7
23 Nummer 20, Juni 2012 zoll+ Hans Pircher mit seiner Tochter Johanna, Gröbming, Jänner 2012. Foto: Pia Kieninger Käfer kontra Förster – zum Umgang mit der Wildnis im Wald Seit 2002, als Folge großflächiger Windwürfe, gibt es im Naturpark Sölktäler (Steiermark) massive Probleme mit dem Borkenkäfer. Hans Pircher, den wir im Zuge eines Forschungs- projektes kennengelernt haben, bewirtschaftet im Kleinen Sölktal 100 ha Wald. Dabei hat er eine eorie entwickelt, die ihn zu einem eigenwilligen Umgang mit dem Käfer veranlasste. VON PIA KIENINGER & WOLFGANG HOLZNER Was haben Borkenkäfer mit dem Thema „wild” zu tun? Aus unserer Sicht sind die Käfer Elemente der Wildnis, quasi ihre Vorboten, die dem Bestreben der WaldbewirtschafterInnen entgegenwirken, den Wald nach menschlichen Vorstellungen zu gestalten, um maximalen Nutzen daraus zu ziehen. Das komplexe und dynamische Wechselspiel der Käferbevölkerung (d. h. ihrer Populationsgröße) mit Witte- rungsschwankungen, wechseln- dem Nahrungsangebot sowie mit anderen Mitgliedern der Biozöno- se Wald und damit auch mit den Maßnahmen der FörsterInnen gibt der Wissenschaft schwer lösbare Rätsel 1 auf und führt dazu, dass auf vereinfachten, statischen Vor- stellungen begründete Bekämp- fungsmaßnahmen auf lange Sicht erfolglos bleiben müssen. Wie in der Landwirtschaft und Gärtnerei: „Schädlinge“ und „Unkräuter“ gehören einfach mit dazu; ein Wirtschaften ohne sie ist von Mutter Natur nicht vorgesehen. Und wenn das so ist, dann kann man sich einfach darauf einstellen und lernen, mit ihnen auf eine Ressourcen und Nerven schonende Weise umzugehen. Genau das hat Hans Pircher, ein aufmerksamer Beobachter der Vorgänge im Wald, von den Käfern selbst gelernt und eine Art und Weise des Zusammenlebens mit ihnen entwickelt, die nicht als „Bekämpfung“, sondern ganz zeit- gemäß als „Borkenkäfermanage- ment“ bezeichnet werden kann. Damit behält er den Nutzen, den die Käfer als wichtiges Mitglied Käfer versus Förster

Käfer kontra Förster – zum Umgang mit der Wildnis im Wald

  • Upload
    boku

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

23Nummer 20, Juni 2012 zoll+

Hans Pircher mit seiner Tochter Johanna, Gröbming, Jänner 2012. Foto: Pia Kieninger

Käfer kontra Förster – zum Umgang mit der Wildnis im Wald

Seit 2002, als Folge großflächiger Windwürfe, gibt es im Naturpark Sölktäler (Steiermark) massive Probleme mit dem Borkenkäfer. Hans Pircher, den wir im Zuge eines Forschungs-projektes kennengelernt haben, bewirtschaftet im Kleinen Sölktal 100 ha Wald. Dabei hat er eine Theorie entwickelt, die ihn zu einem eigenwilligen Umgang mit dem Käfer veranlasste. VON PIA KIENINGER & WOLFGANG HOLZNER

Was haben Borkenkäfer mit dem Thema „wild” zu tun? Aus unserer Sicht sind die Käfer Elemente der Wildnis, quasi ihre Vorboten, die dem Bestreben der WaldbewirtschafterInnen entgegenwirken, den Wald nach menschlichen Vorstellungen zu gestalten, um maximalen Nutzen daraus zu ziehen. Das komplexe und dynamische Wechselspiel der Käferbevölkerung (d. h. ihrer Populationsgröße) mit Witte-rungsschwankungen, wechseln-dem Nahrungsangebot sowie mit

anderen Mitgliedern der Biozöno-se Wald und damit auch mit den Maßnahmen der FörsterInnen gibt der Wissenschaft schwer lösbare Rätsel1 auf und führt dazu, dass auf vereinfachten, statischen Vor-stellungen begründete Bekämp-fungsmaßnahmen auf lange Sicht erfolglos bleiben müssen. Wie in der Landwirtschaft und Gärtnerei: „Schädlinge“ und „Unkräuter“ gehören einfach mit dazu; ein Wirtschaften ohne sie ist von Mutter Natur nicht vorgesehen. Und wenn das so ist, dann kann

man sich einfach darauf einstellen und lernen, mit ihnen auf eine Ressourcen und Nerven schonende Weise umzugehen.

Genau das hat Hans Pircher, ein aufmerksamer Beobachter der Vorgänge im Wald, von den Käfern selbst gelernt und eine Art und Weise des Zusammenlebens mit ihnen entwickelt, die nicht als „Bekämpfung“, sondern ganz zeit-gemäß als „Borkenkäfermanage-ment“ bezeichnet werden kann. Damit behält er den Nutzen, den die Käfer als wichtiges Mitglied

Käfer versus Förster

korr_zoll_wild_kern_finale.indd 23 17.05.12 10:11

24 Nummer 20, Juni 2012zoll+

Käfer versus Förster

der Biozönose mit sich bringen, hält den Schaden in Grenzen und der Wald bleibt erhalten.

Wir fanden, dass es zum Thema dieses Heftes passt und für die LeserInnen interessant ist, zu erfahren, wie jemand, ohne wis-senschaftliche Ausbildung, allein durch Beobachten und Reflek-tieren zu einem entspannten – RomantikerInnen würden sagen „harmonischen“ – Umgang mit der an sich bedrohlichen Wildnis gefunden hat. In diesem Zusam-menhang war es naheliegend, darüber zu recherchieren, wie man mit den „wilden Käfern“ in Wäldern umgeht, in welchen der Wildnis Vorrang gegenüber der Forstwirtschaft eingeräumt wird.

Borkenkäfer im NationalparkEin sehr bekanntes, weil sehr heiß und kontrovers diskutiertes Beispiel einer Massenvermeh-

rung des Borkenkäfers gab es im Nationalpark Bayerischer Wald, wo seit 1995 95 % der Fichten-bestände des südlichen Teiles be-fallen und abgetötet worden sind (Müller et al. 2008a). Mehr als 5.000 ha waren 2007 vom Borkenkäfer betroffen (ibid.). Das dadurch hervorgerufene veränderte Waldbild mit gigan-tischen Massen an Totholz und großflächigen Kahlschlägen hat die Gesellschaft polarisiert in Na-tionalparkbefürworterInnen und NationalparkgegnerInnen. Sahen die einen in den ausgedehnten Kahlschlägen und der Auswei-tung der sogenannten „Wald-schutzzone“ (Bekämpfungszone) rund um die Kernzone nicht nur die IUCN-Richtlinien aufs Schwerste verletzt, sondern auch das Image des deutschen Na-turschutzes sowie die Existenz des Waldes in Gefahr (z. B. Uta Henschel – GEO, Hartmut

Jungius – WWF International und Angelika Zahrnt – Bund für Umwelt und Naturschutz, Deutschland; zit. in Klein 2009), erhitzte die Gemüter der anderen das „Viel-zu-wenig-Tun“ der Nationalparkleitung (Mül-ler et al. 2008a; Klein 2009). Seitdem sich gezeigt hat, dass der Tourismus durch den Käfer nicht in Mitleidenschaft gezogen wird und der Wald sich langsam erholt, sind die Proteste leiser geworden (Müller et al. 2008a; NP Bayerischer Wald 2009). Heute wird außer in der Kernzo-ne in allen Teilen des National-parks der Borkenkäfer mehr oder minder stark bekämpft, obwohl man sich dessen bewusst ist, dass man damit nur das Ausmaß des Befalls beeinflussen kann, ihn aber nie ganz loswerden wird (NP Bayerischer Wald 2009). In Österreich hat man aus dieser Geschichte gelernt. So hat z. B. der Nationalpark Kalkalpen, um bayerische Szenarien zu verhin-dern, frühzeitig eine Bekämp-fungszone angelegt – als Gürtel um die Kernzone –, in der das Borkenkäfer-Aufkommen streng überwacht und bekämpft wird (NP Kalkalpen 2011).

Die Borkenkäfer-Theorie von Hans PircherIm hochmontan-subalpinen Wirtschaftswald der Niede-ren Tauern setzt Hans Pircher hingegen auf eine eigene Philoso-phie, um mit den Borkenkäfern auszukommen:

„Ich wohne in Gröbming in der Steiermark. Ich bin Zeit meines Lebens im Wald unterwegs und seit 1977 hauptberuflich Forstarbeiter. Ich bin keiner, der von der neuen Forstwirtschaft, wie Harvester, Seilkran oder Prozessor, begeistert ist. Ich habe 2006 ein Revier von ca. 100 ha übernommen und betreue und bearbeite dieses alleine mit dem Traktor und der Funkseilwinde. Das Revier ist gut aufgeschlossen, und eine kleinräu-mige Bewirtschaftung ist dadurch

„Südlicher Schutzrand“ auf der Lafenbergalm: 2006 wurden nur die Käferbäume, etwa 2 Jahre nach Befall, entfernt. Obwohl der sonnseitige Hang optimal für den Buchdrucker wäre, sind die damals stehengelassenen Bäume gesund geblieben, und bis heute ist kein einziger Käferbaum dazugekommenFoto: Hans Pircher

korr_zoll_wild_kern_finale.indd 24 17.05.12 10:11

25Nummer 20, Juni 2012 zoll+

Käfer versus Förster

möglich. Das Waldgebiet liegt im Kleinsölktal in einer Seehöhe von 1.000 bis 1.600 m.

In den Niederen Tauern besteht seit den Stürmen von 2002 ein akuter Käferbefall, welcher auch heute noch nicht ausgestanden ist.

Auch in meinem Revier war es nicht anders, als ich begann, dort zu arbeiten. Da ich alleine war, musste ich zuerst daran gehen, die Käferbäume zu beseitigen und hatte nicht die Zeit, auch die ne-benstehenden Bäume zu entfernen. Durch diesen Umstand bin ich auf eine Theorie gekommen, welche ich im Folgenden genauer beschreiben möchte:

Ausgangspunkt meiner Theorie war eine ca. 0,5 ha große Fläche, die mit Käferbäumen bestanden war. Einzig in der Mitte stand ein Baum, der nicht befallen war. Ich schlägerte munter darauf los und stellte fest, dass jeder der Käfer-bäume an sich sehr gesund gewesen wäre. Keiner war faul oder hatte sonst etwas Ersichtliches. Natürlich hatte ich auch den nicht befallenen Baum umgeschnitten und siehe da: Er war der Einzige, der faul war. Da der Borkenkäfer ein Sekun-därschädling ist, der zuerst die kranken Bäume befällt, wäre dieser Baum normalerweise der Erste gewesen, den er angegangen wäre. Ich wunderte mich sehr darüber

und kam zu der Ansicht, dass der Baum einen natürlichen Schutz ge-gen Borkenkäfer aufgebaut haben

muss, während die anderen Bäume rundherum alle befallen wurden. Der Baum muss früher schon

einmal Kontakt mit dem Käfer gehabt haben, aber nicht umge-bracht worden sein, vielleicht weil es zu wenige Käfer waren. So hat er Zeit gehabt, einen Abwehrschutz zu entwickeln.

Genau die gleiche Beobachtung konnte ich später aber auch bei ge-sunden Randbäumen machen, die rund um eine käferbefallene Fläche standen. Im Jahr 2006 entnahm ich an fünf Stellen nur die Käfer-bäume und ließ die angrenzenden noch grünen Bäume alle stehen – eine Vorgangsweise, welche genau gegen die Vorstellung der Forstbe-hörde ist, welche besagt, dass bei Käferbefall großzügig eine „halbe Baumlänge“ gesunder Bäume dazu geschlägert werden muss 2.

Nun ist es fünf Jahre her, und an den fünf beschriebenen Stellen

kam bis heute kein einziger Käferbaum dazu. Warum das so ist, kann ich mir nur dadurch erklären, dass auch Randbäume, durch die Bekanntschaft mit dem Käfer, ebenfalls diesen natürlichen Schutz aufgebaut haben, wenn sie die Zeit dazu hatten, sich dagegen zu wehren, und diesen, wie ich 2011 feststellen konnte, noch immer besitzen. So gab es im Winter 2010/2011 in einem dieser Bereiche etwas an Wind-wurf. Der sogenannte Schutzrand ist südlich ausgerichtet, wäre also ideal für Käferbefall gewesen. Von Norden her wurden etliche Bäume geworfen und einer davon in diesem Schutzrand. Nun konnte ich beobachten, dass die Wind-wurfbäume auf der Nordseite stark befallen waren. Der eine Baum aus dem Schutzrand, welcher sogar viel günstiger gelegen wäre, hatte dage-gen aber kein einziges Einbohrloch. Nur Zufall? Ich glaube es nicht.

Nun arbeite ich schon fast sechs Jahre mit der Methode, nur die befallenen Bäume zu entnehmen, und die Käferbäume sind bei mir bis heute selten geblieben, obwohl

Buchdrucker. Foto: Josef Pennerstorfer

„Ich glaube, dass man mit meiner Methode auf natürliche Art und Weise den Schaden in Grenzen halten und den Wald erhalten kann“ Hans Pircher

Fraßbild des Buchdruckers. Foto: Josef Pennerstorfer

korr_zoll_wild_kern_finale.indd 25 17.05.12 10:11

26 Nummer 20, Juni 2012zoll+

bei den Nachbarn der Käfer ein großes Problem ist. Man wird nicht davor gefeit sein, dass da und dort einzelne Käferbäume auftauchen. Aber ich glaube, dass man mit dieser Methode auf natürliche Art und Weise den Schaden in Grenzen halten und den Wald erhalten kann.

Mir ist auch klar, dass meine Methode mit großen Maschinen und im Großforst nicht möglich

ist. Aber soll man wirklich ganze Wälder opfern und den Käfer wird man trotzdem nicht los? Hätte die Natur nicht gegen jeden Schädling ein Heilmittel, würde es schon lange nur noch Schädlinge geben. Man muss sich schon fragen, ob man nicht selbst der größte Schäd-ling ist, wenn man nur noch auf größtmöglichen Profit schaut und die Natur nicht berücksichtigt“ (Pircher, Brief, Jänner 2012).

„Der Natur ist es gleich, ob der Käfer die Bäume befällt oder nicht. Wenn die Fichten nichts gegen den Käfer entwickelt hätten, dann gäbe es heute keine Fichte mehr. Außerdem trägt der Käfer zur ganz natürlichen Waldverjüngung bei. Im Kleinen Sölktal beim Schwar-zensee, hoch oben von den Felsen, da konnte man die Käferbäume einfach nicht herunterbringen. Die Fichten dort oben wurden mehr als

Wissenswertes über Borkenkäfer. Wenn man bei uns vom „Borkenkäfer“ spricht, ist meist der „Gro-ße achtzähnige Fichtenborkenkäfer“ Ips typographus, auch „Buchdrucker“ genannt, gemeint (Brauns 1991). Acht Zähne trägt er an seinem Rückenschild, das anschließend schräg nach unten geknickt ist (ibid.). Diese Konstruktion ist sehr praktisch, denn damit kann er im Rückwärtsgang das Bohrmehl („Genagsel“) aus seinen Gängen ins Freie baggern. Den zweiten Namen verdankt er seinen nach einem regelmäßigen Schema angelegten Fraßgängen, die ein hübsches Muster auf der Innenseite der Rinde ergeben, das man sieht, wenn sie am toten Baum in großen Stücken abblättert. Der Käfer selbst ist klein (ca. 5 mm), unscheinbar und dun-kel gefärbt (ibid.).Dieser Ips lebt seit über 100 Mill. Jahren in Koexistenz mit der Fichte (Klein 2009). Er bevorzugt dabei alte, kranke Bäume, die nur mehr wenig Harz produzieren, stattdessen aber die im Harz enthaltenen Terpene ver-dunsten und verströmen (Schmidt s. a.) und dadurch die Tierchen quasi zu sich auf die Fährte bringen (Klein 2009). Aufgrund der im Vergleich zu voll vitalen Bäu-men geringen Harzproduktion, die bald versiegt, sind sie auch besonders wehrlos gegen den Angriff der bohrenden Käfer. Klein (2009) beschreibt, dass nicht nur die kranken Bäume duftende „Signale“ aussenden, sondern auch die Borkenkäfer „soziale Laute“ und Duftstoffe (John A. Byers 2004, zitiert in Klein 2009) erzeugen, um potenzielle Partner anzulocken. Borken-käfer balzen sozusagen. Eine von Borkenkäfern befal-lene kranke Fichte wird damit zu einem Ort von inte-ressanten Gerüchen und optischen wie akustischen Signalen, was wiederum noch mehr Käfer von der At-traktivität des Baumes überzeugt (ibid.). Aus ökologi-scher Sicht haben die „Borkis“ also eine wichtige Rolle beim Abbau von Totholz sowie bei der Verjüngung des Waldes (siehe auch Pircher, Interview, 6. 2. 2012) und sind als „keystone species“ Lebensgrundlage für eine Fülle anderer Organismen (Müller et al. 2008b). „Borkenkäfer gehören […] in jedes Waldökosystem und führen beim Rückführen von geschwächten oder toten Bäumen in den Nährstoffkreislauf eine große Rolle.“ (WerMellinger 2007: 4).

Herr Ips ist polygam und empfängt bis zu drei Weibchen (Brauns 1991) in der von ihm genagten Hochzeitskammer. Jedes begattete Weibchen nagt anschließend von hier ausgehend einen Gang für sich und ihr Gelege sowie Luftlöcher (ibid.). Jedes Weibchen legt rund 50 Eier. Die Larven fressen sich rechtwinklig vom Muttergang abzweigend durch das Bastgewebe, wo sie sich in einer selbst geknabberten Puppenwiege verpuppen (ibid.). Bis zum Ausflug der Jungkäfer vergehen etwa 2 Monate. In günstigen Jah-ren und Lagen gibt es zwei Generationen, neuerdings auch drei.Borkenkäfer nehmen dann in Massen zu, wenn es warm und trocken ist und durch starke Sturm- und Schneeereignisse, Trockenperioden, lokal auch durch Feuer oder Lawinenabgänge des Vorjahres, viel Schadholz (aus ihrer Sicht Futter) angefallen ist (Forster & Meier 2008). Warmes Wetter beschleunigt ihre Entwicklung und steigert die Eiproduktion, womit die Population in die Höhe schnellt (ibid.). Wenn dann so viele Borkenkäfer vorhanden sind, dass das Fut-ter nicht mehr ausreicht, müssen sie sich nach neuen Gefilden umsehen – meist machen sie dies in einem Radius von 300 m (nP Bayerischer Wald 2009). In ihrer Not befallen sie auch gesunde Fichten, die sie ei-gentlich gar nicht mögen. Denn die gesunden Bäume haben, wie bereits erwähnt, Harzfluss als Schutzme-chanismus gegen die Käfer. Ehe dieser endlich zum Stoppen kommt, werden viele Borkenkäfer ihr Leben lassen müssen. Massenvermehrungen (sogenannte „Gradationen“) sind also, wenn man sich einmal in einen einzelnen Borkenkäfer hineinversetzt, gar nicht in seinem Sinn. Auch im Mittelalter kannte man schon Bekämpfungs-maßnahmen, nicht nur gegen Borkenkäfer, sondern auch gegen manches andere „Ungetier“: Weihwasser, Prozessionen und Exorzismus sollten Abhilfe schaffen und die Tiere wurden bisweilen mit der Exkommunika-tion bestraft, vor das heilige Gericht gestellt und in die Verbannung geschickt (sPrenger 2011). Nicht schmun-zeln – ausprobieren! Wer weiß, vielleicht hilft’s doch.

Fraß

bild

des

Buc

hdru

cker

s. Fo

to: J

osef

Pen

ners

torfe

r

Käfer versus Förster

korr_zoll_wild_kern_finale.indd 26 17.05.12 10:11

27Nummer 20, Juni 2012 zoll+

Käfer versus Förster

200 Jahre alt. Nun sind sie zu Kä-ferbäumen geworden und sterben ab. Im Schutz der toten Baumrie-sen kommt der Nachwuchs auf. In etwa 30 Jahren fällt ein Käfer-baum dann vielleicht einmal um. Die liegenden Bäume halten dann den Schneeschub auf, die jungen können sich entwickeln und wer-den hoch und höher. Bis sie dann selbst so stark sind, sind die alten längst vermodert und der junge Baum kann sich selber halten und braucht keinen Schutz mehr. Wenn das nicht so wäre, könnte dort nie ein neuer Jungwuchs aufkommen, weil der Schnee ihn sofort herun-

terreißen würde. Und in 50 Jahren ist der Wald dann bis hinauf erneuert.“ (Pircher, Interview, 6. 2. 2012).

Mit seinem „Borkenkäfer-Erfolg“ hat Hans Pircher nicht nur seine Auftraggeberin und inzwischen teilweise sogar die Ex-pertInnen der Landwirtschafts-kammer überzeugen können, sondern auch seine NachbarIn-nen sind mehr und mehr von der Methode begeistert und probie-ren sie zum Teil selbst aus. Einige Skeptiker bleiben freilich immer bzw. ist für viele Kleinwaldbesit-

zerInnen (z. B. von Waldgenos-senschaften) die Waldarbeit aus zeitlicher und finanzieller Sicht nicht mehr interessant und wird an rationell arbeitende Lohnun-ternehmen mit riesigen Maschi-nen vergeben, mit denen eine kleinflächige Entnahme nicht möglich ist (Pircher, Interview, 6. 2. 2012).

Nachspann: „Talking trees“Nach Fertigstellung dieses Artikels bekamen wir von DI Alexander Mrkvicka (MA 49) einen Hinweis auf interessante Informationsquellen (Danke!).

„Wohnraum“ des Buchdruckers: Buchdrucker befallen den Baum von oben nach unten. Frühsymptom eines Befalls kann u. a. das braune Bohrmehl sein, welches die Käfer aus den Bohrlöchern hinausbefördern und das sich an den Rindenschuppen oder am Stammfuß ansammelt und dort für ein wachsames Auge sichtbar ist (siehe linke Bildseite). 1 Borkenkäfermännchen sind polygam und paaren sich mit ein bis drei Weibchen. Für das Anlegen der „Hochzeitskammer“ (in der Fachsprache „Rammelkammer) ist das Männchen zuständig. 2 Nach der Begattung nagt sich jedes Weibchen von der Rammelkammer ausgehend einen

Muttergang 3 mit Luftlöchern und 4 Einischen, wo die Eier in einem Zeit-raum von mehreren Wochen bis Monaten abgelegt werden. 5 Nach ein bis zwei Wochen schlüpfen die Larven und fressen sich in einem 90°-Winkel vom Muttergang abzweigend einen Larvengang, der mit der Zeit mit zunehmender Larvengröße immer breiter wird. Die Larvenzeit dauert 2(3) bis 4(6) Wochen (Brauns 1991). 6 Am Ende des Gangs verpuppen sich die Larven für ein bis 2 Wochen (ibid.) in der Puppenwiege. 7 Nach einer 2- bis 4-wöchigen Ausreifezeit (ibid.) fliegen die Jungkäfer aus.Zeichnung: Pia Kieninger

korr_zoll_wild_kern_finale.indd 27 17.05.12 10:11

28 Nummer 20, Juni 2012zoll+

Erste Anzeichen, dass Pflanzen – auch unterschiedliche Arten und Gattungen – miteinander kommunizieren können, wurden bereits in den 1980ern entdeckt (Baldwin & Schultz 1983). Es liegt die Vermutung nahe, dass von Insekten befallene Pflanzen nicht nur Duftstoffe aussenden, um andere räuberische Insekten (also „Nützlinge“) zu Hilfe zu rufen, sondern dass diese Düfte auch als Warnsignale auf benach-barte, noch unversehrte Pflanzen wirken, welche dann spezielle Vorsichtsmaßnahmen für eine entsprechende Abwehr aufbauen

(Paschold et al. 2006). So konnte ein Forscher namens Rhoades bereits 1983 nachwei-sen, dass von Raupen attackierte Weiden (Salix sitchensis) ihre Nachbarn von der bevorste-henden Gefahr informierten, die daraufhin ihre Blattqualität verringerten und so nicht befal-len wurden. Heute beschäftigen sich einige Forscherteams mit dem Thema der Kommunika-tion zwischen Pflanzen und der Herbivoren-induzierten Abwehr (Karban et al. 2000; Baldwin et al. 2006; Unsicker et al. 2009; Heil & Karban 2010).

Auch gibt es Erkenntnisse aus der Wissenschaft, die die Annahme nahelegen, dass Bäume mit ihren Wurzelsystemen zusammen-hängen und somit „Informati-onen“ austauschen können (DI Alexander Mrkvicka, 21. 2. 2012, mündliche Mitteilung).

Unserer Recherche nach sind Forschungen bezüglich der Borkenkäferabwehr bei Fichten noch ausständig. Dennoch liegt es nahe, dass es sich auch hier um derartige Phänomena handeln könnte und Hans Pircher mit seiner Theorie ins Schwarze getroffen hat.

1 Dazu ein Zitat bereits aus dem Jahr 1991: „[…] Ips typographus ist […] in den vergangenen Jahrzehnten eine fast unübersehbare Zahl von Einzelveröf-fentlichungen gewidmet [worden] […]“ (bRauns 1991: 273).

2 „Nach dem Österreichischen Forstgesetz 1975 (BGBl. Nr. 440/1975 zuletzt geän-dert durch BGBl. I Nr. 59/2002) besteht für Waldeigentümer und seine Forst- und Forstschutzorgane die Verpflichtung, Wahrnehmungen über eine gefahrdro-hende Vermehrung von Borkenkäfern der Forstbehörde umgehend zu melden. Der Waldbesitzer ist weiters verpflichtet, geeignete bekämpfungstechnische Maß-nahmen zu treffen, um eine gefahrdro-hende Ausbreitung von Forstschädlingen zu verhindern (§ 43–45 Forstgesetz)“ (kReHan & steyReR 2007). Unter „geeigne-ten, bekämpfungstechnischen Maßnah-men“ versteht man die Vermeidung des Ausfluges der Jungkäfer mittels Schläge-rung und Abtransport oder Entrindung der befallenen Bäume. In Einzelfällen können auch Stammschutzmittel ange-wendet werden (kReHan & steyReR 2006). Ferner sind die WaldbesitzerInnen verpflichtet, befallenes Astmaterial und Schlagabraum zu behandeln (ibid.). Das Dazuschlägern von einer halben Baum-länge rund um die befallenen Bäume ist eine empfohlene Vorsichtsmaßnahme.

DIin Pia Kieninger, Landschaftsplanerin, arbeitet als Universitätsassisten-tin am Institut für Integrative Naturschutzforschung, an der Universität für Bodenkultur Wien (Forschungsinteresse: Landschaftswahrnehmung, Kultur-landschaftsforschung, Ländliche Entwicklung und biokulturelle Vielfalt mit dem Fokus: Japan versus Österreich/Mitteleuropa).

Dr. phil. Wolfgang Holzner, Botaniker, bis 2010 am Institut für Integ-rative Naturschutzforschung an der Universität für Bodenkultur Wien als Univ.-Prof. tätig – nun als „Emeritus“. Seinen Traum als „Eremitus“ konnte er bislang noch nicht realisieren und ist bis dahin unter anderem auch als Forstarbeiter im Wald seines Schwiegervaters tätig, wo er es mit Borken- und anderen Käfern zu tun bekommt.

Käfer versus Förster

korr_zoll_wild_kern_finale.indd 28 17.05.12 10:11

29Nummer 20, Juni 2012 zoll+

Käfer versus Förster

Literatur

Baldwin, I. T. & Schultz, J. C. 1983. Rapid changes in tree leaf chemistry induced by damage: evidence for communication bet-ween plants. Science 221: 277–279.

Baldwin, I. T., Halitschke, R., Paschold, A. & Dahl, C. C. 2006. Volatile signaling in plant-plant interactions: "talking trees" in the genomics era. Science 311: 812–815.

Brauns, A. 1991. Taschenbuch der Wald-insekten. 4. Auflage. Stuttgart Jena: G. Fischer.

Forster, B. & Meier, F. 2008. Sturm, Witte-rung und Borkenkäfer. Risikomanagement im Forstschutz. Merkblatt für die Praxis 44. Eidg. Forschungsanstalt WSL, Birmensdort (CH).

Heil, M. & Karban, R. 2010. Explaining evo-lution of plant communication by airborne signals. Trends Ecol. Evol. 25: 137–144.

Karban, R., Baldwin, I., Baxter, K., Laue, G. & Felton, G. 2000. Communication between plants: induced resistance in wild tobacco plants following clipping of neighboring sagebrush. Oecologia 125: 66–71.

Klein, H. 2009. Bedrohung „Borkenkäfer“. Eine Streitschrift. http://www.waldklein.de/w-biol/Borkenkaefer.pdf. (abgerufen am 16. 2. 2012)

Krehan, H. & Steyrer, G. 2007. Was müssen Sie tun bei Borkenkäferbefall? Müssen Sie den Befall melden? http://bfw.ac.at/db/bfwcms.web?dok=5243. (abgerufen am 16. 3. 2012)

Krehan, H. & Steyrer, G. 2006. Welche Handlungsmöglichkeiten bei Borkenkäfer-befall gibt es? http://bfw.ac.at/db/bfwcms.web?dok=5237. (abgerufen am 16. 3. 2012)

Müller, M., Mayer, M. & Job, H. 2008a. Tot-holz und Borkenkäfer im Nationalpark Bay-erischer Wald aus touristischer Perspektive. In: Die Destination Nationalpark Bayeri-scher Wald als regionaler Wirtschaftsfaktor. H. Job (Hg.). Nationalpark Bayerischer Wald.

Müller, J., Bußler, H., Großner, M., Rettel-bach, T. & Duelli, P. 2008b. The European spruce bark beetle Ips typographus in a na-tional park: from pest to keystone species. Biodiversity Conservation 17: 2.979–3.001.

Nationalpark Bayerischer Wald 2009. Gro-ßes Borkenkäfer-Symposium am 2. 7. 2009 im Haus zur Wildnis. http://www.national-park-bayerischer-wald.bayern.de/national-park/management/waldmanagement/bor-kenkaefer/borkenkaefersymposium_2009.htm. (abgerufen am 16. 2. 2012)

Nationalpark Kalkalpen. 2011. Dyna-mik Borkenkäfer. http://www.kalk-alpen.at/system/web/zusatzseite.aspx?detailonr=222540892. (abgerufen am 16. 2. 2012)

Paschold, A., Halitschke, R., Kessler, A. & Baldwin, I. T. 2006. Die Sprache der Pflan-zen. Forschungsbericht 2006 – Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena. http://www.mpg.de/414573/forschungs-Schwerpunkt. (abgerufen am 21. 2. 2012)

Rhoades, D. F. 1983. Responses of alder and willow to attack by tent caterpillars and webworms: evidence for pheromonal sensitivity of willows. In: Plant resistance to insects. P. A. Hedin (ed). Washington, DC, USA: American Chemical Society. 55–68.

Schmidt, A. (s. a.) Herbivoren- und Patho-gen-induzierte Verteidigungsstrategien von Koniferen. Max-Planck-Institut für chemi-sche Ökologie, Jena. http://www.ice.mpg.de/ext/ger-research.html?&L=1. (abgerufen am 21. 2. 2012)

Sprenger, J. 2011. „Die Landplage des Rau-penfraßes“. Wahrnehmung, Schaden und Bekämpfung von Insekten in der Forst- und Agrarwirtschaft des preußischen Branden-burgs (1700–1850). Schriftenreihe ,,Dis-sertationen aus dem Julius Kühn-lnstitut", Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Quedlinburg, Deutschland. Biologische Fa-kultät, Georg-August-Universität Göttingen, Doktorarbeit. http://pub.jki.bund.de/index.p

hp/DissJKI/article/viewFile/1626/1960. (abgerufen am 16. 2. 2012)

Unsicker, S. B., Kunert, G. & Gershenzon, J. 2009. Protective perfumes: the role of vegetative volatiles in plant defense against herbivores. Curr. Opin. Plant Biol. 12: 479–485.

Wermelinger, B., Forster, B. & Godet, J.-D. 2007. Borkenkäfer: alle forstlich wichtigen Rinden- und Holzbrüter. Stuttgart: Ulmer Verlag.

This article presents an interesting theory of an Austrian forest ranger how to deal with bark beetle (Ips typographus). In his forest, situated in the nature park Sölktäler

(Styria/Austria), he noticed, that the border trees around a bark beetle attack became immune against the beetle. So, contrary to the official woodland doctrine, he only removes the infected Norway spruces (Picea abies), but does not cut the surrounding trees as a protective measure. Hence, he could reduce the bark beetles almost to zero and develop a sustainable woodland management, while his neighbors still have to struggle with serious bark beetle calamities. Bark beetle; nature park Sölktäler; wilderness; Ips typographus; pest-managementcont

ent &

key

wor

ds

korr_zoll_wild_kern_finale.indd 29 17.05.12 10:11