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Die Anatomie des Nervensystems

ÜB

ER

BL

IC

K

3.1 Die Systeme, Strukturen und Zellen unseres Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

3.2 Der allgemeine Aufbau des Nervensystems . . . . . . . . . . . . . 70

3.3 Die Zellen des Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

3.4 Neuroanatomische Methoden und Richtungsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

3.5 Das Rückenmark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

3.6 Die fünf Hauptabschnitte des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

3.7 Die Hauptstrukturen des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

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6.1 DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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Die Systeme, Strukturen und Zellen unseres Nerven-systems 3.1Um die Funktionsweise des Gehirns zu verstehen, istes zuerst erforderlich, seinen Aufbau zu verstehen –die Bezeichnungen und Lokalisationen seiner Haupt-teile sowie ihre Verbindungen untereinander. DiesesKapitel führt Sie in die Grundlagen der Anatomie desGehirns ein.

Bevor Sie mit diesem Abschnitt beginnen, möchteich mich für die mangelnde Voraussicht früher Neuro-anatomen bei der Namensgebung neuroanatomischerStrukturen entschuldigen – aber wie konnten sie auchvoraussehen, dass Latein und Griechisch, die Uni-versalsprachen der Gebildeten ihrer Zeit, heutzutagekeine universitäre Zwangskost mehr sind? Um Ihnendas Verständnis zu erleichtern, ist die wörtliche Be-deutung vieler neuroanatomischer Begriffe ebenfallsangeführt. Zudem wurde dieses Kapitel so kurz undprägnant wie möglich gehalten, indem nur die wich-tigsten Strukturen abgedeckt werden. Trotzdem kannman nicht leugnen, dass das Lernen ihrer Bezeich-nungen und Lokalisationen mit einem erheblichenAufwand verbunden ist.

Der allgemeine Aufbau des Nervensystems 3.23.2.1 Gliederung des Nervensystems

Das Nervensystem der Wirbeltiere besteht aus zweiTeilen: dem zentralen Nervensystem und dem peri-pheren Nervensystem ( Abbildung 3.1). Grob gespro-chen ist das zentrale Nervensystem (ZNS) der Teil desNervensystems, der sich im Schädel und der Wirbel-säule befindet; das periphere Nervensystem (PNS) istder Teil des Nervensystems, der sich außerhalb desSchädels und der Wirbelsäule befindet.

Das zentrale Nervensystem besteht aus zwei Teilen:dem Gehirn und dem Rückenmark. Das Gehirn (En-cephalon) ist der Teil des ZNS, der sich im Schädelbefindet; das Rückenmark (Medulla spinalis) ist derTeil, der sich in der Wirbelsäule befindet.

Das periphere Nervensystem besteht ebenfalls auszwei Teilen: dem somatischen Nervensystem und demautonomen Nervensystem. Das somatische Nerven-

system (SNS) ist der Teil des PNS, der mit der äußerenUmwelt interagiert. Es besteht aus afferenten Nerven,die sensorische Signale von Haut, Skelettmuskeln,Gelenken, Augen, Ohren und so weiter zum zentra-len Nervensystem leiten, und efferenten Nerven, diemotorische Signale vom ZNS zu den Skelettmuskelnübertragen. Das autonome Nervensystem (ANS) istder Teil des peripheren Nervensystems, der das in-nere Milieu des Körpers reguliert. Es besteht aus af-ferenten Nerven, die sensorische Signale von innerenOrganen zum ZNS leiten, und efferenten Nerven, diemotorische Signale vom ZNS zu den inneren Organenübertragen. Sie werden die Begriffe afferent und ef-ferent nicht durcheinander bringen, wenn Sie sichmerken, dass die Efferenzen eher Effekt erzielen, dasie motorische Aktivitäten bedingen; die Afferenzendagegen lösen eher Affekte aus, die durch Aktivitätenim ZNS entstehen.

Das autonome Nervensystem besitzt zwei Arten ef-ferenter Nerven: sympathische Nerven und parasym-pathische Nerven. Die sympathischen Nerven sinddiejenigen autonomen motorischen Nerven, die vonlumbalen (Lendenwirbel) und thorakalen (Brustwir-bel) Bereichen der Wirbelsäule in den Körper ziehen.Die parasympathischen Nerven sind diejenigen au-tonomen motorischen Nerven, die dem Gehirn undsakralen (Kreuzwirbel) Bereichen der Wirbelsäule ent-springen (siehe Anhang I). Alle sympathischen undparasympathischen Nerven werden auf ihrem Wegzum Erfolgsorgan einmal umgeschaltet: die sympa-thischen und parasympathischen Neurone gehen vomZNS aus, legen einen Teil des Weges zum Erfolgsorganzurück und bilden dann synaptische Verbindungen(Synapsen) mit anderen Neuronen, die das Signal dierestliche Wegstrecke weiterleiten. Das sympathischeund parasympathische Nervensystem unterscheidetsich jedoch darin, dass die vom ZNS ausgehendenProjektionen sympathischer Neurone in einiger Ent-fernung von ihren Erfolgsorganen auf das zweite Neu-ron umgeschaltet werden, während die Projektionenparasympathischer Neurone in der Nähe ihrer Erfolgs-organe auf das zweite Neuron umgeschaltet werden(siehe Anhang I).

Üblicherweise werden dem sympathischen unddem parasympathischen Nervensystem jeweils dreiwichtige Funktionsprinzipien zugeschrieben: (1) diesympathischen Nerven stimulieren, organisieren undmobilisieren Energiereserven in bedrohlichen Situa-tionen, während parasympathische Nerven tätig wer-den, um Energie zu konservieren; (2) jedes autonome

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3.2 Der allgemeine Aufbau des Nervensystems

Erfolgsorgan enthält gegensätzlichen sympathischenund parasympathischen Input, seine Aktivität wirdsomit durch das relative Niveau der sympathischenund parasympathischen Aktivität kontrolliert; (3)durch den Sympathikus hervorgerufene Verände-rungen weisen auf eine psychologische Aktivierunghin, während durch den Parasympathikus hervorge-rufene Veränderungen psychologische Entspannunganzeigen. Obwohl diese Prinzipien im Allgemeinenrichtig sind, gibt es zu jedem Prinzip wichtige Aus-nahmen (siehe Blessing, 1997; Hugdahl, 1996) – sieheAnhang II.

Die meisten Nerven des peripheren Nervensystemsentspringen dem Rückenmark, aber es existieren 12„paarige“ Ausnahmen: die 12 Paare von Hirnnerven,die direkt vom Gehirn ausgehen. Sie sind der Reihenach von vorne nach hinten durchnummeriert. Zuden Hirnnerven gehören zwar auch rein sensorischeNerven, wie der Nervus olfactorius (I. Hirnnerv) undder Nervus opticus (II. Hirnnerv), aber die meistenbeinhalten sowohl sensorische als auch motorischeFasern. Der längste Hirnnerv ist der Nervus vagus (X.Hirnnerv), dessen motorische und sensorische Fasernvon und zu den Eingeweiden projizieren. Die 12 paar-weise angeordneten Hirnnerven und ihre Erfolgsor-gane sind in Anhang III abgebildet, ihre Funktionenlistet Anhang IV auf. Die autonomen motorischen Fa-sern der Hirnnerven gehören zum Parasympathikus.

Eine Untersuchung der Funktionen der verschie-denen Hirnnerven dient den Neurologen normalerwei-

se als Grundlage für eine Diagnose.Da die Funktion und Lokalisierungder Hirnnerven spezifisch ist, lie-

fern Ausfälle von bestimmten Hirnnervenfunktionenvortreffliche Hinweise auf die Lage und das Ausmaßeines Tumors und anderer Arten von Gehirnpatholo-gien.

Abbildung 3.2 fasst die wichtigsten Teile des Ner-vensystems zusammen. Beachten Sie, dass das Ner-vensystem immer paarweise aufgebaut ist.

zentralesNervensystem

peripheres Nervensystem

KLINISCHE

IMPLIKATIONEN

Abbildung 3.1: Das zentrale Nervensystem (ZNS) und das periphere Nervensystem (PNS) des Menschen. Das ZNS ist in rot dargestellt, das PNS in gelb. Beachten Sie, dass auch die Teile der Nerven, die innerhalb der Wirbelsäule liegen, als zum PNS gehörig betrachtet werden.

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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3.2.2 Hirnhäute, Ventrikel und Cerebrospinalflüssigkeit

Gehirn und Rückenmark (das ZNS) sind diejenigenOrgane des Körpers, die am besten geschützt sind. Siesind von Knochen eingeschlossen und von drei schüt-zenden Membranen, den drei Meningen (Hirnhäuten),bedeckt. Die äußere Meninx (Singular von Meningen)ist eine harte Membran, genannt Dura mater (harteMutter). Direkt angrenzend an die Dura mater folgt diefeine Arachnoidea mater (spinnwebartige Membran).Unterhalb der Arachnoidea befindet sich ein Raum,der als Subarachnoidalraum bezeichnet wird und derviele große Blutgefäße und Cerebrospinalflüssigkeitenthält. Daran schließt sich die innerste Hirnhaut, diePia mater (fromme Mutter) an, die eng an der ZNS-Oberfläche anliegt.

Das ZNS wird zudem von der Cerebrospinalflüssig-keit (CSF), auch als Liquor cerebrospinalis bezeichnet,geschützt, die den Subarachnoidalraum ausfüllt, sowieden Zentralkanal des Rückenmarks und die Ventrikel

des Gehirns. Der Zentralkanal erstreckt sich über diegesamte Länge des Rückenmarks. Die cerebralen Vent-rikel sind die vier großen inneren Kammern des Ge-hirns: die zwei Seitenventrikel, der dritte Ventrikel undder vierte Ventrikel ( Abbildung 3.3). Der Subarachno-idalraum, der Zentralkanal und die Ventrikel des Ge-hirns sind über eine Reihe von Öffnungen miteinanderverbunden und bilden somit ein einziges Reservoir.

Die Cerebrospinalflüssigkeit stützt und polstertdas Gehirn. Diese Funktionen werden Patienten, beidenen ein Teil der Cerebrospinalflüssigkeit abgeflos-sen ist, nur allzu bewusst. Sie leiden unter rasendenKopfschmerzen und erleben jedes Mal, wenn sie ihrenKopf ruckartig bewegen, einen stechenden Schmerz.

Die Cerebrospinalflüssigkeit wird kontinuierlichvom Plexus choroideus produziert, einem Netzwerkaus Kapillaren (kleinen Blutgefäßen), das von der Aus-kleidung der Pia mater in die Ventrikel hinausragt.Die überschüssige Cerebrospinalflüssigkeit wird vomSubarachnoidalraum aus kontinuierlich in große blut-gefüllte Räume, die Sinus durae matris (venöse Blutlei-

Nerven-system

zentralesNerven-system

peripheresNerven-system

somatischesNerven-system

autonomesNerven-system

Rücken-mark

Gehirn

afferenteNerven

efferenteNerven

afferenteNerven

efferenteNerven

parasympathischesNervensystem

sympathischesNervensystem

Abbildung 3.2: Die Hauptabteilungen des Nervensystems.

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ter), absorbiert; diese verlaufen durch die Dura materund münden in die großen Jugularvenen des Halses.In Abbildung 3.4 wird die Absorption der Cereb-rospinalflüssigkeit aus dem Subarachnoidalraum inden großen Sinus dargestellt, der oben am Gehirn zwi-schen den beiden cerebralen Hemisphären verläuft.

Gelegentlich wird der Fluss der Cerebrospinalflüs-sigkeit durch einen Tumor in der Nähe der engen Ka-näle, die die Ventrikel verbinden, verhindert – z.B. inder Nähe des Aqueductus cerebri, der den dritten und

Seiten-ventrikel

dritterVentrikel

vierterVentrikel

Zentral-kanal

Aqueductuscerebri

Seiten-ventrikel

dritterVentrikel

vierterVentrikel

Aqueductuscerebri

Abbildung 3.3: Die Ventrikel des Gehirns.

Kopfhaut

Schädel

Arachnoideamater

Arterie Sinus

Cortex

Pia mater

Dura mater

Subarachnoidal-raum

KLINISCHE

IMPLIKATIONEN

Abbildung 3.4: Die Absorption der Cerebrospinalflüssigkeit aus dem Subarachnoidalraum (blau) in einen großen Sinus. Beachten Sie die drei Meningen.

vierten Ventrikel verbindet. Die resultierende Flüs-sigkeitsansammlung führt dazu, dass sich die Wändeder Ventrikel und somit das ganze Gehirn ausdehnen,was zu einem Zustand führt, derals Hydrocephalus (Wasserkopf) be-zeichnet wird. Ein Hydrocephaluswird behandelt, indem die überschüssige Flüssigkeitaus den Ventrikeln abgeleitet und versucht wird, dieBlockade zu beseitigen.

3.2 Der allgemeine Aufbau des Nervensystems

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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3.2.3 Blut-Hirn-Schranke

Das Gehirn ist ein fein abgestimmtes elektroche-misches Organ, dessen Funktion durch bestimmtechemische Substanzen schwer gestört werden kann.Glücklicherweise gibt es einen Mechanismus, der denÜbertritt vieler toxischer Substanzen aus dem Blut indas Gehirn verhindert: die Blut-Hirn-Schranke. DieseSchranke ergibt sich aus der speziellen Struktur dercerebralen Blutgefäße. Im übrigen Körper liegen dieZellen, die die Wände der Blutgefäße bilden, lockeraneinander; daher können die meisten Moleküle leichtdurch sie in das umliegende Gewebe übertreten. ImGehirn dagegen liegen die Zellen der Blutgefäße enganeinander und bilden somit für viele Moleküle eineBarriere – besonders für Proteine und andere große Mo-leküle. Das Ausmaß, in dem psychoaktive Substanzen(Psychopharmaka und Drogen) psychische Prozessebeeinflussen, hängt von der Leichtigkeit ab, mit der siedie Blut-Hirn-Schranke durchdringen können.

Die Blut-Hirn-Schranke verhindert nicht die Passagesämtlicher großer Moleküle. Einige Moleküle, die fürdie normale Gehirnfunktion kritisch sind (z.B. Glu-kose), werden aktiv durch die Wände der cerebralenBlutgefäße transportiert. Zudem können die Wändeder Blutgefäße in einigen Bereichen des Gehirns vonbestimmten großen Molekülen ungehindert passiertwerden. Beispielsweise können Geschlechtshormone,die Schwierigkeiten haben in manche Bereiche desGehirns einzudringen, leicht in diejenigen Bereicheeintreten, die für das Sexualverhalten relevant sind.

Die Zellen des Nerven-systems 3.3Die meisten Zellen des Nervensystems gehören zueinem von zwei grundsätzlich verschiedenen Typen:Neuronen und Gliazellen. Ihre Anatomie wird in denbeiden folgenden Abschnitten beschrieben.

3.3.1 Anatomie der Neuronen

Neuronen sind Zellen, die auf den Empfang, die Weiter-leitung und die Übertragung elektrochemischer Signalespezialisiert sind. Sie kommen in einer unglaublichenVielfalt an Formen und Größen vor (siehe Maccaferri& Lacaille, 2003; Mott & Dingledine, 2003; Silberberg,

Gupta & Markram, 2002). Dennoch ähneln viele den-jenigen in Abbildung 3.5 und Abbildung 3.6.Die äußere Anatomie der Neuronen In Abbildung3.5 sind die wichtigsten äußeren Merkmale einer be-stimmten Art von Neuronen dargestellt. Der Einfach-heit halber ist eine Definition jedes Merkmals in derAbbildung enthalten.Die innere Anatomie der Neuronen In Abbildung3.6 sind die wichtigsten inneren Merkmale einer be-stimmten Art von Neuron dargestellt. Wieder ist eineDefinition jedes Merkmals in der Abbildung enthal-ten.Die Zellmembran der Neuronen Die neuronale Zell-membran besteht aus einer Lipid-Doppelschicht – zweiSchichten von Fettmolekülen ( Abbildung 3.7). In dieLipid-Doppelschicht sind zahlreiche Proteinmoleküleeingebettet, die die Basis für viele der funktionalenEigenschaften der Zellmembran bilden. Einige Memb-ranproteine sind Kanalproteine, die bestimmte Mole-küle passieren können; andere sind Signalproteine, dieein Signal ins Innere des Neurons übertragen, wennbestimmte Moleküle an der Außenseite der Membranan sie binden.Klassen von Neuronen Abbildung 3.8 zeigt eine Mög-lichkeit, Neurone basierend auf der Zahl ihrer Fortsätze(d.h. Projektionen), die ihrem Zellkörper entspringen,zu klassifizieren. Ein Neuron mit mehr als zwei Fort-sätzen, die von seinem Zellkörper ausgehen, wird alsmultipolares Neuron klassifiziert. Die meisten Neuronesind multipolar. Ein Neuron mit einem Fortsatz wirdals unipolares Neuron bezeichnet, und ein Neuron mitzwei Fortsätzen als bipolares Neuron. Neuronen mitkurzen Axonen oder überhaupt keinen Axonen wer-den als Interneurone bezeichnet. Ihre Funktion bestehtdarin, die neuronale Aktivität innerhalb einer einzigenGehirnstruktur zu integrieren und nicht darin, Signalevon einer Struktur zu einer anderen weiterzuleiten.

Im Allgemeinen gibt es im Nervensystem zwei Artenfester neuronaler Strukturen: diejenigen, die hauptsäch-lich aus Zellkörpern bestehen und diejenigen, die haupt-sächlich aus Axonen bestehen. Im zentralen Nervensys-tem wird eine Anhäufung von Zellkörpern als Nucleus(Plural Nuclei) bezeichnet, im peripheren Nervensystemals Ganglion (Plural Ganglien). (Achten Sie darauf, dassdas Wort Nucleus zwei verschiedene neuroanatomischeBedeutungen hat; zum einen bezeichnet es eine Strukturim Zellkörper eines Neurons, zum anderen eine Anhäu-fung von Zellkörpern im ZNS.) Im zentralen Nervensys-tem wird ein Bündel von Axonen als Trakt bezeichnet,im peripheren Nervensystem als Nerv.

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Zellmembran Die semipermeable Membran, die das Neuron umschließt.

Dendriten Die kurzen Fortsätze, die vom Zellkörperausgehen und an denen die meisten synaptischen Kontakte von anderen Neuronen eingehen.

Zellkörper Das metabolische Zentrum eines Neurons, auch Soma genannt.

Axonhügel Der kegelförmigeBereich an der Verbindung zwischen dem Axon und seinem Zellkörper.

Axon Der lange, schmale Fortsatz, der dem Zellkörper entspringt.

Myelin Die fetthaltigeIsolierung, von der viele Axone umhülltsind.

Ranvier-Schnürringe Die Lückenzwischen zwei myelinisierten Abschnitten.

Endknöpfchen Die knopfartigen Endungen axonaler Äste, die chemische Substanzen in die Synapsen freisetzten.

Synapsen Die Spalten zwischen benachbarten Neuronen, über die chemische Signale übertragen werden.

Abbildung 3.5: Die wichtigsten äußeren Merkmale eines typischen Neurons.

3.3 Die Zellen des Nervensystems

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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Endoplasmatisches ReticulumEin System gefalteter Membranen im Zellkörper; die rauen Bereiche (mit Ribosomen) spielen eine Rolle bei der Proteinsynthese, die glatten Bereiche (ohne Ribosomen) bei der Fettsynthese.

Mitochondrien Die Orte der aeroben (Sauer-stoff verbrauchenden) Energiefreisetzung.

Nucleus Die kugelförmigeStruktur im Zellkörper, die die DNA enthält.

Cytoplasma Die klare innere Flüssigkeit einer Zelle.

Ribosomen Innere Zellstrukturen, an denen Proteine synthetisiert werden. Sie befinden sich auf dem endoplasmatischen Reticulum.

Golgi-Apparat Ein System von Membranen, in dem Moleküle in Vesikel verpackt werden.

Mikrotubuli Röhrenartige Strukturen, die für den schnellen Transport von Material innerhalb Neuronen verantwortlich sind (axoplasmatischer Transport).

Synaptische Vesikel KugelförmigeMembranpakete, die Neurotrans-mittermoleküle bis zur Freisetzung an der Synapse speichern.

Neurotransmitter Moleküle, die von aktiven Neuronen freigesetzt werden und die Aktivität anderer Zellen beeinflussen.

Abbildung 3.6: Die wichtigsten inneren Merkmale eines typischen Neurons.

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Lipid-Doppelschicht

Kanal-protein

Signal-protein

Abbildung 3.7: Die Zellmembran besteht aus einer Lipid-Doppelschicht, in die Signalproteine und Kanalproteine eingebettet sind.

Dendriten

Zellkörper

Axon

multipolaresInterneuron

multipolaresNeuron

bipolaresNeuron

unipolaresNeuron

Dendriten

Zellkörper

Axon

Abbildung 3.8: Ein unipolares Neuron, ein bipolares Neuron, ein mutipolares Neuron und ein Interneuron.

3.3 Die Zellen des Nervensystems

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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3.3.2 Gliazellen: Die vergessene Mehrheit

Neuronen sind nicht die einzigen Zellen im Nerven-system, es gibt noch Gliazellen. Die Zahl der Gliazel-len übersteigt die der Neuronen um 10 zu 1.

Es gibt vier Arten von Gliazellen (Fields & Stevens-Graham, 2002). Oligodendrocyten sind eine Klassevon Gliazellen, die Fortsätze ausbilden, die sich umdie Axone einiger Neurone des zentralen Nervensys-tems wickeln. Diese Ausläufer sind reich an Myelin,einer fetthaltigen, isolierenden Substanz, und die Mye-linscheiden, die sie bilden, erhöhen Geschwindigkeitund Effizienz der axonalen Leitung. Eine ähnlicheFunktion wird im peripheren Nervensystem von denSchwann-Zellen erfüllt, einer zweiten Klasse von Gli-azellen. Oligodendrocyten und Schwann-Zellen sindin Abbildung 3.9 dargestellt. Beachten Sie, dass jedeSchwann-Zelle ein Myelinsegment bildet, währendjeder Oligodendrocyt mehrere Myelinsegmente bildet,

oft an mehr als einem Axon. Ein weiterer wichtigerUnterschied zwischen Schwann-Zellen und Oligo-dendrocyten besteht darin, dass nur Schwann-Zellendie axonale Regeneration (Nachwachsen des Axons)nach Verletzungen lenken können. Dies ist der Grund,warum die neuronale Regeneration im Nervensystemder Säugetiere auf das PNS beschränkt ist.

Astrocyten (oder Astroglia) sind die dritte Klassevon Gliazellen. Sie sind die größten Gliazellen undwerden so genannt, weil sie sternförmig sind (astronbedeutet „Stern“). Die armähnlichen Fortsätze einigerAstrocyten ummanteln die Außenflächen der Blutge-fäße, die durch das Gehirn verlaufen, und sie nehmenKontakt mit den Zellkörpern von Neuronen auf ( Ab-bildung 3.10). Diese besonderen Astrocyten spieleneine Rolle in der Passage chemischer Verbindungenvom Blut in die ZNS-Neuronen. Andere Astrocytenerfüllen hingegen eine Vielzahl verschiedener Funk-tionen.

Myelinisierung imperipheren Nervensystem

Myelinisierung imzentralen Nervensystem

Nucleus

Axon

Schwann-Zelle

Nucleus

Axon

Oligodendrocyte

Abbildung 3.9: Die Myelinisierung von Axonen im ZNS durch einen Oligodendrocyten und die Mylenisierung von Axonen im PNS durch Schwann-Zellen.

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Abbildung 3.10: Astrocyten besitzen eine Affinität für Blutgefäße und sie bilden eine unterstützende Matrix für Neurone. Die Foto-grafie auf der linken Seite zeigt einen Schnitt von Gehirngewebe, bei dem die Gliazellen gefärbt wurden; die ungefärbten Kanäle sind Blutgefäße. Die Illustration auf der rechten Seite ist eine dreidimensionale Darstellung des Bildes auf der linken Seite und zeigt, wie die Fortsätze der Astrocyten Blutgefäße bedecken und Neurone kontaktieren. Vergleichen Sie die beiden Abbildungen (Fotografie mit freundlicher Genehmigung von T. Chan-Ling).

Mikroglia sind die vierte Klasse der Gliazellen (diekleinsten Gliazellen). Mikroglia reagieren auf Verlet-zungen oder Krankheiten, indem sie tote oder abster-bende Neurone entfernen und Entzündungsprozesseauslösen.

Jahrzehntelang nahm man an, dass die Funktionvon Gliazellen hauptsächlich darin besteht, Neuronezu unterstützen, d.h. sie mit Nährstoffen zu versor-gen, Abfallprodukte zu beseitigen und ein physischesGrundgerüst zu bilden, das die neuronalen Schalt-kreise zusammenhält (glia bedeutet „Kleber“). Dieseeingeschränkte Sicht über die Rolle der Gliazellenverliert aber zusehends an Bedeutung. In den letztenJahren konnte gezeigt werden, dass Gliazellen an derÜbertragung von Signalen beteiligt sind, indem sieSignale zu Neuronen senden und Signale von Neu-ronen erhalten. Zudem kontrollieren sie die Bildungund Erhaltung von Synapsen zwischen Neuronen undbilden gliale Schaltkreise (Haydon, 2001). Da die Gli-azellen durch diese erste Welle an Entdeckungen inden Fokus der neurowissenschaftlichen Forschunggerückt sind, sollte ihre Bedeutung für die Funktiondes Nervensystems zunehmend anerkannt werden.Diese unterschätzten Nebendarsteller treten langsamins Rampenlicht.

Neuroanatomische Methoden und Richtungsbezeichnungen 3.4In diesem Abschnitt werden zuerst einige der am häu-figsten verwendeten neuroanatomischen Verfahrenbeschrieben. Anschließend wird das System der Rich-tungsbezeichnungen erläutert, das Neuroanatomenzur Beschreibung der Lokalisation von Strukturen imNervensystem von Wirbeltieren verwenden.

3.4.1 Neuroanatomische Methoden

Das Hauptproblem bei der Visualisierung von Neu-ronen ist nicht, dass sie so klein sind. Das Haupt-problem besteht darin, dass die Neuronen so engbeieinander liegen und ihre Axone und Dendriten sokompliziert verflochten sind, dass ein Blick durch einMikroskop auf ein unpräpariertes neuronales Gewebeso gut wie nichts von ihnen enthüllt. Der Schlüsselzur Erforschung der Neuroanatomie liegt darin, neu-ronales Gewebe auf verschiedene Arten so zu präpa-rieren, dass dadurch ein klarer Blick auf jeweils einenanderen Aspekt der neuronalen Struktur ermöglichtwird, und dann das durch die verschiedenen Präpara-tionen erlangte Wissen zu kombinieren. Dieser Punktwird anhand der folgenden neuroanatomischen Ver-fahren illustriert.

3.4 Neuroanatomische Methoden und Richtungsbezeichnungen

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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Golgi-Färbung Der größte Segen, der der Neurowis-senschaft in ihren frühen Jahren zuteil wurde, be-stand in der zufälligen Entdeckung der Golgi-Färbungin den frühen 1870ern durch Camillo Golgi, einemitalienischen Arzt. Golgi versuchte die Meningen zufärben, indem er ein Stück neuronalen Gewebes Ka-liumdichromat und Silbernitrat aussetzte, als er eineerstaunliche Entdeckung machte. Aus irgendeinemunbekannten Grund drang das Silberchromat, dasdurch die chemische Reaktion der beiden von Golgiverwendeten Substanzen entstand, nur in einige Neu-ronen in jedem Gewebeschnitt ein und färbte diesevöllig schwarz. Diese Entdeckung machte es zum ers-ten Mal möglich, einzelne Neuronen zu sehen – wennauch nur als Silhouette ( Abbildung 3.11). Farbstoffe,die alle Neuronen eines Schnittes vollständig färben,lassen nichts von deren Struktur erkennen, da dieNeurone so dicht aneinander liegen.

Nissl-Färbung Obwohl die Golgi-Färbung einen aus-gezeichneten Blick auf die Silhouette der wenigenNeurone ermöglicht, die den Farbstoff aufnehmen,liefert sie keine Hinweise auf die Zahl der Neuronein einem Gebiet oder die Art ihres inneren Aufbaus.Das erste neuronale Färbungsverfahren, das diese Ein-schränkungen überwand, war die Nissl-Färbung, dievon Franz Nissl, einem deutschen Psychiater in den1880ern entwickelt wurde. Am häufigsten wird beimNissl-Verfahren der Farbstoff Kresylviolett verwendet.Kresylviolett und auch andere Nissl-Farbstoffe drin-gen in alle Zellen in einem Schnitt ein, lagern sichaber praktisch nur an Strukturen in den Zellkörpernder Neurone an. Somit kann die Zahl der Zellkörperin einem Gebiet geschätzt werden, indem die Zahl derNissl-gefärbten Punkte gezählt wird. Abbildung 3.12zeigt die Photographie eines Hirngewebeschnitts, dermit Kresylviolett gefärbt wurde. Beachten Sie, dassnur die Schichten, die hauptsächlich aus Zellkörpernvon Neuronen bestehen, dicht gefärbt sind.Elektronenmikroskopie Die Elektronenmikroskopieist ein neuroanatomisches Verfahren, mit dem Informa-tionen über Details der neuronalen Struktur gewonnenwerden können. Aufgrund der Natur des Lichts kanndie Lichtmikroskopie nur eine circa 1500fache Vergrö-ßerung erreichen. Diese Vergrößerung reicht nicht aus,um feine anatomische Details von Neuronen aufzu-lösen. Ein größeres Detailreichtum lässt sich erreichen,indem dünne Gewebeschnitte zuerst mit einer elektro-nen-absorbierenden Substanz, die von verschiedenenTeilen der Neuronen in unterschiedlichem Ausmaßaufgenommenwird, beschichtetwerden. Anschließendwird ein Elektronenstrahl durch das Gewebe auf einenfotografischen Film gelenkt. Als Resultat erhält maneine elektronenmikroskopische Aufnahme, die neuronaleStrukturen mit einem ausgezeichneten Detailreichtumwiedergibt ( Abbildung 3.13). Ein Rasterelektronenmi-kroskop liefert spektakuläre dreidimensionale elektro-nenmikroskopische Aufnahmen, kann allerdings nichtdieselbe Vergrößerung wie ein herkömmliches Elektro-nenmikroskop erreichen.Neuroanatomische Tracing-Verfahren Es lassen sichzwei Arten neuroanatomischer Tracing-Methodenunterscheiden: anterograde (vorwärts) und retrograde(rückwärts) Tracing-Methoden. Anterograde Tracing-Methoden werden verwendet, wenn ein Forscher dieSpur der Axone verfolgen möchte, die von den Zell-körpern eines bestimmten Gebietes entspringen. DerForscher injiziert in das Gebiet eine der verschiedenenchemischen Substanzen, die gewöhnlich als antero-

Abbildung 3.11: Neuronales Gewebe, das mit der Golgi-Me-thode gefärbt wurde. Da nur einige wenige Neuronen den Farb-stoff aufnehmen, erscheinen ihre Silhouetten äußerst detailliert. Innere Details bleiben hingegen unsichtbar. Gewöhnlich wird nur ein Teil eines Neurons in einem einzigen Schnitt erfasst (Ed Reschke & Peter Arnold, Inc.).

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grade Tracer verwendet werden. Diese werden vonden Zellkörpern aufgenommen und dann entlang derAxone zu den Endknöpfchen transportiert. Nach ei-nigen Tagen wird das Gehirn entfernt und in Schnittezerlegt; diese Schnitte werden anschließend behan-delt, um die Verteilung der injizierten Substanz zuidentifizieren. Retrograde Tracing-Methoden arbeitenumgekehrt. Sie werden verwendet, wenn ein Forscherden Verlauf der Axone verfolgen möchte, die in einbestimmtes Gebiet projizieren. Der Forscher injizierteine der chemischen Substanzen, die gewöhnlich alsretrograde Tracer verwendet werden. Diese werdenvon den Endknöpfchen aufgenommen und anschlie-

ßend entlang der Axone zurück zu ihren Zellkörperntransportiert. Nach einigen Tagen wird das Gehirnentfernt und in Schnitte zerlegt. Diese Schnitte wer-den anschließend behandelt, um die Verteilung derinjizierten Substanzen zu identifizieren.Richtungsbezeichnungen im Nervensystem von Wir-beltieren Ohne ein System von Richtungskoordinaten,wie Norden-Süden, Osten-Westen, wäre es schwer, einVerständnis vom Aufbau einer unbekannten Stadt zuentwickeln. Das gleiche gilt auch für das Nervensys-tem. Daher wird Ihnen, bevor Sie mehr über die Lageder wichtigsten Strukturen des Nervensystems erfah-ren, zuerst das dreidimensionale System von Rich-tungskoordinaten beschrieben, das Neuroanatomenverwenden.

Richtungsangaben werden im Nervensystem vonWirbeltieren auf die Orientierung der Wirbelsäule be-zogen. Für die meisten Wirbeltiere ist dieses Systemunkompliziert, wie Abbildung 3.14 zu entnehmenist. Das Nervensystem der Wirbeltiere hat drei Achsen:anterior-posterior, dorsal-ventral und medial-lateral.(1) Anterior bedeutet in Richtung der Nase (das ante-riore Ende) und posterior in Richtung des Schwanzes(das posteriore Ende); diese Richtungsangaben wer-den manchmal auch als rostral und kaudal bezeichnet.(2) Dorsal bedeutet in Richtung des Rückens oder derKopfoberseite (die dorsale Seite) und ventral bedeutetin Richtung des Brustkorbs oder der Kopfunterseite(die ventrale Seite). (3) Medial bedeutet in Richtungder Mittellinie des Körpers und lateral weg von derMittellinie in Richtung der seitlichen Köperober-fläche.

Abbildung 3.12: Die Nissl-Färbung. Abgebildet sind zwei Vergrößerungsstufen eines Nissl-gefärbten Koronarschnitts durch den Hippocampus einer Ratte, die die zwei Verwendungs-möglichkeiten der Nissl-Färbung veranschaulichen. Bei einer geringen Vergrößerung (obere Abbildung) ermöglichen Nissl-Färbungen eine grobe Anzeige der Gehirnstrukturen, indem Gruppen neuronaler Zellkörper selektiv gefärbt werden – in diesem Fall die Schichten des Hippocampus. Bei einer stärkeren Vergrößerung (untere Abbildung) können einzelne neuronale Zellkörper unterschieden und somit die Zahl der Neuronen in verschiedenen Gebieten gezählt werden (Fotos von Carl Ernst und Brian Christie, Department of Psychology, University of British Columbia).

Abbildung 3.13: Eine farbverstärkte Aufnahme vom Zellkörper eines Neurons (grün), der mit Endknöpfchen (orange) besetzt ist. Jedes Neuron erhält eine Vielzahl synaptischer Kontakte (Foto von Jerold J.M. Chun, M.D., Ph.D.).

3.4 Neuroanatomische Methoden und Richtungsbezeichnungen

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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Wir Menschen verkomplizieren dieses einfacheDrei-Achsen-System neuroanatomischer Richtungs-bezeichnungen (anterior-posterior, ventral-dorsal, me-dial-lateral), da wir auf unseren Hinterbeinen stehenund gehen. Dadurch wird die Orientierung unserercerebralen Hemisphären in Bezug auf unsere Wirbel-säule und unseren Hirnstamm verändert.

Sie können Verwirrung vermeiden, wenn Sie sichmerken, dass das System der neuroanatomischenRichtungsbezeichnungen bei Wirbeltieren für denGebrauch am Menschen angepasst wurde, indem dieBegriffe zur Beschreibung der Lage verschiedenerKörperoberflächen beim Menschen und bei nicht-aufrechtgehenden Wirbeltieren gleich gehalten wur-

MEDIAL

LATERAL

AN

TE

RIO

R

PO

ST

ER

IOR

VENTRAL

DORSAL

Abbildung 3.14: Anatomische Richtungsbezeichnungen bei repräsentativen Wirbeltieren, meinen Katzen Sambala und Rastaman.

den. Beachten Sie besonders, dass beim Menschensowohl die Kopfoberseite als auch der Rückens alsdorsal bezeichnet werden, obwohl sie in unterschied-liche Richtungen weisen. Zudem werden sowohl dieKopfunterseite als auch die Vorderseite des Körpersals ventral bezeichnet, obwohl sie in unterschied-liche Richtungen zeigen ( Abbildung 3.15). Um dieseSchwierigkeiten zu umgehen, werden häufig die Be-griffe superior und inferior zur Bezeichnung der Ober-und Unterseite des Primatenkopfes verwendet.

Proximal und distal sind zwei weitere, häufig ver-wendete, Richtungsbezeichnungen. Im Allgemeinenbedeutet proximal „nah“ und distal „entfernt“. Spezi-fisch bezogen auf das periphere Nervensystem bedeu-

ANTERIOR POSTERIOR

MEDIAL

LATERAL

VENTRAL

DORSAL

VENTRAL DORSAL

ANTERIOR

POSTERIOR

Abbildung 3.15: Anatomische Richtungsbezeichnungen beim Menschen. Achten Sie darauf, dass aufgrund des aufrechten Gangs die Richtungsbezeichnungen bei den cerebralen Hemisphären im Vergleich zu denjenigen bei der Wirbelsäule und beim Hirnstamm um 90° rotiert sind.

3

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Sagittal-ebene

Horizontal-ebene

Quer-schnitt

Frontal-ebene

Abbildung 3.16: Horizontale, frontale (koronare) und sagittale Ebenen im menschlichen Gehirn, sowie ein Querschnitt des menschlichen Rückenmarks.

tet proximal näher am ZNS und distal weiter vom ZNSweg – zum Beispiel liegen die Nervenendigungen derSchultern proximal zu denen der Finger.

Auf den nächsten Seiten finden Sie Zeichnungenvon Hirnschnitten, die in einer von drei Ebenenvorgenommen wurden: Horizontalschnitte, Frontal-schnitte (auch als Koronarschnitte bezeichnet) undSagittalschnitte. Diese drei Ebenen sind in Abbil-dung 3.16 veranschaulicht. Ein Schnitt durch die Mit-te des Gehirns zwischen den beiden Hemisphären,wird als Medianschnitt bzw. als Mediansagittalschnittbezeichnet. Ein Schnitt in einem rechten Winkel zueiner beliebigen langen, schmalen Struktur, wie z.B.dem Rückenmark oder einem Nerven, wird als Quer-schnitt bezeichnet.

Hier bietet sich eine gute Gelegenheit für eine Pau-se, um Ihren Wissenstand zu überprüfen. Sind Siebereit, um mit den Strukturen des Gehirns und desRückenmarks weiterzumachen? Überprüfen SieIhr Wissen aus dem vorangegangenen Abschnitt,indem Sie eine Linie zwischen jedem Begriff auf

der linken Seite und der dazu passenden Aussageauf der rechten Seite ziehen. Die richtigen Ant-worten finden Sie unter dem Kasten. Bevor Sieweiter lesen, sollten Sie aber die zu Ihren Fehlernoder Wissenslücken gehörenden Textpassagennochmals wiederholen.

Übung Prüfen Sie Ihr Wissen

1. Autonomes Nervensystem a. Päckchen von Neurotransmittermolekülen

2. Aqueductus cerebri b. PNS ohne das somatische Nervensystem

3. Axonhügel c. verbindet den dritten und den vierten Ventrikel

4. dorsal d. färbt Zellkörper

5. Zellmembran e. Oberseite des Kopfes von Wirbeltieren

6. Hirnnerven f. äußere Meninx

7. superior oder dorsal g. zwischen dem Zellkörper und einem Axon

8. Zellkörper h. beinhaltet den Nucleus eines Neurons

9. synaptische Vesikel i. Nervus olfactorius, Nervus opticus, Nervus vagus

10. Oligodendrocyten j. myelinisieren ZNS-Axone

11. Nissl k. ein Schnitt durch die Mitte des Gehirns

12. Dura mater l. Oberseite eines Primatenkopfes

13. Medianschnitt m. Silhouette

14. Golgi n. Lipid-Doppelschicht

Antworten:(1)b,(2)c,(3)g,(4)e,(5)n,(6)i,(7)l,(8)h,(9)a,(10)j,(11)d,(12)f,(13)k,(14)m.

3.4 Neuroanatomische Methoden und Richtungsbezeichnungen

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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Das Rückenmark 3.5In den ersten drei Abschnitten des Kapitels habenSie die Teile des Nervensystems kennen gelernt, dieZellen, aus denen sie aufgebaut sind, und einige neu-roanatomische Verfahren zu ihrer Erforschung. Derfolgende Abschnitt konzentriert sich auf das Rücken-mark, die beiden letzten Abschnitte auf das Gehirn.

Im Querschnitt wird deutlich, dass das Rückenmarkaus zwei verschiedenen Bereichen besteht ( Abbil-dung 3.17): einem inneren H-förmigen Kern grauerSubstanz und einem umgebenden Bereich weißerSubstanz. Graue Substanz besteht hauptsächlich ausZellkörpern und unmyelinisierten Interneuronen,während weiße Substanz hauptsächlich aus myelini-sierten Axonen besteht. (Das Myelin gibt der weißenSubstanz ihren glänzenden weißen Schimmer.) Diezwei dorsalen Arme der grauen Substanz des Rücken-marks werden als Hinterhörner oder Dorsalhörnerund die zwei ventralen Arme als Vorderhörner oderVentralhörner bezeichnet.Paare von Spinalnerven sind – jeweils links und rechts– auf 31 verschiedenen Ebenen mit dem Rückenmarkverbunden. Jeder der 62 Spinalnerven teilt sich in derNähe des Rückenmarks, und seine Axone ziehen übereine von zwei Wurzeln ins Rückenmark: die Hinter-wurzel oder die Vorderwurzel.

Alle Hinterwurzelaxone, egal ob somatische oderautonome, gehören zu sensorischen (afferenten) uni-polaren Neuronen, deren Zellkörper unmittelbar au-ßerhalb des Rückenmarks gemeinsam die Hinterwur-zelganglien bilden. Viele ihrer synaptischen Endknöpf-chen befinden sich in den Hinterhörnern der grauenSubstanz des Rückenmarks ( Abbildung 3.18). ImGegensatz dazu sind die Neurone der Vorderwurzelmotorische (efferente) multipolare Neurone, derenZellkörper in den Vorderhörnern liegen. Diejenigen,die Teil des somatischen Nervensystems sind, proji-zieren zu den Skelettmuskeln; diejenigen, die Teil desautonomen Nervensystems sind, projizieren zu Gangli-en, wo sie synaptische Verbindungen zu Neuronen ha-ben, die wiederum zu den inneren Organen projizieren(Herz, Magen, Leber, etc.). (Siehe Anhang I)

Hinterwurzel

Vorderwurzel

Hinterwurzel-ganglion

Spinal-nerv

Hinterhorn graueSubstanz

weißeSubstanz

Vorderhorn

Dorsal

Ventral

Abbildung 3.17: Die dorsalen und ventralen Wurzeln des Rückenmarks.

unipolaressensorischesNeuron

multipolaresmotorischesNeuron

Zentral-kanal

dorsal

ventral

Abbildung 3.18: Ein schematischer Querschnitt durch das Rückenmark.

Die fünf Hauptabschnitte des Gehirns 3.6Ein notwendiger Schritt zum Zurechtfinden in einerunbekannten Stadt besteht darin, die Namen und Ortewichtiger Stadteile oder Bezirke zu lernen. Diejenigen,die dieses Wissen besitzen, können ohne Probleme zujedem beliebigen Ziel in der Stadt eine grobe Ortsan-gabe machen. In diesem Abschnitt werden Ihnen auseben diesem Grund die fünf „Bezirke“ oder Abschnittedes Gehirns vorgestellt.

Um zu verstehen, warum man das Gehirn fünf Ab-schnitte aufteilt, ist es notwendig, seine frühe Ent-wicklung zu verstehen (siehe Swanson, 2000).

3

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Beim Embryo von Wirbeltieren ist das Gewebe, das sichirgendwann zum ZNS entwickelt, als ein flüssigkeits-gefülltes Rohr, das Neuralrohr, erkennbar ( Abbildung3.19). Die ersten Anzeichen des sich entwickelnden Ge-hirns sind drei Verdickungen, Hirnbläschen genannt,die am anterioren Ende des Rohrs entstehen. Diese dreiVerdickungen entwickeln sich irgendwann ins erwach-sene Proencephalon (Vorderhirn), Mesencephalon (Mittel-hirn) und Rhombencephalon (Rautenhirn).

Vor der Geburt werden aus den drei anfänglichenVerdickungen des Neuralrohres fünf ( Abbildung3.19). Dies geschieht, indem sich sowohl das Vorder-hirnbläschen als auch das Hinterhirnbläschen in je-weils zwei unterschiedliche Bläschen differenzieren.Von anterior nach posterior werden die fünf Bläschen,aus denen sich das entwickelnde Gehirn zum Zeit-punkt der Geburt zusammensetzt, als Telencephalon

(Endhirn), Diencephalon (Zwischenhirn), Mesencepha-lon (Mittelhirn), Metencephalon (Hinterhirn) und Myel-encephalon (Nachhirn) bezeichnet. Aus diesen Bläs-chen entwickeln sich schließlich die fünf Abschnittedes erwachsenen Gehirns.

In Abbildung 3.20 ist die Lage des Telencepha-lons, Diencephalons, Mesencephalons, Metencepha-lons und Myelencephalons im erwachsenen mensch-lichen Gehirn dargestellt. Beachten Sie, dass dasTelencephalon (die linke und rechte cerebrale Hemis-phäre) beim Menschen, wie auch bei anderen höherenWirbeltieren, während der Entwicklung am stärkstenwächst. Die anderen Abschnitte des Gehirns werdenzusammen oft als Hirnstamm (Truncus encephali) be-zeichnet – dem Stamm, auf dem die cerebralen Hemis-phären sitzen. Das Myelencephalon wird auch oft alsMedulla oblongata (verlängertes Mark) bezeichnet.

Telencephalon(cerebraleHemisphären)

DiencephalonVorderhirn

Mittelhirn

Rautenhirn

Rückenmark

Metencephalon

Myelencephalon(Medulla oblongata)

Rückenmark

Mesencephalon(Mittelhirn)

Vorderhirn

Mittelhirn

Rautenhirn

Diencephalon

Telencephalon

Mesencephalon

Myelencephalon

Metencephalon

Abbildung 3.19: Die frühe Entwicklung des Säugetiergehirns, anhand schema-tischer Horizontalschnitte veranschaulicht. Vergleichen Sie dazu bitte das erwachsene menschliche Gehirn in Abbildung 3.20.

Abbildung 3.20: Die Abschnitte des erwachsenen menschlichen Gehirns.

3.6 Die fünf Hauptabschnitte des Gehirns

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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Die Hauptstrukturen des Gehirns 3.7Da Sie nun die fünf Hauptabschnitte des Gehirnskennen gelernt haben, ist es an der Zeit, Ihnen derenwichtigste Strukturen vorzustellen. Dieser Abschnittbeginnt den Überblick über die Gehirnstrukturen mitdem Myelencephalon und steigt dann über die ande-ren Abschnitte bis zum Telencephalon auf. Die fettge-druckten Gehirnstrukturen, die in diesem Abschnitterwähnt und definiert werden, sind nicht in der Listemit Schlüsselbegriffen am Ende des Kapitels enthal-ten. Vielmehr sind sie in Abbildung 3.30 entspre-chend ihrer Lokalisation im Gehirn angeordnet.

Hier noch einmal eine Gedächtnisstütze, bevor Siesich in die Anatomie des Gehirns vertiefen: die Rich-tungsbezeichnungen für den Hirnstamm und das Rü-ckenmark sind identisch, werden allerdings für dasVorderhirn um 90° gedreht.

3.7.1 Myelencephalon

Es ist nicht überraschend, dass das Myelencephalon(oder Medulla oblongata), der am weitesten posteriorgelegene Abschnitt des Gehirns, hauptsächlich ausFaserzügen besteht, die Signale zwischen dem Restdes Gehirns und dem Körper übertragen. Aus psycho-logischer Perspektive ist die Formatio reticularis eininteressanter Teil des Myelencephalon ( Abbildung3.21). Sie ist ein komplexes Netzwerk – bestehendaus annähernd 100 winzigen Kernen – das im Zen-trum des Hirnstamms von der posterioren Grenze desMyelencephalon bis zur anterioren Grenze des Mittel-hirns liegt. Ihr Name leitet sich von ihrer netzartigenErscheinung ab (reticulum bedeutet „kleines Netz“).Manchmal wird die Formatio reticularis auch als das(aufsteigende) retikuläre Aktivierungssystem bezeich-net, da einige ihrer Teile eine Rolle bei der Aktivierungspielen. Allerdings sind die verschiedenen Kerne derFormatio reticularis an einer Vielzahl von Funktionenbeteiligt – einschließlich Schlaf, Aufmerksamkeit, Be-wegung, der Aufrechterhaltung des Muskeltonus undverschiedener Herz-, Kreislauf- und Atmungsreflexe.Daher kann es irreführend sein, diese Ansammlungvon Kernen als ein System zu bezeichnen.

3.7.2 Metencephalon

Das Metencephalon beinhaltet, ähnlich dem Myelen-cephalon, viele aufsteigende und absteigende Faserzü-ge und Teile der Formatio reticularis. Diese Strukturenbilden auf der ventralen Seite des Hirnstamms eineAuswölbung, die als Pons bezeichnet wird. Der Ponsist ein Hauptabschnitt des Metencephalons; der andereist das Cerebellum (Kleinhirn) – Abbildung 3.21. DasCerebellum ist eine große, gewundene Struktur auf derdorsalen Seite des Hirnstamms. Es ist eine wichtigesensomotorische Struktur; eine Schädigung des Cere-bellums bedingt den Verlust der Fähigkeit zu einer prä-zisen Kontrolle von Bewegungen und ihrer Anpassungan sich verändernde Bedingungen. Die Tatsache, dasseine Schädigung des Cerebellums auch eine Vielzahlkognitiver Defizite verursacht, weist jedoch darauf hin,dass die Funktionen des Cerebellum nicht auf die sen-somotorische Kontrolle beschränkt sind.

Cerebellum

Medullaoblongata

Pons

Formatioreticularis

Abbildung 3.21: Strukturen des menschlichen Myelencepha-lons (Medulla oblongata) und Metencephalons.

3

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3.7.3 Mesencephalon

Das Mesencephalon besteht, wie das Metencephalon,aus zwei Abschnitten. Die beiden Teile des Mesence-phalon sind das Tectum und das Tegmentum ( Ab-bildung 3.22). Das Tectum (Dach) bildet die dorsaleOberfläche des Mittelhirns. Bei Säugetieren bestehtdas Tectum aus zwei Paaren von Höckern, den Colliculi(kleine Hügel). Das posteriore Paar, Colliculi inferioresgenannt, hat eine auditorische Funktion; das anteriorePaar, die Colliculi superiores, eine visuelle Funktion.In niederen Wirbeltieren erfüllt das Tectum eine reinvisuelle Funktion; daher wird das Tectum als Tectum opticum bezeichnet.

Das Tegmentum ist der Bereich des Mesencephalon,der ventral zum Tectum liegt. Zusätzlich zur Forma-tio reticularis und durchziehenden Faserzügen um-fasst das Tegmentum drei „farbige“ Strukturen, diefür Biopsychologen besonders interessant sind: dasperiaquäduktale Grau, die Substantia nigra (schwarzeSubstanz) und den Nucleus ruber (roter Kern) ( Ab-bildung 3.22). Das periaquäduktale Grau ist die graueSubstanz um den Aqueductus cerebri, der den drittenund den vierten Ventrikel verbindet; es ist interessantaufgrund seiner Rolle bei der Vermittlung der anal-getischen (schmerzreduzierenden) Wirkung von Opi-aten. Die Substantia nigra (schwarze Substanz) undder Nucleus ruber (roter Kern) sind beide wichtigeKomponenten des sensomotorischen Systems.

PeriaquäduktalesGrau

Colliculussuperior

Mesencephaleformatioreticularis

Aqueductuscerebri

Nucleusruber

Substantianigra

dorsal

ventral

Colliculussuperior

Colliculusinferior

Tegmentum

Tectum

Abbildung 3.22: Das menschliche Mesencephalon (Mittelhirn).

3.7 Die Hauptstrukturen des Gehirns

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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3.7.4 Diencephalon

Das Diencephalon besteht aus zwei Strukturen: demThalamus und dem Hypothalamus ( Abbildung 3.23).Der Thalamus ist die große, aus zwei Lappen bestehen-de Struktur, die das obere Ende des Hirnstamms bildet.Ein Lappen sitzt auf jeder Seite des dritten Ventrikels,und sie sind durch die Adhesio interthalamica, diedurch den Ventrikel läuft, verbunden. Auf der Ober-fläche des Thalamus sind weiße Lamina (Schichten)erkennbar, die aus myelinisierten Axonen bestehen.

Der Thalamus beinhaltet viele verschiedene, paar-weise angeordnete Kerne, von denen die meisten zumCortex projizieren. Einige sind sensorische Relaiskerne– Nuclei, die Signale von sensorischen Rezeptorenerhalten, sie verarbeiten und dann zu den zugehörigenBereichen des sensorischen Cortex übertragen. Sosind z.B. das Corpus geniculatum laterale (seitlicherKniehöcker), das Corpus geniculatum mediale (mitt-lerer Kniehöcker) und der Nucleus ventralis posteriorjeweils wichtige Relaisstationen des visuellen, audito-

rischen und somatosensorischen Systems. Die Organi-sation des Thalamus ist in Anhang V dargestellt.

Der Hypothalamus befindet sich genau unterhalbdes anterioren Thalamus (hypo bedeutet „unterhalb“)– Abbildung 3.24. Er spielt eine wichtige Rolle beider Regulation verschiedener motivationaler Verhal-tensweisen. Er erzielt seine Wirkungen teilweise, in-dem er die Freisetzung von Hormonen der Hypophyse(Hirnanhangdrüse) steuert, welche von ihm zur vent-ralen Seite des Gehirns hin herabhängt. Zusätzlichzur Hypophyse liegen zwei weitere Strukturen an derinferioren Seite des Hypothalamus: das Chiasma op-ticum und die Mammillarkörper ( Abbildung 3.24).Das Chiasma opticum ist der Punkt, an dem der Ner-vus opticus aus dem rechten und der aus dem linkenAuge zusammenlaufen. Die X-Form entsteht durchdie Kreuzung (Decussatio) einiger Axone der Seh-nerven im Chiasma opticum (die von einer Seite desGehirns zur anderen wechseln). Die kreuzenden Fa-sern werden als kontralateral bezeichnet (da sie voneiner Körperseite zur anderen projizieren), die nicht

Hypothalamus

BändermyelinisierterAxone

rechterThalamus

linkerThalamus

Abbildung 3.23: Das menschliche Diencephalon.

3

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kreuzenden Fasern als ipsilateral (da sie auf derselbenKörperseite bleiben). Die Mammillarkörper (Corporamammillaria), die oft als Teil des Hypothalamus ange-sehen werden, bestehen aus einem Paar kugelförmigerKerne, die unmittelbar hinter der Hypophyse an derinferioren Seite des Hypothalamus liegen. Die Mam-millarkörper und andere Nuclei des Hypothalamussind in Anhang VI dargestellt.

3.7.5 Telencephalon

Das Telencephalon, der größte Abschnitt des mensch-lichen Gehirns, vermittelt die komplexesten Funktio-nen des Gehirns. Es initiiert willkürliche Bewegungen,

interpretiert sensorischen Input und vermittelt kom-plexe kognitive Prozesse wie Lernen, Sprechen undProblemlösen.Cerebraler Cortex Die cerebralen Hemisphären sindvon einer Gewebeschicht bedeckt, die als cerebralerCortex (Cortex cerebri) oder auch als Großhirnrindebezeichnet wird. Beim Menschen ist der cerebrale Cor-tex tief gefaltet (gefurcht) – Abbildung 3.25. Durchdie Faltungen wird die Oberfläche des cerebralen Cor-tex vergrößert, ohne das Gesamtvolumen des Gehirnszu vergrößern. Nicht alle Säugetiere besitzen einengefalteten Cortex – die meisten Säugetiere sind lis-sencephal (haben ein glattes Gehirn). Früher ging mandavon aus, dass die Zahl und Größe der cortikalen Fal-tungen die intellektuellen Fähigkeiten einer Spezies

Mammilar-körper

Chiasmaopticum

Hypophyse

Abbildung 3.24: Der menschliche Hypothalamus (farbig) in Beziehung zum Chiasma opticum und der Hypophyse.

3.7 Die Hauptstrukturen des Gehirns

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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bestimmt. Allerdings scheint die Anzahl und Größeder cortikalen Faltungen eher in Zusammenhang mitder Körpergröße zu stehen – jedes große Säugetier be-sitzt einen stark gefalteten Cortex.

Die großen Furchen in einem gefalteten Cortexwerden als Fissurae (singular Fissura) bezeichnet, diekleinen als Sulci (singular Sulcus). Die Erhebungenzwischen den Fissurae und Sulci werden Gyri (sin-gular Gyrus) genannt. Abbildung 3.25 zeigt deutlich,dass die cerebralen Hemisphären beinahe vollständigdurch die größte der Fissurae voneinander getrenntsind: der Fissura longitudinalis cerebri (Längsfur-che). Die cerebralen Hemisphären sind nur durch ei-nige wenige Faserzüge, die die Fissura longitudinalisüberbrücken, direkt miteinander verbunden; diese dieHemisphären verbindenden Faserzüge werden als ce-rebrale Commissuren bezeichnet. Die größte cerebraleCommissur, das Corpus callosum, ist in Abbildung3.25 deutlich erkennbar.

Wie in Abbildung 3.26 dargestellt, sind der Sulcuscentralis (Zentralfurche) und der Sulcus lateralis (Syl-vische Furche) die beiden großen Landmarken auf derlateralen Oberfläche der beiden Hemisphäre. DieseFissurae unterteilen jede Hemisphäre in vier Lappen:den Frontallappen, den Parietallappen, den Tempo-rallappen und den Occipitallappen. Zu den größtenGyri gehören der Gyrus precentralis, der den moto-rischen Cortex beinhaltet, der Gyrus postcentralis, derden somatosensorischen (Körperempfindungen) Cor-tex umfasst, und der Gyrus temporalis superior, der

Seiten-ventrikel

Fissuralongitudinaliscerebri

Corpuscallosum

Sulcuscentralis

dritterVentrikel

Sulcuslateralis

Hippocampus

Sulcuscentralis

Sulcuslateralis

Abbildung 3.25: Die wichtigsten Fissurae bzw. Sulci der cerebralen Hemisphären des Menschen.

Frontal-lappen

Sulcuslateralis

Gyrusprecentralis

Gyruspostcentralis

Sulcuscentralis

Gyrustemporalissuperior

Parietal-lappen

Temporal-lappen

Cerebellum

Occipital-lappen

Fissura longitudinaliscerebri

Abbildung 3.26: Die Lappen der cerebralen Hemisphären.

3

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den auditorischen Cortex beinhaltet. Der occipitaleCortex erfüllt ausschließlich visuelle Funktionen.

Beim Menschen besteht der cerebrale Cortex zu90% aus Neocortex, eine aus sechs Schichten beste-hende, evolutionär relativ junge Struktur (Northcutt &Kaas, 1995). Es besteht die Konvention, die Schichtendes Neocortex von I nach VI beginnend an der Ober-fläche durchzunummerieren. Abbildung 3.27 zeigtzwei angrenzende Schnitte des Neocortex. Einer wur-de einer Nissl-Färbung unterzogen, um die Zahl undForm der Zellkörper zu markieren, der andere wurdemittels Golgi-Färbung präpariert, um die Silhouet-ten einer kleinen Anzahl seiner Neuronen sichtbarzu machen.

Drei wichtige Merkmale der neocortikalen Anatomiewerden anhand der Schnitte in Abbildung 3.27 er-sichtlich. Erstens wird deutlich, dass es zwei grund-sätzlich verschiedene Arten cortikaler Neuronen gibt:Pyramidenzellen (pyramidenförmig) und Sternzellen(sternförmig). Die Pyramidenzellen sind große, mul-tipolare Neuronen mit pyramidenförmigen Zellkör-pern, einem großen Dendriten, der als apikaler Dendritbezeichnet wird und der vom Pyramidengipfel gerad-linig zur Cortexoberfläche verläuft, sowie einem sehrlangen Axon. Im Gegensatz dazu sind die Sternzel-len kleine, sternförmige Interneurone (Neurone mitkurzen oder überhaupt keinen Axonen). Zweitens isterkennbar, dass sich die sechs Schichten des Neocor-

Abbildung 3.27: Die sechs Schichten des Neocortex (adaptiert nach Rakic, 1979).

III

III

IV

V

VI

III

III

IV

V

VI

Axone und Dendriten; einige Zellkörperdicht gepackte Stern-zellen; einige kleine Pyramidenzellen

locker gepackte Stern-zellen, mittelgroße Pyramidenzellen

Streifen dicht gepackter Sternzellen; keine Pyramidenzellen

sehr große Pyramiden-zellen; einige leicht gepackte Sternzellen

Pyramidenzellen ver-schiedener Größe; locker gepackte Sternzellen

myelinisierte Axone von Pyramidenzelle; wenige Zellkörper

Golgi-gefärbterNeocortex

Sternzelle

Pyramiden-zelle

Nissl-gefärbterNeocortex

WE

ISS

ES

UB

STA

NZ

WE

ISS

ES

UB

STA

NZ

3.7 Die Hauptstrukturen des Gehirns

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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tex voneinander hinsichtlich der Größe und Dichteder Zellkörper und dem relativen Anteil der Pyrami-den- und Sternzellkörpern unterscheiden. Drittes siehtman, dass viele lange Axone und Dendriten vertikaldurch den Neocortex verlaufen (d.h. in einem rechtenWinkel zur Cortexschicht). Dieser vertikale Informa-tionsfluss bildet die Grundlage für die Säulen- bzw.Kolumnenorganisation des Neocortex. Neurone ineiner bestimmten vertikalen Kolumne des Neocortexbilden oft einen kleinen Schaltkreis, der eine einzelneFunktion erfüllt (Laughlin & Sejnowski, 2003).

Ein viertes wichtiges Merkmal der neocortikalenAnatomie ist in Abbildung 3.27 nicht erkennbar.Obwohl der Neocortex immer sechs Schichten hat,unterscheiden sich diese in den verschiedenen Ge-hirnbereichen (Brown & Bowman, 2002; Passingham,Stephan & Kotter, 2002). Zum Beispiel sind die Stern-zellen der Schicht IV auf den Empfang sensorischerSignale aus dem Thalamus spezialisiert, und daherist die Schicht IV im Bereich des sensorischen Cortexbesonders dick. Im Gegensatz dazu ist die Schicht Vim Bereich des Motorcortex besonders dick, da die Py-ramidenzellen der Schicht V Signale vom Neocortexzum Hirnstamm und Rückenmark weiterleiten.

Der Hippocampus ist ein wichtiger Bereich desCortex, der nicht zum Neocortex gehört – er bestehtaus nur drei Schichten. Der Hippocampus liegt ammedialen Rand des cerebralen Cortex, wo sich dieserin den medialen Temporallappen zurückfaltet ( Ab-bildung 3.25). Diese Faltung bildet eine Form, die imQuerschnitt ein wenig an ein Seepferdchen erinnert(Hippocampus bedeutet „Seepferdchen“).Das limbische System und die Basalganglien Obwohlein großer Teil des subcortikalen Telencephalons ausAxonen besteht, die von und zum Neocortex projizie-ren, gibt es einige große subcortikale Kerngruppen.Einige werden entweder dem limbischen System oderdem motorischen Basalgangliensystem zugeordnet. DerBegriff System in diesem Kontext könnte falsch ver-standen werden, da er ein Ausmaß an Gewissheit im-pliziert, das nicht gerechtfertigt ist. Man weiß weder,was genau diese hypothetischen Systeme tun, nochwelche Strukturen genau zu ihnen gehören oder ob esüberhaupt angemessen ist, sie als ein einziges Systemzu betrachten. Wenn man sie allerdings nicht zu wört-lich nimmt, sind das limbische System und das moto-rische Basalgangliensystem nützliche Konzepte, um dieOrganisation des Subcortex zu verstehen.

Das limbische System ist ein Schaltkreis von medialgelegenen Strukturen, die den Thalamus umgeben

(limbus bedeutet Saum). Das limbische System ist ander Regulation motivationaler Verhaltensweisen betei-ligt, einschließlich Kampf-, Flucht-, Ernährungs- undSexualverhalten (nach einem englischsprachigen Witzhandelt es sich hier um die vier Fs der Motivation„fighting, fleeing, feeding, and sexual behavior“). Zuden Hauptstrukturen des limbischen Systems gehörendie Mammillarkörper und der Hippocampus (diesekennen Sie schon) sowie Amygdala, Fornix, cingu-lärer Cortex und Septum.

Lassen Sie uns bei der Beschreibung des limbischenSystems mit der Amygdala beginnen – einem mandel-förmigen Kern im anterioren Temporallappen (Amyg-dala bedeutet „Mandel“) – siehe Swanson & Petrovich(1998). Posterior zur Amygdala liegt der Hippocampus,der unterhalb des Thalamus im medialen Temporallap-pen verläuft. Als nächstes im Ring folgen der cinguläreCortex und der Fornix. Der cinguläre Cortex, ist dasgroße Gebiet des Neocortex im Gyrus cinguli, der aufder medialen Seite der cerebralen Hemisphären geradeüber dem Corpus callosum liegt und den dorsalen Tha-lamus umschließt (Cingulum bedeutet „Gürtel“). DerFornix ist der wichtigste Faserzug des limbischen Sys-tems, der ebenfalls den dorsalen Thalamus umschließt.Er verlässt das dorsale Ende des Hippocampus undschwingt in einem Bogen entlang der superioren Seitedes dritten Ventrikels nach vorne und endet im Septumund den Mammillarkörpern (Fornix bedeutet „Bogen“).Das Septum ist ein medial gelegener Kern, der sich ander vorderen Spitze des cingulären Cortex befindet.Verschiedene Faserzüge verbinden das Septum unddie Mammillarkörper mit der Amygdala und dem Hip-pocampus und schließen so den limbischen Ring.

Die Basalganglien sind in Abbildung 3.29 darge-stellt. Wir beginnen unsere Beschreibung wie beimlimbischen System mit der Amygdala, die als ein Teilbeider Systeme angesehen wird. Aus jeder Amygdalazieht der schweifähnliche Nucleus caudatus (caudabedeutet Schweif), zuerst in eine posteriore und dannin eine anteriore Richtung. Jeder Nucleus caudatusbildet einen beinahe vollständigen Kreis, in dessenMittelpunkt sich das Putamen befindet, welches mitdem Nucleus caudatus durch eine Reihe von Faserbrü-cken verbunden ist. Nucleus caudatus und Putamen,die beide ein gestreiftes Erscheinungsbild haben, wer-den zusammen Corpus striatum (gestreifte Struktur)genannt; oft wird auch nur die Kurzform Striatumverwendet. Zu den Basalganglien gehört schließlichnoch eine blasse, kreisförmige Struktur, der Globuspallidus (blasse Kugel). Der Globus pallidus liegt me-

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Fissuralongitudinaliscerebri

Fornix

Septum

rechtercingulärerCortex

linkercingulärerCortex

Hippocampus

Amygdala

Mammillar-körper

Globuspallidus

Kopf desNucleuscaudatus

Putamen

Thalamus

SchweifdesNucleuscaudatus

Amygdala

Abbildung 3.28: Die Hauptstrukturen des limbischen Systems: Amygdala, Hippocampus, cingulärer Cortex, Fornix, Septum und Mammillarkörper.

Abbildung 3.29: Die Basalganglien: Amygdala, Striatum (Putamen und Nucleus caudatus) und Globus pallidus. Beachten Sie, dass sich bei diesem Blickwinkel der rechte Globus pallidus zu einem großen Teil hinter dem rechten Thalamus befindet und der linke Globus pallidus völlig hinter dem linken Putamen verborgen ist. Kürzlich hat mich ein Kol-lege und Freund, Michael Peters von der Guelph University, darauf hingewiesen, dass der Globus pallidus zwar gewöhn-lich als telencephale Struktur betrachtet wird, aber eigentlich seinen Ursprung in diencephalem Gewebe hat, das im Verlauf der pränatalen Entwicklung zu seinem telencephalen Ort wandert.

3.7 Die Hauptstrukturen des Gehirns

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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dial zum Putamen, zwischen dem Putamen und demThalamus.

Die Basalganglien spielen bei der Ausführung vonwillkürlichen Bewegungen eine entscheidende Rolle.

Von besonderer Bedeutung ist eineBahn, die von der Substantia ni-gra des Mittelhirns zum Striatum

projiziert. Die Parkinson-Erkrankung, die mit Steifheit(Rigor), Zittern (Tremor) und einer Verarmung von will-kürlichen Bewegungen einhergeht (Hypokinese), stehtin Zusammenhang mit einer Zerstörung dieser Bahn.

In Abbildung 3.30 sind die Hauptabschnitte undStrukturen des Gehirns zusammengefasst – diejenigenSchlüsselbegriffe, die in Abschnitt 3.7 fett gedrucktsind.

Abbildung 3.31 schließt dieses Kapitel ab und sollauf etwas hinweisen, das beim alltäglichen Gebrauchvon neuroanatomischen Begriffen und Techniken ver-loren geht: die Schönheit des Gehirns und die Kunst-fertigkeit derjenigen, die seine Strukturen erforschen.

KLINISCHE

IMPLIKATIONEN

1. -lappen

2. Gyrus-

3.

4.

5.

6.

7. Colliculus-

8. -körper

9.

10. Ventrikel

11.

12.

13.

14.

Antworten:(1)Parietal-,(2)Gyruscinguli,(3)Fornix,(4)Corpuscallosum,(5)Thalamus(6)Hypothalamus,(7)superior,(8)Mammillar-,(9)Tegmentum,(10)vierter,(11)Cerebellum,(12)Pons,(13)MedullaoblongataoderMyelencephalon,(14)Rückenmark.

Falls Sie sich nicht schon früher mit der grobenAnatomie des Gehirns beschäftigt haben, wird Ihreigenes Gehirn durch die neuen Begriffe wahr-

scheinlich ganz schön strapaziert.Um zu prüfen, ob Sie das neue Ka-pitel beginnen sollen, können Sie

den folgenden Medianschnitt durch ein echtesmenschliches Gehirn beschriften. (Es wird sichereine Herausforderung sein, von den farbkodierten

Diagrammen zu einer echten Fotografie zu wech-seln.). Die richtigen Antworten finden Sie unterdem Kasten. Bevor Sie weiter lesen, sollten Sieaber die zu Ihren Fehlern oder Wissenslücken ge-hörenden Textpassagen nochmals wiederholen.Beachten Sie, dass in Abbildung 3.30 all die Be-griffe der Gehirnanatomie dargestellt sind, die inAbschnitt 3.7 fett gedruckt waren. Sie ist somit gutzur Nachbearbeitung geeignet.

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Übung Prüfen Sie Ihr Wissen

KLINISCHE

IMPLIKATIONEN

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NeocortexHippocampus

Sulcus centralisSulcus lateralisFissura longitudinalis cerebri

Gyrus precentralisGyrus postcentralisGyrus temporalis superiorGyrus cinguli

FrontallappenTemporallappenParietallappenOccipitallappen

AmygdalaHippocampusFornixCingulärer CortexSeptumMammillarkörper

Corpus callosum

Adhesio interthalamicaCorpus geniculatum lateraleCorpus geniculatum medialeNucleus ventralis posterior

Mammillarkörper

Colliculus superiorColliculus inferior

Formatio reticularisAqueductus cerebriPeriaquäduktales GrauSubstantia nigraNucleus ruber

Formatio reticularis

Formatio reticularisPonsCerebellum

Tegmentum

Tectum

Hypophyse

Hypothalamus

Thalamus

Cerebrale Kommissuren

AmygdalaNucleus caudatusPutamenGlobus pallidus

Corpusstriatum

Cerebraler Cortex(Großhirnrinde)

Wichtige Fissurae oderSulci

Wichtige Gyri

Vier Lappen

Limbisches System

Basalganglien

Chiasma opticum

Telencephalon

Diencephalon

Mesencephalon

Metencephalon

Myelencephalon oder Medulla

Abbildung 3.30: Zusammenfassung der Hauptstrukturen des Gehirns. Diese Darstellung enthält alle Schlüsselbegriffe der Gehirnanatomie, die in Abschnitt 3.7 fett gedruckt sind.

3.7 Die Hauptstrukturen des Gehirns

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DIE ANATOMIE DES NERVENSYSTEMS

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Abbildung 3.31: Die Kunst der neuroanatomischen Färbung. Dieser Schnitt wurde sowohl mittels Golgi-Färbung als auch mittels Nissl-Färbung präpariert. Bei den Golgi-gefärbten Pyramidenzellen sind die pyramidenförmigen Zellkörper, die großen apikalen Dendriten und die vielen dendritischen Dornen deutlich sichtbar. Jede Pyramidenzelle besitzt ein langes, schmales Axon, welches in Richtung des unteren Endes der Abbildung projiziert (Foto von Miles Herkenham, Unit of Functional Neuroanatomy, National Institute of Mental Health, Bethesda, MD).

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Der zuerst geschilderte Fall betrifft eine unveröf-fentlichte Behauptung, die hauptsächlich durch Nach-richtenmedien verbreitet wurde. Der zweite Fall be-trifft eine Behauptung, die ursprünglich durch publi-zierte Forschungsarbeiten unterstützt wurde. Da beideFälle Teil der Geschichte der Biopsychologie sind, istes leicht, sie im Nachhinein zu beurteilen.

Das Wichtigste in Kürze

Dieses Kapitel trägt nur relativ wenig zu denHauptthemen dieses Buches bei: diese wurdenvorübergehend vernachlässigt, um Sie mit den

wichtigsten Gebieten und Struk-turen des menschlichen Gehirnsvertraut zu machen. Dieses Wis-

sen über die grundlegende Neuroanatomie dientin den folgenden Kapiteln als Basis für die Dis-kussion der Gehirnfunktionen. Dennoch wurdenin diesem Kapitel drei klinische Implikationendiskutiert: die Bedeutung der Hirnnerven für neu-rologische Diagnosen, die Rolle einer Blockade desAqueductus cerebri beim Hydrocephalus und derZusammenhang zwischen der Parkinson-Erkran-kung und einer Schädigung der Verbindung vonder Substantia nigra zum Striatum.

Denkanstöße

1. Welche der folgenden Extrempositionen liegtIhrer Ansicht nach näher an der Wahrheit?(a) Das Hauptziel aller psychologischen For-schung sollte darin bestehen, psychologischePhänomene mit der Anatomie neuronalerSchaltkreise in Beziehung zu setzen. (b) Psy-chologen sollten die Erforschung der Neuro-anatomie den Neuroanatomen überlassen.

2. Der vielleicht berühmteste Fehler in derGeschichte der Biopsychologie wurde vonOlds und Milner gemacht (siehe Kapitel15). Sie vermasselten die Implantation ei-ner Elektrode in das Gehirn einer Ratte, sodass die Spitze der Stimulationselektrode ineiner unbekannten Struktur endete. Als sieanschließend die Effekte einer elektrischenStimulation dieser unbekannten Strukturuntersuchten, machten sie eine fantastischeEntdeckung: Die Ratte schien die Gehirnsti-mulation als extrem angenehm zu empfin-den. Tatsächlich würde die Ratte einen He-bel stundenlang und mit einer hohen Ratedrücken, wenn jeder Hebeldruck eine kurzeStimulation ihres eigenen Gehirns über dieElektrode verursachen würde. Falls Sie zu-fällig auf dieses Phänomen der intrakrani-ellen Selbststimulation gestoßen wären, wel-che neuroanatomischen Verfahren hätten Sieverwendet, um den Stimulationsort und diebeteiligten neuronalen Schaltkreise zu iden-tifizieren?

KLINISCHE

IMPLIKATIONEN

3.7 Die Hauptstrukturen des Gehirns