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Volkswirtschaftliche DiskussionsbeiträgeVolkswirtschaftliche Diskussionsbeiträge

U N I K a s s e lV E R S I T Ä T

FachbereichWirtschaftswissenschaften

Evolutorisch-ökonomische Perspektiven einerTheorie ökologischer Innovationspolitik

von

Jan Nill

Nr. 56/04

Jan Nill

Evolutorisch-ökonomische Perspektiven einer Theorie ökologischer Innovationspolitik

Volkswirtschaftliche Diskussionsbeiträge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel, Nr. 56/04

Kassel 2004

Kontakt: Dipl.-Volkswirt Jan Nill, Doktorand am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Kassel; Borsigstr. 26, 10115 Berlin; E-Mail: [email protected]

1 Einführung Die Gewährleistung einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung gehört zu den bedeutenden langfristigen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen. Die Entste-hung und Verbreitung von ökologischen Innovationen ist hierfür eine Voraussetzung. Bei dieser Ausgangslage wäre zu erwarten, dass Konzeptionen ökologischer Innovationspolitik ein Paradebeispiel für die Fruchtbarkeit evolutorischer Ansätze der Wirtschaftspolitik darstel-len. Ein entsprechender Bedarf wird aus der empirischen Umweltinnovationsforschung zu-nehmend signalisiert (Klemmer et al. 1999, Hemmelskamp 1999). Bisher sind jedoch insbe-sondere theoretische Arbeiten hierzu dünn gesät.

Vor diesem Hintergrund hat das vorliegende Papier das Ziel, bisherige evolutorische Ansätze der Wirtschaftspolitik im Hinblick auf ihren Beitrag für eine Theorie ökologischer Innovati-onspolitik zu sichten sowie entsprechende Ansatzpunkte und Weiterentwicklungsrichtungen zu diskutieren∗. Als Rahmen wird ein gegenüber klassischen Ziel-Mittel-orientierten Konzep-tionen erweitertes Problem-Ziel-Mittel-Restriktions-Schema der Wirtschaftspolitik unterlegt (Abschnitt 2.1).

Wie der kurze Überblick in Kapitel 2 zeigt, sind zwei evolutorische Diskussionsstränge deut-lich zu unterscheiden: der Hayekianisch-ordnungspolitische und der Schumpeterianisch-innovationspolitische. Ersterer betont vor allem die Steuerungsgrenzen und legt daher tenden-ziell Abstinenz – zumindest bezüglich prozessbezogener Eingriffe - als politische Zielrichtung nahe (Abschnitt 2.2). Neo-Schumpeterianische Ansätze erlauben hingegen eine Problembe-schreibung, die auch problematische Marktdynamiken umfassen und so potenziell fruchtbare Anknüpfungspunkte für eine ökologische Innovationspolitik bietet (Abschnitt 2.3).

Diese werden ausgehend von zwei Thesen in Kapitel 3 näher verfolgt. Neuere evolutorische Ansätze setzen an neo-Schumpeterianischen Konzepten wie technologischen Paradigmen und Pfadabhängigkeiten an, um Markteinführungsstrategien für Umweltinnovationen (Reichel 1998) oder „Zeitstrategien ökologischer Innovationspolitik“ (Nill/ Zundel 2002, Zundel et al. 2003) zu entwickeln. Damit rücken aber neben der Sicherung von Variationsprozessen, einem aus evolutorischer Perspektive naheliegendem Politikziel (z.B. Rammel/ van den Bergh 2003, Lehmann-Waffenschmidt 2002), auch problematische Selektionsprozesse in den politischen Fokus (Abschnitt 3.1). Es geht im Rahmen einer Theorie ökologischer Innovationspolitik auch darum, Möglichkeiten und Grenzen einer ablaufpolitischen "Wirtschaftspolitik der Ex-perimente" zu bestimmen (vgl. auch Okruch 2002). In Abschnitt 3.2 erfolgt daher insbesonde-re aufbauend auf Wegner (1996) eine Auseinandersetzung mit der Frage der Steuerungsgren-zen und der Wissensproblematik.

Als Schlussfolgerung wird in Kapitel 4 als Antwort auf die evolutorisch-ökonomisch präzi-sierte Problemstellung unter bestimmten Voraussetzungen eine stärker prozesspolitisch aus-gerichtete Konzeption ökologischer Innovationspolitik rehabilitiert, um ökologische Nachhal-tigkeit und damit auch die langfristige Aufrechterhaltung der dynamischen Kapazitäten von Märkten zu gewährleisten.

∗ Der Beitrag ist im Rahmen des laufenden Promotionsvorhabens "Pfadverändernde ökologische Innovationspo-litik. Ansätze und empirische Prüfung einer (ko-) evolutorischen Theorie" am Fachbereich Wirtschaftswissen-schaften (Betreuer: Prof. Dr. Frank Beckenbach) entstanden. Für hilfreiche Anmerkungen geht mein Dank ins-besondere an Frank Beckenbach, Sylvie Geisendorf, Jörg Jasper, Christian Sartorius, Ulrich Witt und Stefan Zundel.

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2 Ein Überblick über relevante evolutorische Konzeptionen einer Theorie der Wirtschaftspolitik

2.1 Alternative Zugänge zu einer Theorie der Wirtschaftspolitik

Der dominierende wirtschaftswissenschaftliche Zugang zur Theorie der Wirtschaftspolitik lässt sich, ausgehend von den Arbeiten von Tinbergen (1952) als Ziel-Mittel-Ansatz be-schreiben. Sowohl die keynesianische Theorie der Makropolitik als auch die mikroökonomi-sche neoklassische Wohlfahrtsökonomik ist dadurch gekennzeichnet, dass zunächst wirt-schaftspolitische Ziele legitimiert und dann Mittel bzw. Instrumente zu ihrer Umsetzung ge-prüft werden. Eine Besonderheit der Wohlfahrtsökonomik ist dabei, dass sie ein (schwaches) normatives Kriterium in den Kern der Theoriebildung integriert, das Kriterium der Paretoeffi-zienz. Dies bezeichnet einen Zustand in dem niemand mehr besser gestellt werden kann, ohne dass jemand anderes schlechter gestellt wird. Basierend auf dem theoretischen Nachweis, dass vollkommene Märkte im Gleichgewichtszustand dieses Kriterium erfüllen, postuliert sie die allgemeine und zeitinvariante Gültigkeit der Pareto-Norm als Begründung einer Theorie der Wirtschaftspolitik.

Die vermag (nicht nur) aus einer dynamischen oder wirtschaftsprozessorientierten Perspektive jedoch nicht zu überzeugen. So ist die Aussagekraft des Pareto-Kriteriums an den Rahmen der statischen realwirtschaftlichen Allokationstheorie gebunden. Dynamische Ökonomien, in denen Neuerungen alte Handlungen entwerten, tendieren zu einer systemimmanenten Verlet-zung des Pareto-Kriterium (Witt 1996). Auf einer fundamentaleren Ebene wird der Dezisio-nismus bzw. die Teleologie einer solchen Theorie der Wirtschaftspolitik kritisiert (Hayek 1969, Riese 1988, Wegner 1996). Dies setze die Fähigkeit der Politik voraus, in Marktwirt-schaften beliebig in Marktprozesse eingreifen und diesen einfach Ziele vorgeben zu können. Empirisch korreliert dies mit einem gerade im Bereich der Umweltpolitik deutlich beobacht-baren Auseinanderfallen von theoretisch optimalen und praktisch umgesetzten Politiken.

Als eine neoklassisch geprägte Reaktion auf solche Kritiken wurde die normative durch eine „positive“ Theorie der Wirtschaftspolitik ergänzt, die als "ökonomische Theorie der Politik" stärker den Politikprozess in den Blick nahm und das individualökonomische Rationalkalkül auf diesen übertrug. Hierdurch wurden Abweichungen vom wohlfahrtsökonomischen Opti-mum durch Restriktionen des demokratischen Allokationsprozesses, Binnenrationalitäten der Bürokratie und den Einfluss von Lobbying erklärt. Mit Ausnahme des letzteren Zweiges geht dabei jedoch der Bezug zum ökonomischen System verloren.

Evolutorische Ansätze einer Theorie der Wirtschaftspolitik setzen hingegen einer alternati-ven, dynamisch angelegten Analyse des ökonomischen Systems an. Dabei lassen sich verein-fachend zwei Spielarten deutlich unterscheiden (vgl. auch Pelikan 2003):

• an Hayek anknüpfenden Ansätze einer evolutorischen Ordnungspolitik (Hayek 1969, Koch 1996, Wegner 1996, Budzinski 2000), die die Wissensgrenzen politischer Akteure betonen und daher wirtschaftspolitischen Zielen, die über die Sicherung der Funktionsfä-higkeit von Märkten hinausgehen, skeptisch gegenüber stehen

evolutorische Ansätze, die Wirtschaftspolitik vorwiegend als Innovationspolitik im Schumpeterianischen Sinne, d.h. an den Eigenarten, Problemen und Wirkungen von öko-nomischen Neuerungsprozessen ansetzend, konzeptionalisieren (z.B. Metcalfe 1994, Ma-lerba 1996, Witt 1996, Lipsey/ Carlaw 1998, Metcalfe/ Georghiou 1998, Oltra 1999).

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Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden ein reformulierter Zugang zu einer ökonomi-schen Theorie der Wirtschaftspolitik vorgeschlagen. Sinnvoller Ausgangspunkt ist ein Bezug zu den Charakteristika und Funktionsbedingungen des (in heutigen Gesellschaften markt- und geldwirtschaftlich verfassten) ökonomischen Systems. Weiter erscheint es (nicht nur) aus evolutorischer Perspektive zweckmäßig, den herkömmlichen Ziel-Mittel-Ansatz der Wirt-schaftspolitik um zwei vor- und nachgelagerte Analyseelemente zu einem "Problem-Ziel-Mittel-Restriktions-Ansatz" zu erweitern:

• Das hinter wirtschaftspolitischen Zielen stehende Problem sollte zunächst soweit möglich als ökonomisches Problem rekonstruierbar sein. Denn jedwede Prüfung von Gestaltungs-optionen setzt eine analytische Basis zur Wirkungsabschätzung voraus. Zugleich ermög-licht dies, die unterschiedlichen Ansätze und Ziele, die in verschiedenen wirtschaftspoliti-schen Konzeptionen von Bedeutung sind, besser einzuordnen und die Gleichsetzung zu Problemwahrnehmung und teleologischer Umformulierung in ein Ziel zu vermeiden.

• Um die Grenzen wirtschaftspolitischer Einflussnahme zu berücksichtigen und zugleich der Analyse zugänglich zu machen, sollte eine Prüfung von wirtschaftspolitischen Optio-nen mit einer Restriktionsanalyse hinsichtlich der Umsetzbarkeit einhergehen, die als ö-konomischer Teil der Analyse auf das ökonomische System bzw. die Wechselwirkungen zwischen Wirtschafts- und Politikprozess fokussiert.

Im Folgenden wird anhand dieses Problem-Ziel-Mittel-Restriktions-Schemas eine kurze Sich-tung der evolutorischen wirtschaftspolitischen Literatur im Hinblick auf eine Theorie ökolo-gischer Innovationspolitik vorgenommen. Es wird zu zeigen sein, dass sich aus beiden evolu-torischen Ansätzen, den Hayekianischen und den Schumpeterianischen, u.a. aufgrund unter-schiedlicher Problemdefinitionen nur begrenzt Orientierungen für eine Theorie ökologischer Innovationspolitik gewinnen lassen; dennoch lassen sich einige analytische Erkenntnisse die-ser Ansätze fruchtbar hierauf anwenden.

2.2 Evolutorische Ordnungspolitik: Verbindung der Betonung von Wissens- und Steu-erungsrestriktionen mit problematischen Normbezügen

Eine sich als evolutorisch verstehende Theorie der Wirtschaftspolitik kommt zumindest in Deutschland kaum an Friedrich von Hayek vorbei. Dieser ist einer der Gründerväter der öster-reichischen Marktprozesstheorien, die mit einer anderen Sicht des Marktwettbewerbs verbun-den ist. Anstelle der neoklassischen Konzeption als Verfahren zur Allokation gegebener Res-sourcen über den Preismechanismus setzt Hayek (1969) den dynamischen "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" für dezentral vorhandenes Wissen. Das Korrelat hierzu ist ein “konstitutiver Wissensmangel” von Akteuren, die diese Marktprozesse der "spontanen" Ord-nungsbildung zentral steuern oder beeinflussen möchten. Folgerichtig stellte Hayek politische Steuerungsgrenzen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Die Hayekianische Strömung knüpft dabei an Walter Euckens (1952) liberale Tradition der Ordnungspolitik an, ist jedoch noch deutlich skeptischer, was die Möglichkeit und Wünschbarkeit der "teleokratischen" Set-zung einer (Rahmen-) Ordnung durch den Staat bzw. allgemein als Ergebnis menschlichen Entwurfs und Handelns angeht. Häufig schwingt dabei - wenngleich teilweise nur implizit - eine normative Komponente mit; als gewollte Ordnung fungiert in der Regel das marktwirt-schaftliche System (Streit 1995: 95).

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Die evolutorische Ordnungspolitik in der Tradition Hayeks betont in ihrer Analyse des öko-nomischen Systems die Bedeutung des Wettbewerbs und des Privateigentums als Vorausset-

zungen für Ordnungsbildung. Methodisch löst der Ordnungsbegriff das Gleichgewichtskon-zept als Referenz ab. Sie sieht die Marktwirtschaft als Ausdruck einer ungeplanten spontanen Ordnung, die sich einschließlich ihrer Regeln evolutionär entwickelt. In diese kann und sollte auch nur sehr begrenzt eingegriffen werden, da dies die Marktevolution gefährden würde. Kritisiert werden sowohl eine zentral geleitete Wirtschaftspolitik als auch eine auf steuernde Eingriffe in den Wirtschaftsprozess ausgerichtete "Wirtschaftspolitik der Experimente". Prob-leme evolutorischer Marktprozesse und Ziele, die ggf. Wirtschaftspolitik jenseits der ord-nungspolitischen Sicherung der bloßen Funktionsbedingungen der "Katallaxie des Marktes" legitimieren könnten, geraten so eher in den Hintergrund.

Vielmehr werden wirtschaftspolitische Ziele und Maßnahmen generell einer normativen Be-wertung unterzogen, Referenzkriterium hierfür ist das Kriterium der Ordnungskonformität (Cassel 1988, Wegner 1996, Jasper 1998, Budzinski 2000). Voraussetzung hierfür ist die ex-plizite Festlegung eines Ordnungsentwurfs als normative Referenz, nämlich der marktwirt-schaftlichen Ordnung (Gerken/Renner 1996). Oft wird Ordnungskonformität daher dem an den Funktionsbedingungen von Märkten orientierten Kriterium der Marktkonformität gleich-gesetzt. Entsprechend der anderen Sichtweise auf den Marktprozess unterscheidet sich die evolutorische Interpretation von Markt- bzw. Ordnungskonformität von der neoklassischen und ordoliberalen Sicht. Allokationstheoretisch marktkonforme Instrumente können das Kri-terium der Ordnungskonformität verletzen (Gerken/ Renner 1996, Wegner 1996).

Allerdings ist die Operationalisierung von Ordnungskonformität umstritten. Die Aussage, dass lediglich diejenigen Formen der Politik ordnungskonform sind, "die die spontanen Kräfte des Marktes unterstützen" (Hayek 1971: 287), läuft auf weitgehende politische Abstinenz hinaus. Doch wie weit reicht der für die evolutorische Ordnungspolitik konstitutive Wissens-mangel wirklich, und bildet er ein hinreichendes Fundament, politische Eingriffe jenseits all-gemeiner Verhaltensregeln zur Absicherung der Funktionsfähigkeit des Marktes abzulehnen? Meines Erachtens ist hier klar zwischen der Beschreibung von Steuerungsgrenzen sowie einer Norm der Nichtsteuerung zu unterscheiden. Denn der Schluss vom ersten auf das zweite, für den insbesondere der Name Hayek steht, setzt implizit voraus dass es keinen Steuerungsan-lass gibt, der groß genug ist, auch Steuerungsgrenzen und hieraus resultierende Fehlsteuerun-gen als notwendiges Übel in Kauf zu nehmen.

Ein theoretischer Nachweis einer solchen “evolutorischen Effizienz” (Pelikan 2003) von Märkten von der Güte (sowie den damit gleichzeitig geklärten Grenzen) des Nachweises der Allokationseffizienz eines allgemeinen Gleichgewichts steht aber m.E. noch aus. Ohne einen solchen besteht jedoch die latente Gefahr eines Panglossianischen Fehlschlusses – das was besteht ist gut. Eine entsprechende Argumentation lässt sich häufig nur halten, in dem manche Probleme wie das Umweltproblem, die sich als statische Externalitäten, wenngleich unzurei-chend, zumindest beschreiben lassen, einfach ausgeblendet werden (siehe unten).

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Die moderne evolutorisch-ökonomische Literatur ist daher vorsichtiger. Auch wenn ex-ante nicht-antizipierbare Neuerungen als Kernelement von Evolution gesehen werden, folgt hier-durch nicht automatisch der Verzicht auf jegliche Steuerung, sondern der Versuch, Normen für eine solche zu formulieren. Gerken/ Renner (1996) sehen Maßnahmen als ordnungsinkon-form an, wenn sie diskretionär angewendet werden oder den Innovationsspielraum einengen. Nach Wegner (1996: 206) ist es ordnungskonform, "nur solche Ziele und Instrumente auszu-wählen, welche nicht zu Entwicklungsstörungen führen". Er versucht die Störung der Ent-wicklungsfähigkeit von Märkten mittels eine akteursorientierten Klassifikation zu präzisieren (vgl. Abschnitt 3.2).

Auf einen problematischen Aspekt einer Operationalisierung von Ordnungskonformität ver-weist Budzinski (2000). Denn aus evolutorischer Sicht evolviert natürlich auch die Ordnung, und es kann dann nicht mehr von einem statischen und festen Ordnungsrahmen als Referenz ausgegangen werden. Als Ausweg schlägt er die Prinzipien Nicht-Anmaßung von Wissen, nicht-diskriminierende Institutionen, Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Akteure durch Frei-heitsgrade sowie dynamische Konstanz der Wirtschaftspolitik vor: Erwartungen sollten nicht zusätzlich destabilisiert, aber die Flexibilität der Ordnung bezüglich unbekannter zukünftiger Situationen bewahrt werden. Eine eindeutige Grenze zwischen Konformität und Inkonformität lasse sich allerdings nicht identifizieren, sondern es müsse im konkreten Fall abgewogen werden (Budzinski 2000: 247ff). Noch schärfer formulieren es Gerken/ Renner (1996), die konstatieren dass es aufgrund des Fehlens unumstrittener objektiver Bewertungs-kriterien nicht möglich sei, anhand ordnungspolitischer Kriterien die "richtige Politik" herzu-leiten.

In der Literatur finden sich drei Wege, mit diesem Dilemma umzugehen. Erstens wurde ins-besondere von Wegner (1996) versucht, das Thema auf die analytische Ebene zu verlagern. Er setzte die wirtschaftspolitischen Ziele zunächst als exogen gegeben und entwickelte eine Kasuistik von sich aus den Charakteristika evolutiven Marktgeschehens ergebenden Steue-rungsgrenzen. Diese Überlegungen sind zumindest in dieser allgemeinen Form plausibel und entsprechend bei der Ausgestaltung von politischen Strategien auch einer ökologischen Inno-vationspolitik zu berücksichtigen (siehe ausführlich Abschnitt 3.2).

Zweitens wurde versucht, die normative Analyse vorwiegend auf die Wahl der Mittel und nicht die der Ziele zu beschränken und für diese Ordnungskonformitätskriterien zu entwi-ckeln. Ein solches Vorgehen wurde von Budzinski (2000: 259ff) gewählt und dann auch auf die Instrumentenwahl einer ökologischen Wirtschaftspolitik angewendet. Allerdings bleiben sowohl bei Wegner (1996) in seinem auf Restriktionen fokussierten Ansatz als auch bei Bud-zinski (2000) "endogene" Innovations- und Entwicklungsmuster der dynamischen Marktevo-lution wie Pfadabhängigkeiten und temporäre Lock-ins ausgeblendet. Diese Ausblendung, die in den Hayekianischen oder österreichischen Ansätzen generell stattfindet (vgl. dies proble-matisierend auch Geue 1997: 244), ist für eine ökologische Innovationspolitik nicht statthaft, da solche Muster gerade für die Generierung und Auswahl von Umweltinnovationen proble-matisch sein können (siehe unten). In manchen der stärker Hayekianischen Ansätzen wird versucht, dies innovationstheoretisch zu begründen. Anders als in neo-Schumpeterianischen Ansätzen und generell der neueren Innovationstheorie wird hier häufig ein reiner "demand pull" Erklärungsansatz von Innovationen verfolgt, in dessen Rahmen technologische Aspekte als reaktive Variablen konzipiert werden (ausführlich bei Wegner 1991). Kritisch anzumerken bleibt, dass diese für die Ergebnisse zentrale Differenz häufig einfach angenommen wird, und eine vertiefte Auseinandersetzung mit der neo-Schumpeterianischen Literatur nicht erfolgt (z.B. Wegner 1996: 123, Jasper 1998: 14).

Schließlich hat sich ein dritter Strang kritisch mit einem rein ordnungspolitischen Zugang beschäftigt. Okruch (z.B. 2002) hat herausgearbeitet, dass die Hayekianische Beschränkung des Politikeingriffs entlang der Form auf allgemeine rechtliche Normen (in seinem Sinne Ord-nungspolitik) letztlich kein tragfähiges Differenzierungskriterium ist, da inhaltlich damit durchaus Prozesssteuerung impliziert werden kann. Gerade angesichts der Unsicherheit und der Wissensgrenzen plädiert er für die evolutorische Rehabilitation einer - an Verfahren ge-bundenen - Wirtschaftspolitik der Experimente. Allen drei Strängen ist jedoch gemein, dass

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sie auf die Ableitung einer "Theorie der Steuerungsanlässe" verzichten und Wissensgrenzen auch normativ eine wichtige Rolle zuweisen (vgl. dazu auch Abschnitt 3.2).

2.3 Evolutorische Innovationspolitik: Integration von Innovationsdynamiken, aber Vernachlässigung der Innovationsrichtung

Neben dem ordnungspolitischen hat sich als zweiter wesentlicher Ansatz evolutorischer Wirt-schaftspolitik ein innovationspolitischer herausgebildet. Die gemeinsame Grundannahme ist hier in der Regel, dass Innovationen bzw. technischer Fortschritt gesellschaftlich positiv zu bewerten sind (z.B. Metcalfe/ Georghiou 1998). Als politische Kernfrage ergibt sich dann, wie durch politische Maßnahmen die Innovativität eines ökonomischen Systems gesteigert werden kann. Dem zugrunde liegt die Schumpeterianische Hypothese, dass langfristig die Rate der Innovativität bzw. des technischen Fortschritts die Steigerung der Pro-Kopf-Einkommen bestimmt. Diese normative Grundannahme ist jedoch problematisch und auch aus evolutorischer Perspektive mit guten Argumenten zu kritisieren. So haben verschiedene Autoren betont, dass die Evolution nicht automatisch als gut bewertet werden kann, bzw. dass z.B. Innovation und Fortschritt nicht automatisch dasselbe sind, sondern zumindest historisch sich als kontingent erwiesen haben (Witt 2001).

Eine präzise Formulierung der Bedingungen dieser normativen Hypothese findet sich bei Witt (1996). Er ersetzt die Wohlfahrtsnorm durch eine Norm des "Schumpeterianischen Fortschritts", den er definiert "as a significant long run increase in per capita real income in all percentiles of the income distribution resulting from innovative activities in the economy" (Witt 1996: 116). Auf dieser Basis arbeitet er folgende Geltungsbedingungen dafür heraus, dass gesellschaftlich eher ein innovationsförderndes Regime, welches diese Norm eher erfüllt als ein "Pareto-Regime", gewählt wird:

1. Risikoneutralität der Akteure,

2. die Abwesenheit von negativen Externalitäten,

3. im Grundsatz bekannte Neuigkeiten ("something known but not previously considered"),

4. kein fundamentales Unwissen sowie

5. empirische Evidenz für die Fortschrittsthese (als gesellschaftliche Akzeptanzbedingung).

Während die Grenzen von Geltungsbedingung 3 den Ausgangspunkt jeder evolutorischen Theorie der Innovationspolitik darstellen, ist die Nichtgeltung von Bedingung 2 ein wesentli-cher Ansatz für eine Theorie ökologischer Innovationspolitik. Denn auch in einem dynami-schen Kontext müssen negative "Externalitäten" wie z.B. Umweltschäden berücksichtigt wer-den. Dies ist (nur) solange unproblematisch, wie Neuigkeiten prinzipiell bekannt sind, da sich dann das Innovationsraten- und das Externalitätenproblem - und auch darauf bezogene Politi-ken – zumindest theoretisch trennen lassen.

Sobald zweitens Neuerungen jedoch mit Witt (1996: 124) im evolutorischen Sinn "as so-mething whose meaning and implications cannot instantaneously revealed" konzipiert wer-den, kann eine ökologische Innovationspolitik nicht nur – wie die Mehrzahl der neoschumpe-terianischen Ansätze – auf die "pace" oder Rate der Innovativität als Zielgröße fokussieren. Denn die ökologischen Wirkungen einer Erhöhung der Innovationsaktivitäten hängen stark davon ab, wie das Selektionsumfeld im Hinblick etwa auf die Wahrung von Umweltstandards gestaltet ist. Mehr Innovationen können auch zu höheren Umweltbelastungen führen, je nach-

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dem ob Effizienzsteigerungen oder Reboundeffekte überwiegen. Damit ist es sinnvoll, auch die klassische Frage nach den Determinanten der Richtung von Innovationsprozessen (NBER 1962) wieder in den Mittelpunkt zu stellen (vgl. dazu näher Kapitel 3).

Jenseits der Zielebene ist festzustellen, dass diese Ansätze einer evolutorischen Wirtschafts-politik analytisch stärker auf eine vorherige Problembeschreibung evolutorischer Innovations- und Marktprozesse und weniger auf eine Ziel-Mittel- oder Restriktionsanalyse fokussieren. Bei Witt (1996) stehen bei der Problembeschreibung die allgemein durch Innovationen ausge-lösten pekuniären Externalitäten im Vordergrund. Andere Autoren lehnen sich in der Prob-lemanalyse zwar an die Vorgehensweise des neoklassischen "market failure" Ansatzes an, identifizieren aber andere Marktversagenstatbestände (Pelikan 2003) bzw. "evolutionary fai-lures" (Malerba 1996) oder "system failures" (z.B. Hauknes/Norgren 1999, Metcalfe 2003). Gemeinsam ist den meisten Ansätzen dabei, dass sie die neoklassisch abgeleiteten statischen Marktversagenstatbestände in dynamischer Perspektive entweder als in der Reichweite be-grenzt bzw. für praktische Politik wenig relevant ansehen, zum Beispiel unvollständige Ei-gentumsrechte und Charakteristika eines öffentlichen Guts. Andere dieser „market failures“ sind, etwa im Falle von Informationsasymmetrien bzw. Unsicherheit und von Unteilbarkeits-problemen, im Gegenteil Grundvoraussetzung für erfolgreiche Innovationsprozesse (vgl. hierzu insbesondere Metcalfe 2003). Aus dynamischer Perspektive hebt Malerba (1996: 5f) folgende Probleme evolutorischer Marktmechanismen hervor, die einer hohen Innovations- und Diffusionsrate neuer Technologien entgegenstehen können:

1. Lernversagen, u.a. durch geringe Lerngeschwindigkeit von Firmen und das Lock-in von Lernprozessen entlang bestehender Trajektorien,

2. Zielkonflikte zwischen Exploration und Nutzung von technologischen Möglichkeiten bzw. zwischen Vielfalt und Selektion, problematisch kann dabei sowohl der Fall großer Vielfalt aber schwacher Selektionsmechanismen als auch der von Arthur (1989) betonte Fall harter Selektion und geringer Vielfaltsgenerierung sein,

3. „Aneignungsfallen“, etwa wenn die Aneignungsmöglichkeit der Erträge von Innovationen für den Innovateur so gut ist, dass es längerfristig die Diffusion der Innovation sowie den Aufbau technologischer Fähigkeiten bei anderen Unternehmen verhindert, und

4. das Nichtentstehen dynamischer Komplementaritäten, etwa durch fehlende Verbindungen oder fehlende Kernelemente des jeweiligen Innovationssystems.

Dabei dient anders als in der neoklassischen Allokationstheorie kein hypothetisches Wohl-fahrtsoptimum als Referenz, vielmehr bezieht Malerba (1996: 6) „failures“ auf das Fehlen bzw. die Ineffektivität von evolutorischen Kernmechanismen der Wirtschaftsentwicklung. Allerdings spezifiziert er in seiner Theorie möglicher evolutorischer Steuerungsanlässe die Bedingungen, unter denen diese vier "Fallen" in evolutorischen Marktprozessen auftauchen bzw. ein persistentes Problem darstellen, nur teilweise näher. Zugleich weist er wie auch eini-ge andere Vertreter der innovationspolitischen Konzeption auf die Möglichkeit des Politik-versagens bzw. „institutional failures“ (z.B. Malerba 1996: 20ff, Smith 1997) hin, wenngleich dies anders als bei der oben skizzierten ordnungspolitischen Konzeption nicht in eine norma-tive Begrenzung politischer Steuerung transformiert wird.

Über die Bedeutung der einzelnen Steuerungsanlässe besteht hingegen nur teilweise Einig-keit. Weitgehend unumstritten ist der vierte Punkt, nämlich die Möglichkeit des „Versagens“ von Innovationssystemen (Smith 1997, Metcalfe 2003). Bei den anderen Punkten ist die Re-

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levanz für die Innovationsrate weniger klar, teilweise werden diese als nur schwer politisch milderbarer Teil marktlicher Innovationsprozesse angesehen (Metcalfe 2003). Denn gerade aufgrund der bestehenden Unsicherheit verläuft die technologische Entwicklung oft pfadab-hängig. Durch kognitive Suchheuristiken für Problemlösungen (technologische Paradigmen) und bilden sich häufig dominante technologische Trajektorien heraus (Dosi 1982), die ver-stärkt durch technologiespezifische Lerneffekte, Skalen-, Informations- und Netzeffekte in der Folge häufig auch die Richtung der Innovationsdynamik an Märkten prägen.

Daher sieht die Bewertung der Relevanz der ersten beiden Probleme anders aus, wenn auch „major shifts of innovation direction“ von Bedeutung sind (Metcalfe/ Georghiou 1998: 95). Dann können sich gegenseitig selbst verstärkende Faktoren, die Fortschritte entlang beste-hender Pfade beschleunigt haben, zu einer Stabilisierung bzw. einem Lock-in bestehender Technologien führen, der die Durchsetzung alternativer Technologien zumindest erheblich erschwert (Arthur 1989) und damit auch die Entwicklungsanreize für Alternativen, also die marktendogene Erzeugung von Variation, verringert. Dieser Spillover-Effekt von der Selekti-on auf die Variation (Metcalfe/ Georghiou 1998) erweist sich als Hemmnis für Veränderun-gen und ist dann ein politischer Steuerungsanlass (Oltra 1999). Dies gilt gerade für eine auch auf Veränderungen von Innovationsrichtungen zur Bewältigung neuer Umweltprobleme zie-lende Theorie ökologischer Innovationspolitik. Aspekte von Lernversagen sowie insbesonde-re die Ausprägung des Trade-offs zwischen Vielfalt und Selektion sind hier von großer Be-deutung (vgl. z.B. Nill/ Zundel 2002).

Generell findet eine Politik die dementsprechend versucht Vielfalt zu erhöhen in evolutori-schen Konzepten relativ problemlosen Widerhall, da dies mit einer Verbesserung des evoluto-rischen trial- und error-Prozesses verbunden wird (Lehmann-Waffenschmidt 2002, Rammel/ van den Bergh 2003). Allerdings ist, wie unten noch genauer ausgeführt wird, aus der Per-spektive einer Theorie ökologischer Innovationspolitik eine solche Fassung im Sinne der blo-ßen Vielfaltsgewährleistung nicht hinreichend, da hier auch das Auswahlproblem, bzw. das Qualitätsproblem der Alternativen angesprochen werden muss (vgl. Abschnitt 3.1).

2.4 Zwischenfazit in Thesenform

Die Schlussfolgerungen lassen sich zu zwei Thesen zuspitzen, die den Ausgangspunkt für die weiteren Ausführungen zu einer evolutorischen ökologischen Innovationspolitik bilden:

These 1: Evolutorische Theorien der Wirtschaftspolitik betonen die Steuerungsgrenzen und die Unvorhersehbarkeit von Neuerungen als Restriktionen für die Wirtschaftspolitik. Aller-dings handelt es sich bei Steuerungsgrenzen letztlich um ein Kriterium, dessen Relevanz nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch näher zu bestimmen ist. An empirischen Studien aus evolutorischer Perspektive besteht bisher jedoch eher Mangelware.

These 2: Es besteht eine eigentümliche Diskrepanz zwischen evolutorischen Theorien des ökonomischen Wandels, die auch auf Probleme marktlicher Variations- und Selektionsme-chanismen verweisen, sowie Konzeptionen evolutorischer Wirtschaftspolitik, die wie darge-stellt solche Probleme kaum berücksichtigen. Dies gilt insbesondere, wenn wie bei Umwelt-problemen auch die Innovationsrichtung von Bedeutung ist. Ebenso wie eine allein an der Erhöhung der Innovationsrate ausgerichtete Politik greift daher eine rein ordnungspolitisch orientierte evolutorische Analyse ökologischer Innovationspolitik zu kurz.

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3 Ansatzpunkte einer evolutorischen Theorie ökologischer Innovationspolitik

Während hinsichtlich genereller evolutorischer Überlegungen zu wirtschaftspolitischen Fra-gestellungen wie ersichtlich inzwischen eine gewisse Literatur besteht, sind empirische und fachpolitische Vertiefungen noch eher rar. Das Feld der ökologischen Innovationspolitik als evolutorische Interpretation von Politiken zur Lösung langfristiger Umwelt- bzw. Nachhaltig-keitsprobleme bietet sich hierfür an, weil auch hier ökonomische Veränderungsdynamiken im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Im Folgenden werden anhand des oben eingeführten "Problem-Ziel-Mittel-Restriktion"-Schemas Ansatzpunkte einer evolutorischen Konzeption ökologischer Innovationspolitik skizziert, wobei eine Fokussierung auf die Problem- und die Restriktionsdimension erfolgt.

3.1 Eine veränderte Problemstellung als Ausgangspunkt: ökologisch nachhaltige öko-nomische Systemevolution als Variations- und Selektionsproblem

Wie skizziert reagieren die meisten evolutorischen wirtschaftspolitischen Konzeptionen auf Problemstellungen wie die Gefährdung des ökonomischen Systems durch politische Interven-tionen (ordnungspolitische Ansätze) sowie die Sicherung der Innovationsgeschwindigkeit und resultierender Wachstumspotenziale (innovationspolitische Ansätze). Im Kontext einer Theo-rie ökologischer Innovationspolitik steht hingegen im Mittelpunkt des Interesses, wie Innova-tionen dazu beitragen können, dass sowohl die lebenserhaltenden Funktionen von Ökosyste-men, z.B. das Klima, als auch die Funktionsbedingungen des ökonomischen Systems, z.B. die Verfügbarkeit notwendiger Ressourcen, gewahrt bleiben (vgl. auch Beckenbach 2001: 523ff).

Wenn diese Zielrichtung bzw. die dahinter stehende Problematik akzeptiert wird, lässt sich diesbezüglich durchaus ein ökonomisches Evolutionsproblem beschreiben, das zunächst mit der Langsamkeit des rein marktlichen evolutorischen Anpassungsmechanismus, der erst bei einem konkreten Eintreten der ökologischen Restriktionen als bindende Schranke einsetzen würde, zusammenhängt (vgl. auch Sartorius 2001, Vosskamp 2001). Die statisch-neoklassisch als "Externalität" gedeuteten Umweltprobleme verschwinden - zumindest solange die gesell-schaftliche Wahrnehmung des Problems stabil ist - auch in dynamischer Perspektive nicht. Beckenbach (2001: 485ff) behält daher auch für die evolutorische Analyse den Begriff des externen Effektes bei, löst ihn aber mit einer Fassung als Indikator von Konflikten von der neoklassischen Deutung als Effizienzdefizit und thematisiert in der Folge die Bedingungen evolutionärer Internalisierungsprozesse.

Aus der hier fokussierten innovationsorientierten Sicht transformiert sich das Umweltproblem in ein zusätzliches, nicht automatisch verschwindendes Appropriierbarkeitsproblem der Er-träge von ökologischen Innovationen. Hieraus ergibt sich in dynamischer Betrachtung vor allem ein Problem der Innovationsrichtung. Die Innovationskapazitäten der Märkte richten sich auf Innovationen, bei denen die Innovateure vermuten, dass sich deren Erträge hinrei-chend appropriieren lassen, beispielsweise Erhöhungen der Arbeitsproduktivität oder die Nut-zung von heterogener Nachfrage zur Marktdifferenzierung. Hierdurch entsteht die Gefahr eines Bias zulasten ökologischer Zielausprägungen.

Diese Konstellation kann durch die Folgen der von der Neo-Schumpeterianern in den Blick gerückten evolutorischen Innovationsdynamiken, etwa sich durch kognitive und ökonomische Selbstverstärkungsmechanismen ergebende Pfadabhängigkeiten bzw. lock-ins (vgl. Abschnitt

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2.3), noch verstärken (Linscheidt 1999). Zu einem historischen Zeitpunkt bestehende ökologi-sche Appropriierbarkeitsprobleme können - neben davon zu unterscheidendem Unwissen über potenzielle ökologische Effekte - sogar die Ursache für den Lock-in einer bestimmten, ökolo-gisch nachteiligen Lösung sein (Ayres 1991). In der Folge stoßen ökologisch vorteilhafte po-tenzielle neue Lösungen häufig auf bereits etablierte Technologiepfade, die von dynamischen Lern-, Skalen- und Netzwerkeffekten profitiert haben. Oft genannte Beispiele für solche öko-logisch nachteiligen dominanten Pfade sind das auf fossilen Brennstoffen basierte Energiesys-tem sowie das automobildominierte Verkehrssystem (vgl. z.B. Unruh 2000). Weitere Beispie-le sind die Chlorchemie sowie die pestizidgestützte Schädlingsbekämpfung in der Landwirt-schaft (Linscheidt 1999, Cowan/ Gunby 1996). Pfadstabilisierende evolutorische Marktdy-namiken wirken hier als zusätzliches Hemmnis durch die Entwicklung und Durchsetzung von ökologisch vorteilhafteren Innovationen.

Zugleich ist jedoch zu berücksichtigen, dass dem in evolutorischen Marktsystemen mit hete-rogenen Akteuren ein potenziell abschwächender Mechanismus - neben stochastischen tech-nologischen Durchbrüchen etc. - gegenübersteht: Eine entsprechende Problemwahrnehmung führt nicht nur zu Versuchen der politischen Problemlösung, sondern auch zu gewissen marktlichen Aktivitäten in Richtung der ökologischen Zielsetzung. Aufgrund "intrinsischer" Motivationen und entsprechender Präferenzen mancher Akteure kann ein Suchimpuls nach neuen Lösungen und auch eine gewisse Nachfrage am Markt, die in Richtung der ökologi-schen Zielsetzung geht, entstehen. Dies bietet einen gewissen Anreiz und Spielraum für die Generierung ökologischer Inventionen und zum Teil auch Innovationen, der etablierte Pfade unter Umständen destabilisieren kann. So haben sich in einigen Bereichen in den letzten Jahr-zehnten "Öko-Nischen" wie z.B. Car-Sharing-Systeme, ökologische Häuser oder auch Öko-Landbau entwickelt, die primär von einer abweichenden Nachfrage getragen wurden.

Allerdings ist aufgrund der oben genannten Probleme keinesfalls gesichert, dass solche öko-logischen Innovationsdynamiken für die Durchsetzung neuer Pfade im Selektionsprozess des Marktes stark genug sind, sich durchzusetzen. Denn selbst wenn ökologisch viel verspre-chende Variationen entstanden sind, können die marktlichen Selektionsmechanismen, die in instabilen Phasen des ökonomischen Systems die Auswahl von neuen Technologiepfaden steuern, weiter problematisch wirken und zu einer Perpetuierung von ökologisch nachteiligen Entwicklungen bzw. der Auswahl problematischer neuer Pfade führen. In Anlehnung an Witt (1997a) ausgedrückt besteht die Gefahr, dass keine kritische Masse für die Verbreitung öko-logisch vorteilhafterer Pfade erreicht wird. Die empirische Erfahrung zeigt jedenfalls, dass bei ausbleibender politischer Unterstützung viele dieser neuen Produkt- und Prozessideen sich am Markt nicht durchgesetzt haben und bestenfalls in den Marktnischen verblieben sind.

Die resultierende wirtschaftspolitische Aufgabe ist daher nicht nur eine umweltpolitische, sondern auch eine innovationspolitische. Zugleich wird deutlich, dass eine evolutorische öko-logische Innovationspolitik sich nicht nur mit einem Variationsproblem beschäftigen muss, das durch solche Dynamiken zumindest gemildert werden kann, sondern auch mit einem Se-lektionsproblem bzw. mit Problemen, eine technische Neuerung in eine ökonomisch erfolg-reiche Neuerung umzusetzen. Eine Politikformulierung die wie z.B. bei Vosskamp (2001: 450) vorwiegend auf die Stärkung der Variationsfähigkeit des ökonomischen Systems abhebt, greift daher zu kurz. Beispielsweise stößt eine reine FuE-Förderung ohne qualitative Kompo-nente in Richtung Beeinflussung der Selektionsprozesse an Grenzen.

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Vielmehr geht es auch darum, wenn sich bereits endogene Innovationsdynamiken in Richtung des angestrebten Ziels abzeichnen, bzw. der Innovationswettbewerb zwischen alten und neu-

en Technologien in eine offene Phase getreten ist, mit Politiken gezielt daran anzusetzen. In Anlehnung an David (1987) und Erdmann (1993) können solche Phasen als technisch-ökonomische Zeitfenster bezeichnet werden (vgl. hierzu ausführlich Nill 2002; Zundel et al. 2003). Politikstrategien die versuchen solche Zeitfenster zu nutzen, zielen auf eine temporäre aktive Beeinflussung des marktlichen Selektionsprozesses. Eine solche ökologische „Wirt-schaftspolitik der Experimente“ geht über die passive Kontextsteuerung eines ökologischen Innovationswettbewerbs hinaus, wie sie z.B. von Wegner (1994) – allerdings wie oben bereits erwähnt bei Vernachlässigung von Pfadabhängigkeiten etc. – empfohlen wird. Solange auch bei solchen Zeitstrategien der Bezug zu marktlichen Innovationsdynamiken erhalten bleibt, läuft auch das ordnungspolitische Gegenargument einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des ökonomischen Systems ins Leere.

Voraussetzung für eine entsprechende ökologische Innovationspolitik ist natürlich eine hin-reichende Wissensbasis hinsichtlich der Innovationsdynamiken. Auf einige Implikationen wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Arbeiten im BMBF-Projekt "SUSTIME - Zeitstra-tegien ökologischer Innovationspolitik" (Zundel et al. 2003, 2004) zeigen, dass sich entspre-chende Politiken durchaus empirisch operationalisieren lassen; für Illustrationen anhand der Beispiele Eisen- und Stahlherstellungstechnologien und Bautechnologien vgl. auch Nill (2003, 2004).

3.2 Restriktionen und ihre Bedeutung für ökologisch-innovationspolitische Steuerung: Wie groß ist das prozesspolitische Wagnis?

Die bisherigen Überlegungen haben vom Restriktionsaspekt des Problem-Ziel-Mittel-Restriktion-Schemas weitgehend abstrahiert. Ein Typ von Restriktionen, der an mit Informa-tionsproblemen verbundenen möglichen Grenzen der Wirkung von Steuerungsversuchen an-setzt, stellt aber ein wesentliches Element zumindest der ordnungspolitischen Konzeption evolutorischer Theorien der Wirtschaftspolitik dar. Denn es lässt sich fragen, inwieweit sich solche innovationspolitischen Steuerungsziele in evolvierenden Marktsystemen erreichen lassen bzw. die eingesetzten Mittel zu Nebenfolgen führen, die den Steuerungserfolg relati-vieren bzw. im Extremfall in sein Gegenteil verkehren.

Weitere Steuerungsgrenzen, die sich etwa aus der Koevolution von techno-ökonomischen Dynamiken und institutionellen Rahmenbedingungen sowie aus Eigenlogiken politischer Pro-zesse ergeben, werden in den bisherigen evolutorischen Ansätzen hingegen häufig ausgeblen-det. Im Sinne des hier vertretenen Gegenstandsbereichs einer ökonomischen Theorie der Wirtschaftspolitik (vgl. Abschnitt 2.1) wird unten auf den Koevolutionsaspekt noch kurz ein-gegangen, hinsichtlich der aus Charakteristika des politischen Systems entstehenden Steue-rungsgrenzen sei auf frühere eigene Arbeiten (Nill 2002) sowie die Literatur verwiesen (für evolutorische Perspektiven vgl. z.B. Meier/ Slembeck 1994, Beckenbach 1996, 2001, Wohl-gemuth 2002).

Mit sich aus Charakteristika evolutorischer Marktsysteme ergebenden Steuerungsgrenzen hat sich Gerhard Wegner (1994, 1996) intensiv auseinandergesetzt, zunächst am Beispiel der Umweltpolitik und dann allgemein. Als Kern seiner Konzeption hat er eine Kasuistik wirt-schaftspolitischer Interventionen entwickelt. Er konzipiert Prozesspolitik dabei, analog zur Wirkung marktlicher Innovationsprozesse, als "Entwertung von Handlungsmöglichkeiten" (Wegner 1996: 163ff). Seine Kasuistik bezieht zwei Unsicherheiten hinsichtlich der Reaktio-nen der Politikadressaten mit in die Analyse ein:

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• reagieren die Marktakteure im Rahmen der verfügbaren Handlungsoptionen substitutiv oder innovativ, das heißt generieren sie neue Handlungsmöglichkeiten?

• reagieren die Marktakteure zielkonform oder zielinkonform?

Hieraus ergeben sich die folgenden vier Fälle:

1. Zielkonforme Substitution als Triviallösung entsprechend der statischen Allokationstheo-rie

2. Zielinkonforme Reaktion mit der Folge (Markt)entwicklungshemmender Überregulation

3. Steuerungserfolg durch zielkonforme (neue) Entwicklungsrichtung. Dieser setzt hinrei-chend offen gesetzte Allokationsziele voraus

4. Defektierende, also das Ziel konterkarierende Innovation, die zwar die Marktevolution nicht gefährdet, aber sich einer Steuerung durch die Politik entzieht.

In zwei der vier Fälle bestehen relevante Steuerungsgrenzen, und nur in einem Fall wird die Marktevolution ernsthaft gefährdet. Wegner (1996: 221) kommt zu dem Schluss, dass vor diesem Grund Ablaufpolitik zwar als “Wagnis” einzuschätzen sei, aber nicht grundsätzlich abgelehnt werden könne. Und auch Witt (2001) stellt fest, dass in manchen Situationen das Wissen durchaus ausreichen kann, um zumindest bescheidene politische Ziele zu verfolgen.

Als unmittelbare Leitlinie für Politik lässt sich schlussfolgern, dass Fall 2 möglichst zu ver-meiden und Fall 3 oder 1 anzustreben ist. Die resultierende, bei Wegner selbst nur teilweise näher verfolgte Kernfrage ist, ob und inwieweit für die Politik ex ante abschätzbar ist, wel-cher Fall eintreten wird. Damit wird die Frage der Steuerungsgrenzen auch zu einer empiri-schen Frage. Hierzu werden im Folgenden erste Überlegungen angestellt:

Zwar lässt sich definitorisch mit Sicherheit erst ex post feststellen, ob zielkonformes Handeln vorliegt, aus der für praktische Politik entscheidenden ex ante Perspektive scheint die wich-tigste Frage die, was zielkonformes Handeln wahrscheinlicher bzw. zielinkonformes Handeln unwahrscheinlicher macht:

• Im Substitutionsfall verweist Wegner (1996: 198) hier auf ein praktisches aber nicht prin-zipielles Informationsgewinnungsproblem, nämlich hinsichtlich der verlässlichen Kennt-nis der aktuellen Handlungsmöglichkeiten. Dies hängt also sowohl an der Komplexität der Problemlage als auch an den verfügbaren Informationsressourcen.

• Im Innovationsfall hängt die Zielkonformität der Reaktion davon ab, dass die ökonomi-schen Akteure das Interventionsziel nicht als a priori mit ihren ökonomischen Zielen kon-kurrierend auffassen oder nicht zu defektierenden innovativen Handlungen in der Lage sind. Ersteres kann entweder durch ein Aufsetzen auf der beobachtbaren Entwicklungs- bzw. Innovationsrichtung am Markt geschehen – ebendieser Ansatz wird mit der im vor-herigen Abschnitt skizzierten Herangehensweise verfolgt. Ähnlich wirken politische Ziel-richtungen, die erwartbare, aber bezogen auf den Zeitpunkt unsichere Markttendenzen (z.B. Ressourcenverknappung) vorwegnehmen und berechenbarer machen, also eine mit Akteurserwartungen kompatible Stabilisierungsfunktion erfüllen.

Nicht ex ante bestimmt werden kann, ob die Akteure substitutiv oder innovativ handeln wer-den. Sehr wohl aber kann erstens die Frage gestellt werden, welcher Art innovatives Verhal-ten zu erwarten ist und wie empirisch und politisch relevant dies ist - sofern nicht bei Pelikan (2003) der empirisch unbefriedigende tautologische Ausweg gewählt werden soll, Evolution

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und nicht-antizipierbare Neuerungen definitorisch in eins zu setzen. Angemessener erscheint hier die insbesondere von Witt (z.B. 2003) vertretene Fassung, dass eine evolutorische Theo-rie die Möglichkeit nicht-antizipierbarer Neuerungen einschließen muss. Dann ist es zwar theoretisch kaum möglich zwischen zu fördernden und zu hemmenden Neuerungen zu unter-scheiden. Nach Witt (1996: 126) ergibt sich sogar ein "irreducible trade-off" zwischen Inno-vationsförderung und Verringerung negativer Externalitäten, der nur pragmatisch angegangen werden könne. Dies gilt jedoch in dieser Striktheit nur, wenn technische und ökonomisch er-folgreiche Neuerungen in eins gesetzt werden. Dies ist bei radikaleren Innovationen in Marktökonomien jedoch - und wie oben angedeutet insbesondere im Bereich von Umweltin-novationen - häufig nicht der Fall. Hieraus entsteht eine erste potenzielle Wissensressource bzw. zumindest teilweise Antizipierbarkeit ökonomischer Innovationen.

Zweitens stellt sich dann die Frage in welchem Verhältnis Nicht-Wissen und die dennoch bestehende Möglichkeit der "pattern prediction" stehen, die bereits Hayek konzedierte (Leh-mann-Waffenschmidt 1995: 117) und die auch Wegner (2003: 56) einräumt. Dies dürfte ins-besondere davon abhängen, inwieweit sich bereits technologische Paradigmen (Dosi 1982) ausgebildet haben, an denen sich die weitere Suche nach Neuerungen und entsprechende Tra-jektorien orientieren oder nicht. Beispielsweise unterscheiden Llerena/ Matt (2000) in ihrer evolutorischen Konzeption von Technologiepolitik Politikempfehlungen danach, ob sich das Innovationsgeschehen in der präparadigmatischen oder eher bereits in der postparadigmati-schen Phase befindet. In letzterer kann auf einer bestehenden Wissensbasis hinsichtlich der Innovationsrichtung aufgebaut werden. Auch Schumpeter hat bereits darauf hingewiesen, dass das Innovationsgeschehen nicht nur durch kreative Entrepreneure, sondern auch durch Versuche strategischer Innovationsplanung in Großunternehmen (Schumpeter „Mark I“ und „Mark II”) geprägt wird. Auch in letzterem Fall finden natürlich Neuerungen statt, die sich nicht im Detail antizipieren lassen, nichtsdestotrotz sollten sich in empirisch näher bestimm-baren Fällen eingrenzende Aussagen über die Innovationsrichtung bzw. einen Innovationskor-ridor machen lassen, was politisch von erheblicher Bedeutung sein kann.

Schließlich ist beim Stichwort Restriktionen noch auf einen auf den ko-evolutorischen Aspekt einer Theorie der Wirtschaftspolitik hinzuweisen, der in der evolutorischen Debatte nur selten thematisiert wird. Gerade wenn es um ökologische Innovationspolitiken geht, die die Verän-derung von etablierten technologischen Trajektorien und Regimen im Blick hat, dürften Koe-volutionsprozesse mit dem institutionellen Rahmen von Relevanz sein. Denn es besteht z.B. ein ökonomischer Anreiz für Unternehmen solcher Pfade, politisch zu investieren und einer Gefährdung der eigenen Position durch neue Lösungen entgegen zu wirken (Berg 1995). Ein Ergebnis kann die Lock-ins verstärkende Koevolution von Institutionen und diese stützenden Akteursnetzwerken sein (Unruh 2000). Geeignete politische Strategien dürfen dies nicht au-ßer acht lassen.

Dies hat z.B. Implikationen hinsichtlich der ohne zusätzliche exogene politische Impulse möglichen Instrumentenwahl bzw. -dosierung. So dürften Instrumente, die eine allgemeine Entwertuing von Handlungsmöglichkeiten insbesondere der etablierten Marktakteure mit sich bringen, zumindest in einer Höhe, die auch innovatives Verhalten als Reaktionsmöglichkeit nahelegt, nur schwer durchsetzbar sein. Daher stehen dann auch einige auf den ersten Blick plausible, aber politisch "reformintensive" ordnungspolitische Vorschläge unter Vorbehalt und der ordnungspolitisch bisher häufig umgangene Bereich der "Second-Best-Lösungen" muss in den Blick genommen werden, sofern das politische Ziel Relevanz behält und die Evo-lutionsfähigkeit von Märkten dabei nicht ernsthaft gefährdet wird.

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4 Schlussfolgerungen Die vorhergehenden Überlegungen zu einer ökologischen Innovationspolitik haben verdeut-licht, an welchen Punkten eine solche handlungsfeldbezogene Theorie der Wirtschaftspolitik an die bestehende Literatur anknüpfen kann und wo weitergehende Überlegungen notwendig sind. Deren genauere Konturen sowie empirische Untermauerung bilden den Gegenstand wei-terer laufender Forschung. Abschließend sollen daher stichwortartig Elemente hervorgehoben werden, an denen sich die Ausgestaltung einer solchen Theorie deutlich von anderen evoluto-rischen Konzeptionen unterscheidet:

• Eine solche Konzeption kann durchaus (auch) prozesspolitisch angelegt sein, solange sie die bei Wegner (1996) stark gemachten Fragen der Dosierung der Intervention sowie der Beachtung am Markt beobachtbarer Entwicklungsrichtungen als Kriterien berücksichtigt. Denn dann unterscheidet sich – zumindest aus systemischer Perspektive - eine politische Entwertung von Handlungsmöglichkeiten kaum von marktendogenen Entwertungsprozes-sen, die ja die Evolutionsfähigkeit von Märkten auch nicht tangieren.

• Ordnungspolitische Überlegungen können sich daher stark auf die Sicherung von Rah-menfunktionen wie Eigentumsrechten an Innovationserträgen, Sicherung der Markteintrittsmöglichkeit, Gewährleistung von Freiheitsgraden etc. beschränken. Sie ste-hen daher einer reflektierten und an begründete Erfolgsvermutungen gebundenen "Wirt-schaftspolitik der Experimente" nicht grundsätzlich entgegen.

• Für die mögliche Ausschöpfung der Potenziale einer solchen Politik – sowie die Erkennt-nis ihrer Grenzen - ist vielmehr eine genaue Analyse der Innovationsdynamiken und deren unterschiedlicher Phasen und Flexibilitäten erforderlich, wie sie im u.a. im Rahmen des oben erwähnten SUSTIME-Projekts versucht wurde. An dieser Stelle liegt die empirische Herausforderung, für die Charakterisierung dieser Dynamiken hinreichend robuste Indika-toren und Szenarien zu definieren, sodass hierauf bezogene Politiken und ihre instrumen-telle Umsetzung darauf aufbauen können.

• Wenn die genannten Rahmenfunktionen gewahrt sind, sind auch aus evolutorischer Per-spektive Grenzen der Mittelwahl eher an der Dosierung sowie an der Dauer des Mittelein-satzes als an der Form des Instrumentes festzumachen (Nill 2004). Angesichts der skiz-zierten Pfadabhängigkeitsproblematik ist, bei allen bekannten Schwächen, z.B. das In-strument der (befristeten) FuE- sowie Markteinführungssubvention positiver zu bewerten, als dies in ordnungspolitisch und z.T. auch innovationspolitisch orientierten Arbeiten der Fall ist (vgl. Wegner 1996: 167f, Witt 1997b, Budzinski 2000: 267f). Auch diese politi-sche Aufwertung von Handlungsmöglichkeiten findet übrigens bei Komplementaritäten, spillovers etc. in Marktprozessen eine Analogie. Nicht zuletzt sind die Wissensvorausset-zungen in Bezug auf die Handlungsmöglichkeiten der Akteure geringer, da sie sich nur auf die potenziell innovativen Akteure und nicht alle Reaktionen anderer beziehen müs-sen.

All dies setzt voraus, dass ein pragmatischer Umgang mit den jeweiligen Wissensgrenzen gerade für Akteure mit Steuerungsabsichten, also konkret die verschiedenen politischen Ak-teure, möglich ist. Der Nachweis der Plausibilität liegt jedoch, hierin sei dem dominierenden evolutorischen liberalen Politikverständnis zugestimmt, auf der Seite der Interventionsbefür-worter. Darüber hinaus setzt eine entsprechende Politik ein Mindestmaß an politisch-administrativen Steuerungskapazitäten voraus. Hier sind für eine umfassende Analyse neben den angesprochenen Koevolutionsdynamiken die relevanten Ergebnisse politikwissenschaftli-

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cher und polit-ökonomischer Analysen zu Steuerungsgrenzen zu berücksichtigen, wobei auch hier evolutorische Erweiterungen vielversprechend sind (vgl. z.B. Meier/ Slembeck 1994, Beckenbach 1996, Wohlgemuth 2002).

Insgesamt muss daher ein aufgeklärtes Verständnis der möglichen Rolle der Politik auch Steuerungsgrenzen thematisieren. Analytisch fruchtbar als eine hierarchische Fassung er-scheint eine Fassung der Politik als Marktakteur mit durch die besondere Legitimation und Koordinationsressourcen zwar hervorgehobenen, aber begrenzten Möglichkeiten, bzw. als "Modulator" des technischen Wandels (Kemp 2000). Angesichts dieser Grenzen sowie der Offenheit des Evolutionsprozesses muss letztlich die Frage offen bleiben, ob es einen mit evolutorischen Konzepten vereinbaren Ausweg aus dem Steuerungsdilemma "zwischen An-maßung von Wissen und drohender Entwicklungsfalle" gibt (Linscheidt 1999). Dennoch er-geben sich einige Argumente für ein experimentelles Steuerungsverständnis (Küppers 1994, Beckenbach 1996), in dem mit einer „ökologischen Innovationspolitik der Experimente“ ver-sucht wird, entsprechende ökonomische und politische Lern- und Anpassungsressourcen frei-zusetzen und zu nutzen.

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