NR. 217. 1. 2012
Eine Verlagsbeilage von Berliner Zeitung und tip Berlin
New s� oolINTERVIEWS FASHION TRENDS
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Eine Verlagsbeilage von Berliner Zeitung und tip Berlin
05 OnePieceDrei Norweger haben ihn erfun-den: einen Hausanzug, den man auch auf der Straße tragen kann
06 News & TippsAlles, was man wissen muss – die wichtigsten Informationen rund um die Berliner Modewoche
10 Michael Michalsky Der Berliner Designer über Jil Sander, seinen Modestil und Daniela Katzenberger
14 Trendfarbe GelbKein anderer Ton war auf der letzten Mercedes-Benz Fashion Week stärker vertreten
16 Custo BarcelonaVerwirrspiel bei der Modenschau. Wie Model Andrej Pejic zwischen den Geschlechtern balanciert
20 ModestreckeMit Anton und Antonia über den Dächern von Berlin – in Himmel-blau und Wolkenweiß
26 Patrick MohrFür den Münchner Modemacherist das Dreieck mehr als ein Symbol. Er ist damit verheiratet
28 Berliner ModeblogsMit ihren Einträgen machen sie jedem Modemagazin Konkurrenz. Wir stellen die wichtigsten vor
30 11 FreundeSo cool kann Mode sein: Elf Mitarbeiter der Bread & Butter präsentieren ihren Style
34 Oliver SaundersDer Kreativdirektor der Mode-messe Seek über Haptik, Helmut Lang und Männermode
36 Trend 2012Maskuline Silhouetten für Frauen, sanfte Farben für Männer – im Sommer tauschen wir die Rollen
38 Das letzte Wort ...Wie man den lustfreien Alltag bekämpft, verrät uns Michael Michalsky in seiner Kolumne
IMPRESSUMVUEberlin ist ein gemeinsames Produkt von Berliner Zeitung und tip Berlin, Berliner Verlag GmbH | Geschäftsführer Michael Braun, Oliver Rohloff
Anzeigenleiter Mathias Forkel | Anschrift Postfach 02 12 84, 10124 Berlin | Anzeigenannahme (030) 23 27–50
Realisation und Produktion Raufeld Medien GmbH, Tel. (030) 69 56 65–0, Mail: [email protected], www.raufeld.de
Chefredaktion Wolfgang Altmann | Druck BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, Am Wasserwerk 11, 10365 Berlin
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2014
INHALTINHALT
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Was ist modern? Mit dieser Frage beschäftigen wir uns in un-
serer zweiten Ausgabe von VUEberlin. Ein Trend, den wir
dabei festgestellt haben, ist die Entwicklung hin zu
einer androgynen Mode. Bestes Beispiel sind die
Entwürfe des Münchner Designers Patrick Mohr.
Sie sind weder feminin, noch maskulin, sondern liegen
irgendwo dazwischen. Damit fasziniert er schon seit mehre-
ren Saisons das Publikum auf der Mercedes-Benz Fashion Week.
Geschlechtsneutral sind auch die Overalls (rechts) des norwe-
gischen Labels OnePiece. Selbst Modemacho Custo Dalmau
scheint auf diesen Trend aufgesprungen zu sein. Für die Prä-
sentation seines Labels Custo Barcelona in New York schickte er
das androgyne Model Andrej Pejic auf den Laufsteg. Wer Mode
als Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen versteht,
kann darin eine Parallele zur Gegenwart erkennen: Immer mehr
Männer gehen in Elternzeit, während ihre Frauen Karriere ma-
chen. Bedeutet Gleichberechtigung also auch, dass wir bald die
gleichen Klamotten tragen? Oliver Saunders, Kreativdirektor der
Modemesse Seek, ist nicht dieser Meinung. Für ihn muss Mode
klassisch, schlicht und tragbar sein. Und auch die elf Bread &
Butter-Mitarbeiter, die wir in ihren Alltagsoutfits fotografiert
haben, folgen diesem Grundsatz. In der Mode laufen eben ver-
schiedene Trends nebeneinander her. Um Ihnen zu zeigen, was
uns am besten gefällt, sind wir dem Berliner Verlag sogar aufs
Dach gestiegen und haben dort die kommende Sommermode
fotografiert. Im Hintergrund: der Himmel über Berlin.
Viel Spaß beim Lesen unserer zweiten Ausgabe, der
wir im Zuge unseres Themas „New School“
ein neues Layout verpasst haben. Herz-
lichen Dank an dieser Stelle an unsere Art
Direktorin Karoline Gorman-Rigaud.
WOLFGANG ALTMANNChefredakteur
EDITORIAL
Ein OnePiece ist zum Chillen da
Total LOOk
Wer denkt, dass in der Mode schon alles dagewesen
ist, kommt spätestens bei diesem Kleidungsstück
ins Grübeln. Denn einen OnePiece, so heißt die-
ser schmucke Einteiler, gab es so noch nie: Diese
Mischung aus Overall und Strampler für Erwachsene ist aus wei-
cher Baumwolle und wird in allen möglichen Farben, in Karo-Prints,
Flaggenmotiven oder im Norwegermuster angeboten. 2007 haben
ihn Knut, Henrik und Thomas, drei Osloer Jungs, erfunden. Die
BWL-Studenten jobbten damals in der Modeindustrie. „Acht Jahre
haben wir Hoodies, Jogginghosen und andere Klamotten gemacht“,
erzählt Thomas Adams, einer der Gründer. Eines Morgens sind die
drei Jungs nach einer durchzechten Nacht aufgewacht und sinnier-
ten über das ultimative Chill-out-Outfit. Die Hosen sollten so be-
quem wie Jogging-Pants sein, nur ohne einschneidenden Bund, dazu
ein softes Sweatshirt. Ihre Idee: Sie nähten einen Hoodie an eine
Trainingshose und verbanden beide Teile mit einem Reißverschluss.
Das „Ein-Stück“ war geboren. Mittlerweile haben sie ihr Studium
zugunsten der Vermarktung ihrer Erfindung aufgegeben. Mit Erfolg:
Seit ihrer Gründung eröffneten sie Shops in Norwegen und Schwe-
den, Los Angeles, London und kürzlich auch in Berlin und statteten
Stars wie Justin Bieber, Pixie Lott, Ronan Keating und die schwedi-
sche Sängerin Robyn mit ihrem OnePiece aus. Den Paparazzi-Fotos
nach zu urteilen, ziehen sie ihn auch auf der Straße an. Recht haben
sie. Denn der kuschelige Hausanzug ist viel zu schick, um ihn nur
daheim zu tragen. Einfach Lederjacke drüber – fertig.
OnEPIEcE ShOP Am Hackeschen Markt, Litfass-Platz 2–4, Mitte, Mo–Sa 11–20 Uhr ▶ www.onepiece.com
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Foto: Till Bortels
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BFWNEU
Edelstrick in seinen schönsten Formen präsentiert
das Label Maiami in der Oona Gallery. Auf großen
Tischen und vor schlichten weißen Wänden wer-
den dort die neuesten Maschen von Designerin
Maike Dietrich gezeigt. In der letzten Saison sorgte sie
mit ihrer Wolltasche für das MacBook und ihrer eingestrickten
Inneneinrichtung für Überraschung. Ihre kommende Winterkollektion
aus handgefertigten Cardigans, großen Pullovern und kuschelweichen
Accessoires heißt „Icestorm“ und kann von jedermann
bewundert werden. EGG
OONA GALLERYAuguststraße 26, Mitte, 18.–21.1., 14–18 Uhr ▶
MASCHENWARE ALS KUNSTOBJEKT
Foto: Till Bortels
Accessoires heißt „Icestorm“ und kann von jedermann
Edelstrick in seinen schönsten Formen präsentiert
ALS ÖKO FASHION
Zum fünften Mal zeigt der GreenShowroom Designermode im Hotel
Adlon. In dessen GreenShop sind Modelle auch für Nichtfachbesucher
erhältlich. Die Ethical Fashion Show Berlin setzt Street- und Casual-
wear unter dem Motto „ethisch wertvolle Mode im zeitgenössischen
Design“ in Szene. Im angeschlossenen Pop-up-Store „changing room“
werden aktuelle Kollektionen für jedermann angeboten. Ein High-
light ist der von der Naturkosmetikmarke Lavera inszenierte
Lavera Showfl oor Berlin, der ebenfalls für alle zugänglich ist.
Designershows, etwa von Julia Starp, Isabell
de Hillerin und Kaska Hass, fi nden im
nahe gelegenen Energie forum statt.
Und: Im Eco Showroom gibt es in-
novative Mode von Jungdesignern,
Strickwaren und veganen Nagellack.
GREENSHOP Hotel Adlon Kempinski Unter den Linden 77, Mitte 18.–20.1.,10–20 Uhr ▶ www.green-showroom.net
POP-UP-SHOP „CHANGING ROOM“ E-Werk, Halle C, Wilhelmstraße 43, Mitte Mi 18. + Do 19.1., 10–20 Uhr, Fr 20.1., 10–18 Uhr ▶ www.ethicalfashionshowberlin.com
LAVERA SHOWFLOOR BERLINEnergieForum Berlin, Stralauer Platz 34, Friedrichshain, 18.–20.1., Fashionshows um 18, 19:30, 21 und 22:30 Uhr, Freitickets unter [email protected] ▶ www.showfloor-berlin.com
ECO SHOWROOM STORE Almstadtstraße 35, Mitte, Fr 20.1., 11–18 Uhr, Sa 21.1., 12–16 Uhr ▶ www.ecoshowroom.de
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Vier Messe-Plattformen für nachhaltige Mode präsen-tieren sich in Berlin während der Fashion Week. Das Beste ist: Sie sind für alle zugänglich
Zur Fashion Week verwandelt sich das Adlon in den GreenShowroom
Immer mehr Einkäufer suchen in
Berlin nach Designerkollektionen.
Die Show & Order und The Galle-
ry Berlin werden dieser Entwick-
lung gerecht. „Der Anstoß zu The
Gallery Berlin resultiert aus dem
Wunsch der Branche nach einer
eigenständigen Plattform für De-
sign und Avantgarde“, heißt es von
Seiten der Düsseldorfer Igedo Company. Diese Entwicklung bestä-
tigt auch Show & Order-Veranstalterin Verena Malta: „Was früher
für deutsche Einkäufer Düsseldorf war, ist nun Berlin.“ Während
The Gallery Berlin ihren Fokus auf avantgardistisch angehauch-
te Labels legt, positioniert sich die Show & Order mit Marken wie
Missoni, Kenzo und Paul & Joe im High End-Bereich.
SHOW & ORDER (nur für Fachbesucher)Heizkraftwerk, Köpenicker Straße 59-73, Mitte ▶ www.showandorder.de
THE GALLERY BERLIN (nur für Fachbesucher)Café Moskau, Karl-Marx-Allee 34, Mitte▶ www.the-gallery-berlin.com
Zwei neue Messen in coolen Locations: The Gallery Berlin im Café Moskau ...
Kenner der Modeszene schätzen das bunte Treiben in der Pro-
jektgalerie. Neue Ideen für das eigene Styling, Networking mit
Kreativen aus aller Welt und vor allem die lockere Atmosphäre
bestechen. Im Showroom präsentieren sich die unterschied-
lichsten Designer. Besonders junge Talente zeigen, was in ihnen
steckt: Avantgarde-Mode gepaart mit coolen Trends und guter
Verarbeitung. Am heutigen Dienstag ruft die Projektgalerie aber
erst einmal zu einer großen Opening Party auf. Und auch Shop-
pingfreudige können sich ab heute austoben: Im Pop-up-Shop
verscherbeln ausstellende Designer Einzel- und Reststücke. EGG
FASHION WEEK OPENING PARTY HBC, Karl-Liebknecht-Straße 9, Mitte, Di 17.1., ab 21 Uhr, Anmeldung unter [email protected]
„NO ENTRY GALLERY“ POP-UP-SHOP HBC, Karl-Liebknecht-Straße 9, Mitte, 17.–22.1., 12–21 Uhr, Eintritt frei
SHOPPEN & FEIERN MIT DER PROJEKTGALERIE
OPENINGPARTY
MESSE ZUWACHS
HAUPTSTADT STYLE Auf über 200 Seiten präsentiert „City Fashion Berlin“
die 40 interessantesten Designer und liefert so einen
Überblick über ihre Kreativität. Außerdem gibt es Tipps
für Shopping, Ausgehen und Kultur. Manche davon
werden selbst waschechte Berliner überraschen.
„City Fashion Berlin“ von Christine Anna Bierhals,
h.f.ullmann Verlag
VON OESTERGAARD BIS WUNDERKINDItalienischer Stil, französische Ele-
ganz – allein der Klang dieser Wor-
te befl ügelt. Aber deutsche Mode?
Das hört sich irgendwie uncool an.
Zu Unrecht. Wussten Sie zum Bei-
spiel, dass Berlin als die Wiege der
Konfektion gilt? Dass Marc O’Polo
eine bayerische Marke ist und dass der
Purismus in Pöseldorf erfunden wurde?
Dieser 300 Seiten starke Bildband nimmt Sie mit
auf eine spannende Reise in die Ursprünge der
deutschen Mode und erklärt die Entwicklung
bis heute. Mit Fotos von renommierten Mo-
defotografen und Texten der besten deutschen
Modejournalisten.
„German Fashion Design (1946–2012)“
von Nadine Barth, Distanz Verlag
Bücher über den Berliner Stil von heute und Deutschlands Mode vergangenheit
MODE Ges� i� ten
Ein Ausflug durch 66 Jahre deutsche Modegeschichte
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GOGREEN
⁛ VON ELISA GIANNA GERLACH ⁛
Foto: Maxime Ballesteros
... und die Show & Order im Heizkraftwerk in der Köpenicker Straße
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Foto:
Trevor
Goo
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Foto:
Trevor
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Lust, bei einer Modepräsentation dabei
zu sein? Am Mittwoch kann jeder in den
Genuss kommen. Denn dann zeigt das
Berliner It-Label Reality Studio seine
kommende Winterkollektion „Ali“ im
Voo Store. Designerin Svenja Specht ist
bekannt für ihre Experimentierfreudig-
keit. Inspirationen holt sie sich auf ihren
zahlreichen Reisen und in ihrer Zusam-
menarbeit mit angesagten Künstlern.
Daraus entwickelt sie dann ihre außer-
gewöhnlichen Kollektionen mit extra-
vaganten, aber tragbaren Schnitten und
in einer wirklich guten Farbauswahl. EGG
VOO STOREOranienstraße 24, Kreuzberg, Mi 18.1., 9:30–9:45 Uhr ▶ www.realitystudio.de
Reality Studio im Voo Store
Mongrels in Common, Frida Weyer, Dawid Tomaszewski – sie alle ha-
ben ihn bekommen: den Young Designers Award der Modemesse Pre-
mium. Und das, bevor sie richtig durchgestartet sind. Damit stellen
die beiden Premium-Macher Anita Tillmann und Norbert Tillmann
einmal mehr unter Beweis, dass sie den richtigen Riecher für Newcomer
haben: „Wir sind stolz, dass die Auszeichnung „Premium Young Desi-
gners“ ein wichtiges Gütesiegel und Sprungbrett für vielversprechende
Nachwuchs talente geworden ist“, sagt Anita Tillmann. Zweimal jährlich
vergibt das Messe-Duo seinen Preis, traditionell als Kick-off-Veranstal-
tung zur Fashion Week im F95-Store. In dieser Saison können sich die
Frauenlinie Blame aus Berlin, der polnische Menswear-Designer Łukasz
Stachowicz und das Berliner Accessoire-Label Rita in Palma über die
Auszeichnung freuen. Seit dem 9. Januar werden die Gewinner der ver-
gangenen Saison im Schaufenster der Galeries Lafayette gezeigt.
SCHAUFENSTER DER GALERIES LAFAYETTEFranzösische Straße 23, Mitte, 9.–22.1.
Der polnische Designer Łukasz Stachowicz mit seiner Kollektion
„Lamperia“ als bestes Männerlabel
AND THE
WINNER IS ...
PREMIUM
YOUNG
DESIGNERS
REALITY STUDIO PREVIEW
D ie Fashion Week ist für Fachbesucher nicht nur
Spaß, sondern harte Arbeit. Am Ende eines lan-
gen Messetages möchten viele von ihnen nur noch
eins: abschalten. Ein Ort, wo das wunderbar möglich
ist, liegt 300 km nördlich von Berlin an der Ostseeküste. Genauer
gesagt in Heringsdorf auf der Insel Usedom. An Europas längster
Strandpromenade befi ndet sich das Steigenberger Grandho-
tel and Spa mit einem 2 000 m2 großen Wellness-Bereich – mit
Unterwasser-Sprudelliegen, großem Außenbecken und weitläu-
fi ger Saunalandschaft. Wenn nicht gleich die salzhaltige Seeluft
für Wohlbefi nden sorgt, hilft das geschulte Personal gern mit
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WINTER MODE
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Am Freitagabend präsentiert der Berliner Designer seine kommende Wintermode auf der StyleNite. VUEberlin traf ihn in seinem Hauptquartier in Mitte und sprach mit ihm über Jil Sander, seinen Stil und was Daniela Katzenberger damit zu tun hat
⁛ von Wolfgang altmann ⁛
K arl lagerfeld sagt über michael michalsky, dass er für ihn das
Symbol für Berliner mode sei. Ein Ritterschlag. vor allem,
wenn man bedenkt, dass der 44-Jährige sein label erst 2006
gegründet hat. Innerhalb weniger Jahre etablierte sich seine
Stylenite als gesellschaftliches Ereignis, das Prominenz und fachpu-
blikum gleichermaßen anzieht. Der gebürtige göttinger weiß eben,
wie man sich medienstark inszeniert. Das hat er bei adidas gelernt,
wo er zehn Jahre als internationaler Kreativdirektor beschäftigt war.
nach wie vor ist er ein viel beschäftigter mann. neben seiner mode-
linie entwickelt er Kollektionen für mCm und Kappa und berät fir-
men in Designfragen. Im augenblick arbeitet er an seiner Interior-
linie michalsky living.
Herr Michalsky, kann es sein, dass Sie ein Workaholic sind?
natürlich ist das sehr viel arbeit. aber ich definiere das nicht so. mir
macht meine arbeit Spaß. Deshalb gibt es bei mir keine so klare tren-
nungslinie zwischen Job und Privatleben.
Ihre Designphilosophie lautet „Real Clothes for Real People“.
Was bedeutet das?
In der modebranche gibt es zwei Camps: Es gibt einmal die Desig-
ner, die sich als Künstler sehen, weil sie mit ihrer mode oft auch die
grenze zur Kunst überschreiten. Und dann gibt es leute wie mich,
die sich als Designer betrachten – mit dem Ziel, mit den Produkten,
die sie herstellen, möglichst viele leute zu erreichen.
An einem Haute-Couture-Kleid liegt Ihnen also nichts?
Ich bewundere die leute, die das machen, schon. Das finde ich toll,
keine frage. aber das ist nicht die Ecke, aus der ich komme. Ich bin
kein valentino, der im Elfenbeinturm wohnt, sondern ich führe ein
ganz normales leben: Ich gehe gerne aus, fahre mit der U-Bahn oder
mit dem fahrrad. Ich nehme gerne am gesellschaftlichen leben teil.
Ist Ihr Unternehmen ebenso „real“?
Sicher. Bei mir arbeiten ungefähr 80 Prozent frauen, die ihre fa-
milien managen und morgens ihre Kinder in die Kita bringen. Sie
wollen aber auch Karriere machen. Das ist für mich „real“. Deshalb
finde ich das frauenbild, das oft in mailand und Paris gezeigt wird,
zwar cool und inspirierend, das gucke ich mir gerne an, aber ich
kenne unheimlich wenig menschen, für die das wirklich relevant ist.
Was ist an Ihrem Stil relevant?
meine mode ist ein mix aus tailoring, also Schneiderkunst, und
Casual-Elementen. Der Casual-aspekt ist mir sehr wichtig. Denn
das leben vieler menschen hat sich in den letzten Jahren stark ver-
ändert: Es gibt kaum noch leute, die einen klassischen anzug tragen
müssen. In einer Welt, in der gefordert wird, dass wir flexibel, schnell
und mobil sind, wollen die menschen bequeme Klamotten tragen.
Sie bezeichnen Ihre Mode als Produkt. Warum?
Ich entwerfe jedes Stück in meiner Kollektion so, als ob es ein Ein-
zelteil wäre. Jede Jacke, jede Hose muss als Produkt funktionieren
und überzeugen. Erst zur modenschau stellen wir dann aus den
Einzelteilen die looks für den laufsteg zusammen.
Wie gestaltet sich die Kollektionsentwicklung?
am anfang der Saison stelle ich, zusammen mit meinem Produkt-
manager, eine liste zusammen. Darauf steht, was wir überhaupt
brauchen: meinetwegen fünf t-Shirts, zehn Hemden, drei Hosen,
fünf Jacken ... Dann fange ich mit meinem Designteam an, die
Sachen zu entwerfen. natürlich unter dem Überbau eines Kollek-
tionsthemas, das wir am anfang der Saison festgelegt haben, also
farben, materialien und so weiter. mein fokus liegt ganz klar auf
vermarktbarkeit.
Dafür gehen Sie dann zu „RTL Explosiv“ oder laden die Katzen-
berger in Ihren Laden ein?
Das gehört dazu. viele meiner mitstreiter sind sich dessen viel-
leicht noch nicht bewusst, aber wir alle müssen gegen etablierte
marken antreten. Die meisten labels gehören ja zu großen Kon-
zernen wie louis vuitton moët Hennessy, die riesige Werbeetats
haben. Diese Konzerne stecken oft 10 bis 14 Prozent ihres Umsat-
zes in Printkampagnen. Wenn ich das geld dafür hätte, würde ich
das auch tun.
Und wenn nicht?
Dann muss man sich eben überlegen, wie man anderweitig auf-
merksamkeit erregt. Wenn man sich nicht bekannt macht, bekommt
man auch keine nachfrage. Woher sollen denn die leute sonst wis-
sen, dass man als marke überhaupt existiert?
Warum hat Selbstvermarktung oft so ein negatives Image?
missgunst? neid? oft hat das auch damit zu tun, dass manchen
leuten die vision fehlt. als ich damit angefangen habe, Design-
Kooperationen zu machen, gab es ja auch den einen oder anderen
Kollegen, der sich darüber aufgeregt hat. mittlerweile machen es
alle. auch die, die am lautesten geschrien haben: „Das ist ja verrat,
verkommerzialisierung.“ Und was machen sie jetzt? manche koope-
rieren mit Kaufhausketten. Und die, die besonders dagegen waren,
machen flipflops.
PlanetMichalsky
Die StyleNite im Juli – seine zehnte Saison feierte der Designer mit einer Lasershow des Künstlers Gert Hof
13
� New MiNd
Unabhängige Modefirmen – gibt es das überhaupt noch?
Es gibt Dolce & gabbana. Das gehört denen noch. Und armani.
aber ich würde mal sagen, dass drei viertel der Shows in mailand
und Paris von labels sind, die entweder zu louis vuitton moët
Hennessy gehören, zu PPR oder zur Richemont-gruppe.
Bezeichnen Sie sich eigentlich als deutschen Designer?
natürlich, ich bin ja Deutscher und meine firma ist in Berlin.
Gibt es einen deutschen Stil?
Ich glaube nicht, dass es den gibt. genauso wenig gibt es einen
französischen oder italienischen Stil. Die meisten Chefdesigner
der modehäuser in Paris sind doch keine franzosen mehr. genau-
so in mailand. Dort arbeiten ganz viele tolle internationale leute.
Was denken Sie über Jil Sander? Sie gilt doch als „die“ Ikone
der deutschen Mode.
Ich liebe Jil Sander! Sie hat Phänomenales geleistet. aber rich-
tig toll als Designerin war sie erst in den letzten Jahren, als ihr
ihre firma noch gehörte. Und auch nur, weil sie sich ein tolles,
neues team zusammengesucht hatte: unter anderem die rechte
Hand von Yohji Yamamoto. ab da wurde bei ihr alles ein bisschen
avantgardistischer. Ihr Stil war sehr international, luxuriös und
minimalistisch geprägt und hat sehr gut in die neunzigerjahre ge-
passt. aber ich finde nicht, dass das ein speziell deutscher Stil war.
Was soll das denn überhaupt sein? Wenn man zum Beispiel am
flughafen auf mallorca steht und es gehen flieger nach England,
Deutschland und frankreich. Die leute, die dort einsteigen, sind
doch alle gleich gut oder schlecht angezogen. Diese Entwicklung
hat mit den großen textilketten zu tun, wie H&m und Zara, die
in jeder fußgängerzone der Welt das gleiche bieten.
H&M und Zara haben der Mode ihren elitären Charakter
genommen. Ist das Fluch oder Segen?
Diese textilketten machen mode für jedermann zugänglich. Das
finde ich gut. Es ist eben nicht mehr so wie in meiner Jugend, als
man bestimmte Klamotten nur in bestimmten Städten bekam,
etwa in london oder new York. Heute ist das angebot globa-
lisiert. Und auch das, was die Jugend heute trägt, ist weltweit
gleich. alle 13-Jährigen auf der ganzen Welt stehen auf dieselben
marken: adidas, nike und wie sie alle heißen.
Dann scheint die Zeit der großen Jugendkulturen vorbei zu sein?
Das würde ich so nicht sagen. neues entsteht heute, indem man
verschiedene Stile neu kombiniert. Ein gutes Beispiel dafür ist,
dass vor fünf Jahren alle mit diesem Irokesenschnitt herumge-
laufen sind. Eigentlich war das ein Symbol der Punks gegen den
Konsum. Dann hatte plötzlich jeder Super-fußballer, der irgend-
wie trendy war, so ein Hairdo. viele Punks hätten sich im grabe
umgedreht. aber daran sieht man, dass neu zusammengesetzte
Elemente aus verschiedensten Jugendkulturen einen völlig neu-
en Code bekommen.
Was ist Ihrer Ansicht nach die letzte große Jugendkultur?
Das war diese ganze Dance-Culture-geschichte, von der es bis
heute 1 000 Untergruppen gibt.
Finden Sie das schade?
Ich finde es ehrlich gesagt etwas albern, wenn man alten Zeiten
nachtrauert. Das ist ja fast so, wie wenn unsere Eltern sagen: frü-
her war alles besser. Ich lebe sehr gerne in der gegenwart. man
muss die Dinge auch immer im Kontext sehen. amüsant fin-
de ich, dass ich manche Sachen, die jetzt wieder hochkommen,
schon erlebt habe, als sie entstanden sind. Zum Beispiel in der
musik: nach minimal ist jetzt wieder der Early-nineties-House-
Sound im trend. Das war die erste richtige Jugendkultur, die ich
von anfang an mitgemacht habe. Jetzt gibt es neue coole Bands,
die hier irgendwo in Berlin auftreten und sich
an diesem musikstil orientieren.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Berlin?
für mich ist Berlin die tollste und innova-
tivste Stadt überhaupt. mich erinnert das
hier ein bisschen an das new York der späten
achtziger. Ich glaube, dass wir uns in unseren
kühnsten träumen nicht vorstellen können,
was noch alles in den nächsten zehn Jahren
passieren wird. In den fünfeinhalb Jahren, in
denen ich jetzt hier lebe, hat sich die Stadt je-
denfalls schnell und rasant verändert.
Hat sich auch der Klamottenstil gewandelt?
Und ob. vor zehn Jahren sahen alle leute
gleich aus: möglichst unstylisch. Wenn man
jetzt unterwegs ist, sieht man alles. Es gibt
leute, die High fashion tragen, aber auch
welche, die sich selbst etwas nähen – so wie
in den new Yorker Clubs in den achtziger-
und neunzigerjahren.
Wie hat sich nach Ihrer Meinung Berlin als
Modestadt gemacht?
Die Hauptstadt steht für Jeans, Sportswear
und Designerkleidung – eben genau das,
worüber sich mode im 21. Jahrhundert defi-
niert. Denn so ziehen wir uns alle an. Deshalb
ist es auch so toll, dass diese drei Segmente
von der Premium, der Bread & Butter und
der mercedes-Benz fashion Week abgedeckt
werden. Eine solche vielfalt wird sonst an kei-
nem anderen ort der Erde gezeigt. Hier pas-
siert modemäßig mehr, als vielen leuten bewusst ist. marken,
die sich mit ihren Produkten an Jugendliche richten, werden das
irgendwann erkennen.
Berlin hat ja schon jetzt bei den Jugendlichen einen großen
Stellenwert.
Stimmt, das nervt einen ja schon fast ein bisschen, wenn am
freitag die ganzen Easyjet-touristen kommen. aber ich finde
das cool: Die nehmen alle was mit, aber sie bringen der Stadt
auch was. nicht nur ihr geld. Und dieser internationale mix an
jungen menschen und kreativen leuten macht Berlin für viele
Jugendliche interessant. nicht umsonst wählte der „Hollywood-
Reporter“ Berlin zur coolsten metropole on Earth.
Welche Berliner Designer finden Sie interessant?
mir gefallen Kaviar gauche und C’est tout. von den ganz neuen
mag ich Perret Schaad. Es gibt viele gute leute.
In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass die Politik
für den Nachwuchs bessere Strukturen schaffen sollte. Was
meinen Sie damit?
Der Senat beziehungsweise die Wirtschafts-
förderung könnte zum Beispiel ein Zentrum
schaffen, in dem junge Designer darin ge-
coacht werden, wie man ein Business führt:
Etwa mit tipps, wo man welche Zuschüs-
se bekommt, wie man seine Steuern macht
und wie man eine finanzierung bekommt.
Eine möglichkeit wäre auch, aus den vielen
nachwuchswettbewerben, die es so gibt, ei-
nen wirklich relevanten zu gestalten: einen
german fashion award. In amerika gibt es
das ja auch. Dort kümmert sich das CfDa,
das Council of fashion Designers of ame-
rica, um solche Dinge. Ich glaube, dass man
mithilfe eines solchen Programms auch den
Stellenwert von mode in unserer gesellschaft
verbessern könnte.
Ist das denn nötig?
Schon. Denn im gegensatz zu frankreich und
Italien ist mode bei uns nicht im allgemeinen
Kulturgut verankert. als beispiels weise Yves
Saint laurent gestorben ist, lief das in den
französischen nachrichten rauf und runter.
Selbst die trauerfeier wurde übertragen. Und
als die fußball-Weltmeisterschaft in frank-
reich war, wurde beim Endspiel in der Halb-
zeit eine Retrospektive von Yves Saint laurent
im fußballstadion gezeigt. So etwas ist derzeit
in Deutschland nicht denkbar.
Woran liegt das?
Es gibt noch zu wenige Deutsche, die mode
als das betrachten, was sie sein soll: eine mög-
lichkeit, die eigene Persönlichkeit zu unterstreichen. Die Deut-
schen stehen der mode zu ernst gegenüber. gleichzeitig haben
sie noch nicht kapiert, dass modische Kleidung auch ein sehr
gutes Hilfsmittel sein kann, um im eigenen leben voranzukom-
men. andere völker haben das längst verinnerlicht.
Hat die Teilung Deutschlands unsere Modekultur zerstört?
na, so ein bisschen ausgebremst vielleicht. aber das holen wir
jetzt alles nach. Und dass wir auf einem guten Weg sind, sieht
man ja auch daran, dass sich die Berichterstattung über mode
sehr verbessert hat. Ich bin da sehr zuversichtlich.
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Der Sommer wird gelb. Ob für Kleider,
Röcke, Hosen oder Tops – keine ande-
re Farbe war bei den Designern belieb-
ter. Auch Taschenhersteller Bree setzte
auf den leuchtenden Trend und stattete
Fachbesucher der letzten Mercedes-Benz
Fashion Week mit einer kanariengelben
Tasche (rechts) aus
Moderedaktion – Nele Schrinner
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� New Face
M anhattan am 10. September. Alle Models, die
auf der morgigen Custo Barcelona-Show laufen,
werden heute zum Broadway bestellt. Im Haus
mit der Nummer 1410 findet das Fitting statt.
Beim Fitting werden sämtliche Teile an die Größen der Models
angepasst. Das spanische Label hat eigens dafür ein Apparte-
ment angemietet – im gleichen Gebäude, in dem sich auch sein
Showroom befindet. Auf Kleiderständern hängt die gesamte Kol-
lektion: 70 Outfits, die die Models am nächsten Tag vorführen
werden. Unter den Argusaugen von Bernard, der für das Styling
zuständig ist, läuft Antonia auf und ab, das einzige Model aus
Deutschland. Woher genau sie kommt, möchte ich wissen. „Aus
Buxtehude“, antwortet sie. Kein Witz. Auf meine nächste Frage,
ob das ihre erste Show sei, reagiert sie empört. „Ich habe die ak-
tuelle Prada-Kampagne gemacht“, sagt sie. Alles klar: Das Mäd-
chen aus Buxtehude ist bereits big im Modelbusiness.
Das beigefarbene Top, das sie trägt, sitzt noch nicht richtig.
Ein Assistent reicht Bernard Nadeln, der damit das Oberteil ab-
steckt. Veränderungen werden dann gleich im Raum nebenan von
ein paar Näherinnen erledigt. Noch schnell ein Foto für den Ab-
laufplan. Dann ist das nächste Mädchen dran. Über den ganzen
Tag verteilt kommen so alle 33 Models an die Reihe. Auch Andrej
Pejic ist gebucht, der im Augenblick wegen seines androgynen
Aussehens für Furore sorgt. In der Kartei seiner Agentur wird er
als Männermodel geführt, er präsentiert aber auch Frauenkleider.
Seinen Durchbruch hatte er vor einem Jahr auf der Haute-Cou-
ture-Show von Jean Paul Gaultier. Er schickte ihn im Hochzeits-
kleid über den Laufsteg. Seitdem ist er ein gefragtes Topmodel.
Andrejs Fitting-Termin ist um 15.30 Uhr. Deshalb sind
alle schon Stunden vorher in heller Aufregung: Fotografen fin-
den sich ein und Fernsehteams. Sogar Pro7 ist da und macht
eine Reportage über ihn. Pünktlich huscht Andrej fast unbe-
merkt in das Appartement und setzt sich zu den wartenden
Models ins Vorzimmer. Sein blondes Haar sieht vom vielen
Stylen etwas struppig aus. Er trägt ein schwarzes Wollkleid,
dazu klobige schwarze Stiefel. Kokett schlägt er die Beine
übereinander. Und wippt damit, während er auf sein Smart-
phone tippt. Die schöne Blondine soll ein Junge sein? Kaum
vorstellbar bei seinem Anblick: Der 20-jährige Australier hat
nicht nur Gesichtszüge wie ein Mädchen, er benimmt sich
auch so. Plötzlich wird er von einem TV-Team bemerkt, das
sich regelrecht auf ihn stürzt. Mit der Ruhe ist es jetzt vorbei.
Von nun an sind Kamera-Augen sein ständiger Begleiter. Sie
verfolgen ihn auf Schritt und Tritt: als ihn Bernard, der Sty-
ling-Chef, begrüßt und ihm anschließend sein Outfit zeigt ...
Selbst als er sich umziehen will, möchte die Fernsehcrew dabei
sein. Doch Andrej winkt ab. Das geht ihm dann doch zu weit.
Inzwischen ist auch Custo eingetroffen – der Designer
höchstpersönlich. Seine Haut ist mediterran gebräunt. Sein
lockiges Haar, wie immer, zurück gegelt. Auch er möchte An-
drej sehen. Schließlich ist er das Model, das seine Show eröff-
nen wird. „Er ist ein großartiger Typ“, schwärmt Custo mit
tiefer, kräftiger Stimme. „Weil er eben beides hat: eine männ-
liche und eine weibliche Seite.“ Dass ausgerechnet ein Macho
wie er das sagt, verwundert ein bisschen. Steht Custo jetzt auf
Ladyboys? „Ich betrachte das eher mit Humor“, rechtfertigt
Verwirrung bei Custo Barcelona Auf der letzten Mercedes-Benz Fashion Week in New York sorgte der spanische Designer Custo für eine Überraschung. Auf der 30. Jubiläumsshow seines Labels Custo Barcelona lief Andrej Pejic. Das Topmodel ist ein androgyner Mann, der mit seinem Verwirrspiel rund um sein Geschlecht die Modewelt fasziniert. Wir haben
bei den Vorbereitungen hinter die Kulissen geschaut
Junge oder
Mädchen?⁛ VON WOLFGANG ALTMANN ⁛
Junge und Mädchen – Topmodel Andrej Pejic spielt beide Rollen perfekt
18
� New Face
er sich. Das ganze Verwirrspiel sei doch nur ironisch gemeint.
Frisch umgezogen präsentiert sich Andrej der versammelten
Mannschaft im Custo Barcelona-Look: Er trägt eine Bluse
mit psychedelischen Prints, einen kurzen Rock und eine halb-
lange Jacke im Trenchcoat-Stil. Wie seine Kolleginnen läuft
er mit High Heels auf und ab und spitzt dabei seine Lippen.
Alle staunen, auch Bernard. Er lächelt – alles toll gemacht.
Am nächsten Tag treffen wir Andrej wieder: zwei Stunden
vor der Show im Backstage-Bereich. Es herrscht hektisches Trei-
ben. Auf Klappstühlen sitzen Models, die von unzähligen Ma-
ke-up-Artisten und Hair-Stylisten „bearbeitet“ werden. Es wird
geschminkt und geföhnt. Manche bekommen einen neuen Haar-
schnitt verpasst. Überall laufen Menschen herum: Journalisten,
Moderedakteure, Kameraleute. Doch von alldem zeigt sich Andrej
unbeeindruckt. Er verdrückt genüsslich einen Burger, tippt wieder
auf sein Smartphone und scherzt mit den anderen Model-Jungs.
Die scheinen ihm lieber zu sein als seine weiblichen Kollegen.
Jetzt ist auch er an der Reihe. Wie alle anderen bekommt er „einen
natürlichen Sommerteint mit leichtem Schimmer“ verpasst, so
lautet die Ansage des Make-up-Chefs. Während sein Haar streng
gescheitelt wird, beantwortet er geduldig Journalisten-Fragen. Ob
wir ihn als Jungen oder als Mädchen sehen sollen, möchte eine
Redakteurin wissen: „Interpretiert doch in meine Person, was ihr
wollt“, lautet seine lapidare Antwort. Er fühle sich in beiden Rol-
len wohl. In der Tat bringt er auch beide Rollen souverän rüber.
Indes kontrolliert Bernard im Raum nebenan, der zum
Laufsteg führt, die Outfits. Ist alles komplett? Wo sind die
Schuhe? Stimmen die Accessoires? Auch Custo ist da und
gibt schon wieder Interviews. Noch fünf Minuten bis zur
Show. Höchste Zeit, dass die Models in ihre Outfits schlüp-
fen. Modeschüler helfen ihnen und ziehen Netze über ihre
Köpfe, damit keine Schminke auf die Kleider abfärbt. Dann
ruft einer die Namen: Alle sollen sich in einer Reihe aufstel-
len! Andrej führt die Model-Riege an. Ein Make-up-Artist
tupft noch schnell den Schweiß von seiner Stirn. Custo zupft
an seinem Rock. Zu spät. Jetzt beginnt die Show. Unter trei-
benden Electro-Beats betritt Andrej, gemeinsam mit einem
Männermodel, den Laufsteg. Ihre Outfits sind perfekt aufein-
ander abgestimmt. Ein Partnerlook für sie und ihn, in diesem
Falle für ihn und ihn. Es folgen weitere Looks im typischen
Custo Barcelona-Style – schrill, bunt und extravagant. Zuge-
geben, diese Mode ist in unseren Breitengraden nicht gerade
alltäglich. Im mediterranen Raum aber ist sie der Renner.
Auch bei seiner 30. Show ist der spanische Designer seinem
Stil treu geblieben. Gegen Ende wartet er allerdings noch
mit einem Highlight auf: Er zeigt Kleider bedruckt mit psy-
chedelischen 3-D-Motiven. Als sie die Models präsentieren,
kramen die Zuschauer hektisch nach den 3-D-Brillen, die
der Einladung beigelegt waren. Auch Andrej führt eines die-
ser Kleider vor. Und Antonia aus Buxtehude. Wow, wirklich
schräg diese Optik.
Wirkt chaotischer als es ist. Im Backstage ist alles straff
durchorganisiert
Zwei Jungs im PartnerlookStyling-Chef Bernard (Mitte) bringt das Outfit auf Antonias Modelfigur
ER läuft mit HigH Heels AuF uND AB uND spitzt
seine lippen
B A D B R A I N S , 1 9 8 2
Be a member of the Bright BrigadeRegister at www.brighttradeshow.com
January 19 till 21, 2012. Berlin
J A N U A R Y 1 9 – 2 1 , 2 0 1 2 / B E R L I NW W W . B R I G H T T R A D E S H O W . C O M
20 21
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Anton & Antonia
Antonia: Jacke & Rock Current/elliott Bluse Mongrels in CoMMon schuhe Weekday stRumpfhose Privat Anton: Jacke & hose levi's Hemd Hugo ScHuHe Weekday socken Falke
kein Witz. unsere beiden Models heißen wirklich so: anton und antonia. das klingt poetisch und passt zu unserer idee, Jeans einmal ganz edel zu präsentieren. dafür sind wir dem Berliner verlag sogar aufs dach gestiegen, um dem Himmel über Berlin ganz nahe zu sein. die perfekte kulisse für unsere Farbkomposition aus Himmelblau und Wolkenweiß
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� xxxxx
Anton: tRenchcoat Hien le Hemd edWin kRawatte Herr von eden HoSe diesel schuhe CaMPer togetHer WitH BernHard WillHelM Antonia: Jacket g-star raW kleid MiCHalsky Stirnband anat Fritz ScHuHe vladiMir karaleev leggings & socken Privat
oben Anton: Jacke & hose g-star raW weste lee hemd rePlay schuhe united nude socken Falke Antonia: kleid vladiMir karaleev Bikini diesel ÄRmel Falke schuhe united nude kniestRümpfe Privat Unten links Anton: Jacket Herr von eden hemd & hose
Wood Wood schuhe santoni socken Falke Unten rechts Antonia: hemd g-star raW Bluse lieBig güRtel FiliPPa k hose tiger oF sWeden schuhe CaMPer socken & stiRnBand Privat Anton: Jacke slvr hemd lee hose nudie Jeans stiefel dr. Martens
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Antonia: Jacket Hugo hemd g-star raW hose Current/elliott schuhe Billi Bi socken PrivatAnton: hemd PrPs goods & Co.
Antonia: kleid levi's Made & CraFted petticoat tHeaterkunst stiRnBand anat Fritz schuhe santoni socken Falke leggings Privat
Fotografin – Claudia goetzelmann (aando-berlin.com) ⁞ Produktion & styling – nele schrinner (neleschrinner.com) ⁞ Haare & Make-up – sarah Marx (sarahmarx.com) ⁞ Creative assistant – steve rubert ⁞
Models – antonia (vivamodels.de) & anton (izaio.de)
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� New Look
D as Atelier, in dem Patrick Mohr seine Mode kreiert, ist weiß und steril. Nichts liegt he-
rum: keine Stoffballen, keine Schnitte, keine Spur von kreativem Chaos. Und auch
von Patrick Mohr fehlt jede Spur, als ich ihn in seiner Münchner Werkstatt besuche.
Eine Mitarbeiterin bittet mich um etwas Geduld und bietet mir einen Platz auf
dem Sofa an. Von hier aus hat man einen guten Blick auf die Entwürfe, die als technische
Zeichnungen an den Wänden hängen. Offenbar ist Mohr auch in seiner Winterkol-
lektion seinem Markenzeichen, dem Dreieck, treu geblieben. Dann taucht er auf: ein
großer hagerer Typ mit mönchsartigem Rundhaarschnitt und einem Blick, der ein
bisschen an Klaus Kinski erinnert. Der Designer trägt ein schwarz-weißes Top
zu dunklen Jeans, darüber ein schwarzes Jackett – alles unverkennbar Mohrs
Handschrift. Seine Entwürfe haben kaum klassische Elemente. Stattdessen
spielt er mit Längen und Proportionen, kombiniert übergroße Tops zu
Bomberjacken und Pluderhosen zu ärmellosen Sakkos. Viele können
mit der Arbeit des 31-Jährigen nichts anfangen. Andere verehren ihn
als Visionär, seiner Zeit um Lichtjahre voraus. Vor zweieinhalb Jah-
ren zeigte er zum ersten Mal auf der Mercedes-Benz Fashion Week
und strapaziert seither immer wieder aufs Neue den Sehnerv des
Betrachters.
Sein Studium an der Münchner Modeschule Esmod ab-
solvierte Mohr 2007 als Bester seines Jahrgangs. Schon
damals verwendete er das Dreieck, das sich bis heute
wie ein roter Faden durch jede Kollektion zieht. Er
benutzt es als Deko-Element an Krägen, als Stoff-
einsatz an Kapuzen oder als Ausschnitt-Form.
Auf die Frage, was das Dreieck für ihn bedeute,
verzieht er das Gesicht: „Das ist die Frage, die
ich am meisten hasse.“ Trotzdem erzählt er
munter darauf los, dass er irgendwann
Er schickt Obdachlose über den Laufsteg, fährt Bodybuilder auf Sackkarren auf den Catwalk und schminkt Models bis zur Unkenntlichkeit. Seine obskuren Modenschauen sind ebenso prägnant wie die Dreiecke an all seinen Kleidungsstücken. Wir wollten wissen, wie dicht Genie und Wahnsinn beim Münchner Designer beieinander liegen und haben ihn in seiner Heimatstadt besucht
Patrick Mohr⁛ VON WOLFGANG ALTMANN ⁛
Ein tolles Gespann: der Münchner und sein Dreieck
vor sechs Jahren aufgewacht sei und es seitdem in seinem Leben wäre. Als Beweis zeigt er seine Täto-
wierung am Bauch. „Ich führe eine ganz tolle Ehe mit dem Dreieck“, sagt er mit bayerischem Akzent.
Und ich komme mir vor wie in einem Achternbusch-Film. Dennoch: Patrick Mohr hat das Dreieck
wirklich entdeckt. Und zwar lange bevor es Einzug in den Mainstream hielt. Mittlerweile kommt keine
Independent-Band mehr ohne Triangle aus. Dieses Symbol sieht man überall auf Plakaten. Vor einem
Jahr modifizierte selbst der Musiksender Viva sein Logo in vier aneinandergereihte gleichseitige Dreiecke.
Ein weiteres Merkmal, das den Stil Patrick Mohrs von Anfang an prägt, ist sein androgyner Look. Er
ist weder feminin noch maskulin, sondern liegt irgendwo dazwischen: „Für mich sind Männer und
Frauen gleich“, sagt er und reißt dabei ein Päckchen Ahoj-Brause auf. „Mich nervt das eh alles: dieser
Unterschied, der immer gemacht wird“, schimpft er und fängt hastig an zu naschen. Als Zeichen
seines Unmuts schickte er vor zwei Jahren Bodybuilder – Männer wie Frauen – auf den Laufsteg.
Sie wurden mit Sackkarren auf den Catwalk gekarrt, waren mit Zuckerstückchen vorm Mund
geschmückt und sahen damit aus, als ob sie Hasenzähne hätten. Ein Unterschied zwischen
den Geschlechtern war nicht mehr festzustellen. Die Idee dazu hatte er, als er zufällig ei-
nem Zwitter beim Saunieren begegnete. „Ich betrachte uns als dasselbe Wesen“, findet
er. „Wir sollen auch die gleichen Klamotten tragen.“
Dass er mit seiner Mode eine Botschaft transportiert, sah man bereits bei seiner
ersten Modenschau im Sommer 2009. Damals schickte er Obdachlose über den
Laufsteg – für viele ein Schock. „Ich wollte zeigen, dass es auch noch eine an-
dere Schicht gibt“, erklärt er. „Uns gehts nicht allen gut. Mein Ziel war es, die
Leute zum Nachdenken zu bringen.“ Das ist ihm ohne Zweifel gelungen.
Patrick Mohr, der in Mainz geboren wurde und in Rosenheim aufge-
wachsen ist, kennt das Gefühl, ganz unten zu sein. „In der Schule war
ich immer das schwarze Schaf, der typische Außenseiter“, murmelt
er und hustet, weil er sich zu viel Brausepulver in den Mund ge-
streut hat. Solidarität als Form kreativen Ausdrucks.
Doch Patrick Mohr ist auch Geschäftsmann, der die Spielre-
geln kennt. „Klar bin ich Künstler und Designer, aber ich
bin auch Unternehmer“, betont er. „Das A und O ist das
Geldverdienen.“ Mittlerweile sind seine Modenschau-
en etwas ruhiger geworden. Nicht mehr die wilde
Inszenierung steht im Vordergrund, sondern seine
Arbeit, die sich immer mehr zu einer tragbaren
Kollektion entwickelt hat. Und das mit dem
androgynen Look sieht er auch nicht mehr
so eng. Denn betrachtet man die Ent-
würfe an der Wand genauer, stellt man
fest, dass es Outfits für Männer und
für Frauen gibt. „Wenn man mit
Mode Geld verdienen will, muss
man eben die anatomischen
Gegebenheiten berücksich-
tigen“, weiß Patrick Mohr.
Was hält er eigentlich
vom Rock für den
Mann? „Nichts. Den
macht doch Marc
Jacobs schon.“
Neele Hehemann
Mandy Bork
Marie Nasemann
Kaum wieder-zuerkennen: Germany’s
Next Topmodels auf der letzten Sommershow
Der Mann von morgen trägt Patrick Mohr
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)
� NEW MEDIA
Sie schreiben über alles, was so anliegt in der Mode, darü-
ber, dass „wir im Sommer viele kleine Umhängetaschen
sehen werden“, dass auf der Mercedes-Benz Fashion
Week „Kaviar Gauche besonders überzeugend war“ oder
dass „Color Blocking auch weiterhin ein Thema bleiben wird“.
Die Statements der Modeblogger werden ernst genommen. Ganz
selbstverständlich lädt man sie zu den Schauen ein. Sie reisen
in die Modemetropolen zu den Fashion Weeks und sind dabei,
wenn Labels ihre Kollektionen der Presse vorstellen. In den Print-
medien und im TV geben Bloggerinnen wie Mary Scherpe von
„Stil in Berlin“ oder Katja Schweitzberger von lesmads.de schon
mal Interviews als Expertinnen in Stilfragen. Spätestens seit 2009
ist es offi ziell, dass keiner mehr an Modeblogs vorbeikommt.
Damals berichteten internationale Nachrichtenblätter wie „The
New York Times“ und „Financial Times“ über zwei Blogger, die
auf der Mailänder Fashion Week „front row“ saßen. Ein Privileg,
das bis dato Mode-Koryphäen wie Suzy Menkes oder Anna Win-
tour vorbehalten war. Eine neue Generation von Mode-Insidern,
die das Web 2.0 für sich zu nutzen wissen, hat sich zu Wort ge-
meldet und die über Jahrzehnte festgefahrene Hierarchie in der
Modewelt ein wenig ins Wanken gebracht.
Das Modegeschehen auf Blogs ist subjektiver und indi-
vidueller im Vergleich zu dem, was klassische Magazine ver-
mitteln. Welche Bilder ein Blogger auswählt und was er dazu
schreibt – immer folgt er seiner eigenen ästhetischen Visi-
on. Tagebuch-Elemente wie „Look des Tages“ zeigen den
Schreibenden oft privat. Beim Foto zum Beitrag „Fran-
senshirt in Blau/Grün“ auf modepilot.de zum Beispiel,
trägt die Autorin selbst das Shirt beim Strandurlaub.
Lara Maria Gräfen, die in Berlin lebt und über Mode
schreibt – ihren Blog BelleOnEarth bezeichnet sie
als „personal moodboard“ – sagt dazu: „Die Leu-
te schauen sich bestimmte Blogs auch an, weil
ihnen die Macher sympathisch sind und weil
man deren Entwicklung miterleben kann.“
Dass Leser Kommentare hinterlassen kön-
nen, verstärkt zusätzlich den persönlichen
Bezug. Michael Michalsky fi ndet es „auf
der einen Seite cool, dass heutzutage jeder einen Blog schreiben
kann, auch ohne Fachwissen zu haben. Auf der anderen Seite
muss man aber wissen, dass das oft nur subjektive Meinungen
sind. Die Mode ist da nicht anders als Fußball. Da weiß auch
immer jeder alles besser.“
Auch wegen der Schnelligkeit und Aktualität, mit der
Modeblogs Trends und News aus der Fashionwelt aufgreifen,
werden sie geliebt. Anders als die Inhalte eines Modemaga-
zins erfordert ein Blogpost keine lange Vorlaufzeit. Gibt es
eine interessante Neuigkeit, wird schnell und spontan re-
agiert. Die Nachricht beispielsweise, dass H&M schon kurz
nach der Zusammenarbeit mit Versace eine Kooperation mit
dem Designerlabel Marni plant, verbreitete sich innerhalb
weniger Stunden wie ein Lauffeuer auf den Blogs und den
mit ihnen vernetzten Social Media-Kanälen. Modemacher
und PR-Spezialisten setzen längst auf diesen Schnelligkeits-
Vorsprung, den Modeblogs gegenüber traditionellen Ma-
gazinen haben. Vielmehr haben sie auch gar keine andere
Wahl, wenn sie mit ihren Produkten im Gespräch bleiben
wollen. Markenkooperationen sind von daher eine Option
für Blogger geworden, Einnahmen zu erzielen. Und diese
nutzen sie auch.
Als das Phänomen „Modeblog“ um 2005 erstmals für
breitere Aufmerksamkeit sorgte – zum Beispiel mit dem US-
amerikanische Streetstyle-Blog The Sartorialist – war Berlin
gerade dabei, als internationale Modestadt wahrgenommen zu
werden. Schon bald bloggte man auch von hier aus in die Mo-
dewelt. 2006 startete die damals 23-jährige Mary Scherpe ihren
Streetstyleblog Stil in Berlin. „Der Hype um Berlin war schon
da, als ich mit dem Blog angefangen habe“, erzählt sie. Für sie,
wie für alle anderen Modeblogger, die in der Hauptstadt leben,
ist Berlin sowohl inspirierende Modestadt, als auch der Ort ihres
Alltags. Bei Mary Scherpe war der Name „Stil in Berlin“ stets Pro-
gramm. Ihre ersten Einträge waren Fotos von Leuten mit inter-
essanten Outfi ts auf den Straßen Berlins der unterschiedlichsten
Bezirke. Sie trugen Titel wie „Mauerpark“, „Voltastraße“, „That’s
so green around Schlesische Straße“ oder auch „Kottbusser Tor:
Sandra“. „Klar“, sagt Scherpe, „ist Berlin superwichtig. Ohne
die Stadt würde es den Blog nicht geben. „ Berlin ist die Basis
und die wichtigste Inspiration.“ Heute liest sich „Stil in Ber-
lin“ wie ein anspruchsvolles Magazin. Mehr Text ist dazuge-
kommen, vor allem Interviews. Immer noch ist der Fokus auf
Menschen und deren persönliche Stil-Geschichten gerichtet.
Auch spürt man den Seitenblick auf die internationale High
Fashion. Mary Scherpe schätzt an Berlin, dass es so divers ist.
„Es gibt immer wieder Tausende von Szenen, von denen man
noch nichts weiß. Sie defi nieren die Stadt und beeinfl ussen
Mode und Kunst.“ Ähnlich sieht es Fenke Gabriel-Schwan.
Die Accessoire-Designerin betreibt mit ihrem Partner Alex
seit 2007 den Blog Trés Plus Cool. Sie fi ndet, „dass ein Blog
durch eine Stadt wie Berlin sehr reichhaltig wird. Hier muss
man einfach sein, wenn man in Deutschland was mit Mode
macht.“ Sogar den Touristen in Berlin kann Fenke etwas abge-
winnen. „Die sind kreativ und inspirierend. Ganz anders als in
Köln, wo wir früher gelebt haben.“ Auf trespluscool.com teilen
Fenke und Alex alles, was sie in Sachen Lifestyle und Mode in-
spiriert: Blickfänge aus Design, Kunst, Food oder Handwerk.
Man fi ndet darunter auch Bastelanleitungen, etwa für hübsche
geometrische Papierschälchen.
Ein anderer Modeblog aus Berlin ist Allet ohne Schminke. Er
wird von den beiden Berlinerinnen
Camilla und Annika gemacht.
„Berlin ist prinzipiel l un-
glaublich wichtig für unser
Modeverständnis,“ sagt die
28-jährige Camilla Rando,
die hauptberufl ich in einer
Werbeagentur arbeitet. „Wir
sind hier ja groß geworden.
Die Menschen, die hier leben
und das junge ungewöhnliche
Design, das Berlin hervorbringt
– das alles beeinflusst uns sehr.“
Als sie 2007 mit ihrem Blog anfi ngen,
haben Camilla und Annika auch Vi-
deos von interessanten Berliner Shops
gemacht und ins Netz gestellt. „Wir
wollten den Leuten zeigen, was es mo-
detechnisch alles gibt in Berlin.“
Inhaltlich verfolgen sie keine
bestimmte Richtung. „Das
sind einfach wir, was uns
interessiert und bewegt.
Manchmal ist das mehr
Kunst und Design oder
einfach was sonst so los
ist in Berlin.“ Ein weiteres
Highlight unter den Berli-
ner Modeblogs ist mode-
koerper.de von Mahret
Kupka. Er ist nicht nur
inspirierend, sondern auch
kritisch. Wenn Kupka über
Mode spricht, lässt sie auch The-
men wie Geschlechterstereotype nicht
aus. Die Texte und Rezensionen der Kultur-
wissenschaftlerin haben immer einen medien- und
kulturtheoretischen Background. Schon seit 2006 bloggt
sie über Mode und Kunst, damals noch auf f &art.
Die Bandbreite der Berliner Modeblogs ist groß. Klar unter-
scheiden sich einige nicht unbedingt von denen, die andernorts
gemacht werden. Viele zeigen aber mehr Mut, Neues auszupro-
bieren, oft mit mehr Originalität oder Anspruch als gewöhnlich.
Festzustellen ist auch, dass manche immer professioneller wer-
den. Mit ihrem Männermodeblog dandydiary.de etwa, bieten
David Kurt Karl Roth aus Berlin und Carl Jakob Haupt aus Ham-
burg ein Repertoire, das es mit vielen Männermode-Magazinen
aufnehmen kann. Es gibt Berichte über Fashion Weeks in euro-
päischen Metropolen und regelmäßige Rubriken wie „Dandy of
the Week“, in der kürzlich Klaus Kinski und Rolf Eden vorge-
stellt wurden. Partytipps geben sie ebenfalls. Die beiden Jungs
nehmen nie ein Blatt vor den Mund, egal um welches Thema es
geht. Auch mit dem Mehrwert für den Leser ist es den Jungs von
„Dandy Diary“ ernst. Neulich war der Blogpost „Drei Dinge, die
es bei Dandy Diary niemals geben wird“ zu lesen. Dazu zählen
„ein Adventskalender mit liegen gebliebener Ramschware von
zwielichtigen PR-Agenturen“ und „Fotos von Einladungen zu
zweitklassigen Kollektionspräsentationen“. Mary Scherpe, die
gerade ihre Magisterarbeit in Kunstgeschichte fertiggestellt hat,
kann zwar, wie viele andere, von ihrem Blog leben. Dessen unab-
hängiger Charakter bleibt trotzdem weitgehend gewahrt. Denn
die Beiträge selbst sind von Werbung klar unterscheidbar. Fotos,
die im Zusammenhang einer Kooperation entstanden sind, wer-
den als solche kenntlich gemacht, zum Beispiel mit „Stil in Ber-
lin for Urban Outfi tters“. Auf Facebook hat „Stil in Berlin“
inzwischen sogar etwa ein Drittel mehr Fans als die
deutsche „Elle“. Die Professionalität eines Blogs
verträgt sich aber auch mit inhaltlicher Verän-
derung. „Bei mir gab es nie ein Konzept. Ich
habe immer gemacht, worauf ich Lust hatte,
was gerade passte“, sagt Mary Scherpe. Wie
sich alles entwickeln würde, war
nie abzusehen: „Das mag ich
eigentlich am Bloggen am
meisten, dass ich völlig frei
bin und mich treiben lassen
kann.“ Die Berliner Mode-
blogger zeigen, wie reichhal-
tig die Modewelt sein kann,
wenn es darin Persönlichkei-
ten gibt, die einen eigenen
Standpunkt vertreten. Hof-
fentlich bleiben möglichst
viele von ihnen dem Thema
Mode treu.
Fashion-Blogs erobern die Modewelt. Auch Berliner überzeugen mit ihren facettenreichen Beiträgen, mit denen sie längst zur Konkurrenz von traditionellen Fashion-Magazinen geworden sind
VON SANDRA PRAVICA, ILLUSTRATION MICHI SCHNAUS
wird von den beiden Berlinerinnen
Camilla und Annika gemacht.
„Berlin ist prinzipiel l un-
glaublich wichtig für unser
Modeverständnis,“ sagt die
28-jährige Camilla Rando,
die hauptberufl ich in einer
Werbeagentur arbeitet. „Wir
sind hier ja groß geworden.
Die Menschen, die hier leben
und das junge ungewöhnliche
Design, das Berlin hervorbringt
– das alles beeinflusst uns sehr.“ – das alles beeinflusst uns sehr.“
Als sie 2007 mit ihrem Blog anfi ngen,
haben Camilla und Annika auch Vi-
deos von interessanten Berliner Shops
gemacht und ins Netz gestellt. „Wir
wollten den Leuten zeigen, was es mo-
detechnisch alles gibt in Berlin.“
Inhaltlich verfolgen sie keine
bestimmte Richtung. „Das
sind einfach wir, was uns
interessiert und bewegt.
Manchmal ist das mehr
Kunst und Design oder
einfach was sonst so los
ist in Berlin.“ Ein weiteres
Highlight unter den Berli-
mode-
von Mahret
es bei Dandy Diary niemals geben wird“ zu lesen. Dazu zählen
„ein Adventskalender mit liegen gebliebener Ramschware von
zwielichtigen PR-Agenturen“ und „Fotos von Einladungen zu
zweitklassigen Kollektionspräsentationen“. Mary Scherpe, die
gerade ihre Magisterarbeit in Kunstgeschichte fertiggestellt hat,
kann zwar, wie viele andere, von ihrem Blog leben. Dessen unab-
hängiger Charakter bleibt trotzdem weitgehend gewahrt. Denn
die Beiträge selbst sind von Werbung klar unterscheidbar. Fotos,
die im Zusammenhang einer Kooperation entstanden sind, wer-
den als solche kenntlich gemacht, zum Beispiel mit „Stil in Ber-
lin for Urban Outfi tters“. Auf Facebook hat „Stil in Berlin“
inzwischen sogar etwa ein Drittel mehr Fans als die
deutsche „Elle“. Die Professionalität eines Blogs
verträgt sich aber auch mit inhaltlicher Verän-
derung. „Bei mir gab es nie ein Konzept. Ich
habe immer gemacht, worauf ich Lust hatte,
was gerade passte“, sagt Mary Scherpe. Wie
sich alles entwickeln würde, war
nie abzusehen: „Das mag ich
eigentlich am Bloggen am
blogger zeigen, wie reichhal-
tig die Modewelt sein kann,
wenn es darin Persönlichkei-
ten gibt, die einen eigenen
Standpunkt vertreten. Hof-
fentlich bleiben möglichst
viele von ihnen dem Thema
Mode treu.
VON SANDRA PRAVICA, ILLUSTRATION MICHI SCHNAUS
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� Street Style
Deutsch-Spanierin Seit 2008 in Berlin, um bei der Bread & Butter zu arbeiten
Position Produkt managerin Street Fashion Area | Freizeit-Tipp Burger essen im White Trash in der Schönhauser Allee
Jacke Vintage Hemd ReVeRse JeanS LeVi‘s (Vintage) BootS DR. MaRtens Pelz Vintage ringe OMa unD FLOhMaRkt
Oberschwabe Seit Juli 2001 in Berlin zum Lernen, Lieben, Leben
Position Senior-Projekt manager Online Media | Freizeit-Tipp Loslaufen und die Augen aufhalten
mantel suRFace tO aiR HoSe g-staR Raw BootS ReD wing shOes mütze stetsOn HandScHuHe ROeckL
Deutsch-Israelin Seit 1985 in Berlin, weil meine Eltern von Israel nach Europa wollten
Position Produktmanagerin Sport & Street Area | Freizeit-Tipp c/o Berlin, Volksbühne und Spazierengehen am Ufer der Museumsinsel
Jacke caRhaRtt Sweater secOnD FeMaLe JeanS acne BootS DR. MaRtens ScHal cOs
Niederländer Seit Februar 2010 in Berlin, weil mich die Bread & Butter aus Amsterdam entführt hat
Position Produktmanager Sport & Street und L.O.C.K. Areas | Freizeit-Tipp Mit dem Fahrrad Berlin erkunden
Jacke BaRBOuR Pullover RaLph LauRen Hemd & JeanS acne BootS cLaRks mütze kangOL
Deutsch-JapanerinSeit Juli 2010 in Berlin, weil ich nach sechs Jahren Auslandsaufenthalt Sehnsucht nach Deutschland hatte
Position Produkt managerin Style Society und Fashion Now Areas | Freizeit-Tipp Flohmarkt am Arkonaplatz
mantel FiLippa k BluSe ViVienne westwOOD JeanS Just FeMaLe Stiefel chLOé HandScHuHe Vintage
Die Bread & Butter geht in dieser saison ins elfte Jahr. grund genug für uns,
elf Mitarbeiter zu befragen, was sie tragen, was ihnen an Berlin gefällt und woher sie eigentlich kommen.
Das ergebnis verblüfft: Die crew ist genauso multikulti wie unsere hauptstadt
Fotograf – stefan Maria Rother haare & Make-up – Manuela halligan
Fotoassistenz – Janina steinmetz
↪ Mayra Fateh (25)
↪ WolF hiller (38)
↪ Mika MoriyaMa (30)
↪ Michal tesler (27) ↪ Joey W. elgersMa (32)↪ cecilia ritter (37)
↪ Fares gaBriel hadid
Deutsch-ArgentinierinSeit 1999 in Berlin (mit 5-jähriger Barcelona-Unterbrechung),weil das kulturelle Angebot unschlagbar ist
Position Event-Produktionsmanagerin | Freizeit-Tipp Tapas-Bar Gastón in der Weserstraße
Blazer DenhaM the JeanMakeR t-SHirt kuyichi JeanS cuRRent/eLLiOtt BootS Vintage mütze cOs
11x BerlinDeutsch-Syrer
Seit 1996 in Berlin, weil es hier möglich ist, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit in verschiedenen Gesellschafts-schichten zu bewegen und sich davon inspirieren zu lassen
Position Produktmanager Urban Superior Area | Freizeit-Tipp City Chicken-Imbiss in Neukölln
Jacke Vintage SHirt & JeanS nuDie Jeans BootS ReD wing shOes Hut san DiegO hat cOMpany
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� Street Style
KroatinSeit April 2010 in Berlin, weil diese Stadt viele Möglichkeiten bietet, sich selbst zu verwirklichen
Position Mitarbeiterin PR & Communication | Freizeit-Tipp Hotel-Bar in der Mariannenstraße
Parka Just FeMaLe Jacke Vintage kleid MByM StrumPfHoSe aMeRican appaReL BootS ReD wing shOes
Deutsch-FilipinoSeit September 2008 in Berlin, weil es für mich die mit Abstand kreativste Stadt Europas ist
Position Store Manager 14 oz. | Freizeit-Tipp Streifzug durch den angesagten Bezirk Kreuz-Kölln
Jacke & JeanS LeVi's Vintage cLOthing SHirt MeRz B. schwanen Sneaker cOnVeRse
PerserinSeit 1987 in Berlin, weil es hier charmant und multikultu-rell, aber auch spießig und trendy, hässlich und schön, reich und arm zugleich ist
Position Teamleiterin Active Guest Management | Freizeit-Tipp Fahrradtouren im Grunewald
Jacke wOOLRich JeanS BLue BLOOD Stiefel DR. MaRtens
Deutsch-GhanaerSeit September 1971 in Berlin, weil das meine Eltern wahrscheinlich an einem lauschigen Sommerabend entschieden haben
Position Direktor Active Guest Management | Freizeit-Tipp Spazierengehen am Schlachtensee
Hemd Lee JeanS ateLieR LaDuRance ScHuHe pOinteR HandScHuHe MaMMut Brille Ray Ban
↪ Marianne skvorc (31)
↪ daniel Werner (31)
↪ christian BroWn (40)
↪ yalda Javadi (37)
34 35
� NEW GENERATION
Talking ’bout my
GENERATION D ie Messeplattform Seek, in direk-
ter Nachbarschaft zur Premium,
ist eine Oase für anspruchsvolle
Designermode. Hier fi nden Ein-
käufer aus aller Welt eine kleine, aber feine
Auswahl an internationalen Labels, haupt-
sächlich aus Skandinavien und England.
Sie heißen Surface to Air, Kitsuné, Soul-
land oder John Smedley und sind meist nur
eingefl eischten Fashionkennern bekannt.
Schlicht, tragbar, funktional – so lauten die
Attribute dieser Mode. Sie richtet sich vor
allem an Männer um die 30, die sich mo-
dern kleiden wollen, ohne albern auszuse-
hen. Einer von ihnen ist Oliver Saunders,
der als Kreativdirektor für das inhaltliche
Konzept verantwortlich ist. Mit seinen 32
Jahren ist er ein Kind seiner Generation.
Herr Saunders, was bewegt die Genera-
tion Internet?
Von einer Bewegung kann man eigentlich
nicht sprechen. Sodass man sagen könnte:
dieser Look, diese Musik ist gerade ange-
sagt. Durch das Internet ist alles jederzeit
verfügbar. Viele Dinge passieren parallel.
Ich zum Beispiel höre ganz unterschiedli-
che Musik: Country, Folk. Neulich habe ich
Pearl Jam für mich entdeckt. Es ist schwie-
rig, das auf einen Nenner zu bringen.
Auch, was in der Männermode gerade
passiert?
Ich sehe schon einen eher klassischen, –
vielleicht ist das nicht das richtige Wort
– einen normalen Look: Hemden in einer
schönen Qualität. Oder Anzüge, die auf
eine moderne Art getragen werden. Mit
einem simplen Shirt.
Wie wichtig ist Qualität?
Sehr wichtig. Vor allem die Stoffqualität
zeichnet die Marken, die sich auf der Seek
präsentieren, aus. Die Sachen müssen sich
gut auf der Haut anfühlen. Das ist unser
Alleinstellungsmerkmal. Denn Klamotten,
wie man sie in konventionellen Einkaufs-
straßen bekommt, können dieses Gefühl
nicht bieten. Darum geht es aber in der
Mode. Vor allem Männern wird das immer
mehr bewusst. Sie wollen keine schnell-
lebigen Trends – das ist eher die Frauenecke
– sondern Produkte, von denen sie länger
etwas haben. Sie kosten zwar ein bisschen
mehr, dafür hat man sie oft bis ans Ende
seiner Tage. Manche Schuhe trägt man 40
Jahre lang. Ich glaube, klassische Männer-
mode hat wieder ein Revival.
Klassisch im Sinne von traditionell?
Nein, obwohl der Stil sehr hochwertig ist,
orientiert sich der Look an Sportswear.
Nicht dieser typische Street-Style – aus die-
ser Nummer sind wir raus. Klar, tragen wir
auch Sneaker im Büro. Aber mittlerweile
sind wir so erwachsen geworden, dass je-
der auch Lederschuhe in seinem Schrank
hat. Viele Elemente sind sportiv: mit Stof-
fen, die atmungsaktiv und wasserdicht sind.
Damit meine ich aber auf keinen Fall diese
Outdoor-Jacken mit 40 Taschen. Wir gehen
ja nicht zum Klettern, sondern zur Arbeit.
Und dafür reicht ein cleaner Look. Alles
andere wäre zu viel. Wir brauchen keinen
Schnickschnack.
Diese Schlichtheit, wie Sie sie be-
schreiben, erinnert an die Anfänge von
Sportswear in den Neunziger Jahren.
Stimmt. Das, was Helmut Lang gemacht
hat ... Seine strikte Silhouette war damals
ein sehr starker Look. Daran inspirieren
sich jetzt auch wieder viele Marken. In mei-
nen Augen ist das ein sehr klassischer Stil.
Das bezeichnen Sie als klassisch?
Ich finde schon, dass in den Neuzigern
ziemlich gute Sachen gemacht wurden. Ich
habe eine schöne Erinnerung daran. Das hat
wahrscheinlich mit dem Alter zu tun, dass
unsere Generation das wieder toll fi ndet.
Eine Rückbesinnung auf das Wesentli-
che in einer Zeit, in der alles virtuell ist?
Das kann schon sein: Das Physische ist mir
jedenfalls sehr wichtig. Ich persönlich lese
beispielsweise keine Bücher oder Magazine
auf dem iPad. Denn ich liebe es, gedruckte
Sachen anzufassen, wie die Sunday Time s
am Wochenende – es gibt nichts Besseres.
Wie sich die Dinge anfühlen, ist mir sehr
wichtig. Ganz egal, ob es sich um Magazine
handelt, Mode oder Möbel. Die Haptik die-
ser Maserung zum Beispiel (streicht über
den Holztisch, an dem wir sitzen) ist wun-
derschön. Dieses Gefühl scheint man jetzt
wiederzuentdecken.
Welche Rolle spielt Denim?
Jeans ist ein Thema, das in den letzten Jah-
ren bis zum Äußersten ausgereizt wurde.
Es gibt keinen Schnitt, keine Waschung,
die es nicht gibt. Ich denke, auch bei Jeans
wird man sich auf die Basics besinnen: auf
einen guten Sitz und Haltbarkeit. Meine
Eltern haben noch Levi’s aus den Sechzi-
ger Jahren. Die fi nde ich toll. Oder Liebha-
berjeans, die auf japanischen Webstühlen
gewebt werden. Die sind zwar momentan
nicht mehr so gefragt. Aber ich denke, sie
kommen wieder.
Was denken Sie über Skinny Jeans?
Sie sind auf dem Markt nicht mehr weg-
zudenken. Dieser Schnitt hat sich etabliert
und wird auch weiterhin bestehen blei-
ben. Es ist interessant zu beobachten, wie
sich dieser Style weiterentwickelt hat und
immer raffi nierter wurde. Das Lustige ist:
Wenn man anstatt Skinny Jeans mal wie-
der ganz normale Jeans trägt, hat man das
Gefühl, dass sie riesig sind.
In der Mode gibt es einen Trend hin zum
Unisex-Look. Ein androgyner Stil, den
Männer und Frauen tragen können.
Was halten Sie davon?
Dazu kann ich nichts sagen. Das ist Avant-
garde. Ich persönlich lebe diesen Modekon-
text nicht, sondern orientiere mich stärker
an klassischer Mode. Mir geht es eher da-
rum, dass die Sachen alltagstauglich sind.
Dieser Aspekt ist mir auch bei unseren Aus-
stellern wichtig.
Aber das ist doch Avantgarde?
Vielleicht.
Fotos: Jürgen Schabes, photocase/bit.it
Seek-Kreativdirektor Oliver Saunders
über Haptik, Helmut Lang und Männermode
Oliver Saunders (32) ist Kreativ-direktor der Modemesse Seek. Für den gebürtigen Londoner, dessen El-tern in den Sechzigern Mods waren, hat Mode schon immer eine Rolle ge-spielt. Seit vielen Jahren ist er in der Branche tätig, arbeitete für verschie-dene Agenturen, Shops und Labels, etwa YMC in London oder April 77 in Paris. Heute lebt er in Stockholm und ist, neben seinem Job als Kreativdi-rektor, Salesmanager für das Mode-label Our Legacy.
Talking Talking ’bout my’bout my’bout my
GENERATIONGENERATIONTalking GENERATIONTalking Talking GENERATIONTalking
Seek-Kreativdirektor Oliver Saunders
über Haptik, Helmut Lang und Männermode
⁛ VON WOLFGANG ALTMANN ⁛
36 37
� NEW GENDER
WOOLRICH
ISSEVER BAHRI
„Bäumchen wechsle dich“ heißt der große
Sommer-Trend, bei dem die Geschlechter-
grenzen verschwimmen. Frauen tauschen
ihre Kleider gegen eine maskuline Sil-
houette aus. Männer schlagen dage-
gen sanfte Töne an. Wie praktisch:
So kann sich jeder aus dem Kleider-
schrank des anderen bedienen
Moderedaktion – Nele Schrinner
„Bäumchen wechsle dich“ heißt der große
Sommer-Trend, bei dem die Geschlechter-
grenzen verschwimmen. Frauen tauschen
ihre Kleider gegen eine maskuline Sil-
houette aus. Männer schlagen dage-
gen sanfte Töne an. Wie praktisch:
So kann sich jeder aus dem Kleider-
schrank des anderen bedienen
edaktion – Nele Schrinner
WOOLRICH
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LACOSTE
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38 39
� Das letzte Wort
Neulich saß ich bei einem
Empfang der französi-
schen Botschaft mit
dem Professor einer
renommierten Pariser
Design-Akademie am Tisch. Wir unter-
hielten uns über seine Arbeit. Plötzlich
überraschte er mich mit der Aussage,
er habe keine Lust mehr auf den Begriff
„Design“. Die Menschen wüssten ja gar
nicht mehr, was das tatsächlich sei und
was nicht. Als Erklärung gab er mir fol-
gendes Beispiel: Google findet bei diesem
Schlagwort 4,7 Milliarden Treffer. Was
heißt, dass Design ein fester Bestandteil
unserer Alltagskultur geworden ist. Klickt
man sich allerdings durch die Seiten, wird
schnell klar, dass diese Bezeichung belie-
big ist. Alles ist heute Design. Doch das
sagt nichts über Qualität aus. Der Profes-
sor sprach von einem regelrechten „Miss-
brauch“ dieses Wortes und dass man es
am besten mit einem internationalen Gü-
tesiegel schützen solle. Fashiondesigner,
wie ich, hätten es da noch einfach, mein-
te er. Mit dem Wort „Designerkleidung“
sei der Begriff „Qualität“ fest verknüpft.
Aber sonst.
Der Mann hat recht, aber nur teil-
weise. Deshalb widersprach ich ihm. Die
Tatsache, dass sich viele Menschen unter
„Design“ was auch immer vorstellen kön-
nen, ist positiv. Denn damit bringen die
Menschen ihren Drang zur Individualität
zum Ausdruck. In der heutigen Zeit will
sich jeder von der Masse abheben. Dafür
benutzen man Design – nicht nur für Ge-
genstände, sondern auch und besonders
für Stil. Design bedeutet Gestaltung. Auch
die des eigenen Looks als Ausdruck der
Persönlichkeit. Ist also jeder sein eigener
Designer? Warum nicht. Zumindest ein
Designer des eigenen Lebens.
Die Lust auf Individualität wird von
keiner anderen Kreativdisziplin besser be-
friedigt als von der Mode. Fashion unter-
streicht die Persönlichkeit des Trägers und
verhilft Menschen zu ihrem individuellen
Style. Solange es Mode gibt, hat Uniformi-
tät keine Chance. Gerade in Berlin kann
man das täglich beobachten.
Mode ist ein gutes Mittel gegen den
oft lustfreien Alltag. Viele Frauen jonglie-
ren täglich zwischen Haushalt, Kind und
Job. Häufig entsteht bei ihnen das Ge-
fühl, nur noch zu funktionieren. Ihre Lust
kommt am Ende des Tages zu kurz. Doch
das Schlimme ist: Es fällt den Frauen
nicht einmal mehr auf. Am Prenzlauer
Berg kann man diese armen Geschöpfe
besonders häufig sehen. Sie sind nur noch
Fulltime-Mütter und genauso sehen sie
auch aus. Kinder sind toll, no offense.
Doch wo ist die witzige, spontane, lebens-
lustige und sexy Frau geblieben? Ich nen-
ne solche Frauen „lost beauties“ und das
beziehe ich nicht nur auf Äußerlichkeiten.
Ich bin versucht, ihnen Abendkleider zu
schenken, Lebensfreude zu spendieren.
Aber ich muss ja auch von etwas leben.
Mode ist Lust. Vergessen Sie das nicht.
Foto
: Cem
Gue
nesLust
⁛ Von MICHAEL MICHALSKy ⁛
Michael Michalsky ist einer der einflussreichsten Modemacher Deutschlands. Nach Stationen als Chefdesigner bei Levi’s und Adidas gründete er 2006 sein Label in Berlin. In seinen Kollektionen setzt er sich mit gesellschaftlichen Themen und Fragestellungen unseres modernen Lebens auseinander. Damit beschäftigt er sich auch in unserer Kolumne.
gendarmenpalais | französische Str.markgrafenstr. 42 10117 berlin
+49-30 20074 613berlin@annet tegoertz.com
ACNE acnestudios.comADIDAS SLVR adidas.com/SLVRAMERICAN APPAREL americanapparel.netANAT FRITZ anatfritz.comATELIER LADURANCE atelierladurance.comBARBOUR barbour.comBILLI BI billibi.dkBLAME blamefashion.comBLUE BLOOD bluebloodbrand.comBOESSERT SCHORN boessertschorn.deBOSS ORANGE hugoboss.comBREAD & BUTTER breadandbutter.comBREE bree.deCAMPER camper.comCARHARTT carhartt.comCHLOÉ chloe.comCLARKS clarks.deCONVERSE converse.comCOS cosstores.comCURRENT ELLIOTT currentelliott.comCUSTO BARCELONA custobarcelona.comDENHAM THE JEANMAKER denhamthejeanmaker.comDIESEL diesel.comDISTANZ VERLAG distanz.deDR. MARTENS drmartens.comDRYKORN drykorn.comECO SHOWROOM ecoshowroom.deEDWIN edwineurope.comETHICAL FASHION SHOW BERLIN ethicalfashionshowberlin.comFALKE falke.comFILIPPA K filippak.com
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