80 | Franziskanerkirche
Von den Sünderinnen zu den
Bettelmönchen
Der Franziskanerplatz, einer der beschaulichstenAltstadtplätze Wiens, bietet eine Reihe schönerGebäude,einenklassizistischenMosesbrunnenvonJohannMartinFischer,umdensichbeiSchönwet-ter lauschigeGastgärtengruppieren,undwirdbe-
herrschtvondereinzigenKircheinWienmitRe-
naissancefassade.DieFranziskanerkircheentstandzuBeginndes17.Jahrhunderts an der Stelle des ehemaligen Büße-
rinnenhauses St. Hieronymus. Dieses sogenannteSeelhaus wurde gegen Ende des 14. Jahrhundertsvon Wiener Bürgern gegründet und beherberg-
tebekehrteSünderinnen,meist reuigeLustdirnen,diesichzugemeinsamemLebenundBußübungenverplichtetenundsodieErrettungihrerSeeleer-hofften.DieAnstaltunterderLeitungeiner„Meisterin“ge-
nosswertvollelandesfürstlichePrivilegien,warvonSteuernundZöllenbefreitundhatteauchzahlrei-chebürgerlicheWohltäter,weshalbdasKlostersei-nen Besitz nach und nach vermehren konnte. Im15.JahrhundertherrschtebeidenBüßerinnenim-
merwiederregeBautätigkeit.1476wurdedieneueAnstaltskirche,einespätgotischeSaalkirche,geweiht.Die Zerstörungen beim Stadtbrand von 1525 lei-tetenwohldenNiedergangdesBüßerinnenhausesein.St.HieronymushattezunehmendmitAbwan-
derungundSittenverfallzukämpfen.1571wardasHausvölligverödet,weshalbdieStadtWienhierimdarauffolgendenJahreinWaisenhausfürMädcheneinrichtete.1589tauschtendieWaisenihreRäum-
lichkeitenmitdenFranziskanern,diezuletztbeiSt.NiklasinderSingerstraßeuntergebrachtwaren.DerFranziskanerordenließsichbereits1451inWiennieder, musste aber sein Stammkloster St.Theo-
baldobderLaimgrube imZugederosmanischen
Belagerung räumen und hinter die schützendenStadtmauernlüchten.Seit1589wirkendieBettelmöncheschließlichimKlosterkomplex zwischenWeihburggasseundSin-
gerstraße,dendieFranziskanerbaldnachderÜber-nahme grundlegend erneuerten.Womöglich nachseinen eigenen Plänen nahm Pater BonaventuraDaum,derauchGeneraloberstderösterreichischenOrdensprovinz war, 1603 zunächst den Um- bzw.NeubauderKircheinAngriff.
Der Neubau der Franziskaner
DaumbemühtesichumdieEinbeziehungderspät-gotischen Bausubstanz, indem er die bestehendenStrebepfeilerderaltenBüßerinnenkirchemitneuenAußenmauern ummantelte, diese somit ins Inne-
re zog und so einen umlaufenden, mittelalterlichanmutenden Kapellenkranz ausbildete. Nach demAbbruch zweier Häuser konnte das Langhaus derKirche um ein Joch gegen den heutigen Franzis-kanerplatz verlängert werden. Die BettelmönchebewirktenaußerdemdieAbtragungeinesweiterenHausesinderWeihburggasse,wodurchsichvorderKirche ein kleiner Platz öffnete, der das markan-
te Renaissancebauwerk angemessen zur Geltungbrachte.DieFassadederFranziskanerkirchekröntein stei-les, von zierlichenVoluten, Obelisken und Heili-geniguren konturiertes Giebelfeld.Während die-
ser Giebel eher profan wirkt, geben darunter dienachgotischen Formen des mit schlichtem Maß-
werkversehenenSpitzbogeneinedeutlichesakraleSignalwirkung.Diemittig gruppierten,mitOrna-mentbändernumrahmtenFensterunddieFiguren-
nischenmitrundemMuschelabschlusskontrastierenstimmigmitderlächigenGeschlossenheitderFas-sade. Einzig der barocke Portalvorbau durchbricht
Derprachtvolle,vonAndreaPozzo1707geschaffeneSäulenaltarkröntdieschönebarockeInnenausstattungderFranziskaner-kirche.
66 | Renaissance, Barock & Klassizismus
Renaissance, Barock
& Klassizismus Von der osmanischen Belagerung 1529 bis zur Revoluti on 1848
68 | Renaissance, Barock & Klassizismus
Auf dem Weg in die Neuzeit
DerUmbruchvomSpätmittelalterzurNeuzeitzuBeginndes16.JahrhundertsgestaltetesichfürEuropaundfürWien,demHerzendesKontinents,überausspannungsreich.1517schlugMartinLutherseine95ThesenandieWittenbergerSchlosskircheundlöstedamiteinefolgenreicheGlaubensspaltungaus,bluti-geBauernkriegetobtenunddasosmanischeReichbetriebeineaggressiveExpansionspolitik,die1529mitdererfolglosenBelagerungWiensihrenvorläu-
igenHöhepunkterreichte.Bedingtdurchdiedamitverbundene Beeinträchtigung des Warenverkehrsmit Ungarn, die Umorientierung des gesamten
Welthandels durch die EntdeckungAmerikas unddie zunehmende Dominanz der Brennerroute alsVerbindungundTransportwegzwischenNordundSüdkamdieehemalsblühendeHandelsstadtanderDonauaußerdemzunehmendinwirtschaftlicheBe-
drängnis.GeradeindiesenschwerenZeitengelangesjedochdenHabsburgern,sukzessiveihreMachtinEuropaauszubauen,wofürallerdingswenigermili-tärischeStrategienausschlaggebendwaren,sondernvielmehrdievonKaiserFriedrichIII.undseinemSohn Maximilian I. geschickt betriebene Heirats-politik.AngesichtsderSeriespektakulärerErbfolgenumschreibt der oft zitierteVers Bella gerant alii, tu
felix Austria nube(AnderemögenKriegeführen,du,
Renaissance, Barock & Klassizismus | 69
links:DieFassadederFranziskanerkircheistWienseinzigesBeispielsakralerRenaissancearchitektur.
oben:JohannBernhardFischervonErlachsKarlskirchebildeteinenHöhepunkteuropäischerBarockarchitektur.Ihreeinzig-
artigeFassadekonzipierteermitsubtilerSymbolik.
glückliches Österreich, heirate) die damalige Zeittatsächlichsehrtreffend.NachdemMaximilian I. gegenEndedes15. Jahr-hunderts die geteilten Ländereien der Habsburgerwieder unter einem Regiment vereinen konnte,sicherteersichdurchseineEhemitMariavonBur-gunddieNachfolgederinmännlicherLinieausge-
storbenen Burgunderherzöge und erbte somit diedamalsdynamischsteWirtschafts-undKulturregionEuropas.SeinezweiteEhemitBiancaMariaSforzabrachte ihmEinluss im reichenFürstentumMai-land. Seine beiden Kinder Philipp und MargaretevermählteKaiserMaximilianmitdenKindernIsa-bellasvonKastilienundFernandosvonAragón.DaDonJuan,derspanischeThronerbe,nurkurznachder Hochzeit starb, erhoben die Habsburger auchAnspruch auf den spanischenThron. Philipp demSchönenwarkeinlangesLebenbeschieden,undsotratenseinebeidenSöhnemitDoñaJuana,diewirheute als Johanna dieWahnsinnige kennen,Habs-burgsErbeanundentwickeltensichschließlichzuHerrscherpersönlichkeiten,diedas16. Jahrhundertentscheidenprägensollten:DerälterederbeidenübernahmalsKarlV.dieKai-serkrone.Auf verschiedenenSchauplätzenEuropasführteereinenerbittertenKampfgegendenfran-
zösischenKönigundgegendieReformation.Auf-grund der spanischen Eroberungen in der neuenWeltundderumfangreichenHerrschaftinEuroparühmtesichKarl,einReichzuregieren,indemdieSonnenichtuntergehe.
Die zweite Hausteilung –
Österreich unter Ferdinand I.
Wohlwegen seinerunüberschaubarenGröße teil-te sich das Haus Habsburg 1522 schließlich ineineösterreichischeund eine spanischeLinie.Die
österreichischen Ländereien überließ Karl seinemjüngeren Bruder Ferdinand, der bald von einemweiteren dynastischen Zufall proitierte. Basierendaufderprunkvollen,von seinemGroßvaterMaxi-milianeingefädeltenWienerDoppelhochzeit(1515)erbtederinSpanienaufgewachseneFerdinandBöh-
menundUngarn,alsderungarischeKönigLudwig1526inderSchlachtvonMohácsgegendieOsma-nenseinLebenlassenmusste.Ferdinands Regentschaft in Österreich war be-
stimmtvonbedeutendenpolitischen, sozialenundauchkulturellenUmwälzungen.WährendinweitenTeilenEuropasbereitsdieRenaissanceblühte,setzte
70 | Renaissance, Barock & Klassizismus
sichderneueStilinÖsterreichnichtsorechtdurch.VorallemfürWienbliebdieZeitderRenaissanceein vergleichsweise ereignisarmer Übergang zwi-schendenbedeutendenStilenderSpätgotikunddesfrühenBarock.Die Atmosphäre in der Residenzstadt war zwardurchaus von humanistischer Gelehrsamkeit ge-
prägt,dochesfehltenvorerstdieinanziellenMittel,umdieseauchbaulichzumanifestieren.DerWie-
deraufbaunachdemverheerendenStadtbrandvon1525unddie Instandsetzungbzw.derAusbauderBefestigungsanlagen nach der Türkenbelagerungverschlangen ungeheure Summen, und so muss-te die Realisierung großer Repräsentativbauten
vorersthintangestelltwerden.AlsFerdinand I.,der1531zumdeutschenKöniggewähltwurde,gegenMittedesJahrhundertsdanndochdaranging,seineResidenzstadt neu zu gestalten, überwogderPro-
fanbau.DerSakralbaublieb–abgesehenvonderSalvatorka-pelle,einemRenaissance-KleinodimaltenRathaus– ohne neue bewegende Kräfte. Der HauptgrunddafürwardietiefekonfessionelleErschütterung,dieEuropa infolgedervonMartinLutherausgelöstenGlaubensspaltungerlebte.DieReformationbreitetesichauchinÖsterreichschnellundquerdurchallesozialenSchichtenaus.DergrößteTeilderWienernahmebenfalls denneuenGlauben an.DieFolgewar ein Rückgang religiöser Stiftungen, was sichnatürlichaufdieFinanzierungsakralerKunstwerkeauswirkte.Auch vieleOrdensgeistliche traten zumLuthertumüber,sodasseinzelneKlöstergeschlos-senwerdenmussten.
Das Konzil von Trient und seine
Folgen
DiekatholischeKirche steckte im16. Jahrhundertalso in einer tiefen Krise, weshalb 1545 das Kon-
zil vonTrient einberufenwurde,woman sichbis1563umeinedeutlicheAbgrenzungzumprotestan-
tischenAugsburgerBekenntnisvon1530bemühte.DieimKonzilvonTrientausgelösteGegenreforma-tion brachte eine radikaleVerhärtung der FrontenzwischendenKonfessionen.AuchKönigFerdinandI.stellteseinRegimentganzindenDienstderGegenreformation.1551 rief erdieJesuitennachWien,dieinderFolgediewich-
tigstenImpulsezurDurchsetzungdeskatholischenGlaubens gaben.Dievon Ignatius vonLoyola ge-
gründetenJesuitenwareneinOrdenneuerPrägung,dersichintensivfürdieErneuerungderaltenKirche