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Europa Universität Viadrina Frankfurt Oder Fachbereich Vergleichende Sozialwissenschaften Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeographie Gentrifizierung Dozent: Prof. Dr. Stefan Krätke Wintersemester 2014/2015 Kontemporäre Gentrifizierung in New Orleans Die radikale Vertreibung der städtischen Unterschicht im Nachgang des Hurrikans Katrina Heidrun Book Quitzowstrasse 108A, 10551 Berlin [email protected] Matrikelnummer: 46545 B.A. Kulturwissenschaften

Kontemporäre Gentrifizierung in New Orleans

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Europa Universität Viadrina Frankfurt Oder

Fachbereich Vergleichende Sozialwissenschaften

Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeographie

Gentrifizierung

Dozent: Prof. Dr. Stefan Krätke

Wintersemester 2014/2015

Kontemporäre Gentrifizierung in New Orleans

Die radikale Vertreibung der städtischen Unterschicht

im Nachgang des Hurrikans Katrina

Heidrun Book

Quitzowstrasse 108A, 10551 Berlin

[email protected]

Matrikelnummer: 46545

B.A. Kulturwissenschaften

Gliederung

1 Einleitung.................................................................................................................

2 Begriffseinführung Gentrifizierung............................................................................

2.1 Theoretische Ansätze....................................................................................

2.1.1 Stage Model of Gentrification (Clay)...................................................

2.1.2 Ökonomische Auslöser.......................................................................

2.1.3 Soziokulturelle Auslöser......................................................................

2.2 Kontemporäre Gentrifizierung........................................................................

2.3 Gentrifizierungs-Wellen.................................................................................

3 New Orleans – Siedlungsstruktur und Gentrifizierung vor Katrina...........................

3.1 Siedlungsstruktur und Segregation................................................................

3.2 Gentrifizierung vor Katrina.............................................................................

3.2.1 Gentrifizierung durch HOPE IV...........................................................

3.2.2 French Quarter....................................................................................

4 Gentrifizierung im Rahmen der Wiederaufbauprogramme nach Katrina.................

4.1 Bevorzugung der Eigentümer-Schicht...........................................................

4.2 Diskriminierung und Vertreibung der Mieterschaft.........................................

4.3 Aufwertung der Stadt.....................................................................................

4.4 Gentrifizierung in Zahlen................................................................................

5 Fazit.........................................................................................................................

Literaturverzeichnis

Anhang

1

3

4

4

5

6

7

8

9

9

10

11

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13

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15

17

18

18

1. Einleitung

Als der Hurrikan Katrina Ende August 2005 über die Golfküste der USA zog und dabei

eine Schneise der Verwüstung hinterließ, rechnete kaum jemand mit den

weitreichenden Konsequenzen, die dieser Sturm nach dem Wiederaufbau mit sich

bringen würde. Besonders betroffen von Katrina war damals das Gebiet um New

Orleans, einer Stadt, die seit jeher berühmt ist für eine besonders heterogene

Bevölkerung, Jazz, das pittoreske French Quarter und die für die Südstaaten typische

laid-back-Mentalität ihrer Bewohner. Gleichzeitig ist und war New Orleans aber auch

eine tief gespaltene, problemgeschüttelte Stadt; geprägt durch eine verarmte

Bevölkerung, bekannt für Rassismus und eine extreme soziale Segregation, die meist

auf ethnischen Differenzen basiert und sich in demografischer und topografischer

Aufteilung der Stadt widerspiegelt.

Nachdem Katrina die Hälfte der Stadt in Trümmern ließ, hatte New Orleans als

urbaner Raum eine Chance, die keinem Ort unter natürlichen Umständen zuteil wird:

Labor zu sein für modernen, integrativen Städtebau; die Chance, durch Stadtplanung

und die für den Wiederaufbau bereitgestellten Milliardensummen, soziale

Ungleichheit, Armut und Segregation zu bekämpfen und Paradebeispiel für eine Stadt

zu werden, in der ethnische, kulturelle und soziale Diversität funktioniert und durch

urbane Strukturen unterstützt wird.

Immer mehr Wissenschaftler und Journalisten jedoch prangern an, dass im Zuge des

Wiederaufbaus New Orleans' statt integrativer Stadtpolitik der Neoliberalismus

Überhand gewann und im Nachgang der Katastrophe der paralysierte Zustand der

Bevölkerung ausgenutzt wurde, um den Weg zu ebnen für eine sozialstrukturelle

Aufwertung der Stadt, welche eine massive Vertreibung ihrer ärmsten Bewohner

bewusst implizierte. Es wird der Vorwurf laut, dass der Katrina instrumentalisiert

wurde, um Veränderungen in der Stadt vorzunehmen, welche schon lang von Politik

und Investoren gewollt waren. So konstatieren Loretta Lees, Tom Slater und Elvin

Wyly in ihrem Werk Gentrification, dass New Orleans Schauplatz einer besonders

aggressiven Welle von Gentrifizierung geworden sei und auch Naomi Klein führt in

ihrer Abhandlung Schock-Strategie New Orleans als Beispiel für eine extrem radikale

Einführung kapitalistischer Strategien im Nachgang einer Katastrophe an.

In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob Katrina als Katalysator gewollter

sozialer Neugestaltung der Stadt New Orleans zu bewerten ist und ob die

1

Naturkatastrophe von Akteuren aus Politik und Wirtschaft genutzt wurde, um in ihrem

Schatten eine sozialstrukturelle Veränderung der Stadt, Gentrifizierung und in diesem

Zuge die Vertreibung vor allem der armen Bewohner bewusst zu implementieren.

Um eine theoretische Grundlage für die Analyse der durchgeführten Wohnpolitik im

Nachgang des Hurrikans zu schaffen und diese auf Merkmale von Gentrifizierung zu

untersuchen, soll zunächst ein Überblick über den Terminus Gentrifizierung sowie

deren klassische Merkmale gegeben werden. Ich beziehe mich dabei auf die im

wissenschaftlichen Diskurs meist verwendeten Theorien, dabei unter anderem das

Stage Model of Gentrification von Phillip Clay, welches als erstes Modell die

verschiedenen Stufen eines Gentrifizierungsprozesses charakterisierte; die rent gap

theory von Neil Smith, um ökonomische Auslöser von Gentrifizierung auszuzeigen,

sowie ein späteres Stage Model of Gentrification, ausgearbeitet von Jason Hackworth

und Neil Smith. Diese gliedern Gentrifizierung in vier Wellen, wobei die vierte Welle

stark geprägt ist durch die staatliche Implementierung neoliberalistischer Praktiken in

den Immobilienmarkt und somit ein geeignetes theoretisches Analyseinstrument

hinsichtlich der aufgestellten Hypothese dieser Arbeit darstellt. Im weiteren Verlauf soll

der Fall New Orleans eingeführt werden, wobei zunächst ein Überblick über die

sozialen, ethnischen und demografischen Charakteristika der Stadt gegeben werden

sowie ferner analysiert werden soll, inwiefern Gentrifizierung bereits vor der

Naturkatastrophe vorangeschritten war.

Auf Basis der im ersten Teil erläuterten theoretischen Modelle sowie einem Einblick in

die Sozialdemografie der Stadt soll im Hauptteil der Arbeit deren Wiederaufbau nach

Katrina analysiert und dabei besonderes Augenmerk auf eventuelle Gentrifizierungs-

Mechanismen gelegt werden. Als Analysegrundlage dienen hier die offiziellen

Wiederaufbau-Programme, welche der Stadt vom Staat auferlegt wurden, sowie

verschiedene Studien über deren Verwirklichung und Konsequenzen.

Es wird erwartet, dass im Post-Katrina New Orleans eine höchst radikale Form von

Gentrifizierung stattfand, der Schockzustand der Bewohner nach der Katastrophe

ausgenutzt wurde, um neoliberalistische Strukturen in den Immobilienmarkt

einzuführen, die unter anderen Umständen immense Proteste innerhalb der

Bevölkerung ausgelöst hätten, und die Unterschicht der Stadt unter dem Deckmantel

des Wiederaufbaus aus den innerstädtischen Lagen vertrieben wurde.

2

2. Begriffseinführung Gentrifizierung

Der Terminus Gentrifizierung wurde 1959 durch die britische Soziologin Ruth Glass

eingeführt, die ihn verwendete, um einen Prozess zu beschreiben, welchen sie in der

Stadtentwicklung Londons beobachtete: Die innerstädtischen Arbeiterviertel, bisher

verpönt und stigmatisiert, fanden plötzlich wieder Zuspruch innerhalb der Mittelschicht,

deren Wohn- und Lebensmittelpunkt sich aufgrund der seit den zwanziger Jahren

massiv voranschreitenden Suburbanisierung in den Vororten der Stadt abgespielt

hatte. Die zentralen Viertel Londons sowie die anderer Großstädte wie New York und

Chicago hatten bis dato als gefährlich und als nicht standesgemäßer Lebensraum für

alle gegolten, die sich eine andere Wohnlage leisten konnten. Glass allerdings

konstatierte, dass Angehörige der Mittelschicht diese Nachbarschaften als attraktiv

empfänden und danach strebten, dort zu wohnen. Mit der Übersiedlung erster

Mittelschicht-Angehöriger einher ginge nicht nur ein sozialer Wandel innerhalb der

Quartiere, sondern ebenso die Vertreibung ihrer ursprünglichen Bewohner: der

Arbeiterklasse.1 Glass charakterisiert Gentrifizierung als „complex urban process that

included the rehabilitation of old housing stock, tenurial transformation from renting to

owning, property price increases, and the displacement of working-class residents by

the incoming middle classes“2.

In den Sozialwissenschaften wird Gentrifizierung als ein Prozess beschrieben, im

Zuge dessen einkommensstarke Haushalte Einzug in attraktive Zonen urbaner

Räume halten. Damit einher gehen nicht nur Erneuerungsmaßnahmen und/oder

Eigentümerwechsel der betreffenden Immobilien sondern auch eine oft radikale

Vertreibung ihrer eigentlichen Bewohner und Mieter, welche sich aufgrund eines

schwächeren Einkommens den ehemals billigen Wohnraum nicht mehr leisten

können. Gentrifizierungsprozesse laufen dementsprechend selten konfliktfrei ab:

Eingesessene Bewohner von Nachbarschaften, welche gentrifiziert werden, wehren

sich gegen den Anstieg der Mieten, die Vertreibung der Bewohnerschaft sowie gegen

Veränderungen des sozialen Milieus ihres Heimatquartiers.3 Die Kluft zwischen

langjährigen Anwohnern und Zugezogenen verdeutlicht sich dabei ebenso in der Optik

der Straßenzüge und ihrer Häuser.

1 Vgl. Lees, Loretta/Slater, Tom/Wyly, Elvin K.: Gentrification, New York, 2008, S. 5ff.2 Ebd. S.5.3 Vgl. Breckner, Ingrid: Gentrifizierung im 21. Jahrhundert. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 17/2010, S. 27ff.

3

In den siebziger Jahren kommen erste Protestbewegungen, welche sich gegen

Modernisierung und Verdrängung wehren, auf. Die Proteste finden hauptsächlich in

Form von Hausbesetzungen, Bürgerinitiativen und Wohnkollektiven statt.4

2.1 Theoretische Ansätze

Ebenfalls in den siebziger Jahren hielt das Phänomen Gentrifizierung endgültig

Einzug in den wissenschaftlichen Diskurs. Neil Smith, welcher 1979 die rent gap

theory aufstellte, war dabei ebenso federführend wie Phillip Clay, der im selben Jahr

das Stage Model of Gentrification veröffentlichte.5 Insgesamt beschäftigen sich seither

zahlreiche Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen mit dem Phänomen, dessen

Grundlagen und Auslöser in erster Linie in ökonomischen Faktoren, jedoch ebenso in

der Soziologie und Stadtentwicklung zu suchen sind. Die wichtigsten Theorien, welche

noch heute die Basis des wissenschaftlichen Diskurses um Gentrifizierung

ausmachen, sollen im Folgenden erläutert werden.

2.1.1 Stage Model of Gentrification (Clay)

In seinem Stage Model of Gentrification, welches Clay aus der Motivation heraus

entwarf, das Phänomen Gentrifizierung konzeptualisieren zu wollen, gliedert er diese

in vier Phasen, um sich einen Überblick über den ihr zugrundeliegenden Prozess zu

verschaffen, diesen zu verstehen und eine Analysegrundlage zu schaffen.6 Das

Strukturmodell ist darauf ausgelegt, Gentrifizierung in einer geordneten und

fortlaufenden Abfolge darzustellen.

In Phase 1, die Clay pioneer gentrification nennt, zögen die ersten (risikofreudigen)

Pioniere in Stadtteile, welche vormals als stigmatisiert galten. Dabei nähmen sie

allerdings typischerweise leerstehende Häuser für sich ein und lösten somit nur eine

sehr geringe bis gar keine Verdrängung der eigentlichen Bewohner aus. Die Pioniere

seien größtenteils Künstler („design professionals or artists“), welche die Zeit und die

Fertigkeiten hätten, Renovierungen vorzunehmen.

Phase 2 charakterisiert Clay als einen sich intensivierenden Prozess gleich der Phase

1, wobei sich jedoch die Neuigkeit über das Viertel zunehmend in der Stadt verbreite,

was zur Folge habe, dass Immobilien-Agenten und Spekulanten auf betroffenes

Quartier aufmerksam würden und Eigentümer begännen, ihre Häuser zu sanieren um

4 Vgl. Breckner: Gentrifizierung im 21. Jahrhundert, S. 28.5 Vgl. Lees/Slater/Wyly: Gentrification, S. 9 und S. 32f.6 Soweit nicht anders gekennzeichnet entnehme ich alles in Kapitel 2.1.1 Geschriebene aus: Lees/Slater/Wyly:

Gentrification, S. 30ff.

4

diese zu verkaufen oder zu einem höheren Preis zu vermieten.

Phase 3 beschreibt Clay als jene, in der eine Nachbarschaft die Aufmerksamkeit der

Medien auf sich zöge, Immobilienpreise stiegen und sich die Verdrängung

intensiviere. Die Erneuerung des Viertels begänne und werde sichtbar. Die neuen

Bewohner, hauptsächlich der Mittelschicht zuzuordnen, stellten Forderungen nach

öffentlichen Geldern und Ressourcen.

In Phase 4, von Clay maturing gentrification genannt, sei zu beobachten, dass die

Bewohnerschaft des Viertels mittlerweile sogar der gehobenen Mittelklasse, also einer

Geschäfts- und Manager-Ebene angehöre und der Anteil der Gentrifizierungs-

Pioniere, die der akademischen Mittelschicht zuzuordnen ist, sinke. Der Typus der

Zuziehenden ändere sich ein weiteres Mal und klettere eine Stufe höher auf der Skala

des Einkommens und des Ansehens in der Gesellschaft. Als weiteres Merkmal sieht

Clay, dass kleine, spezialisierte Einzelhandelsgeschäfte und Dienstleistungen Einzug

hielten und sich dementsprechend auch die kommerzielle Landschaft des Quartiers

verändere.

Kritik am Stage Model of Gentrification übte unter anderem die kanadische Urbanistin

Damaris Rose, die Clay's Modell als zu konzeptionell erachtet und Gentrifizierung als

Einzelphänomen, als chaotisches Konzept betrachtet. Sie konstatiert, dass jedes

gentrifizierte Viertel als Einzelfall zu sehen und zu analysieren sei.

2.1.2 Ökonomische Auslöser

Die wohl wichtigste Theorie hinsichtlich ökonomischer Mechanismen, die hinter

Gentrifizierung stecken, ist die von Neil Smith aufgestellte rent gap theory.7 Die rent

gap stellt dabei die Disparität zwischen dem Mieteinkommen des Eigentümers auf der

einen Seite und dem potenziellen Gewinn, welchen er durch die Vermietung seiner

Immobilie erzielen könnte, auf der anderen Seite dar. Besagte Lücke (gap) entsteht

laut Smith in der Anfangsphase eines Gentrifizierungsprozesses, also zu einer Zeit, in

der die Wohnungen und Häuser in betroffener Nachbarschaft noch zu sehr günstigen

Preisen vermietet werden, allerdings bereits eine Aufwertung des Viertels zu

verzeichnen ist und in diesem Zuge der spekulative Wert einer Wohnfläche immer

weiter von deren Realwert, also dem aktuellen Mietpreis, abdriftet. Um diese Lücke zu

schließen und einen Gewinn zu erzielen, verkauften viele Eigentümer ihre Immobilien

7 Soweit nicht anders gekennzeichnet entnehme ich alles in Kapitel 2.1.2 Geschriebene aus: Lees/Slater/Wyly: Gentrification, S. 46ff.

5

oder sanierten diese, um sie zu einem weitaus höheren Preis neu zu vermieten.

Dadurch kurbelten sie nicht nur den Prozess der Gentrifizierung an, sondern lösten

zudem die charakteristische Vertreibung ehemaliger Bewohner aus, welche sich den

Wohnraum nicht mehr leisten können.

Smith zieht mit seiner Theorie als einer der ersten eine Verbindung zwischen

neoliberalistischen Mechanismen und Wohnumständen in den Zentren betroffener

Städte. Kapitalismus kreiere stetig neue Märkte sowie einen nicht-stillbaren

Konsumdurst und somit Faktoren, welche auch urbane Entwicklung zu einem

Wettbewerbsmarkt (competetive market) machten. Smith ordnet Gentrifizierung

eindeutig als Produkt des Grundstücks- und Immobilienmarktes ein.

2.1.3 Soziokulturelle Auslöser

The crucial point (…) is that 'gentrifiers' are not the mere bearers of a process

determined independently of them. Their constitution, as certain types of workers and

as people, is as crucial an element in the production of gentrification as is the

production of the dwellings they occupy.

Damaris Rose, Université INRS (Montréal), 19848

Eine wichtige Rolle in der Analyse von Gentrifizierungsprozessen spielen neben

ökonomischen Auslösern auch gesellschaftliche Faktoren, die dem Phänomen

zugrunde liegen.9 Bezogen auf die ersten Gentrifizierungswellen in

nordamerikanischen und kanadischen Städten stellten dabei sowohl der Geograf

David Bell als auch Stadtforscher David Ley fest, dass die Gentrifizierer hauptsächlich

einer neuen soziale Klasse zuzuordnen wären, der post-industrial society. Diese habe

ihren Ursprung im Wandel der Wirtschaft von einer Industrie- hin zu einer

Dienstleistungsökonomie, welcher einen enormen Rückgang der Arbeiterschicht zur

Folge habe und eine neue, akademische Mittelschicht kreiere. Deren Konsum- und

Ästhetikverhalten wiederum führe laut Ley dazu, dass das Leben in Innenstädten als

attraktiver wahrgenommen würde als in den bisher von der Mittelschicht bevorzugten

Vororten. Auch die Bedeutung künstlerischer Avantgarden, die Einfluss auf

Konsumkultur und Trends nehmen, stieg laut Bell stetig an.

Lees/Slater/Wyly stellen verschiedene Erklärungsansätze auf, welche versuchen zu

8 Rose, Damaris: Rethinking gentrification: Beyond the uneven development of marxist urban theory. In: Environment and Planning D: Society and Space 2(1), 1984, S. 56.

9 Soweit nicht anders gekennzeichnet entnehme ich alles in Kapitel 2.1.3 Geschriebene aus: Lees/Slater/Wyly: Gentrification, S. 90ff.

6

ergründen, was jene neue Mittelschicht dazu verleitete, innerstädtische Räume

zurückzuerobern. Sie führen dabei zunächst den Wunsch nach Abgrenzung von der

mittlerweile als langweilig und spießig angesehenen Vorort-Mittelschicht an, welcher in

den Innenstädten als Räumen der Freiheit, Kunst und Entfaltung realisiert werden

konnte. Die Stadtzentren böten dabei Raum für ein alternatives Leben, seien Orte der

Gegenkultur, der Toleranz und der Vielfalt.

2.2 Kontemporäre Gentrifizierung

In den vergangenen Jahrzehnten zog Gentrifizierung weltweit immer weitere Kreise

und ist heute kaum vergleichbar mit ihrer ursprünglichsten Form, die durch ihre

Pioniere geprägt war. Sie hielt Einzug in immer kleinere Städte, nahm in bereits

gentrifizierten Orten neue Formen an und wurde gleichzeitig zu einem Phänomen, das

nicht mehr nur im globalen Norden, sondern ebenso in den Metropolen des globalen

Südens anzusiedeln ist. Um mit ihrer rapiden Entwicklung mitzuhalten, werden auch

die wissenschaftlichen Theorien und Modelle stetig angepasst, erweitert und

verbessert.10 Der Diskurs erweiterte sich um Abstufungen wie super gentrification, im

Zuge derer die Oberschicht die Mittelschicht als Bewohnerschaft in bereits

gentrifizierten Vierteln ablöst und Immobilienpreise einen neuen Zenit erreichen, der

new-build-gentrification, welche sich auf Orte bezieht, in denen für Gentrifizierung

typische, soziokulturelle Veränderungen stattfinden, als Wohnorte allerdings

Neubauten erschaffen werden anstatt der typischen Sanierung von Altbauten, sowie

rural gentrification, die die Ausdehnung von Gentrifizierung in immer provinziellere

Städte beschreibt.

Gentrifizierung wandelte sich vom Phänomen zu einem strukturellen urbanen

Prozess, wurde zum festen Bestandteil globaler Immobilienpolitik und gleichzeitig zum

Wirtschaftsmodell. Lees/Slater/Wyly stellen fest, dass sich auch die Rollen von Staat

und Wirtschaft sowie die Auslöser und Initiatoren des Prozesses verändert haben.

Neoliberalistische Strukturen hätten Einzug gehalten in die Immobilienpolitik, wobei

der Staat hierbei nicht mehr als Regulator, sondern als Agent agiere und auch Akteure

wie die Weltbank und die Dienstleistungsökonomie ihre Finger im Spiel hätten.

Neoliberalismus sei dabei Bindeglied zwischen Staat und Ökonomie; Gentrifizierung

gelte als „positive result of a healthy real estate market“11.12

10 Soweit nicht anders verzeichnet entnehme ich alles in Kapitel 2.2 Geschriebene aus: Lees/Slater/Wyly: Gentrification, S. 129ff.

11 Lees/Slater/Wyly: Gentrification, S. 165.12 Vgl. Ebd. S. 162ff.

7

2.3 Gentrifizierungs-Wellen

Die Stadtforscher Hackworth/Smith gliedern den bisherigen Verlauf von

Gentrifizierung in ihrem Stage Model of Gentrification. Die im Modell angeführten

Zeitspannen gelten dabei hauptsächlich für Städte des globalen Nordens, während die

Charakteristika der Wellen auf jegliche Gentrifizierungsprozesse anwendbar sind.

Hackworth/Smith staffeln Gentrifizierung in vier verschiedene Wellen, wobei die erste

Welle in den Jahren 1950-1973 angesiedelt ist und als sporadische Gentrifizierung

bezeichnet wird. Eine zweite Welle, die Verankerung von Gentrifizierung, sehen sie in

den Jahren 1978-1988, als Gentrifizierung ihren Beobachtungen nach Einzug in

kleinere, nicht-globale Städte hielt und sich gleichzeitig politische und soziale

Streitigkeiten bezüglich der Vertreibung von Bewohnern betroffener Viertel

entwickelten. Der Staat agiere hier noch als passiver Unterstützer. In den Jahren

1993-1999 lokalisieren Hackworth/Smith die dritte Welle, die Wiederkehr der

Gentrifizierung. Typischerweise fände in dieser Zeit eine Intensivierung des Prozesses

in innerstädtischen Bereichen statt sowie eine Ausweitung auf kleinere Städte und

Randgebiete. Auch die Förderung des privaten Sektors durch den Staat kennzeichne

die dritte Welle. Dieser würde dementsprechend zum aktiven Unterstützer.

Die vierte Welle schließlich, welche laut den Autoren bisher fast ausschließlich in den

USA zu beobachten ist, intensiviere noch einmal die tragende Rolle des

neoliberalistisch agierenden Staates. Angewendet auf die Immobilienkrise 2001

bedeute dies, dass der Staat extreme Förderung wohlhabender Haushalte

implementierte, indem er (potenzielle) Eigentümer durch Steuererleichterungen

bevorzugte sowie günstige Kredite möglich machet, während am anderen Ende

Sozialprogramme drastisch gekürzt wurden.

Die Einmischung der Politik, die dem Immobilienmarkt und somit urbaner Entwicklung

einmal mehr neoliberalistische Strukturen auferlege, führe zu einer vierten

Gentrifizierungs-Welle, die gekennzeichnet sei durch „itensified financialization of

housing combined with the consolidation of pro-gentrification politics and polarized

urban policies“13.

Lees,/Slater/Wyly sehen eine besonders radikale Ausprägung der vierten Welle im

Post-Katrina New Orleans.14 Dies soll im Folgenden genauer analysiert werden.

13 Ebd. S.179.14 Vgl. Ebd. S. 185.

8

3. New Orleans – Siedlungsstruktur und Gentrifizierung vor Katrina

Seit ihrer Begründung durch französische Kolonialisten im Jahr 1718 ist New Orleans

eine Stadt, deren Bevölkerung ein extrem hohes Maß an Multikulturalität und

Heterogenität aufweist. Ebenso typisch ist allerdings auch die Segregation, in der

diese soziale Diversität gelebt wird. Die Stadt, die auf eine lange Historie von

Sklaverei und Unterdrückung zurückblickt, ist dabei stark geprägt von der

omnipräsenten Rassenfrage, welche sich durch alle Lebensbereiche zieht und sich

letztlich auch in der Wohnpolitik und Siedlungsstruktur der Stadt niederschlägt.

Der Urbanist Mike Davis geht in der Beurteilung der gesellschaftlichen Strukturen der

Stadt sogar so weit, zu konstatieren, dass in New Orleans eine ethnische Trennung

vorliege, deren Intensität weltweit kaum zu übertreffen sei und deren Grenzen

beispiellos wären. Davis sieht New Orleans als Elite-Stadt, in der die weiße

Bevölkerung den Anteil der Afroamerikaner reduzieren wolle.15 Hurrikan Katrina kam

dabei scheinbar nur gelegen, um diesen Prozess zu intensivieren.

3.1 Siedlungsstruktur und Segregation

„Es war seit jeher klar, dass die tiefer liegenden Gebiete der Stadt gefährlich,

unbequem und voller Moskitos waren. Das hat sie sozusagen als Wohngebiete der

Schwarzen und der Armen prädestiniert – und somit wurden die

Bevölkerungsgruppen diesem Risiko ausgesetzt.“

John Logan, Brown University, April 200716

Die Trennung der Schichten, welche sich zum einen widerspiegelt in den Wohn- und

Besitzverhältnissen, zeigt sich in ebenso hohem Maße in der räumlichen Segregation,

welche in New Orleans herrscht. Welcher Stadtteil attraktiver zum Wohnen und somit

teurer ist, hängt dabei von dessen topografischer Lage ab. In New Orleans als Stadt,

welche über die Jahrhunderte immer wieder heimgesucht wurde von extremen

Naturkatastrophen, steigt der Attraktivitätsgrad eines Quartiers mit dessen Höhe – je

weiter über dem Meeresspiegel gelegen das Viertel ist, desto sicherer ist es im Falle

einer Überflutung.17

Vergleicht man topografische Karten der Stadt mit einer vom Stadtgeografen Richard

Campanella erstellten Karte, die den Anteil afroamerikanischer Bevölkerung in den

15 Vgl. Jakob, Christian/Schorb, Friedrich: Soziale Säuberung. Wie New Orleans nach der Flucht seine Unterschicht vertrieb, Münster, 2008, S.15 und S. 127.

16 In persönlichem Interview mit Jakob/Schorb. In: Jakob/Schorb: Soziale Säuberung, S. 42.17 Vgl. Ebd. S. 133.

9

verschiedenen Vierteln New Orleans' aufzeigt, wird deutlich, dass tiefer gelegene

Viertel wie der Lower 9th Ward, Gentilly oder New Orleans East einen extrem hohen

Anteil an Afroamerikanern aufweisen (75-100%), wohingegen in den höher und somit

besser gelegenen Quartieren der Uptown, wie z. B. Jefferson (mit Ausnahme des

French Quarter) der Anteil deutlich unter 50% liegt.18 Die Unterschicht der Stadt ist

somit nicht nur sozial, sondern auch geografisch und topografisch marginalisiert. So

haben die „Bewohner mit der höchsten ökonomischen Verletzbarkeit (…) auch das

höchste Risiko getragen, dass Sturm und Flut ihr Haus zerstören“19.

Abgesehen von geografischer Lage spielt auch die Art des Wohnens eine Rolle. Klar

benachteiligt ist hier der Mieter gegenüber dem Hauseigentümer, wobei in New

Orleans ein für die USA überproportional hoher Anteil an Mietern vorliegt.20 Die wohl

extremste Form der Segregation – größtenteils afroamerikanischer Bevölkerung –

sind dabei die städtischen Sozialquartiere, die den Inbegriff sozialer Marginalisierung

darstellen. Die so genannten Public Housing Projects, welche in den Großstädten der

USA auf eine umstrittene Geschichte zurückblicken, waren vor Katrina Heimat von

mehr als 20.000 Einkommensschwachen, wobei der Großteil der Bewohner

afroamerikanisch war.21 Public Housing in New Orleans ist somit gleichbedeutend mit

ethnischer und sozialer Ghettoisierung.

3.2 Gentrifizierung vor Katrina

Gentrifizierung machte auch vor den Toren von New Orleans nicht Halt. Schon seit

Jahren waren vor allem im berühmten French Quarter, aber auch an anderen Stellen

der Stadt, eindeutige Gentrifizierungsprozesse zu beobachten, von denen Kevin

Gotham, Professor der Tulane University New Orleans, einige sogar in die Kategorie

der super-gentrification einstuft.22 Dabei spielten in New Orleans nicht nur die vorab

erläuterten klassischen ökonomischen und soziokulturellen Auslöser eine Rolle,

sondern auch der Kampf gegen die extreme Ghettoisierung der Public Housing

Projects und das in diesem Zuge implementierte Programm HOPE IV.

18 Vgl. Bild 1 und Bild 2.19 Jakob/Schorb: Soziale Säuberung, S. 42.20 Vgl.: Herring, Christoph: The Housing Question of Disaster Reconstruction: Rebuilding New Orleans on the

Tenants of an Ownership Society. Inn: Murphy, Edward and Hourani, Najib B. (Ed.): The Housing Question. Tensions, Continuities and Contingencies in the Modern City, Burlington, 2013, S. 104.

21 Vgl. Jakob/Schorb: Soziale Säuberung, S. 30.22 Gotham, Kevin Fox: Tourism Gentrification: The case of New Orleans' vieux carre (French Quarter). In: Urban

Studies 42.7, 2005, S.1108.

10

3.2.1 Gentrifizierung durch HOPE IV

Um das landesweite Problem der Stigmatisierung, der Ghettoisierung sowie der

hohen Kriminalitätsrate in Public Housing Projects in den Griff zu bekommen,

entwickelte das HUD23 das Programm HOPE IV, welches 1992 durch den Kongress

abgesegnet wurde. Eindeutig formuliertes Ziel war es, die staatlichen

Sozialwohnungsanlagen zu revitalisieren und in so genannte Mixed-Income-

Siedlungen umzuwandeln. Die Unterschicht sollte hierbei mit Besserverdienenden

durchmischt werden und in den von Gewalt, Arbeitslosigkeit und Kriminalität

geprägten Public Housing Gebieten sollte eine ethnische, kulturelle und soziale

Diversität geschaffen werden, von der Stadtklima und Bewohner profitieren sollten.

Die Philosophie des Programms basiert auf der Strömung des New Urbanism und

sieht in diesem Sinne dicht besiedelte Siedlungen vor, die durch Einfamilien- oder

Reihenhäuser anstelle riesiger Wohnblocks geprägt sind. Die Bewohner der Public

Housing Projects sollen dabei für die Zeit des Abrisses/Umbaus ihrer Wohnblocks in

Übergangswohnungen des privaten Wohnungssektors am Stadtrand umgesiedelt

werden, bis ihr Wohnraum als Mixed-Income-Siedlung wieder aufgebaut ist.24

In der praktischen Durchführung von HOPE IV jedoch traten von Beginn an zahlreiche

Probleme auf, welche den erhofften Erfolg stark eingrenzten und im Endeffekt zu einer

Verschlimmerung der Knappheit an sozialem Wohnraum sowie zu einer

Marginalisierung der Unterschicht in urbane Peripherien führten. So verzögerte sich

der Aufbau der neuen Siedlungen oft so lang, dass die eigentlich nur temporär

umgesiedelten Bewohner der Public Housing Siedlungen nicht zurückkehren konnten

und die Übergangssituation am Stadtrand zum permanenten Zustand wurde. Des

weiteren ging aufgrund des Konzepts, Wohnblocks durch Reihenhäuser zu ersetzen

und die Bewohnerschaft zu durchmischen, jedoch dabei nicht die Fläche der

Siedlungen zu erweitern, viel bezahlbarer Wohnraum verloren. Der Anteil an

Mietwohnungen, der für die Mittel- und Oberschicht vorgesehen war, war aufgrund

ihrer häufig extrem attraktiven, zentralen Lage sehr begehrt, wobei die Zugezogenen

oft kein Interesse am Prinzip des Mixed-Income-Wohnens zeigten, sondern vielmehr

lange Wege in die Innenstadt vermeiden wollte.25

Und auch „the federal government’s more decentralised and privatised lowincome

housing policy has altered key facets of the gentrification process itself, opening new

23 United States Department of Housing Development24 Vgl. Popkin, Susan J et al.: A Decade of Hope IV: Research Findings and Policy Challenges, Urban Institute,

Washington DC, 2004, S. 13ff.25 Vgl. Tracy, James: Hope IV Mixed-Income Housing Projects Displace Poor People.

11

markets for low-income and minority borrowers and neighbourhoods, and increasing

access to conventional mortgage capital through automation and standardisation“26.

Von vielen Kritikern wird das Programm dementsprechend mittlerweile als

neoliberalistisches Instrument angesehen, die Unterschicht in die Peripherien zu

vertreiben, um wertvollen Wohnraum in zentraler Lage zu erlangen. HOPE IV ist in

den Augen vieler zum Wegbereiter von Gentrifizierung geworden.27

3.2.2 French Quarter

Im wohl berühmtesten Viertel New Orleans', dem French Quarter, schreitet die

Gentrifizierung bereits seit Jahren rapide voran.28 Das traditionell von ethnisch und

kulturell sehr heterogener Bewohnerschaft geprägte Quartier gewann im Laufe der

letzten Dekaden stetig an Homogenität, der Anteil weißer Bevölkerung stieg von 79%

im Jahre 1940 auf 91,9% im Jahre 2000. Als weiteres Indiz für Gentrifizierung war im

French Quarter neben einem demografischen und sozialen Wandel auch eine

drastische Kommerzialisierung zu verzeichnen. So stieg die Anzahl an Souvenir-

Shops und Bekleidungsgeschäften zwischen den Jahren 1950 und 1999 von 26 auf

110, die der Musik-Clubs von 7 auf 27 und die der Galerien von 10 auf 40, während

die Zahl der Lebensmittelgeschäfte und Reinigungen stark gesunken ist.

Laut Gotham wurden im French Quarter seit den siebziger Jahren Strukturen

geschaffen, die dessen Gentrifizierung förderten und vorantrieben. Er hebt dabei drei

Entwicklungen hervor: die Privatisierung der vormals öffentlichen Institution French

Market, welche nun für Entertainment und Tourismus sorgen soll, den Bau des Canal

Place, dessen Planung und Bau Ende der siebziger Jahre „trends towards

privatisation and the restructuring of the public sector to promote economic

competitiveness, attract investment capital and create a favourable ‘business climate’“

untermauerte, sowie die 1992 vorgenommene Deklarierung eines Teiles der

berühmten Decatur Street zum Unterhaltungsbezirk mit dem Ziel, die kommerzielle

Nutzung bisher leerstehender Gebäude anzutreiben und einen „anchor of commercial

revitalisation that could have spillover effects into surrounding areas“ zu schaffen. Als

Folgen beschreibt Gotham Investitionswellen im gesamten Viertel, den Bau von

Luxushotels sowie die Renovierung vieler Cafés, Bars und Clubs in der Bourbon

26 Gotham: Tourism Gentrification, S. 1101.27 Vgl. Ebd., S. 1101.28 Soweit nicht anders gekennzeichnet entnehme ich alles in Kapitel 3.2.2 Geschriebene aus: Gotham: Tourism

Gentrification, S. 1103ff.

12

Street. Auch die Mieten in der prestigeträchtigen Bourbon Street seien seit Mitte der

neunziger Jahre um mindestens 50% gestiegen.

In seiner Analyse beobachtet Gotham zwei signifikante Tendenzen: Zum einen befinde

sich das French Quarter bereits im Prozess der super-gentrification, im Zuge derer

noch wohlhabendere Bewohner in das sowieso schon gentrifizierte Quartier zögen.

Zum anderen strebten die Immobilienfirmen jedoch nicht mehr nur nach dem Klientel

der Oberschicht, sondern richteten sich immer mehr am Tourismus aus, was er als

tourism gentrification bezeichnet. Gotham trennt letztere dabei deutlich von

klassischer Gentrifizierung, da der Fokus in diesem Falle weg von einem

Strukturwandel von Wohnflächen und hin zu purer Kommerzialisierung rücke, wobei

tourism gentrification gleichzeitig die konzeptionelle Verbindung herstelle zwischen

den klassischen Erklärungsansätzen ökonomischen und soziokulturellen Auslösern.

4. Gentrifizierung im Rahmen der Wiederaufbauprogramme nach Katrina

„Katrina was a natural disaster that interrupted a social disaster“

David Brooks, The New York Times, 8. September 200529

Der Hurrikan Katrina, der Ende August 2005 als eine der verheerendsten

Naturkatastrophen in die Geschichte der USA einging, richtete vor allem im Großraum

New Orleans gewaltige Schäden an. Nach zwei Deichbrüchen standen

zwischenzeitlich 80% der Stadt bis zu 7,60m tief unter Wasser. Millionen von

Menschen waren gezwungen, die Stadt zu verlassen, Hunderte starben. Nach der

Überflutung waren die Hälfte der Häuser entweder komplett zerstört oder beschädigt.

Die Mehrheit (60%) der durch Katrina zerstörten Häuser waren dabei Mietshäuser,

was die Bürger der Unterschicht New Orleans' zu den meist betroffenen Opfern der

Katastrophe machte. Grund dafür ist vor allem die in Kapitel 3 erläuterte Korrelation

der topografischen Wohnlage mit dem sozialen Status ihrer Bewohner.30 Doch auch im

Zuge der Wiederaufbauprogramme wurden Eigentümer gegenüber Mietern extrem

bevorzugt. Public Housing Siedlungen, die nur marginale Schäden erlitten hatten,

wurden geschlossen und unter dem Deckmantel des Wiederaufbaus eine radikale

Gentrifizierungswelle ausgelöst, deren Ausmaße erst im Nachgang deutlich werden.

29 Brooks, David: Katrina's Silver Lining, 2008.30 Vgl.: Herring: The Housing Question of Disaster Reconstruction, S. 107.

13

Bereits zwei Wochen nach Katrina, als die ersten Hilfsprogramme anliefen und sich

die Heritage Foundation, ein politisches Forschungsinstitut, dessen Mission nach

eigener Aussage die Förderung von „conservative public policies based on the

principles of free enterprise, limited government, individual freedom“31 ist, zu einer

Konferenz traf, um einen Plan zum Wiederaufbau der Stadt auszuarbeiten, war die

neoliberalistische Ausrichtung der Strategie vorprogrammiert. Ergebnis jener

Konferenz war eine Liste mir 32 pro-marktwirtschaftlichen Vorschlägen zum Umgang

mit der Katastrophe.32 Damit wurde die Grundlage geschaffen für die Vertreibung der

ärmsten Bewohner der Stadt, die Förderung der wohlhabenderen Eigentümer-Schicht

und für die kollaterale Gentrifizierung, welche New Orleans erfasste.

4.1. Bevorzugung der Eigentümer-Schicht

„When the houses are rebuilt, more families should own, not rent, those houses.“George W. Bush, Jackson Square, New Orleans, 200533

Während der Sturm hauptsächlich Mietshäuser zerstörte und New Orleans aufgrund

der extremen Knappheit an Wohnraum einen lawinenartigen Mietanstieg erlebte, der

nach Angaben des GNOCDC34 teilweise 100% betrug, flossen die vom Staat für den

Wiederaufbau bereitgestellten Milliardensummen größtenteils den privaten

Hausbesitzern zu. So gingen beispielsweise im Rahmen des Road Home Programms

lediglich 1,3 Mrd. US-Dollar an Vermieter, während 10 Mrd. in die Taschen privater

Hauseigentümer flossen. Diese erhielten nicht nur exorbitante Summen für den

Wiederaufbau ihres Eigentums, auch wurden private Investoren durch Subventionen

und enorme Steuervergünstigungen motiviert, Häuser zu bauen und aufzukaufen, um

die Privatisierung der Stadt voranzutreiben und diese zu einem „free market city-state

ruled by the principles of small government, low taxes, and a sacred commitment to

property rights“35 zu machen. Die Entwicklung immer extremer werdender

neoliberalistischer Praktiken in Stadtpolitik und -planung wurde in den Augen vieler

Forscher und Bewohner absichtlich vom Staat implementiert. Christoph Herring

konstatiert, dass Kongressmitglieder genannte Summen bewilligten, nicht aber

Programme für Sozialsiedlungen, um sicher zu gehen, dass Hauseigentümer, nicht

31 Heritage Foundation: About Heritage.32 Vgl. Klein, Naomi: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt am Main,

2007, S. 20f.33 Zitiert in: Taylor, Keeanga-Yahmatta: An American Travesty. New Orleans since the storm, 2007.34 Greater New Orleans Community Data Center35 Lees/Slater/Wyly: Gentrification, S. 185.

14

Mieter und Vermieter, aus den Staatskassen profitieren.36

Doch auch im Rahmen der zivilen Hilfe durch Nichtregierungsorganisationen wurden

Eigentümer eindeutig bevorzugt. So haben diese traditionell nicht nur bessere

Kontakte und Ressourcen, auf die sie zurückgreifen können, auch waren sie (im

Gegensatz zu der an den Stadtrand umgesiedelten Unterschicht, siehe 4.1.2) vor Ort,

als Organisationen und Freiwillige eintrafen, die subsequent hauptsächlich eingeteilt

wurden, um Eigentümern Hilfe zu leisten, nicht aber Mietern. Christoph Herring

analysiert, dass die Bewohner wohlhabender Viertel allerdings meist auch sehr viel

engagierter an städtischen Prozessen mitwirken, Wiederaufbau-Initiativen gründen

und generell eher Mitglied von Nachbarschaftsorganisationen werden, die einheitlich

und somit effektiv agieren.37

4.2 Diskriminierung und Vertreibung der Mieterschaft

„We finally cleaned up public housing in New Orleans.We couldn't do it, but God did.“

Richard Baker, Mitglied der Republikanischen Partei, September 200538

Die Vertreibung der Unterschicht und deren permanente Diskriminierung zeichnete

sich bereits wenige Tage nach der Katastrophe ab. Während Hauseigentümer das

Recht hatten, einen Trailer auf ihrem Grundstück aufzustellen und als Ersatzunterkunft

zu nutzen, veranlasste die FEMA39 unter Einfluss der Oberschicht, welche sich gegen

Trailerparks innerhalb des Stadtgebietes ausspricht, dass die Unterbringung der

obdachlos gewordenen Mieter am Stadtrand oder gar in anderen Städten geschehen

sollte. Die oftmals weit außerhalb aufgebauten Ersatzunterkünfte isolierten jedoch die

Mieterschaft von Arbeit und öffentlichem Transport und nahmen ihnen die Chance,

ihren Job auszuführen sowie sich aktiv am Wiederaufbau zu beteiligen, Einfluss zu

nehmen und zu kontrollieren. Im Laufe der Zeit wurde die Übergangslösung für viele

Mieter, deren Häuser nicht wieder aufgebaut wurden oder die die lawinenartig

gestiegenen Mieten nicht zahlen können, zur Dauerlösung.40

„The destruction of the city's public housing stock was seen instantly as an

opportunity“41. Statt die Sozialwohnungen wieder aufzubauen und zu renovieren,

36 Vgl. Herring: The Housing Question of Disaster Reconstruction, S. 10ff.37 Vgl. Ebd., S. 118f.38 Zitiert in: Babington, Charles: Some GOP Legislators Hit Jarring Notes in Adressing Katrina, 2005.39 Federal Emergency Management Agency.40 Vgl. Herring: The Housing Question of Disaster Reconstruction, S. 108f. 41 Ebd., S. 113.

15

wurden diese in großen Teilen abgerissen und unter dem Vorwand, Mixed-Income-

Siedlungen schaffen zu wollen, neu aufgebaut. Dies war jedoch nicht nur weitaus

kostspieliger als eine Sanierung, auch eliminierte es einen Großteil des vorher schon

knapp gewesenen sozialen Wohnraums und zwang die Unterschicht dazu, am

Stadtrand oder in anderen Städten zu bleiben.42

Grund für die Abrisspläne war die attraktive Lage vieler Public Housing Projects. So

befanden sich drei der vier größten Projekte (Big Four) in direkter Nachbarschaft zum

French Quarter. Diese überstanden Katrina beinahe unversehrt. Auch das vierte und

größte Projekt, St. Bernard, dessen Erdgeschosswohnungen am 30. August überflutet

wurden, lag sehr zentral. Obwohl die ersten drei Projekte nur marginale Schäden

aufwiesen und auch St. Bernard für geringe Kosten hätte saniert werden können,

wurden die Siedlungen wenige Tage nach der Flut für ihre Bewohner gesperrt und

deren Rückkehr verhindert. Die HANO43 gingt dabei skrupellos vor: Bewohnern wurde

nicht nur aus fadenscheinigen Gründen der Zugang zu ihren Wohnungen verwehrt,

auch kappte die HANO Wasser und Strom in den Vierteln, um von ihr als illegal

deklassierte Rückkehrer zu vertreiben. Hauseingänge und Fenster wurden mit Holz

vernagelt, die Siedlungen eingezäunt und von Polizei und Militär bewacht.44 Die

ehemalige Bewohnerin eines der Projekte, Sharin Jasper, erzählt, dass „die Wohnung

von HANO-Arbeitern leergeräumt wurde. In meinem Appartement war gar kein

Wasser. Trotzdem sieht es überall ganz schlimm aus – und alles, was irgendeinen

Wert hatte, ist weg.“45

Ihr Vorgehen begründete die HANO damit, dass Zeit gebraucht würde, um neue

Public Housing Strategien zu planen.46 Durch den Abriss der Projekte und Neuaufbau

als Mixed-Income-Siedlungen allerdings ging ein Großteil der Sozialwohnungen

verloren, allein in den Big Four sind es circa 3.300, was knapp 50% der vor Katrina

zur Verfügung stehenden Wohnungen entspricht. Die Rechtmäßigkeit der Strategie

der HANO ist bis heute fragwürdig: So wurde das Gutachten, das die Public Housing

Projekte für unbewohnbar erklärte, augenscheinlich von der HANO selbst in Auftrag

gegeben und bezahlt. Eine unabhängig durchgeführte Untersuchung hingegen kam zu

dem Ergebnis, dass keines der Projekte strukturelle Schäden erlitten hatte – einer

Sanierung und einer schnellen Rückkehr der Bewohner also nichts im Wege

42 Vgl. Jakob/Schorb: Soziale Säuberung, S. 57f und S. 78.43 Housing Authority of New Orleans44 Vgl. Jakob/Schorb: Soziale Säuberung, S. 27f, 62f und S. 70.45 Ebd. S. 66ff.46 Vgl. Herring: The Housing Question of Disaster Reconstruction, S. 113.

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gestanden hätte. Auch den Eilantrag ehemaliger Mieter, den Abriss ihrer

Wohnprojekte zu stoppen, lehnte ein Gericht ab, obwohl dessen Rechtmäßigkeit noch

nicht geprüft worden war. Der Abriss wurde dann im Dezember 2005 durch den City

Council abgesegnet – die Abstimmung allerdings wird als Farce bezeichnet, da schon

Tage vorher mit dem Abriss begonnen worden war.47 Die Exekutiv- und

Judikativorgane der Stadt scheinen der HANO, und somit der sozialen Säuberung der

Stadt, unter dem Deckmantel des Hurrikans aktiv in die Hände gespielt zu haben.

4.3 Aufwertung der Stadt

Die Pläne für den Wiederaufbau der Stadt gingen nicht nur in Richtung purer

Rekonstruktion zerstörter Bereiche, sondern intendierten gleichzeitig eine Aufwertung

der Stadtviertel. Auch hier waren besonders die zentralen Bereiche betroffen, in denen

vormals die Unterschicht lebte. Appartementblocks sollten demnach durch Parks

ersetzt werden und somit erneut wichtige Wohnfläche vernichtet werden. So

reduzierten entsprechende Pläne immens die Chancen der ehemaligen Bewohner, in

ihre Heimat zurückzukehren und sind somit als besonders radikales Merkmal von

Verdrängung der Unterschicht zu bewerten. Auch die städtische Infrastruktur sollte

zuerst in den Vierteln wiederaufgebaut werden, deren Bewohner zuerst

zurückkehren.48 Wie in den vorherigen Kapiteln aufgezeigt, sind dies hauptsächlich

private Eigentümer, welche hier abermals signifikant bevorzugt wurden.

Die dargestellten Prozesse des Wiederaufbaus und der Aufwertung wurden dabei von

Politik und Eigentümern als demokratischer bottom-up Prozess dargestellt. Beide

Prozesse wurden dabei laut Herring stark beeinflusst von Lokalinitiativen wie der

UNOP49, die dominiert sind von privaten Eigentümern, jedoch der Stadtpolitik und

Investoren die Chance gaben, neoliberalistische Prozesse als demokratische bottom-

up Entscheidungen zu maskieren. Diese intensivierten laut Herring abermals die

Macht- und Ressourcenungleichheit zwischen Eigentümern und Mietern. Sie

verschleierten die den Prozessen zugrundeliegenden sozialen Machtbeziehungen der

Bundes- und Landesregierung mit Investoren.50

47 Vgl. Jakob/Schorb: Soziale Säuberung, S.33 und S. 77ff.48 Vgl. Herring: The Housing Question of Disaster Reconstruction, S. 116f.49 Unified New Orleans Plan50 Vgl. Herring: The Housing Question of Disaster Reconstruction, S. 116.

17

4.4 Gentrifizierung in Zahlen

Die Zahlen belegen den radikalen Prozess soziodemografischen Wandels, welchen

New Orleans seit Katrina durchlaufen hat.51 Während die Bevölkerung laut GNOCDC

von 484.676 im Jahr 2000 auf 343.829 im Jahr 2010 gesunken ist, ist der Anteil der

Eigentümer deutlich höher als jener der Mieterschaft. Der Anteil afroamerikanischer

Bevölkerung im New Orleans Parish sank ebenfalls von 67% auf 60%, während die

weiße Bevölkerung von 27% auf 30% anwuchs. Beide Tendenzen lassen sich

eindeutig verknüpfen. Mieten stiegen seit Katrina um durchschnittlich 25% und liegen

somit in der Durchschnittsmiete der USA, wobei das durchschnittliche Einkommen in

New Orleans jedoch circa 30% unter dem Durchschnittseinkommen der USA liegt.

Dabei geben 58% der Mieter der Stadt mehr als ein Drittel ihres Brutto-Einkommens

für Miete aus, was dem Kriterium des unaffordable housing nach Richtlinien des

HUD52 entspricht. Trotz der offensichtlichen Wohnraumknappheit stehen laut

Untersuchungen von Herring immer noch mehr als ein Viertel der Wohneinheiten in

New Orleans aufgrund nicht stattfindender Sanierung leer, die meisten davon

Mieteinheiten. Wohnräume des Public Housing sind dabei besonders betroffen: Hier

gingen 75% der Wohnfläche verloren.

5. Fazit

Die in der vorliegenden Arbeit durchgeführte Analyse bezüglich der nach Katrina

implementierten Wiederaufbau-Maßnahmen und deren Konsequenzen hinsichtlich

sozialstruktureller Veränderungen und Gentrifizierung in New Orleans bestätigt mehr

als deutlich die zu Beginn aufgestellte These, dass der Sturm bewusst von staatlicher

und kommunaler Politikinstanzen, einer starken Hauseigentümer-Lobby sowie

diversen Wirtschaftsakteuren instrumentalisiert wurde, um eine politisch gewollte

Vernichtung von sozialem Wohnraum und Vertreibung der städtischen Unterschicht

vorzunehmen, die schon lange vorher intendiert waren.

Insgesamt intensivieren Wiederaufbau-Maßnahmen und städtebauliche Strategien im

Post-Katrina New Orleans die bereits vorher ausgeprägte ethnische und soziale

Ungleichheit, statt diese durch moderne und integrative Stadtpolitik zu lindern. New

Orleans verspielte somit seine Chance, Paradebeispiel für inklusiven Städtebau im 21.

51 Soweit nicht anders gekennzeichnet entnehme ich alles in diesem Absatz Geschriebene aus: Herring: The Housing Question of Disaster Reconstruction, S. 117f und Campanella, Richard: An Initial Interpretation of 2010Ethnic and Racial Geographies in Greater New Orleans, 2012.

52 U.S. Department of Housing and Urban Development: HUD's Public Housing Program.

18

Jahrhundert zu werden und wurde stattdessen zu einem Ort, der für eine der

radikalsten Gentrifizierungswellen der letzten Jahre steht. Immer wieder wird dabei

deutlich, dass die im Zuge der Rekonstruktion der Stadt aufgetretenen Veränderungen

und umgesetzten Prozesse kein Einzelfall, sondern Teil einer generellen

Umgangsweise von Politik und Wirtschaft mit Katastrophen sind, welche die

Oberschicht privilegiert und den Schock-Zustand, in welchem sich die Bevölkerung

nach Katastrophen befindet, ausnutzt, um kapitalistische und neoliberalistische

Strukturen zu implementieren.

Im aktuellen Diskurs bezeichnet man derart radikal durchgeführte, neoliberalistische

Politik im Nachgang großer Katastrophen oft als Katastrophen-Kapitalismus. Die vor

allem durch die kanadische Journalistin und Kapitalismuskritikerin Naomi Klein

bekannt gemachte, von ihr als „Schock-Strategie“ bezeichnete Doktrin beschreibt die

Implementierung extrem neoliberalistischer Politik – dabei vor allem Privatisierungen –

in nationale Volkswirtschaften im Nachgang einer Katastrophe politischen,

ökonomischen, sozialen oder ökologischen Ursprungs. In Krisenzeiten gäbe es kaum

oppositionelle Bewegungen, da die Bevölkerung mit der Krise und nicht mit Politik

beschäftigt sei. Somit entstehe Raum für eine Reformpolitik, die unter normalen

Umständen ggf. nicht umsetzbar wäre.53 Den Fall New Orleans bezeichnet Klein dabei

als „Höhepunkt von drei Jahrzehnten (…) Schock-Strategie“54.

Dass die Stadt ein hochgradiger Fall eben jener Schock-Strategie ist wird in Kapitel 4

der vorliegenden Arbeit aufgezeigt. So indiziert das Ergebnis der von der Heritage

Foundation abgehaltenen Konferenz, dass bereits wenige Tage nach Katrina die

Grundlagen geschaffen wurden um eine neue Ära neoliberalistischer Wirtschaftspolitik

in New Orleans zu verankern. Diese Strategie zieht sich durch den kompletten

Wiederaufbau der Stadt, begonnen mit der Umsiedlung der obdachlos gewordenen

Unterschicht über deren endgültige Vertreibung bis hin zu der ausgeprägten

Bevorzugung privater Eigentümer und Investoren im Prozess des Wiederaufbaus.

Unter dem Deckmantel der Mixed-Income-Siedlungen wurden öffentliche Gelder,

welche in den Wiederaufbau der Projekte gesteckt werden sollten, genutzt für die

Vernichtung günstigen Wohnraumes und dessen städtische Aufwertung.

Es bleibt jedoch zu vermerken, dass die Analyse hinsichtlich der involvierten Akteure

und Institutionen auf Seiten von Wirtschaft und Politik, der stattgefundenen Korruption

53 Vgl. Jakob/Schorb: Soziale Säuberung, S. 45f.54 Klein: Die Schock-Strategie, S. 22.

19

sowie des Grades an institutionalisiertem Rassismus aufgrund des beschränkten

Umfangs der vorliegenden Arbeit nicht in dem ihr zustehenden Umfang vertieft werden

konnte.

Aufgrund von Charakteristika wie der Vertreibung der Unterschicht aus

innerstädtischen Lagen, der hohen Rate an Privatisierungen, der Aufwertung

ehemaliger Public Housing Siedlungen, dem sozialdemografischen Wandel in der

Bevölkerung, der dazu tendiert, dass New Orleans von einer ehemals für ihre

Heterogenität berühmte Stadt zu einer immer homogeneren Stadt wird, in der die

weiße und gebildete Oberschicht das Zepter übernimmt, entdeckt man unter dem

Schleier des Wiederaufbaus einen Gentrifizierungsprozess, der die Stadt kollateral

erfasste und seinesgleichen sucht. Die Gentrifizierung der Stadt nahm Ausmaße an,

die unter regulären Umständen, sprich ohne eine vorangegangene Katastrophe, nicht

umsetzbar gewesen wären und entspricht aufgrund ihrer Merkmale sowohl den in

Kapitel 2 erläuterten Auslösern und Merkmalen der klassischen Gentrifizierung sowie

auch der These Kleins.

Das Resultat, welches sich knapp zehn Jahre nach Katrina ablesen lässt, ist, dass die

Segregation der Stadt New Orleans im Zuge des Wiederaufbaus nicht nur

reproduziert, sondern in hohem Maße intensiviert wurde. Urbane Klassen-

Konsolidierung durch den Staat und private Hintermänner der Wirtschaft führte zu

„nothing less than one of the largest urban projects of social re-engineering in

America's history“55.

55 Herring: The Housing Question of Disaster Reconstruction, S. 112.

20

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Bild 1

Bild 2

Bild 3

Abbildungsverzeichnis

Bild 1

https://www.e-education.psu.edu/earth107/node/867

Zugriff: 30.4.2015

Bild 2-3

http://media.nola.com/news_impact/photo/map-segregate-black-060811jpg-

70f2d678b5ae8f46.jpg

Zugriff: 30.4.2015

Eigenständigkeitserklärung

Ich versichere hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst

und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.

Berlin, den 30. Mai 2015

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