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Imperium and Officium Working Papers (IOWP) Anweisung des Pagarchen Athanasios an Senouthios, Notarios, zum Ankauf von Gerstenspreu Version 01 Mai 2011 Markus Resel (University of Vienna, Department of Ancient History, Papyrology and Epigraphy) Abstract: Edition of a Vienna papyrus from the first years of Arabic rule in Egypt concerning the purchase of chaff. © Markus Resel 2011 [email protected]

Anweisung des Pagarchen Athanasios an Senouthios, Notarios ...iowp.univie.ac.at/sites/default/files/IOWP_Resel_G 1599_V 1_0.pdf · 1 Markus Resel NFN Imperium and Officium. Comparative

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  • Imperium and Officium Working Papers (IOWP)

    Anweisung des Pagarchen Athanasios an Senouthios, Notarios, zum Ankauf von Gerstenspreu

    Version 01

    Mai 2011 Markus Resel (University of Vienna, Department of Ancient History, Papyrology and Epigraphy) Abstract: Edition of a Vienna papyrus from the first years of Arabic rule in Egypt concerning the purchase of chaff.

    © Markus Resel 2011 [email protected]

  • 1 Markus Resel

    NFN Imperium and Officium. Comparative Studies in Ancient Bureaucracy and Officialdom

    ANWEISUNG DES PAGARCHEN ATHANASIOS AN SENOUTHIOS, NOTARIΟS, ZUM

    ANKAUF VON GERSTENSPREU1

    P.Vindob. G 1599 5,4 x 17,2 cm 643/4 n. Chr.

    Hermupolis

    Der mittelbraune Papyrus durchschnittlicher Qualität ist vollständig erhalten; die Freiränder

    oben und unten betragen 0,4 cm, links 0,2 cm sowie rechts 0,5 cm. Der Papyrus war vierfach

    waagrecht gefaltet, kleinere Lücken auf der linken Seite in Z. 2 und 3 entlang der Faltungen.

    Keine Klebungen, schwarze Tinte, die geübte Schrift verläuft auf dem Rekto quer zu den

    Fasern. Auf dem Verso befindet sich in Höhe der vorletzten Zeile des Verso die einzeilige

    Adressierung, die Breite des Papyrus entspricht den Konventionen der Papyri aus dem

    Senouthios-Archiv.2

    ↓ 1 ✝ ἀγοράννειϲ µοὶ χείλια ϲαργάνια ἀχύρου ἀπὸ κριθίνου 2 λόγῳ τῶν ἀλόγων µου ἀ̣π̣ὸ̣ διακοϲίων λιτρῶν 3 ἑκάϲτου ϲαργάνιου ὑπὲρ νοµιϲµάτων τριῶν 4 καθὼϲ ἀγοράϲωϲιν ἄ̣λ̣λοι. ✝ Verso: ⟶ 5 ✝ [ ca. 10-12 ] Σενούθι(ῳ) νο(ταρίῳ) ✝ Ἀθανάϲ(ιοϲ) 1. l. ἀγοράζειϲ, l. χίλια

    „✝ Du kaufst mir eintausend Körbe Gerstenspreu für meine Tiere, jeder Korb aus zweihundert

    Pfund, für drei Solidi, wie sie andere gekauft haben. ✝

    Verso

    „✝ [ - - - ] An den notarios Senouthios ✝ von Athanasios“

    1 Dieser Papyrus wurde im Sommersemester 2010 im Rahmen eines papyrologischen Seminars an der Universität Wien ediert, das von Federico Morelli geleitet wurde. Ihm habe ich sowohl für die Hilfestellung bei zahlreichen Editionsproblemen zu danken als auch für die Möglichkeit, meine Ergebnisse im zweiten Band zum Senouthios-Archiv publizieren zu dürfen. 2 Vgl. F. Morelli, CPR XXX, S. 31-8 (insb. die Tabelle auf S. 32-3).

  • Anweisung des Pagarchen Athanasios an Senouthios, Notarios, zum Ankauf von Gerstenspreu 2

    NFN Imperium and Officium. Comparative Studies in Ancient Bureaucracy and Officialdom

    Diese kurz gefasste Anordnung des Pagarchen Athanasios aus den Jahren 643/4 an den

    notarios (und anystes) Senouthios3 ist vor allem wegen der darin enthaltenen metrologischen

    Angaben von besonderem Interesse. Senouthios wird vom Pagarchen Athanasios angewiesen,

    eintausend Körbe (ϲαργάνια) Gerstenspreu zu kaufen, wobei jeder Korb ein Gewicht von

    zweihundert römischen Pfund (λίτραι) aufweisen soll. Das ϲαργάνιον bzw. die ϲαργάνη

    gehörte zwar nicht zu den ‚offiziellen’ römischen Hohl- oder Gewichtsmaßen, ist aber in

    papyrologischen Quellen häufig als Maßeinheit für Weizen- und Gerstenspreu oder auch Heu

    anzutreffen. Eine genaue Festlegung der Größe eines solchen Korbes scheint es dabei weder

    nach Volumen noch nach Gewicht gegeben zu haben. Meist wurde die ϲαργάνη gänzlich ohne

    metrologische Spezifikation verwendet, so wie es z. B. in einem Kauf von Heu gegen

    Vorauszahlung, in dem lediglich von gestampftem Heu in Körben des Käufers gesprochen

    wird, der Fall ist (BGU XII 2199, 6. Jh. n. Chr., Hermupolis). In den vier bislang bekannten

    Pachtverträgen der Aurelia Aphthonia (BGU XVII 2685 vom 13.08.585 n. Chr.; SB VI 9085

    inv. 16048 vom 15.09.565 n. Chr.; SB VI 9085 inv. 16050 vom 16.09.579 n. Chr. und SB VI

    9085 inv. 16055 vom 12.09.589 n. Chr.; alle aus Hermupolis) gehörte zu den Pächtergaben

    unter anderem auch die Ablieferung von einem oder zwei Körben Spreu, wobei auch hier, so

    wie in einer Liste über Naturalabgaben oder Arbeitsleistungen aus dem 6. Jh. n. Chr. (BGU

    XVII 2721, Hermopolites), keine näheren Angaben zur Größe des Korbes gemacht wurden.

    Den besten Anhaltspunkt für das Volumen bzw. Gewicht einer ϲαργάνη bietet P.Cair.Isid. 13

    Z. 50 aus Karanis, vom 31.07.314 n. Chr. Aus dieser Abrechnung von Eintreibern von in

    Spreu geschuldeten Abgaben (ἀπαιτῆται ἀχύρου) geht hervor, dass hier jeder Korb Spreu ein

    Gewicht von 150 römischen Pfund (ca. 48,5 kg)4 hatte. Daneben sind aber auch noch Körbe

    mit einem Gewicht von 120 römischen Pfund (ca. 38,8 kg) bekannt.5 In unserem Text

    hingegen sollte jeder Korb Gerstenspreu 200 Pfund (64,6 kg) fassen, was bei 1.000 Körben

    einem Gesamtgewicht von 200.000 römischen Pfund (64,6 t) bzw. 1.000 Esellasten

    3 Für weitere Anordnungen des Athanasios an Senouthios s. CPR XXX 1, 11, 13, 24, 25, 26, 28 und 30; zu den Amtsträgern, der Provenienz und der Datierung s. Belege aus Anm. 1 bzw. CPR XXX, Introduzione, 15-21 und 22-7. 4 Das römische Pfund (libra) wird hier als Standardgewicht mit 0,323 kg angenommen, s. Roger S. BAGNALL, Practical Help, in: Roger S. Bagnall (Ed.), The Oxford Handbook of Papyrology, Oxford 2009, 188-9; zur Entwicklung des auf der schweren römischen libra beruhenden Gewichtssystems in byzantinischer Zeit s. Erich SCHILBACH, Byzantinische Metrologie, München 1970, 160-8 (HdAW 12.4); zum islamischen mitqāl-Gewicht, das in Ägypten mit 24 Karat zu 0,195 g = 4,68 g = 1/72 des römischen Pfundes gemessen wurde, s. Walter HINZ, Islamische Masse und Gewichte, Leiden 1955, 4 (Handbuch der Orientalistik, Ergänzungsband 1) 5 Marcel HOMBERT et Claire PRÉAUX, Les papyrus de la Fondation Égyptologique Reine Élisabeth VII, in: CdE 15, 1940, 294f.

  • 3 Markus Resel

    NFN Imperium and Officium. Comparative Studies in Ancient Bureaucracy and Officialdom

    entspricht,6 wobei natürlich hier ein Schiffstransport des Spreus die wahrscheinlichste

    Liefermethode darstellt (vgl. CPR XXX 1, S. 84-6).

    Der Preis des Gerstenspreus lag bei 333 1/3 Körbe bzw. 21,533 Tonnen pro Solidus. Der

    Hinweis in Z. 4, dass Senouthios die Spreu – ‚wie sie andere gekauft haben’ - erwerben soll,

    weist darauf hin, dass dieser Preis von Athanasios als Standardpreis für diese Art von

    Transaktionen angesehen wurde.

    Leider gibt der Text weder die Anzahl der Tiere, die Athanasios zu versorgen hatte, noch den

    Versorgungszeitraum, an. Die sehr große Menge an angeforderter Spreu und der Umstand,

    dass Athanasios solche Ankäufe offensichtlich des Öfteren befahl, lassen aber auf eine

    beträchtliche Zahl von Tieren schließen.

    1. ἀγοράννειϲ: diese ungewöhnliche Bildung der 2. P. Sing. Indikativ, die in der DDbDP

    nicht zu finden ist, entstand wahrscheinlich aus einer Vermischung bzw. Verwechslung der

    Suffixe -άνω und -άζω (s. Francis Thomas GIGNAC, A Grammar of the Greek Papyri of the

    Roman and Byzantine Periods, Vol. II, Morphology, Milano 1981, 280; vgl. ἀγοράννο l.

    ἀγοράζω in P.Oxy. XXXI 2599 Z. 13 und 33) und ist als Aufforderung bzw. Befehl zu

    verstehen.

    ϲαργάνιον: ‚Korb’ dieser Begriff ist in der DDbDP nur einmal zu finden (P.Lips. I 21.18,

    Hermupolis, 382 n. Chr.; vgl. auch Preisigke WB II). Im Gegensatz dazu ist der synonyme

    Begriff ϲαργάνη in spätantiken Texten recht häufig; aufgrund der gleichen Grundbedeutung

    und der gleichartigen Verwendung der beiden Begriffe sind diese gleichzusetzen. Zum

    variierenden Volumen eines ϲαργάνιον s. oben.

    4. καθὼϲ ἀγοράϲωϲιν ἄλλοι: Gegen eine finale Bedeutung spricht das Fehlen einer

    dementsprechenden Konjunktion, da in diesem Fall einleitend ἵνα, ὡϲ oder ὅπωϲ zu erwarten

    wäre. Ebenso ist eine Übersetzung im Sinne von ‚so wie die anderen (sc. Körbe) gekauft

    wurden’ aufgrund der aktiven Bedeutung von ἀγοράϲωϲιν nicht möglich. Die 3. P. Pl. legt

    nahe, dass noch weitere Amtsträger von Athanasios den Auftrag erhalten haben, Gerstenspreu

    zu kaufen und Senouthios darauf hingewiesen wird, dass er ebenso viel Geld für den Ankauf

    zur Verfügung hat, wie diese.

    5. Die linke Hälfte der Adresse ist stark abgerieben (zur Adressierung der Texte des Archivs

    des Senouthios Anystes im Allgemeinen vgl. die Hinweise von Federico Morelli in CPR

    6 Angelo SEGRÈ, Metrologia e circolazione monetaria degli antichi, Bologna 1928, 30 Nr. 5.

  • Anweisung des Pagarchen Athanasios an Senouthios, Notarios, zum Ankauf von Gerstenspreu 4

    NFN Imperium and Officium. Comparative Studies in Ancient Bureaucracy and Officialdom

    XXX, Introduzione, S. 38-40); am Beginn der Zeile ist ein Kreuz auszumachen, die folgenden

    Buchstaben sind nicht sicher bestimmbar. Ein Vergleich mit den vier in CPR XXX edierten

    und an Senouthios gerichteten Schreiben des Athanasios, die ein lesbares Verso aufweisen

    (11, 24, 26 und 30), zeigt, dass P.Vindob.inv. 1599 grundsätzlich demselben Muster zu folgen

    scheint. In allen Fällen folgt dem Empfänger des Schreibens im Dativ der Absender, entweder

    im Nominativ (Nr. 11 und 30) oder, mit der Präposition παρά, im Genetiv (Nr. 24 und 26).

    Abweichend von den vier bereits publizierten CPR-Texten, scheint in unserem Fall das

    Rangprädikat des Athanasios – ἰλλούστριοϲ – zu fehlen, zumindest sofern es sich nicht in

    dem kleinen Loch unter der rechten Seite der Adresse gestanden hat bzw. gänzlich abgerieben

    ist. Vor der Nennung der Namen findet sich in zwei der Schreiben des Athanasios (Nr. 11 und

    26, viell. auch in 24 und 30 zu ergänzen) der Imperativ ἀποδοθήτω, im Sinne von ‚zu liefern’

    oder ‚zu geben’. Diese Ergänzung würde sich zwar nach dem Sinn und auch nach dem

    verfügbaren Platz als Ergänzung anbieten, ist aber mit den noch erkennbaren Tintenspuren

    nicht vereinbar. Ebenso erscheint zwar die Ergänzung τῷ τὰ πά(ντα) τιµ(ῆϲ) ἀξίῳ, die

    Taurinos (CPR XXX 5, zur Person des Taurinos s. ebenda, Introduzione, S. 16) bzw. eine

    ähnliche Formulierung sinnfällig zu sein, kann aber ebenfalls nur sehr schwer mit den

    erhalten Spuren in Übereinstimmung gebracht werden.

    P.Vindob. G 1599 Rekto

    P.Vindob. G 1599 Verso