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Vergleichende Politische Soziologie: Quantitative Analyse- oder qualitative Fallstudiendesigns? Vergleichende Politische Soziologie Bernhard Ebbinghaus 1 Einführung Der Vergleich gilt als „die“ sozialwissenschaftliche Methode, die besonders der verglei- chende Politikwissenschaft (comparative politics) ihre Bestimmung gibt. Bereits bei den Klas- sikern der Politischen Soziologie, Tocqueville, Marx und Weber, nimmt der Vergleich unter- schiedlicher politischer Regime, Gesellschaftssysteme und Kulturkreise eine wichtige Rolle ein. Meilensteine der Politischen Soziologie wie Civic Culture von Almond und Verba (1963) untersuchten die politische Einstellungen zur Demokratie in fünf Ländern, noch umfassen- der verglichen Party System and Voter Alignments von Lipset und Rokkan (1967b) die politi- schen Spaltungsstrukturen Westeuropas und The Silent Revolution von Inglehart (1977) den Wertewandel in westlichen Gesellschaften. Die Politische Soziologie widmet sich der Beziehung zwischen Gesellschaft und Politik – den gesellschaftlichen Grundlagen politischen Handelns und staatlicher Herrschaft sowie deren Folgen für die Gesellschaft. Als „siamesischer Zwilling“ mit soziologischem und politikwissenschaftlichem Kopf hat das Fach bereits früh den internationalen und interdis- ziplinären Austausch gesucht. 1 In der deutschen Politischen Soziologie haben sich Politik- wissenschaft (DVPW) und Soziologie (DGS) eher auseinander entwickelt. Während die Politikwissenschaft zunehmend mikro-orientierte empirische Wahl-, Elite- und Parteienfor- schung Deutschlands im internationalen Vergleich betreibt, streben die Soziologen eine neue „Soziologie der Politik“ an, die dem „etatistischen Verständnis der Politikwissenschaft zu entgehen“ sucht, dessen postmoderne Themenränder aber auszufransen drohten (Nassehi/Schroer 2003: 11). In der englischsprachigen Political Sociology dominiert nach wie vor die makrohistorisch vergleichende Analyse von Nationalstaat und Zivilgesellschaft unter der Herausforderung von Globalisierung (Janoski et al. 2005; Kate Nash/Scott 2001), die politikwissenschaftliche Politische Soziologie hat sich eher in ihre Teildisziplinen diffe- renziert und spezialisiert, die teilweise unter dem Begriff „political behavior“ (Goodin/ Klingemann 1996) subsumiert werden. Wozu sollen wir politische Prozesse vergleichen? Da die Politische Soziologie die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Politik untersucht, kommt sie nicht ohne den Vergleich aus. Dogan and Pelassy raten in How to Compare Nations (1990) „Comparing to escape from Ethnocentrism“ – nur der Blick über den Tellerrand hilft, die eigene Gesell- 1 Das Committee on Political Sociology ist eines der ältesten Forschernetzwerke, es ist zudem eine Kooperation der Poli- tikwissenschaften (International Political Science Association, RC 6) und der Soziologie (International Sociological Associati- on, RC 18).

Vergleichende Politische Soziologie: Quantitative Analyse- oder qualitative Fallstudiendesigns?

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Vergleichende Politische Soziologie: Quantitative Analyse- oder qualitative Fallstudiendesigns? Vergleichende Politische Soziologie

Bernhard Ebbinghaus 1 Einführung Der Vergleich gilt als „die“ sozialwissenschaftliche Methode, die besonders der verglei-chende Politikwissenschaft (comparative politics) ihre Bestimmung gibt. Bereits bei den Klas-sikern der Politischen Soziologie, Tocqueville, Marx und Weber, nimmt der Vergleich unter-schiedlicher politischer Regime, Gesellschaftssysteme und Kulturkreise eine wichtige Rolle ein. Meilensteine der Politischen Soziologie wie Civic Culture von Almond und Verba (1963) untersuchten die politische Einstellungen zur Demokratie in fünf Ländern, noch umfassen-der verglichen Party System and Voter Alignments von Lipset und Rokkan (1967b) die politi-schen Spaltungsstrukturen Westeuropas und The Silent Revolution von Inglehart (1977) den Wertewandel in westlichen Gesellschaften.

Die Politische Soziologie widmet sich der Beziehung zwischen Gesellschaft und Politik – den gesellschaftlichen Grundlagen politischen Handelns und staatlicher Herrschaft sowie deren Folgen für die Gesellschaft. Als „siamesischer Zwilling“ mit soziologischem und politikwissenschaftlichem Kopf hat das Fach bereits früh den internationalen und interdis-ziplinären Austausch gesucht.1 In der deutschen Politischen Soziologie haben sich Politik-wissenschaft (DVPW) und Soziologie (DGS) eher auseinander entwickelt. Während die Politikwissenschaft zunehmend mikro-orientierte empirische Wahl-, Elite- und Parteienfor-schung Deutschlands im internationalen Vergleich betreibt, streben die Soziologen eine neue „Soziologie der Politik“ an, die dem „etatistischen Verständnis der Politikwissenschaft zu entgehen“ sucht, dessen postmoderne Themenränder aber auszufransen drohten (Nassehi/Schroer 2003: 11). In der englischsprachigen Political Sociology dominiert nach wie vor die makrohistorisch vergleichende Analyse von Nationalstaat und Zivilgesellschaft unter der Herausforderung von Globalisierung (Janoski et al. 2005; Kate Nash/Scott 2001), die politikwissenschaftliche Politische Soziologie hat sich eher in ihre Teildisziplinen diffe-renziert und spezialisiert, die teilweise unter dem Begriff „political behavior“ (Goodin/ Klingemann 1996) subsumiert werden.

Wozu sollen wir politische Prozesse vergleichen? Da die Politische Soziologie die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Politik untersucht, kommt sie nicht ohne den Vergleich aus. Dogan and Pelassy raten in How to Compare Nations (1990) „Comparing to escape from Ethnocentrism“ – nur der Blick über den Tellerrand hilft, die eigene Gesell- 1 Das Committee on Political Sociology ist eines der ältesten Forschernetzwerke, es ist zudem eine Kooperation der Poli-tikwissenschaften (International Political Science Association, RC 6) und der Soziologie (International Sociological Associati-on, RC 18).

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schaft besser zu verstehen. Der interkulturelle Vergleich unterschiedlicher politischer Sys-teme erlaubt es, die institutionellen und kulturellen Besonderheiten hervorzuheben und Gemeinsamkeiten politischer Prozesse zu entdecken. Auch für die Analyse der Grenzen des internationalen Vergleichs bedarf es der komparativen Methode: Es gilt im Zeitalter der Globalisierung auch zu untersuchen, inwiefern Gesellschaften durch allgemeine exogene Prozesse beeinflusst werden und inwieweit die Politik von anderen Ländern lernen kann.

Der Vergleich wird auch als Methode der Überprüfung von Hypothesen, als quasi-Experiment, angewendet: „comparisons control“ – der gezielte Vergleich kann zur Kontrolle von Erklärungsfaktoren dienen (Sartori 1994: 15). Mit der Ausnahme der politischen Psy-chologie verfügt die Politische Soziologie nicht über das Experiment, in dem durch die Ma-nipulation der Versuchsanordnung und die zufällige Verteilung der Probanten auf Experi-mental- und Kontrollgruppe Kausalität unmittelbar im Labor untersucht werden kann. Stattdessen ist sie auf die Beobachtung realer politischer Vorgänge angewiesen, die sie in Fallstudien nachzeichnen, in kontrollierten Vergleichen ausgewählter Fälle systematisch analysieren oder bei Massenphänomenen mit Hilfe der Statistik auswerten kann. Die kom-parative Methode ist nicht nur auf den internationalen Vergleich beschränkt, sie ist auch bei einer Einzelfallstudie und bei der statistischen Analyse von Datensätzen von Bedeutung. Die unterschiedlichen methodischen Vorgehensweisen bei der Auswahl der Fälle, den ver-wendeten Konzepten und den Strategien des Vergleichs stehen im Mittelpunkt dieses Bei-trages. Dabei kann hier nur auf einige grundsätzliche Aspekte eingegangen werden, nicht auf die in den letzten Jahren angewachsene umfangreiche Literatur zur vergleichenden Methode.2 2 Forschungsprozess Der Forschungsprozess kann idealtypisch in mindesten sechs Schritte eingeteilt werden (siehe Abbildung 1), die von der Forschungsfragestellung bis zu den Forschungsergebnissen reichen. Während die externe Einbettung des Projektes in den Kontext der bisherigen For-schungsansätze und -ergebnisse am Anfang und Ende des Projektes bedeutend sind, umfas-sen die Zwischenschritte der eigenständigen Forschungsarbeit eher interne Analyseschritte, die die interne Validität verbessern sollen (Janoski/Hicks 1994). Vor allem die Zwischen-schritte werden nicht immer nacheinander, sondern manchmal auch nebeneinander abgear-beitet bzw. gedanklich bereits aufeinander bezogen. Als ersten Einstieg gilt es, die For-schungsfrage und Zielsetzung im Kontext des Forschungsgebietes zu verorten und zu be-gründen. Zweitens, soll danach das Forschungsdesign entsprechend der Forschungsfrage und Zielsetzung unter theoretischen und forschungspragmatischen Erwägungen konzipiert werden: die Vergleichsstrategie, die Untersuchungseinheiten und der Zeithorizont müssen bestimmt werden. Drittens, werden anhand von Primär- oder Sekundärdatenerhebungen

2 Als deutsche Einführung siehe Jahn (2006) bzw. neuere Sammelbände (Kropp/Minkenberg 2005; Pickel et al. 2003). Auch die oft leidenschaftlich geführte anglo-amerikanische Debatte zwischen quantitativen und qualitiativen Ansät-zen (Brady/Collier 2004; King et al. 1994) wird hier nicht näher ausgeführt (vgl. Ebbinghaus 2005).

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die empirischen Grundlagen qualitativer und/oder quantitativer Informationen entspre-chend der entwickelten Hypothesen und Messkonzepte erhoben und für die weitere Analy-se systematisiert. Viertens, werden diese Daten ausgewertet mit Hilfe von qualitativen bzw. quantitativen Analyseverfahren (dies reicht von der historischen Fallstudie bis zur Mikro-zensusanalyse). Diese Ergebnisse werden in einem fünften Schritt zur Überarbeitung des Theorierahmens verwendet und in eventuell notwendigen weiteren Schleifen erfolgt eine Verbesserung des Forschungsdesigns, der Datenerhebung und Datenanalyse. Abschließend, werden wiederum in einem externen Analyseschritt die gewonnenen eigenen empirischen Ergebnisse und theoriegeleiteten Erkenntnisse mit denen der Forschungsliteratur abgegli-chen und ein Ausblick auf weiterführende Forschung erwogen bzw. die Generalisierbarkeit der Erkenntnisse durch eine erweiterte Analyse von Fällen angewendet.

2.1 Fragestellung Am Anfang jedes Forschungsvorhabens sollte die Fragestellung und Zielsetzung des Pro-jektes im Kontext des bisherigen Forschungstandes herausgearbeitet werden. Die Fragestel-lung sollte einerseits aus der Analyse der bisherigen Forschung als nicht trivial und weiter-führend begründet werden, anderseits sollte sie auch durchführbar und ertragreich sein. Welche theoretischen und methodischen Ansätze sind für die Untersuchung relevant? Wor-in besteht eine Erkenntnislücke, die den Aufwand eines Forschungsprojektes rechtfertigt? Die Fragestellung ergibt sich in der Regel aus dem Vorwissen und den im jeweiligen Fach-gebiet noch offenen Fragen. In der Sozialforschung, insbesondere beim internationalen Ver-gleich, sollte auch die „Abduktion“ (Pierce) angewandt werden, d.h. der Forscher versucht, das eventuell voreingenommene Vorwissen im Prozess der Untersuchung selbstkritisch zu hinterfragen (Sturm 2006).

Gemäß der wissenschaftlichen Maxime des „on the shoulder of giants“ (Merton 1965) sollte ein Forschungsvorhaben auf die bereits gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse aufbauen und versuchen, über diese hinauszugehen. Als Ausgangsbasis dient deshalb eine gründliche Sichtung der vorhandenen theoretischen Ansätze, angemessenen Methoden und empirischen Ergebnisse des Forschungsgebiets. Ein solcher „state-of-the-art“ Überblick steht in der Regel am Anfang eines Forschungsvorhabens und nimmt auch in Forschungsanträ-gen (z.B. DFG Leitlinie: „2.1 Stand der Forschung“) eine gewichtige Rolle ein. Dieser Litera-turüberblick soll der Verortung des Vorhabens im Forschungsgebiet dienen und die Not-wendigkeit des Projektes aufgrund des bisherigen Forschungsstandes begründen. Es sollte also vermieden werden bereits Bekanntes nur zu replizieren oder gar als neu auszugeben, stattdessen sollte der eigene – über die bisherige Forschung hinausgehende – Beitrag der Untersuchung herausgesellt werden. 2.2 Zielsetzung Die wissenschaftliche Zielsetzung eines Forschungsvorhabens kann vielfältig sein: die Be-schreibung von Sachverhalten; die Exploration möglicher Erklärungen; die empirische Über-

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prüfung einer gegebenen Theorie; die Prognose zukünftiger Entwicklungen; die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Erreichung bestimmter gesellschaftlicher Ziele; oder die Evaluation politischer Maßnahmen. Am Beispiel der Wahlforschung lässt sich dies verdeutli-chen. Die statistische Analyse einer Wählerumfrage kann zum Beispiel Aufschluss geben über die religiöse Orientierung von Wählern der Christdemokratischen Partei: Wie hoch ist der Anteil unter Katholiken im Vergleich zu nicht konfessionell gebundenen? Die Explorati-on könnte dazu dienen, Erklärungen zu suchen, die den höheren Anteil unter Katholiken erklären können, z. B. durch Analyse weiterer potenzieller Variablen. Eine Wählerbefragung könnte auch als Überprüfung der „Freezing“-These von Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan (1967a) dienen: Erklärt die Spaltungslinie Kirche-Staat noch heute das Wahlverhal-ten? Eine politische Partei könnte z.B. eine Prognose der zukünftigen Wahlchancen anhand von Umfragtrends in Auftrag geben. Schließlich könnten Forscher die Folgen einer geplan-ten bzw. erfolgten Änderung des Wahlsystems, wie sie beim Wechsel zur „2. Republik“ in Italien in den 1990er Jahren geschah, evaluieren.

Entsprechend der sehr unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Grundorientierun-gen kann der politikwissenschaftliche Vergleich entweder zur kontrastierenden Beschrei-bung und zum kontextbezogenen Verständnis der Besonderheit eines Falles im Spiegel der anderen verwendet werden (ideographisch) oder aber zur theoriegeleiteten Hypothesen-Generierung und -Überprüfung eines allgemeingültigen Zusammenhangs von Ursache und Wirkung (nomothetisch).

Auch im letzteren Fall der empirisch-analytischen Vorgehensweise gibt es zwei unter-schiedliche Kausalperspektiven, die das Erkenntnisinteresse bestimmen: So kann der For-schende rückblickend Erklärungen für ein konkretes Phänomen („Was erklärt die Varianz auf Y“) suchen oder vorwärtsblickend die Überprüfung eines durch eine Theorie vorgegebenen Mechanismus („Wozu führt X?“) anstreben (Ganghof 2005). Bei ersterer, y-zentrierter Vorge-hensweise würde das substantielle Interesse (Erklärung der Parteinkonkurrenz) vor der Auswahl der Erklärungsansätze und der möglichen Methodik stehen, bei zweiter, x-zentrierter Forschungsstrategie würde die Ursache-Wirkungs-Hypothese einer Theorie (z.B. die Medianwähler-These) und ein hierfür geeignete Forschungsmethodik vor der Wahl des Untersuchungsgegenstandes (die Annäherung von Parteien im Wahlkampf um die Position des Medianwählers) stehen. In der vergleichenden Politischen Soziologie, vor allem in den eher makro-historischen Ansätzen dominiert bisher eher die ideographische und rückbli-ckende y-zentrierte Perspektive, in den eher quantitativen Individualdatenanalysen und (der experimentellen politischen Psychologie) die x-zentrierte Perspektive. 3 Die Vergleichstrategie Ein wesentlicher Schritt ist die Wahl und Begründung der Vergleichsstrategie. Wozu dient der Vergleich? Sollen Gemeinsamkeiten oder Unterschiede hervorgehoben werden? Steht das Verstehen des Außergewöhnlichen oder die Auffindung allgemeiner Regelmäßigkeiten im Vordergrund der Untersuchung? Die Wahl des zu erklärenden Phänomens und die onto-logische Perspektive bedingen entsprechende Vergleichsstrategien (Tilly 1984):

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� Wenn es um die Einmaligkeit eines Phänomens geht, dann wird in der Regel ein „in-dividualisierender Vergleich“ (individualizing comparison) gewählt (Tilly 1984), der ent-weder in einer Einzelfallstudie das Besondere beschreibend herausarbeitet oder aber in einem kontrastierenden Vergleich mit anderen Fällen hervorhebt. Reinhard Bendix be-schreibt in Kings or People (1978) die spezifischen Wege von monarchischen zu demo-kratischen Herrschaftssystemen in der englischen, französischen, deutschen, russischen und japanischen Geschichte. Die Vorgehensweise ist eher ideographisch, sie versucht je-den Fall in seiner Ganzheit holistisch zu verstehen.

� Zum Verständnis von Unterschiedlichkeit wird hingegen beides, eine ideographische Kenntnis der Besonderheit eines Falles im Vergleich zu anderen, aber auch eine allge-meine nomothetische Erklärung der Unterschiede, miteinander verbunden. Social Ori-gins of Dictatorship and Democracy von Barrington Moore (1966) erklärt die unterschied-lichen Wege zu Demokratie, Faschismus oder Sozialismus von westlichen und asiati-schen Nationalstaaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Folge der Koaliti-onsbildungen zwischen Bourgeoisie und Agrarinteressen. Charles Tilly (1984) bezeich-net diese Strategie als „variation finding“ (systematischer Vergleich).

� Schließlich gibt es auch Vergleiche, die dazu dienen, nicht die Unterschiede, sondern Gemeinsamkeiten aufzudecken. Ein solcher generalisierende Vergleich, nach Tilly (1984) universalizing comparison, zielt darauf ab, entweder die gleichen Effekte als all-gemeine Gesetzmäßigkeit zu erklären oder aber bei graduellen Unterschieden diese in einer Korrelationsanalyse als Folge eines linearen Zusammenhangs der unabhängigen Variablen nachzuweisen. Für die Aufdeckung von Regelmäßigkeiten ist die Fall-orientierte intensive Analyse wenig zielführend. Stattdessen wird versucht, Regelmä-ßigkeiten für möglichst viele Fälle zu belegen. Ein Beispiel hierfür ist Lipsets These in Political Man (1960), dass Demokratie und wirtschaftliches Niveau zusammenhängen.

Jede dieser drei Vergleichstrategien, der Suche nach Einmaligkeit, Unterschiedlichkeit oder Gleichförmigkeit, kann mit unterschiedlichen Forschungsmethoden bearbeitet werden. Ver-gleichende Forschung kann mehr oder weniger Fall-orientierte intensive Analyse betreiben, bzw. mehr oder weniger Variablen-orientierte extensive Analyse. Ersteres wird meist mit der qualitativen und Letzteres mit der quantitativen Forschungstradition verbunden (Ragin 1987).

Die Fallstudie, als intensive Fall-orientierte Forschungsmethode untersucht den Einzel-fall als „Ganzes“. Sie kann dabei diesen als Sonderfall hervorheben, seine Unterschiedlich-keit erklären zu suchen oder den Fall als Paradebeispiel für ein allgemeines Phänomen be-schreiben. In der Regel überwiegt eher die ideographische Vorgehensweise mit reichhaltiger holistischer Analyse von Prozessinformationen.

Der logische Vergleich kann die Ergebnisse der intensiven, ideographischen Fallstudien systematisch über mehrere wenige Fälle hinweg auf ihre logische Konsistenz von Bedin-gungen und Effekten analysieren. Der Vergleich kann dazu dienen, die Einmaligkeit eines Falls im Vergleich zu anderen offen zu legen, die Unterschiede zwischen Fällen anhand unterschiedlicher Konfigurationen zu erklären oder aber einen allgemeingültigen Zusam-menhang als notwendige Voraussetzung für ein Phänomen für die ausgewählten Fälle zu

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belegen. Der logische Vergleich, kann beides, intensive ideographische Erkenntisse und extensive logische Analyse in nomothetischer Absicht verbinden.

Die statistische Analyse einer großen Anzahl von Fällen hingegen ist vor allem auf die extensive Analyse mit nomothetischer Zielsetzung angelegt. Sie versucht in der Regel, einen allgemeinen Zusammenhang für den Durchschnittsfall zu belegen, Unterschiede in den Ergebnissen sind aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsvariablen zu erklären und Ein-maligkeit wird nur als Abweichung (Outlier) angesehen. Tabelle 1: Strategien des Vergleichs

Fallstudie Logischer Vergleich Statistische Analyse

(N=1) (kleines N) (großes N)

Einmaligkeit *** * *

Unterschiedlichkeit ** *** **

Gleichförmigkeit * ** *** intensive Analyse

Fall-orientiert interne Validität ideographisch

extensive Analyse Variablen-orientiert

externe Validität nomothethisch

3.1 Auswahl der Untersuchungseinheiten Was wird in der Politischen Soziologie als Fall verglichen? Im internationalen Vergleich wer-den als Untersuchungseinheit (unit of analysis) Regierungen oder andere staatliche Akteure, die politischen Systeme oder gar das Gesellschaftssystem (z.B. politische Kultur) als Analy-seebene betrachtet. Neben der nationalen Ebene sind auch die subnationale Ebene, z.B. regi-onale Wahlen, oder auch die supranationale Ebene, z.B. Europaparlamentswahlen, mögliche Analyseebenen. Die Untersuchungseinheiten werden wir im Folgenden als Fälle (cases) bezeichnen, da sie als Kontext und Konfiguration für die Kausalprozesse betrachtet werden. Eine wichtige Entscheidung ist die Definition der Grundmenge der Fälle und deren Aus-wahl. In der englischen Methodendiskussion wird oft nach der Zahl der Fälle unterschie-den, d.h. ob nur ein Fall (case study) oder mehrere (meist gezielt) ausgewählte Fälle (small-N), oder gar viele (mehr oder weniger zufällig) ausgewählte Fälle (large-N) zur Analyse herangezogen werden.

Die Anzahl der Fälle muss jedoch mit der Anzahl der Beobachtungseinheiten (units of observation) nicht übereinstimmen, so können mehrere zeitlich oder räumlich unterscheidba-re Beobachtungspunkte als Evidenz für Aussagen auf der Fallebene dienen. Ausschlagge-bend für die Anzahl der Fälle ist die analytische Ebene, auf der der Vergleich gezogen wird. So könnte eine vergleichende Analyse „nur“ die nationale Stimm- und Sitzverteilung unter-suchen, eine andere jedoch auch die jeweiligen regionalen Wahlergebnisse in Form einer ökologischen (räumlichen) Analyse, und eine weitere Analyse von Umfragedaten könnte die individuellen Wahlabsichten (z.B. Eurobarometer) untersuchen. Die Beobachtungen auf der subnationalen Ebene würden in solchen ökologischen Analysen oder Individualdaten-analysen weit größer sein als die Anzahl der Beobachtungen der landesweiten Ergebnisse.

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Für den internationalen Vergleich bleibt jedoch die Anzahl der Untersuchungseinheiten gleich der Zahl der nationalen Wahlsysteme. Auch bei einer Mehrebenenanalyse mit natio-nalen, regionalen und individuellen Wahldaten bleibt der Freiheitsgrad für die oberste (na-tionale) Analyseebene der gleiche, egal wie viele Beobachtungen und Ebenen darunter ein-bezogen werden.

In der Regel werden bei Studien mit kleiner Fallzahl diese Fälle bewusst aufgrund der Vergleichsstrategie gewählt. Die Auswahl dient hier der Kontrolle bestimmter Kontextbe-dingungen entsprechend der Vergleichen Methode (siehe unten), sie sollte aufgrund be-stimmter vorab bekannter, theoretisch relevanter Eigenschaften getroffen werden. Pragma-tische Erwägungen wie vorhandene Vorkenntnisse (bspw. Sprachfähigkeiten, die für Feld-studien und Originalquellen wichtig sind) oder Zugang zu Informationen (z.B. Verfügbar-keit von Datensätzen) können jedoch die Auswahlmöglichkeiten einschränken. Hier besteht dann die Gefahr einer Auswahlverzerrung (bias), wenn über die einseitig ausgewählten Fälle hinaus auf allgemeine Zusammenhänge geschlossen wird. Die Besonderheit der Ver-gleichenden Methode kleiner Fallzahlen liegt also in der bewussten strategischen Auswahl von Fällen zur Kontrolle von Kontextbedingungen, während die statistische Analyse die Grundgesamtheit wenig kritisch hinterfragt.

Statistische Analysen berufen sich auf das Gesetz der großen Zahl und streben danach möglichst viele Untersuchungseinheiten (oder eine Stichprobe hiervon) einzuschließen. Dies stößt jedoch bei Vergleichen auf der Aggregatsebene nationaler Systeme auf Grenzen. Wor-in besteht die Grundgesamtheit, auf die sich die Politische Soziologie bezieht? Sind es alle unabhängigen Nationalstaaten, die gegenwärtig als solche von der UNO anerkannt werden? Oder gar: Sind es alle früheren, gegenwärtigen und zukünftigen territorialen politischen Einheiten? In der Regel grenzen wir den Gültigkeitsraum durch Theorien mittlerer Reich-weite auf Zeit-Raum-System-Koordinaten ein, z.B. auf die „westlichen“ Demokratien seit dem zweiten Weltkrieg, die wirtschaftlich führenden OECD-Länder oder die EU-Mitglieds-länder zu einem bestimmten Zeitpunkt der Erweiterungsstufen. In der Regel handelt es sich bei so eingegrenzten Teilwelten wiederum um Grundgesamtheiten. Nur selten wird eine Zufallsstichprobe aus den circa 200 UN-Mitgliedsländern gezogen, vielmehr handelt es sich meist um mehr oder minder ausgewählte Fälle einer solchen kategorialen Grundgesamtheit.

Bei allen Vergleichen von politischen Systemen handelt es sich um heterogene Fälle, die das kontingente Resultat historischer Nationalstaatsbildungsprozesse und politischer Entscheidungen sind (Ebbinghaus 2005). Welche Nationalstaaten aus den unzähligen politi-schen Einheiten des Mittelalters durch langwierige Machtbildungsprozesse aber auch histo-rische Zufälligkeiten entstanden, welche Länder Mitglied internationaler Organisationen wurden, ist Ergebnis zahlreicher politischer Entscheidungen und Zufälle. Zudem sind diese politischen Makroeinheiten sehr heterogen, so unterscheiden sie sich in ihrer Größe und Ressourcenausstattung erheblich. Auch die Anzahl bestimmter Merkmalskonfigurationen ist kontingent: Es gibt z.B. mehrere nordische Länder mit hohen Wohlfahrtstaatsausgaben in OECD-Vergleichen, denen die USA als vielfach größerer Einzelfall mit niedrigen Wohl-fahrtsstaatsausgaben gegenüberstehen. Häufigkeitsbezogene Inferenzschlüsse sind wegen der ex ante Selektivität und Heterogenität von Nationalstaaten nur bedingt aussagekräftig.

Mit jeder zusätzlichen Untersuchungseinheit erhöht sich zwar die Zahl der Fälle („N“), dies hat jedoch Auswirkungen für die Art der Analyse. Bei wenigen Fällen ist eine intensive

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Analyse in ganzheitlichen Kontextanalysen, die anhand einer fallbezogenen Prozessanalyse die kausalen Mechanismen im jeweiligen Kontext analysieren kann (within-case analysis), noch möglich (Mahoney 2003). So können z.B. Kenntnisse über die spezifische politische Kultur der USA und Frankreichs in die Interpretation der Wirkungsweise unterschiedlicher Präsidialsysteme als erklärende Faktoren eingehen. Umso mehr Länder in einer Untersu-chung gleichzeitig betrachtet werden, desto schwieriger sind solche intensiven Analysen durchzuführen bzw. in die Gesamtanalyse zu integrieren. Mit zunehmender Anzahl wird deshalb eher eine extensive Analyse angewandt, die über alle Fälle hinweg vergleichend (cross-case analysis) nach Regelmäßigkeiten sucht und hierzu standardisierte Variablen ana-lysiert. 3.2 Zeithorizont Neben der Wahl der Fälle ist die Bestimmung des Zeithorizonts eine wichtige Eingrenzung des Forschungsobjektes mit weitreichenden methodischen und theoretischen Implikationen. King, Keohane und Verba empfehlen in Designing Social Inquiry (1994) die Anzahl der Fälle durch eine Ausweitung der zeitlichen Dimension zu erhöhen. Leider erhöht dies zunächst nur die Zahl der Beobachtungen, aber nicht notwendiger Weise die Zahl der Fälle im enge-ren Sinn. Nur dann, wenn die beobachteten Kausalfaktoren und Effekte voneinander unab-hängig sind, kann man hier von unterschiedlichen Fällen sprechen. Zeitreihen mit hoher Autokorrelation der abhängigen und unabhängigen Variablen erhöhen also keineswegs die Anzahl der Fälle (Kittel 1999), allenfalls die Zahl der Beobachtungen. Die Staatsausgaben eines Jahres sind z.B. mit den Ausgaben des Vorjahres hoch korreliert, was auf pfadabhän-gige Prozesse und die Bedeutung zeitunabhängiger Variablen hinweist.

Der relevante Zeithorizont eines Projektes sollte genau bedacht werden, damit auch Ur-sache und Wirkung in ihrem Zeitverlauf richtig analysiert werden (siehe Tabelle 2). Nur einige spezifische politikwissenschaftliche Fragestellungen können mit einer synchronen Ana-lyse adäquat behandelt werden, nämlich solche, die eine unmittelbare Gleichzeitigkeit von Ursachen und Effekten implizieren. Die kurzfristige Reaktion von Wählerstimmungen auf wirtschaftliche Konjunkturschwankungen wäre ein solches Beispiel. Nach Paul Pierson (2003) können auch längere Zeithorizonte von Kausalfaktoren und Wirkungen berücksichtigt werden: (1) ein kurzfristiges Ereignis mag wie ein politischer „Meterorit“ Langzeitfolgen nach sich ziehen (z.B. Italiens Bestechungsskandale Anfang der 1990er Jahre führten zum Zusammenruch des etablierten Parteiensystems); (2) es kommt zu langfristigen unterirdi-schen Verwerfungen, die plötzlich vulkanartig ausbrechen (z.B. zunehmende Politikverdros-senheit äußert sich im kurzfristigen Wahlerfolg der niederländischen Rechtspartei nach der Ermordung von Pim Fortuyn); (3) langfristige Ursachen führen zu kumulativen Effekten über eine längere Zeitspanne (z.B. in Folge des Strukturwandels erodiert die traditionelle sozial-demokratische Wählerbasis in der Arbeiterschaft). Zudem können die Entstehungsgründe gegenwärtiger Institutionen nicht aus ihrer heutigen Funktionalität erklärt werden: Nach Lipset und Rokkan (1967a) entstand die spezifische Konfiguration des Parteiensystems in Westeuropa bereits vor der Ausweitung des allgemeinen Wahlrechts. Das gegenwärtige

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Parteiensystem muss also keineswegs die gegenwärtigen Interessenlagen des Medianwählers widerspiegeln, da sich neue Parteien nur mit hohen Kosten etablieren können. Tabelle 2: Zeithorizont für Ursache und Wirkung (nach Pierson)

Quelle: Pierson (2003: 179, 192); Übersetzung: vgl. Jahn (2006: 186). 4 Konzepte Um zu vergleichen bedarf es vergleichbarer Untersuchungsgegenstände und allgemeiner Begriffe, die diese benennen. Wenn politische Phänomene unter gleichen Begriffen erfasst werden, diese aber in der jeweiligen Kultur etwas anderes bedeuten, würde man sprich-wörtlich „Äpfel mit Birnen“ vergleichen. Einerseits besteht die Gefahr des „conceptual stret-ching“ (Sartori 1970), d.h. Konzepte zu weit zu dehnen, nur um unvergleichliches ver-gleichbar zu machen, anderseits bedarf es abstrakter genereller Konzepte, um über lokale Besonderheiten hinweg politische Prozesse mit einem allgemeinem Begriffsapparat verglei-chen zu können. Damit Begriffe einen umfassenderen Gegenstandsbereich abdecken (Exten-sion) müssen sie auf einem höheren Abstraktionsniveau angesiedelt werden als spezifische-re Begriffe, die mehr inhaltliche Bestimmtheit haben (Intension). Hierarchische Begriffe, wie z.B. unterschiedliche Formen des Autoritarismus (bürokratischer und populistischer Autori-tarismus) fügen qualifizierende Adjektive zum Begriff Autoritarismus hinzu und schränken diesen so auf zusätzliche Bedingungen und damit auf weniger Fälle ein. Bei hierarchischen Begriffen bildet man zunächst den Oberbegriff, die primäre Kategorie, und fügt dann Unter-formen durch weitere Zusatzbedingungen hinzu: Alle diese Untergruppen zusammen bil-den dann den Gruppenbegriff. Anders bei radialen Konzepten (Collier/Mahon 1993), die von verschiedenen Erscheinungsformen ausgehen, die mit einem Begriff meist lose verbun-den werden. Verschiedene Attribute können funktionale Äquivalente darstellen und die Gesamtmenge aller dieser Attribute (sekundäre Merkmale) macht das Begriffsfeld des Sammelbegriffs (primäres Merkmal) aus, der entsprechend alle Fälle einschließt. Zu den Kennzeichen der Demokratie gehört effektive politische Beteiligung (partizipatorische D.), hinzu kommt in manchen Demokratien weitreichende Beschränkungen staatlicher Macht (liberale D.) oder die Erreichung relativer Gleichheit (egalitäre D.).

Zeithorizont der Wirkung (abhängige Variable)

Kurz Lang

Kurz I

Tornado (unmittelbare Effekte)

II Meteorit/Ausrottung (kumulative Effekte)

Zeithorizont der Ursache (unabhängige Variable)

Lang

III Erdbeben (Schwellenwerte, Kausalketten)

IV Globale Erwärmung (kumulative Bedingungen und Effekte)

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Abbildung 2: Hierarchische und Radiale Kategorien

Quelle: Collier/Mahon (1993: 846, 850); vgl. Jahn (2006: 216, 218); eigene Darstellung.

5 Die Fallstudie Bei einer ideographischen Vorgehensweise wird oft mit Hilfe einer (Einzel-) Fallstudie (N=1) ein impliziter Vergleich unternommen, der die Singularität des untersuchten Falles unterstreicht und diese hermeneutisch aus den spezifischen Kontexteigenschaften zu ver-stehen sucht. Mit einer Einzelfallstudie können aber durchaus auch nomothethische Ziele verfolgt werden: Sombarts „Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?“ (1906) zielte auf eine Widerlegung der Marxschen These von der revolutionären Situation in einer hochkapitalistischen Gesellschaft ab und suchte nach alternativen Erklärungen. Ob solche Fallstudien als vergleichend bezeichnet werden können, hängt von der Verortung des Falls in der Forschungsliteratur, den bisherigen theoriegeleiteten Erwartungen und empirischen Vergleichsstudien ab. Die Evidenz wird hier im Wesentlichen aufgrund zeitli-cher, räumlicher oder disaggregierter Prozessbeschreibungen innerhalb der Fallstudien (within-case analysis) erbracht, d.h. es wird vor allem auf interne Validität Wert gelegt. Wenn die Fallstudie zur Generierung neuer Hypothesen führt, wie im Fall von Lijpharts bahnbre-chender Studie über die Niederlande The Politics of Accommodation (1968), so bedarf es der

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Überprüfung in weiteren ähnlichen Fällen, um zu klären, ob die These der Konkordanzde-mokratien auch externe Validität über den bisher untersuchten Fall hinaus beanspruchen kann.

Entsprechend der Wahl des Falles können die Vorteile der Fallstudie in der ide-ographischen Beschreibung eines besonderen Falles, in der möglichen Generierung eines neuen Erklärungsansatzes oder aber in der nomothetischen Überprüfung gegebener Hypo-thesen an typischen oder wichtigen Testfällen liegen. Eine Fallstudie kann also einen Fall auf unterschiedliche Weise diskutieren, oder wie es Gerring auf Englisch treffend ausdrückt „to make a case“ (2001: 215-222): a. ein typischer Fall (typical case), der als durchschnittlicher Fall aus einer Gruppe ähnlicher

Fälle als repräsentativ gelten mag, b. ein außergewöhnlicher Fall (extreme case), der besonders weit vom Durchschnitt in der

untersuchten Dimension abweicht, dies kann z.B. der Ausreißer in einer statistischen Analyse oder ein „Sonderfall“ sein der im Vergleich zu anderen als außergewöhnlich gilt;

c. ein paradigmatischer Fall (crucial case), der als besonders eindeutiger Testfall für eine Hypothese gelten kann oder aber als idealtypischer Fall für eine neues Paradigma;

d. ein kontrafaktischer Fall (contrafactual case), der als Gedankenexperiment (Weber), als Vergleichsfolie zu einem real eingetretenen Fall konstruiert wird.

Fallstudien zeichnen sich durch die ideographische Fallanalyse der Kausalprozesse unter der holistischen Berücksichtigung der spezifischen Kontextfaktoren aus. Fallstudien ver-wenden verschiedene Methoden der intensiven Fallanalyse. Für die politikwissenschaftliche Analyse sind besonders von Bedeutung (Mahoney 2003): 1. Musterüberprüfung (pattern matching, Campbell 1975), indem eine für den internatio-

nalen Vergleich aufgestellte Hypothese über Zusammenhänge auf Phänomene inner-halb eines Falles angewandt wird, z.B. wenn die internationalen PISA Ergebnisse auf regionaler Ebene für die deutschen Bundesländer verglichen werden.

2. Prozessanalyse (process tracing, George/McKeown 1985), die einen postulierten Zu-sammenhang anhand einer detaillierten Analyse des politischen Prozesses, insbeson-dere der kausalen Mechanismen, untersucht.

3. Ereignissequenzanalyse (causal narrative, Sewell 1996), die eine Sequenz von Ereignis-sen beschreibt und in ihren Bestandteilen auf allgemeine Muster hin analysiert (z.B. event-structure analysis, Griffin 1993);

Auch der paarweise Vergleich (binary comparison) wird zunächst oft zur kontrastierenden Beschreibung verwendet, er kann aber durchaus auch versuchen, die Unterschiede exem-plarisch zu erklären. S.M. Lipset erklärt in Continental Divide (1990) die spiegelbildlichen Unterschiede zwischen US amerikanischem und kanadischem Wertesystem mit dem Aus-gang des Unabhängigkeitskrieges.

Vergleichende Politische Soziologie 493

6 Die Vergleichende Methode von John Stuart Mill Der systematische Vergleich weniger ausgesuchter Fälle gilt als „die“ Vergleichende Methode schlechthin (Lijphart 1971). Einerseits bietet der Vergleich weniger Fälle noch die Möglichkeit der intensiven ideographischen Fallanalyse (Ragin 1987) und anderseits kann durch gezielte Auswahl eine theoriegeleitete Überprüfung bestimmter Variablen unter Kontrolle anderer gemäß den Regeln der Millschen Logik des Vergleichs durchgeführt werden (Mill 1843). Die Forschungsstrategie der Vergleichenden Methode besteht nicht alleine in der extensiven logischen Analyse der Kausalzusammenhänge über alle Fälle hinweg, sondern basiert in der Regel auch auf intensiver Analyse der Kausalprozesse der Fälle (Mahoney 2003), in eigener Primärforschung oder zumindest der sekundären Auswertung von vorhanden Fallstudien. Den systematischen Vergleich weniger Fälle können nach John Stuart Mill unterschiedliche Auswahlprinzipien anleiten (Przeworski/Teune 1970): � Die Konkordanzmethode (method of agreement) erklärt zwei Fälle mit gleichförmigen

Effekten durch den Ausschluss aller Bedingungen, die sich unterscheiden, sodass nur noch gleichförmige Ursachen als Erklärung verbleiben. Es werden also hier möglichst unterschiedliche Systeme mit jedoch ähnlichem zu erklärendem Effekt (most dissimilar system, similar outcome = MDSO) verglichen, um möglichst viele Variablen durch die Auswahl bereits zu „kontrollieren“, d.h. logisch für eine Erklärung auszuschließen.

� Nach der Differenzmethode (method of difference) können als Ursache für einen zu erklärenden unterschiedlichen Effekt alle gleichförmigen Ausgangsbedingungen aus-geschlossen werden und es verbleiben nur solche Bedingungen, die wie der Effekt vari-ieren als Ursache. Hier werden also Fälle möglichst ähnlicher Systeme mit jedoch un-terschiedlicher abhängiger Variable (most similiar system, dissimilar outcome = MSDO) ausgewählt, damit möglichst viele potenzielle unabhängige Variablen kontrolliert wer-den.

Beide Strategien der Fallauswahl zielen also auf die Kontrolle möglichst vieler Variablen durch die gezielte Auswahl sehr ähnlicher bzw. sehr unterschiedlicher Systeme, dies hat dann Konsequenzen für die Logik des Vergleichs. Nach Mill können die beiden Logiken auch verbunden werden in der kombinierten Differenzmethode (joint method of agreement and difference), d.h. es wird zunächst nach einer Erklärung zweier Gemeinsamkeiten (dem Effekt) und dann nach einer Erklärung für das Nicht-Eintreten dieses Effektes gesucht. Mill selbst hatte Zweifel, ob diese induktiv Vergleichende Methode tatsächlich zur Auffindung von Erklärungen sozialer Phänomene verwendet werden kann, da es nur selten Fälle in der sozialen Realität gibt, die die Isolierung und den Ausschluss ursächlicher Faktoren mithilfe dieser Methoden angesichts der unzähligen konkurrierenden Variablen erlauben. Als Aus-wahlstrategie kann sie durchaus hilfreich sein, die mögliche Anzahl von Variablen zu redu-zieren, um dann in intensiven Fallstudien eine genauere Prozessanalyse der Ursachen zu verfolgen. Zudem können die Konkordanz- und Differenzmethode zur deduktiven Über-prüfung von theoriegeleiteten Hypothesen an empirischen Fällen dienen.

494 Bernhard Ebbinghaus

Abbildung 3: Die „vergleichende Methode“

Als Todsünde des Vergleichs wird von vielen Methodikern die Auswahl von Fällen mit gleichförmigem Effekt (selection by outcome) abgelehnt. So kritisierte Barbara Geddes (1990) die Studie von Theda Skocpol (1979), die die erfolgreichen Revolutionen Frankreichs, Russlands und Chinas verglich, um deren gemeinsame Ursachen herauszuarbeiten. Eine solche „Selection by Outcome“ Studie vermag durchaus die notwendigen Bedingungen (necessary conditions) für diese und nur diese Fälle aufzuzeigen. Dies entspricht dem Ziel der „verstehenden Erklärung“. Um aber eine generalisierende Aussage hieraus zu schließen, bedarf es der Überprüfung an weiteren Fällen mit der angenommenen Ursachenkonstellati-on, um zu untersuchen, ob die notwendigen auch hinreichende Bedingungen (sufficient conditions) sind. 7 Qualitativ vergleichende Analyse (QCA) Die QCA-Methode (qualitative comparative analysis) ist eine von Charles Ragin (Ragin 1987) weiterentwickelte Logik des Vergleichs, die es erlaubt mit Hilfe der Boolschen Algebra be-reits wenige Fälle systematisch zu vergleichen. Statt der gezielten Auswahl von Fällen zur Kontrolle bestimmter Variablen werden bei der QCA-Methode möglichst alle relevanten Fälle erhoben und die Konfiguration des Ursachenbündels und deren Wirkung auf ihre logische Konsistenz hin überprüft. Die Boolesche Algebra ermöglicht kausale Komplexitäten abzubilden: das logische UND (�) erlaubt kontingente Bedingungen zu erfassen (z.B.: Z=A�B,

Analyse notwendiger Bedingungen

most similar systems, similar outcomes

(MSSO)

Kongruenzmethode(method of agreement)

most different systems, similar coutcomes

(MDSO)

Differenzmethode(method of difference)

Fall I II AV a

... ...v w

AV* x = xUV y = y

Fall I II AV

AV* x xUV y = y

Fall I II AV

AV* x � �xUV y � �y

most similar systems, different outcomes

(MSDO)

b��

a � b... � ...v � w

=

a = a ... = ... w = w

Vergleichende Politische Soziologie 495

d.h. wenn A und B dann Z); das logische ODER (+) fasst Äquifinalität verschiedener Ursa-chenbündel mit ähnlicher Wirkung zusammen (z.B.: Z=A+B, d.h. wenn A oder B dann Z).

In der Regel handelt es sich bei der QCA-Methode um eine synchrone Analyse der möglichen logischen Aussagen zwischen einer Konfiguration von Bedingungen und dem zu erklärenden Ereignis für eine kleinere Anzahl von Fällen. Da es sich um logische Aussagen handelt, sind die Bedingungen und Ereignisse nominale Variablen, die dichotom mit „falsch“ oder „wahr“ zu kodieren sind, damit sie anhand einer Wahrheitstabelle auf ihre logische Konsistenz überprüft werden können. Die Zahl der möglichen Kombinationen wächst exponentiell mit der Anzahl von binären Variablen (2n), bei 2 Bedingungsfaktoren sind es vier Kombinationen, bei 3 schon 8 Kombinationen, bei 4 bereits 16 Kombinationen und so weiter. Um die logische Analyse vieler Variablen und Fälle zu erleichtern gibt es ein Computerprogramm (QCA) mit hilfreichen Algorithmen zur Konsistenzüberprüfung von Wahrheitstafeln und parsimonischen Reduktionsalgorithmen komplexer logischer Aussa-gen. Die QCA-Methode kann zur induktiven Suche von möglichst sparsamen logischen Aussagen über die notwendigen und hinreichenden Bedingungen verwendet werden, sie kann aber auch als deduktiver Test vorab formulierter Hypothesen dienen.

Ein anschauliches Beispiel für den Nutzen der QCA-Methode ist Ragins Überprüfung einer These Stein Rokkans zur Erklärung unterschiedlicher Spaltungsstrukturen der Arbei-terbewegung in Westeuropa (vgl. Jahn 2006; Ragin 1987). Die historische Analyse zeigt nach Rokkan (1970), dass die Spaltung der Arbeiterschaft, die in Deutschland, Norwegen, Finn-land und Island sowie Frankreich, Spanien und Italien in der Zwischenkriegszeit auftrat, eine Folge der religiösen, agrarischen und nationalstaatlichen Spaltungsstrukturen vor dem Ersten Weltkrieg war. Die QCA-Methode erlaubt nun, diese Aussage mit den empirischen Befunden auf ihre logische Konsistenz zu überprüfen. Einerseits zeigt sich die Spaltung der Arbeiterbewegung in den protestantischen (bzw. religiös gemischten) Ländern, die nur eine kurze Zeit zur Nationalstaatsbildung hatten, während in den katholischen Ländern ein Konflikt zwischen Staat und Kirche während des Prozesses der Nationalstaatsbildung eben-falls zu einer solchen Spaltung führte. Diese logischen Aussagen können nun auch anhand der nicht eingetretenen Fälle (ohne Spaltung) überprüft werden. Da jedoch einige mögliche Kombinationen unter den untersuchten Fällen nicht vorkommen, bleibt der Ausgang hier zwangsläufig offen. Ragin bezeichnet dieses Problem als beschränkte Vielfalt (limited diversi-ty). So macht Rokkans These, die sich nur auf die beobachtbaren Fälle bezieht, implizit An-nahmen über die nicht beobachtbaren Fälle. Würde man die Möglichkeit berücksichtigen, dass die unbeobachteten Kombinationen auch das Phänomen hervorrufen könnten, so wür-de sich die Wahrheitstafel ändern und damit müssten auch erweiterte Kausalbedingungen formuliert werden. Mit Hilfe dieses Verfahrens kann also offen gelegt werden, was die im-pliziten Annahmen bei nicht beobachtbaren Kombinationen sind. Ein weiteres Problem der QCA-Methode ist die Ausschließlichkeit logischer Aussagen. Ein Fehler in der Kodierung kann bereits zu einer veränderten logischen Aussage führen, auch wenn es mehrere Fälle mit der richtigen Kombination gibt. Es gilt also in entsprechenden intensiven Fallstudien, die interne Validität der kodierten Variablen zu sichern und die Kodierungsentscheidungen offen zu legen, um so eine Reanalyse zu ermöglichen.

496 Bernhard Ebbinghaus

Tabelle 3: Rokkans Erklärung der Spaltung der Arbeiterbewegung (QCA nach Ragin) Länder N S C R L E S= Deutschland 1 1 1 1 1 0 Ce Finnland, Island, Norwegen 3 1 1 0 0 0 Ce Spanien 1 1 0 0 1 1 cr Frankreich 1 1 0 0 0 1 cr Italien 1 1 0 0 0 0 cr Niederlande, Schweiz 2 0 1 1 0 1 Großbritannien 1 0 1 0 1 1 Dänemark, Schweden 2 0 1 0 0 1 Österreich, Irland 2 0 0 1 1 0 Belgien, Luxemburg 2 0 0 1 0 0 Nicht beobachtete 0 (1)? 0 0 1 0 (cr) Kombinationen 0 (0)? 0 1 0 1 (implizite Annahme) 0 (0)? 0 1 1 1 0 (1)? 1 0 1 0 (Ce) 0 (1)? 1 1 0 0 (Ce) 0 (0)? 1 1 1 1

N: Anzahl der Fälle; S: Spaltung der Arbeiterschaft (Explanandum); C: Staatskirche; R: Integration der Katholischen Kirche; L: Landbesitzerinteressen; E: Frühe Staatsbildung; S: Kausalbedingung (großer Buchstabe: wahr, kleiner Buch-stabe: nicht zutreffend) für Explananduum; 1: wahr, 0: nicht zutreffend, ?: unbekannt; ( ): implizite Annahme aufgrund limited diversity. Quelle: Ragin 1987: 129; vgl. Jahn 422-423; eigene Darstellung. In Anlehnung an die Mengenlehre und fuzzy logic entwickelte Charles Ragin die Fuzzy-Set/QCA-Methode (Ragin 2000), die einige Nachteile der binären QCA-Methode umgeht. Statt einer Dichotomisierung erlaubt FS/QCA die Verwendung von qualitativen und quanti-tativen Skalierungen, die prozentmäßige Abstufungen von „ganz im Set“ (1) über den Schwellenwert „weder, noch“ (0,5) bis „nicht im Set“ (0) ermöglichen. Gerade bei typolo-gisch vergleichenden Analysen kann fuzzy-set von Vorteil sein. In der vergleichenden Wohlfahrtstaatsforschung nach Esping-Andersen kann zwischen drei Idealtpyen unter-schieden werden, die in der Realität nur annähernd erreicht werden (z.B. gelten die Nieder-lande als Mischtyp zwischen konservativem und sozialdemokratischem Wohlfahrtstaatsre-gime, es könnte also bspw. als 75% konservativ und 25% sozialdemokratisch klassifiziert werden). Die jeweiligen fuzzy-set-Skalenwerte können mit den logischen Operatoren ver-rechnet werden: NICHT (~A=1-A), UND (A�B=min(A,B)), bzw. ODER (A+B=max(A,B)). Des Weiteren können Unschärfebereiche, die fehlerhafte Kodierungen oder Messungen berück-sichtigen, vorab definiert werden. Darüber hinaus können auch Häufigkeitskriterien einge-führt werden, die einen probabilistischen Test erlauben. Die Fuzzy-Set-Analyse ermöglicht die Überprüfung von komplexen Kausalmodellen auf ihre notwendigen und hinreichenden Bedingungen, dies erfordert jedoch genügend differenzierte theoriegeleitete Hypothesen, gut durchdachte und begründete Kodierungen und ausreichend Fälle (eher ein mittleres N).

Vergleichende Politische Soziologie 497

8 Quantitativ vergleichende Analysen Die quantitativ vergleichenden Verfahren umgehen das „kleine N“-Problem, indem sie möglichst viele Fälle mit statistischen Verfahren auswerten. Bei Querschnittsanalysen kön-nen einerseits beschreibende statistische Maße (z.B. Korrelation eines bivariaten Zusam-menhangs) verwendet werden, anderseits auch schließende Verfahren (z.B. OLS-Regres-sionsanalyse), wobei hier die relativ geringe Zahl der Fälle die Freiheitsgrade und damit die Zahl der möglichen Variablen sehr einschränkt. Bei einfachen linearen Zusammenhängen können bereits durch eine Auswahlverzerrung bei der Grundgesamtheit sehr unterschiedli-che Ergebnisse entstehen. Beispielsweise ist der Zusammenhang zwischen Wirtschaftsni-veau und Sozialausgaben bei einem internationalen Vergleich der OECD-Länder noch linear ansteigend, bei einer Konzentration auf die EU-Mitgliedsländer vor der Osterweiterung gibt es jedoch keinen statistischen Zusammenhang mehr (Ebbinghaus 2005). Wegen dieser Aus-wahlverzerrung („selection bias“) wird in der Regel für quantitative Verfahren möglichst eine Vergrößerung der Fallzahlen angeraten, dies lässt sich jedoch wegen Datenmangels, aber auch wegen inhaltlicher Bedenken, vor allem bezüglich der Vergleichbarkeit der Fälle, nicht immer verwirklichen.

Bei Panelanalysen werden Zeitreihen (pooled time series) von Aggregatdaten mehrerer Länder gemeinsam in einem Modell analysiert (Kittel 2005). Diese Methodik wurde mit der Verfügbarkeit von Zeitreihen-Datensätzen internationaler Organisationen (Eurostat, OECD, IMF, UN) seit drei Jahrzehnten in der international vergleichenden Politikwissenschaft, vor allem der politischen Ökonomie, häufig verwendet (Obinger et al. 2003). Vielen quantitativ orientierten Forschern schien diese Methode das Problem der kleinen Fallzahl zu umgehen, da die Zahl der Beobachtungen sich nun aus der Multiplikation der Anzahl von Zeitpunk-ten mit der Anzahl von Ländern ergibt. Weil es sich jedoch nur selten um unabhängige Beobachtungen handelt, kann hier die Zahl der Fälle für den Makrovergleich trotz vieler Zeitpunkte nicht erhöht werden. Neben den spezifischen Problemen der Zeitreihenanalyse, der Nichtstationarität von pfadabhängigen Prozessen und der Autokorrelation von Variab-len über die Zeit hinweg, ergibt sich bei der „pooled time series“ noch das spezifische Prob-lem der Heteroskedastizität und der Scheinkorrelation durch externe Schocks im Quer-schnittsvergleich (Kittel 2006), die unter Umständen durch entsprechende statistische Ver-fahren ausgeräumt werden können.

Neben der statistischen Analyse von Aggregatdaten, können auch Makrovergleich und Umfragedatenanalyse in einer Mehrebenenanalyse verbunden werden. Bereits Przeworski und Teune (1970) haben in ihrem Lehrbuch zur Vergleichenden Methode für sehr unter-schiedliche Fälle (MDSD) eine Regressionsanalyse „unterhalb“ der Systemebene vorge-schlagen, die zunächst versucht universelle Zusammenhänge auf der Individualebene zu untersuchen und dann die noch verbleibende Varianz zwischen den Ländern zu erklären. Dabei sollten die Länder nicht mehr mit ihrem Eigennamen, sondern mit Variablen bezeich-net werden, so zum Beispiel dem Entwicklungsniveau einer Gesellschaft. Die Mehrebenen-analyse (multilevel analysis) verwendet die gängige Regressionsanalyse, jedoch werden ne-ben Individualdaten auch Aggregatdaten in einem hierarchisch linearen Modell gleichzeitig analysiert. Zunächst wird das Modell auf der „unteren“ 1. Ebene berechnet und dann unter

498 Bernhard Ebbinghaus

Einbezug von Variablen der „oberen“ 2. Ebene versucht, die erklärte Varianz zu erhöhen. Eine Makrovariable (z.B. die Wirtschafskraft eines Landes) könnte zu einem konstanten Effekt führen (z.B. die postmaterialistischen Einstellungen sind im Durchschnitt in „reiche-ren“ Ländern höher), sie kann auch zusätzlich mit den Variablen auf der unteren Ebene interagieren (z.B. der schichtspezifische Effekt ist in weniger wohlhabenden Länder stärker ausgeprägt). Auch hier stellt sich das Problem der kleinen Fallzahl durch die beschränkte Anzahl von Ländern für die international vergleichbare Umfragedaten zur Verfügung ste-hen (z.B. 26 im European Social Survey, Welle 2). Es können also nur sehr wenige Makrovari-ablen gleichzeitig analysiert werden. Es empfiehlt sich hier nur solche Makrovariablen auf-zunehmen, deren Einfluss durch theoriegeleitete Hypothesen zu erwarten und durch bishe-rige Querschnittsanalysen gut belegt sind. Bei Ländervergleichen mit zu wenigen nationalen Erhebungen bleibt nur die Möglichkeit, eine Metaanalyse (Wagner/Weiß 2006) der nationa-len Modelle aus den Mikrodatenanalysen systematisch zu vergleichen. 9 Fazit Oft wird der Vergleichenden Methode mit wenigen Fällen der Vorwurf entgegengehalten: „many variables, but small N“ (Lijphart 1971), es gibt zu wenig Fälle, um alle potenziell relevanten Variablen zu überprüfen. Ob dies ein Problem ist, hängt davon ab, ob die Ver-gleichende Methode induktiv zur unbedachten Suche von beobachteten Regelmäßigkeiten oder deduktiv als theoriegeleitete Überprüfung von Hypothesen verwandt wird. Tatsächlich werden bei induktiver Verwendung immer mehr Variablen, die potenzielle Alternativerklä-rungen darstellen, als Fälle vorhanden sein, bei deduktiver Verwendung kann es durchaus Vergleichstrategien und gezielt ausgewählte Fälle geben, die eine Falsifizierung bzw. eine Bestätigung einer Hypothese erlauben. Ähnliches gilt im Prinzip auch bei statistischen Ana-lysen mit großem N: Induktive Suche nach einer hohen erklärten Varianz (z.B. mithilfe der Stepwise-Regressionsanalyse) sind gegenüber theoriegeleiteten deduktiven Überprüfungen von Hypothesen eher zweifelhafte Unterfangen, egal wie viele Fälle und Variablen berück-sichtigt werden können.

Der Unterschied zwischen intensiver und extensiver Analyse ist von zentraler Bedeu-tung für die Bewertung des Problems der kleinen Fallzahl. Intensive Analysen von der Einzelfallstudie bis zum systematischen Mehrländervergleich mit qualitativen Prozessin-formationen zielen auf interne Validität, während sich extensive quantitative Querschnitts-analysen von Datenmatrizen mit großem N auf externe Validität berufen. Wenn eine intensi-ve Fallanalyse zum Schluss kommt, dass eine bestimmte Kombination von Ursachen das Phänomen erklärt, so beansprucht sie interne Validität, d.h. der Forscher ist sich der Kombi-nation von Merkmalen, die dem internationalen Vergleich zugrunde liegen, aufgrund einer Tiefenuntersuchung relativ sicher, während eine quantitative Studie externe Validität bean-sprucht, da sie einen statistischen Zusammenhang zwischen verschiedenen Variablen für eine größere Anzahl von Fällen (und oft noch mehr Beobachtungen) belegen konnte, jedoch die internen Validität der Sekundäranalyse aufgrund der Verwendung von Massendaten Dritter kaum nachprüfen kann.

Vergleichende Politische Soziologie 499

Der Unterschied zwischen qualitativer und quantitativer Vorgehensweise zeigt sich auch im Umgang mit nicht theoriekonstistenten Fällen. Die statistische Analyse sieht Aus-reißer (outliers) eher als zu vermeidenden Störfaktor, der durch Messfehler oder unzurei-chende Spezifikation entsteht. Bei qualitativen Analysen (QCA) kommt einem abweichen-den Fall hingegen eine besondere Bedeutung zu und es gilt, diesen Fall mit weiteren Bedin-gungen zu berücksichtigen, meist geschieht dies durch eine komplexere Konfigurationser-klärung. Auch wird der QCA-Methode vorgeworfen, dass eine einzige falsche Kodierung eines Falles bereits zu einer Veränderung der logischen Konfigurationsanalyse führen kann, während bei statistischen Modellen, die auf Wahrscheinlichkeitsannahmen beruhen, Fehler-abweichungen innerhalb gewisser Grenzen zugelassen sind. Auch bei QCA-Methoden ins-besondere der Fuzzy-Set-QCA, können durchaus Häufigkeitskriterien mit Wahrscheinlich-keitsannahmen angewandt werden, wenn es denn genug Fälle ähnlicher Konfiguration gibt. Literatur Almond, Gariel A./Verba, Sidney, 1963: Civic Culture: Political Attitudes and Democracy in Five Na-

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