. Egger wurde erstaunlicherweise offenbar nicht mit Rietmanns Mutmassung konfrontiert. Da er selbst nicht lesen konnte, ist anzunehmen, dass ihm die recht detaillierte Aussage Rietmanns überhaupt nicht zur Kenntnis gelangt war. Auch der etwas wirren Aussage der Näherin Elisabeth Schafhauser vom 13. Februar 1775, wonach der Knecht Joseph von der Tobel-Mühle am 11. Februar 1775 auf dem Heimweg im Wald etwas Unheimliches gehört haben sollte,636 folgten of-fenbar keine konkreten näheren Abklärungen. Ungewiss ist, ob es sich beim von der Näherin erwähnten Knecht Joseph um den am 23. Februar 1775 einver-nommenen Joseph Rüesch handelte. Dieser war beim Müller im Obertobel in Diensten. Die Untersuchenden nahmen jedoch bei der Befragung von Joseph Rüesch mit keiner Silbe auf die Näherin und ihre Aussage Bezug, sondern frag-ten Rüesch nur, ob er Egger kenne, ob er einmal in dessen Stall gewesen sei und ob er dort etwas Verdächtiges bemerkt habe.637 Dies lässt vermuten, dass der von Elisabeth Schafhauser erwähnte Knecht Joseph nicht mit dem einvernommenen Joseph Rüesch identisch war.

Die Protokolle enthalten nicht in allen Fällen Hinweise darauf, ob dem jewei-ligen Zeugen ein Handgelübde oder ein Eid abgenommen wurde. Bei den Aus-sagen von Kaspar Wettach, Fideli Burckhard und Franz Antoni Ritter im Au-gust 1773 sowie bei der Befragung Ritters am 18. Februar 1775 sind abgelegte

635 Dok. 11, Anzeige von Pankraz Rietmann. 636 Aus diesem Protokoll geht nicht klar hervor, was der Knecht gesehen und wovor er sich

gefürchtet hatte; Dok. 5, Zeugenaussage von Elisabeth Schafhauser. 637 Dok. 17, Zeugenaussage von Joseph Rüesch.

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Handgelübde wörtlich erwähnt.638 Dasselbe gilt für das Protokoll der Aussagen von Christian Louis vom 14. Februar 1775639 und jenes der Aussagen von Jo-seph Rüesch vom 23. Februar 1775.640 Keine explizite Erwähnung eines Hand-gelübdes oder Eids findet sich bei den Aussagen von Maria Gross vom 10. Fe-bruar 1775641 und Jacob Himmelberger vom 18. Februar 1775642, wobei immer-hin darauf hingewiesen wird, sie hätten «bey gueten treuen» angezeigt bzw. sei-en «bey gueten treuen befraget» worden. Keinerlei Hinweis auf Gelübde, Eid oder «guete treuen» enthalten die Aussagen von Pankraz Rietmann vom 16. Fe-bruar 1775643, die zweite Aussage von Christian Louis vom 18. Februar 1775644,die Befragung von Eggers Stieftöchtern vom 22. Februar 1775645 sowie von des-sen Ehefrau vom 23. Februar 1775 und erstaunlicherweise auch nicht die Ein-vernahme von Johannes Geser am 8. März 1775646.

In den Akten zum Fall Egger finden sich keine Anhaltspunkte für ein Zeug-nisverweigerungsrecht oder darauf, dass die Angehörigen Eggers auf ein solches hingewiesen worden wären. So wurden seine Ehefrau, seine Stieftöchter und sein Schwager ohne erkennbare Einschränkungen einvernommen. Sie blieben gemäss den Protokollen nie die Beantwortung einer Frage schuldig. Immerhin ist jedoch unklar, wie detailliert die Protokolle das tatsächlich Gesprochene wiedergeben. Sollte eine Antwort nur zögerlich und stockend gegeben worden sein, wurde darauf im Protokoll jedenfalls nicht hingewiesen. Möglich ist auch, dass keiner der Angehörigen Eggers gewillt war, ihn zu schonen und dem Ge-richt etwas zu verschweigen. Insbesondere die Ehefrau gab ausführlich und un-verblümt Auskunft über ihren Gatten, zu dem sie offensichtlich kein herzliches Verhältnis hatte. Auch sein Schwager und seine Stieftöchter scheinen ihm nicht sonderlich nahe gestanden zu sein.

638 Dok. 1, Zeugenaussagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters. 639 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 1. 640 Dok. 17, Zeugenaussage von Joseph Rüesch, S. 1. 641 Dok. 4, Zeugenaussage von Maria Gross. 642 Dok. 12, Zeugenaussage von Jacob Himmelberger. 643 Dok. 11, Anzeige von Pankraz Rietmann. 644 Dok. 13, zweite Anzeige von Christian Louis. 645 Dok. 15, Zeugenaussagen von Eggers Stieftöchtern. 646 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser.

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Den Akten ist nicht zu entnehmen, dass der Leumund der Zeugen oder ihre Redlichkeit abgeklärt worden wären. Jedenfalls fehlen entsprechende schriftli-che Hinweise. Unklar ist zudem, ob und gegebenenfalls wie die Identität der einzelnen Zeugen überprüft wurde. Immerhin dürften die meisten Zeugen dem Gericht persönlich bekannt gewesen sein.

5.3.3 Der Sachverständigenbeweis

5.3.3.1 Rechtshistorische Einordnung

Solange den Gerichten die Erforschung der materiellen Wahrheit noch nicht so wichtig war und die zu beurteilenden Verhältnisse überschaubar waren,647 war die Hilfe von Sachverständigen im Strafverfahren nicht nötig. Mit dem Auf-kommen der materiellen Beweistheorie, der Verkomplizierung der Lebensver-hältnisse und den Fortschritten auf dem Gebiet der Naturwissenschaften erlebte die Sachverständigentätigkeit einen Aufschwung. Die Richter konnten nicht mit der Entwicklung der Wissenschaft Schritt halten, ihnen fehlten immer mehr Kenntnisse zur Sachverhaltsfeststellung.648 Die Entwicklung der Naturwissen-schaften und der gerichtlichen Medizin erlaubte eine Überprüfung, Widerlegung oder Erhärtung zumindest einiger Indizien.649 So wurde es ab dem 16. Jahrhun-dert allmählich üblich, Gutachten einzuholen. In erster Linie wurden Rechtsge-lehrte und Mediziner um Beurteilungen ersucht. Generell kamen als Sachver-ständige sowohl öffentlich als auch privat Bestellte in Betracht; erforderlich war nur die Sachkunde. Diese musste nicht zwangsläufig durch ein Zeugnis nach-gewiesen werden, da sie unter den Parteien häufig auch ohne ein solches un-streitig war.650 Die medizinischen Sachverständigen als «nicht-staatliche» Spezi-alisten und freie Gewerbetreibende konnten freilich zumindest bei gewissen De-

647 MASTRONARDI [1936], S. 3. 648 BERNET [1967], S. 1. 649 GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 169. 650 OLZEN [1980], S. 186.

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likten das Verfahren nicht unerheblich beeinflussen.651 Ihre Beurteilungen fass-ten sie häufig selbst ab und schrieben sie nieder.652

Die Begutachtung durch Sachverständige wird in der Carolina ausdrücklich erwähnt bei den Delikten der Kindstötung653, der fahrlässigen Tötung durch ei-nen Arzt654, der Verletzung mit Todesfolge655 und der Frage der Geisteskrank-heit656. Bei Körperverletzung mit Todesfolge nach Art. 147 CCC sollen sachver-ständige Wundärzte beigezogen werden, bei Verdacht auf Kindstötung Hebam-men.657 Die Carolina kennt in Art. 149658 den gemischten Augenschein an einem Toten durch Richter, Schöffen und Ärzte. Danach sind Teile der Entscheidung an den Sachverständigen zur Vorbeurteilung zu delegieren, sodass sie vom Richter ungeprüft übernommen werden können.659

Art. 147 CCC660 trägt den Titel «So eyner geschlagen wirdt vnd stirbt, vnd man zweiffelt ob er an der wunden gestorben sei» und erwähnt erstmals den Begriff der sachverständigen Person, den er mit der prozessualen Position des Zeugen in Verbindung bringt.661 Die Unterscheidung zwischen Sachverständigen

651 HÄRTER [2000], S. 472. 652 Entsprechend für Zürich BERNET [1967], S. 58. 653 Art. 35 und 36 CCC. 654 Art. 134 CCC. 655 Art. 147 und 149 CCC. 656 Art. 179 CCC. 657 Art. 35 f. CCC. Zur Funktion der Hebamme als Gutachterin FISCHER-HOMBERGER

[1983], S. 53 ff.658 Art. 149 CCC geht auf Art. 229 CCB zurück, der jedoch lediglich von Richtern und

Schöffen verlangte, «von dem erschlagenen oder ermördten von stund an, wo der begra-ben würde, leibzeichen nehmen [zu] lassen», ohne ausdrücklich Sachverständige zu er-wähnen. Ausführlich hierzu POPPEN [1984], S. 65 ff.; vgl. auch BERNET [1967], S. 57.

659 TOEPEL [2002], S. 260; GLASER [1883], S. 677. 660 Art. 147 CCC lautet: «Item so eyner geschlagen wirt, vnnd über etlich zeit darnach stürb,

also das zweiffelich wer, ob er der geklagten streych halb gestorben wer oder nit, in sol-chen fellen mögen beyde theyl (wie von weisung gesatzt ist,) kundtschafft zur sach dienstlich stellen, vnd sollen doch sonderlich die wundtärtzt der sach verstendig vnnd an-dere personen, die da wissen, wie sich der gestorben nach dem schlagen vnd rumor gehal-ten hab, zu zeugen gebraucht werden, mit anzeygung wie lang der gestorben nach den streychen gelebt hab, vnd inn solchen vrtheylen, die vrtheyler bei den rechtuerstendigen, vnd an enden vnd orten wie zu end diser vnser ordnung angezeygt, radts pflegen.»

661 TOEPEL [2002], S. 260 f. Zur Kontroverse der Einordnung des Sachverständigen ins Be-weismittelsystem und zum Verhältnis von Richter und Sachverständigem ebenda S. 261; GLASER [1883], S. 678; MASTRONARDI [1936], S. 10 und 12 ff.

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und Zeugen war lange unklar, Sachverständige wurden oftmals als «gelehrte Zeugen» angesehen.662

Auf der Grundlage der Carolina wurde in der frühen Neuzeit die priesterlich-autoritäre Rechtsprechung nach und nach eingetauscht gegen eine Rechtspre-chung, die der technisch-spezialistischen Vervollkommnung zugänglich und bedürftig ist.663 Solange jedoch die religiöse Scheu vor Obduktionen664 bestand, machte die Gerichtsmedizin nur langsam Fortschritte. Erste Leichenöffnungen finden sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts, ein halbes Jahrhundert später setz-ten sie sich allmählich durch.665 Die Aufgabe des medizinischen Sachverständi-gen im Strafverfahren lag darin festzustellen, ob überhaupt ein Verbrechen be-gangen worden war und wenn ja, welches. Schloss der Sachverständige auf ein Delikt, so bildete sein Gutachten die Grundlage für weitere Verhöre des Be-schuldigten. Beim geständigen Täter spielten Gutachten für die Strafzumessung etwa dann eine Rolle, wenn unklar war, ob das Opfer an den Folgen der vom Täter zugefügten Verletzungen gestorben war.666 Der Entscheid über den Beizug des Sachverständigen lag im Ermessen des Richters.667

Dem Einfluss der Lehren CARPZOVS ist es zu verdanken, dass der Beizug von Sachverständigen ab dem 17. Jahrhundert wesentlich aufgewertet wurde. Seiner Ansicht nach durfte beim Delikt der Tötung die Todesstrafe nur verhängt wer-den, wenn das Opfer von einem medizinischen Sachverständigen untersucht worden war. CARPZOV betrachtete die Todesstrafe nur als zulässig, wenn die dem Opfer vom Beschuldigten zugefügten Verletzungen per se tödlich waren, was ein Laie nicht beurteilen konnte. Die ärztliche Begutachtung wurde damit Bestandteil jedes Prozesses gegen Totschläger.668 Diese strenge Praxis wurde ab dem 18. Jahrhundert wieder gelockert: Es setzte sich die Ansicht durch, die Be-gutachtung sei im Falle der nicht von Art. 147 CCC erfassten vorsätzlichen Tö-tung keine unverzichtbare Voraussetzung für eine Verurteilung, solle aber nach 662 MASTRONARDI [1936], S. 20. 663 FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 26.664 Zur geschichtlichen Entwicklung der Obduktion siehe CRAMER [1885], S. 17 ff. 665 VON FABRICE [1868], S. 247 f.666 BERNET [1967], S. 70 f. Zur Entwicklung einer rationalen gerichtsmedizinischen Lehre

von den Wunden FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 311 ff. 667 Mit weiteren Literaturhinweisen POPPEN [1984], S. 74 f. 668 POPPEN [1984], S. 77.

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Möglichkeit durchgeführt werden. Der Sachverständigenbeweis wurde schliess-lich zu einem vom Richter gezielt einsetzbaren Mittel.669

Als medizinische Sachverständige kamen neben Ärzten auch Handwerkschi-rurgen in Betracht. Dieser Berufsgattung gehörten die handwerklich ausgebilde-ten, weniger geachteten Bader, Barbierchirurgen, Wundärzte, Feldscher, Scher-rer und Geburtshelfer an,670 die das Gebiet der Chirurgie und gleichzeitig des Barbierberufs bis ins 18. Jahrhundert als Domäne zu verteidigen vermochten.671

In das Arbeitsgebiet der Chirurgen fielen unter anderem einfache Wundversor-gungen, Amputationen, Trepanationen (Schädelöffnungen), Brennen und Ätzen, Einrenken verrenkter Glieder, Behandlung von Knochenbrüchen sowie Haut- und Geschlechtskrankheiten. Die Berufsgruppen der gelehrten Ärzte und der Chirurgen arbeiteten oftmals zusammen, so etwa in verschiedenen Kommissio-nen des öffentlichen Gesundheitswesens. Dazu zählte auch die Gerichtsmedizin. Im ausgehenden 18. Jahrhundert begannen akademisch ausgebildete Ärzte zu-nehmend, das Fachgebiet der Chirurgie zu übernehmen.672 In einer Schrift aus dem Jahr 1797 hält der Mediziner PLOUCQUET fest, die Pflichten des gerichtli-chen Arztes reduzierten sich im Allgemeinen darauf,

«dass der Arzt bey allen jenen Functionen, und in Beantwortung der ihm vorgelegten Fra-gen, im Ausstellen der Zeugnisse u.s.w. mit Geschiklichkeit und Geradheit verfahre, damit der Zwek, Wahrheit zu entdeken, so viel möglich, erreicht werde.»673

Neben medizinischen Sachverständigen erlangte auch der rechtliche Sach-verstand an Bedeutung. Die Carolina hielt die oft mit juristischen Laien besetz-ten Gerichte in Art. 219 an, bei ihren Appellationsinstanzen, den Oberhöfen oder Schöppenstühlen, bei der juristischen Fakultät einer nahe gelegenen Uni-versität674 oder bei der territorialen Obrigkeit675 Rechtsgutachten einzuholen.676

669 POPPEN [1984], S. 87 ff. und 92. 670 Zur Abgrenzung der Aufgaben der verschiedenen frühneuzeitlichen Medizinalberufe

PLOUCQUET [1797], § 405 ff., S. 204 ff.; FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 31 ff.; HAR-DEGGER [1987], S. 3.

671 MÖRGELI, Handchirurgen, e-HLS [2005]. 672 MÖRGELI, Handchirurgen, e-HLS [2005]; FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 43 ff., HAR-

DEGGER [1987], S. 5 f. Zur Verwissenschaftlichung der Medizin bzw. zur Entwicklung des Berufswissens von Ärzten und Chirurgen BRÄNDLI [1990], S. 118.

673 PLOUCQUET [1797], § 398, S. 203. 674 SCHNABEL-SCHÜLE, Territiorialstaat [1997], S. 54 ff. 675 HÄRTER [2000], S. 465.

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Damit war der Grundstein gelegt für das Institut der Aktenversendung, das bis ins 19. Jahrhundert hinein Bestand hatte.677 Da die gelehrten Juristen oftmals ein spruchreifes Urteil zurücksandten, schlüpften sie auf diese Weise faktisch indi-rekt in die Rolle der eigentlichen Urteilsinstanzen;678 die Voten der Rechtsge-lehrten nahmen den Charakter von instanzgerichtlichen Weisungen mit Bin-dungscharakter an.679 Nachteilig dabei war, dass die Gelehrten in der Regel nicht vor Ort waren und lediglich aufgrund der ihnen zugeschickten Akten «urteil-ten», deren Auswahl zudem nicht immer willkürfrei getroffen worden war. So entstanden zwar bisweilen Gutachten von theoretisch hochstehendem Rechts-denken, die aber zu im Einzelfall ungerechten Lösungen führen konnten.680

5.3.3.2 Sachverständige im Fall Egger

Die Obrigkeit nahm im Verfahren Egger ihre Begutachtungspflicht für die ver-mutete Tötung im Sinne des Beweisdenkens von CARPZOV ernst: Zur Bergung der Leiche von Catharina Himmelberger schickte sie neben dem Fiskal Zolliko-fer den äbtischen Leibarzt Rogg persönlich sowie den Chirurgen und Hofbarbier Wolff ins Galgentobel. Wenn auch nicht gerade das ganze Gericht die Leiche und den Fundort besichtigte, so nahm mit Zollikofer doch immerhin ein Vertre-ter des Gerichts am Augenschein teil. Die Hierarchie zwischen Rogg und Wolff war eindeutig: Der Chirurg wurde dem Leibarzt als Hilfe mitgegeben. Rogg hielt zwar fest, er habe Wolff und dessen Sohn den Körper der Leiche entblös-sen und die Rückseite des Leichnams untersuchen lassen, diese aber auch noch selbst untersucht.681 Er erstattete seinen Bericht im Singular und machte deut-lich, dass sein medizinischer Sachverstand für eine zuverlässige Beurteilung vollkommen ausreichte und er in dieser Hinsicht der Unterstützung des Chirur-gen nicht bedurft hätte. Das Ansehen des Barbierchirurgen war deutlich kleiner

676 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 36, SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965],

§ 118, S. 135. 677 SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 118, S. 135; BALDAUF [2004], S. 93 f.;

OESTMANN [2004], Sp. 128 ff. 678 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 36. 679 RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 55. 680 SUTER [1990], S. 2 f. 681 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2.

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als dasjenige des Leibarztes. Ihre «Zusammenarbeit» auf dem Gebiet der Ge-richtsmedizin war aber wie erwähnt nicht ungewöhnlich.

Als Sachverständige hatten sowohl Rogg als auch Wolff im Verfahren keine Zeugenstellung und wurden auch nicht wie Zeugen behandelt, was sich etwa darin zeigt, dass sie ihre Gutachten selbst verfassten und sich nicht einer Befra-gung durch das Gericht unterzogen. Während Rogg seine Untersuchung im Be-richt ziemlich detailliert festhielt und sogar mit – zumindest aus heutiger Sicht allerdings wenig aussagekräftigen – Skizzen unterlegte, ist der Bericht von Wolff kurz und knapp, wobei auch er medizinische Fachbegriffe verwendete und insbesondere den «Os occipitio»682 erwähnte.683 Den beiden medizinischen Berichten ist nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob tatsächlich eine Obduktion, eine Leichenöffnung, stattgefunden hatte oder ob die Wunden von Catharina nur äusserlich besichtigt worden waren. Wolff schrieb in seinem Bericht, sie hätten eine «section» gemacht.684 Aus dem Bericht von Rogg geht solches jedoch nicht eindeutig hervor. Er berichtete lediglich davon, die Haut an einer Wunde abge-schält und die Stelle abgewaschen zu haben, woraufhin er habe erkennen kön-nen, dass der Schädel eingedrückt gewesen sei.685

Freilich ist eine damalige Untersuchung der Leiche kaum mit einer heutigen Obduktion in einem modernen gerichtsmedizinischen Institut zu vergleichen. Der Leichnam wurde wenn möglich gleich (und oft ausschliesslich) am Tatort besichtigt. Dies war bei der Leiche von Catharina Himmelberger aufgrund ihrer Lage zwischen den Stauden an einem Abhang im Galgentobel nicht möglich, weshalb man sie ins Haus ihres Bruders Joseph an die Langgasse transportierte und dort begutachtete. Da Egger geständig war, interessierte das Gericht für die Beurteilung, ob tatsächlich eine Affekttat im Zorn stattgefunden hatte, insbe-sondere die Anzahl der Wunden und deren Auswirkungen, was sich auf die Strafzumessung bzw. die Art der Bestrafung auswirken konnte. Dem Sachver-ständigen Rogg wurden deshalb konkrete Untersuchungsaufgaben erteilt. So sollte er abklären, ob nur eine oder mehrere Wunden am Körper zu finden und

682 Hinterhauptbein, PSCHYREMBEL [2004], S. 1327. 683 Dok. 10, Stellungnahme des Chirurgen und Hofbarbier Wolff und dessen Sohn. 684 Dok. 10, Stellungnahme des Chirurgen und Hofbarbier Wolff und dessen Sohn. 685 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 3.

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ob diese zwingend oder eher zufällig tödlich gewesen sei(en).686 In Beantwor-tung dieser Fragen hielt der Leibarzt in seinem Gutachten klar fest, die durch einen fürchterlich gewaltsamen Streich zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel eingetretene Verletzung könne für sich alleine bereits als tödlich erachtet werden. Die weiteren am Kopf der Toten gefundenen Wunden konnte Rogg weder menschlicher Gewalt noch dem Hinunterrollen ins Galgentobel eindeutig zuordnen.687

Aus dem Einvernahmeprotokoll Eggers geht hervor, dass auch über die Lei-chen bzw. Leichenreste von Maria Baumann und Elisabeth Han, die bei der Lei-che von Catharina Himmelberger gefunden wurden, ein visum et repertum ein-geholt wurde.688 Entsprechende schriftliche Gutachten finden sich bei den Akten jedoch nicht. Über den Zustand der Leichen war das Gericht jedenfalls relativ gut informiert, konfrontierte man Egger doch wiederholt mit entsprechenden Einzelheiten.

Eine eigentliche rechtliche Begutachtung des Falles durch sachverständige Rechtsgelehrte fand augenscheinlich nicht statt. Vor Bekanntgabe des Urteils im Protokoll verwies der Schreiber Gross zwar auf ein am 3. März 1775 von «mi-nistry, obervögten, und räthen» erstelltes «rechtliches guetachten».689 Bei den als Pfalzräten amtierenden Herren handelte es sich um hohe weltliche Beamte der Fürstabtei, die – soweit nachvollziehbar – nicht über eine juristische Ausbildung verfügten. Das erwähnte «rechtliche guetachten» war offenbar vielmehr eine eigentliche Urteilsberatung der Richter und kein vom Gericht beigezogenes Sachverständigengutachten im eigentlichen Sinn.

Eine schriftliche Beurteilung der Herren liegt nicht bei den Akten. Immerhin wurde im Protokoll deren Beurteilung zusammengefasst. Obwohl die von Egger behaupteten Motive für den Totschlag und insbesondere die Leichenschändun-gen möglicherweise nicht restlos glaubwürdig erschienen, beschloss man unter dem Hinweis, bereits ein «homicidium dolosum» reiche für die Todesstrafe durch das Schwert aus, auf weitere Abklärungen, insbesondere auf die Anwen-

686 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 1 f. 687 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2 f. 688 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 2, Ziff. 2. 689 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91.

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dung der Folter, zu verzichten und den Fall abzuschliessen. Das wiedergegebene Gutachten ist nicht umfangreich. Es beinhaltet neben «homicidium dolosum» weitere lateinische Rechtsbegriffe wie «animum occidendi» und «poenam gla-dii»690, ist aber ansonsten nicht rechtlich eingebettet. Erst beim Urteilsspruch erfolgte ein Bezug auf die Carolina, was vermuten lässt, dass die Rechtsgrund-lage für eine Verurteilung zum Tod im Rahmen der rechtlichen Begutachtung zwar diskutiert, bei der kurzen Zusammenfassung des Gutachtens im Protokoll aber nicht eigens erläutert wurde. Weil den Gutachtern wohl ohnehin klar gewe-sen sein dürfte, dass ein Totschlag mit dem Tod bestraft werden musste, machte man sich offenbar nicht die Mühe, Leichenraub und Leichenschändungen recht-lich sauber zu verorten und zu klassifizieren. Da strafschärfende Arten der To-desstrafe wie das Rädern und Vierteilen, das Lebendig-Vergraben oder -Ver-brennen und dergleichen in der Zeit des Falls Egger ohnehin praktisch nicht mehr angewendet wurden, sondern die Todesstrafe vornehmlich durch das Schwert zu vollstrecken war, war eine juristisch zuverlässigere Qualifikation der Delikte nicht notwendig. Eine solche wäre wohl nur durch die Einholung eines richtigen rechtlichen Gutachtens auf dem Weg der Aktenversendung möglich gewesen.

5.4 Generalinquisition

5.4.1 Erste Schritte in der Verbrechensaufklärung

Bestätigten die offiziellen Untersuchungen, dass ein Verbrechen verübt worden war, begann die Suche nach dem Täter, bei der oft auch das Volk mitwirkte. Wurde ein Täter nicht gerade auf frischer Tat ertappt oder gestand die Tat, be-sassen die Ermittler nur sehr wenige Instrumente, ihn aufzuspüren, den Tather-gang zu rekonstruieren und für eine Anklage ausreichende Verdachtsmomente zusammenzutragen.691 Das Zeugenverhör war wie erwähnt nicht selten das zent-rale Element der Generalinquisition. Die Verhöre wurden in diesem Verfahrens-stadium in der Regel summarisch durchgeführt. Meist fehlten die im ordentli-

690 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91. Siehe auch Kap. 4.9. 691 WITTKE, Alltag [2002], S. 295.

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chen Prozess üblichen Angaben zur Person fast vollständig, und es wurde nur der Name des Aussagenden notiert.692 Eine Vereidigung des Zeugen fand auf der Stufe der Generalinquisition kaum je statt. Auch Aussagen «vom Hörensagen» hatten grösseres Gewicht als im Rahmen der Spezialinquisition.693

War eine Person als Täter bekannt oder dringend verdächtig, so war es im In-quisitionsprozess Aufgabe der Obrigkeit, sie ausfindig zu machen. Das Volk war zur Anzeige verpflichtet. Gasthäuser und andere mögliche Verstecke des Verdächtigen wurden durchsucht, und oftmals wurden Torwachen angehalten, die hinausgehenden Personen zu kontrollieren. Nicht selten machte man die Fahndung unter Trommelschlag öffentlich bekannt und beschrieb den Verdäch-tigen.694 War einem Verdächtigen die Flucht aus der Stadt oder dem Territorium gelungen, war er also in ein anderes Herrschaftsgebiet übergewechselt, so wurde seine Verhaftung und Auslieferung aufgrund der dazu notwendigen aufwändi-gen Verhandlungen unwahrscheinlich. Eine Ausnahme bildete die Jagd nach steckbrieflich gesuchten695 und vielerorts berüchtigten Mördern oder Räubern, wenn auf ihre Gefangennahme eine hohe Prämie ausgesetzt war.696

692 WITTKE, Alltag [2002], S. 297 und 299. 693 WITTKE, Alltag [2002], S. 299.694 VAN DÜLMEN, Theater [1995], S.13 f. 695 Zur Bedeutung von Steckbriefen und Fahndungsakten als Quelle zur Alltagsgeschichte im

17. und 18. Jahrhunder VALENTINITSCH [1992], S. 74 f.; siehe auch SCHWERHOFF, Akten-kundig [1999], S. 37, 110. STAERKLE gibt einen Fall aus dem Jahr 1632 wieder, in dem ein gewisser Ulrich Juppli einen Johann Egger in Rotmonten erschlagen habe. Da Juppli flüchtig war, verlangten die Angehörigen Johann Eggers, dass der Verdächtige öffentlich ausgeschrieben werde, und zwar am Klosterhof zu St. Gallen und an den Wirtshäusern zu St. Fiden und zum Weissen Rössli an der Langgasse. Die Ausschreibung wurde im Na-men des Hofmeisters und der weltlichen Pfalzräte erlassen und richtete sich als offener Brief in direkter Rede an Juppli. Darin wurde der ihm vorgeworfene Totschlag beschrie-ben, und er wurde aufgefordert, zum auf den 5. Juli 1632 angesetzten Rechtstag im Wirts-haus zu St. Fiden zu erscheinen; STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 32 ff.

696 VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 16. Vor der Reformation war das Kloster St. Gallen bekanntes Asyl; CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 40. Das Asylrecht, das vor allem in Kirchen und Klöstern, teilweise aber auch in Gasthäusern bestand, beschränkte sich meis-tens auf sog. «ehrliche Sachen» wie etwa den Totschlag im Affekt und war entstanden, um einen Missetäter vor der unmittelbaren (Blut-)Rache durch die Angehörigen zu schüt-zen und ihm die Möglichkeit zu Sühneverhandlungen zu eröffnen. Mit der Monopolisie-rung der Strafverfolgung durch die Landeshoheit wurde das Asylrecht immer stärker ein-geschränkt; im 16. Jahrhundert holte man die geflohenen Verdächtigen teilweise sogar gewaltsam aus Kirchen und Klöstern heraus; VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 19; HO-

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In der Fürstabtei war es gemäss Bestallung Aufgabe des Amtsdieners, je-manden auf Befehl der Obrigkeit gefangenzunehmen, und zwar «bey tag oder nacht ohne unterschied wohlbedacht, fleissig und getreülich», wozu er nötigen-falls Gehilfen benennen durfte.697 Falls solche nicht gleich zur Verfügung stan-den, konnte er auch Gotteshausleute, also gewöhnliche Bürger, zur Hilfe aufbie-ten. Bei grösseren Verbrechen war der Verhaftete nach St. Fiden zu bringen; dasselbe galt für verdächtige landsfremde Personen und Gaunergesindel.698 Der Amtsdiener hatte für gute Verwahrung zu sorgen, sodass kein Entfliehen mög-lich wäre. Er musste die Gefangengenommenen durchsuchen und ihnen alles abnehmen, womit sie sich selbst Gewalt antun oder sich befreien könnten. Auch Geld und dergleichen hatte er ihnen abzunehmen und alles dem Fiskal zu über-geben.699

5.4.2 Vorgehen bis zu Eggers Verhaftung

Das Verfahren um den Totschlag und die Leichenschändungen von Joseph Eg-ger ist deutlich von der Inquisitionsmaxime geprägt. Dennoch kam das Verfah-ren erst durch die Hartnäckigkeit der Familien von Opfer und Täter richtig ins Rollen. Bereits einen Tag nach dem Verschwinden seiner Schwester, am 7. Feb-ruar 1775, suchte Joseph Himmelberger Egger auf dessen Hof auf und äusserte den Verdacht, dieser könnte seine Schwester umgebracht haben.700 Am 10. Feb-ruar 1775, also vier Tage nach dem Verschwinden Catharina Himmelbergers, wurde Egger erstmals offiziell einvernommen. Dieses erste Verhör war jedoch nicht sehr ergiebig. Die Befragung weist gemäss Protokoll summarischen Cha-rakter auf. Immerhin wurde Egger nach seinem Namen gefragt und gab zu Be-ginn der Befragung seinen Bürgerort, sein Alter und den Namen seiner Ehefrau an. Ansonsten enthält das Verhörprotokoll jedoch nur die Fragen, ob Egger die

LENSTEIN THOMAS [1934], S. 46; FRAUENSTÄDT [1881], S. 53 ff. Das alte verbriefte Stadtrecht von Lichtensteig kennt eine Bestimmung zum Asylrecht für Totschläger, siehe StiASG, Bd. 80, S. 209. Eine interessante Studie zum frühneuzeitlichen Asylrecht für Tot-schläger in Coesfeld liefert WITTKE, Asylrecht [1996], S. 109 bis 133.

697 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 1, Ziff. 3. 698 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 2, Ziff. 4. 699 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 2, Ziff. 4. 700 Dok. 3, erste Befragung Eggers und Amtsbericht, S. 2 f.

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vermisste Catharina Himmelberger kenne, wann er sie das letzte Mal gesehen habe und ob er sie am Montag zuvor in der Frühe gesehen habe.701 Da Egger bestritt, mit Catharinas Verschwinden etwas zu tun zu haben, nahm Hofweibel Ackermann am 11. Februar 1775, also einen Tag nach der ersten Befragung, eine Durchsuchung von Eggers Hof vor, die aber ergebnislos verlief.702 Auch wenn die Befragung Eggers nicht eindringlich gewesen war, war sich die Ob-rigkeit ihrer Untersuchungspflicht doch bewusst und ging der Sache nach.

Den Fortgang der Ermittlungen gewährleistete daraufhin nicht die Obrigkeit, sondern die Familie Himmelberger, die insistierte und sich auf andere Weise zu helfen versuchte. Joseph Himmelberger bat den Wirt Christian Louis, auf Egger einzuwirken und ein Geständnis von ihm zu erlangen. Auch Eggers eigene Fa-milie war misstrauisch geworden, sodass schliesslich sein Schwager Joseph Bensegger und sein Stiefvater Johannes Kunz ihn mit ihrem Verdacht konfron-tierten. Als Egger ihnen die Tat gestand, informierte Joseph Bensegger Cathari-nas Bruder, Jacob Himmelberger, und beide zusammen suchten den Hatschier und mit diesem den Hofweibel auf. Dieser schritt zur Tat und verhaftete Egger noch in derselben Nacht, am 14. Februar 1775. Die Akten verraten nicht, ob er nach der Verhaftung durchsucht wurde.

Zwar waren es letztlich die Familien des Opfers und des Täters, die den Aus-schlag zur Verhaftung Eggers gaben, und es lässt sich darüber spekulieren, ob die Obrigkeit nicht zu früh hätte aufgeben wollen, anstatt bereits vor der Verhaf-tung generalinquisitorisch eine umfassendere Untersuchung mit Zeugeneinver-nahmen einzuleiten. Da nach der Hausdurchsuchung bis zur Verhaftung jedoch nur zwei Tage vergingen, ist durchaus möglich, dass die offizielle Untersuchung noch nicht eingestellt worden wäre. Darauf deutet auch ein Hinweis des Wirts Louis hin, der Egger beim Gespräch vom 12. Februar 1775 mitteilte, dass «die obrigkeit nur noch 2 tag ruehe, als dann gehe es wider auf ein neues an».703

Nach der Verhaftung war die aktive Rolle der Familienangehörigen insoweit zu Ende, als die Inquisitionsmaxime voll zum Tragen kam und für die Fortfüh-

701 Dok. 3, erste Befragung Eggers und Amtsbericht, S. 1 und 2. 702 Dok. 3, erste Befragung Eggers und Amtsbericht. 703 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2.

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rung der Untersuchung kein Kläger benötigt wurde. Die Familienmitglieder nahmen fortan «lediglich» noch Zeugenstellung ein.

Weder Jacob Himmelberger noch Joseph Bensegger oder Johannes Kunz, noch der Wirt Louis kamen offenbar auf die Idee, Egger selbst überwältigen und einsperren zu wollen. Während insbesondere der Wirt gar nicht handelte – und damit seine ihm aufgrund der Landsatzungen obliegende Anzeigepflicht verletz-te –, wandten sich Joseph Bensegger und Jacob Himmelberger gemeinsam an Hatschier Greuter. Auch dieser schritt erst zur Verhaftung Eggers, nachdem er Hofweibel Ackermann informiert und von ihm wohl einen «Haftbefehl» entge-gengenommen hatte. Nach Lage der Akten hatte das Verhalten des Wirts für diesen offenbar keine Folgen. Dies, obwohl Louis am 14. Februar 1775 freimü-tig aussagte, er habe sich Eggers nach dessen Geständnis annehmen wollen und mit ihm vereinbart, dass er nach seiner Anzeige ein weisses Tuch an sein Fens-ter hänge, falls Gutes zu hoffen sei. Diesfalls könne Egger zu ihm ins Haus kommen. Würde er jedoch etwas Schlechtes befürchten, hänge er etwas Rotes ans Fenster, und Egger dürfe nicht eintreten.704 Louis gab also unumwunden zu, dass er die Absicht gehabt hatte, Egger zur Flucht zu verhelfen. Obwohl er da-mit die offizielle Strafverfolgung vereitelt oder zumindest erschwert hätte, wur-de er deswegen offenbar nicht einmal getadelt, geschweige denn bestraft.

Egger war vor seiner Festnahme grundsätzlich bereit zur Flucht, schien er doch die Folter über alle Massen zu fürchten und rechnete für den Fall einer Verurteilung wohl mit der Todesstrafe. Gegenüber dem Wirt Louis äusserte er jedoch, es sei eine schreckliche Sache, das Vaterland für alle Zeit meiden zu müssen.705 Ihm war also bewusst, dass er sich durch eine Flucht aus dem Unter-tanengebiet der Fürstabtei mit grosser Wahrscheinlichkeit der Verhaftung und der Bestrafung würde entziehen können.

704 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 6. 705 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2.

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5.5 Spezialinquisition

5.5.1 Entwicklung und Stellenwert der Verfahrensrechte

Der Inquisitionsprozess mit seinem Bestreben, der «Wahrheit» auf den Grund zu gehen, bot dem Angeschuldigten zumindest die Chance, seine Unschuld dar-zulegen. Art. 47 CCC gewährte dem Angeschuldigten die Möglichkeit der Füh-rung eines Entlastungsbeweises, der bei entsprechenden Indizien zugelassen werden musste.706 Die Prüfung von Beweismitteln oder Indizien, die der Ange-schuldigte als Entlastungsmaterial nannte, lag also nicht im völlig freien Ermes-sen des Richters.707 Um eine wirkungsvolle Verteidigung zu gewährleisten, soll-ten dem Angeschuldigten alle Verdachtsgründe mitgeteilt werden.708 Er sollte gemäss Carolina mit den Zeugenaussagen konfrontiert werden und schriftlich «einrede und schutzrede» einreichen dürfen.709 Wenn auch das Ausmass der Ak-teneinsicht bei den Rechtsgelehrten der frühen Neuzeit längere Zeit umstritten war, so war man sich doch weitgehend darüber einig, dass dem Angeschuldig-ten Einsicht zu gewähren war.710 Diese Schutzrechte wurden freilich bei Weitem nicht immer eingeräumt; gerade im Zusammenhang mit der Anwendung der Folter kam es oftmals zu Missbrauch.711

Der Angeschuldigte hatte gemäss Regelung der Carolina im Übrigen auch ein Recht auf formelle Verteidigung durch den Beizug eines mit speziellen Rechten ausgestatteten Beistands, dessen Kosten sogar von der Obrigkeit getragen wur-den, wenn der Beschuldigte arm war und niemanden hatte, der ihn unterstützen konnte.712 Ein solcher Verteidiger musste aber nicht von Amtes wegen, sondern nur auf entsprechendes Verlangen des Angeklagten beigegeben werden.713 Seit dem 18. Jahrhundert waren sich jedoch zumindest die Rechtsgelehrten darüber

706 IGNOR [2002], S. 79 f.; PÖLTL [1999], S. 48. KLEINSCHROD, Richter [1798] betrachtete es

als heiligste Pflicht des Richters, «eben so für die Feststellung der Unschuld, wie für jene der Schuld zu sorgen», Bd. 1, St. 1, § 14, S. 31.

707 IGNOR [2002], S. 79.708 HENSCHEL [1972], S. 28.709 Art. 73 CCC. 710 IGNOR [2002], S. 80 f.; HENSCHEL [1972], S. 46 f. 711 HENSCHEL [1972], S. 30 f.; WESEL [2006], S. 397. 712 Art. 73 und 154 CCC. 713 HENSCHEL [1972], S. 38.

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einig, dass die formelle Verteidigung bei schweren und schwersten Verbre-chen714 vor Anwendung der Folter und vor dem Urteilsspruch zwingend not-wendig sei.715 Mitunter wurde aber die Ansicht vertreten, dass beim Verhör kein Anwalt zuzulassen sei, da es nicht um rechtliche Fragen, sondern um die Hand-lungen des Verdächtigen gehe.716

Laiengerichte wehrten sich oftmals gegen juristisch gebildete Parteivertreter mit dem Argument, eine einseitige Interessenvertretung führe zu unnötigen Pro-zessen und überlaste die Gerichte.717 Die Advokaten, die nicht unter hoheitlicher Kontrolle standen, würden durch ihr einseitiges und rücksichtsloses Eintreten für die Interessen einer Partei der Verwirklichung des objektiven Rechts scha-den, so die bisweilen vertretene Meinung.718 Hinter solchen Argumenten steckte wohl nicht zuletzt die Sorge, durch Juristen überfordert zu werden.719

Das Konzept der Pfalzratsordnung von 1733 hielt für alle vor dem Pfalzge-richt stattfindenden Prozesse (also nicht nur für Strafsachen) fest, den Parteien sei von Anfang an mitzuteilen, dass sie sich nicht

«nur zum rechtstandt im pfaltzrath selbsten, sondern auch zu vorläufiger information an behörigen orthen mit geschickthen, und erfahrenen advocaten oder beyständen versehen sollen, wobey dann auch auf alle weis zu trachten ist, dass keine unbekante, verläumbde, übel berüchtigte oder suspecte personen zu disem ambt gezogen, oder gelassen [wer-den]».720

Dass diese «erfahrenen advocaten» aber juristisch geschult sein sollten, ist wenig wahrscheinlich. Dem Pfalzrat gehörten wohl nur selten Juristen an, wes-halb man den Beizug von fachlich überlegenen Parteivertretern kaum begrüsst hätte.

714 Nicht darunter fielen geringere Straftaten, die keine Leibesstrafe nach sich ziehen könn-

ten; HENSCHEL [1972], S. 40. 715 Mit weiteren Hinweisen IGNOR [2002], S. 117. 716 Die Anwesenheit eines Anwalts wurde bisweilen nicht nur als überflüssig, sondern sogar

als schädlich betrachtet; KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 2, § 31, S. 105. 717 PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 117, Rz. 181, siehe auch S. 116, Rz. 179. 718 BAUMANN ROBERT [2008], S. 45.719 PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 117, Rz. 181. 720 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 20, Ziff. 11; vgl. auch S. 85 f.

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Im Weiteren sah die Pfalzratsordnung eine unentgeltliche Rechtsverbeistän-dung vor, damit «niemandt armueth halber rechtloss gelassen werde».721 Die Armen mussten ihre Armut kundtun und zur Anzeige bringen, wobei das Ge-richt bei der Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung nicht zu mild sein sollte. Die Bedürftigen hatten ihre Armut mit einem Eid zu bezeugen, wenn ihre Not und Mittellosigkeit nicht «von selbsten kundtbahr» war.722 Sollte eine be-dürftige Partei mutwillig zu einem Prozess Anlass geben, so konnte diese mit Gefangenschaft oder auf andere Weise durch den Pfalzrat gestraft werden.723

Auch in der Stadt St. Gallen kannte und begrüsste man den Beizug eines Für-sprechers im Prozess. Gemäss einer im Jahr 1701 gedruckten 16-seitigen Anlei-tung eines anonymen Autors zum St. Galler Malefizprozess forderte der Reichs-vogt jene, die vor Gericht zu klagen oder zu antworten hatten, auf, sich «ver-fürsprechen» zu lassen.724 So kam erst der Fürsprecher des Klägers und danach derjenige des «Antworters» zu Wort.725 Daraufhin konnten die Fürsprecher um Zuteilung von einem oder zwei der Urteilssprecher «zu Rathgeberen und Beyständeren» ersuchen. Bei schweren Verbrechen, wenn «die Sach hoch und schwär und das Blut betreffen mag», wurden dem Kläger und dem Antworter je zwei der Rechtsprecher als Berater zugewiesen.726 Sie sollten unter Eid den Par-teien beistehen, so oft diese es wünschten, und ihnen das nach ihrem Verständ-nis Beste raten.727 Der Kläger hatte schliesslich mit Hilfe der Beistände eine Klage zu verfassen und zu verlesen und der Antworter Stellung zu nehmen.728

721 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 108. 722 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 108. 723 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 109. 724 Autor anonym, Process[1701], S. 5. Die Schrift beinhaltet eine genaue Beschreibung des

Ablaufs eines Strafprozesses. 725 Autor anonym, Process [1701], S. 5 f. 726 Autor anonym, Process [1701], S. 7. 727 Autor anonym, Process [1701], S. 8. 728 Autor anonym, Process [1701], S. 8 f.

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5.5.2 Exkurs: Fürstäbtische Verhaltensvorschriften für Anwälte undPfalzräte

Das Konzept der Pfalzratsordnung von 1733 gab klare Verhaltensanweisungen an die Anwälte und Beistände. Sie sollten den Pfalzräten in aller Ehrerbietigkeit gegenübertreten729 und sich in ihren Reden und Schriften gebührender Beschei-denheit befleissen.730 Der Advokat hatte dem Klienten seinen Rat und seine Be-denken mitzuteilen, ihn nach Recht und Billigkeit zu unterrichten und unnötige, mutwillige oder vergebliche Prozesse zu verhindern versuchen.731 Die Beistände sollten gleichmässig mit der Vertretung betraut werden und entsprechende Auf-träge ohne Widerrede annehmen und ebenso fleissig behandeln wie andere Fäl-le.732

Weiter wollte das Konzept der Pfalzratsordnung ein unparteiisches Verfahren garantieren, indem es den Pfalzräten vorschrieb, sich vor Parteien und Zeugen neutral zu verhalten und sich allfällige Ungunst und Widerwillen nicht anmer-ken zu lassen. Sie durften Vorurteile ebensowenig zeigen wie Vertrautheit oder besondere Zuneigung zu den Parteien, Advokaten, Vögten und Beiständen. Vermutete jemand eine Voreingenommenheit, so hatte er den Hofkanzler dar-über zu informieren. Dieser sollte die Betroffenen kurz «und ohne ein unord-nung zu machen» dazu befragen und das Weitere beobachten.733 War einer der Pfalzräte mit einer Partei blutsverwandt, verschwägert oder stand mit ihr «in würckhlicher fründtschafft», so hatte er dies dem Präsidenten anzuzeigen und in den Ausstand zu treten, musste «also gleich ohne auffschub abtretten, und sich deren berathschlagung gänzlich enthalten».734 War das Pfalzgericht als Appella-tionsinstanz tätig, galt dasselbe, wenn einer der Pfalzräte in derselben Sache in

729 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 86. 730 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 92. Die Anwälte sollten «[...] sich auch aller un-

nöthigen weitläuffigkeit, und ohnanständiger hiz enthalten, auch alle schimpfflich-angreiffliche, und ohnnüze reden so wohl gegen dem richter, als ihrem gegentheill, und beystände vermeyden [...]», Konzept S. 93.

731 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 88. 732 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 108 f. 733 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 32. 734 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 39.

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der ersten Instanz als Richter oder Advokat oder in sonst einer Form tätig gewe-sen war.735

Von den Pfalzräten wurde gewünscht, dass sie den Verhandlungen fleissig beiwohnten. Die Ordnung erwähnte ausdrücklich, dass auch die Obervögte der Vogteien, in denen sich die zu beurteilende Angelegenheit zugetragen hatte, anwesend zu sein hatten, damit sie über alles gründliche Information erteilen und umso nachdrücklicher «pro justitia» mitwirken könnten. Die Pfalzräte soll-ten sich in den Stifts- und Landrechten, Sprüchen, Verträgen, Offnungen, alten löblichen Gewohnheiten, Observanzen und Übungen «wohl fundiert machen», um insbesondere der «administration der lieben justiz mit ruhm, und nuzen» dienen zu können, sodass «nach bestem vermögen hülff, recht, rath, und trost verschafft werden möge».736 Es war also der erklärte Wille, möglichst umfas-send informierte und sachkundige Pfalzräte einzusetzen. Da die juristische Bil-dung in der Schweiz erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts an Ansehen zu gewin-nen begann,737 ist davon auszugehen, dass die Pfalzräte meist juristische Laien waren.

Nach ausreichender Befragung und Anhörung der Parteien sollten die Pfalz-räte gemäss ihrem Rang ordentlich aufgerufen werden. Jeder war gehalten, sein Votum kurz, gründlich und substantiiert wiederzugeben, wobei er seinen Vor-redner nicht wiederholen sollte.738 Die Räte sollten einander ruhig ausreden las-sen und gut zuhören. Sollte jemand eine Frage an den Referierenden haben oder diesen an etwas erinnern wollen, so hatte er sich dies zu notieren und zu warten, bis es an ihm war, sein Votum vorzubringen.739

735 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 39. Dies war zumindest bei schwereren Straftaten

oftmals nicht relevant, da diese nicht von einem Niedergericht, sondern direkt vom Pfalz-rat beurteilt wurden.

736 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 21 f., Ziff. 12. 737 BAUMANN ROBERT [2008], S. 45. 738 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 33. 739 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 42.

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5.5.3 Die Verfahrensrechte Eggers

Im Rahmen des Verhörs hatte Egger wiederholt Gelegenheit zur materiellen Verteidigung. Das Verhör war umfassend. Das Gericht setzte immer wieder aufs Neue bei denselben Punkten an und forschte nach Erklärungen für Eggers Ver-halten. Man bemühte sich nach Kräften, Eggers Taten zu verstehen, und scheute kaum einen Aufwand, den Sachverhalt und die Motive Eggers genau abzuklä-ren. Darauf deuten nicht nur die eingeholten medizinischen Berichte von Leib-arzt Rogg, Chirurg Wolff und dessen Sohn sowie die Amtsberichte des Hofwei-bels, des Fiskals und des Hatschiers hin, sondern insbesondere auch die zahlrei-chen Zeugenbefragungen, die mit vielen Menschen aus dem Umfeld Eggers durchgeführt wurden. Auch dem Hinweis auf seine «Experimente» mit den Lei-chen von Maria Baumann und Elisabeth Han ging man so gut als möglich nach, indem man Johannes Geser ausfindig machte und ausführlich einvernahm.740

Offenbar gab es keine Rechtsverbeiständungen, weder auf Seiten des Ange-klagten noch auf Seiten der Zeugen. Egger hätte nach Meinung der Rechtsge-lehrten des 18. Jahrhunderts zwingend ein Beistand zugeordnet werden müssen, da er Straftaten begangen hatte, für die er mit der Lebens- oder zumindest mit einer Leibesstrafe rechnen musste. Auch nach dem Konzept der Pfalzratsord-nung von 1733 wäre der Beizug eines erfahrenen Advokaten vorgesehen gewe-sen.741 Die ausführlichen Protokolle enthalten jedoch keinen Hinweis darauf, dass Egger ein Berater zur Seite gestanden hätte, oder auch nur darauf, dass sich je einer der am Verfahren Beteiligten überlegt hätte, Egger einen Beistand zu gewähren. Wahrscheinlich wurde er über dieses grundsätzlich bestehende Recht gar nicht informiert, enthält doch das Protokoll dazu trotz seiner Ausführlichkeit und Genauigkeit keine Angaben. Jedenfalls ist auch aufgrund von Eggers un-strukturierten, sich teilweise widersprechenden und die Wahrheit nur zögerlich ans Licht bringenden Aussagen unwahrscheinlich, dass Egger in irgendeinem Schritt des Verfahrens ein Beistand zur Verfügung gestanden hatte.

Ohne einen Beistand, der lesen konnte, nützte Egger das Recht auf Aktenein-sicht im engeren Sinne nichts, war er selbst des Lesens doch nicht mächtig. Das Einvernahmeprotokoll Eggers lässt darauf schliessen, dass man ihm nicht alle 740 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser. 741 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 20, Ziff. 11.

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protokollierten Zeugenaussagen und Amtsberichte vorlas. Im Verhörprotokollexplizit erwähnt ist nur, dass ihm die Zeugenaussage des Scharfrichterknechts Franz Antoni Ritter vom 18. Februar 1775 vorgelesen wurde.742 Während der Einvernahme bezog sich der Befrager zwar ab und zu auf Erkenntnisse, die im Rahmen des Verfahrens gewonnen worden waren. Insbesondere die Aussagen im Bericht von Leibarzt Rogg wurden Egger nach und nach mitgeteilt, als er kontinuierlich bestritt, mehr als einmal mit der Mistgabel auf Catharina Him-melberger eingeschlagen zu haben. Das Gericht forderte Egger nach einigen Fragen zum Tathergang auf, er solle nicht so unverschämt lügen, man habe den Körper visitiert.743 In verschiedenen Verhöretappen wurde er mit den Erkennt-nissen des Leibarztes über den Zustand der drei Leichen konfrontiert.744 Er blieb jedoch in Unkenntnis darüber, wer den Körper begutachtet hatte, und erhielt nie ein umfassendes Bild von den Feststellungen Roggs. Zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens schien Egger darüber informiert worden zu sein, wer als Zeuge ver-nommen wurde, welche Fragen den Zeugen gestellt worden waren und welche Antworten die Einvernehmenden darauf erhalten hatten.

5.5.4 Das Verhör

5.5.4.1 Befragung des Angeschuldigten ohne Folter

Im Rahmen der Spezialinquisition war das zentrale Beweismittel, das glaub-würdige Geständnis des Inquisiten, durch das artikulierte Verhör, die Konfron-tation oder als ultima ratio durch Folter zu erlangen.745 Da im Zuge der Aufklä-rung die Folter kritischer beäugt und im 18. Jahrhundert schliesslich immer sel-tener angewendet wurde,746 erreichte die Fragetechnik im Verhör einen grösse-ren Detaillierungsgrad und wurde immer ausgefeilter. Vorformuliertes wurde zurückgedrängt, dafür wurden im Verhör unmittelbar gewonnene Informationen

742 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 149. 743 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 104. 744 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Fragen 117, 123 f., 126. 745 HÄRTER [2000], S. 469. 746 Siehe sogleich Kap. 5.5.4.2.

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genutzt, um den Inquisiten während der oft lange dauernden Verhöre stärker unter Druck zu setzen.

Neben der konkreten Tat wurde das Leben des Verdächtigen vermehrt beach-tet. Man forschte nach dem Lebenswandel und dem sozialen Status, früheren Strafen und Verfahren und allfälligen weiteren Taten, von denen die Untersu-chenden noch keine Kenntnis hatten.747 Sollten sich im Laufe des Verfahrens Anzeichen für ein weiteres Verbrechen finden, so wurde mitunter empfohlen, zur Erforschung jenes Verbrechens ein separates Verhör durchzuführen. Bei einigermassen beträchtlichen Verbrechen sei es nicht zweckmässig, diese zu-sammen zu untersuchen; der Ordnung halber seien vielmehr getrennte Prozesse mit eigenen Aktenfaszikeln durchzuführen.748 Im Mittelpunkt der Fragen stand jeweils die Rekonstruktion des Verbrechens; die Ergründung der Motive war in der Regel zweitrangig. Die Befragung zielte auf die Überführung des Verdäch-tigen ab und nicht etwa auf seine mögliche Entlastung.749

Selbst wenn auf körperliche Gewalt im Verhör verzichtet wurde, waren die Verhörenden häufig einfallsreich bei der Herbeiführung eines Geständnisses. Obwohl die Amtsleute und Untersuchungsrichter keine geschulten Kriminalbe-amten im heutigen Sinn waren, verfügten sie oft über grosse praktische Erfah-rung im Umgang mit Untersuchungsgefangenen. Sie hatten den Machtvorteil auf ihrer Seite und verstanden es nicht selten, erheblichen psychischen Zwang auszuüben.750 Sie ermahnten zur Wahrheit751, schritten erforderlichenfalls zur Wiederholung des Verhörs, versuchten, den leugnenden Beschuldigten in Wi-dersprüche zu verwickeln und vorhandene Widersprüche gegen ihn zu verwen-den. Über das Ergebnis der Ermittlungen liess man den Inquisiten im Dunkeln oder teilte ihm Beweisergebnisse jedenfalls nur mit grösster Zurückhaltung mit. Die eigentliche Zermürbungstaktik enthielt neben den Wiederholungen der Be-

747 HÄRTER [2000], S. 469. 748 KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 12, S. 26 f. 749 VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 25. 750 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 62.751 Die Ermahnung zur Wahrheit sollte nicht nur zu Beginn des Verhörs erfolgen. KLEIN-

SCHROD hielt 1798 beispielsweise fest, die Ermahnung zur Wahrheit «muss aber im Fort-gange des Processes so oft wiederholt werden, als sich eine specielle Gelegenheit dazu darbietet [...]; wenn z.B. der Inquisit in Rührung geräth, wenn ihm Lügen und Widersprü-che vorgehalten werden»; KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 3, S. 5.

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fragung Überraschungs- und Überrumplungsmanöver, etwa in Form von uner-warteten Gegenüberstellungen.752 Die Konfrontation des Inquisiten mit Zeugen konnte den psychologischen Druck bedeutend erhöhen und wurde damit ein wichtiger Bestandteil des Verhörs.753

KLEINSCHROD empfahl in seinem 1798 gedruckten Leitfaden für Richter un-ter anderem, man solle den Verdächtigen im Allgemeinen merken lassen, dass man gegen ihn Beweise und Gründe in Händen habe, die es ihm schwer machen würden, sich mit Lügen durchzuhelfen, und dass am Ende die Wahrheit doch herauskommen werde.754 Der Inquisit sollte in eine Gemütsverfassung versetzt werden, die ihn eher geständig machen würde, was etwa erreicht werden könne, indem man ihn erschüttere, in Schrecken oder Rührung versetze.755. Der Richter sollte im Weiteren das Verhör der Gemütsart oder Hauptleidenschaft des Ange-klagten anpassen: Den Geizigen sollte er mit einer Geldstrafe, den Wohllüstling mit körperlicher Unbequemlichkeit bedrohen.756 Den Trägen und Weichlichen sollte er durch öftere Verhöre in seiner Gemächlichkeit stören und ihn bewegen, lieber zu gestehen. Den Stolzen sollte er sich durch eine herablassende Hand-lung annähern und ihn vertraulich machen.757

Im Rahmen des artikulierten Verhörs sollte der Spruchstelle bzw. dem allen-falls begutachtenden Rechtsgelehrten oder der Universität ein möglichst genauer Einblick in den Gang der Untersuchung gewährt werden. Die Frageartikel wa-ren derart aneinanderzureihen, dass sie im Falle der Bejahung durch den Be-schuldigten ein volles Geständnis der Täterschaft ergeben würden.758 Seit dem

752 HENKEL [1968], S. 49. In vielen Protokollen wird der Leser Zeuge davon, wie der Wider-

stand des Verhörten erschlafft und sein Leugnen an Entschiedenheit verliert, bis er plötz-lich zusammenbricht, SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 62 f.

753 HÄRTER [2000], S. 470. 754 KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 3, S. 6. 755 KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 2, § 21, S. 78. 756 KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 3, S. 6. 757 KLEINSCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 2, § 16, S. 68 f. Ebenda führt der Autor weiter

aus, der Richter müsse den Inquisiten aber immer mit Güte und Herablassung behandeln und nur dann Schärfe gebrauchen, wenn sie unumgänglich sei. Sei der Richter gleich zu Beginn rau und scharf, so mache er den Inquisiten gewiss stutzig und hartnäckig und ent-ferne ihn auf immer von sich.

758 HENKEL [1968], S. 47.

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18. Jahrhundert gab es Praxishandbücher und juristische Literatur mit Verhör- und Frageschemata, die «psychologische» Verhörtechniken schulen sollten.759

War der Widerstand erst einmal gebrochen, so entstand oftmals ein wahrer Bekennungsdrang des Beschuldigten, der in einer Art Lebensbeichte mündete.760

Ein Beispiel dafür ist vorliegend der Fall von Elisabeth Han. Sie gestand schliesslich detailliert eine ganze Reihe von über Jahre hinweg ausgeübten Diebstählen, von denen die Obrigkeit ohne ihr Geständnis wohl nichts erfahren, geschweige denn sie ihr zugeordnet hätte.761

5.5.4.2 Folter und weitere Druckmittel

Zur Einhaltung der erläuterten strengen Beweisregeln der Carolina wurde die Folter lange Zeit als notwendig erachtet. Sie war ein von Staat und Kirche aner-kanntes Mittel zur Wahrheitsfindung, das nach der Logik des Inquisitionspro-zesses konsequenterweise notwendig war.762 War das Geständnis des Ange-schuldigten nicht durch das gewöhnliche Verhör zu erlangen, so konnte unter gewissen Voraussetzungen763 die Folter angewendet werden, wobei sie umso weiter gehen durfte, je stärker die Verdachtsmomente gegen den Inquisiten wa-ren.764 Die Folter kam erst im Rahmen der Spezialinquisition zur Anwendung.765

Die Carolina führte zur Folterfrage eine Reihe von Bestimmungen zugunsten des Angeklagten ein.766 So war diesem vor dem Entscheid, ob peinlich befragt

759 So etwa KLEINSCHRODS «Über die Rechte, Pflichten und Klugheitsregeln des Richters

bey peinlichen Verhören und der Erforschung der Wahrheit in peinlichen Fällen» [1798], Bd. 1, St. 1, S. 1 ff. und Bd. 2, St. 2, S. 67 ff.; BRUNS [1994], S. 124; HÄRTER [2000],S. 470.

760 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 63.761 StiASG, Bd. 1073, S. 613 ff. 762 VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 29.763 Vgl. Art. 20 CCC. Insbesondere mussten schwerwiegende Verdachtsgründe gegen die

Schuld des leugnenden Angeklagten sprechen; vgl. die Ausführungen zum Indizienbeweis in Kap. 5.3.1 sowie BALDAUF [2004], S. 90 f.

764 PÖLTL [1999], S. 42. 765 GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 166. 766 Übersichtliche Darstellung bei BALDAUF [2004], S. 90 ff.; mit pointierten Hinweisen auf

die Notwendigkeit einer Reglementierung QUANTER, Folter [1900], S. 166. Siehe auch SCHILD, Verfahren [1989], S. 198 f.

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werden durfte, die Gelegenheit zu geben, sich zu entlasten und namentlich ein Alibi beizubringen, das der Richter überprüfen musste.767 Gefoltert werden durf-te nur, wenn die Indizien gegen den Angeklagten schwerer wogen als die Hin-weise auf seine Unschuld.768 Suggestivfragen waren verboten.769 Ein unter Folter abgelegtes Geständnis durfte nicht protokolliert oder verwertet werden.770 Viel-mehr musste das Geständnis dem Angeklagten vom Richter in Gegenwart von zwei Schöffen einen oder mehrere Tage nach der Folterung nochmals vorgehal-ten und auf seine Glaubwürdigkeit hin überprüft werden.771 Widerrief der Ange-klagte ein glaubhaftes Geständnis, so war entweder die peinliche Befragung zu wiederholen oder der Beweis zuzulassen, «dass der gefangen solch bekantnuss auss irrsal gethan, alssdann mag der Richter den selben gefangen, zu aussfürung vnd beweisung solchs irrsals zulassen».772 Wurden die Vorschriften der Carolina bei Anwendung der Folter nicht eingehalten, so sollte dies zur Bestrafung der Richter durch ihr Obergericht führen, während die rechtmässige, aber ergebnis-lose Folter straffrei blieb.773

Trotz dieser Reglementierungen bleibt als Mangel der Carolina zu erwähnen, dass die Folter in Art, Intensität und Dauer nicht geregelt wurde, sondern ins Ermessen des Richters gestellt blieb.774 Immerhin dürfte durch die erwähnten Einschränkungen zugunsten des Angeklagten die vor Geltung der Carolina herr-schende Willkürpraxis erheblich eingeschränkt worden sein.775

Die Folter wurde einem Angeklagten in der Regel zuerst angedroht. So wur-de im Rahmen einer verbalen Androhung dem Angeklagten oftmals der Folter-

767 Art. 47 CCC. 768 Art. 28 CCC. 769 Art. 56 CCC. Das Ziel, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, wird gemäss diesem Arti-

kel «[...] etwa damit verderbt, wenn den gefangen jn annemen oder fragen, die selben vmbstende der missethat vorgesagt vnd darauff gefragt werden. [...]». Vgl. auch KLEIN-SCHROD, Richter [1798], Bd. 1, St. 1, § 13, S. 28.

770 Art. 58 CCC. 771 Art. 56 CCC. 772 Art. 57 CCC. 773 Art. 61 CCC; BALDAUF [2004], S. 93. 774 Art. 58 CCC; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 54; GSCHWEND, Geständniszwang [2006],

S. 166. 775 BALDAUF [2004], S. 94.

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meister vorgestellt.776 Er zeigte dem Angeklagten die Folterkammer und die Fol-terinstrumente und erklärte ihm detailliert deren Verwendung.777 Erfolgte im Anschluss daran kein Geständnis, wurden die Instrumente in Bereitschaft ver-setzt oder dem Angeklagten ohne Schmerzzufügung angelegt. Allenfalls wurden bereits leichte Schmerzen zugefügt. Zur eigentlichen Folter kam es erst, wenn der Angeklagte nach diesem Prozedere noch immer nicht gestehen wollte.778

Das Schicksal der Folter drohte nicht nur dem Angeschuldigten, sondern auch den Zeugen. Die Folterung eines Zeugen war etwa dann gerechtfertigt, wenn bei einem schweren Verbrechen vermutet wurde, der Zeuge verfüge über entscheidendes Wissen darüber, weigere sich aber «aus purer Hartnäckig- und Halsstarrigkeit», dieses mitzuteilen.779 Der die Aussage verweigernde Zeuge konnte auch mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe belegt werden. Ein gewisser Schutz vor unverhältnismässiger Folter sollte den Zeugen etwa dadurch zu-kommen, dass nur gefoltert werden sollte, wenn hinreichend erwiesen war, dass überhaupt ein Verbrechen begangen worden war;780 dies schloss die Folterung eines möglichen Zeugen bei der Generalinquisition aus. Weiter mussten genü-gend starke Indizien dafür bestehen, dass der Zeuge über das Verbrechen etwas Wichtiges wusste. Die Schwelle konnte jedoch je nach Delikt sogar tiefer ange-setzt werden als beim Angeschuldigten selbst: So konnte bereits eine wider-sprüchliche Aussage, ein gestammeltes Bekenntnis oder die Aussage eines an-deren, für glaubwürdiger befundenen Zeugen, der andere Zeuge sei bei der Tat zugegen gewesen, zur Folter rechtfertigen.781 Hatte der Angeschuldigte selbst bereits gestanden, sollte der Zeuge eher von der Tortur verschont werden. Wür-de der Zeuge sich durch eine Aussage selbst belasten, so sollte die Folter eben-

776 In St. Gallen trug dieser dabei oftmals einen beeindruckenden roten Mantel; BLESS-

GRABHER [2003], S. 269. 777 Nach der «territio verbalis», der blossen Schreckung, schritt man zu «territio realis».

Meist war dies jedoch nicht mehr notwendig, weil der Angeklagte bereits bei der Schre-ckung ein Geständnis ablegte; SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 160, 162.

778 BALDAUF [2004], S. 167. Der Scharfrichter setzte dem Angeklagten etwa die Daumen-schrauben an, vorerst ohne Schmerzen zu verursachen. Blieb das Geständnis aus, wurden die Daumenschrauben immer weiter angezogen, BLESS-GRABHER [2003], S. 270. Siehe auch Z’GRAGGEN [1999], S. 78.

779 ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 101, Sp. 175 f. 780 ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 101, Sp. 176. 781 ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 102, Sp. 177.

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falls nicht erlaubt sein.782 Wie letzteres in der Praxis umgesetzt wurde, ist jedoch schwer vorstellbar. Wenig wahrscheinlich ist, dass die Aussage, sich nicht selbst belasten und deshalb schweigen zu wollen, den Zeugen langfristig vor der Folter bewahrte, lieferte eine solche Aussage doch allenfalls ein ausreichend starkes Indiz zur Eröffnung eines Verfahrens gegen den Zeugen selbst.

Nicht allein die durch die Folter zugefügten körperlichen Schmerzen machten dieses Instrument «wirkungsvoll». Für viele Inquisiten, wohl auch für gefolterte Zeugen, war sein infamierender, sozial stigmatisierender Effekt erheblich, so-dass in vielen Fällen die Androhung der Folter genügte, um – zumindest beim einheimischen Angeklagten bzw. Zeugen – ein Geständnis bzw. eine Aussage zu erhalten. Der Gefolterte war mit dem Stigma des Unehrlichen, Unreinen ver-sehen und wurde, unabhängig von der letztlich erfolgenden Bestrafung, oftmals aus der Gesellschaft ausgeschlossen.783

Vor allem in der Epoche der Aufklärung äusserten sich zahlreiche Gelehrte umfassend zur Frage der Berechtigung der Folter. Den Juristen fiel es insgesamt schwer, auf dieses Beweishilfsmittel zu verzichten.784 Kritische Stimmen zur Folter gab es dennoch – insbesondere bei Aufklärern und Reformphilosophen – viele.785 Ab Mitte des 18. Jahrhunderts konnten diese nicht länger überhört wer-den. Die Rechtswissenschaft anerkannte allmählich die Achtung des Indivi-duums durch den Staat, wie sie von den rationalen Naturrechtlern schon lange gefordert wurde, und den Anspruch der Verdächtigen auf körperliche Integri-tät.786 Am Ende der frühen Neuzeit brach nach und nach auch der Widerstand 782 ZEDLER [1751], Bd. 62, S. 102, Sp. 177. 783 HÄRTER [2000], S. 471. Die Unehre, die ein Delinquent auch durch Urteil oder Strafe

erlangen konnte, war äusserst folgenreich. Der Betroffene konnte nicht mehr auf sozialen Umgang hoffen, noch war er etwa in ein Amt wählbar; KNOTT [2006], S. 21.

784 GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 170. 785 Als bedeutender Folterkritiker bekannt wurde der italienische Jurist Cesare Beccaria (geb.

1738, gest. 1794), der mit seinem Werk «Dei delitti e delle pene», das weltweite Verbrei-tung fand, gegen die Folter ankämpfte und sich für deren Abschaffung einsetzte; BECCA-RIA [1766], XVI. S. 92 ff. Siehe auch SCHMOECKEL [2000], S. 180 ff.; RÜPING/JEROU-SCHEK [2007], S. 84 f.; BALDAUF [2004], S. 197; JEROUSCHEK, Beccaria [1998], insbes.S. 667, 670; HETTENHAUER [2004], S. 597, Rz. 1620 ff. Eine Übersicht über die Äusse-rungen weiterer bedeutender Folterkritiker liefern GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 166 f.; SCHILD, Frag [2002], S. 138 ff.; BRUNS [1994], S. 48 ff.; BALDAUF [2004],S. 179 ff. Eingehend dazu SCHMOECKEL [2000], S. 112 ff.

786 GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 170.

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der Obrigkeiten gegen die Abschaffung der Folter sowohl in deutschen Landen als auch im übrigen Europa.787 Die Abschaffung der Folter erforderte grundle-gende Veränderungen des Prozessrechts; die Bestrafung aufgrund des gut be-gründeten Verdachts, der Würdigung zwingender Indizien, begann sich durch-zusetzen.788 Bevor die freie richterliche Beweiswürdigung789 jedoch endgültig Oberhand gewann, verhängten viele Gerichte in der Übergangsphase in Erman-gelung eines (erzwungenen) Geständnisses und beim Fehlen von Zeugen Unge-horsams-, Lügen- und Verdachtsstrafen. Diese wurden etwa als Prügelstrafen vollzogen und waren oftmals kaum weniger grausam als die Folter.790 In der Zeit unmittelbar nach Abschaffung der Folter verfügte der Angeschuldigte noch nicht über das Recht zu schweigen. Verweigerte er die Aussage, so wurde er bestraft. Aus dem Schweigen heraus entstand bisweilen gar die Fiktion eines Geständnisses.791

5.5.4.3 Verhöre Eggers nach Gefangennahme

Nachdem Egger gegenüber seinem Schwager Joseph Bensegger und seinem Schwiegervater den Totschlag von Catharina gestanden hatte und wenige Stun-den darauf verhaftet worden war, dachte er offenbar nicht daran, diese Tat spä-ter gegenüber dem Gericht zu leugnen. Dies dürfte auch mit dem Auffinden der Leiche von Catharina im Galgentobel vor Beginn des ersten Verhörs in Zusam-menhang stehen. Über den Verbleib der Leiche hatte Joseph Bensegger im Rah-men seiner Anzeige informiert, nachdem Egger ihm und seinem Schwiegervater am 11. Februar 1775 gestanden hatte, diese in die Stauden des Galgentobels transportiert zu haben.792 Bei dieser Sachlage dürfte Egger jedes Leugnen sinnlos vorgekommen sein.

787 IGNOR [2002], S. 163; VON HIPPEL [1941], S. 39. 788 SCHILD, Frag [2002], S. 147. 789 Vgl. dazu BALDAUF [2004], S. 212 f.; JEROUSCHEK, Inquisitionsprozess [1992], S. 344;

GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 171 ff. 790 SCHILD, Verfahren [1989], S. 202. In Frage kam auch strenger Arrest. 791 HOLZHAUSER [1971], Sp. 1640. 792 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 3; vgl. Kap. 3.4.3 und 4.3.3.

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Zu den einzelnen Verhören, die alle im Wirtshaus in St. Fiden stattfanden, wurde Egger offenbar von Hofweibel Ackermann gebracht. Gemäss Bestallung war es Sache des Amtsdieners, den Gefangenen in die Verhörstube oder auf Be-fehl gar auf die Pfalz zu bringen und ihn nach dem Verhör wieder einzusperren. Während der Verhöre hatte er sich für allfällige Befehle jederzeit zur Verfügung zu halten.793

Gleich zu Beginn des ersten Verhörs nach der Gefangennahme am 15. Febru-ar 1775 erfolgte eine «ernstliche [...] erinnerung die reine, und klare wahrheit an tag zu geben, und nichts zu verheelen».794 Die Befragung, die sich über mehrere Wochen erstreckte, war sehr detailliert. In etlichen Punkten wurde das Verhör wiederholt. Öfters nahm der Befrager Eggers Antwort wieder auf oder fasst sie kurz zusammen, bevor er die nächste, mit der unmittelbar gewonnenen Informa-tion verbundene Frage anknüpfte.795 Immer wieder und wieder ermahnte man Egger, die Wahrheit zu sagen.796 Manchmal bezog sich der Befrager auf das letz-te Examen und versuchte, Egger in Widersprüche zu verwickeln, ihn mit angeb-lichen oder tatsächlichen Widersprüchen zu konfrontieren und in die Enge zu treiben.797 Das Gericht bemühte sich, Druck auszuüben und liess das Vorhan-densein von Beweisen durchblicken, über die Egger aber zumindest vorerst nicht aufgeklärt wurde. Er wurde etwa aufgefordert, er «solle sich wohl be-denckhen, was er rede, die obrigkeit könnte mehr wüssen, als er sich einbil-det».798

Auch wenn es den Befragenden nicht gelang, Suggestivfragen ganz zu ver-meiden, waren die meisten Fragen doch offen formuliert. Während bei den ers-ten Einvernahmen praktisch keine suggestiven Formulierungen vorkamen, fin-

793 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 3, Ziff. 7. Es war auch Sa-

che des Amtsdieners, den Gefangenen auf Befehl dem Scharfrichter zu übergeben; S. 5, Ziff. 11.

794 Dok. 2, Einvernahmeprotokolle Eggers, Antwort 1. 795 Siehe etwa Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Fragen 4, 9, 19, 21, 27 und weitere. 796 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, z.B. Fragen 5, 6, 8, 29, 60, 72, 75, 104, 108, 112,

122, 139, 151, 156, 160, 180, 224, 227, 235, 236 und 248. 797 Siehe etwa Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 37, 38. 798 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 61.

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den sich einige wenige in den späteren Verhören.799 Die handschriftlich proto-kollierten Verhöre waren oft recht lang. Man forschte gegenüber Egger wie auch gegenüber verschiedenen Zeugen nach Gegebenheiten aus Eggers Leben. So wurde beispielsweise die Frage gestellt, ob er lesen und schreiben könne.800

Von Eggers Ehefrau erhielt man Aussagen über den Charakter ihres Mannes.801

Das Gericht führte betreffend Totschlag und Leichenschändungen nicht etwa zwei getrennte Verfahren bzw. getrennte Verhöre durch. Vielmehr mischte es in den einzelnen Verhöretappen immer wieder Fragen nach den Umständen des Totschlags mit Fragen nach den Leichenschändungen. Auch mit den rechtlichen Grundlagen für die einzelnen Delikte befasste es sich nicht getrennt.802

Mit dem Geständnis Eggers betreffend den Totschlag von Catharina Him-melberger gaben sich die Untersuchenden nicht ohne weiteres zufrieden. Sie zweifelten offensichtlich an der Glaubwürdigkeit der Angaben. Insbesondere aufgrund der von Leibarzt Rogg gefundenen Verletzungen an der Leiche schlos-sen sie nicht aus, dass Egger mehr als nur einen Schlag mit der Mistgabel ausge-teilt hatte. Wieder und wieder befragte man Egger zu diesem Punkt.803 Ebenso forschte man immer wieder nach dem Motiv für seine Tat. Das Gericht zweifel-te am Affekt, an der für Egger unkontrollierbaren Wut, mit der er den Schlag gemäss seinen Aussagen ausgeführt hatte. Doch in diesen Punkten blieb Egger trotz aller Fragen und Rückfragen bei seiner ursprünglichen Aussage, in rasen-der Wut nur einmal zugeschlagen zu haben.

Das Verhör vom 20. Februar 1775 nachmittags wurde mit der Begründung geschlossen, man wolle Egger Bedenkzeit geben und sehen, ob er noch länger so halsstarrig sein werde.804 Während des Verhörs wies das Gericht im Zusam-

799 Egger wurde beispielsweise gefragt, ob er der Catharina Himmelberger nach dem ersten

Streich nicht noch mehrere gegeben habe oder wenigstens noch einen (Frage 176), ob er sie nicht auch zum Stall hinaus habe jagen wollen (Frage 201), ob er um Neujahr herum nicht hätte Geschirr nach Herisau fahren müssen (Frage 215).

800 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 220; Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 9.

801 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 8 f. 802 Zum Wechsel des Befragungsthemas vgl. z.B. die Fragen 58 und 59. 803 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 6, 8, 10, 27, 29, 174, 176, 179, 180, 181,

253.804 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 158.

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menhang mit der Anzahl Schläge, die Egger dem Opfer verpasst hatte, auf die Möglichkeit der peinlichen Befragung hin. Man fragte Egger am 21. Februar 1775 etwa, ob er es wirklich darauf ankommen lassen wolle, durch den Henker zur Wahrheit gebracht zu werden. Darauf antwortete er, selbst wenn des Scharf-richters Knecht wirklich da wäre und ihn in vier Teile zerreissen würde, könnte er nichts anderes sagen.805 Am 7. März 1775 glaubte man ihm nicht, was er über die angeblichen Äusserungen des Geiserwalders Geser sagte, und wies ihn an, nicht so unverschämt daherzulügen und es nicht darauf ankommen zu lassen, die Wahrheit mit anderen Mitteln herauszubringen.806

Mit Eggers Geständnis, die Leichen von Elisabeth Han und Maria Baumann ausgegraben und zumindest teilweise zerlegt zu haben, begnügte sich das Ge-richt lange Zeit nicht. Es bemühte sich sehr, das wahre Motiv zu ergründen. Eg-ger gab wiederholt an, er habe es halt tun müssen, habe sich gezwungen gefühlt. Die Befrager hakten auch in diesem Punkt immer wieder nach. Nach dreiwöchi-ger Gefangenschaft entschloss sich Egger endlich, seine Motive vollends offen zu legen und erzählte, was er von Johannes Geser gehört hatte und dass er be-schlossen hatte, die Versuche selbst durchzuführen, um so den Gerüchten auf den Grund zu gehen. Als Johannes Geser schliesslich bestätigte, es sei nicht ausgeschlossen, dass er Egger in der Trunkenheit von gewissen abergläubischen Sachen erzählt habe,807 verzichtete das Gericht auf weitere Einvernahmen Eg-gers.

Ganz zufrieden gab sich das Gericht damit jedoch noch nicht und führte Eg-ger nach dem Verhör vom 7. März 1775 dem Scharfrichter vor. Er musste in dessen Angesicht ein letztes Mal bestätigen, der Catharina Himmelberger nur einen Schlag verpasst zu haben und die Leichen von Maria Baumann und Elisa-beth Han aus keinem anderen Grund und mit keiner anderen Absicht ausgegra-ben zu haben als der, die er angegeben habe. Daraufhin wurde er vom Scharf-richter noch «in den abstand» geführt und auf «leibsachen» durchsucht. Als die-ser nichts fand, war die Aufgabe des Scharfrichters beendet.808 Die Frage, ob Egger nun noch gefoltert werden solle, war bereits im Rahmen der Beratung der 805 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 183. 806 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 242. 807 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Antwort 9. 808 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 90.

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Pfalzräte vom 3. März 1775 aufgegriffen und verneint worden mit der Begrün-dung, er habe sich ohnehin schon eines «homicidii dolosi» schuldig gemacht und damit die Todesstrafe durchs Schwert auf sich gezogen.809 Dies war denn wohl auch der Grund, dass nicht mittels Folter nach weiteren Straftaten, die Eg-ger in der Vergangenheit vorgenommen haben könnte, geforscht wurde.

Die Vorführung beim Scharfrichter machte auf Egger zweifellos Eindruck, hatte er doch grosse Angst vor der Folter gehabt. Gegenüber dem Wirt Louis hatte Egger vor seiner Festnahme am 12. Februar 1775 gesagt, wenn er wüsste, dass er nach St. Fiden müsste und «gezimiget» würde, so gehe er lieber aus dem Land.810 Der Wirt hatte darauf erwidert, wenn Egger unschuldig sei, so solle er nicht fort gehen. Schliesslich habe Gott auch unschuldig gelitten.811 Sowohl Eg-ger als auch Louis waren offenbar davon ausgegangen, dass man Egger früher oder später festnehmen und der Folter aussetzen würde, wenn er die Tötung nicht gestehen würde. Auch gegenüber seinem Schwager und seinem Schwie-gervater hatte Egger zu Beginn des Gesprächs vom 13. Februar 1775 und vor seinem Geständnis geäussert, weil er überall so im Geschrei sei, fürchte er nur, dass man ihn nach St. Fiden bringe und an die Marter schlage, obwohl er nichts getan habe. Während anderthalb Stunden war dann über die Marter diskutiert worden, wobei Egger offenbar stets betont hatte, er wolle sich dem nicht ausset-zen, weil er unschuldig sei.812

5.5.5 Zeugeneinvernahmen

Die Zeugenbefragungen fanden mehrheitlich auf der Pfalz statt. Aus den Akten kann nicht auf einen strikten formellen Ablauf der Einvernahmen geschlossen werden. Die meisten Zeugenbefragungen sind nicht im Frage-und-Antwort-Stilformuliert, sondern haben die Form eines durchgehenden Textes, der die Aussa-gen der Zeugen in indirekter Rede wiedergibt. Die Fragen selbst sind den meis-ten Protokollen nicht zu entnehmen. Ausnahmen bilden die Befragungen von

809 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91. 810 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2. 811 Dok. 6, erste Anzeige von Christian Louis, S. 2. 812 Dok. 7, Zeugenaussage von Joseph Bensegger, S. 3.

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Eggers Ehefrau Maria German, des Tablaters Joseph Rüesch und des Geiser-walders Johannes Geser. Weshalb in den Protokollen dieser Zeugen die Fragen explizit festgehalten wurden und bei allen übrigen nicht, ist nicht ersichtlich. Die Protokolle mit den Aussagen der Ehefrau und von Joseph Rüesch weisen einen neutralen Fragestil auf. Es finden sich keine Suggestivfragen. Wie aus fast allen übrigen Zeugeneinvernahmeprotokollen hervor geht, scheint das Gericht dem jeweiligen Zeugen in der Befragung nicht kritisch gegenübergetreten zu sein.

Auch Versuche, Druck auf die Zeugen auszuüben, sind nicht erkennbar. Die einzige Ausnahme bildet die Befragung von Johannes Geser vom 8. März 1775. Dieses Protokoll gleicht mit seinen durchnummerierten Fragen viel eher dem Einvernahmeprotokoll Eggers als den übrigen Zeugenbefragungen. Das Verhör wirkt deutlich förmlicher und beginnt als einziges Zeugenverhör wie das Ein-vernahmeprotokoll Eggers mit der Frage «wie er heisse?».813 Mehrere Fragen wirken wie beim Verhör Eggers anklagend. Auf die Behauptung Gesers, er habe nur Eggers Stieftochter Barbara gekannt, mit Joseph Antoni keine Bekannt-schaft gehabt und mit ihm nie geredet,814 sagte man ihm gerade heraus, «es wolle ganz anders verlauten [...]».815 Als er schliesslich leugnete, mit Egger einen Dis-kurs über Tauben geführt zu haben, riet ihm der Befragende, er «solle sich wohl bedenckhen, dann die obrigkeit seye eines ganz anderen überzeugt».816 Letztlich sagte Geser offenbar, was er wusste, worauf das Verhör bald geschlossen wur-de. Dieses Verhör zeigt unverholen, dass man Johannes Geser mit Skepsis und Misstrauen, ja sogar mit Ablehnung gegenübertrat. Immerhin ging man allem Anschein nach nicht so weit, seine abergläubischen Reden selbst unter einen Straftatbestand subsumieren und ihm den Prozess machen zu wollen.

Die Zeugeneinvernahmen wurden getreu den Vorgaben der Carolina unter Ausschluss des Angeklagten durchgeführt: Da Egger gewisse Zeugenaussagen vorgelesen wurden817 oder sich die Befrager beim späteren Verhör Eggers darauf

813 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Frage 1. 814 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Antwort 2. 815 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Frage 4. 816 Dok. 18, Zeugenaussage von Johannes Geser, Frage 7. 817 So etwa die Aussagen des Scharfrichters Knecht Franz Antoni Ritter vom 18. Februar

1775; siehe Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 149.

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bezogen, ist davon auszugehen, dass er den Zeugeneinvernahmen nicht beiwoh-nen durfte. Ob auch die Öffentlichkeit bei den Zeugeneinvernahmen (konse-quent) ausgeschlossen wurde, ist den Akten nicht zu entnehmen.

Die von der Carolina gewünschten Hinweise in den Protokollen auf die Ge-bärden der Zeugen818 oder auf sonstige nonverbale Äusserungen wie etwa Ton-fall oder dergleichen finden sich nicht. In den Zeugeneinvernahmeprotokollen ist nicht vermerkt, wer die Befragung vorgenommen hatte und wer dabei anwe-send war. Auch über sonstige Anwesende enthalten die Protokolle keine Anga-ben. Während der Einvernahme von Catharinas Bruder Jacob Himmelberger meldete sich offenbar spontan dessen Tochter Maria Anna zu Wort, deren Bei-sein am Verhör bis dahin aus den Akten nicht ersichtlich gewesen war.819

5.5.6 Haftbedingungen

Im frühneuzeitlichen Strafprozess wurden zur Überführung des Angeschuldig-ten nicht nur Verhör und Folter als Druckmittel eingesetzt, sondern häufig auch die Unterbringung im Untersuchungsgefängnis unter prekären Bedingungen. Dauerte eine Untersuchung Wochen bis Monate an, konnten mangelhafte Nah-rung, fehlende Beheizung und Feuchtigkeit der Zellen den Inquisiten mürbe machen und seine Zunge lockern.820

Nach seiner Gefangennahme und während der Untersuchung war Egger im Gefängnisturm in St. Fiden hinter dem Wirts- und Gerichtshaus «Hirschen» un-tergebracht. Über die konkreten Bedingungen der Haft schweigen die Verfah-rensakten. Die Bestallung des Amtsdieners aus der Zeit um 1750 gewährt je-doch eine gewisse Vorstellung über die Haft. Der Amtsdiener war für den Um-gang mit den Gefangenen zuständig. Er musste diese «binden und lösen», ihnen Stroh bringen, einheizen und sie dreimal täglich mit Essen versorgen. Dabei musste er jeweils «visitieren», ob die Gefangenen noch «wohl verwahrt» wa-ren.821 Ohne offizielle Spezialbewilligung durfte er den Gefangenen «nichts ext-

818 Siehe Art. 71 CCC. 819 Dok. 12, Zeugenaussage von Jacob Himmelberger, S. 2. 820 HÄRTER [2000], S. 471 f.; SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 62.821 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 2, Ziff. 5.

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ra an speis, trankh, tabac oder dergleichen» geben. Er durfte auch niemandem Zutritt zu den Gefangenen gewähren. Wurde ein Besuch bewilligt, so hatte der Amtsdiener dem Treffen beizuwohnen und fleissig zuzuhören, was gesprochen wurde. Dies hatte er getreulich der Obrigkeit zu berichten.822

Über die Gegenstände, die mit der Gefangenschaft zu tun hatten, wie Schlüs-sel, Schlösser, Ketten, «band, bettgeräth» und dergleichen hatte der Amtsdiener ein ordentliches Inventar zu erstellen und zu allem Sorge zu tragen. Er musste die Leinlaken waschen und die Zelle «buzen», sobald der Gefangene entlassen wurde, damit das Holz nicht verfaule.823 Für die Kosten der Haft hatten die Ge-fangenen selbst aufzukommen, es sei denn, dass sie nicht in der Lage wären, diese zu bezahlen.824

Einige weitere Hinweise auf die Haftbedingungen finden sich in einer im Jahr 1688 unter Abt Cölestin Sfondrati825 erlassenen «würdtsordnung»826 in Be-zug auf die im Gefängnisturm inhaftierten Untersuchungsgefangenen. Der Er-lass der Ordnung wurde als nötig erachtet, weil die Kosten der Gefangenschaf-ten und der Gefangenentransporte aus den Vogteien nach St. Fiden offenbar zu Beschwerden des sog. Bussenamts, das für die Kosten aufzukommen hatte, ge-führt hatten. Die Rechnungen des Wirts hatten wiederholt Streit und Missver-ständnisse ausgelöst.827 Die Kosten sollten nun strenger unter Kontrolle gehalten werden, wozu die Wirtsordnung verschiedene Vorschriften machte. So sollte der Wirt etwa den Weibeln und Gerichtsdienern, die Gefangene aus den Vogtei-

822 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 3, Ziff. 6. Dem Amtsdiener

war es im Übrigen verboten, dem Gefangenen etwas von einer Drittperson auszurichten und umgekehrt; er hatte über alles «ein getreuliches und genaues stillschweigen» zu hal-ten, S. 3, Ziff. 6.

823 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 4, Ziff. 9. Sollte der Amts-diener Mängel feststellen, hatte er dies dem Fiskal zu melden, der für die Veranlassung der Ausbesserung zuständig war; S. 4, Ziff. 9.

824 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 4 f., Ziff. 10. Eine detail-lierte Zusammenstellung der während der Haft der beiden Gefangenen Sebastian Meyer und Jacob Holtz in St. Fiden angefallenen Kosten ist im Stiftsarchiv erhalten, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17. Die beiden befanden sich vom 9. bzw. 10. August 1723 an in Gefan-genschaft und wurden am 10. September 1723 durch den Strang hingerichtet.

825 Cölestin Sfondrati, geb. 1644, gest. 1696, Abt von 1687 bis 1696; HENGGELER [1929],S. 149 ff.

826 StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17. 827 StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 5.

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en brachten, nur noch gegen Barzahlung und nicht mehr auf Rechnung des Bus-senamts Speis und Trank geben. Die jeweiligen Vögte sollten den Überbringern das Geld zur Verfügung stellen.828 Dem Wirt, der für die leibliche Versorgung der Gefangenen zuständig war, wurde verboten, dem Gefangenen während des Verhörs Essen oder Trinken zu bringen, wenn dies nicht vom Befragenden er-laubt wurde.829 Der Wirt sollte die Gefangenen mit seiner Hauskost und einem Trunk verpflegen, durfte dafür aber nicht mehr als 15 Kreuzer täglich verlan-gen.830 Im kalten Winter sollte der Wirt das Gefangenenstüblein beheizen, wobei er das Holz in Rechnung stellen durfte.831 Vor dem Inkrafttreten der Wirtsord-nung hatten sich die amtlichen Beteiligten bei den Gerichtsverhandlungen, die im Wirtshaus zu St. Fiden stattfanden, offenbar «jeder bald da bald dort bald früehe bald spath nach gefallen an speis und tranckh ohne noth sich bedienen» lassen, sodass die Kosten sich zu einer «überaus grosse[n] summe» anhäuften. Die Wirtsordnung legte nun fest, dass der Wirt pro Mahlzeit einer Person nicht mehr als 48 Kreuzer berechnen durfte und die Kosten «proporzioniert und ge-bührend» sein sollten.832

Die Einvernehmenden fragten Egger am 22. Februar 1775, also gut acht Tage nach der Festnahme, wie er sich in der Gefangenschaft befinde. Darauf antwor-tete Egger, «das ihme herzlich, und schmerzlich leyd seye, das er müsse darin-nen sizen».833 Das Verhör vom 7. März 1775 begann mit dem Hinweis, Egger habe seit dem letzten Examen vom 22. Februar 1775 Zeit und Platz gehabt, in sich zu gehen, und werde nun hoffentlich die Wahrheit sagen.834 Die Akten ent-halten keine Hinweise darauf, dass Egger während der Haft Besuch von seiner Familie oder von Bekannten bekommen hätte.

828 StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 1. 829 StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 2, Ziff. 3. 830 StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 2, Ziff. 4. 831 StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 2, Ziff. 5. 832 StiASG, Würdtsordnung, Rubr. 42, Fasz. 17, S. 3 f., Ziff. 7. Begann die Verhandlung erst

am Nachmittag, so sollte nur noch eine Vesper serviert werden, die aus Wein, Brot, Kon-fekt und kalter Küche bestehen und nicht mehr als 30 Kreuzer pro Person kosten sollte; S. 4, Ziff. 8.

833 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage und Antwort 195. 834 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 235.

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6.1 Totschlag

6.1.1 Historisch-kriminologische Grundlagen

Mord und Totschlag sind wohl so alt wie die Menschheit selbst. Sie üben eine zwiespältige Faszination auf die Menschen aus und haben seit jeher starke Emo-tionen ausgelöst. Das leidenschaftliche Interesse, das die Menschheit dem Mord entgegenbringe, könne keine andere Erklärung finden, als dass das Töten und Getötetwerden an den innersten Kern der Instinkte der Menschen heranreiche, so VON HENTIG. Berührt, aufgestört würden die machtvollen Triebe, die der Er-haltung der Gattung und des einzelnen Wesens dienten.835

Um den gewaltsamen Tod ist ein breites Feld an abergläubischem Gedanken-gut entstanden. So findet etwa der Ermordete im Grab keine Ruhe, bis er ge-rächt ist. Ebenso gilt der verstorbene Mörder als ruheloses Wesen, das als Spuk erscheint oder umgeht. Das Blut des Ermordeten soll besondere magische Kraft besitzen. Wer träumt, einen Mord begangen zu haben, hat angeblich ein schlechtes Gewissen.836

Zum Verständnis der im Affekt ausgeführten Totschläge ist ein Blick auf das in jener Zeit vorherrschende Gewaltverständnis notwendig. Diese Gewalttat, die in der frühneuzeitlichen Gesellschaft nicht selten vorkam, stand oft im Zusam-menhang mit als ehrverletzend empfundenen Streitigkeiten. Neckereien und Beleidigungen konnten sich zu körperlichen Auseinandersetzungen verschie-denster Intensität steigern.837 Besonders häufig dürften Gewaltakte in Wirtshäu-sern sowie auf rege besuchten Strassen und Plätzen mit «öffentlichem» Charak-ter vorgekommen sein, wurden Beleidigungen oder Drohungen dort doch als besonders schwerwiegend und rufschädigend empfunden. Freilich kam es aber

835 VON HENTIG, Psychologie [1956], S. 1.836 Handbuch des Aberglaubens [1999], Bd. 2, S. 588. 837 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 121 f.

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auch nicht selten «unter vier Augen» zur Gewaltanwendung, hatten die strengen Regeln der Achtungsmoral schliesslich auch dort Geltung.838

In einer Studie über strafrechtliche Sanktionen im frühneuzeitlichen Würt-temberg gelangte HELGA SCHNABEL-SCHÜLE im Jahr 1997 zur Erkenntnis, dass verbale Äusserungen, aus denen der einer Gewalttat vorangegangene Streit ent-standen sei, oftmals von grosser sprachlicher Kargheit seien, wobei vor allem eine argumentative sprachliche Ebene bei den untersuchten Quellen völlig ge-fehlt habe.839 Verbale Konfliktlösungsmuster seien noch keine wirkliche Alter-native zu physischer Gewalt gewesen. Aufgrund eines Mangels an argumentati-ven Diskursen hätten verbale Reaktionen meist im Ausstossen aneinanderge-reihter Schimpfwörter bestanden, so die Studie. Diese wirkten in der ganzen Tragweite ihrer Wortbedeutung. Viele Schimpfwörter seien ehrenrührig gewe-sen, weshalb sie nicht ohne weiteres hätten hingenommen werden können und nicht selten den Auftakt für eine gewalttätige Auseinandersetzung bildeten.840

Die Ehre war mindestens ebenso wichtig wie die körperliche Integrität, sie wird mitunter sogar als Bestandteil dieser körperlichen Integrität betrachtet.841

Bei der einem Streit folgenden Gewalttat wurde in der Regel unbändige Kraft angewandt. Dies sei, so SCHNABEL-SCHÜLE, nicht immer mit Trunkenheit zu erklären. Die alltäglichen Verrichtungen forderten insgesamt wohl grosse Kraft-anstrengungen, sodass in Konfliktfällen eine Beschränkung des Krafteinsatzes

838 SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 65 f. 839 Dasselbe gilt für verbale Äusserungen, mit denen gegebenenfalls der der Gewalttat vo-

rausgegangene Streit zu schlichten versucht worden war; SCHNABEL-SCHÜLE, Territorial-staat [1997], S. 244. SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999] beobachtete ebenfalls eine er-staunlich schmale Varianz der gebräuchlichen Schmähworte über etliche Jahrhunderte hinweg, weist aber auf die zahlreichen Optionen für kreative Erweiterungen und Kombi-nationen hin, S. 124. Auch MICHAEL TOCH gelangte in einer Studie über Schimpfwörter im Dorf des Spätmittelalters zur Erkenntnis, dass die Beleidigungsworte stereotyp ge-braucht wurden und die Ausdrücke eine relativ enge Bandbreite aufwiesen. Ähnliches er-kennt er für weite Teile Mittel- und Westeuropas in späterer Zeit; wenn auch tentativ und mit Bereicherungen und Auffächerungen; TOCH [1993], S. 324.

840 SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 245; SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 66.

841 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 122 f.; KNOTT [2006], S. 18. Für den sozialen Sta-tus des Einzelnen (insbesondere in der Dorfgemeinschaft) war in erster Linie dessen Ehre und erst in zweiter Linie Besitz und Stellung massgebend; VAN DÜLMEN, Leute [1983], S. 12.

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gar nicht möglich war. Dazu hätte es des Bewusstseins über die zerstörerische Wirkung solch roher Gewalt bedurft. Viele der untersuchten Fälle zeigten, dass solche nicht vorausgesetzt werden konnte.842

Beleidigungen und insbesondere öffentliche Verdächtigungen wirkten sich oftmals existenzbedrohend aus. Geriet man in Verdacht, unehrlich zu sein, so konnte sich dies in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht auf alle Be-reiche des Lebens auswirken. Die hauptsächliche Funktion der Beleidigung war somit nicht selten die soziale Kontrolle. Beleidigungen oder Anschuldigungen mussten aus diesem Grund erwidert resp. abgewehrt werden, sonst riskierte man, dass sie hängen blieben.843 Diese Art der Gewalt beschränkte sich in der Vormoderne keineswegs auf Arme und Deklassierte, sondern kam durchaus auch beim Adel vor.844 Die Gewalt war stark männlich geprägt; Frauen traten nur selten als Täterinnen oder auch Opfer in Erscheinung.845

In der frühen Neuzeit herrschte zudem eine andere Leiblichkeit. Von klein auf war man eher an Schmerzen gewohnt als wir heute; Prügel in Familie und Schule waren üblich und viele Menschen litten an irgendwelchen akuten oder chronischen Schmerzen, die nicht adäquat behandelt wurden.846 Die Menschen lebten ihre Leiblichkeit zudem spontaner aus, was sich etwa an der allgemein tieferen Schwelle der Ekel- und Schamgefühle zeigte. Eine anders als heute ver-standene Unmittelbarkeit des Lebens zeigte sich in Wildheit und Übermut. Al-

842 SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 246 f. 843 TOCH [1993], S. 325.844 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 125.845 LOETZ [1998] sieht dies insbesondere darin begründet, dass Drohgebährden, die der kör-

perlichen Auseinandersetzung oft vorausgingen, zum «typisch männlichen Zeichenreper-toire» gehörten und für Frauen nicht ohne weiteres verfügbar waren, S. 277; siehe zum Thema Geschlecht und Kriminalität auch SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 149 ff.; SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 64.

846 SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 93; BLESS-GRABHER [2003], S. 283.

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kohol847 war oft ständiger Begleiter, was nicht selten mit einer im heutigen Ver-ständnis übersteigerten Grobheit einherging.848

Tätlichkeiten unter Zeitgenossen waren in der frühen Neuzeit bei Weitem keine Seltenheit. Insbesondere in dörflichen Lebensstrukturen galt Gewalt we-niger der Abwehr eines auf Leib und Leben zielenden Angriffs, sondern hatte vielmehr häufig den Charakter von sozialen Scharmützeln, diente der Erkun-dung von Chancen und Risiken von Interessendurchsetzung und zur Aussen-dung der entsprechenden Signale.849 Wie erwähnt wurde zur Verteidung der Eh-re, aber auch des Eigentums häufig Gewalt angewendet. In diesem Rahmen war die Tötung eines Menschen in der Regel eher unbeabsichtigte als gewollte Fol-ge.850 RUMMEL stellte die These auf, der alltagspraktische Nutzen von Gewalt habe bedingt, dass sie nicht nur sinntragendes Handeln habe beinhalten können, sondern von den Beteiligten auch so verstanden worden sei. Daraus ergebe sich – selbst bei tödlichen Folgen – eine relative Akzeptanz in ihrer Verwendung.851

Seine zweite These formuliert er mit Blick auf Anlässe, Ausmass und Akzep-tanz von Gewalt. Wer sie angewendet habe, habe dies demnach immer in Reak-tion auf Zumutungen getan. Diese schienen bei Eigentumsdelikten und bei Ehr-verletzungen am grössten gewesen zu sein.852 Erst im Zuge der Aufklärung wur-de dieses Verständnis der Leiblichkeit zunehmend von Reflexion und Verstand überlagert.853

Immerhin ist nicht davon auszugehen, dass schwere Gewaltdelikte zum All-tagsgeschehen gerechnet worden wären. Vielmehr riefen sie Entsetzen und Mit-

847 Alkoholischen Getränken kam zweifellos eine wichtige Katalysatorfunktion zu. In der

neueren Forschung ist jedoch umstritten, ob dem Alkohol im Zusammenhang mit Gewalt-taten lediglich «gewaltfördernd» oder vielmehr «gewaltgenerierend» wirkten; m.w.H. SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 65 und Anm. 30. Siehe auch WITTKE, Alltag[2002], S. 315.

848 SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 94. 849 RUMMEL [1993], S. 87 f. 850 RUMMEL [1993], S. 87. 851 Der Verlust der Selbstbeherrschung mit der Folge gewalttätiger Affektentladung wurde

innerhalb gewisser Grenzen weithin akzeptiert, zumal die Wertschätzung körperlicher Unversehrtheit und der Anspruch an die Selbstbeherrschung andere waren als heute; RUMMEL [1993], S. 95.

852 RUMMEL [1993], S. 88 f. 853 BLESS-GRABHER [2003], S. 284; VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 1 [1990], S. 215 f.

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gefühl hervor, wie protokollierten Zeugenaussagen häufig entnommen werden kann.854 Das Ausmass der Gewaltakzeptanz in der frühen Neuzeit kann insoweit etwas relativiert werden.855 Staatliche Sanktion als regulierende Reaktion auf ein solches Delikt war akzeptiert und wurde sogar erwartet.

Nicht nur das Gewaltverständnis und die Leiblichkeit, sondern auch das Ver-hältnis zum Tod war in der Vormoderne ein anderes als in der Gegenwart. Da jederzeit mit dem Tod gerechnet werden musste, wurde er nicht verdrängt und tabuisiert, sondern brauchtumsmässig in den Alltag integriert.856 Die Menschen standen dem Tod unbefangener gegenüber. Das kurze irdische Dasein stellte ohnehin nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in ein besseres Jenseits dar; der Tod bedeutete den Beginn des eigentlichen und ewigen Lebens. Freilich war eine grosse, durch Predigten stets geschürte Angst vor den Qualen der Hölle weit verbreitet.857 Auch hier setzte erst mit der Aufklärung und ihrem Streben nach Selbstverwirklichung, Glück und individueller Autonomie sowie der Kon-zentration auf das Diesseits ein Wandel ein.858

6.1.2 Rechtliche Einordnung

In der Debatte über die kriminalisierte Gewalt in der Vergangenheit nimmt der Totschlag im Affekt eine zentrale Stellung ein. Dieses Verbrechen beschäftigte die Gerichte häufig, da es verglichen mit anderen, heimtückisch oder zumindest im Voraus geplanten Verbrechen nur selten unentdeckt blieb.859

Bereits das mittelalterliche Recht behandelte auch die Körperverletzung mit tödlichem Erfolg als Tötung. Diese wurde vielfach dann angenommen, wenn der Verletzte innert einer bestimmten Frist nach der Tat starb.860 Einige Rechte 854 WITTKE, Alltag [2002], S. 312.855 WITTKE, Alltag [2002], S. 315.856 BLESS-GRABHER [2003], S. 284; MÜNCH [1992], S. 481 f. 857 SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 94. 858 MÜNCH [1992], S. 169, S. 480 f. Eingehend mit der Entwicklung der Zivilisation befasst

hat sich NORBERT ELIAS in seiner 1939 veröffentlichten Studie «Über den Prozess der Zi-vilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen».

859 SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 56. 860 Diese Frist war unterschiedlich lange; es finden sich Quellen über 14, 30 oder 40 Tage

oder gar einem Jahr, vgl. die Quellenangaben bei HIS, Teil 2 [1935], Fn. 6 auf S. 75.

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negieren die Haftung für Tötung, wenn der Verletzte in der Kirche oder auf der Strasse gesehen worden war.861 Mit der Durchsetzung des Inquisitionsprozesses sollte die Ahndung der gewaltsamen Tötung schliesslich Sache der Gerichte sein und nicht den Privaten überlassen bleiben.862

Im Sprachgebrauch des Mittelalters und der frühen Neuzeit wurde nicht klar zwischen den einzelnen Tötungsdelikten unterschieden. So werden die Ausdrü-cke «homicidium», «manslacht» oder «Totschlag» im Mittelalter für jede Art der Tötung gebraucht, auch für die fahrlässige oder sogar die Tötung in Not-wehr.863 Der offene Totschlag konnte sich zum Mord wandeln, wenn der Leich-nam nach der Tat beiseite geschafft wurde.864 Grundsätzlich galt der Totschlag, der im Zorn als offene Tat ausgeführt wurde, als ehrliche Sache; dies im Gegen-satz etwa zum als unehrlich geltenden Mord oder auch zum Diebstahl, die beide eine Komponente des Heimlichen, Heimtückischen aufweisen. Die Verletzung in Wehr und Gegenwehr war ehrlich, die Verletzung eines Wehrlosen hingegen unehrlich.865

KARL GROLMAN formulierte 1798 die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag folgendermassen:

«[...] man kann nur darin den Unterschied zwischen Mörder und Totschläger finden, dass dieser bey seiner That entweder keine feindseelige Absicht hatte, oder sich in einem Zu-stande befand, wo er, ohne des Bewusstseyns beraubt zu seyn, dennoch nicht mit kaltem Blute alle Gründe und Gegengründe ruhig abzuwägen im Stande war, wo ihm plötzlich ge-reizte Leidenschaft das Süsse der Befriedigung derselben zu lebhaft darstellte, als dass nicht, nach einer nur oberflächlichen Überlegung, sein Entschluss hätte fest stehen und folglich zur Ausführung geschritten werden sollen.»866

Mit Blick auf die Strafe will die Carolina Mord und Totschlag klar geschie-den wissen. Art. 137 CCC trägt den Titel «Straff der mörder vnd todtschläger

861 Beispiele bei HIS, Teil 2 [1935], S. 75 f. 862 SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 57; SCHMIDT HANS-JOACHIM [2006], S. 77. 863 ARVANITIS [1982], S. 13; HAUSMANN [2002], S. 424; HIS, Teil 2 [1935], S. 78 f. sowie

S. 80 ff. zur Bestrafung des Totschlägers im Mittelalter; in Frage kamen neben der Todes-strafe die Geldstrafe (Sühne) oder auch die Verbannung sowie als Nebenstrafe etwa die Verwüstung des Hauses.

864 HAUSMANN [2002], S. 425. 865 MOSER-NEF, Bd. 5 [1951], S. 319; WILLI [1947], S. 158. 866 GROLMAN [1798], S. 258 f., § 419.

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die keyn genugsam entschuldigung haben mögen». Der erste Satz des Artikels lautet wie folgt:

«Item eyn jeder mörder oder todtschläger wo er deshalb nit rechtmessig entschuldigung ausführen kan, hat das leben verwürkt.»

Der Artikel befasst sich im Weiteren nicht eingehend mit der materiellen Un-terscheidung zwischen Mord und Totschlag867, sondern regelt lediglich die Frage der Bestrafung. Er hält fest,

«[...] dass der gewonheyt nach, ein fürsetzlicher mutwilliger mörder mit dem rade, vnnd eynander der eyn todtschlag, oder aus gecheyt868 vnd zorn gethan, vnd sunst auch gemelte entschuldigung nit hat, mit dem schwert vom leben zum todt gestrafft werden sollen [...]»

Der Zorn, der diese Strafmilderung rechtfertigt, muss in unmittelbarem Zu-sammenhang mit der äusseren Veranlassung zum Ausbruch kommen, darf also nicht das Resultat länger gebrüteter Rache sein. Der Tatentschluss muss somit auf einen Affekt zurückgehen.869 Die Begriffe «fürsetzlich» und «mutwillig» entsprechen dem heutigen juristisch-technischen Begriff des Vorsatzes und nicht denjenigen der Überlegung oder des Vorbedachts.870 Unter Mord wird da-mit jede vorsätzliche Tötung subsumiert, die nicht im Affekt begangen wurde. Die Affektfälle werden vom Totschlag erfasst.871 Für den Mord ist die heimliche Begehung typisch,872 für den Totschlag die tumultöse. Mord beschränkt sich nicht auf die vorbedachte oder heimliche Tötung, meist konvergieren aber Mutwille bzw. böser Vorsatz und heimliche Begehung.873

Die Carolina verankert mit ihrem Art. 137 Motive oder Gesinnungsmerkmale als Kriterien für die Straftat, woraus sich die Notwendigkeit einer prozessualen

867 ALLFELD [1969], S. 92 f.; SCHAFFSTEIN [1984] spricht davon, die Carolina habe sich zur

psychologischen Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag bekannt, S. 147. Siehe auch WACHENFELD [1890], S. 5; KRÖNER [1958], S. 1 ff.

868 «Jähheit», vgl. WACHENFELD [1890], S. 3. 869 ALLFELD [1969], S. 94; MÜSSIG [2005], S. 36.870 ARVANITIS [1982], S. 13. Zur Tötung mit Vorbedacht im Mittelalter HIS, Teil 2 [1935],

S. 88. 871 ARVANITIS [1982], S. 13. Mit der Auslegung des Art. 137 CCC und dem insbesondere im

19. Jahrhundert darüber herrschenden Meinungsstreit befassten sich etwa WACHENFELD [1890], S. 2 ff.; THOMAS [1985], S. 120 ff.; SCHAFFSTEIN [1984], S. 147 ff.; KRÖNER [1958], S. 1, Fn. 6 mit weiteren Literaturangaben.

872 Zu Mordmerkmalen (Schwerpunkt Mittelalter) siehe HIS, Teil 2 [1935], S. 90 f. 873 Vgl. Art. 34 CCC; RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 53.

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Erforschung des Täters ergibt. Für die Motiv- bzw. Gesinnungszuschreibung wird also nicht ein äusseres Verhalten als Anknüpfungspunkt verwendet, womit die Ermittlung des Beweggrunds des Täters entfallen würde.874 Mit der endgülti-gen Institutionalisierung des Inquisitionsprozesses wurde die Ausdifferenzie-rung prozessualer Tatbestände aus dem materiellen Recht ermöglicht; Wille o-der Gesinnung des Täters konnten im Rahmen des Verfahrens erforscht wer-den.875 Neben dem allgemeinen Mordbegriff regelt die Carolina auch besondere Mordformen876 wie den Giftmord,877 den Kindsmord878 und den Herren-, Ver-wandten- und Gattenmord879.

Auch nach Einführung der Carolina blieben Totschläger – im Gegensatz zu Mördern – in der Praxis oftmals von der Todesstrafe verschont und wurden le-diglich mit Verbannung und Geldbusse bestraft, wenngleich die peinlichen Stra-fen allmählich zunahmen880 und eine Tendenz zur Kriminalisierung des Tot-schlags einsetzte. In Gesetzestexten und im juristischen Schrifttum wurde die gewaltsame Tötung schliesslich eher als schlimmes Verbrechen und weniger als unglücklicher Zufall dargestellt.881 Während in der Wissenschaft noch im 16. Jahrhundert die Tötungsabsicht mehrheitlich als Voraussetzung der Schwertstrafe betrachtet wurde, setzte sich im 17. und 18. Jahrhundert nicht zu-letzt unter dem Einfluss von BENEDIKT CARPZOV die Ansicht durch, dass auch der indirekte Vorsatz für die Schwertstrafe ausreichte.882 Ein im Affekt gefasster Tötungsvorsatz sollte nur im Falle des gerechten Zorns (ex iusta ira) von der Schwertstrafe befreien.883

874 THOMAS [1985], S. 123. 875 THOMAS [1985], S. 123. Die innere Tatseite gewann an Bedeutung; MÜSSIG [2005], S. 36. 876 HAUSMANN [2002], S. 425; ARVANITIS [1982], S. 13. 877 Art. 130 CCC. 878 Art. 131 CCC. 879 Art. 137 CCC sieht hier eine Strafschärfung vor. 880 THOMAS [1985], S. 134 f., stellt die These auf, dass die Zweiteilung Mord/Totschlag in

der Carolina eine Spiegelung gesellschaftlicher Machtverhältnisse darstellte, wobei er den Mordtatbestand als für die Tötung durch «schädliche Leute» und den Totschlag als eine die Oberschichten privilegierende Vorschrift begreift; S. 136.

881 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 127.882 KRÖNER [1958], S. 17. 883 KRÖNER [1958], S. 17.

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Noch im 15. Jahrhundert wurde die im Affekt verübte Blutrache in der Fürstabtei St. Gallen geduldet. In der 1471 geschaffenen Offnung von Tablat ist noch eine privatrechtliche Vergeltung des Totschlags vorgesehen: «Item wen ainer ainen liblos tuott, mag man den saecher begryffen, so richt man bar gegen bar».884 Weiter anerkennt die Offnung aber die Zuständigkeit des Hochgerichts bei Tötung über Friedegebot: «tuott aber ainer den andern liblos in aym fryden und ergryfft man in, so richt man zuo im als zuo ainen moerder».885 Erst allmäh-lich setzte sich die frühabsolutistische Auffassung durch, dass im Interesse der Moral und der öffentlichen Sicherheit der Totschlag stets offiziell geahndet und der Täter verfolgt werden sollte.886

6.1.3 Totschlag der Catharina Himmelberger

Der im Fall Egger urteilende Pfalzrat war für die Aburteilung des Totschlags an die Bestimmungen der Carolina gebunden. In den Gerichtsakten ist die Termi-nologie für Eggers an Catharina Himmelberger verübte Tat nicht einheitlich. Wie in jener Zeit üblich, wurden die Begriffe Tötung, Mord und Totschlag nicht voneinander abgegrenzt. In den Protokollen wurde vornehmlich der Begriff des Totschlags verwendet, vermehrt wurde aber auch von der Ermordeten oder ab und an von einer «mordthat» gesprochen.887

Bei den Einvernahmen Eggers stand die Gewalt, mit der er Catharina Him-melberger unter Zuhilfenahme der Mistgabel niedergestreckt hatte, immer wie-der im Zentrum des Interesses des Gerichts. Egger erklärte, Catharina Himmel-berger habe von ihm mehr Geld gefordert, als er ihr geschuldet habe. Sie habe «gezanckhet»888 und ihn einen Spitzbub und Lügner genannt. Er sei daraufhin «taub» gewesen und habe mit der Mistgabel zugeschlagen.889 Aus diesen Anga-ben ist zu schliessen, dass der Streit mit Catharina Himmelberger also weder lang dauerte noch besonders wortreich war. Freilich fehlen Zeugenaussagen

884 Tablater Offnung, Art. 85, 1. Satzteil, RQSG (Offnungen), S. 222. 885 Tablater Offnung, Art. 85, 2. Satzteil, RQSG (Offnungen), S. 222. 886 HOLENSTEIN THOMAS [1934], S. 45. 887 Siehe etwa Akten, Dok. 2, S. 15 und S. 91, Dok. 6, S. 1 oder Dok. 7, S. 3. 888 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 2. 889 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antworten 16 und 17.

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darüber, wie Egger sich im Streit geäussert hatte. Mit einer gewissen Wahr-scheinlichkeit ist jedoch anzunehmen, dass die dem Schlag vorangegangenen sprachlichen Äusserungen karg und wenig wortreich waren. Egger vermochte im Verhör nur zwei Schimpfworte zu bezeichnen, die Catharina Himmelberger ihm gegenüber benutzt hatte. Er fühlte sich von ihr offenbar unrecht behandelt, da sie mehr gefordert habe, als er ihr schuldig gewesen sei. Nichts weist darauf hin, dass zwischen den beiden Streitenden ein argumentativer Diskurs stattge-funden hätte. Vielmehr waren es offenbar lediglich Beschimpfungen und keine Argumente, mit denen beide Seiten ihr Problem zu lösen versuchten. Mangels Zeugen war es für die Befragenden im Verhör ebenso unmöglich nachzuvoll-ziehen, ob Catharina Himmelberger tatsächlich zu viel Geld gefordert hatte, wie es dies heute anhand der Akten scheint. Ob Egger sich in diesem Streit also im Recht wähnte oder ob er wusste, dass er Catharina Himmelberger eigentlich mehr schuldete, als er zugab, ist heute nicht mehr aufzudecken. Durch die Be-schimpfung als Lügner und Spitzbub dürfte sich Egger aber jedenfalls in seiner Ehre getroffen gefühlt haben. Aufgrund der ganzen Situation, die in Eggers Au-gen wohl demütigend und eine Zumutung gewesen sein dürfte, scheint er vor Zorn ausser sich geraten zu sein. Die Forderung und die Beschimpfungen waren für ihn Anlass zur Gewalt. Alkohol dürfte nicht im Spiel gewesen sein, fand die verhängnisvolle Begegnung mit Catharina Himmelberger doch morgens in aller Frühe statt. Von Alkoholmissbrauch ist nirgends die Rede. Egger bewirtschafte-te einen Hof, war also an harte körperliche Arbeit gewöhnt. Es ist durchaus vor-stellbar, dass ihm die zerstörerische Wirkung der von ihm ausgeübten Gewalt nicht bewusst war und er seine völlig unverhältnismässige Reaktion in der Wut nicht richtig einschätzen konnte.

Zu beachten ist im Übrigen, dass das Schuldenmachen in der frühen Neuzeit strafbar sein konnte. Für die Alte Landschaft regelte das Landmandat 1761 in Art. 68 beispielsweise folgendes:

«Item wann sich einer mit Schulden dergestalten überhäufete, das man an ihme verliehren müesste, wurde er nach Gestaltsame Sachen mit hocher Leibs Straf an Hochgericht gestelt, auch mit Verweisung des Landts oder anderer schwährer Straf angesehen werden.»890

890 Landmandat 1761, Art. 68, 1. Satz, RQSG (Alte Landschaft), S. 140.

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Zudem verbot das Landmandat Leuten, die andere durch Nichtbezahlung von Schulden zu Verlust kommen liessen, den Besuch von Wirts- und Schenkhäu-sern unter Androhung einer Strafe von drei Tagen und Nächten Gefangenschaft bei Wasser und Brot.891 Da Catharina Himmelberger gegenüber Egger offenbar deutlich machte, nicht länger klaglos und geduldig auf die Rückzahlung seiner Schulden warten zu wollen, wären für Egger unangenehme Folgen denkbar ge-wesen, mit denen er sich womöglich konfrontiert sah.

Das Gericht reagierte auf die Gewalt schockiert, sie zeigte keinerlei Ver-ständnis für deren Ausuferung. Sie fragte Egger, ob er sich einfallen lassen kön-ne, dass sein Zorn und die Tatsache, dass er gerade eine Mistgabel in der Hand gehalten habe, eine hinlängliche Entschuldigung für seine Tat seien.892 Aufgrund der von Leibarzt Rogg beschriebenen Verletzungen hatte sie Zweifel darüber, ob Egger tatsächlich nur einen Schlag ausgeführt hatte. Ein einziger Schlag wä-re offenbar als ein klareres Indiz für eine Affekttat betrachtet worden als mehre-re Schläge. Die Hartnäckigkeit, mit der die Befragenden diesen Punkt immer wieder und wieder ansprachen, macht deutlich, dass sie genau abklären wollten, ob sie eine vorsätzliche Tatbegehung ausschliessen konnten. Sie waren sich of-fenbar nicht sicher, ob Egger tatsächlich im rasenden Zorn gehandelt hatte oder mit Vorsatz eine unangenehme Gläubigerin aus dem Weg räumen wollte, um sich vor seiner Zahlungspflicht zu drücken. Dem Leibarzt war aufgetragen wor-den, im Rahmen seines visum et repertum zu beantworten, ob eine oder mehrere Wunden am Körper seien und ob diese selbst direkt oder nur zufällig tödlich gewesen seien.893 Rogg hielt in seinem Bericht fest, die durch einen fürchterlich gewaltsamen Schlag zugefügte Verletzung an der Wirbelsäule könnte allein als tödlich erachtet werden. Bezüglich der übrigen Wunden an Ohr, Kopf und Wir-bel legte sich Rogg nicht fest, sondern konstatierte, es lasse sich nicht bestim-men, ob diese durch wiederholte Grausamkeit oder durch das Hinunterrollen des Leichnams in die Stauden entstanden seien.894

891 Wer solche Leute bewirtete, sollte mit einer Geldbusse bestraft werden; Landmandat

1761, Art. 24, RQSG (Alte Landschaft), S. 121. 892 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 18. 893 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 2. 894 Dok. 9, visum et repertum von Leibarzt Rogg, S. 3.

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Bis zum Ende der Verhöre beharrte Egger darauf, nur einen Schlag ausge-führt zu haben. Die Akten lassen keinen Rückschluss darauf zu, ob er die Wahr-heit sagte oder nicht. Das Gericht schien schliesslich jedoch als erwiesen erach-tet zu haben, dass die Tat tatsächlich im Affekt ausgeführt worden war. Mit Hinweis auf die Carolina, aber ohne Angabe des relevanten Artikels, sprach es Egger schliesslich des Totschlags schuldig und verurteilte ihn zur Todesstrafe durch das Schwert. Hätte man Vorsatz bejaht, so hätte Egger bei einer konse-quenten Anwendung der Carolina die Todesstrafe in Form der qualvollen Räde-rung geblüht. Dazu wäre es aber wohl ohnehin nicht gekommen, wurden derar-tige Strafen in der Fürstabtei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts doch offenbar nicht mehr verhängt.

6.2 Leichenschändung

6.2.1 Historisch-kriminologische und rechtliche Einordnung

Nach dem Auffinden der Leichen im Galgentobel wurde Joseph Egger verdäch-tigt, sich neben dem Totschlag des Leichenraubs und der Leichenschändungen schuldig gemacht zu haben. Er sollte beerdigte Leichen vom Friedhof und ei-nem Platz unter dem Galgen ausgegraben und zerstückelt haben.

Das Sterben und der Tod waren in der frühen Neuzeit wie bereits erwähnt etwas Allgegenwärtiges, sie waren alltägliche Begleiter der Menschen. Dennoch stellte das Begräbnis immer etwas Besonderes dar, das unabhängig von persön-licher Betroffenheit stets aufwändig und nach feierlichem Ritus gestaltet wur-de.895 Die Friedhöfe befanden sich im Mittelalter und auch in der frühen Neuzeit noch oft an zentraler Lage. Die Toten sollten mit den Lebenden in Verbindung bleiben können. Eine besondere Pflege des Friedhofs gab es in der frühen Neu-zeit jedoch trotz des festlichen Begräbnisses noch nicht.896 Der Friedhof als sak-raler Ort sowie die dort begrabenen Toten verdienten selbstverständlich Schutz. Entsprechend wurden Leichenraub und Leichenschändung als schwere Verbre-chen betrachtet.

895 VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 1 [1990], S. 227; MÜNCH [1990], S. 483. 896 VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 1 [1990], S. 222.

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Leichenschändungen kamen einerseits vor als Abwehrakt gegen gefährliche Tote, deren Wiederkehr man fürchtete. Dies versuchte man etwa durch Pfählen oder Köpfen zu verhindern. Betroffen waren hingerichtete Verbrecher, ver-meintliche Hexen, Zauberer und Vampiere sowie Wöchnerinnen und ungetaufte Kinder.897 Andererseits diente die Leichenschändung der Gewinnung von Lei-chenfetischen, denen allerlei nützliche Wirkungen nachgesagt wurden.898

Die Carolina enthält keine Leichendelikte.899 Art. 171 CCC behandelt nur den Diebstahl von heiligen oder geweihten Sachen an geweihten oder ungeweihten Stätten. Danach stehen drei Arten des Diebstahls unter Strafe: zum Ersten der Diebstahl einer heiligen oder geweihten Sache an geweihten Stätten, zum Zwei-ten der Diebstahl einer geweihten Sache an ungeweihten Stätten und zum Drit-ten der Diebstahl einer ungeweihten Sache an geweihter Stätte. In der Lehre werden die Leichendelikte nicht unter Art. 171 CCC subsumiert.900 Leichendieb-stahl und Grabschändung seien deshalb, so KESEL, nach der römischrechtlichen Bestimmung D. 47, 12 «de sepulcro violato» bestraft worden.901 Diese wörtlich übersetzte «Grabschändung» der Römer, die mit dem Tod bestraft wurde, hatte nicht nur die Entweihung und Zerstörung eines Grabs,902 sondern jede Verun-glimpfung eines menschlichen Leichnams zum Gegenstand.903 CRAMER hält fest, das Verbrechen der «sepulcri violatio» sei auch unter den christlichen Kaisern beibehalten worden.904 Auch MERKEL weist betreffend Bestrafung für Leichen-raub im gemeinen Recht auf die analoge Anwendung der römischen «sepulcri

897 Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5 [1933], Sp. 1093. 898 Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5 [1933], Sp. 1094; siehe sogleich

Kap. 6.2.2.3. 899 KESEL [1968], S. 10; MERKEL [1904], S. 28; ebenso BIERI [1954], S. 17. Zum Begriffsin-

halt des Wortes «Leichnam» und seiner Entwicklung ENGLERT [1979], S. 114 f. 900 Siehe etwa MERKEL [1904], S. 28. 901 KESEL [1968], S. 10; MERKEL [1904], S. 25; siehe auch CRAMER [1885], mit Hinweisen

zur in der Lehre vertretenen Ansicht der nach Begriff und Tatbestand unveränderten Re-zeption der römischen «sepulcri violatio», S. 51.

902 Der Glaube an den im Grab fortlebenden Toten führte dazu, dass auch das Grab als seine «Wohnung» nicht beschädigt werden sollte, ansonsten verbreitet eine Bestrafung durch den Toten selbst befürchtet wurde; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5 [1933], Sp. 1094.

903 BIERI [1954], S. 16. Leichenentweihungen wurden im römischen Recht häufig als Kapi-talverbrechen betrachtet, siehe CRAMER [1885], S. 5 und 11 ff.

904 CRAMER [1885], S. 49.

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violatio» hin.905 Die harten Strafen des römischen Rechts wurden im gemeinen Recht aber vermehrt durch die poena extraordinaria ersetzt.906 Im Mittelalter wurde der Leichenraub als Anwendungsfall des schweren Raubs teilweise als Reraub bezeichnet und zählte verbreitet zu den schwersten Verbrechen.907

Leichenschändung tritt in der psychiatrischen Literatur in der Regel im Zu-sammenhang mit Sexualdelikten auf. So wird mithin unter dem Oberbegriff des Vampirismus die Leichenschändung überhaupt klassifiziert und darunter zwi-schen Nekrophilie908 und Nekrosadismus909 unterschieden.910 Gemäss dem Straf-rechtler CARL STOOSS, der als wichtigster Wegbereiter der schweizerischen Strafrechtseinheit gilt,911 soll in der Schweiz bis zum Jahre 1894 kein Fall von Leichenschändung bekannt geworden sein, was PFENNINGER für die Zeit bis 1921 bestätigte.912

6.2.2 Eggers Experimente

6.2.2.1 Vorbemerkung

Nach langen und ausholenden Befragungen mit vielen Wiederholungen, Druck-versuchen und unverholenem Unverständnis der Verhörenden kam betreffend die Leichenschändungen eine Wahrheit ans Licht, die den Beteiligten höchst absonderlich vorgekommen sein dürfte: Egger hatte Gerüchte über die Kraft bzw. den Einfluss von Leichenteilen gehört. Und da er, der weder lesen noch

905 MERKEL [1904], S. 28. 906 CRAMER [1885], S. 51. Vgl. unten Kap. 7.1.1. 907 Unter Reraub wurde ursprünglich die Beraubung des Leichnams verstanden. Verbreitet

wurde der Begriff schliesslich in einem engeren Sinn gebraucht: als Beraubung eines vom Räuber Erschlagenen, insbesondere bei Raubmord, vgl. HIS, Teil 2 [1935], S. 211 f.

908 Nekrophilie bezeichnet die sexuelle Betätigung mit Leichen ohne weitere Gewalteinwir-kung; Handbuch gerichtliche Medizin [2003], S. 805. Sie ist in der internationalen statisti-schen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) un-ter «Sonstige Störungen der Sexualpräferenz» (F65.8) eingeordnet.

909 Nekrosadismus ist die Zerstümmelung von Leichen zur sexuellen Befriedigung; Duden – Das grosse Fremdwörterbuch [2007].

910 PFENNINGER HANS FELIX [1921], S. 34. Zum Vampirismus und dem abergläubischen Gedankengut dazu siehe MEYER CARL [1884], S. 345.

911 GSCHWEND, Juristen [1995], S. 589. 912 PFENNINGER HANS FELIX [1921], S. 34.

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schreiben konnte, keine Möglichkeit sah, der Sache anders auf den Grund zu gelangen und ihm seine Neugierde dennoch keine Ruhe liess, beschloss er of-fenbar, das aufgeschnappte abergläubische Gedankengut in wohl damals wie heute höchst befremdlicher Weise mit eigenen Experimenten zu verifizieren oder aber zu widerlegen.

6.2.2.2 Aberglaube und Wissenschaft im frühneuzeitlichen Wettstreit

Der Knochen als Sitz der Seele des Menschen, der Knochen als Glücksbringer913

oder der Knochen eines Ermordeten als Hinweis auf den Mörder914; um die menschlichen Gebeine spinnt sich seit langer Zeit ein breites abergläubisches Gedankengut.915 Verstorbene, die keine Ruhe finden konnten, sollten mit ihrem Bedürfnis nach Erlösung als Geister wiederkehren, wobei sie durchaus nicht gutartig zu sein brauchten.916 Bis ins 18. Jahrhundert war der Glaube an Spuk-gestalten verbreitet, die man sich als halbmenschliche Dämonen vorstellte.917

Noch im späten Mittelalter wurde manchem Missetäter negativ-dämonische Kraft zugeschrieben. Er war vielleicht gar selbst ein Dämon in Menschengestalt, den es zu vertreiben oder zu töten galt. Man verglich ihn mit dem verbreitet als dämonisches Wesen betrachteten Wolf, der als Bedrohung im dunklen Wald lebte und oft nachts, zur Zeit der Dämonen, auf Schlachtfeldern, Begräbnisplät-zen und Hinrichtungsstätten auftauchte. Man sprach ihm eine Vorliebe für Lei-chenfleisch zu.918 Noch in Quellen des späten Mittelalters wurden gewisse Mis-

913 Knochen von Hingerichteten im Geldbeutel sollten dem Kaufmann Glück bringen;

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5 [1933], Sp. 9. 914 Handbuch des Aberglaubens [1999], Bd. 2, S. 455. 915 Ausführlich dargelegte Beispiele abergläubischer Vorstellungen im Mittelalter und den

darauffolgenden Jahrhunderten, insbesondere in verschiedenen Gebieten der Natur und des Lebens, bei MEYER CARL [1884], S. 5 ff.; und in der Sammlung von Sagen, Legenden und Volksaberglauben (Bd. 1) sowie Sitten und Rechtsbräuchen (Bd. 2) von BIRLINGER[1874]. Siehe auch Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 5 [1933], Sp. 6 ff.

916 Zum Geisterglauben und zu einigen seiner Ausprägungen MEYER CARL [1884], S. 347 ff.; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 3 [1931], Sp. 473 ff.

917 Etwa Zwerge, Riesen, Wildleute etc.; HAUSER ALBERT, Leben [1987], S. 128. 918 Der Wolf wurde bisweilen als Urbild des Unheils betrachtet; VON HENTIG, Strafe, Bd. 1

[1954], S. 52. Um den Wolf rankten sich verschiedene abergläubische Überzeugungen. So existierten die Ansichten, sein Geheul bedeute Sterben, Teuerung oder Krieg; MEYERCARL [1884], S. 224.

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setäter, insbesondere Grabschänder, Leichenräuber und Inzesttäter, als Wolf bezeichnet. Sie waren wolfsfrei, durften also von jedermann getötet werden.919

«Es wird dieses Wort in weitläufigen Verstande vor einen Irrthum gebrauchet, da man na-türlichen und menschlichen Dingen etwas göttliches zuschreibt, welches sie nicht an sich haben, sodass daraus ein unvernünfftiger Affect in dem Gemüth entstehet. Es leidet also hierbey unsere ganze Seele Schaden, sowohl in Ansehung des Verstandes als des Wil-lens.»920

So definierte JOHANN HEINRICH ZEDLER den Begriff des Aberglaubens im 1732 erschienenen ersten Band seines «Grossen vollständigen Universallexikon aller Wissenschaften und Künste». JACOB GRIMM verstand unter Aberglaube nicht den gesamten Inhalt des heidnischen Glaubens, sondern die Beibehaltung einzelner heidnischer Gebräuche und Meinungen. Der bekehrte Christ habe die Götter der Heiden verworfen und verabscheut, in seinem Herzen seien aber noch Vorstellungen und Gewohnheiten haften geblieben, die ohne offenen Be-zug auf die alte Lehre der neuen nicht unmittelbar zu widerstreben schienen. Dort, wo das Christentum eine leere Stelle gelassen habe, wo sein Geist die ro-heren Gemüter nicht sogleich habe durchdringen können, habe der Aberglaube oder Überglaube gewuchert.921

Aberglaube oder Superstitio922 bezeichnet Glaubensinhalte oder -formen, die von geltenden religiösen Lehrmeinungen abweichen oder diesen widersprechen, wobei «Aber-» die Bedeutung von «gegen» annimmt.923 Die Begriffe Irrtum und Unvernunft entwickelten sich zu Synonymen für Aberglauben. Unter dem Ein-

919 Weitere Ausführungen und Quellenangaben zu den abergläubischen Überzeugungen so-

wie Erläuterungen zur Hinrichtung von Wölfen und anderen Tieren bei SCHILD, Gerichts-barkeit [1980], S. 65 f. Zur Rolle der Medizin im Dämonenglauben und damit zu den An-fängen der neuzeitlichen Psychiatrie siehe FISCHER-HOMBERGER [1983], S. 136 ff.

920 ZEDLER [1732], Bd. 1, S. 93, Sp. 107 f. 921 GRIMM, Bd. 2 [1854], S. 1059. 922 In seinem «Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart» übersetzte

Johann Christoph Adelung «superstitio» im beginnenden 19. Jahrhundert mit «Überglau-be», vgl. Grammatisch-kritisches Wörterbuch [1811], Stichwort «Aberglaube», Sp. 31. Jacob Grimm führte «superstitio» auf das lateinische «superstes» = «überdauern» zurück und verstand darunter «ein in einzelnen menschen fortbestehendes verharren bei ansichten [...], welche die grosse menge vernünftig fahren lässt», GRIMM, Bd. 2 [1854], S. 1059.Siehe auch SCHILD, Aberglaube [2004], Sp. 8; Handwörterbuch des deutschen Aberglau-bens, Bd. 1 [1927], Sp. 64.

923 Wörterbuch des Aberglaubens [1989], S. 231.

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fluss sich wandelnder gesellschaftlicher und religiöser Strukturen, Normen und Werte änderten sich auch die Inhalte des Aberglaubens.924 Unterschieden werden etwa die Formen Observation (Beobachtung von Zeichen), Divination (willent-lich herbeigeführte Orakel) und magische Kunst (Zauberei), fliessend sind die Übergänge zu Volksfrömmigkeit925 und Astrologie.926 Die Volksfrömmigkeit ist die synkretistische Form religiösen Denkens und Handelns von Individuen und Gruppen, die kirchlich vorgegebene Glaubensinhalte den eigenen Bedürfnissen anpasst. Sie spricht die Sinne, das Gemüt stärker an als den Verstand.927

Der Kampf gegen den Aberglauben geht mit der Aufklärung einher.928 Neben der «gelehrten» Aufklärung, die bereits Ende des 17. Jahrhunderts begann,929

setzte in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine sog. «Volksaufklärung» ein, die zum Ziel hatte, der breiten Bevölkerung vor allem natur-, aber auch andere wis-senschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln.930 Alle Formen magisch-abergläubi-scher Frömmigkeit wurden scharf angegriffen.931 Abergläubischen Vorstellun-gen und Praktiken versuchte man vermehrt vernunftkritisch zu begegnen und sie mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu widerlegen. Im Rechtssystem zo-gen vor allem das Strafrecht mit den Religionsdelikten und innerhalb dieser der Tatbestand der Zauberei932 die aufgeklärte Kritik auf sich.933

924 Zur kirchlichen Einflussnahme auf den Aberglauben LABOUVIE [1990], S. 15 ff.; SCHILD,

Aberglaube [2004], Sp. 9 ff. 925 Zum Begriff der Volksfrömmigkeit und der Kritik daran siehe HUGGER, Volksfrömmig-

keit, e-HLS [2005]. 926 DERENDINGER, Aberglaube, e-HLS [2006]. 927 HUGGER, Volksfrömmigkeit, e-HLS [2005]. 928 SCHWEGLER [2002], S. 42. STUTE [1997], S.106, bezeichnete die Aufklärung als aktive

und aggressive Kampfansage gegen Unvernunft und Aberglauben. 929 Zu nennen sind aus jener Zeit etwa Schriften von Leibniz, Thomasius oder Wolff. Mit

dem Thema Aberglaube bei einzelnen aufklärerischen Autoren befasst hat sich BAUSIN-GER [1963], S. 345 ff.

930 SCHWEGLER [2002], S. 43. Der Aberglaube liess sich nur langsam zurückdrängen. So schrieb etwa ECCARD 1787, auch in diesem erleuchteten philosophischen Jahrhundert stosse man bei jedem Schritt auf einen Menschen, der abergläubisch genug sei, «jede ihm unerklärbare Erscheinung für Würkung einer übernatürlichen Ursache zu halten», S. 3 f.

931 Sowohl Volksglaube wie auch Brauchtum, Wunderglaube und barocke Frömmigkeit wurden kritisiert, VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 139. Siehe auch den Aufsatz von ECCARD [1787].

932 Art. 109 CCC.

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Die rationell argumentierenden Aufklärer verstanden oft nicht, weshalb das Volk trotz ihrer Argumente am Aberglauben festhielt. Schliesslich begannen Bestrebungen, sich mit dem Ursprung abergläubischer Geschichten und Fabeln auseinanderzusetzen und diesen mit wahrscheinlichen Hypothesen zu widerle-gen, die Geschichte also zu «säubern».934

Im 18. Jahrhundert wurden jedoch gegenüber der kleinen gebildeten Elite auch kritische Stimmen laut. So warf etwa ZEDLER den Geistlichen vor, sich durch die vorgegebenen Weissagungen und göttlichen Entdeckungen in ganz besonderes Ansehen und Ehre zu setzen und dabei, was das allerschlimmste sei, das arme Volk in Irrtum und Unwissenheit stecken zu lassen. Mit Beseitigung der Unwissenheit wäre es nicht nur um die abergläubischen Possen, sondern auch um das allzu grosse Ansehen der Geistlichkeit, das diese durch die Dummheit und Einfalt des Pöbels zu erhalten suche, geschehen.935 KRUENITZ

bezeichnete es 1773 als Pflicht der Gelehrten, den Aberglauben nach und nach zu bestreiten und auszurotten.936 In der Populärwissenschaft der Aufklärungszeit sollte das Volk, das grösstenteils ohnehin nicht lesen konnte, nicht direkt durch Schriften aufgeklärt werden, sondern Lehrer und Pfarrer937 sollten als Vermittler zwischen Bildungselite und Volk die Aufgabe übernehmen, das Bildungsniveau des Volkes anhand dieser Schriften zu heben.938 Bei aller Popularisierung blieb

933 Bekannter Kritiker war der Frühaufklärer Christian Thomasius, vgl. SCHWEGLER [2002],

S. 43. Die Entlarvung des Aberglaubens wurde durch physikalisch-technische Erklärun-gen zuvor unerklärlicher oder als magisch interpretierter Phänomene betrieben. Die Her-kunft magischer, abergläubischer Praktiken wurde historisch-kritisch erörtert; BAUSINGER [1963], S. 346; auch SIMON, Aufklärung [2005], Sp. 336 f.; HATTENHAUER [2004],S. 597, Rz. 1619.

934 Mit weiteren Quellenangaben STUTE [1997], S. 118 f. 935 ZEDLER [1732], Bd. 1, S. 95, Sp. 111. In dieselbe Richtung zielte ECCARD [1787], S. 7 ff.

Ausführlich zu Wunderwerken und Wunderzeichen im christlichen Glauben SCHWEGLER [2002], S. 49 ff.

936 KRÜNITZ, Bd. 1 [1773], 1. Theil, Stichwort «Aberglaube», S. 42. Oft würden allerhand Laster mit abergläubischen Meinungen verdeckt, so Kruenitz. Den Ursprung des aber-gläubischen Denkens sah er in der Unwissenheit der Natur- und Geisterlehre der Alten.

937 Geistliche sollten im 18. Jahrhundert nicht selten eine Mischung aus Aufklärung und Be-lehrung, sozialer Disziplinierung und erzieherischer Lächerlichmachung zur Bekämpfung von Aberglauben und Magieanwendung gebrauchen; siehe LABOUVIE [1990], S. 51. Zu Pfarrschulen ab dem 16. Jahrhundert und ihrer Bedeutung für die Alphabetisierung SCHINDLING [1994], S. 86 f.

938 STUTE [1997], S. 162.

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die Aufklärung jedoch eine an Schriftlichkeit und «vernünftigen» Regeln orien-tierte Bewegung, die somit lange Zeit kaum Eingang in das gemeine Volk fand.939

In der frühen Neuzeit erwarb die ländliche, aber auch die städtische Bevölke-rung ihr praktisches wie ihr moralisches Wissen vor allem mündlich. Nur eine kleine Gruppe musste aufgrund ihres Amts oder Berufs über gelehrtes Wissen verfügen. Durch Schule oder Bücher vermitteltes Wissen gewann erst im 18. Jahrhundert an Relevanz.940 Das Erzählgut gehörte hingegen schon früher zur Volksbildung. Auf diese Weise vermittelten nicht nur die Alten den Jungen ihr Wissen; gelauscht wurde auch Fremden,941 die von anderen Sitten, Men-schen, allenfalls sogar Ländern berichten konnten. So wurden insbesondere die Jahrmärkte zu einer Art «Nachrichtenbörse», wobei stets auch Erzählungen über Gespenster, Teufel und Hexen zum Besten gegeben wurden.942 Erst die Volks-aufklärer begannen, die Erzählkultur zu kritisieren. Sie wandten sich gegen den beschränkten Wissensstand und waren der Ansicht, das Erzählen würde nicht nur den Aberglauben verbreiten helfen, sondern die Menschen auch ängstlich machen.943

Im Jahrhundert der Aufklärung sei vieles, das morsch und lebensunfähig ge-worden sei, gefallen und weggefegt worden, schrieb der St. Galler Nervenarzt KARL IMBODEN. Auch in der ärztlichen Wissenschaft sei noch manch mittelal-terliches Trümmerstück für immer weggeräumt worden.944 Bis ins Zeitalter der Aufklärung waren Wissenschaft und Bildung untrennbar mit der Religion ver-bunden, die als Legitimationsgrundlage und Welterklärungssystem den Staat und das gesellschaftliche Zusammenleben begründete.945 Ab dem späten 17. und insbesondere im 18. Jahrhundert wurden Wissenschaft und Bildung schliesslich 939 VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 214 f. Aller Aufklärung zum Trotz verlor auch die

Volksfrömmigkeit im 18. Jahrhundert kaum an Stärke. Der Kirchgang war jedoch für vie-le Menschen mehr Sitte als spirituelles Bedürfnis. Man befolgte zwar die christlichen Ge-bote einigermassen, erwartete dafür aber auch gewisse Gegenleistungen; HAUSER AL-BERT, Leben [1987], S. 129.

940 VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 153 f.941 Unter ihnen gab es regelrechte Wandererzähler. 942 VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 156.943 VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 157.944 IMBODEN [ca. 1915], S. 19. 945 VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 137.

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immer stärker geprägt von einer voranschreitenden Säkularisierung des Den-kens, die unter dem Einfluss der Aufklärung zu verstärkter Entfaltung kam.946

Die Aufklärung wollte die Wissenschaft fördern, Wissen allgemein verbreiten und das menschliche Denken grundsätzlich der Vernunft unterwerfen, wobei Erkenntnis und Wahrheit Ideal und Ziel waren.947 Die Aufklärung förderte schliesslich auch den Praxisbezug der Bildung und der Wissenschaften.948

Bis ins ausgehende 18. Jahrhundert waren im Schulwesen der Fürstabtei St. Gallen Kirche und Staat identisch. Der Abt waltete zugleich als oberster Schulherr. In den beiden letzten Jahrhunderten vor Aufhebung des Klosters setzten sich die Äbte in verschiedener Hinsicht für die Hebung der Volksschu-len ein.949 Abt Cölestin baute die von seinem Vorgänger Abt Joseph errichteten Freischulen, in denen kein wöchentliches Unterrichtsgeld mehr errichtet werden musste,950 massiv aus.951 Bedeutende Fortschritte im Schulwesen wurden schliesslich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der Einführung der Normalschule nach österreichischem Vorbild erzielt.952 Die neue Methode zog die Schüler zum eigentlichen Unterricht zu Klassen zusammen, hielt das einzel-ne Kind in der Erziehung aber zu Wahrhaftigkeit und Rechtschaffenheit an.953 In der frühen Neuzeit waren die Bildungsmöglichkeiten in den meisten Städten und Marktflecken generell besser als in den Dörfern. Zum allmählichen Ausbau

946 SCHINDLING [1994], S. 46 sowie S. 87 zur Säkularisierung der Lektüre im 18. Jahrhun-

dert.947 VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 3 [1994], S. 212; ECCARD [1787], S. 10 f. Die gesamte

Menschheit wurde als des Fortschritts fähig erachtet, wobei Erziehung und Unterricht die Tore für eine bessere Zukunft öffnen sollten; THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 2. Halbband [1972], S. 704 f.; THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 61.

948 SCHINDLING [1994], S. 47. Im Zuge der Aufklärung erreichten immer mehr an die breite Bevölkerung gerichtete Medizinbüchlein den «gemeinen Mann»; zur Volksmedizin in je-ner Zeit BRÄNDLI [1990], S. 105 f.

949 WEISS [2005], S. 265.950 Der Schulmeister wurde aus Schulstiftungen, Armenfonds sowie Kirchen- und Gemein-

debeiträgen finanziert; WEISS [2005], S. 266. 951 WEISS [2005], S. 266. 952 THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 2. Halbband [1972], S. 704; BAUMANN MAX [2003], S. 74. 953 THÜRER, Geschichte, Bd. 2, 1. Halbband [1972], S. 64 f. Die Schulreform wurde von

weltoffenen Geistlichen und Laien zwar sehr begrüsst, sie stiess aber auch auf Kritik, be-sonders laut geäussert etwa vom Offizial Pater Iso Walser, der der Reform zu viel Welt-lichkeit und aufklärerischen Geist vorwarf, siehe WEISS [2005], S. 267; BAUMANN MAX[2003], S. 74.

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des Schulwesens kam es zwar auch auf dem Land, doch der Lernerfolg scheiter-te oft an fehlenden Geldmitteln, an schlechter Qualität der Lehrer und an der mangelnden Einsicht weiter Volkskreise.954

Trotz der fortschrittlich anmutenden Einführung der Normalschule verhielten sich die Konventualen der Fürstabtei grundsätzlich abwehrend gegenüber der Aufklärung.955 Dennoch setzten sie sich mit ausgewählten Inhalten aufkläreri-schen Denkens auseinander, profitierten im Einzelnen von den neuen Erkennt-nissen und machten sie sogar für die Pflege der Eigentradition nutzbar.956

Während in anderen katholischen Orten die Jesuiten durch ihre schulische Tätigkeit Einfluss und Bedeutung erlangten und bis zur (vorübergehenden) Aufhebung des Ordens 1773 im mittleren und höheren Bildungswesen von ei-nem eigentlichen jesuitischen Schulmonopol gesprochen werden kann,957 bilde-ten die Abteien St. Gallen und Einsiedeln eine Ausnahme.958 Die Jesuiten konn-ten in diesen Institutionen nicht Fuss fassen.959 Im 16. Jahrhundert waren von Rom aus erfolglos Versuche unternommen worden, im stiftsanktgallischen Ter-ritorium eine Jesuitenniederlassung zu errichten.960 Jesuitisches Gedankengut fand aber dennoch teilweise seinen Weg in die Fürstabtei, studierten doch insbe-sondere bis 1620 viele St. Galler Konventualen an von Jesuiten geführten Hoch-schulen im Ausland.961

Die Buchbestände in den Familien beschränkten sich bis ins 18. Jahrhundert hinein auf die Bibel oder auf biblische Geschichten sowie allenfalls Andachts- und Erbauungsbücher. Die meisten Bücher wurden von Generation zu Genera-tion weitergegeben und immer wieder gelesen, wobei die Beziehung zum Inhalt 954 BAUMANN MAX [2003], S. 75.955 GEMPERLI [2005], S. 26. Immerhin liess insbesondere Abt Beda gewisse gemässigte An-

sätze bildungsfreundlicher und gemeinnütziger Aufklärung zu; ETTIN, Benediktiner, e-HLS [2007].

956 MARTI [2003], S. 70, vertritt die Auffassung, dass die Aufklärung von den massgeblichen Konventualen zwar weniger als Bedrohung des Klosterstaats, wohl aber als Eingriff in die monastische Lebensweise begriffen wurde.

957 Dieses Monopol bestand insbesondere bei der höheren Schulbildung der (männlichen) Jugend; HARTMANN [2001], S. 68.

958 BISCHOF, Jesuiten, e-HLS [2008]. 959 BAUMANN MAX [2003], S. 58. 960 SCHMUCKI [1991] (ohne Seitenzahl). 961 So insbesondere in Dillingen, Ingolstadt und Rom; SCHMUCKI [1991] (ohne Seitenzahl).

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in der Regel völlig unkritisch war.962 Das Bedürfnis nach geschriebenen aktuel-len Nachrichten war nicht ausgeprägt, sodass die im ausgehenden 17. Jahrhun-dert in St. Gallen erschienene «Ordinari Neue Wochen-Zeitung»963 nur während weniger Jahre gedruckt wurde. Erst im 19. Jahrhundert begannen sich Zeitungen durchzusetzen.964 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Wunsch nach neuer Literatur langsam hörbar und allmählich lauter. Im Zuge der Aufklä-rung begann man zudem, das Gelesene kritisch durchzudenken und zu beurtei-len. Im ausgehenden 18. und schliesslich im 19. Jahrhundert bildeten sich Lese-gesellschaften965 und öffentliche Bibliotheken.966 Die Diskussion aufklärerischen Gedankenguts ging klar von der gebildeten Oberschicht aus.967

6.2.2.3 Die Geköpfte und die Wöchnerin

Auch wenn die Obrigkeit, die Egger verhörte, offenbar Zweifel daran hatte, ob er tatsächlich nicht lesen konnte und ob er nicht vielleicht doch einiges über anatomische Zusammenhänge wusste, lassen sich in diese Richtung zielende Vermutungen durch die Akten nicht belegen. Vielmehr ist wahrscheinlich, dass Egger, in dessen Haushalt nach Angaben seiner Ehefrau als einzige Bücher drei Gebetbüchlein ihrer Töchter existierten,968 tatsächlich weder lesen noch schrei-ben konnte. Obwohl in räumlicher Nähe zur Stadt St. Gallen, lebte Egger in den Strukturen der Alten Landschaft doch ländlich. Er bewirtschaftete einen Hof. Vor dem Hintergrund der zu jener Zeit in den Stiftslanden vorherrschenden Schulstrukturen erscheint naheliegend, dass der 1746 geborene Egger nie zur Schule ging. Praktisches Wissen, insbesondere zur Bewirtschaftung des Hofs, hatte er sich wohl mit Hilfe seiner Vorfahren angeeignet. Über «gelehrtes» Wis-sen in irgendeiner Form dürfte er kaum verfügt haben.

962 BAUMANN MAX [2003]. S. 78 f. 963 Gedruckt wahrscheinlich von 1681 bis 1686; KALKOFEN [1999], S. 825. 964 KALKOFEN [1999], S. 825 f.; LEMMENMEIER [2003], S. 89. 965 Die möglicherweise erste Lesegesellschaft der Schweiz entstand 1703 in St. Gallen,

EBERLE [1999], S. 651 f.; KALKOFEN [1999], S. 818 f.; LEMMENMEIER [2003], S. 84. 966 Einen Überblick mit weiteren Quellenangaben liefert BAUMANN MAX [2003], S. 81 f. 967 BAUMANN MAX [2003], S. 83. 968 Dok. 16, Zeugenaussagen der Ehefrau, S. 9.

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Obwohl bis 1775 zweifellos einige Gedanken der Aufklärung in die Stifts-lande vorgedrungen waren, ist nicht anzunehmen, dass der einfach lebende Landwirt Egger davon viel mitbekommen hatte. Er scheint viel eher in her-kömmlichen, in vielen Belangen gänzlich unkritischen Denkstrukturen und Überlieferungen haften geblieben zu sein. Mit der kleinen gelehrten Ober-schicht, die in der Alten Landschaft insbesondere aus Geistlichen bestand, dürf-te er kaum je in Berührung gekommen sein. Offensichtlich verfügte er nicht über die Voraussetzungen, sich kognitiv und vernunftbestimmt mit überliefer-tem, abergläubischem Gedankengut auseinanderzusetzen. Immerhin fällt im Zusammenhang mit seinen Experimenten an den Leichnamen der geköpften Elisabeth Han und der Wöchnerin Maria Baumann auf, dass er den abergläubi-schen Erzählungen von Johannes Geser eine gewisse Skepsis entgegen brachte. Anders als vermutlich einige seiner Zeitgenossen nahm er das Gehörte nicht ohne weiteres für bare Münze. Dennoch gelang es ihm nicht, den Gerüchten gar keinen Glauben zu schenken und sie als abergläubisches Gerede abzutun. Weil er keine andere Möglichkeit sah – insbesondere wohl, weil er keinen Zugang zu Erkenntnissen der Wissenschaft hatte –, beschloss er möglicherweise, sich selbst zu helfen. Er wollte seine Neugierde dadurch befriedigen, dass er das Ge-hörte ausprobierte.

Der Körper von Maria Baumann war auf dem Kirchhof in geweihter Erde begraben. Nach den Erzählungen von Geser finde man keine Rast und Ruhe mehr, wenn man etwas vom Kirchhof in seinem Haus habe. Der Leichnam von Maria Baumann sollte Egger helfen, diese Behauptung, die er nicht so recht glauben konnte, zu überprüfen. Die Leiche von Elisabeth Han, von der er ja be-reits seit deren Enthauptung knapp zwei Jahre vor dem Prozess verschiedene Körperteile bei sich zuhause aufbewahrte, hätte ihm nach seiner Vorstellung für diesen Versuch wohl nicht geholfen, da diese als geköpfte Straftäterin unter dem Galgen und somit nicht in geweihter Erde begraben worden war.969

Im Verhör gab Egger zu Protokoll, zur Ausgrabung der Leiche von Maria Baumann «gezwungen» gewesen zu sein und keine Ruhe mehr gefunden zu ha-ben, bis er sie schliesslich ausgegraben und in seinem Stall versteckt habe.970 An

969 Siehe die entsprechende Aussage in Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 241. 970 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 83.

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dieser Version hielt er im letzten Verhör vom 7. März 1775 nur teilweise fest. Er gab zu, er habe mit Maria Baumanns Leiche die abergläubischen Erzählun-gen Gesers überprüfen wollen, beharrte jedoch darauf, in den Weihnachtstagen «weder rast, noch ruehe gehabt [zu haben], bis er es gethan habe».971 Das Ge-richt glaubte ihm nicht. Die skeptischen Fragen, die Egger danach noch gestellt wurden, deuten darauf hin, dass die Verhörenden die Vorstellung sehr befrem-dete, jemand könne extra ein Grab ausräumen, um etwas vom Kirchhof bei sich zuhause zu haben und zu testen, ob es daraufhin tatsächlich «rumple» bzw. man vom Geist des Toten heimgesucht werde. Wie bereits erwähnt, waren derartige abergläubische Vorstellungen von den Geistern von Toten, die noch nicht erlöst worden waren und darum wieder zu den Menschen zurückkehrten, keine Sel-tenheit. Das Gericht zeigte dafür jedoch wenig Verständnis. Vor lauter Unglau-ben verzichtete es schliesslich sogar darauf, Egger nach dem Ergebnis dieses Experiments mit der Leiche der Wöchnerin zu fragen.

Egger bestritt anfänglich, mit dem Leichnam von Maria Baumann irgendet-was gemacht zu haben.972 Nach beharrlichem Nachfragen bekannte er schliess-lich, das Herz herausgeschnitten zu haben, was er damit begründete, er habe verhindern wollen, dass es beim Transport ins Galgentobel tropfe.973 Vor dem Hintergrund der anderen Experimente Eggers dürfte dies nicht die wahre Moti-vation gewesen sein. Freilich umgab auch das menschliche Herz vielfältiges abergläubisches Gedankengut. Das Herz gilt in Sagen und Märchen als Sitz des Lebens und der Seele,974 herzförmige Amulette sollten gegen Verhexung und den bösen Blick helfen. Herzkrankheiten glaubte man von Dämonen verur-sacht.975 Fideli Burckhard, der Knecht des Scharfrichters, der im August 1773 den in den Stauden des Galgentobels gefundenen Leichnam von Elisabeth Han wieder vergraben musste, hatte bereits damals gemutmasst, jener Leiche könnte das Herz aus dem Körper genommen worden sein, da «spizbueben allerhand abergläubische Sachen damit trieben».976 Der Leichnam von Elisabeth Han wur- 971 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 241. 972 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 83, 92. 973 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 106. 974 Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 3 [1931], Sp. 1797. 975 Handbuch des Aberglaubens, Bd. 2 [1999], S. 364. 976 Dok. 1, Zeugenaussagen von Sattlermeister Wettach und den Knechten des Scharfrichters,

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de damals jedoch nicht untersucht. Das Gericht ging schliesslich dem Motiv Eggers für die Entfernung des Herzens bei der Leiche von Maria Baumann nicht weiter nach.

Die Leiche von Elisabeth Han hatte Egger nach ihrer Hinrichtung im Juni 1773 aus ihrer Ruhestätte unter dem Galgen ausgegraben, ihr die Haut abgezo-gen und diese mit nachhause genommen. In der dritten Einvernahme vom 20. Februar 1775 gab Egger an, die Haut der Leiche unter seinem Stadeldach aufs Stroh gespannt zu haben, worauf die Mäuse die Haut ziemlich zerfressen hätten.977 Bei der vierten Einvernahme am 21. Februar 1775 nannte Egger schliesslich den Grund für diese Tat: Ein Zimmermann habe ihm 14 Jahre zuvor gesagt, die Haut des St. Bartholomäi liege noch ganz im ehemaligen Kloster St. Katharina in der Stadt.978 Damit lieferte Egger den Grund für das Häuten der Leiche von Elisabeth Han. Doch sein Experiment glückte offensichtlich nicht; die Haut blieb nicht etwa unbeschädigt wie jene des St. Bartholomäi, sondern wurde von den Mäusen zerfressen. Egger mochte diesen Versuch als Beweis dafür gewertet haben, dass im ehemaligen Kloster St. Katharina unmöglich noch die ganze Haut des St. Bartholomäi liegen könne, oder dass nur die Haut von Heiligen unbeschadet bleibe – da das Gericht diesen Versuch Eggers im Verhör nicht mehr aufgriff, bleibt unklar, welche Schlüsse Egger aus dem Ergebnis die-ses Experiments gezogen hatte.

Der menschlichen Haut wurde im abergläubischen Gedankengut grosse Be-deutung beigemessen. Abgezogene Haut spielte unter anderem in «volksmedi-zinischen» Riten eine Rolle, wo man etwa gegerbte Menschenhaut als geburts-fördernde Leibbinde umlegte.979 Weiter herrschte bisweilen die Meinung vor, Leder aus Menschenhaut sei stärker als alles andere, aber mit solchen Schuhen dürfe man nie geweihte Erde betreten.980 Mit Hilfe eines Gürtels aus Menschen-haut könne man sich in einen Werwolf verwandeln.981 Leider verraten die Ver-fahrensakten im Fall Egger nicht, ob ihm derartiges Gedankengut bekannt war.

977 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 154. 978 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 160. 979 Wörterbuch des Aberglaubens [1989], S. 89 f.; Handwörterbuch des deutschen Aberglau-

bens, Bd. 3 [1931], Sp. 1583 f. 980 Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 3 [1931], Sp. 1584. 981 Handbuch des Aberglaubens, Bd. 2 [1999], S. 344.

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Spätestens seit Eggers Erklärungen vom 21. Februar 1775 zum Hintergrund seines Versuchs mit der Haut vermutete das Gericht, dass auch hinter den übri-gen «Experimenten» Aberglaube stecken könnte. Beim Verhör Eggers vom 22. Februar fragte man ihn, ob er nie etwas von Segensprechereien und derglei-chen gehört habe.982 Weiter befragte man seine Ehefrau am 23. Februar, was für Schriften, Bücher oder anderers bei ihnen zuhause vorhanden seien und was für Leuten Egger Unterschlupf gewährt habe.983 Maria German erzählte daraufhin von einem Mann, der einmal eine Nacht in ihrem Stall übernachtet habe und abends bei ihnen in der Stube allerhand vom Krieg und der Galeere erzählt ha-be. Während des Frühlingsjahrmarkts habe zudem einmal ein Ehepaar vier oder fünf Nächte bei ihnen im Heu übernachtet. Sie wisse nicht, was Egger mit ihnen geredet habe.984 Dem Gericht war bekannt, dass im Rahmen von Jahrmärkten, die viele Leute von auswärts anzogen, die verschiedensten Geschichten erzählt wurden und auf diesem Weg häufig auch Aberglaube verbreitet wurde. Den Befragern lag offensichtlich daran herauszufinden, was bzw. wer Eggers Neu-gierde geweckt haben könnte.

Ob alle Versuche Eggers einen abergläubischen Hintergrund hatten, ist un-klar. Der Leiche von Maria Baumann trennte er etwa Brust und «rückhengrath» heraus, letzteres angeblich, um sie besser transportieren zu können.985 Ob dies tatsächlich der Grund war, ist zumindest fraglich. Denkbar wäre, dass nicht nur der Aberglaube Egger antrieb, sondern er die Gelegenheit nutzte und gleich noch detailliert betrachtete, wie der menschliche Körper von innen aussieht. Doch dies bleibt Spekulation.

Die Akten vermitteln das Bild, dass die Untersuchenden mit den Leichen-schändungen Eggers überfordert waren. Zweifelsohne empfand man Eggers Ex-perimente als abstossend und schockierend. Denkbar ist, dass hinter den «Ver-suchen» Eggers mit den Leichen ein sexuelles Motiv vermutet wurde; in diese Richtung zielende Fragen finden sich in den Verhörprotokollen und den übrigen Akten jedoch keine. Das Gericht unterliess es schliesslich, diese Taten rechtlich einzuordnen und selbstständig zu bestrafen. Auch wenn im Rahmen der pfalzge- 982 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Frage 222. 983 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 9. 984 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 10. 985 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antworten 118 und 132.

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richtlichen Beratung am 3. März 1775 offenbar erwogen worden war, Egger zur Ergründung seines Motivs zu foltern, verzichtete man schliesslich darauf mit dem Hinweis, dass bereits der von ihm verübte Totschlag die Todesstrafe recht-fertige.986

986 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91.

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Urteil und Strafe

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7.1 Das Strafsystem

7.1.1 Poena ordinaria und extraordinaria

Neben der poena ordinaria, der ordentlichen, in der Carolina vorgesehenen Stra-fe, existierte die poena extraordinaria und gewann an Bedeutung. Die Carolina enthält keinen abschliessenden Katalog der als strafbar zu betrachtenden Hand-lungen. In Art. 105 enthält sie eine Art Generalklausel, nach der es Richter und Urteilern obliegt, betreffend nicht explizit in die Carolina aufgenommene Taten zu beraten, wie den kaiserlichen Rechten und der Halsgerichtsordnung entspre-chend «am gemessigsten gehandelt vnnd geurtheylt werden soll». In den Jahr-hunderten der Geltung der Carolina kam es zudem vor, dass gewisse Strafen als dem jeweiligen Rechtsempfinden nicht mehr angemessen und nicht mehr trag-bar erachtet wurden.987 Um den Bedürfnissen der praktischen Rechtspflege ge-recht zu werden, entwickelte sich die Lehre von den crimina extraordinaria.

Die poena extraordinaria, verstanden als nicht gesetzlich, sondern nur vom Richter festgelegte Strafe, überschneidet sich mit dem Begriff der poena arbitra-ria, worunter man die im richterlichen Ermessen stehende mildere Strafe ver-steht.988 Drängte die Fallbetrachtung zur Strafmilderung, so berief man sich dar-auf, dass die dem Angeklagten vorgeworfene Tat nicht ganz dem normalen Verbrechenstyp entspreche.989 Die Ausnahmestrafe kam zum Zug, wenn das Ge-setz für bestimmte verbotene Fallgestaltungen keine Strafe enthielt, sowie dort, wo das Gesetz für das als strafwürdig erachtete Verhalten keinen Deliktstypus zur Verfügung stellte.990 Misslang der Vollbeweis einer Tat oder wurde das De-likt zwar versucht, aber nicht vollendet, wurde die poena extraordinara ange-wendet.991

987 SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], S. 166 f. 988 SCHMOECKEL [2000], S. 296; KLEINHEYER, Carolina [1984], S. 13. 989 WESEL [2006], S. 399. 990 SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965 ], S. 167. 991 Zum Ganzen SCHLOSSER, ZNR [1988], S. 22 f.; SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege

[1965], § 155 S. 167.

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Aufgabe der Strafrechtswissenschaft war es, Gesichtspunkte zu entwickeln, die dem Richter möglicherweise unter Abweichung vom überkommenen Gesetz die Verhängung der poena extraordinaria ermöglichten.992 Nach der Strafrechts-wissenschaft durfte die poena extraordinaria nicht als Todesstrafe verhängt wer-den.993 Auch die Verstümmelungsstrafe sollte nach überwiegender Ansicht stets poena ordinaria sein.994 Allmählich setzte sich die Meinung durch, dass die poe-na extraordinaria auch als Verdachtsstrafe995 und ohne Geständnis ausgespro-chen werden dürfe. Nur die Verhängung der poena ordinaria erforderte nach gemeinrechtlicher Lehre den vollen Beweis.996

7.1.2 Todesstrafe

Die Carolina nennt die Todesstrafe als poena ordinaria für viele Delikte. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit konnten Todesstrafen je nach Deliktsart verschärft werden, beispielsweise durch Rädern anstelle der Enthauptung durch das Schwert. Dies hatte seinen Ursprung in einer gewissen Unsicherheit dar-über, ob die Todesstrafe wirklich als die härteste und abschreckendste Strafe anzusehen war, zumal die religiösen Jenseitsvorstellungen997 dem Tod viel von seinem Schrecken nahmen. Durch langes Leidenlassen des Delinquenten sollte deswegen die abschreckende Wirkung verstärkt werden.998 Die peinlichen Le-bensstrafen wurden auf dem sog. endlichen Rechtstag in einer öffentlichen Hin-richtungszeremonie vollstreckt.999 Der Vollzug des Todesurteils stellte oft ein

992 Mit Hinweisen auf die entsprechenden Lehren von Carpzov und Böhmer SCHMIDT EBER-

HARD, Strafrechtspflege [1965], S. 167 f. Der Kriminalist und Carolina-Kommentator Jo-hann Samuel Friedrich Böhmer, Sohn des Kirchenrechtlers Justus Henning Böhmer, lebte von 1704 bis 1772; HESS [2005], Sp. 640.

993 GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 169. 994 PÖLTL [1999], S. 51 f.; SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 155, S. 167;

SCHMOECKEL [2000], S. 351. 995 ROTH [1998], Sp. 681 ff. 996 GSCHWEND, Geständniszwang [2006], S. 169. 997 Vgl. Kap. 6.1.1. 998 SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 127; SCHMIDT EBERHARD, Strafrechts-

pflege [1965], § 174, S. 186. Insbesondere zum Tod als neuem Anfang VON HENTIG, Stra-fe, Bd. 2 [1955], S. 34 ff.

999 RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 35, Rz. 66; S. 56, Rz. 110; VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 10 und S. 38 ff.; HENKEL [1968], S. 43; vgl. auch Art. 79 und 97 CCC.

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eindrückliches Ritual dar; die Bestrafung sollte eine möglichst grosse Abschre-ckungswirkung nach sich ziehen.1000

Die Carolina kennt neben der Feuer- und der Schwertstrafe die Vierteilung, die Räderung, den Galgen, das Ertränken und das lebendig Vergraben.1001 Die Enthauptung wurde als «ehrliche» Todesstrafe betrachtet, die Ehre des Delin-quenten und seiner Familie wurde bei dieser Strafart also nicht verletzt.1002 Seit dem 17. und insbesondere im Lauf des 18. Jahrhunderts, in dem immer mehr Stimmen gegen die Todesstrafe laut wurden,1003 begann man sie einzuschränken und auf die Strafschärfungen zu verzichten.1004

Die im 18. Jahrhundert am häufigsten praktizierte Hinrichtungsart war schliesslich die Enthauptung.1005 Es wurden im Übrigen zunehmend Begnadi-gungen ausgesprochen.1006 Anstelle der Todesstrafe setzten sich die Freiheits- und die Arbeitsstrafe als ausserordentliche Strafen immer weiter durch.1007

7.1.3 Freiheitsstrafen

In der frühen Neuzeit, in deren Strafsystem die peinlichen Strafen bei Weitem überwogen, spielte der Freiheitentzug nur eine untergeordnete Rolle. Gefängnis-se dienten in der Regel zur Verwahrung von Gefangenen während der Untersu-

1000 PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 128, Rz. 199. 1001 Zu den einzelnen Arten der Todesstrafe SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 197 ff.; HIS,

Teil 1 [1920], S. 491 ff. Die Rohheit und Grausamkeit der Strafen insbesondere seit dem Mittelalter haben die Forschung und Lehre breit beschäftigt und sind immer wieder als unfassbar kommentiert worden. In der neueren Forschung wird jedoch vermehrt bezwei-felt, dass das Strafsystem insbesondere im Spätmittelalter tatsächlich noch so grausam und hart war, wie man bisher angenommen hatte; EISENHARDT ULRICH [2004], S. 80,Rz. 107.

1002 Im Gegensatz dazu galt etwa das Erhängen als unehrenhafte, schändliche Tötungsart; VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 109 und S. 118; SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 198 ff.; SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 57.

1003 Einen Überblick über die Diskussion der Todesstrafe im aufgeklärten Absolutismus liefert SENN [2007], S. 273 ff.

1004 SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 58. 1005 VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 118 und S. 120; BLESS-GRABHER [2003], S. 275.1006 RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 82 f., Rz. 169; S. 101, Rz. 225; VAN DÜLMEN, Theater

[1995], S. 108, S. 111 und S. 115. Vgl. unten Kap. 7.1.5. 1007 Siehe sogleich Kap. 7.1.3 und 7.1.4.

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chung und gegebenenfalls bis zur Hinrichtung.1008 Anstelle einer Geldbusse war nach der Carolina bei leichtem Diebstahl eines zahlungsunfähigen Delinquenten subsidiär eine begrenzte Gefängnisstrafe möglich.1009 Vereinzelt kennt die Caro-lina die Gefängnisstrafe auch beim Vorliegen von Strafmilderungsgründen.1010

Im Zuge der Aufklärung wurde die Forderung laut, nutzlose und verrohende alte Strafen durch Freiheitsstrafen und insbesondere durch nützliche Arbeit im Ge-fängnis zu ersetzen.1011 Die Strafe sollte eine Wiedergutmachung im Dienste der Gesellschaft darstellen und dieser nützlich sein.1012 In der neueren Forschung wird verschiedentlich betont, dass die Reform des Strafvollzugs nicht einseitig als zivilisatorischer und humanitärer Fortschritt zu werten sei. Den Reformern sei es nicht nur oder sogar nicht primär um eine Milderung der Strafpraxis ge-gangen, sondern um eine Verbesserung ihrer Effizienz.1013

Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert wurden in grösseren Städten Zucht-, Korrektions- und Arbeitshäuser eingerichtet, die vor allem dazu dienten, Bettler und Gesindel von der Strasse wegzuschaffen.1014 Da sie schliesslich vermehrt auch Straftäter aufnahmen, dienten sie neben der Armenpflege bald auch der

1008 HINCKELDEY [1989], S. 350 f.1009 Art. 157 CCC. 1010 Art. 10, 102 und 192 CCC. 1011 Das durch Unberechenbarkeit und Unverhältnismässigkeit gekennzeichnete alte Strafrecht

musste mit der Aufklärung auf längere Sicht seine Glaubwürdigkeit verlieren; KRAMER[2007], S. 92; siehe auch SIMON, Aufklärung [2005], Sp. 337.

1012 VAN DÜLMEN, Alltag, Bd. 2 [1992], S. 274. Die Zuchthausstrafe entsprach dem Geist des aufgeklärten Absolutismus. Der Staat nahm sich das Recht, Verbrecher zwangsweise zu erziehen und die Öffentlichkeit vor ihnen zu schützen; ZWICKY [1982], S. 7. Spätestens im ausgehenden 18. Jahrhundert hatte sich bei den Strafrechtsreformern die in der Länge be-liebig variierbare Freiheitsstrafe als favorisierte Strafform herauskristallisiert; vgl. die Übersicht bei KRAMER [2007], S. 91 ff.

1013 Mit Darstellung der Lehrmeinungen KRAMER [2007], S. 90. Als Beispiel zur älteren Leh-re QUANTER, der es den «energische[n] Herzensergüsse[n]» von «einsichtsvollen Rechts-gelehrten» zuschreibt, dass die Machthaber sich langsam darauf besannen, dass «die Ca-rolina nicht zum blossen Vergnügen für unterhaltungsbedürftige Leser bestimmte, die Ge-fängnisse sollten nicht zur Peinigung, sondern nur zur Verwahrung der Gefangenen einge-richtet werden»; QUANTER, Zuchthaus [1905], S. 115. Siehe auch SCHMIDT EBERHARD,Zuchthäuser [1960], S. 9 f.

1014 HINCKELDEY [1989], S. 351; CURTI [1988], S. 1 f.; SCHMIDT EBERHARD, Zuchthäuser [1960], S. 6 f.; SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 105.

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Strafrechtspflege und erfüllten damit einen Doppelzweck.1015 Die Insassen muss-ten oftmals strenge Arbeit verrichten. Nicht selten versuchte man auf sie auch religiös Einfluss zu nehmen.1016 Wenngleich durch solche Anstalten gewisse Probleme zumindest dem Anschein nach gelöst wurden, schufen sie auch einige neue. So beschrieb etwa RADBRUCH solche Anstalten als Pflanzstätten des Las-ters und des Verbrechens.1017

Ländliche Gebiete verfügten kaum je über Vollzugsanstalten irgendwelcher Art. Auch die Einrichtung von sog. Schellenwerken blieb weitgehend den Städ-ten vorbehalten. Die Schellenwerker wurden zwangsweise in der Öffentlichkeit beschäftigt und dabei durch ein mit einer Schelle versehenes Zwangsgerät ge-kennzeichnet.1018

Die ursprüngliche Erziehungsfunktion, die solchen Anstalten zukommen soll-te, wurde vielerorts bald von wirtschaftlichen Überlegungen überlagert.1019 In der Zeit des Merkantilismus im 17. und 18. Jahrhundert waren die Insassen der Zuchthäuser willkommene billigste Arbeitkräfte in Produktionsstätten im Inte-resse des Staats.1020 Die verlangten Arbeitsleistungen waren oft schwer und kräf-tezehrend, die Behandlung durch die Beaufsichtiger rücksichtslos, die Verpfle-gung schlecht. Diese neue Art der Körperpeinigung lässt sich wohl mit den alten peinlichen Leibesstrafen vergleichen, wobei die Qualen nunmehr für militäri-sche und andere öffentliche oder wirtschaftliche Zwecke nichtkriminalistischer Art nutzbringend waren.1021 SCHMIDT charakterisierte die Arbeitsstrafen deswe-gen als Leibesstrafen neuer Art, «wenn man in ihnen nicht geradezu verlängerte 1015 GRAF [1996], S. 37; MAYER MARCEL, Delinquenten [1987], S. 60 f.; PAHUD DE MOR-

TANGES [2007], S. 131, Rz. 131. 1016 ZWICKY [1982], S. 5; HINCKELDEY [1989], S. 351. HIPPEL [1941], S. 35, bezeichnete die

allmähliche Milderung des Strafensystems der Carolina durch die Verbreitung der auf dem Besserungszweck beruhenden Freiheitsstrafe als Lichtblick in der Zeit willkürlichster Bestrafung.

1017 RADBRUCH, Verbrechen [1931], S. 231; vgl. auch CURTI [1988], S. 3.1018 FUMASOLI [1981], S. 200; FEUERHELM [1997], S. 98. Im Gegensatz zu den Insassen von

Zuchthäusern wurden die Schellenwerker der Öffentlichkeit etwa bei Strassenreinigung oder -ausbesserung zur Schau gestellt, GRAF [1996], S. 35; SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 210; CURTI [1988], S. 23; ZWICKY [1982], S. 4.

1019 CURTI [1988], S. 3. 1020 HINCKELDEY [1989], S. 352; FUMASOLI [1981], S. 22; GRAF [1996], S. 37; CURTI [1988],

S. 3; SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 135. 1021 SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 175, S. 187.

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Todesstrafen sehen will».1022 Mit dem Forschreiten der industriellen Revolution und der allmählichen Ablösung merkantilistischer Wirtschaftsformen wurden Zuchthäuser als Erwerbsquellen der Landeshoheit immer uninteressanter, konn-ten diese Anstalten doch mit der sehr viel effizienteren Güterproduktion in den Fabriken nicht mithalten.1023

Gemäss den stiftsanktgallischen Rechtsquellen dienten Gefängnisse vor al-lem der vorübergehenden Verwahrung des Angeschuldigten bis zum gerichtli-chen Urteilsspruch. Die St. Galler Offnungen kennen so gut wie keine Freiheits-strafen, und auch die Gefangenschaft für die Dauer des Prozesses war kaum je geregelt. Eine Gefangennahme kam jedoch nach mehreren Offnungen sowie nach Landsatzungen und Landmandaten in Frage für den zur Geldstrafe verur-teilten Zahlungsunfähigen oder Zahlungsunwilligen.1024 Aufgrund der Mittello-sigkeit vieler Straftäter trat schliesslich die Gefängnisstrafe als primäre und ein-zige Rechtsfolge an die Stelle der Busse.1025 Anders als die Offnungen regelten die Landsatzungen und Landmandate nicht nur die Zwangshaft bzw. Ersatzhaft, sondern seit dem 15. Jahrhundert auch die Untersuchungs- und Sicherungs-haft.1026 Die undatierte Landsatzung aus der Zeit zwischen 1594 und 1630 enthält folgende Bestimmung über die Gefangennahme eines Totschlägers:

1022 SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 175, S. 187. Die Zustände in den Zucht-

häusern und Gefängnissen des 18. Jahrhunderts beschreibt SCHMIDT als «grauenvoll und katastrophal»; SCHMIDT EBERHARD, Zuchthäuser [1960], S. 12.

1023 MAYER MARCEL, Delinquenten [1987], S. 63. 1024 MÜLLER, Offnungen [1964], S. 102; weitere Beispiele: Landmandat 1543, Art. 3, RQSG

(Alte Landschaft), S. 72 f.; Landmandat 1761, Art. 38, RQSG (Alte Landschaft), S. 128. Die Satzungen waren grösstenteils auf Bussen ausgerichtet, weshalb wirksame Massnah-men zur Durchsetzbarkeit des Rechts notwendig waren. Die Einsperrung erschien dabei als geeignetstes Mittel; GRAF [1996], S. 83; vgl. auch HIS, Teil 1 [1920], S. 558.

1025 Z.B. in Art. 24 des Landmandats 1761, RQSG (Alte Landschaft), S. 121. 1026 Die Bestimmungen zielten auf gefährliche und übelbeleumundete Leute (Art. 12 der

Landsatzung 1468; Art. 11 der Landsatzung 1594/1630 [RQSG (Alte Landschaft)], S. 8 und 38) sowie insbesondere auf Landstreicher und Bettler ab. Art. 11 der Landsatzung 1594/1630 lautet: «Item es ist ain jeder gotzhausman bi sinem aid schuldig, wo er ver-lümbdete und argwönige lüth oder bös schädlich übeltäter im land seche oder horte, zu inen zu grifen oder der oberkeit vengklich zu überantwurten. Vil weniger sol keiner sölli-che böse lüth warnen oder wiglen, ze buos an lib und gut je nach gestalt der sachen»; RQSG (Alte Landschaft), S. 38. Vgl. die Übersicht bei GRAF [1996], S. 74 f.

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«Ob ouch ain gotzhausman den andern uf den tod verwundte, da sol ain jeder gotzhausman denselbigen sächer vengklich helfen der oberkeit zuzestellen.»1027

Die übrigen Landsatzungen und Landmandate enthalten keine entsprechende Regelung. Die Inhaftierung eines des Totschlags Verdächtigen konnte jedoch über die in vielen Satzungen vorhandenen generellen Bestimmungen erfol-gen.1028 Um missbräuchlichen Festnahmen vorzubeugen, durfte niemand ohne ausdrücklichen Befehl des Abts oder seiner Amtsleute festgehalten werden. Derartige «Haftbefehle» wurden aber offenbar sehr grosszügig ausgestellt.1029

Die Bestrafung einer Tat durch Gefängnis schaffte in der Alten Landschaft den eigentlichen Durchbruch erst Mitte des 18. Jahrhunderts, wobei die mit Ge-fängnis zu bestrafenden Taten unterschiedlicher Natur waren. Die Gefängnis-strafe war etwa bei Ehebruch, Unzucht und Hurerei sowie bei Verstoss gegen die Wirtshaus- oder die Bettelvorschriften vorgesehen.1030 Delinquenten, die schwerwiegender Verbrechen – insbesondere solcher gegen Leib und Leben – schuldig gesprochen wurden, wurden noch immer nur selten zu Gefängnisstra-fen verurteilt, was wohl am Nichtvorhandensein geeigneter Einrichtungen sowie an den Kosten für eine langfristige Gefangenschaft gelegen haben dürfte. In der Stadt St. Gallen beispielsweise wurden zwischen 1740 und 1798 über 70 Perso-nen wegen eines Verbrechens gegen Leib und Leben, wegen Vergehen gegen fremdes Eigentum oder wegen Falliments1031 ermittelt und die meisten auch ver-urteilt; die Bestrafung bestand jedoch nicht in der Einsperrung in eine An-stalt,1032 obwohl die Stadt bereits seit dem 17. Jahrhundert über das Zucht- und Waisenhaus zu St. Leonhard verfügte.1033

Die Unterbringung eines Missetäters in Zucht- und Arbeitshäusern ist in den Landsatzungen und Landmandaten nicht vorgesehen. Trotzdem verhängten die Gerichte insbesondere gegen Ende des 18. Jahrhunderts oft Zuchthausstrafen. Dies hing mit der zu jener Zeit besonders gern demonstrierten Milde der Äbte 1027 Art. 3 der Landsatzung 1594/1630, RQSG (Alte Landschaft), S. 36. 1028 Vgl. dazu etwa die bereits zitierten Art. 12 der Landsatzung 1468 oder Art. 11 der

Landsatzung 1525, RQSG (Alte Landschaft), S. 8 und 22. 1029 GRAF [1996], S. 75.1030 Mit beispielhaften Aufzählungen und Quellenangaben GRAF [1996], S. 90 ff.1031 Bankrott, Zahlungseinstellung; Duden – Das Fremdwörterbuch, Bd. 5, [2006]. 1032 MAYER MARCEL, Delinquenten [1987], S. 150. 1033 MAYER MARCEL, Delinquenten [1987], S. 65.

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sowie der weit verbreiteten Fürbittepraxis zusammen.1034 Unter der Herrschaft Abt Bedas wurden insbesondere gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr gesetzliche Strafen in Zuchthausstrafen umgewandelt, Strafen an Leib und Le-ben wurden immer seltener.

Gemäss einer 1732 von Abt Joseph mit Kapitularen gehaltenen Konferenz bestanden Pläne, ein sich in Tablat befindendes Gut samt Haus mit dem Namen «bei’m creuz» zu kaufen und darin das erste Waisen- und Zuchthaus zu errich-ten. Diese Pläne wurden jedoch – wie bereits schon 1730 betreffend eine andere Liegenschaft – nicht umgesetzt.1035 Delinquenten wurden bisweilen in Zuchthäu-sern im süddeutschen Raum untergebracht, bis im Jahr 1781 im Siechenhaus in Bruggen das erste Zuchthaus der Alten Landschaft entstand.1036 Bereits 1782 wurde eine Malefikantin, die «nach der peinlichen halsgerichtsordnung und der-selben commentaristen» eigentlich die Todesstrafe verdient hätte, begnadigt und lebenslänglich ins Zuchthaus Bruggen geschickt und «mit füglicher arbeit bela-den».1037

Als weitere Freiheitsstrafe wurde besonders im 18. Jahrhundert die Eingren-zung oder Verstrickung eines Missetäters ausgesprochen. Dieser wurde ver-pflichtet, sich in einem vom Gericht bestimmten Gebiet – z.B. seiner Heimat-

1034 GRAF [1996], S. 94; vgl. Kap. 7.1.5. 1035 Tagebuch Abt Josephs, StiASG, Bd. 272b, Eintrag vom 2. Januar 1732; WEGELIN, Mate-

rialien [1855], S. 51. 1036 GRAF [1996], S. 95 f. Abt Beda schrieb am 1. Dezember 1781 in sein Tagebuch, er sei

«gesinnet aus diesem siechenhaus ein respectives zuchthaus zu machen», Tagebuch Abt Bedas, Eintrag vom 1. Dezember 1781, StiASG, Bd. 284. Die erste Gefangene im neuen Zuchthaus war eine gewisse Anna Maria Hädener aus Mörschwil, die offenbar wegen Diebstahls und Betrugs bereits mehrfach verurteilt worden war. Sie sollte im neuen Zuchthaus nun «spinnen oder sonsten arbeiten». Morgens und abends sollte sie «haber-mus» zu essen bekommen und mittags eine Erbsen-Bohnensuppe und Brot. Würde sie mit ihrer Arbeit mehr verdienen, als das Essen koste, könne das Geld für die Kleidung ver-wendet werden, «verdienet sie weniger, als die speis kostet, bekommet sie vielleicht schläg’», Tagebuch Abt Bedas, Eintrag vom 1. Dezember 1781, StiASG, Bd. 284. Siehe auch WILLI [1947], S. 348 f.

1037 StiASG, Kriminalprotokolle, Bd. 1074, S. 139; WEGELIN, Materialien [1855], S. 59.

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gemeinde – aufzuhalten und dieses nicht zu verlassen.1038 Diese Strafe wurde mitunter auch in der Fürstabtei ausgesprochen.1039

7.1.4 Landesverweisung und Galeerenstrafe

Die Strafe der Stadt- oder Landesverweisung war die wohl meistgewählte Sank-tion der vormodernen Kriminaljustiz.1040 Diese Strafe war mit grossem Schre-cken behaftet. So schrieb etwa KLEINSCHROD 1805, der des Landes Verwiesene komme in ein fremdes Land, wo ihn jedermann «mit scheelem Auge betrach-tet». Entweder sei er ganz ausser Stande, sich zu ernähren, oder leide doch un-geheure Beschwerden.1041

Die Landesverweisung gewann mit der Carolina an Bedeutung.1042 Sie hatte verschiedene Vorteile, verursachte sie doch kaum Kosten und befreite die Ge-meinde auf Zeit oder für immer von einem lästigen oder gefährlichen Mitmen-schen.1043 War die Verbannung Strafe für eine Missetat, so konnte sie arbiträr

1038 Dadurch konnten die Vollzugskosten in der Regel vollständig auf die Familien überwälzt

werden; GRAF [1996], S. 101. 1039 So wurde etwa noch 1796 eine Malefikantin erst an den Pranger gestellt und mit Ruten

geschlagen und dann für ein Jahr in der Gemeinde Andwil «einbannisirt»; StiASG, Kri-minalprotokolle, Bd. 1074, S. 164; WEGELIN, Materialien [1855], S. 62.

1040 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 103.1041 KLEINSCHROD, Grundbegriffe [1805], 3. Teil, S. 89, § 45. 1042 SCHUSTER [2005], Sp. 393. 1043 MAURER [1996], S. 201. Freilich war die Verbannung aus einer Stadt mit umgrenzenden

Stadtmauern einfacher zu realisieren und zu kontrollieren als eine solche aus dem verhält-nismässig grossflächigen Gebiet der Fürstabtei St. Gallen. In der Stadt St. Gallen kam es denn auch häufiger zur Verbannung als in der Fürstabtei; GRAF [1996], S. 65. Die Verur-teilten mussten zur Stadt bzw. zur Wohnsitzgemeinde einen in der Regel räumlich defi-nierten Abstand (sog. Meilenkreise) einhalten, der etwa durch patroullierende Söldner kontrolliert wurde, MAURER [1996], S. 202 f. Die unerlaubte Rückkehr wurde jedoch oftmals geduldet; SCHNABEL-SCHÜLE, Landesverweis [1995], S. 77. Die Verbannung hat-te zur Folge, dass sich die Ausgewiesenen häufig hinter der ihnen zugewiesenen äussers-ten Meile oder hinter den ihnen als Grenzen der Rückkehr benannten Flüssen oder Gebir-gen für einige Jahre oder gar für immer eine neue Bleibe suchten oder sich unter das fah-rende Volk mischten; MAURER [1996], S. 211 f. Nicht selten schuf die ewige Verbannung die Ausgangsbedingungen für neue Verbrechen; SCHNABEL-SCHÜLE, Landesverweis [1995], S. 79. Zur Stadtverweisung als flexibles Sanktionsinstrument SCHWERHOFF, Ak-tenkundig [1999], S. 29.

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oder gesetzlich sein.1044 Bei Totschlagsdelikten wurde als poena extraordinaria oftmals die Landesverweisung ausgesprochen.1045 Als Unterart der Verbannung konnten Wallfahrten befohlen werden, eine Strafe, die ebenfalls bei Totschlag oder etwa bei Fluchen verhängt wurde.1046 Mit der Errichtung der Zuchthäuser verlor die Verbannung ihre Bedeutung; gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Verbannung der eigenen Untertanen manchenorts gar als verwerflich ange-sehen.1047

Die Fürstabtei St. Gallen kannte die Strafe der Verbannung, die ursprünglich Überläufern zum neuen Glauben drohte und schliesslich auf andere uner-wünschte Menschen wie Bettler, Landstreicher und Landschädliche ausgedehnt wurde, seit der Reformationszeit.1048 In Frage kam die Verbannung in der Alten Landschaft ab dem 16. Jahrhundert auch zur Erzwingung der Busse eines Zah-

1044 Seit der Carolina war der ewige Landesverweis die poena ordinaria für Fälschungsdelikte,

Aufruhr, bestimmte Ehebruchs- und Diebstahlsdelikte. Als poena extraordinaria er wurde beim Vorliegen von Milderungsgründen bei todeswürdigen Verbrechen verhängt; m.w.H. SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 131. Ausführlich mit der Verbannung im Mittelalter mit Ausblick in die frühe Neuzeit beschäftigt hat sich HIS, Teil 1 [1920], S. 533 ff.

1045 Zur Galeerenstrafe RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 94, Rz. 207. 1046 Auch Buss- oder Bittfahrten genannt; FRAUENSTÄDT [1881], S. 157 f. Mit dem Wall-

fahrtszwang wurden zudem Friedensbrüche und Beleidigung der Obrigkeit bestraft; SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 210. Die aufgezwungene Wallfahrt konnte etwa nach Einsiedeln, Santiago de Compostela oder Rom führen; CARLEN, Rechtsgeschichte [1988], S. 40. Die Wallfahrten an sich, die zu Seelenheil verhelfen sollten, waren grundsätzlich nicht ungefährlich und mit einiger Unbill und grossen Opfern der Wallfahrer verbunden. Manch ein Pilgerer kehrte krank oder gar nicht von der Reise zurück; HAUSER ALBERT,Leben [1987], S. 123 f.

1047 SCHNABEL-SCHÜLE, Landesverweis [1995], S. 75; SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 131 f.; SCHUSTER [2005], Sp. 393.

1048 GRAF [1996], S. 65. Der 1632 wegen Totschlags an Johann Egger verurteilte Ulrich Juppli (vgl. Fn. 695) wurde für vier Jahre aus dem Landshofmeisteramt verbannt, wobei explizit festgehalten wurde, es stehe ihm frei, diesbezüglich den Fürstabt um Begnadigung anzu-rufen; STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 35.

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lungsunwilligen.1049 Auch die Verurteilung zu Wallfahrten war in der Fürstabtei bekannt.1050

Insbesondere seit dem 17. Jahrhundert wurden die Verurteilten ähnlich der Verbannung in fremde Kriegsdienste verschickt, häufig nach Italien oder Frank-reich. Als Gnadenstrafe oder auf Fürbitte hin konnte eine Todesstrafe in die Verschickung umgewandelt werden. Viele Verurteilte gelangten als Ruderer auf die Galeeren. Dies lag zu grossen Teilen im wachsenden Bedarf nach Ruderern für die Seeflotten begründet.1051 Offenbar ersuchten die Staaten, die einen Bedarf nach Galeerenruderern hatten, die Obrigkeiten auf dem Gebiet der heutigen Schweiz um die Zuteilung von Sträflingen.1052 Die Galeerenstrafe als poena extraordinaria erlaubte eine flexible Bestrafung unter Berücksichtigung der Tat, des Täters und des öffentlichen Bedarfs.1053 Es ging bei dieser Strafe nicht wie bei der öffentlichen Arbeit als Schandstrafe um eine quasi symbolische Verwer-tung der Arbeitskraft auf lokaler Ebene, sondern um die Deckung des Arbeits-kräftebedarfs der Nachbarländer. Das Element der Öffentlichkeit der Arbeits-verrichtung, das den Straftäter vor der Allgemeinheit blossgestellt hatte, entfiel damit bei der Galeerenstrafe.1054

Neben den mit der Galeerenstrafe angestrebten Staatszwecken der Wohlfahrt, Sicherheit und Ordnung trat aber auch ein religiös-ethisches Element hinzu, konnte die Galeerenstrafe doch im existentiellen Abwehrkampf gegen den os- 1049 Art. 34 des Landmandats 1562/64, RQSG (Alte Landschaft), S. 105. Der Zahlungsunwil-

lige sollte nicht wiederkommen, bis er die Busse zahle. War der Schuldner arm und wollte bei Frau und Kindern bleiben, so kam als Strafe auch Gefängnis und das Abarbeiten der Schulden in Frage.

1050 Ulrich Juppli (vgl. Fn. 695 und 1048) wurde wegen Totschlags neben Verbannung, Süh-nezahlung und Busse zu drei Busswallfahrten nach Einsiedeln innerhalb von neun Mona-ten verurteilt, wobei er jedesmal einen Beichtzettel mitzubringen hatte; STAERKLE, Ge-schlecht [1942], S. 35.

1051 Statistische Spitzenwerte der Verurteilungen zur Galeerenstrafe wurden stets vor oder nach grossen Seeschlachten erreicht; SCHLOSSER, ZNR [1988], S. 34. In den seefahrenden Staaten des Mittelmeers nahm die Galeerenstrafe bereits im 15. Jahrhundert ihren Anfang, CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 557; QUANTER, Zuchthaus [1905], S. 150; FUMASOLI [1981], S. 27.

1052 Um Ruderer warben insbesondere Italien, Frankreich und Spanien; CARLEN, Galeeren-strafe [1976], S. 558.

1053 SCHLOSSER, Galeere [1986], S. 255; SCHMOECKEL [2000], S. 350 f.; FEUERHELM [1997],S. 96.

1054 FEUERHELM [1997], S. 96 und S. 100.

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manischen Erzfeind genutzt werden, sodass die Verurteilten zu Verteidigern des Abendlands wurden. Die Galeerenstrafe wurde damit zum guten christlichen Werk.1055 Eine Besserung des Ruderers gehörte nicht bzw. zumindest nicht zent-ral zum Konzept dieser Sanktion.1056 Die miserablen Lebensbedingungen, denen die Galeerensträflinge unterworfen waren, charakterisierten diese Strafe, die bei schweren Verbrechen eigentlich eine Gnadenstrafe darstellen sollte, oft als Lei-bes- oder durchaus auch als Todesstrafe.1057 Die Galeerenstrafe wird bisweilen als «die furchtbarste Strafe» bezeichnet, die sich «auf dem weiten Gebiet der Freiheitsstrafen denken lässt».1058 Besonders häufig wurde diese Strafe bei uner-wünschten Vagabunden oder Bettlern ausgesprochen.1059

In seiner Studie zur Galeerenstrafe in der Schweiz fand CARLEN kaum Quel-len über die Folgen der Galeerenstrafe auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit und das Bürgerrecht der Verurteilten, vermutete aufgrund einiger Indizien je-doch, dass der auf die Galeere Verbannte dieser Rechte verlustig ging.1060 Die Galeerenstrafe galt als äusserst schändliche Strafe, die nicht sehr häufig auf Bürger und Einheimische angewendet wurde.1061 In den Rechtsquellen der Alten Landschaft ist die Abschiebung auf die Galeere nur in den Mandaten gegen den Bettel erwähnt.1062 Wie auch andernorts üblich, riskierten aber auch Leute mit nicht genehmen Glaubensansichten, auf die Galeere abgeschoben zu werden. So beklagte sich 1657 der Gesandte von Appenzell auf einer Tagung der evangeli-

1055 SCHLOSSER, ZNR [1988], S. 34 f.1056 FEUERHELM [1997], S. 96. 1057 SCHILD, Gerichtsbarkeit [1980], S. 210; SCHLOSSER, ZNR [1988], S. 36; CARLEN, Galee-

renstrafe [1976], S. 566 und S. 573; SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege [1965], § 175, S. 186; KLEINSCHROD, Grundbegriffe [1805], Teil 3, S. 80, § 39 und S. 227, § 114.

1058 QUANTER, Zuchthaus [1905], S. 151. Das Leben sei dabei die Strafe, der Tod die Erlö-sung gewesen.

1059 GRAF [1996], S. 99 f. sowie ausführlich CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 560 ff. 1060 CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 570 f. 1061 FUMASOLI [1981], S. 29. Nach der Glaubensspaltung wurde die Galeerenstrafe auch un-

einsichtigen Einheimischen angedroht, die am neuen Glauben festhalten wollten; GRAF[1996], S. 100. Zur Verurteilung zur Galeerenstrafe bei Gotteslästerung QUANTER, Zucht-haus [1905], S. 152.

1062 Z.B. das «Fürstl.-St. Gallische Mandat wider das fremde landstreichende Bettelvolk» aus dem Jahr 1668, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 15; WEGELIN, Materialien [1855], S. 46. Auf dem Gebiet der Schweiz gab es abgesehen von den Bettelmandaten kaum gesetzliche Er-lasse, in denen die Galeerenstrafe für bestimmte Missetaten direkt angedroht wurde; CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 567.

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schen Orte, dass die evangelischen Untertanen des Abts der Fürstabtei St. Gal-len ihres Glaubens wegen mit der Verschickung auf die Galeere bedroht wür-den.1063

Die Obrigkeiten in der Eidgenossenschaft bezahlten offenbar in der Regel Kosten des Transports der Galeerenruderer bis zum Übergabeort, der oftmals an der Grenze zum Empfangsland lag.1064 Nicht selten wurde mit dem Transport gewartet, bis ein paar Auszuschaffende versammelt waren, die dann die Reise aneinandergekettet antreten mussten.1065 In der Fürstabtei St. Gallen hatte der Amtsdiener für den Transport bei Landesverweisungen die nötigen «trabanten [= Begleiter] und wächteren» zu organisieren.1066

Die Dauer der Strafe wurde teils auf einige Jahre begrenzt, teils lebensläng-lich ausgesprochen. Nach deren Ablauf waren die Verurteilten grundsätzlich frei. Die Landeshoheiten auf dem Gebiet der heutigen Schweiz vergassen die Ausgeschafften manchmal, setzten sich aber bisweilen auch für deren Befreiung ein. So bezeugt eine Quelle, dass der st. gallische Abt 1651 von Venedig die Befreiung eines Galeerenruderers verlangte.1067

Mit der Vervollkommnung der Segelschiffe im ausgehenden 18. Jahrhundert versiegte der Bedarf nach Ruderern. Die offenbar letzte Seeschlacht mit Galee-ren zwischen Russen und Türken wurde 1770 geschlagen.1068 In den darauffol-genden Jahren stellten die Seefahrerstaaten die Übernahme von Sträflingen ein, was auf dem Gebiet der Schweiz gemäss verschiedenen Quellen sehr bedauert wurde. CARLEN geht davon aus, dass man sich vielerorts erst zu jener Zeit ge-zwungen sah, den Ausbau des Gefängniswesens an die Hand zu nehmen.1069

1063 Mit Quellenangabe CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 568. 1064 FUMASOLI [1981], S. 28.1065 CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 571 ff. 1066 StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17, Bestallung eines Amtsdieners, S. 6, Ziff. 13. 1067 Mit Quellenangabe CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 577, Fn. 129. 1068 CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 577. 1069 CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 578 f.

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7.1.5 Begnadigung und Urfehde

Das frühneuzeitliche Strafsystem kannte trotz (oder gerade wegen) seiner Stren-ge das Gnadenbitten bzw. die Begnadigung als zentralen Teil des damaligen Rechtsverständnisses.1070 Von der Möglichkeit, beim st. gallischen Abt Fürbitte für einen Delinquenten einzulegen, machten häufig Verwande und Freunde bei an sich todeswürdigen Verbrechen Gebrauch. Als Fürbitter kamen auch Zunft-genossen, Geistliche, ehrbare Bürger oder sogar ganze Gemeinden in Frage. Je grösser die Zahl der Fürbitter und je qualifizierter ihr sozialer Status, desto eher konnte eine Strafmilderung erlangt werden.1071 Die Motivation der Fürbitter war nicht immer nur Mitleid mit dem Delinquenten, sondern lag nicht selten in der Abwehr einer Strafe, die auch Angehörige oder Berufsgenossen treffen konn-te.1072 Eine durch den Abt möglicherweise vorgenommene Strafmilderung be-dingte oft zugleich eine Strafumwandlung.1073

Abt Beda «der Gütige» demonstrierte seine Milde besonders gerne mit der Begnadigung von Straftätern. Im Jahr seines Amtsantritts 1767 beschrieb er in seinem Tagebuch ausführlich, wie er eine zum Tod durch das Schwert verurteil-te Kindsmörderin begnadigt hatte. Er hielt fest, er «vergosse nid gern blut bei antritt meiner regierung».1074 Der Abt legte Wert darauf, jene Begnadigung be-wusst spektakulär zu inszenieren: Der Gnadenbrief sollte erst im letzten Mo-ment auf der Richtstätte verkündet werden.1075

1070 VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 43. 1071 VAN DÜLMEN, Theater [1995], S. 44 f. 1072 Insbesondere sollten freilich unehrliche Strafen verhindert werden, die Schande über die

Familie, Zunft oder Gemeinde eines Täters bringen konnten; VAN DÜLMEN, Theater[1995], S. 44.

1073 GRAF [1996], S. 94.1074 Eintrag im Tagebuch Abt Bedas am 26. April 1767, StiASG, Bd. 282, S. 27 f. Die Verur-

teilte habe «ein grosse freundschaft» sowohl in der Alten Landschaft als auch im Toggen-burg gehabt. Siehe auch SPECKER [1987], Beitrag vom 31. Oktober 1987.

1075 Am 27. April 1767 hielt Abt Beda in seinem Tagebuch zur Begnadigung der Kindsmörde-rin fest, er habe dem Landshofmeister und dem Kanzler angezeigt, dass er «aggratieren» wollte. Die Verurteilte wurde schon «bis auf den stock beim galgen» geführt. Der Abt schickte seinen Kammerdiener und einen Läufer zu Pferd mit einem siegelbehafteten Gnadenbrief zum Richtplatz. Sobald der Kammerdiener sehe, dass die Malefikantin auf den Stock hinaufgeführt würde, sollte er eilends zum den Reichsvogt vertretenden Fiskal reiten und ihm den Gnadenbrief aushändigen. Dann sollte der Fiskal laut «Gnad, Gnad» rufen und den Brief mit klarer Stimme dem ganzen Volk vorlesen. So geschah es. Dar-

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Bereits im frühen Mittelalter, das Selbstjustiz und Fehde1076 kannte, erkaufte ein Täter den Frieden nicht selten durch die Leistung eines Sühnegelds,1077 wo-raufhin die dadurch zufriedengestellte Person eine Urfehde schwor.1078 Dabei handelte es sich um einen in ein Friedensgelöbnis gekleideten Vergeltungsver-zicht.1079 Nach dem Zurückdrängen der Selbstjustiz kam die Urfehde nur noch eingeschränkt zur Anwendung. Ab dem Spätmittelalter breitete sich jedoch eine andere Form der Urfehde aus. Es wurde üblich, den Verurteilten unter Eid schwören zu lassen, sich wegen der verhängten Strafe, allenfalls auch wegen einer im Verfahren erlittenen Folterung, an niemandem zu rächen. Gleichzeitig knöpfte man ihm das Versprechen ab, künftig kein derartiges Delikt mehr zu begehen.1080 Die Urfehde konnte in manchen Fällen der Bestrafung ein Ende ma-chen,1081 musste aber nicht selten auch geschworen werden, wenn der Verurteilte mit der poena extraordinaria, so etwa der Verbannung, bestraft worden war.1082

Kehrte der Verbannte trotz des abgelegten Urfehdeschwurs unerlaubt zurück und gelangte dies der Obrigkeit zur Kenntnis, so drohte ihm eine Bestrafung

aufhin sei eine grosse Freude des ganzen Volkes verspürt worden. Die Malefikantin sei auf die Knie niedergefallen und habe sich für diese höchste Gnade bedankt, ebenso 16 oder 18 Mann aus ihrer Freundschaft, die am Vormittag beim Abt um Gnade ersucht hat-ten. Die Begnadigte wurde in den Gefängnisturm am Wirtshaus zu St. Fiden zurückge-bracht und ihr wurde die Ader geöffnet. Schliesslich wurde sie in ihre Gemeinde verbannt und ihren Freunden wurde befohlen, ein wachsames Auge auf sie zu haben; Eintrag im Tagebuch Abt Bedas am 27. April 1767, StiASG, Bd. 282, S. 28 ff.

1076 Die Fehde wurde als Privatrache verstanden, durch die der Verletzte bzw. seine Verwand-schaft am Delinquenten bzw. seiner Familie Rache nahmen. Die gewöhnliche Fehde fand (im Gegensatz zur ritterlichen) bei Bauern und Bürgern statt und kam in erster Linie nach verübtem Totschlag zum Zug. Beigelegt werden konnte die Fehde durch Sühnevertrag; EISENHARDT ULRICH [2004], S. 72 f., Rz. 94.

1077 MOSER-NEF, Bd. 5 [1951], S. 28 f.; SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität [2006], S. 57. 1078 BLESS-GRABHER [2003], S. 271; HOLENSTEIN THOMAS [1934], S. 47. 1079 LUMINATI, Eidverweigerung [2008], S. 198. 1080 VALENTINITSCH [1992], S. 78; PAHUD DE MORTANGES [2007], S. 127, Rz. 197. Oftmals

wurde im Rahmen der Urfehde auch der Schwur erzwungen, über das Verfahren Still-schweigen zu bewahren; BLESS-GRABHER [2003], S. 272.

1081 WEGELIN, Materialien, S. 37. 1082 RÜPING/JEROUSCHEK [2007], S. 35, Rz. 67. LUMINATI, Eidverweigerung [2008], S. 198.

SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], erklärt das Bedürfnis nach einer Urfehde auch mit der relativen Neuheit der Gefängnishaft, die offenbar als schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte verstanden wurde, S. 29.

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wegen Urfehdebruchs.1083 Als Strafe dafür kannte die Carolina die Todesstrafe für einen Täter, der vom Tod verschont worden war. Hatte ein Verurteilter die Urfehde wegen einer Sache geschworen, auf die als ordentliche Strafe nicht die Todesstrafe stand, so waren ihm die Hand oder die Schwurfinger abzuhacken.1084

Für die entstehende öffentliche Strafgewalt war die eidliche Selbstbindung der Urfehde noch von zentraler Wichtigkeit, sicherte sie doch die Anerkennung des erhobenen Strafanspruchs. Zudem bedurfte die Obrigkeit der Selbstbindung der zu Disziplinierenden, wo sie nicht fähig oder willens war, ihren Strafan-spruch durchzusetzen.1085 Mit wachsender Souveränität verzichtete der Territo-rialstaat zunehmend auf den Urfehdeschwur. Wo er beibehalten wurde, verband man ihn in der Regel mit einer Stadt- oder Landesverweisung, wodurch er zum «Aufenthaltsverbotsschwur» und damit selbst zum Strafmittel wurde.1086

Für die Stadt St. Gallen liefert die 1701 gedruckte Schrift «Process wie es nach dem alten Brauch an einem Malefiz Gricht der Statt St. Gallen gehalten werden sollte» einen Beleg für das Friedensversprechen, das den Inquisiten, denen ein Prozess gemacht wurde, abzuknüpfen war. Der Reichsvogt sollte die angeklagte Person nach Verlesen der Urgicht1087 zur Reue ermahnen und ihr klarmachen, sie solle weder ihm noch den Rechtsprechern wegen des Urteils «zürnen», denn sie habe das Urteil selbst durch ihre Taten «verdient». Eine christliche Obrigkeit sei auf Gottes Befehl zu strafen schuldig, wie die ange-klagte Person selbst ohne Zweifel erkennen möge.1088

1083 SCHNABEL-SCHÜLE, Territorialstaat [1997], S. 133; BLESS-GRABHER [2003], S. 272; LU-

MINATI, Eidverweigerung [2008], S. 198. 1084 Art. 108 CCC; siehe auch GÜNTHER [1889], S. 294 f. 1085 BLAUERT [2000], S. 163 f. 1086 SCHWERHOFF, Aktenkundig [1999], S. 31. 1087 Die Urgicht ist das Geständnis des Angeklagten im Strafprozess, vgl. SELLERT [1998],

Sp. 571. 1088 Autor anonym, Process [1701], S. 5.

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7.2 Bestrafung Eggers wegen Totschlags undLeichenschändung

7.2.1 Verurteilung zur Todesstrafe

Die Urteilsberatungen des Pfalzgerichts sollten nach dem Konzept zur Pfalz-ratsordnung 1733 geheim gehalten werden, über einzelne Voten hatte gegenüber allen, die der Beratung nicht beigewohnt hatten, Verschwiegenheit zu herrschen. Keiner der Räte sollte die Schuld an einem Urteilsspruch auf den einen oder anderen Rat schieben. Das gefällte Urteil war zu verteidigen und gemeinsam standhaft zu handhaben,1089 wobei es auch darum ging, alles zu vermeiden, «wo-durch jemand argwohn, oder verdacht schöpfen, und disem unserm höchsten tribunali übel nachgeredt werden möchte».1090 Das Urteil sollte grundsätzlich nach dem Mehr der Stimmen gefällt werden.1091 Wären jedoch die Stimmen bei einer Angelegenheit von grosser Wichtigkeit «in zimmlicher anzahl zertheilt» und würde der Präsident feststellen, dass «beeder theillen meinung mit stattli-chen ursachen bestärckt, oder aber unserer pfalzräthe sich darjnnen nicht ver-gleichen kunten», so waren beide Meinungen vom Ratssekretär zu protokollie-ren und dem Abt vom Präsidenten unter Beizug von zwei oder drei Pfalzräten vorzutragen, wobei «auch unserer [= der des Abtes] schluss erwarthet, und beo-bachtet werden» musste.1092 Würde die Uneinigkeit das Verständnis der Land-rechte, Mandate, Ordnungen oder Gesetze betreffen, so wäre dies auch dem Abt vorzutragen, wobei schliesslich gemäss dessen Meinung weiter zu verfahren und zu urteilen wäre.1093

Die Urteilsberatung der Pfalzräte im Fall Egger erfolgte am 3. März 1775 und wurde im Protokoll als «rechtliches guetachten» bezeichnet. Ein eingehen-des Protokoll über die Beratung ist nicht aktenkundig. Immerhin wurde sie im Protokoll kurz zusammengefasst. Das Gericht beschloss unter dem Hinweis, bereits ein «homicidium dolosum» reiche für die Todesstrafe durch das Schwert aus, auf weitere Abklärungen, ob Egger beim Totschlag «animum occidendi», 1089 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 34. 1090 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 51. 1091 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 46. 1092 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S 49. 1093 StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3, Konzept S. 50.

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gehabt und zu welchem Ziel und Ende er die Leichen ausgegraben habe, zu ver-zichten. Egger sollte insbesondere nicht «ad torturam» genommen werden. Bei dieser Zusammenfassung wurden die lateinischen Begriffe nicht akkurat ver-wendet. So bezeichnet der Begriff «homicidium dolosum» ja bereits die vorsätz-liche Tötung, setzt also «animum occidendi», die Tötungsabsicht, voraus.

Die im Protokoll summarisch wiedergegebene Beurteilung beinhaltet damit zwar einige Wörter juristischen Fachvokabulars, ist aber ansonsten nicht recht-lich eingebettet. Erst beim Urteilsspruch selbst erfolgt ein Bezug auf die Caroli-na, was vermuten lässt, dass die Rechtsgrundlage für eine Verurteilung zum Tod im Rahmen der gerichtlichen Beratung zwar diskutiert, bei deren kurzer Zu-sammenfassung im Protokoll aber nicht eigens erläutert wurde. Weil den Pfalz-räten ohnehin klar gewesen sein dürfte, dass ein Totschlag nach der von ihnen anzuwendenden Carolina mit dem Tod bestraft werden musste, machte man sich offenbar nicht die Mühe, insbesondere Leichenraub und Leichenschändungen rechtlich näher zu verorten und zu klassifizieren. Da strafschärfende Arten der Todesstrafe in der Zeit des Falls Egger ohnehin praktisch nicht mehr angewen-det wurden, war eine juristisch zuverlässigere Qualifikation der Delikte nicht notwendig. Eine solche wäre wohl ohnehin nur durch die Einholung eines rich-tigen rechtlichen Gutachtens auf dem Weg der Aktenversendung möglich gewe-sen.

Über das zu verhängende Urteil bestand unter den Pfalzräten in der Beratung vom 3. März 1775 offenbar weitgehend Einigkeit. Bei einem im Mehrheitsent-scheid knappen Resultat wären die voneinander abweichenden Meinungen schliesslich wie erläutert zu protokollieren und dem Abt vorzutragen gewesen. Nach Lage der Akten fand solches nicht statt.

Die Beratung der Pfalzräte vom 3. März 1775, in der offenbar auch das Urteil zumindest faktisch schon gefällt wurde, erfolgte erstaunlicherweise noch vor Abschluss der Ermittlungen. Augenscheinlich kamen die Pfalzräte zum Schluss, Egger «sicherheitshalber» nochmals einzuvernehmen. In dieser letzten Einver-nahme vom 7. März 1775 erzählte Egger von den Geschichten Johannes Gesers und nannte diese quasi als Motiv für die von ihm begangenen Leichenschän-dungen. Der Verdacht des Gerichts, Aberglaube könnte hinter den Leichen-schändungen stecken, bestätigte sich damit. Wohl um letzte Zweifel auszuräu-men, luden die Untersuchenden Johannes Geser als letzten Zeugen vor und ver-nahmen ihn am 8. März 1775. Seine Aussagen bestätigten im Wesentlichen die

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Darstellung Eggers. Nach Abschluss dieser weiteren Untersuchungshandlungen wurde das Urteil verkündet, offenbar ohne dass die Pfalzräte sich nochmals zur Beratung versammelt hätten.

Direkt an die Verhörprotokollierung und die Wiedergabe der pfalzrätlichen Beratung anschliessend wurde das folgende Urteil niedergeschrieben:

«Urthel

das, weilen er delinquent Joseph Antoni Egger wider göttliche und menschliche gesatz an der Catharina Himmelbergerin einen dolosen todtschlag ausgeüebet, er demnach auch we-gen dieser abscheulichen that allein jedoch nicht minder in betracht, dass derselbe 2 todten cörper theils aus dem freydhof, theils unter dem galgen hervor gegraben, und diselbe aller-dings auf eine grausame arth misshandelt, durch den scharfrichter auf die gewohnliche richtstatt gefüehret, und allda nach anweisung der peynlichen halsgerichtsordnung Kayser Caroli V. und derselben 148. articels durch das schwerdt vom leben zum todt, ihme zu wohlverdienter straff, anderen aber zu einem abschrecken und exempel hinzurichten seye; und dis von rechts wegen.»1094

Im Urteil findet sich also nicht nur die Würdigung des Totschlags, sondern es nimmt auch Bezug auf die Leichenschändungen, die mit der Strafe des Tods durch das Schwert ebenfalls abgegolten werden sollten. Von einer Strafschär-fung aufgrund der Leichenschändungen – etwa durch eine « unehrliche» Todes-strafe oder durch körperliche Schmerzzufügung vor der Hinrichtung – ist weder im Rechtsgutachten noch im Urteil die Rede.

Egger wurde gestützt auf Art. 148 CCC verurteilt. Bei dieser Artikelbenen-nung hat sich offensichtlich ein Fehler eingeschlichen, lautet der Titel des Arti-kels doch «Straff der jhenen, so eynander inn morden schlahen vnnd rumoren fürsetzlich oder vnfürsetzlich beistandt thun». Dieser Artikel befasst sich mit der Täterschaft oder Beteiligung mehrerer an einer vorsätzlichen oder fahrlässi-gen Tötung.1095 Auf Art. 137 CCC wird in den Akten zum Fall nie Bezug ge-

1094 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 92. 1095 Art. 148 CCC enthält u.a. folgende Regelungen: Begehen mehrere Personen «mit fürge-

setztem vnd vereynigtem willen vnd mut» eine Tötung, so haben alle ihr Leben verwirkt. Stirbt jemand bei einer Schlägerei und weiss man, welcher der Beteiligten der Täter ist, so soll dieser als Totschläger mit dem Schwert hingerichtet werden. Wird jemand in der Schlägerei von mehreren verprügelt und stirbt und kann nicht bewiesen werden, wessen Schläge tödlich waren, so sind alle, die das Opfer geschlagen haben, mit dem Tod zu be-strafen.

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nommen. Es bleibt also unklar, wie genau das Pfalzgericht über Tatbestands-merkmale und Rechtsfolgen des Art. 137 CCC im Bild war. Selbst wenn keine detaillierte Kenntnis der Bestimmungen über Mord und Totschlag vorhanden gewesen sein sollte, ist doch nicht anzunehmen, dass das Gericht bewusst Art. 148 CCC auf den Fall Egger anwenden wollte, ergibt sich schliesslich be-reits aus dem Titel des Artikels, dass die Beteiligung mehrerer («beistandt») an einer Tötung geregelt werden sollte. Somit kann davon ausgegangen werden, dass der Schreiber im Urteil lediglich den falschen Artikel nannte. Immerhin denkbar, wenn auch wenig wahrscheinlich ist, dass absichtlich eine Subsumtion unter Art. 148 CCC stattfand, weil man die Auseinandersetzung zwischen Ca-tharina Himmelberger und Joseph Egger als Schlägerei im Sinne dieses Artikels betrachtete. Der Wortlaut des Artikels macht jedoch deutlich, dass die Rechts-folgen einer tödlichen Verletzung im Zusammenhang mit einer Schlägerei von mehr als zwei Beteiligten geregelt werden sollten.

Die Todesstrafe sollte also durch das Schwert vollzogen werden. Wie aufge-zeigt, handelte es sich dabei um die gebräuchlichste Strafe für Totschläger. Zu-mindest begrifflich rang sich das Pfalzgericht nicht dazu durch, die Tat Eggers an Catharina Himmelberger als Mord (resp. vorsätzliche Tötung) zu qualifizie-ren, was allenfalls die Todesstrafe durch Räderung nach sich gezogen hätte. Da insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in der Alten Land-schaft die überall laut gewordene Kritik an der Todesstrafe im Allgemeinen und an den grausamen Hinrichtungsarten im Besonderen nicht verborgen geblieben sein konnte, ist davon auszugehen, dass das Gericht die Todesstrafe durch Rä-dern auch bei der vorsätzlichen Tötung oder beim Mord kaum mehr verhängt hätte. Entsprechend liefern die Akten denn auch keinen Hinweis darauf, dass Strafschärfungen – etwa eine härtere Form der Todesstrafe als die Enthauptung oder ein langes Leidenlassen vor der Tötung – diskutiert worden wären. Die Enthauptung als «ehrliche» Todesstrafe hätte weder die Ehre Eggers noch dieje-nige seiner Familie verletzt.

Egger hatte grosse Angst vor der Todesstrafe. Er betrachtete den Tod offen-sichtlich nicht als Erlösung, nicht als Schwelle zu einem besseren Jenseits. Möglicherweise fürchtete er das Fegefeuer. Jedenfalls wünschte er sich sehn-lichst, trotz seiner Taten am Leben bleiben zu dürfen. So rief er im Verhör vom 17. Februar 1775 post prandium aus, sterben sei schwer, schwer. Er würde gern all seinen Besitz der Obrigkeit überlassen und selbst dem Almosen nachgehen,

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er gehe auch auf die Galeere oder lasse sich vier Finger abhauen, wenn er nur nicht sterben müsse.1096 Am 21. Februar 1775 äusserte er im Verhör verzweifelt, selbst wenn des Scharfrichters Knecht ihn in vier Teile zerreissen würde, so könne er zur Anzahl der Schläge an Cathrina Himmelberger und zu deren Aus-führung doch nichts sagen.1097 Der Hinweis Eggers, man könne ihm vier Finger abhauen, macht deutlich, dass er über die Möglichkeit der Leibesstrafe Bescheid wusste. Er war offenbar auch über die grauenhafte Strafe der Vierteilung im Bild. Ob er von einem zu seinen Lebzeiten durchgeführten Fall der Vierteilung gehört hatte, ist nicht bekannt.

7.2.2 Begnadigung zur Galeerenstrafe

Trotz des klaren Urteils des Gerichts blieb Egger von der Todesstrafe verschont. «[A]us ganz besonderen bewegursachen, auch angestamter milde» wandelten schliesslich die «jezt regierenden hochfürstlichen gnaden» dem «armen sünder gnädigst» die Todesstrafe in eine lebenslängliche Galeerenstrafe um.1098 Die ge-nannten besonderen Beweggründe bestanden wohl in der für Egger bei Abt Be-da eingelegten Fürbitte. Dem Protokoll ist zu entnehmen, dass neben nicht na-mentlich genannten Freunden Eggers auch das Gericht Tablat und die Gemeinde Rotmonten um die Erlassung der Todesstrafe «demüethigst» gebeten hatten.1099

Beim Gericht Tablat handelte es sich in diesem Zusammenhang wohl um eine Bezeichnung der auf dem Gemeindegebiet von Tablat lebenden Gotteshausleu-te, die insgesamt als «Gerichtsgenossen» bezeichnet wurden.1100

Weshalb Egger von derart breiter Unterstützung profitieren konnte, ist un-klar. Die Todesstrafe durch das Schwert galt schliesslich nicht als unehrliche Strafe, sodass weder die Familie noch die Gemeinde sich vor auch auf sie fal-lender Schande hätten fürchten müssen. Denkbar sind allenfalls finanzielle Inte-ressen der Gemeinde, zumal durch den Tod Eggers dessen Familie ihren Ernäh-

1096 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 73. 1097 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, Antwort 183. 1098 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 92 f. 1099 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 91. 1100 Vgl. diesbezüglich die Ausführungen bei MENOLFI, Hofleute [1991], S. 85.

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rer verloren hätte und allenfalls mittellos zurückgeblieben wäre.1101 Freilich ist zweifelhaft, ob tatsächlich derartige Überlegungen mitspielten, zumal wohl niemand damit rechnen durfte, dass Egger auch bei milderer Bestrafung zu sei-ner Familie und seinem Hof würde zurückkehren können. Allenfalls hoffte man auf eine auf einige Jahre befristete Strafe, die Egger eine spätere Heimkehr er-möglicht hätte.

Abt Beda erwähnte seine Begnadigung Eggers in seinem Tagebuch nicht. Dies dürfte daran gelegen haben, dass der Abt in der Zeit des Prozesses und der Verurteilung Eggers offenbar krank war. Am 16. Februar 1775 berichtete er im Tagebuch erstmals über Schwindel. Am 19. Februar 1775 hielt er fest, es sei ihm zusätzlich noch stark übel geworden.1102 Den ganzen Rest des Monats ging es ihm anscheinend weiterhin schlecht. Ab Mitte Februar 1775 beschränken sich die kurzen Tagebucheinträge des Abts auf seine körperlichen Beschwerden, er berichtete wiederholt von Schwindel. Erst am 16. April 1775, also mehrere Wo-chen nach dem Abtransport Eggers, nahm Abt Beda seine Berichterstattung ü-ber das Tagesgeschehen wieder auf.1103

Im Rahmen der Begnadigung durch den Abt wurde ein über die Dauer der Untersuchung hinausgehender Aufenthalt im Gefängnisturm im Sinne der Ver-büssung einer Freiheitsstrafe gemäss den Akten offenbar nicht erwogen und entsprach auch nicht der Praxis. Dies dürfte insbesondere auf fehlenden Platz für Langzeitinsassen und möglicherweise auch auf die Kosten zurückzuführen sein. Die Akten enthalten zudem keinen Hinweis auf Überlegungen zur Um-

1101 Das Landmandat der Alten Landschaft regelte auch die Vormundschaft. Witwen und

Waisen sollten bevogtet werden, der «Vormund» hatte regelmässig ein Inventar über Hab und Gut zu erstellen und Einnahmen und Ausgaben schriftlich festzuhalten; vgl. etwa Landmandat 1761, Art. 75, RQSG (Alte Landschaft), S. 143. Das Landmandat 1761 auf-erlegte vermögenden Verwandten bzw. Freunden die Pflicht, für Unterhalt und Erziehung von Kindern von Gefangenen, von «verthürnter Leuthen Kinder», aufzukommen, Land-mandat 1761, Art. 79, RQSG (Alte Landschaft), S. 144. Da als Orte der Gefangenschaft oftmals Türme von Burgen und Schlössern dienten, wurde für die Gefangenschaft der Ausdruck «thürnen» verwendet, WEGELIN, Materialien [1855], S. 29.

1102 Dem Tagebucheintrag vom 19. Februar 1775 ist weiter zu entnehmen, dass man ihm eine Ader am Fuss habe öffnen wollen. Als man diese nicht recht getroffen habe, habe man ei-ne auf seinem Arm geöffnet. «Den ganzen tag ware mir übell ohne appetit zu essen oder trinckhen», Tagebuch Abt Bedas, StiASG, Bd. 283, S. 108 f.

1103 Tagebuch Abt Bedas, StiASG, Bd. 283, S. 109 ff.

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wandlung der Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe in einem (auswärtigen) Zucht-haus.1104 Ebensowenig finden sich Hinweise darauf, dass Eingrenzung oder Ver-strickung erwogen worden wären.

Egger wusste über die Möglichkeit der Galeerenstrafe Bescheid. Davon hatte ihm der Maurer berichtet, der gemäss Zeugenaussage von Maria German im vorangegangenen Januar bei ihnen im Stall übernachtet hatte. Dieser habe abends in der Stube viel vom Krieg und von der Galeere, auf der er selbst gewe-sen sei, erzählt.1105 Die Galeerenstrafe zog Egger freilich der Todesstrafe vor. Konkrete Vorstellung über die Verhältnisse an Bord einer Galeere und Kenntnis davon, dass diese Art der Arbeitsstrafe nicht selten eine verlängerte Todesstrafe darstellte, hatte er wohl nicht. Was der Maurer über die Galeere erzählt hatte, ist nicht aktenkundig; jedenfalls hatte er diese Strafe überstanden, was Egger eini-gen Schrecken und einige Angst davor genommen haben dürfte.

Die Galeerenstrafe traf Egger, obwohl sie eher selten über Bürger und Ein-heimische verhängt wurde. Einige Jahre später wäre die Verbannung der eige-nen Untertanen wohl nicht mehr in Frage gekommen. Hinzu kommt, dass 1775 die Galeerenstrafe aufgrund der Ersetzung der Galeeren durch Segelschiffe oh-nehin im Aussterben begriffen war. Ob Egger schliesslich tatsächlich noch auf einer Galeere oder sonst für Kriegsdienste eingesetzt wurde, verraten die Akten nicht.

Die Begnadigung ging für Egger mit einem Urfehdeschwur einher. Man liess ihn «einen körperlich eyd zu Gott, und allen Heyligen mit aufgehebten schwör-fingern» ablegen, dass er die Gefangenschaft an niemandem rächen würde, soll-te sich ihm dazu Gelegenheit bieten.1106 Der Hinweis auf den Schwur ist im Pro-tokoll nur kurz abgehandelt, was darauf schliessen lässt, dass Egger keinerlei Widerstand leistete und unter Eid bekundete, was von ihm verlangt wurde. Weil er während des ganzen Verfahrens wiederholt deutlich machte, seine Taten zu

1104 Die Verurteilung zur Gefangenschaft in einem auswärtigen Zuchthaus kam in der Alten

Landschaft in den 1770er-Jahren durchaus noch vor. 1774 wurde etwa ein gewisser Jakob Eberle aus Lömmenschwil wegen Diebstahls auf seine Kosten ins Zuchthaus zu Ravens-burg gebracht; StiASG, Kriminalprotokolle, Bd. 1073, S. 728; WEGELIN, Materialien[1855], S. 56.

1105 Dok. 16, Zeugenaussage der Ehefrau, S. 9. 1106 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 93.

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bereuen, er sich insbesondere darüber bewusst war, dass er eine schwere Strafe würde verbüssen müssen, und er zudem auf die Galeere in ein fremdes Land geschickt werden würde, hatte die Obrigkeit kaum Rache für das verhängte Ur-teil zu befürchten. Wohl um ganz sicher zu gehen, verzichtete man trotzdem nicht darauf, Egger die Urfehde schwören zu lassen. Das Versprechen, künftig kein derartiges Delikt mehr zu begehen, nahm man ihm jedoch nicht ab; dies erachtete man wohl als obsolet angesichts der Strafe der lebenslänglichen Ga-leerenarbeit und der damit verbundenen Unwahrscheinlichkeit, dass er je wieder st. gallischen Boden betreten würde.

7.2.3 Vollzug

Bis zu seiner Abfühung wurde Egger im «trösterstüble» an eine Kette gelegt. Man sprach ihm zu, die Zeit für den Versuch zu nutzen, sich mit Gott zu ver-söhnen. Zu diesem Zweck schickte man gemäss Protokoll Geistliche zu ihm. Dabei handelte es sich möglicherweise um Pater Ulrich Berchtold1107, der seiner-zeit der Galgen-Pater genannt wurde, weil man ihn gewöhnlich als Auströster zu den zum Tod Verurteilten rief.1108

Das Protokoll schliesst mit der knappen Notiz,

«den 16. curr.1109 abendts ist dieser Joseph Antoni Egger von hier weeg, und nacher Hünin-gen gefüehret worden».1110

An welchem Tag das Urteil tatsächlich verhängt und die Begnadigung ausge-sprochen wurden, ist den Akten nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Die Beratung der Pfalzräte fand am 3. März, das letzte Verhör am Dienstag, 7. März 1775 statt. Da sich kein weiteres Datum für die Urteilsverkündung in den Akten fin-det, die Datierung aber sonst jeweils sehr genau erfolgte und sogar jeweils Halb-tage Erwähnung fanden, liegt es nahe, dass Urteil und Begnadigung im An-schluss an das letzte Verhör noch am 7. März 1775 ausgesprochen wurden. Bis

1107 Geb. 1729, gest. 1797. 1108 HENGGELER [1929], S. 395 f.1109 Currentis = des laufenden Jahres/Monats etc. (currere = laufen); gemeint ist vorliegend

also der 16. März 1775. 1110 Dok. 2, Einvernahmeprotokoll Eggers, S. 93.

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zu seiner Abführung am Donnerstag, 16. März 1775 nach Hüningen sass Egger also neun Tage lang im «trösterstüble».

Mit Frankreich bestanden betreffend die Lieferung von Galeerensträflingen Abmachungen, wonach die künftigen Ruderer nach Solothurn, dem Sitz des französischen Ambassadors, transportiert werden sollten, wo sie dieser über-nahm und auf Kosten Frankreichs über Hüningen1111 in die Bretagne nach Brest oder über Lyon ans Mittelmeer schickte. Aus Kostengründen transportierte man jeweils zehn bis zwanzig Galeerensträflinge zusammen.1112 Wie im Fall Egger fand die Übernahme offenbar mitunter auch direkt in Hüningen statt.1113

Somit trat Egger sein weiteres Schicksal also in der Bretagne an. Wie dieses verlief, ist leider nicht aktenkundig. Dem Lehenbuch von Rotmonten kann le-diglich entnommen werden, dass Eggers Brüder Michael, Jakob und Johannes am 26. Juli 1775 die Liegenschaft ihres Vaters Michael Egger mit Haus, Stadel, Wiesland, Acker, Weide und Wald empfingen;1114 Joseph Antoni Egger ging leer aus. Dass er seine Heimat je wieder betrat, ist unwahrscheinlich.1115

1111 Hüningen bzw. Huningue liegt in Frankreich und grenzt unmittelbar an Basel an. 1112 CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 572. 1113 Siehe auch CARLEN, Galeerenstrafe [1976], S. 572, Fn. 101. 1114 STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 39. 1115 In seiner Studie zum Geschlecht Egger von Tablat und Rotmonten vermerkte STAERKLE

nur das Geburts-, nicht jedoch das Todesdatum Eggers; STAERKLE, Geschlecht [1942], S. 38. Es ist wahrscheinlich, dass über Eggers Tod in der Fürstabtei nichts bekannt wurde.

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Schlussbetrachtungen

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8 Schlussbetrachtungen

Wie die Beurteilung der Akten zum Kriminalfall um den Totschläger, Leichen-räuber und Leichenschänder Joseph Antoni Egger aus Tablat gezeigt hat, hat dieser Fall für die qualitative Fallanalyse einiges zu bieten. Der vorgegebene rote Faden des Falls ermöglichte das Aufgreifen vielfältiger Themen der ausge-henden frühneuzeitlichen Strafjustiz in der Fürstabtei St. Gallen. Die Akten sind annähernd vollständig und erlauben es, das Verfahren vom Anfang bis zum En-de nahtlos nachzuvollziehen.

Das Vorgehen des ermittelnden Gerichts war in vielen Bereichen sorgfältig. So veranlasste es Hausdurchsuchungen bei Egger, scheute kaum einen Aufwand bei den Zeugeneinvernahmen und bemühte sich nach Kräften, die Motive Eg-gers für seine Taten zu ergründen. Man verzichtete auf die Anwendung der Fol-ter, wenngleich man dieses Mittel in Form der Androhung noch einzusetzen wusste. Mit dem Ziel der Aufklärung des Falls nutzte man auch die verbale Ein-schüchterung Eggers.

Leider sind über die Beratung des Pfalzgerichts keine Details bekannt. Wie erläutert, kann jedoch darauf geschlossen werden, dass sich die Pfalzräte weit-gehend einig waren, über Egger das Todesurteil mittels Hinrichtung durch das Schwert zu verhängen. Dabei liessen sie sich vermutlich von ihrem Moral- und Rechtsverständnis leiten, ohne dass sie über fundiertes juristisches Wissen und detaillierte Kenntnis der Carolina verfügt hätten. Eine exakte juristische Veror-tung des Falls unter Zuhilfenahme der Meinung von Rechtsexperten erschien wohl als unnötig, zumal die zu verhängende Strafe für die Pfalzräte ohnehin klar gewesen sein und nicht zu Diskussionen Anlass gegeben haben dürfte.

Insgesamt waren Untersuchung, Beratung und Urteilsverkündung mehr oder weniger zeitgemäss. Bis zu den tiefgreifenden Veränderungen ausgangs des 18. Jahrhunderts war die Fürstabtei St. Gallen weitgehend in den seit Erlass der Carolina geltenden Vorstellungen zum Strafsystem verhaftet. Dennoch lässt sich im Verfahren Egger auch der Geist des 18. Jahrhunderts erkennen, was die ge-waltlosen Ermittlungsmethoden und die Verurteilung unter Verzicht auf Straf-schärfung betrifft. Als deutliches Zeichen für die Wandelung der Rechtsvorstel-lungen seit dem 16. Jahrhundert erweist sich schliesslich auch die Begnadigung Eggers durch Abt Beda. Diese war weder im fürstäbtischen noch im europäi-

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Schlussbetrachtungen

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schen Kontext betrachtet ungewöhnlich für das allmählich zu Neige gehende 18. Jahrhundert.

Die Aufarbeitung des Kriminalfalls Egger macht eine gut 230 Jahre zurück-liegende, in vielen Bereichen und Einzelheiten von heutigen Vorstellungen grundlegend abweichende und trotzdem gar nicht so fremde Epoche etwas greif-barer.

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Anhang

i

Anhang

A Akten im Fall Egger

Stiftsarchiv St. Gallen, Rubrik 42: Alte Landschaft im Allgemeinen. Justizwe-sen; Faszikel 18: Einzelne Protokollakten gehaltener Hoch- oder Blutgerichte zu St. Fiden, aus dem 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Zeitraum 1621-1792

Datum Art Person/en Dok177323.8. Anzeige Caspar Wettach, Sattlermeister 1

177515.2.-16.3. Einvernahmen, Joseph Antoni Egger 2

Beratung, UrteilFebruar

10./11. Erste Befragung Eggers, Joseph Antoni Egger/Hofweibel Ackermann 3Amtsbericht

10./16. Zeugenaussage Maria Catharina Gross 413 Zeugenaussage Elisabeth Schafhauser, Näherin 514 Anzeige Christian Louis, Wirt an der Langgass 614 Zeugenaussage Joseph Antoni Bensegger, Eggers Schwager 714 Amtsbericht Fiskal Zollikofer 815 Ärztliches Gutachten Hofleibarzt Gerold Rogg 915 Gutachten Chirurg und Hofbarbier Wolff mit Sohn 1016 Anzeige Pankraz Rietmann, Strumpfweber 1118 Zeugenaussage Jacob Himmelberger, Bruder von Catharina 1218 Anzeige Christian Louis, Wirt an der Langgass 1318 Amtsbericht Joseph Hofstetter, Hatschier 1422 Zeugenaussage Maria Barbara und Anna Maria Veronica, 15

Eggers Stieftöchter23 Zeugenaussage Maria Elisabetha German, Eggers Ehefrau 1623 Zeugenaussage Joseph Rüesch 17

März8 Zeugenaussage Johannes Geser 18

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B Personen im Fall Egger

1. Egger und seine Familie

- Joseph Antoni Egger geb. am 18. 11. 1746

- Michael Egger Eggers Vater, geb. 6. 4. 1700, gest. 16. 2. 1760

- Anna Huber Eggers Mutter, in zweiter Ehe mit Johannes Kunz

- Anna Maria Eggers Schwester, geb. 2. 11. 1745

- Michael Joseph Eggers Bruder, geb. 19. 3. 1751, Schuster

- Jacob Eggers Bruder, geb. 31. 10. 1752

- Catharina Eggers Schwester, geb. 12. 8. 1754

- Johannes Eggers Bruder, geb. 15. 4. 1756

- Elisabetha Eggers Schwester, geb. 23. 11. 1757

- Maria Anna Eggers Schwester

- Caspar Kunz Eggers Stiefbruder

- Magdalena Kunz Eggers Stiefschwester

- Maria Elisabetha German Eggers Ehefrau

- Maria Barbara Eggers Stieftochter

- Anna Maria Veronica Eggers Stieftochter

2. Zeugen

- Maria Catharina Gross Ehefrau von Johannes Ziegler, Vermieterin von Catharina Himmelberger

- Johannes Geser Bekannter von Egger aus Geiserwald

- Fideli Burckhard Knecht des Scharfrichters, aus der Langgasse

- Franz Antoni Ritter Knecht des Scharfrichters, aus Rottweil

- Christian Louis Wirt an der Langgass

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- Jacob Himmelberger Bruder von Catharina Himmelberger, Schuster

- Maria Anna Himmelberger Tochter von Jacob Himmelberger

- Johannes Karrer Totengräber

- Joseph Rüesch Bekannter von Egger, Müllersknecht

- Joseph Antoni Bensegger Eggers Schwager, verheiratet mit Anna Maria

- Johannes Kunz Eggers Stiefvater

- Elisabeth Schafhauser Näherin

3. Weitere

- Catharina Himmelberger Eggers Opfer

- Elisabeth Han Als Diebin hingerichtet

- Melchior Burckhard Komplize von Elisabeth Han, hingerichtet

- Johann Joseph Demmer Sohn von Elisabeth Han

- Maria Baumann Ehefrau von Carl Etter, verstorben im Wochenbett

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C Quellen und Materialien

1. Ungedruckte Quellen

Abschrift des Verhörprotokolls Eggers aus dem Jahr 1775 im Kriminalproto-kollband, StiASG, Bd. 1074, S. 3-77

Abschrift des Verhörprotokolls Eggers um 1865 von Stiftsarchivar Wilhelm Eugen von Gonzenbach, StaASG, Sig. AA 8 A 3-5

Bestallung des fürstl. st. gallischen landshofmeisters das malefiz betreffend, 1775, StiASG, Rubr. 27, Fasz. 5

Bestallung eines ambtsdieners des Gottshaus St. Gallen, ca. 1750, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17

Concept hochfürstlicher st. gallischer pfalzrathsordnung, erlassen von Abt Jo-seph 1733, StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3

Gerichtsakten, Protokolle und Gutachten zum Fall Egger gemäss separatem Ak-tenverzeichnis (Anhang a), StiASG, Rubr. 42, Fasz. 18

Kriminalprotokoll betreffend Elisabeth Han vom 22. April 1773, in: criminal prothocol von anno 1750 bis anno 1774, StiASG, Bd. 1073, S. 613-626

Ordnung, wie die pfaltz-räth sollen gehalten werden. 1636, StiASG, Bd. 314, S. 202-207

Pfalzratsordnung 1723, StiASG, Bd. 324, S. 877 ff.

Tagebuch des Abts Beda vom 11. März 1767 bis 31. Januar 1773, StiASG, Bd. 282

Tagebuch des Abts Beda vom 1. Februar 1773 bis 31. Dezember 1779, StiASG, Bd. 283

Taxen ordnung, Abschrift vom 24. Juli 1783, StiASG, Rubr. 28, Fasz. 3

Verzeichnis der weltlichen Beamten des Stiftes St. Gallen vom 13. bis 18. Jahr-hundert (handschriftlich), Neuauflage nach der Vorlage der ehemaligen Stiftsarchivare Wilhelm Eugen von Gonzenbach und Gustav Scherer zusam-mengestellt von PAUL STAERKLE, Stiftsarchiv St. Gallen, Sig. Rep. 14a [zit. Beamtenverzeichnis]

Würdts ordnung zuo St. Feyden anno 1697, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17

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Zusammenstellung der Kosten der Gefangenschaft zweier vom 9. bzw. 10. Au-gust bis 10. September 1723 Inhaftierter; StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17

2. Gedruckte Quellen

VON ARX ILDEFONS, Geschichten des Kantons St. Gallen, in drei Bänden, Nachdruck der Ausgabe von 1810-13/1830, St. Gallen 1987

Autor anonym, Kriminalgeschichten, aktengetreu erzählt, enthält: 1. Joseph An-ton Egger von Tablat, Todschläger und Leichenräuber, 2. Sebastian Hohl von Trogen, Goldmacher und Mädchenschänder, St. Gallen, Verlag des «Anzei-gers», ca. 1860 [zit. Autor anonym, Kriminalgeschichten]

Autor anonym, Process wie es nach dem alten Brauch an einem Malefitz Gricht in der Statt St. Gallen gehalten werden solle, St. Gallen 1701 [zit. Autor ano-nym, Process]

Der Schwabenspiegel oder schwäbisches Land- und Lehen-Rechtbuch. Nach Handschrift vom Jahr 1287. Freiherr von Lassberg, Friedrich Leonhard An-ton [Hg.], Neudruck der Ausgabe 1840, Aalen 1961

Der Schwabenspiegel, übertragen in heutiges Deutsch, Derschka Harald Rainer [Übers.], München 2002

Die Bambergische Halsgerichtsordnung, Bd. 2 der Reihe «Die Carolina und ihre Vorgängerinnen», Kohler Josef/Scheel Willy [Hg.], Neudruck der Ausgabe Halle 1902, Aalen 1968

Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Römischen Reichs von 1532 (Carolina), Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Stuttgart 2000

Freyhait von Kayser Friederich dem Dritten Abbt Gotthartt erthailt, das man das Hochgericht zu beschlossner Thür, und nid offentlich halten mög, und wie man das besetzen soll, vom 16. August 1491, StiASG, Rubr. 42, Fasz. 17

FRÖLICH VON FRÖLICHSBURG JOHANN CHRISTIAN, Commentarius in Kayser Carl des Fünfften und des Heil. Röm. Reichs peinliche Halsgerichts-Ord-nung, Ulm 1709, 7. Aufl., Frankfurt/Leipzig 1759

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Materialien zur Geschichte des Kriminal- und Gefängniswesens in der alten Landschaft, im Toggenburg und Rheintal ab anno 1396-1797, gesammelt und in chronologische Ordnung gebracht von KARL WEGELIN, in: Verhandlungen der St. Gallisch-Appenzellischen gemeinnützigen Gesellschaft an der Haupt-versammlung in Berneck, Dienstags, den 17. Oktober 1854, zweite Beilage, St. Gallen 1855, S. 29-66 [zit. WEGELIN, Materialien]

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen. Erster Teil: Die Rechtsquellen der Abtei St. Gallen, zweite Reihe, 1. Band: Die allgemeinen Rechtsquellen der Alten Landschaft, bearb. von WALTER MÜLLER, hg. vom Schweizerischen Juristenverein, Aarau 1974 [zit. RQSG (Alte Landschaft)]

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen. Erster Teil: Offnungen & Hofrechte, erster Band: Alte Landschaft, bearb. von MAX GMÜR, hg. vom Schweizerischen Juristenverein, Aarau 1903 [zit. RQSG (Offnungen)]

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D Literatur

A

AEBI FRITZ, Die Religionsdelikte in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ihre Be-handlung im geltenden Recht mit Berücksichtigung der deutschen und schweizerischen Strafgesetzentwürfe, Diss. iur. Zürich, Zürich 1914

ALLFELD PHILIPP, Die Entwicklung des Begriffes Mord bis zur Carolina. Ein rechtsgeschichtlicher Versuch, Nachdruck der Ausgabe Erlangen 1877, Darmstadt 1969

ALTHER ERNST W., Ahnentafel von Bürgern st. gallischen Ursprungs, mit Aus-läufern nach Genf, Nancy, Nürnberg, Ulm, Lucca und Florenz, St. Gallen 2004

ARBEITSKREIS «EDITIONSPROBLEME IN DER FRÜHEN NEUZEIT» [Hg.], Empfeh-lungen für die Edition frühneuzeitlicher Texte, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, hg. von der Arbeitsgemein-schaft ausseruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bun-desrepublik Deutschland, Berichtsjahr 1980, Stuttgart 1981, S. 85-96

ARVANITIS CHRISTOS, Zur Problematik der Unterscheidung zwischen Mord und Todschlag, Diss. iur. München, München 1982

B

BALDAUF DIETER, Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte, Köln/Böhlau 2004

BAUMANN MAX, Konfessionelle, politische, wirtschaftliche Vielfalt, in: St. Gal-ler Geschichte 2003, Bd. 3: Frühe Neuzeit: Territorien, Wirtschaft, hg. von der wissenschaftlichen Kommission der Sankt-Galler Kantonsgeschichte, St. Gallen 2003, S. 11-149

BAUMANN ROBERT, Der Anwalt im Visier des Staates. Erwartungen des Ge-setzgebers an die Rolle des Anwaltes in einer freien Marktwirtschaft, in: Ak-tuelle Juristische Praxis (AJP), 1/2008, S. 43-54

BAUMGARTNER GALLUS JAKOB, Geschichte des schweizerischen Freistaates und Kantons St. Gallen, mit besonderer Beziehung auf Entstehung, Wirk-

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Anhang

viii

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VON BRANDT AHASVER, Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die His-torischen Hilfswissenschaften, 15. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln 1998

BREITENMOSER HANS, Schloss Oberberg bei Gossau, in: Burgen, Schlösser und Burgherrengeschichte der Ostschweiz, hg. von Meili Hermann, Trogen 1970, S. 126-129

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BÜCHLER HANS, Das Toggenburg. Eine Landschaft zwischen Tradition und Fortschritt, Sulgen 1992

BUSSE DIETRICH, Textinterpretation. Sprachtheoretische Grundlagen einer ex-plikativen Semantik, Opladen 1992

C

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CAVELTI LEO, Entwicklung der Landeshoheit der Abtei St. Gallen in der alten Landschaft, Gossau 1914

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CURTI CLAUDIA, Die Strafanstalt des Kantons Zürich im 19. Jahrhundert, Diss. iur. Zürich, Zürich 1988

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x

D

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VAN DÜLMEN RICHARD, Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafurtei-le in der frühen Neuzeit, München 1995 [zit. VAN DÜLMEN, Theater]

E

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EISENHARDT ULRICH, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. Aufl., München 2004

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ENGENSPERGER A., Entwicklung der Landsgemeinden in der Alten Landschaft St. Gallen von ihrem Entstehen bis zum Beginn der französischen Invasion, kopiert von Perret Franz, St. Gallen 1953

ENGLERT NIKOLAUS, Todesbegriff und Leichnam als Element des Totenrechts, tuduv-Studien, Reihe Rechtswissenschaft, Bd. 10, München 1979

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F

VON FABRICE HEINRICH, Die Lehre von der Kindsabtreibung und vom Kinds-mord. Gerichtsärztliche Studien, Erlangen 1868

FELDER GOTTLIEB, Über altes Burggemäuer, in: Burgen, Schlösser und Burg-herrengeschichte der Ostschweiz, hg. von Meili Hermann, Trogen 1970, S. 37-39

FEUERHELM WOLFGANG, Stellung und Ausgestaltung der gemeinnützigen Ar-beit im Strafrecht. Historische, dogmatische und systematische Aspekte einer ambulanten Sanktion, Wiesbaden 1997

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Anhang

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FISCHER-HOMBERGER ESTHER, Medizin vor Gericht, Gerichtsmedizin von der Renaissance bis zur Aufklärung, Bern/Stuttgart/Wien 1983

FRANZ ECKHART G., Einführung in die Archivkunde, 6. Aufl., Darmstadt 2004

FRAUENSTÄDT PAUL, Blutrache und Todschlagsühne im Deutschen Mittelalter, Neudruck der 1. Aufl. von 1881, Berlin 1980

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FUCHS RALF-PETER, Protokolle von Zeugenverhören als Quellen zur Wahrneh-mung von Zeit und Lebensalter in der frühen Neuzeit, in: Baumann Anette et al. [Hg.], Prozessakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der Höchs-ten Gerichtsbarkeit im Alten Rhein, Köln/Weimar/Wien 2001 [zit. FUCHS,Zeugenverhöre]

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FUMASOLI GEORG, Ursprünge und Anfänge der Schellenwerke. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Zuchthauswesens, Diss. iur. Zürich, Zürich 1981

G

GANAHL KARL HANS, Studien zur Verfassungsgeschichte der Klosterherrschaft St. Gallen von den Anfängen bis ins hohe Mittelalter, 6. Bd. der Forschungen zur Geschichte Vorarbergs und Liechtensteins, Innsbruck 1931

GEMPERLI STEFAN, St. Gallen, Säkularisation und Ende der Reichskirche, in: Begleitpublikation zur Ausstellung «Fürstabtei St. Gallen – Untergang und Erbe 1805/2005» im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen (10. September 2005 - 9. Juli 2006), hg. von Staatsarchiv St. Gallen, Stiftsar-chiv St. Gallen und Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen 2005, S. 21-27

GLASER JULIUS, Handbuch des Strafprozesses, 1. Bd., Leipzig 1883

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Anhang

xiii

GRAF BEAT, Freiheitsstrafen in der Fürstabtei St.Gallen (Alte Landschaft) und der freien Reichsstadt St.Gallen von den Anfängen bis zum Ende des Ancien Régime, Diss. iur. Freiburg/CH, Wil 1996

GRIMM JACOB, Deutsche Mytohlogie, 2. Bd., dritte Ausgabe, Göttingen 1854

GROLMAN KARL, Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft nebst einer syste-matischen Darstellung des Geistes der deutschen Criminalgesetze, Neudruck der Ausgabe Giessen 1798, Glashütten im Taunus 1970

GSCHWEND LUKAS, Carl Stooss, in: Michael Stolleis [Hg.], Juristen. Ein bio-graphisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995 [zit. GSCHWEND, Juristen]

GSCHWEND LUKAS, Der Studentenmord von Zürich. Eine kriminalhistorische Untersuchung zur Tötung des Studenten Ludwig Lessing am 4. November 1835, Zürich 2002 [zit. GSCHWEND, Studentenmord]

GSCHWEND LUKAS, Pfalzgericht, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Version vom 18. Januar 2006, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D27307.php [zit. GSCHWEND, Pfalzgericht]

GSCHWEND LUKAS, Vom Geständniszwang zum rechtsstaatlichen Beweisver-fahren zwischen 1750 und 1850, in: Opitz Claudia/Studer Brigitte/Tanner Ja-kob [Hg.], Kriminalisieren – Entkriminalisieren – Normalisieren, Zürich 2006, S. 165-175 [zit. GSCHWEND, Geständniszwang]

GSCHWEND LUKAS/KRAMER GEORG, Die rechtshistorische Textexegese, in: ius.full 6/04, Zürich 2004, S. 247-258 [zit. GSCHWEND/KRAMER, Textexege-se]

GSCHWEND LUKAS/KRAMER GEORG, Gerichtshoheit und Landesherrschaft. Die Entwicklung der Gerichtshoheit in Churrätien unter besonderer Berücksichti-gung der Verhältnisse in der Grafschaft Werdenberg, in: Werdenberger Jahr-buch 2006, hg. von der Historisch-Heimatkundlichen Vereinigung des Be-zirks Werdenberg, 19. Jg., Buchs 2005, S. 9-28 [zit. GSCHWEND/KRAMER,Gerichtshoheit]

GUGGENHEIMER DOROTHEE/SONDEREGGER STEFAN, Dokumente des 13. bis 20. Jahrhunderts aus dem Stadtarchiv St. Gallen, Interaktive Leseübungen und Kommentare, CD-ROM, Zürich 2006

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Anhang

xiv

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H

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HÄRTER KARL, Strafverfahren im frühneuzeitlichen Territorialstaat: Inquisition, Entscheidungsfindung, Supplikation, in: Blauert Andreas/Schwerhoff Gerd [Hg.], Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000, S. 459-480

HARTMANN PETER C., Die Jesuiten, München 2001

HATTENHAUER HANS, Europäische Rechtsgeschichte, 4. Aufl., Heidelberg 2004

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HAUSER ALBERT, Was für ein Leben. Schweizer Alltag vom 15. bis 18. Jahr-hundert, Zürich 1987 [zit. HAUSER ALBERT, Leben]

HAUSER ROBERT, Der Zeugenbeweis im Strafprozess mit Berücksichtigung des Zivilprozesses, Zürcher Schriften zum Verfahrensrecht, Bd. 5, Zürich 1974

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HENGGELER RUDOLF, Professbuch der fürstlichen Benediktinerabtei der heili-gen Gallus und Othmar zu St. Gallen, Nr. 540, Zug 1929

HENKEL HEINRICH, Strafverfahrensrecht. Ein Lehrbuch, 2. Aufl., Stuttgart/Ber-lin/Köln/Mainz 1968

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Anhang

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HENSCHEL JOHANN FRIEDRICH, Die Strafverteidigung im Inquisitionsprozess des 18. und im Anklageprozess des 19. Jahrhunderts, Diss. iur. Freiburg im Breisgau, München 1972

HENSEL GERD, Geschichte des Grauens. Deutscher Strafvollzug in 7 Jahrhun-derten, Altendorf/AT 1979

VON HENTIG HANS, Zur Psychologie der Einzeldelikte, Bd. 2: Der Mord, Tü-bingen 1956 [zit. VON HENTIG, Psychologie]

VON HENTIG HANS, Die Strafe, Bd. 1: Frühformen und kulturgeschichtliche Zu-sammenhänge; Bd. 2: Die modernen Erscheinungsformen, Berlin/Göttin-gen/Heidelberg 1954/55 [zit. VON HENTIG, Strafe, Bd. 1/2]

HESS FALK, Böhmer, Johann Samuel Friedrick, in: Cordes Albrecht/Lück Hei-ner/Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsge-schichte, 2. Aufl., 3. Lieferung, Berlin 2005, Sp. 640

HINCKELDEY CHRISTOPH [Hg.], Justiz in alter Zeit, Bd. VI c der Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o.d.T., Rothenburg o.d.T. 1989

HIRSCH HANS, Die Hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter, Reichenberg 1922

HIS RUDOLF, Strafrecht des deutschen Mittelalters, Teil 1: Die Verbrechen und ihre Folgen im allgemeinen, Leipzig 1920; Teil 2: Die einzelnen Verbrechen, Neudruck der Ausgabe Weimar 1935, Aalen 1964

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Anhang

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HOLLENSTEIN LORENZ, Landshofmeisteramt, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7663.php [zit. HOLLENSTEIN LORENZ, Landshofmeisteramt]

HOLLENSTEIN LORENZ, Einst weltliche Oberbeamte im Klosterstaat – dann füh-rende Politiker im neuen Kanton, in: Begleitpublikation zur Ausstellung «Fürstabtei St. Gallen – Untergang und Erbe 1805/2005» im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen (10. September 2005 - 9. Juli 2006), hg. von Staatsarchiv St. Gallen, Stiftsarchiv St. Gallen und Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen 2005, S. 73-78 [zit. HOLLENSTEIN LORENZ, Oberbeam-te]

HOLZHAUER HEINZ, Geständnis, in: Erler Adalbert/Kaufmann Ekkehard [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl., Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1629-1642

VON HÖRMANN LUDWIG, Der Wurzengraber, in: Der Alpenfreund. Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären Schilde-rungen aus dem Gesamtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur Genussvollen Bereisung derselben, 2. Bd., Gera 1870, S. 360-362

HUGGER PAUL, Volksfrömmigkeit, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/ textes/d/11511.php

I

IGNOR ALEXANDER, Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846. Von der Carolina Karls V. bis zu den Reformen des Vormärz, Paderborn 2002

ILLI MARTIN, Wohin die Toten gingen. Begräbnis und Kirchhof in der vorindus-triellen Stadt, Zürich 1992

IMBODEN KARL, Religion und ärztliches Wissen. Nach einem Vortrage von Dr. med. K. Imboden, Nervenarzt, St. Gallen ca. 1915

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Anhang

xvii

J

JAKOBER DOMINIKA, Dominikanerinnenkloster St. Katharina Wil, München/Zü-rich 1991

JAKOBS GÜNTHER, Strafrecht Allgemeiner Teil. Die Grundlagen und die Zu-rechnungslehre, Studienausgabe, 2. Aufl., Berlin 1993

JANSEN KIRSTEN, Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse. Die Integration nicht-institu-tionalisierter Lebensformen in das strafprozessuale Zeugnisverweigerungs-recht aus persönlichen Gründen, Diss. iur. Köln, Berlin 2004

JEROUSCHEK GÜNTER, Akkusationsprozess, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/ Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., 1. Lieferung, Berlin 2004, Sp. 126-128 [zit. JEROUSCHEK, Akkusa-tionsprozess]

JEROUSCHEK GÜNTER, Die Herausbildung des peinlichen Inquisitionsprozesses im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW), Bd. 104, Berlin/New York 1992, S. 328-360 [zit. JEROUSCHEK, Inquisitionsprozess]

JEROUSCHEK GÜNTER, Thomasius und Beccaria als Folterkritiker. Überlegun-gen zum Kritikpotential im kriminalwissenschaftlichen Diskurs der Aufklä-rung, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW), Bd. 110 Berlin/New York 1998, S. 658-673 [zit. JEROUSCHEK, Beccaria]

K

KABUS INA, Der Inquisitionsprozess im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Jerouschek Günter/Rüping Hinrich [Hg.], «Auss liebe der gerechtigkeit vnd umb gemeines nutz willenn». Historische Beiträge zur Strafverfolgung, Tübingen 2000, S. 29-57

KALKOFEN RUPERT, Literarisches Leben, in: Wunderlich Werner [Hg.], St. Gal-len. Geschichte einer literarischen Kultur. Kloster – Stadt – Kanton – Region, Bd. 1: Darstellung, St. Gallen 1999, S. 759-872

KÄSTNER KARL-HERMANN, Cuius regio eius religio, in: Cordes Albrecht/ Lück Heiner/Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsge-schichte, 2. Aufl., 4. Lieferung, Berlin 2006, Sp. 913-916

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Anhang

xviii

KESEL GÜNTHER, Die Religionsdelikte und ihre Behandlung im künftigen Straf-recht, Diss. iur. München, München 1968

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KLEINHEYER GERD, Zur Rechtsgestalt von Akkusationsprozess und peinlicher Frage im frühen 17. Jahrhundert. Ein Regensburger Anklageprozess vor dem Reichshofrat, Opladen 1971 [zit. KLEINHEYER, Akkusationsprozess]

KLEINHEYER GERD, Zur Rolle des Geständnisses im Strafverfahren des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte, Ge-dächtnisschrift für Hermann Conrad, hg. von Kleinheyer Gerd und Mikat Paul, Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Heft 34, Paderborn/München/Wien/Zürich 1979, S. 367-384 [zit. KLEINHEYER, Geständnis]

KLEINHEYER GERD/SCHRÖDER JAN [Hg.], Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten. Eine biographische Einführung in die Geschichte der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., Heidelberg 1996

KLEINSCHROD GALLUS ALOYS, Systematische Entwicklung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten des peinlichen Rechts nach der Natur der Sache und der positiven Gesetzgebung. 3 Teile, 3. Aufl., Erlangen 1805, Nachdruck Frankfurt am Main 1985 [zit. KLEINSCHROD, Grundbegriffe]

KLEINSCHROD GALLUS ALOYS, Über die Rechte, Pflichten und Klugheitsregeln des Richters bey peinlichen Verhören und der Erforschung der Wahrheit in peinlichen Fällen, in: Archiv des Criminalrechts, Bd. 1 und 2, Halle 1798/99 [zit. KLEINSCHROD, Richter]

KNOTT SEBASTIAN, Bei der Ehre gepackt! Die Ehrenstrafen in Bayern seit 1700, Regensburg 2006

KÖBLER GERHARD, Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, München 1997

KRAMER GEORG, St. Jakob – Eine Geistesgeschichte der ersten St. Galler Straf-anstalt, in: Gschwend Lukas [Hg.], Grenzüberschreitungen und neue Hori-

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Anhang

xix

zonte: Beiträge zur Rechts- und Regionalgeschichte der Schweiz und des Bo-densees, Zürich/St. Gallen 2007

VON KRIES AUGUST, Der Beweis im Strafprozess des Mittelalters, Neudruck der Ausgabe Weimar 1878, Aalen 1975

KRÖNER OTTO, Die vorsätzlichen Tötungsdelikte in ihrer Entwicklung von der Carolina bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Diss. iur. Göttingen, Göttin-gen 1958

KRÜNITZ JOHANN GEORG, Oekonomische Encyklopädie, oder allgemeines Sys-tem der Staats- Stadt- Haus- und Landwirtschaft, in alphabetischer Ordnung, 242 Bände, Berlin 1773-1858

L

LABOUVIE EVA, Wider Wahrsagerei, Segnerei und Zauberei. Kirchliche Versu-che zur Ausgrenzung von Aberglaube und Volksmagie seit dem 16. Jahrhun-dert, in: van Dülmen Richard [Hg.], Verbrechen, Strafen und soziale Kontrol-le. Studien zur historischen Kulturforschung, Frankfurt am Main 1990, S. 15-55

LEMMENMEIER MAX, Die Anfänge einer bürgerlich-industriellen Gesellschaft, in: St. Galler Geschichte 2003, Bd. 5: Die Zeit des Kantons 1798-1861, hg. von der wissenschaftlichen Kommission der Sankt-Galler Kantonsgeschichte, St. Gallen 2003, S. 11-98

LIEBERWIRTH ROLF, Constitutio Criminalis Carolina, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsge-schichte, 2. Aufl., 4. Lieferung, Berlin 2006, Sp. 885-890

LOETZ FRANCISCA, Zeichen der Männlichkeit? Körperliche Kommunikations-formen streitender Männer im frühneuzeitlichen Stadtstaat Zürich, in: Dinges Martin [Hg.], Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männ-lichkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 1998, S. 264-293

LUMINATI MICHELE, Eid, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D44630.php, [zit. LUMINATI, Eid]

LUMINATI MICHELE, «Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören» – Eidverweigerung und Glaubensfragen in einem Züricher Prozess, in: Falk Ul-

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Anhang

xx

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M

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MÜLLER WALTER, Zur ländlichen Verfassung im ostschweizerischen Herr-schaftsgebiet der Fürstabtei St. Gallen, Sonderdruck aus Montfort 1969, Dornbirn 1969 [zit. MÜLLER, Verfassung]

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Anhang

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MÜNCH PAUL, Lebensformen in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main/Berlin 1992

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MÜSSIG BERND, Mord und Totschlag. Vorüberlegungen zu einem Differenzie-rungsansatz im Bereich des Tötungsunrechts, Köln/Berlin/München 2005

O

OESTMANN PETER, Aktenversendung, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werk-müller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., 1. Lieferung, Berlin 2004, Sp. 128-132

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P

PAHUD DE MORTANGES RENÉ, Schweizerische Rechtsgeschichte. Ein Grundriss, Zürich/St. Gallen 2007

PETER MATTHIAS, «Zu seiner Warnung, Schand’ und Schmach», in: St. Galler Tagblatt vom 16. August 1997, URL: http://www.tagblatt.ch, Archivsuche, Stichworte Datum, Autor

PFENNINGER HANS FELIX, Leichenschändungen, in: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (ZStR), 34. Jg. (1921), S. 33-48

PFENNINGER HEINRICH, Das Strafrecht der Schweiz, Berlin 1890

PLOUCQUET WILHELM GOTTFRIED: Der Arzt, oder über die Ausbildung, die Studien, Pflichten, Sitten und die Klugheit des Arztes, Tübingen 1797

PÖLTL RENÉ, Die Lehre vom Indizienbeweis im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1999

POPPEN ENNO, Die Geschichte des Sachverständigenbeweises im Strafprozess des deutschsprachigen Raumes, Göttigen 1984

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Q

QUANTER RUDOLF, Deutsches Zuchthaus- und Gefängniswesen. Von den ältes-ten Zeiten bis in die Gegenwart, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1905, Aalen 1970 [zit. QUANTER, Zuchthaus]

QUANTER RUDOLF, Die Folter in der deutschen Rechtspflege sonst und jetzt. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Strafrechts, Neudruck der Ausgabe Dresden 1900, Aalen 1970 [zit. QUANTER, Folter]

R

RADBRUCH GUSTAV, Geschichte des Verbrechens. Versuche einer historischen Kriminologie (1931), in: Strafrechtsgeschichte, Gesamtausgabe, Bd. 11, hg. von Kaufmann Arthur, bearb. von Neumann Ulrich, Heidelberg 2001, S. 19-254 [zit. RADBRUCH, Verbrechen]

RADBRUCH GUSTAV, Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina) (1930), in: Strafrechtsgeschichte, Gesamtausgabe, Bd. 11, hg. von Kaufmann Arthur, bearb. von Neumann Ulrich, Heidelberg 2001, S. 255-336 [zit. RADBRUCH, Carolina]

ROTH ANDREAS, Verdachtsstrafe, in: Erler Adalbert/Kaufmann Ekkehard [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl., Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 681-684

RUMMEL WALTER, Verletzung von Körper, Ehre und Eigentum. Varianten im Umgang mit Gewalt in Dörfern des 17. Jahrhunderts, in: Blauert Andreas/ Schwerhoff Gerd [Hg.], Mit den Waffen der Justiz. Zur Kriminalitätsge-schichte des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1993, S. 86-114

RÜPING HINRICH, Die Carolina in der strafrechtlichen Kommentarliteratur. Zum Verhältnis von Gesetz und Wissenschaft im gemeinen deutschen Strafrecht, in: Landau Peter/Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Strafrecht, Strafprozess und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Cri-minalis Carolina, Frankfurt am Main 1984, S. 161-176

RÜPING HINRICH/JEROUSCHEK GÜNTER, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, 5. Aufl., München 2007

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Anhang

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S

SCHAFFSTEIN FRIEDRICH, Die Bedeutung der Carolina für die Entwicklung strafrechtlicher Deliktstatbestände, in: Landau Peter/Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Strafrecht, Strafprozess und Rezeption. Grundlagen, Ent-wicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina, Frankfurt am Main 1984, S. 145-159

SCHILD WOLFGANG, Aberglaube und Recht, in: Cordes Albrecht/Lück Hei-ner/Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsge-schichte, 2. Aufl., 1. Lieferung, Berlin 2004, Sp. 8-19 [zit. SCHILD, Aber-glaube]

SCHILD WOLFGANG, Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, München 1980 [zit. SCHILD, Gerichtsbarkeit]

SCHILD WOLFGANG, Der «endliche Rechtstag» als das Theater des Rechts, in: Landau Peter/Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Strafrecht, Strafprozess und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Cri-minalis Carolina, Frankfurt am Main 1984, S. 119-144 [zit. SCHILD,Rechtstag]

SCHILD WOLFGANG, Die Gottesurteile, in: Hinckeldey Christoph [Hg.], Justiz in alter Zeit, Bd. VI c der Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o.d.T., Rothenburg o.d.T. 1989, S. 225-240 [zit. SCHILD, Gottes-urteile]

SCHILD WOLFGANG, Geschichte des Verfahrens, in: Hinckeldey Christoph [Hg.], Justiz in alter Zeit, Bd. VI c der Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o.d.T., Rothenburg o.d.T. 1989, S. 129-224 [zit. SCHILD, Verfahren]

SCHILD WOLFGANG, «Von peinlicher Frag». Die Folter als rechtliches Beweis-verfahren, Bd. IV der Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg o.d.T., Rothenburg o.d.T. 2002 [zit. SCHILD, Frag]

SCHINDLING ANTON, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650-1800, Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 30, München 1994

SCHLOSSER HANS, Die infamierende Strafe der Galeere, in: Kroeschell Karl [Hg.], Festschrift für Hans Thieme zu seinem 80. Geburtstag, Sigmaringen 1986, S. 253-263 [zit. SCHLOSSER, Galeere]

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Anhang

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SCHLOSSER HANS, Die Strafe der Galeere als poena arbitraria in der mediterra-nen Strafpraxis, in: Zeitschrift für Neue Rechtsgeschichte (ZNR), 10. Jg., 1988, S. 19-37 [zit. SCHLOSSER, ZNR]

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SCHMIDT EBERHARD, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechts-pflege, 3. Aufl., Göttingen 1965 [zit. SCHMIDT EBERHARD, Strafrechtspflege]

SCHMIDT EBERHARD, Zuchthäuser und Gefängnisse. Zwei Vorträge, Göttingen 1960 [zit. SCHMIDT EBERHARD, Zuchthäuser]

SCHMIDT HANS-JOACHIM, Frieden schaffen – Verbrecher strafen. Der beschwo-rene Friede und die Sanktion des Friedensbruchs im frühen und hohen Mit-telalter, in: Opitz Claudia/Studer Brigitte/Tanner Jakob [Hg.], Kriminalisie-ren – Entkriminalisieren – Normalisieren, Zürich 2006, S. 75-91

SCHMOECKEL MATHIAS, Humanität und Staatsraison. Die Abschaffung der Fol-ter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozess- und Beweis-rechts seit dem hohen Mittelalter, Köln/Weimar/Wien 2000

SCHMUCKI KARL, Das Benediktinerkloster St. Gallen und der Jesuitenorden, in: «Die Ostschweiz» vom 1. Juni 1991, St. Gallen 1991, 1 Seite (ohne Seiten-zahl)

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SCHMUTZ DANIEL/ZÄCH BENEDIKT, Gulden, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 11. Februar 2005, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13675.php

SCHNABEL-SCHÜLE HELGA, Die Strafe des Landesverweises in der Frühen Neu-zeit, in: Gestrich Andreas/Hirschfeld Gerhard/Sonnabend Holger [Hg.], Ausweisung und Deportation. Formen der Zwangsmigration in der Geschich-te, Stuttgarter Beiträge zur historischen Migrationsforschung, Bd. 2, Stuttgart 1995, S. 73-82 [zit. SCHNABEL-SCHÜLE, Landesverweis]

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SCHNABEL-SCHÜLE HELGA, Ego-Dokumente im frühneuzeitlichen Strafprozess, in: Schulze Winfried [Hg.], Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, S. 295-317 [zit. SCHNABEL-SCHÜLE, Ego-Dokumente]

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SCHROEDER FRIEDRICH-CHRISTIAN, Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Carolina) von 1532. Verfasst 1980, in: Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Die Carolina. Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, Darmstadt 1986, S. 305-337

SCHULZE WINFRIED, Zur Ergiebigkeit von Zeugenbefragungen und Verhören, in: Schulze Winfried [Hg.], Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, S. 319-325

SCHUSTER PETER, Ausweisung, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., 2. Lieferung, Berlin 2005, Sp. 392-394

SCHWEGLER MICHAELA, «Erschröckliches Wunderzeichen» oder «natürliches Phänomenon»? Frühneuzeitliche Wunderzeichenberichte aus der Sicht der Wissenschaft, München 2002

SCHWERHOFF GERD, Aktenkundig und gerichtsnotorisch. Einführung in die His-torische Kriminalitätsforschung, Tübingen 1999 [zit. SCHWERHOFF, Akten-kundig]

SCHWERHOFF GERD, Gewaltkriminalität im Wandel (14.-18. Jahrhundert). Er-gebnisse und Perspektiven der Forschung, in: Opitz Claudia/Studer Brigit-te/Tanner Jakob [Hg.], Kriminalisieren – Entkriminalisieren – Normalisieren, Zürich 2006, S. 55 -72 [zit. SCHWERHOFF, Gewaltkriminalität]

SELLERT WOLFGANG, Urgicht, Urgichtbücher, in: Erler Adalbert/Kaufmann Ekkehard [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl., Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 571

SENN MARCEL, Rechtsgeschichte – ein kulturhistorischer Grundriss, 4. Aufl., Zürich 2007

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Anhang

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SENN MARCEL/GSCHWEND LUKAS, Rechtsgeschichte II – Juristische Zeitge-schichte, 2. Aufl., Zürich 2004

SENN MARCEL/GSCHWEND LUKAS/PAHUD DE MORTANGES RENÉ, Rechtsge-schichte auf kulturgeschichtlicher Grundlage, Zürich/Basel/Genf 2006

SIMON THOMAS, Grundherrschaft und Vogtei. Eine Strukturanalyse spätmittel-alterlicher und frühneuzeitlicher Herrschaftsbildung, Frankfurt am Main 1995 [zit. SIMON, Grundherrschaft]

SIMON THOMAS, Aufklärung, in: Cordes Albrecht/Lück Heiner/Werkmüller Dieter [Hg.], Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., 2. Lieferung, Berlin 2005, Sp. 332-339 [zit. SIMON, Aufklärung]

SPECKER LOUIS, Aus dem Pflichtenheft der Rorschacher Obervögte, Beitrags-reihe im Ostschweizer Tagblatt, erschienen am 31. Juli, 1. und 30. Septem-ber, 31. Oktober, 1. und 31. Dezember 1987

STAERKLE PAUL, Das Geschlecht Egger von Tablat und Rotmonten, St. Gallen 1942 [zit. STAERKLE, Geschlecht]

STAERKLE PAUL, Der fürstlich-st. gallische Hofstaat bis zur Glaubensspaltung, in: Festschrift Oskar Vasella zum 60. Geburtstag am 15. Mai 1964, hg. von der Vereinigung katholischer Historiker der Schweiz, Freiburg/CH 1964, S. 35-55 [zit. STAERKLE, Hofstaat]

STAERKLE PAUL, Die Leibärzte der Fürstäbte von St. Gallen, 2. Teil, in: Ror-schacher Neujahrsblatt 1968, 58. Jg., Rorschach 1968, S. 91-106 [zit. STAERKLE, Leibärzte]

STAERKLE PAUL, Die Obervögte von Rorschach, in: Rorschacher Neujahrsblatt 1951, 41. Jg., Rorschach 1951, S. 23-29 [zit. STAERKLE, Obervögte]

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STAERKLE PAUL, Ursprung und Entwicklung der Gemeinde Tablat, bearb. von Ziegler Ernst, in: Tablat und Rotmonten. Zwei Ortsgemeinden der Stadt St. Gallen, hg. von Ziegler Ernst im Auftrag der Ortsgemeinden Tablat und Rotmonten, St. Gallen 1991, S. 25-37 [zit. STAERKLE, Tablat]

STAUB STEPHAN, Jus Statutarium vertis Territorii Principalis Monasterii Sancti Galli. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte von Kloster und Kanton St. Gallen, Diss. iur. St. Gallen, Zürich 1988

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Anhang

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STÜBINGER STEPHAN, Schuld, Strafrecht und Geschichte. Die Entstehung der Schuldzurechnung in der deutschen Strafrechtshistorie, Köln/Weimar/Wien 2000

STUTE MARTIN, Hauptzüge wissenschaftlicher Erforschung des Aberglaubens und seiner populärwissenschaftlichen Darstellungen der Zeit von 1800 bis in die Gegenwart. Eine Literaturanalyse, Frankfurt am Main 1997

SUTER STEFAN, Die Gutachten der Basler Juristenfakultät in Straffällen. Vom ausgehenden 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Basel/Frankfurt am Main 1990

T

THOMAS SVEN, Die Geschichte des Mordparagraphen – eine normgenetische Untersuchung bis in die Gegenwart, Bochum 1985

THÜRER GEORG, Fürstabtei und Stadtrepublik St. Gallen. Zwei Staatswesen des 18. Jahrhunderts, in: Rorschacher Neujahrsblatt 1963, 53. Jg., Rorschach 1963, S. 53-66 [zit. THÜRER, Staatswesen]

THÜRER GEORG, St. Galler Geschichte. Kultur, Staatsleben und Wirtschaft in Kanton und Stadt St. Gallen von der Urzeit bis zur Gegenwart, Bd. 1: Urzeit bis Barock, Bd. 2: Aufklärung bis Gegenwart, St. Gallen 1953/1972 [zit. THÜRER, Geschichte]

TOCH MICHAEL, Schimpfwörter im Dorf des Spätmittelalters, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 101. Bd., Wien 1993, S. 311-327

TOEPEL FRIEDRICH, Grundstrukturen des Sachverständigenbeweises im Straf-prozessrecht, Tübingen 2002

TREMP ERNST, Die Entwicklung der Fürstabtei St. Gallen, in: Begleitpublikation zur Ausstellung «Fürstabtei St. Gallen – Untergang und Erbe 1805/2005» im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen (10. September 2005 - 9. Juli 2006), hg. von Staatsarchiv St. Gallen, Stiftsarchiv St. Gallen und Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen 2005, S. 121-130

TRUSEN WINFRIED, Strafprozess und Rezeption. Zu den Entwicklungen im Spätmittelalter und den Grundlagen der Carolina, in: Landau Peter/Schroeder Friedrich-Christian [Hg.], Strafrecht, Strafprozess und Rezeption. Grundla-

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Anhang

xxix

gen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina, Frank-furt am Main 1984, S. 29-118

V

VALENTINITSCH HELFRIED, Fahndungs-, Gerichts- und Strafvollzugsakten als Quelle zur Alltagsgeschichte des Barockzeitalters, in: Pickl Othmar/Feigl Helmut [Hg.], Methoden und Probleme der Alltagsforschung im Zeitalter des Barock, Wien 1992, S. 69-82

VOGLER MARIA THOMA, Geschichte des Dominikanerinnen-Klosters St. Katha-rina in St. Gallen 1228-1607, Freiburg/CH 1938

VOGLER WERNER, Gütlicher Vertrag, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 8. März 2006, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/ D44540.php [zit. VOGLER WERNER, Gütlicher Vertrag]

VOGLER WERNER, Klösterliche Geschichtsschreibung in St. Gallen und Pfäfers vom 17. bis 19. Jahrhundert, in: Wunderlich Werner [Hg.], St. Gallen. Ge-schichte einer literarischen Kultur. Kloster – Stadt – Kanton – Region, Bd. 1: Darstellung, St. Gallen 1999, S. 371-395 [zit. VOGLER WERNER, Geschichts-schreibung]

W

WACHENFELD FRIEDRICH, Die Begriffe von Mord und Totschlag sowie vorsätz-licher Körperverletzung mit tödlichem Ausgange in der Gesetzgebung seit der Mitte des 18ten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur vergleichenden Geschichte der Strafgesetzgebung, Marburg 1890

WEIDMANN FRANZ, Geschichte des ehemaligen Stiftes und der Landschaft St. Gallen unter den zween letzten Fürstäbten von St. Gallen, besonders wäh-rend den Jahren der helvetischen Revolution bis zur Aufhebung des Stiftes, St. Gallen 1834

WEISS JOSEF, Die Fürstabtei St. Gallen als Förderin des Volksschulwesens, in: Begleitpublikation zur Ausstellung «Fürstabtei St. Gallen – Untergang und Erbe 1805/2005» im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen (10. September 2005 - 9. Juli 2006), hg. von Staatsarchiv St. Gallen, Stiftsar-chiv St. Gallen und Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen 2005, S. 265-272

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Anhang

xxx

WESEL UWE, Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart, 3. Aufl., München 2006

WILLI FRANZ, Geschichte der Stadt Rorschach und des Rorschacher Amtes. Bis zur Gründung des Kantons St. Gallen, Rorschach 1947

WILLOWEIT DIETMAR, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, 5. Aufl., München 2005

WITTKE MARGARETE, Alltag, Emotionen, Gewalt: Auswertungsmöglichkeiten von Zeugenverhören der strafrechtlichen Generalinquisition, in: Fuchs Ralf-Peter/Schulze Winfried [Hg.], Wahrheit, Wissen, Erinnerung. Zeugenverhör-protokolle als Quellen für soziale Wissensbestände in der Frühen Neuzeit, Münster 2002, S. 293-316 [zit. WITTKE, Alltag]

WITTKE MARGARETE, «Entwichen in die kaiserliche Freiheit». Das Coesfelder Asylrecht für Totschläger, in: Westfälische Zeitschrift – Zeitschrift für vater-ländische Geschichte und Altertumskunde, 146. Bd., Paderborn 1996, S. 109-133 [zit. WITTKE, Asylrecht]

Z

ZEDLER JOHANN HEINRICH, Grosses vollständiges Universallexikon aller Wis-senschaften und Künste, 68 Bände, Leipzig/Halle 1732-1754

Z’GRAGGEN BRUNO, Tyrannenmord im Toggenburg. Fürstäbtische Herrschaft und protestantischer Widerstand um 1600, Zürich 1999

ZIEGLER ERNST, Heiligkreuz-Rotmonten hüben – das Dörfchen St. Georgen drüben, Sondernummer von «Die Ostschweiz» vom Dezember 1977, St. Gal-len 1977 (ohne Seitenzahlen)

ZIEGLER ERNST/SONDEREGGER STEFAN/STUDER DANIEL [Hg.], Gaiserwald. Abtwil – St. Josephen – Engelburg, St. Gallen 2004

ZIEGLER STEPHAN, «Alles getreülich und ohne gefährde». Die Eidbücher der Stadt St. Gallen von 1511, 1657, 1740 und 1757. Teil 1: Kommentar, Teil 2: Edition (1757), Diss. iur. Bern, Bern 1997

ZWICKY JÜRG, Das Gefängniswesen zur Zeit der Helvetik. Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte, Zürich 1982

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Anhang

xxxi

E Nachschlagewerke

Allgemeine Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Bayerischen Staatsbiblio-thek, 55. Bände, Leipzig 1875-1912

Duden – Das Fremdwörterbuch, Bd. 5, 9. Aufl., Mannheim/Leipzig/Wien/Zü-rich 2006

Duden – Das grosse Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwör-ter, 4. Aufl., Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2007

Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständi-ger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, von ADELUNG JOHANN CHRISTOPH, Erster Theil, Wien 1811

Grosses vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste, von ZEDLER JOHANN HEINRICH, 68 Bände, Leipzig/Halle 1732-1754

Handbuch des Aberglaubens, hg. von MÜLLER-KASPAR ULRIKE, drei Bände, Wien 1999

Handbuch gerichtliche Medizin, hg. von MADEA BURKHAD/BRINKMANN

BERND, Berlin/Heidelberg 2003

Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. von BÄCHTOLD-STÄUBLI

HANNS/HOFFMANN-KRAYER EDUARD, zehn Bände, Berlin/Leipzig 1927-1942

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. von ERLER ADALBERT/KAUFMANN EKKEHARD, 1. Aufl. in fünf Bänden, Berlin, Bd. 1: 1971, Bd. 2: 1978, Bd. 3: 1984, Bd. 4: 1990, Bd. 5: 1998

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., hg. von CORDES

ALBRECHT/LÜCK HEINER/WERKMÜLLER DIETER, 1.-6. Lieferung, Aachen-Familienfideikomiss, Berlin 2004-2007

Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz, hg. mit der Empfehlung der Allgemeinen Geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz unter der Lei-tung von Türler Heinrich/Attinger Victor/Godet Marcel, sieben Bände, Neu-chatel 1921-1934

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Anhang

xxxii

Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), hg. von der Stiftung HLS, Bd. I-VI, Basel 2002 bis 2007

Kriminalistik Lexikon, hg. von BURGHARD WALDEMAR ET AL., 3. Aufl., Hei-delberg 1996

Lexikon der Bräuche und Feste. Über 3'000 Stichwörter mit Infos, Tipps und Hintergründen für das ganze Jahr, von BECKER-HUBERTI MANFRED, 4. Aufl., Freiburg im Breisgau 2007

Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, von KÖBLER GERHARD, München 1997

Meyers grosses Konversations-Lexikon, 4. Aufl., 16. Bände, Leipzig/Wien 1885-1892

Oekonomische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirtschaft, in alphabetischer Ordnung, von KRÜNITZ JOHANN GE-

ORG, 242 Bände, Berlin 1773-1858

Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, hg. von PSCHYREMBEL WILLIBALD ET

AL., 260. Aufl., Berlin 2004

Schweizerisches Geschlechterbuch, Almanach Généalogique Suisse, Band IV, hg. von C. F. Lendorff, Basel 1913

Wörterbuch des Aberglaubens, von KÜSTER JÜRGEN, Freiburg im Breisgau 1989

Wörterbuch Geschichte, von FUCHS KONRAD/RAAB HERIBERT, digitale Biblio-thek Bd. 71, Berlin 2004, basierend auf der 12. Aufl., München 2001

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Anhang

xxxiii

F Abkürzungsverzeichnis

Abs. Absatz

Anm. Anmerkung

Art. Artikel

Aufl. Auflage

bearb. bearbeitet

bzw. beziehungsweise

ca. zirka

CCB Constitutio Criminalis Bambergensis, Bambergensische Halsgerichts-ordnung von 1507

CCC Constitutio Criminalis Carolina, Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532

Diss. Dissertation

e-HLS Online-Ausgabe des Historischen Lexikon der Schweiz, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch

et. al. und weitere

f./ff. folgende/fortfolgende

Fasz. Faszikel

Fn. Fussnote

geb. geboren

gest. gestorben

HLS Historisches Lexikon der Schweiz

Hg./hg. Herausgeber/herausgegeben

insbes. insbesondere

i.V.m. in Verbindung mit

Jg. Jahrgang

Jh. Jahrhundert

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Anhang

xxxiv

Kap. Kapitel

m.w.H. mit weiterem Hinweis/mit weiteren Hinweisen

Rubr. Rubrik

Rz. Randziffer

S. Seite

Sig. Signatur

Sp. Spalte

StaASG Staatsarchiv St. Gallen

StiASG Stiftsarchiv St. Gallen

u.a. unter anderem

Übers. Übersetzer/übersetzt

uvm. und viele(s) mehr

v. Chr. vor Christus

zit. zitiert

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Lebenslauf – Miriam Lendfers

geboren am 12. Juni 1980 in Chur/GR

Ausbildung

2004 – 2008 Doktorandenstudium, Universität St. Gallen

06/2007 Patentierung zur Rechtsanwältinim Kanton St. Gallen

2000 – 2004 Studium der Rechtswissenschaften,Universität St. Gallen

1995 – 2000 Bündner Kantonsschule Chur, Wirtschaftsgymnasium

Berufliche Tätigkeiten

Seit 04/2007 Gerichtsschreiberin am Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen

01/2006 – 08/2006 Auditoriat beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen

11/2004 – 11/2005 Anwaltspraktikum im Advokaturbüro Schlegelin Buchs/SG

2000 – 2001 Mitarbeit bei HSG Alumni

Seit 2000 Freie Mitarbeiterin beim Bündner Tagblatt, Chur